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Loe raamatut: «Salvator», lehekülg 73

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XCV
Wo offen gesagt ist, was an der Aufregung der Frau von la Tournelle schuldig war

»Zu Hilfe! ich sterbe!« rief die Marquise mit schwacher Stimme, indem sie mit geschlossenen Augen in die Arme des Abbé Bouquemont sank.

»Mein Gott! Frau Marquise,« machte dieser, »Was ist geschehen?«

»Wie! Sie kennen die Frau Marquise?« sagte Graf Rappt, der näher getreten war, um Frau von la Tournelle zu unterstützen und zurücktrat, als er sie in den Armen eines Freundes sah.

Nichts in der Welt konnte ihm mehr Schrecken verursachen. als zu sehen, daß Frau von la Tournelle die Freundin eines so giftigen Menschen, wieder Abbé sei.

Er kannte die Leichtfertigkeit der Marquise und bisweilen in der Nacht fuhr er von Schweiß bedeckt auf, wenn er daran dachte, daß seine Geheimnisse in den Händen einer Frau seien, die ihn von ganzem Herzen liebte, die ihn jedoch wie der Bär des Lafontaine, eines Tages zermalmen konnte, indem sie ihm, um eine Mücke zu verscheuchen, eines seiner Geheimnisse an den Kopf warf.

Wenn die Marquise die Freundin der beiden Brüder war, so kannte er die Marguise zu gut, um zu wissen, daß sie, statt eine Stütze für ihn zu sein, eine Stütze für die Männer der Kirche sein werde.

Er wurde deßhalb immer bestürzter, als Abbé Bouquemont auf die Worte: »Wie, Sie kennen die Marquise?« die ihm beinahe unwillkürlich entschlüpft waren, die Frage des Grafen bezüglich des Herrn von Saint Herem parodierend, antwortete:

.»Ich wäre nicht würdig, zu leben, wenn ich nicht eine der frommsten Personen von Paris kenne!«

Der Graf sah, daß er in Bezug auf diese Bekanntschaft einen Entschluß fassen müsse, und auf die Marquise zutretend, die aus Gewohnheit in ihrem sechzigsten Jahre eine jener Ohnmachten erkünstelte, die ihr im zwanzigsten so gut standen, fragte er sie:

»Was haben Sie, Madame? lassen Sie uns nicht länger in Unruhe, ich bitte Sie.«

»Ich werde sterben,« antwortete die Marquise, ohne die Augen zu öffnen.

Das hieß zu gleicher Zeit antworten und nicht antworten.

Gras Rappt, welcher sah, daß die Sache keineswegs so beunruhigend sei, als er anfangs gefürchtet, begnügte sich, zu seinem Secretär zusagen:

»Man muß ärztliche Hilfe herbeirufen, Barbier.«

»Unnütz,« antwortete die Marquise, indem sie die Augen öffnete. und mit Schrecken um sich sah.

Sie gewahrte den Abbé.

»Ah! Sie sind es, Herr Abbé,« sagte die alte Betschwester im zärtlichsten Tone.

Dieser Ton machte den Grafen schauern.

»Ja, Frau Marquise, »ich bin es,« antwortete der Abbé heiter; »und ich habe die Ehre, Ihnen meinen Bruder, Herrn Xavier Bouquemont, vorzustellen.«

»Einen Maler von großem Verdienste,« sagte die Marquise mit dem anmuthigsten Lächeln, »den ich unserem künftigen Deputirten von ganzem Herzen empfehle.«

»Unnöthig, Madame,« antwortete Herr Rappt, »diese Herren empfehlen sich durch sich selbst.«

Die beiden Brüder senkten die Blicke und verbeugten sich bescheiden und mit einer so vollkommen gleichen Bewegung, daß man hätte glauben sollen, sie geben dem gleichen Drucke nach.

»Was ist Ihnen denn geschehen. Marquise?« fragte Herr Rappt halblaut, als wollte er den beiden Fremden bedeuten, daß längeres Verweilen unbescheiden sein würde.

Der Abbé begriff die Absicht und machte eine Miene, als wollte er sich zurückziehen.

»Mein Bruder,« sagte er, »ich bemerke, daß wir die Zeit des Herrn Grafen ungebührlich in Anspruch nehmen.«

Aber die Marquise hielt ihn an seinem Rockflügel zurück.

»Keineswegs, Herr Abbé,« sagte sie; »die Ursache meines Schmerzes ist für Niemanden ein Geheimniß. Da Sie dem, was mir begegnet, überdies nicht ganz fremd sind, so bin ich entzückt, Sie hierzu finden.«

Die Stirne des künftigen Abgeordneten verdüsterte sich und die Stirne des Abbé leuchtete vor Freude.

