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Loe raamatut: «Tausend und Ein Gespenst», lehekülg 9

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An diesen Querbalken von Eichenholz hängen die eisernen Kreuze, an welche man die Hingerichteten knüpft. Ich erblickte, wie einen beweglichen Schatten, die Leiche des unglücklichen Artifaille, welche der Wind in der Lust schaukelte.

Plötzlich blieb ich stehen, ich sah jetzt den Galgen von seinem obern Ende bis zu seinem Fuße. Ich erblickte eine gestaltlose Masse, welche einem Thiere mit vier Füßen glich und die sich bewegte.

Ich blieb stehen und legte Mich hinter einen Felsen. Dieses Thier war weit größer als ein Hund und weit dicker als ein Wolf.

Plötzlich erhob es sich auf die Hinterfüße und ich erkannte, daß dieses Thier kein anderes wäre, als das, welches Plato ein Thier mit zwei Füßen und ohne Federn nennt, das heißt ein Mensch.

Was konnte zu dieser Stunde ein Mensch unter einem Galgen thun, es sei denn, daß er mit einem religiösen Herzen, um zu beten, oder mit einem irreligiösen Herzen kam, um dort irgend eine Ruchlosigkeit zu begehen?

In jedem Falle beschloß ich, mich ruhig zu verhalten und abzuwarten.

In diesem Augenblicke trat der Mond hinter der Wolke hervor, welche ihn einen Augenblick lang versteckt hatte, und erleuchtete den Galgen vollständig.

Nun konnte ich den Mann deutlich und selbst alle Bewegungen sehen, welche er machte.

Dieser Mann raffte eine auf dem Boden liegende Leiter auf, und stellte sie dann der Leiche des Gehangenen so nahe als möglich gegen einen der Pfeiler.

Dann stieg er die Leiter hinauf.

Dann bildete er mit dem Gehangenen eine seltsame Gruppe, in welcher der Lebendige und der Todte sich in einer Umarmung mit einander zu vereinigen schienen.

Plötzlich erschallte ein schrecklicher Schrei. Ich sah die beiden Körper sich bewegen; ich hörte mit erstickter Stimme, die bald aufhörte deutlich zu sein, um Hilfe rufen, dann machte sich einer der beiden Körper von dem Galgen los, während der andere an dem Stricke hängen blieb und seine Arme und seine Beine bewegte.

Es war mir unmöglich zu errathen, was sich unter dem Galgen zutrug, mogte es aber am Ende Menschenwerk oder das Werk des Teufels sein, es hatte sich irgend etwas Außergewöhnliches zugetragen, irgend etwas, das um Hilfe rief, das Beistand forderte.

Ich stürzte herbei. Bei meinem Anblicke schien der Gehangene seine Bewegungen zu verdoppeln, während unter ihm der Körper, welcher sich von dem Galgen losgemacht hatte, ohne Bewegung lag.

Ich eilte zuerst zu dem Lebendigen. Ich stieg rasch die Sprossen der Leiter hinauf, und schnitt mit meinem Messer den Strick ab; der Gehangene fiel auf den Boden; ich sprang von der Leiter.

Der Gehangene wälzte sich in gräßlichen Krämpfen, die andere Leiche hielt sich immer regungslos.

Ich sah ein, daß die Schleife fortwährend den Hals des armen Teufels zuschnürte. Ich legte mich auf ihn, um ihn festzuhalten, – und löste mit großer Mühe die Schleife auf, welche ihn erstickte.

Während dieser Verrichtung bemühte ich mich, diesem Manne in's Gesicht zu sehen, und erkannte voll Erstaunen, daß dieser Mann der Scharfrichter war.

Seine Augen waren aus ihren Höhlen hervorgetreten, sein Gesicht bläulich, die Kinnlade fast verdreht, und ein Athem, der mehr einem Röcheln als einem Athemholen glich, drang aus seiner Brust.