»Was wollen Sie sagen, Frau Marquise?« rief er. »Wie ich, der ich mein Leben für Sie gäbe, sollte den Kummer haben, Ihrem Schmerze nicht ganz fremd zu sein?«

»O! Herr Abbé,« sagte die Marquise mit einem verzweifelten Tone: »Sie kennen doch Croupette?«

»Croupette!« rief der Abbé in einem Tone, der offenbar sagen wollte: »Wer ist das?«

Der Graf, welcher wußte, wer Croupette war, und die Ursache dieses großen Schmerzes der Marquise ahnte, sank in einen Fauteuil, indem er einen Seufzer der Muthlosigkeit ausstieß, wie ein Mann der des Krieges müde, seinen Feinden die Stellung überläßt.

»Ja, Croupette,« versetzte die Marquise in wehmüthigem Tone. »Sie kennen sie ganz gewiß; Sie haben mich zwanzig Male mit ihr gesehen.«

»Wo das, Frau Marquise?« versetzte der Abbé.

»Nun, auf Ihrer Pfarrei, Herr Abbé, bei der Brüderschaft, in Montrouge. Ich habe sie, oder vielmehr ich hatte sie, immer bei mir. O! großer Gott, das arme Thier, es hätte schön geheult, wenn ich es allein zu Hause gelassen.«

»Ah! nun weiß ich,« rief der Abbé. der durch den Ausruf: das arme Thier! auf die Spur gebracht war. »Nun weiß ich!.«

Und, sich wie ein Verzweifelter auf die Stirne schlagend, rief er:«

»Es handelt sich um Ihre reizende kleine Hündin! ein allerliebstes, kleines Thier. anmuthig und klug! Ihm wäre ein Unglück begegnet, Frau Marquise, dieser lieben, kleinen Croupette.«

»Ein Unglück! allerdings ist ihm ein Unglück begegnet,« rief die Marquise schluchzend; »es ist todt, Herr Abbé!«

»Todt!« riefen die beiden Brüder im Chor.

»Das Opfer eines schändlichen Verbrechens, eines abscheulichen hinterlistigen Streiches.«

»O Himmel!« rief Xavier.

»Und wer ist der Urheber dieser verwünschten Missethat?« fragte der Abbé.

»Wer? Sie fragen?« machte die Marquise.

»Ja, wir fragen,« sagte Xavier.

»Nun denn,« sagte die Marquise, »es ist unser gemeinschaftlicher Feind, der Feind der Regierung, der Feind des Königs, der Apotheker des Faubourg Saint Jacques!«

»Ich war davon überzeugt!« rief der Abbé.

»Ich hätte daraus schwören mögen,« sagte der Maler.

»Aber wie ist das gekommen, mein Gott?«

»Ich war zu unsern guten Schwestern gegangen, machte die Marquise: »als ich an dem Apotheker vorüber komme, bleibt die arme Croupette, die ich an der Leine führe, stehen – ich glaube das arme Thier müsse einen Augenblick stehen bleiben. – Ich bleibe auch stehen . . . Plötzlich stößt es einen Angstschrei aus, sieht mich schmerzlich an und fällt todt auf das Pflaster.«

»Furchtbar!« rief der Abbé, indem er den Blick zur Decke erhob.«

»Schrecklich!« sagte der Maler, sich des Gesicht bedeckend.

Während dieser Erzählung hatte der Graf seine Ungeduld an einem Packet Federn ausgelassen, deren Posen er sammt und sonders ausgeschnitten.

Die Frau Marquise von la Tournelle bemerkte plötzlich, welch’ geringes Interesse er an der Erzählung dieser rührenden Catastrophe nahm und wie ungeduldig ihn die Anwesenheit der beiden Brüder machte.

Sie stand auf.

»Meine Herren, sagte sie mit kalter Würde, »ich bin Ihnen um so dankbarer für die Beweise von Theilnahme, welche Sie der unglücklichen Croupette geben, als diese lebhaft contrastiren mit der tiefen Gleichgültigkeit meines Herrn Neffen, der nur mit seinen ehrgeizigen Planen beschäftigt, keine Zeit hat, Angelegenheiten des Herzens die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.«

Die beiden Brüder sahen den Grafen Rappt entrüstet an.

»Kröte und Viper!« murmelte dieser.

Dann sich an die Marquise wendend, sagte er zu ihr:

»Keineswegs, Madame, und Beweis vom Gegentheil, daß ich nämlich den lebhaftesten Antheil an Ihrem Kummer nahm, mag Ihnen das sein, daß ich mich zu Ihrer Disposition stelle, um den Urheber des Vergebens zu verfolgen.«

»Haben wir es Ihnen nicht gesagt, Herr Graf,« machte der Abbé, »daß dieser Mensch ein Elender sei, der jedes Verbrechens fähig ist?«

»Ein großer Missethäter!« machte Xavier.

»Sie haben es mir allerdings gesagt,« meine Herren,« versetzte der Deputirte, indem er aufstand und die beiden Brüder grüßte, als wollte er sagen: »Da wir uns nunmehr verstehen, da wir jetzt derselben Ansicht sind, da keine Meinungsverschiedenheit uns fortan trennt, so gehen Sie nach Hause und lassen Sie mich in Ruhe.«

Die beiden Brüder verstanden die Bewegung und namentlich den Blick.

»Leben Sie wohl denn, Herr Graf,« sagte der Abbé Bouquemont mit etwas kaltem Ausdruck. »Ich bedaure, daß Sie uns nicht noch einige Augenblicke widmen konnten; wir hatten Ihnen noch einige wichtige Fragen vorzulegen.«

»Von höchster Wichtigkeit,« sagte Xavier bei.

»Es ist nur aufgeschoben,« sagte der künftige Deputirte, »und ich schmeichle mir, daß ich das Vergnügen haben werde. Sie wieder zu sehen.«

»Es ist unser glühendster Wunsch.« machte der Maler.

»Aus baldiges Wiedersehen also,« machte der Abbé.

Und sich vor dem Grafen verbeugend, ging der Abbé zuerst weg; sein Bruder, nachdem er seinem ältern Bruder in allein nachgeahmt, folgte ihm.

Gras Rappt schloß die Thüre hinter ihnen und blieb einige Zeit, die Hand auf die Klinke stützend, stehen, um sich zu versichern, daß sie nicht zurückkehrten.

Dann wandte er sich an seinen Secretär und sagte mit einer Stimme, die nur so viel Kraft übrig behalten zu haben schien, um diesen letzten Befehl zu geben:

Bordier, Sie kennen doch diese beiden Menschen?«

»Ja, Herr Graf, machte Bordier.

»Gut denn, Bordier, ich jage Sie fort, wenn diese nach einmal den Fuß in mein Cabinet setzen.«

»Welche Wuth gegen Männer Gottes, mein lieber Rappt!« sagte die Marquise in frömmelndem Tone.

»Männer Gottes, sie!« rief der künftige Deputirte vor Zorn roth werdend. »Helfershelfer des Satan, Abgesandte des Teufels! wollten Sie sagen.«

»Sie täuschen sich, mein Herr, und zwar ganz und gar, das schwöre ich Ihnen,« sagte die Marquise.«

»Ah! das ist wahr, ich vergaß, daß es Ihre Freunde sind.« -

»Und ich habe für die Frömmigkeit des Einen die tiefste Bewunderung und für das Talent des Andern die herzlichste Sympathie.«

»Wohl, ich mache Ihnen mein aufrichtigstes Compliment, Marquise,« sagte der Graf, indem er sich die Stirne trocknete: »Ihre Sympathie und Ihre Bewunderung sind gut angebracht. Ich habe eine große Anzahl von Schuften kennen gelernt, seit ich im öffentlichen Amte bin; aber zum ersten Male in meiner ganzen Carrière habe ich Intriganten von diesem Kaliber getroffen. O! die Kirche wählt ihre Leviten gut. Es setzt mich nicht in Erstaunen, daß sie so unpopulär ist.«

»Mein Herr,« rief die Marquise heftig erzürnt, »Sie blaephemiren.«

»Sie haben Recht; wir wollen nicht mehr von ihnen sprechen; lassen Sie uns zu etwas Anderem kommen.«

Dann wandte er sich an seinen Secretär und sagte, indem er wieder auf den Weg zu kommen suchte, den er eben verloren hatte:

»Bordier, ich habe mit meiner lieben Tante eine Sache von höchster Wichtigkeit zu besprechen. Es ist mir deßhalb unmöglich, weitere Besuche zu empfangen. Gehen Sie in das Vorzimmer, und schicken Sie mit Ausnahme von zwei bis drei Personen, deren Auswahl ich Ihrem Scharfblick überlasse, die Uebrigen weg. Auf Ehre, ich bin ganz gebrochen von Anstrengung.«

Der Secretär ging und Gras Rappt blieb mit der Marquise von la Tournelle allein.

»O, wie abscheulich die Menschen sind,« murmelte die Marquise dumpf vor sich hin, indem sie halbohnmächtig in einen Fauteuil zurücksank.