Indessen kehrte die Luft allmählig in seine Lungen zurück, und mit der Luft das Leben.

Ich hatte ihn an einen großen Stein gelehnt; nach Verlauf eines Augenblickes schien er wieder zur Besinnung zu kommen, hustete, drehte den Hals im Husten, und sah mir am Ende in's Gesicht.

Sein Erstaunen war nicht minder groß, als es das meinige gewesen war.

– O, o! Herr Abbé, sagte er, Sie sind es?

– Ja, ich bin es.

– Und was machen Sie hier? fragte er mich.

– Aber Sie selbst?

Er schien sich zu besinnen. Er blickte nochmals um sich, aber dieses Mal verweilten seine Augen auf der Leiche.

– Ah! sagte er, indem er aufzustehen versuchte, – lassen Sie uns gehen, Herr Abbé, um des Himmels Willen, lassen Sie uns gehen!

– Gehen Sie, wenn Sie wollen, mein Freund; aber ich habe eine Pflicht zu erfüllen.

– Hier?

– Hier.

– Worin besteht sie denn?

– Dieser Unglückliche, der heute von Ihnen gehängt worden ist, hat gewünscht, daß ich an dem Fuße des Galgens fünf Pater Noster und fünf Aue Maria für das Heil seiner Seele beten mögte.

– Für das Heil seiner Seele, o! Herr Abbé, Sie werden viel zu thun haben, wenn Sie diese retten, er ist der leibhaftige Satan.

– Wie! Der leibhaftige Satan!

– Ohne Zweifel, haben Sie nicht gesehen was er mir gethan hat?

– Wie! Was er Ihnen gethan hat, und was hat er Ihnen denn gethan?

– Er hat mich gehängt, bei Gott!

– Er hat Sie gehängt? aber es schien mir im Gegentheile, als ob Sie es wären, der ihm diesen traurigen Dienst erwiesen hätte.

– Ja, meiner Treue! Und ich glaubte ihn gut und gehörig gehängt zu haben. Es scheint, daß ich mich geirrt hatte! Aber wie hat er denn nicht den Augenblick benutzt, wo ich hing, um zu entfliehen?

Ich ging nach der Leiche und hob sie auf; sie war steif und kalt.

– Ei, weil er todt ist, sagte ich.

– Todt! wiederholte der Scharfrichter, todt! Ah! den Teufel! Das ist weit schlimmer; dann lassen Sie uns fliehen, Herr Abbé, lassen Sie uns fliehen.

Und er stand auf.

– Nein, bei meiner Treue! sagte er, ich ziehe es vor zu bleiben, er brauchte nur auszustehen und mir nachzulaufen. – Sie, der Sie ein fromme r Mann sind, Sie werden mich zum Mindesten schützen.

– Mein Freund, sagte ich zu dem Scharfrichter, indem ich ihn fest anblickte, dahinter steckt irgend etwas. Sie fragten mich vorhin, was ich hier zu dieser Stunde zu thun hätte. Ich mögte Sie nun auch fragen, was Sie hier thun wollten?

– Ah, meiner Treue! Herr Abbé, ich würde es Ihnen immerhin in der Beichte oder auf andere Weise sagen müssen. Nun denn? Ich will es Ihnen auf andere Weise sagen, Aber, warten Sie doch. . .

Er machte eine Bewegung rückwärts.

– Was denn?

– Er rührt sich doch nicht?

– Nein, sein Sie unbesorgt, der Unglückliche ist wirklich todt.

– O! wirklich todt. . . wirklich todt. . . – gleichviel! – Ich will Ihnen immerhin sagen, warum ich gekommen bin, und wenn ich lüge, so wird er mich Lügen strafen, das ist Alles.

– Reden Sie!