Herr Rappt hatte gute Lust, es ebenso zu machen: aber der Wunsch, jene wichtige Unterredung mit seiner Tante zu haben, von welcher er Bordier gesprochen, hielt ihn zurück.«

»Liebe Marquise,« sagte er, indem er auf sie zuging und leicht mit der Hand ihre Schulter berührte, »ich wäre bereit, namentlich in diesem Augenblicke, ganz auf Ihre Interessen einzugehen; aber Sie wissen, daß es nicht der rechte Augenblick ist, uns in allgemeine Betrachtungen zu verlieren; die Wahlen finden übermorgen statt.«

»Das ist der Grund,« versetzte die Marquise, »weßhalb ich es unklug finde, daß Sie sich zwei Menschen zu Feinden machen, die bei der clericalen Partei solchen Einfluß haben, wie der Abbé Bouquemont und sein Bruder.«

»Wie! zwei Feinde?« rief der Graf; »zwei Feinde aus diesen beiden Schuften.«

»O! Sie können darauf zählen. Ich habe gesehen, welcher Haß aus ihren Blicken sprühte, als diese beiden würdigen jungen Männer Abschied nahmen.«

»Diese beiden würdigen jungen Männer! . . . Wahrhaftig, Sie machen mich fluchen, meine Tante . . . Feinde! . . . Ich sollte mir Feinde aus diesen beiden Schurken gemacht haben? . . . Ein Blick des Hasses! . . . Sie hätten mir einen Blick des Hasses zugeworfen, als sie mich verließen . . . Aber, wann haben sie mich verlassen, Frau Marquise; wissen Sie, daß sie seit mehr als einer Stunde hier waren? Wissen Sie, daß sie diese Stunde damit zugebracht, abwechselnd mir zu schmeicheln und mir zu drohen? Wissen Sie, daß ich dem Einen eine Pfarrei mit fünf bis sechstausend Franken, dem Andern die Ausmalung einer Kirche versprochen; und nun, nachdem ich ihre Habgier gesättigt, soll ich ihren Haß ernten müssen? O! meiner Treue, so wenig reizbar ich bin, das Herz hat sich mir zuletzt vor Widerwillen umgedreht, und wenn sie nicht selbst gegangen wären, ich glaube, Gott verzeihe mir, ich hätte sie vor die Thüre gesetzt.«

»Und Sie hätten sehr großes Unrecht gehabt; Abbé Bouquemont ist der Vertraute des Monseigneur Coletti, der mir bereits sehr schlecht aus Sie zusprechen scheint.« .

»Ah! da sind wir bei dem rechten Thema, es ist Zeit. Was sagen Sie mir da, Monseigneur Coletti sollte schlecht aus mich zu sprechen sein?«

»Seht schlecht.«

»Sie haben ihn also gesprochen?«

»Helfen Sie mich nicht darum gebeten?«

»Gewiß, denn dieser Besuch ist ja gerade die wichtige Sache, von der ich mit Ihnen sprechen wollte.«

»Es muß Ihnen Jemand bei dein Monseigneur geschadet haben. mein lieber Graf.«

»Nur keine Umschweife, Marquise; erklären wir uns.Sie lieben mich von ganzem Herzen, nicht wahr?«

»Mein lieber Rappt, können Sie daran zweifeln?«

»Ich zweifle nicht daran. Deshalb spreche ich auch offen mit Ihnen. Ich muß berühmt werden. Ich will es sein. Es ist für mich das to be or not to be; meine ganze Zukunft beruht darauf. Der – Ehrgeiz wird mir das Glück ersetzen. Aber dieser Ehrgeiz muß befriedigt werden. Ich muß Deputierter werden, um Minister zu sein; ich will Minister sein; ich muß Minister sein. Nun denn, Monseigneur Coletti hatte versprochen, daß er durch die Herzogin von Angoulême, deren Beichtvater er ist, den König zu dieser Ernennung bringen werde. Hat er gethan, was er versprochen?«

»Nein,« sagte die Marquise.

»Er hat es nicht gethan?« rief der Graf erstaunt.

»Und,« sagte die Marquise, »ich glaube sogar, daß er gar nicht geneigt ist, es zu thun.«

»Wie – wahrhaftig, der Kopf möchte mir zerspringen! – er weigert sich, mich zu unterstützen?«

»Durchaus.«

»Er hat es Ihnen gesagt?«

»Ja.«

»So! er hat also vergessen, wer ihn zum Bischof gemacht, und daß Sie es sind, durch die er in das Haus der Frau Herzogin von Angoulême kam?«

»Er erinnert sich alles dessen, aber all das, sagt er, werde ihn nicht gegen sein Gewissen handeln lassen.«

»Sein Gewissen! sein Gewissen! murmelte der Graf Rappt. »Bei welchem Wucherer hatte er es denn versetzt und welcher meiner Feinde hatte ihm das Geld geliehen, um es auszulösen?«

»Mein lieber Graf! mein lieber Graf!« rief die Marquise sich bekreuzend, »ich kenne Sie nicht wieder; die Leidenschaft hat Sie ganz wirr gemacht!«

»Das ist ja um sich den Kopf gegen die Wand zu rennen. Wieder Einer, den ich erkauft glaubte, und der seinen Preis machen will, ehe er sich verkauft! Meine liebe Marquise, setzen Sie sich in Ihren Wagen . . . Sie sehen heute Welt bei sich, nicht wahr?

»Ja.«

»Nun, so gehen Sie zu Monseigneur Coletti, laden Sie ihn ein«

»Sie denken doch nicht, es ist ja zu spät.«

»Sie sagen, Sie hätten ihn in eigener Person einladen wollen.«

»Ich komme eben von ihm und habe ihm nicht ein Wort davon gesagt.«

»Wie, Sie wissen, wie wenig Zeit ich habe und vermochten ihn nicht, mit Ihnen zu kommen?«

»Er hat sich geweigert, indem er sagte, daß, wenn Sie glaubten, etwas mit ihm zu thun zu haben, es an Ihnen sei, zu ihm zu kommen und nicht an ihm, zu Ihnen zu kommen.«

»Ich werde ihn morgen besuchen.«

»Es wird zu spät sein.«

»Wie das?«

»Die Journale werden erschienen sein und was man gegen Sie zu sagen hat, wird gedruckt sein.«

»Was kann er gegen mich zu sagen haben?«

»Wer weiß?«

»Wie! Wer weiß? Erklären Sie sich.«

»Monseigneur Coletti ist, wie Sie wissen, im Begriff die Prinzessin Rina zum Katholizismus zu bekehren.«

»Sie hat noch nicht convertirt?«

»Nein; aber ihre Gesundheit wird täglich schwächer; er ist überdies der Beichtvater Ihrer Frau.«

»O! Regina hat nichts gegen mich sagen können«

»Wer weißt in der Beichte . . . «

»Madame!« machte der Graf entrüstet, »für die schlechtesten Sünder ist die Beichte heilig.«

»Nun, was weiß ich! aber wenn ich Ihnen einen Rath geben soll . . . «

»Nun?«

»So steigen Sie in Ihren Wagen und machen Sie Frieden mit ihm.«

»Aber ich habe noch einige Wähler zu empfangen.«

»Verschieben Sie sie auf morgen.«

»Ich werde ihre Stimme verlieren.«

»Besser drei Stimmen verlieren, als tausend.«

»Sie haben Recht. – Baptiste!« rief Herr Rappt, indem er sich an die Glocke hing. »Baptiste!«

Baptiste erschien.

»Meinen Wagen,« sagte der Graf, »und schicken Sie mir Bordier.«

Einen Augenblick später trat der Secretär in das Cabinet.«

»Bordier« sagte der Graf, »ich gehe über die Hintertreppe weg; schicken Sie alles fort.«

Und nachdem er lebhaft die Hand der Marquise geküßt, stürzte Herr Rappt aus seinem Cabinet, jedoch nicht so lebhaft, daß er nicht Frau von la Tournelle zu seinem Secretär hätte sagen hören:

»Und jetzt, Bordier, wollen wir den Tod Croupettes zu rächen suchen, nicht wahr?«

XCVI
Wo gezeigt ist, daß zwei Auguren sich nicht ansehen können, ohne zu lachen

Graf Rappt kam rasch nach der Rue St. Guillaume, wo das Hotel lag, das Monseigneur Coletti inne hatte.

Monseigneur bewohnte einen Pavillon zwischen Hof und Garten. Es gab nichts Reizenderes als diese Wohnung; es war das ächte Nest für einen Poeten, Liebenden oder Abbé, offen da liegend für die Mittagssonne und hermetisch verschlossen für die grausamen Nordwinde.

Das Innere dieses Pavillons verrieth aus den ersten Blick die raffinierte Sinnlichkeit der heiligen Person, die ihn bewohnte. Eine laue, balsamische, wollüstige Luft umfing den Eintretenden, und ein Mensch, den man mit verbundenen Augen dahin gebracht, hätte, wenn er nur den Duft der Athmosphäre eingeathmet, sich in einem jener geheimnißvollen berauschenden Boudoirs glauben müssen, wo die Beaus des Directoriums ihre Hohenlieder sangen und ihren Weihrauch verbrannten.

Ein Diener, halb Huissier, halb Geistlicher, führte den Grafen Rappt in einen kleinen, halberleuchteten oder vielmehr halb dunkeln Solon, durch den man in das Empfangszimmer kam.

»Seine Eminenz ist in diesem Augenblicke sehr beschäftigt,« sagte der Diener. »Und ich weiß nicht, ab Sie empfangen werden; aber wenn Sie mir Ihren Namen sagen wollen . . . «

»Melden Sie den Grafen Rappt,« antwortete der künftige Deputierte.

Der Diener verbeugte sich tief und trat in den Salon.