– Ich muß Ihnen sagen, daß dieser Ungläubige Nichts von der Beichte hat sprechen hören wollen; – er sagte nur von Zeit zu Zeit: – Ist der Abbé Moulle angekommen? – Man antwortete ihm: – Nein, noch nicht. – Er stieß einen Seufzer ans; man bot ihm einen Priester an, er antwortete: – Nein! den Abbé Moulle. . . und keinen Andern.

– Ja, ich weiß das.

– An dem Fuße des Thurmes der Guinette blieb er stehen. – Sehen Sie doch nach, sagte er zu mir, ob Sie nicht den Abbé Moulle kommen sehen.

– Nein, sagte ich zu ihm.

Und wir begaben uns wieder auf den Weg.

An dem Fuße der Leiter blieb er nochmals stehen.

– Kömmt der Abbé Moulle nicht? fragte er.

– Nein doch!. Wenn man es Ihnen sagt., – Es gibt nichts Langweiligeres als einen Mann, der uns immer dasselbe wiederholt.

– Vorwärts! sagte er.

Ich legte ihm den Strick um den Hals. – Ich stellte ihm die Füße gegen die Leiter und sagte zu ihm: Steig hinauf.

Er stieg hinauf, ohne sich zu sehr bitten zu lassen; als er aber auf zwei Drittel der Leiter angekommen war, sagte er zu mir:

– Warten Sie, damit ich mich versichere, daß der Abbé Moulle nicht kömmt.

– Ah! Sehen Sie nach, sagte ich zu ihm, das ist nicht verboten.

Nun suchte er ein letztes Mal in der Menge; da er Sie aber nicht sah, so stieß er einen Seufzer aus.

Ich glaubte, daß er entschlossen wäre, und daß ich ihn nur noch fortzustoßen hätte; aber er sah meine Bewegung und sagte:

– Warte.

– Was gibt es noch?

– Ich mögte eine Medaille unserer Lieben Frau küssen, die an meinem Halse hängt.

– Ah! Was das anbetrifft, sagte ich zu ihm, das ist zu gerecht. Küsse.

Und ich drückte ihm die Medaille an die Lippen.

– Was gibt es denn noch? fragte ich.

– Ich will mit dieser Medaille begraben werden.

– Hm, hm! äußerte ich, es scheint mir, daß der ganze Nachlaß des Gehängten dem Henker gehört.

– Das geht mich Nichts an, ich will mit meiner Medaille begraben werden.

– Ich will, ich will; wie Sie den Mund voll nehmen.

– Ich will, wie!

Die Geduld ging mir aus; er war ganz bereit, er hatte den Strick um den Hals, das andere Ende des Strickes war an dem Hacken befestigt.

– Geh zum Teufel! sagte ich zu ihm.

Und ich schleuderte ihn von der Leiter.

– Mutter Gottes, habe Erb. . .

Meiner Treue, das ist Alles, was er noch sagen konnte; der Strick erstickte zugleich den Mann und die Rede.

Im selben Augenblicke, Sie wissen wie das ausgeführt wird, packte ich dm Strick; ich sprang auf seine Schultern, und im Nu war Alles aus. Er hatte sich nicht über mich zu beklagen, und ich stehe Ihnen dafür, daß er nicht gelitten hat.

– Aber Alles das sagt mir nicht, warum Sie heute Abend hierher gekommen sind.

– O! Das kommt daher, weil das gerade am Schwersten zu erzählen ist.

– Wohlan! Ich will es Ihnen sagen, Sie sind gekommen, um ihm seine Medaille zu nehmen.

– Nun denn! Ja, der Teufel hat mich in Versuchung geführt. Ich habe mir gesagt: gut, gut! Du willst; das ist sehr leicht zu sagen; aber sei unbesorgt, wenn die Nacht hereingebrochen ist, so werden wir sehen. Als nun die Nacht hereingebrochen war, bin ich von Haus weggegangen. Ich hatte meine Leiter in der Umgegend gelassen; ich wußte, wo ich sie wiederfinden würde. Ich habe einen Spaziergang gemacht, bin auf dem längsten Wege zurückgekehrt, und dann, als ich gesehen habe, daß sich Niemand mehr in der Ebene befände, als ich kein Geräusch mehr gehört, habe ich mich dem Galgen genähert, meine Leiter aufgestellt, bin hinaufgestiegen, habe den Gehängten an mich gezogen, habe ihm seine Kette abgehängt, und. . .