Er kehrte einige Augenblicke später zurück und sagte:

»Seine Eminenz werden den Herrn Grafen empfangen.«

Der Oberst wartete nicht lange. Nach Verfluß von fünf Minuten sah er aus dem Salon, begleitet von Monseigneur Coletti, zwei Personen treten, deren Gesicht er anfangs wegen der Dunkelheit. Die in dem Zimmer herrschte, nicht unterscheiden konnte, die er aber bald erkannte, als er sie sich mit einer Servilität, von der nur die Brüder Bouquemont sein konnten, vor ihm verbeugen sah.

Es war wirklich Sulpice und Xavier Bouquemont.

Herr Rappt grüßte sie so höflich er nur konnte und trat, gefolgt von dem Bischof, der durchaus nicht vorangehen wollte, in den Solon.

»Ich war nicht auf die Ehre und das Vergnügen gefaßt, Sie heute zu sehen, Herr Graf,»sagte Seine Eminenz, indem er den Grafen Rappt auf eine Causeuse sitzen ließ und sich dann gleichfalls setzte.

»Und weßhalb. Monseigneur?»fragte dieser.

»Weil ein Staatsmann, wie Sie,« antwortete Monseigneur Coletti mit demüthiger Miene, »am Tage vor der Wahl anderes zu thun haben muß, als einen armen Einsiedler wie mich zu besuchen.«

»Monseigneur,« sagte der Graf lebhaft, da er sah, daß ihn diese heuchlerische Comödie zu weit führen könnte, »die Frau Marquise Tournelle hatte die Freundlichkeit mir mitzutheilen, daß ich, was mich sehr überraschte und bekümmerte, allen Credit bei Ihnen verloren.«

»Die Frau Marquise von la Tournelle ging vielleicht etwas zu weit, als sie sagte: allen Credit,« warf der Abbé ein.

»Sie wollen damit sagen, Monseigneur, daß wenig fehlt.«

»Ich gestehe, Herr Graf,« antwortete der Abbé, die Stirne mit einem schmerzlichen Ausdrucke runzelnd und die Augen zum Himmel erhebend, als wenn er auf den Sünder, der vor ihm saß, die ganze göttliche Barmherzigkeit herabrufen wollte, »ich gestehe, daß in dem Augenblicke, wo Seine Majestät mich um meine offene Meinung über Ihre Wiedererwählung und Ihren Eintritt ins Ministerium befragte, ich gestehe . . . daß ich, ohne alles zu sagen, was ich dachte, mich gezwungen fühlte, den König zu bitten, sich die Sache zu überlegen und nicht einen Entschluß zu fassen, ehe ich zuvor mit Ihnen gesprochen.«

»Ich bin auch nur zu dem einen Zwecke hier, Monseigneur,« sagte der künftige Deputirte ziemlich trocken.

»Nun gut . . . so lassen Sie uns plaudern, Herr Graf.«

»Was haben Sie mir vorzuwerfen, Monseigneur?« fragte Herr Rappt; »wohlverstanden persönlich.«

»Ich!« rief der Bischof mit unschuldiger Miene; »ich sollte Ihnen persönlich etwas vorzuwerfen haben? Sie machen mich in der That verlegen; denn so bald es sich nur um mich handelt, Herr Graf, so habe ich nur zu loben! Ich habe es dem Könige gesagt, ich gestehe es laut; ich sage es jedermann, der es hören will, ich bin Ihr dankbarster Diener.«

»Um was handelt es sich aber denn? Da Sie, wie Sie sagen, nur zu loben haben, woher kommt denn der Mißcredit, in welchem ich bei Ihnen stehe?«

»Das läßt sich Ihnen sehr schwer sagen,« machte der Bischof, indem er mit verlegener Miene den Kopf schüttelte.

»Ich kann Ihnen vielleicht helfen, Monseigneur.«

»Das ist mein sehnlichster Wunsch, Herr Graf; Sie ahnen auch vielleicht, wie mich dünkt. um was es sich handelt?«

»Keineswegs; ich versichere Sie,« versetzte Herr Rappt; »aber indem wir beide suchen, werden wir vielleicht auf das Richtige kommen.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Es sind in Ihnen zwei Menschen, Monseigneur der Geistliche und der Staatsmann,« sagte der Graf, indem er den Bischof fest ansah; welchen von beiden habe ich beleidigt?«

»Keinen von beiden,« antwortete der Bischof, indem er sich stellte, als zögerte er.

»Ich bitte um Vergebung, Monseigneur,« fuhr Graf Rappt fort; »wir wollen offen sprechen, sagen Sie mir, welchem von beiden ich eine Rechtfertigung und Sühne schuldig bin.«

»Hören Sie mich an, Herr Graf,« sagte der Bischof; »ich werde wirklich offen mit Ihnen reden; und um damit zu beginnen, erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, welche Bewunderung ich für Ihr schönes Talent habe. Kein Mann schien mir bis jetzt würdiger, als Sie, sich zu den höchsten Würden des Staates emporzuschwingen; unglücklicher Weise hat ein Flecken den Glanz, mit dem ich Sie bis jetzt so gerne umgab, verdunkelt.«

»Erklären Sie sich, Monseigneur. Ich wünsche nichts mehr, als zu beichten.«

»Nun gut,« sagte langsam und kalt der Bischof, »ich nehme Sie beim Wort; ich will Sie beichten lassen. Der Zufall hat mich zum Mitwisser eines Vorgehens gemacht, das Sie begangen; gestehen Sie, als stünden Sie vor dem Bußgericht; und müßte ich selbst meine Kniee brauchen, um für Sie zu bitten, ich würde Tag und Nacht die göttliche Gnade anrufen, bis ich Verzeihung für Sie erlangt.«

»Heuchler!« dachte Graf Rappt, »Heuchler und Dummkopf! Wie kannst Du glauben, daß ich so einfältig sein werde, mich im Netze fangen zu lassen? Im Gegentheil, ich werde Dich beichten lassen . . . Monseigneur,« fuhr er laut fort, »wenn ich Sie recht verstanden, so sind Sie durch Zufall (und er legte absichtlich Nachdruck auf dieses Wort) durch Zufall zur Kenntniß eines Vergehens gekommen, das ich begangen. Bringen Sie mich ein wenig auf die Spur! Ist es eine lösliche Sünde . . . oder . . . eine Todsünde? Darauf beruht die ganze Frage?«

»Prüfen Sie sich, Herr Graf, fragen Sie sich,« sagte der Bischof mit einer Miene voll Zerknirschung, »erforschen Sie Ihr Gewissen, haben Sie etwas Schweres . . . sehr Schweres sich vorzuwerfen? Sie wissen, daß ich für Ihre Familie und für Sie insbesondere eine wahrhaft väterliche Zuneigung fühle; ich werde alle Nachsicht walten lassen. Sprechen Sie deßhalb mit Vertrauen; Sie haben keinen ergebeneren Freund, als mich.«

»So hören Sie denn, Monseigneur,« versetzte Graf Rappt, indem er den Bischof streng ansah: »wir kennen beide die Menschen, wir kennen, um uns nicht zu täuschen, der Eine wie der Andere, der Eine so gut, wie der Andere, die menschlichen Leidenschaften. Wir wissen, daß Wenige in unser Alter kommen, mit unsern Ansprüchen auf das Leben und mit unserem Ehrgeize, ohne, wenn sie hinter sich blicken, Schwachheiten zu entdecken!«

»Gewiß!« unterbrach ihn der Bischof, indem er die Augen senkte, denn er konnte den festen Blick des Deputirten nicht aushalten, »die menschliche Natur ist unvollkommen; gewiß, wir haben hinter uns, in unserem Gefolge, auf unsern Fersen einen ganzen Cortege von Verwirrungen und Schwächen . . . Aber,.« versetzte er, indem er den Kopf erhob, »es sind Schwächen, die, wenn wir sie sich ausbreiten ließen, ernstlich gefährlich werden könnten! Wenn es ein derartiges Vergehen ist, so müssen Sie gestehen, Herr Graf, daß wir unserer zwei nicht zu viel wären, um die Gefahren zu beschwören, die daraus hervorgehen könnten. Fragen Sie sich deßhalb.«

Der Graf betrachtete den Bischof mit einem Blick voll Haß. Er hatte Lust ihn mit Schmähungen zu überhäufen; er dachte jedoch, daß es klüger gehandelt sein werde, wenn es, nach seinem Beispiel den Jesuiten spielte; und er antwortete mit zerknirschtem Ausdruck:

»Ach! Monseigneur, erinnert man sich alles dessen genau, was man Böses oder Gutes in dieser Welt thun konnte? Ein Fehler, der uns leicht und von geringer Bedeutung erscheinen kann, weil wir wissen, daß der Erfolg die Mittel rechtfertigt, kann ein ungeheurer Fehler, ein furchtbares Verbrechen in den Augen der Gesellschaft werden. Die menschliche Natur ist so unvollkommen, wie Sie selbst soeben sagten; unser Ehrgeiz ist so groß! unsere Absichten sind so weitsichtig! unser Leben ist so kurz wir sind so sehr daran gewöhnt, um zu unserem Ziele zu gelangen, jeden Tag unvermutheten Dornen auszuweichen, durch neue Uebel uns zu schlagen, daß wir leicht das Elend des vorhergehenden Tages vergessen gegenüber den Mißhelligkeiten des Augenblicks. Und dann, wer von uns trüge nicht in der Tiefe seines Herzens sein gefährliches Geheimniß, seine Reue, seine Befürchtungen? Wer könnte, wenn er in unser Alter gekommen, mit gutem Gewissen sagen: »Ich ging bis heute auf denn geraden Wege, ohne einen Tropfen meines Blutes an den Dornen des Weges zu lassen! Ich habe, meine Aufgabe glänzend vollendet, ohne diesen oder jenen Fehler, dieses oder jenes Verbrechen sogar; auf mir lasten zu wissen!« Ein solcher möge sich vor mir zeigen, wenn er den geringsten Ehrgeiz im Herzen hat, und vor einem solchen will ich mich demüthig beugen, zu einem solchen will ich, mir auf die Brust schlagend, sagen: »Ich bin unwürdig, Dein Bruder zu sein.« Das Herz des Mannes gleicht den groben Flüssen, die den Himmel an der Oberfläche widerstrahlen, und den Schmutz ihres Bettes den Blicken verbergen. Verlangen Sie deßhalb nicht die Beichte dieses oder jenes Geheimnisses von mir, Monseigneur! Ich habe mehr Geheimnisse, als Jahre! Sagen Sie mir vielmehr, welches von jenen Geheimnissen Sie erfahren haben und wir werden beide das Mittel suchen, wie diese Sünde vergeben werden kann.«

»Ich wünsche nichts mehr, als Ihnen angenehm zu sein, Herr Graf,« sagte der Bischofs »indessen, wenn Ihr Geheimniß mir anvertraut wurde und zwar unter dem Gelöbniß, es zu bewahren, wie, wollen Sie dann, daß ich meinen Schwur breche?«

»Geschah dies in der Beichte?« fragte Herr Rappt.

»Nein . . . nicht gerade,« sagte der Bischof zögernd.

»Dann können Sie sprechen,« sagte der künftige Deputirte trocken. »Ehrliche Leute, wie wir, müssen sich gegenseitig unterstützen. Ich erinnere Sie beiläufig daran.« fuhr Graf Rappt trocken fort, »um Ihr Gewissen zu erleichtern, daß dies nicht Ihr erster Eid wäre.«

»Aber, Herr Graf,« . . . unterbrach ihn der Bischof erröthend.

»Aber, Monseigneur,« versetzte der Deputirte.»abgesehen von politischen Eiden, die nur geschworen werden, um sie zu brechen, so haben Sie mehrere andere gebrochen . . . «

»Herr Graf!« rief der Bischof mit entrüstetem Tone.

»Sie haben das Gelübde der Keuschheit abgelegt, Monseigneur,« fuhr der Graf fort, »und Sie sind, wie ich und die ganze Welt weiß, der galanteste Abbé von-Paris.«

»Herr Graf, Sie beleidigen mich,« sagte der Bischof, indem er sein Gesicht in den Händen barg.

»Sie haben das Gelübde der Armuth abgelegt,« fuhr der Diplomat fort, »und Sie sind reicher als ich; denn Sie haben hundert tausend Franken Schulden. Sie haben das Gelübde . . . «

»Herr Graf!« sagte der Bischof, indem er aufstand, »ich kann Sie nicht länger anhören. Ich glaubte, Sie wollten hier den Frieden suchen, und Sie haben mir den Krieg gebracht. Es sei!«

»Hören Sie mich an, Monseigneur versetzte der künftige Deputirte sanfter; »wir haben nichts zu gewinnen, weder der Eine, noch der Andere, wenn wir uns bekriegen. Ich bringe den Krieg nicht, wie Sie behaupten. Wenn das meine Absicht wäre, so hätte ich nicht die Ehre, in diesem Augenblicke mit Ihnen meine Meinung auszutauschen.«

»Aber was verlangen Sie von mir?« fragte der Bischof, indem er einen mildern Ton anschlug.

»Ich verlange zu wissen,« antwortete Graf Rappt einfach, »welches von meinen Vergehen Ihnen zur Kenntniß gekommen?«

»Ein furchtbares Vergehen,« murmelte der Bischof, indem er die Augen zum Himmel erhob.

»Welches?« drängte der Graf.

»Sie haben Ihre Tochter geheirathet!« sagte Monseigneur Coletti, indem er sich das Gesicht bedeckte und sich auf die Causeuse sinken ließ.

Der Graf betrachtete ihn mit einer Art von Verachtung, mit einem Ausdruck, welcher sagen wollte: »Nun ja, was weiter?«

»Haben Sie von der Gräfin dies Geheimniß?«

»Nein.« antwortete der Bischof.

»Von der Marquise von la Tournelle?«

»Nein,« wiederholte Monseigneur.

»So wissen Sie es von der Frau Marschallin de la Mothe-Haudan?«

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04 detsember 2019
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