– Und was?

– Meiner Treue! Glauben Sie mir, wenn Sie wollen; in dem Augenblicke, wo die Medaille seinen Hals verlassen hat, hat der Gehängte mich gepackt, seinen Hals aus der Schleife gezogen, meinen Kopf an die Stelle des seinigen hineingesteckt, und, meiner Treue! mich nun auch fortgestoßen, wie ich ihn fortgestoßen hatte. So ist die Sache.

– Unmöglich, Sie irren sich.

– Haben Sie mich gehängt gefunden oder nicht?

– Ja.

– Nun denn! Ich versichere Ihnen, daß ich mich nicht selbst gehängt habe. Das ist Alles, was ich Ihnen sagen kann.

Ich überlegte einen Augenblick lang.

– Und die Medaille, fragte ich ihn, wo ist sie?

– Meiner Treue, suchen Sie auf der Erde, sie muß nicht weit sein. Als ich mich gehängt gefühlt habe, habe ich sie fallen lassen.

Ich stand auf und warf die Augen auf den Boden.

Ein Schein des Mondes fiel darauf, wie um meine Nachforschung zu leiten.

Ich raffte sie auf, ging nach der Leiche des armen Artifaille, und hing ihm die Medaille wieder um den Hals.

In dem Augenblicke, wo sie seine Brust berührte, lief etwas wie ein Schauder über seinen ganzen Körper, und ein schneidender und fast schmerzhafter Schrei drang aus seiner Brust.

Der Scharfrichter that einen Sprung zurück.

Mein Geist war durch diesen Schrei aufgeklärt worden. Ich erinnerte mich dessen, was die heiligen Schriften über die Beschwörungen und den Schrei sagen, welchen die Teufel ausstoßen, indem sie den Körper der Besessenen verlassen.

Der Scharfrichter zitterte wie Espenlaub.

– Kommen Sie hierher, mein Freund, sagte ich zu ihm, und fürchten Sie Nichts.

Er näherte sich zögernd.

– Was wollen Sie von mir? sagte er.

– Hier ist eine Leiche, die Sie wieder an ihren Platz bringen müssen.

– Niemals. – Wohl, damit er mich nochmals hängt!

– Es ist keine Gefahr vorhanden, mein Freund, ich stehe Ihnen für Alles.

– Aber, Herr Abbé! Herr Abbé!

– Kommen Sie, sage ich Ihnen. Er that noch einen Schritt.

– Hm! murmelte er, ich traue nicht.

– Und Sie haben Unrecht, mein Freund, – so lange als der Körper seine Medaille hat, so werden Sie Nichts zu fürchten haben.

– Warum das?

– Weil der Teufel keine Gewalt über ihn haben wird, – diese Medaille beschützte ihn, Sie haben sie ihm genommen; – auf der Stelle ist der böse Geist, der ihn zum Bösen verleitet hat und der von seinem guten Engel beseitigt worden war, in die Leiche zurückgekehrt, und Sie haben gesehen, welches das Werk des bösen Geistes gewesen ist.

– Dann ist dieser Schrei, den wir so eben gehört haben. . .

– Der, den er ausgestoßen hat, als er gefühlt, daß seine Beute ihm entginge.

– Ei, sagte der Scharfrichter, das wäre in der That wohl möglich.

– Dem ist so.

– Dann will ich ihn wieder an seinen Haken hängen.

– Hängen Sie ihn wieder daran; die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben. Das Urtheil muß vollstreckt werden.

Der arme Teufel zögerte noch.

– Fürchten Sie Nichts, sagte ich zu ihm, ich stehe für Alles.

– Wenn auch, erwiderte der Scharfrichter, verlieren Sie mich nicht aus den Augen, und kommen Sie mir bei dem geringsten Schrei zu Hilfe.

– Sein Sie unbesorgt, Sie werden meiner nicht bedürfen.

Er näherte sich der Leiche, hob sie vorsichtig bei den Schultern auf und zog sie nach der Leiter, indem er zu ihr sprach.

– Sei ohne Furcht, Artifaille, es geschieht nicht, um Dir Deine Medaille zu nehmen. Sie verlieren uns nicht aus den Augen, Herr Abbé?

– Nein, mein Freund, sein Sie unbesorgt.

– Es geschieht nicht, um Dir Deine Medaille zu nehmen, fuhr der Scharfrichter in dem freundlichsten Tone fort, nein, sei unbesorgt; da Du es gewünscht hast, so wirst Du mit ihr begraben werden. Es ist wahr, er rührt sich nicht, Herr Abbé.

– Sie sehen.

– Du wirst mit ihr begraben werden. – Inzwischen hänge ich Dich auf den Wunsch des Herrn Abbé wieder an Deinen Platz, – denn, was mich anbetrifft, so begreifst Du!. . .

– Ja, ja, sagte ich zu ihm, ohne daß ich mich enthalten konnte zu lächeln, aber machen Sie geschwind.

– Meiner Treue, es ist geschehen, sagte er, indem er den Körper los ließ, den er von Neuem an den Haken gehängt hatte, und zu gleicher Zeit auf den Boden sprang.

Und der Körper schaukelte sich ohne Bewegung und leblos in der Luft.

Ich knieete nieder und begann die Gebete, welche Artifaille von mir verlangt hatte.

– Herr Abbé, sagte der Scharfrichter, indem er neben mir niederkniete, wären Sie so gefällig, die Gebete laut und langsam herzusagen, damit ich sie wiederholen könnte?

– Wie! Unglückseliger! Sie haben sie also vergessen?

– Ich glaube, daß ich sie niemals gekannt habe.

Ich betete die fünf Pater Noster und die fünf Ave Maria, welche der Scharfrichter gewissenhaft nach mir wiederholte.

Als das Gebet beendigt war. stand ich auf.

– Artifaille, sagte ich laut zu dem Hingerichteten, ich habe für das Heil Deiner Seele das gethan, was ich vermogt; an der glückseligen Jungfrau Maria ist es, das Uebrige zu thun.

– Amen! sagte mein Begleiter.

In diesem Augenblicke erleuchtete der Mond die Leiche mit seinem Silberscheine. Es schlug Mitternacht auf der Kirche Notre-Dame.

– Lassen Sie uns gehen, sagte ich zu dem Scharfrichter, wir haben hier Nichts mehr zu thun.

– Herr Abbé, sagte der arme Teufel, wären Sie so gütig, mir eine letzte Gunst zu bewilligen?

– Welche?

– Mich bis nach meiner Wohnung zu begleiten; so lange als ich meine Thüre nicht zwischen mir und diesem Schelme wohl verschlossen fühle, werde ich nicht.ruhig sein.

– Kommen Sie, mein Freund.

Wir verließen das Glacis, nicht ohne daß mein Begleiter sich von zehn zu zehn Schritt umwandte, um zu sehen, ob der Gehängte wirklich an seinem Platze wäre.

Nichts rührte sich.

Wir kehrten in die Stadt zurück. Ich führte meinen Mann bis nach seiner Wohnung. Ich wartete, bis er Licht angemacht hatte, dann verschloß er die Thüre, nahm Abschied von mir und dankte mir durch die Thüre. Vollkommen ruhig an Leib und an Geist kehrte ich nach Haus zurück.

Als ich am folgenden Tage erwachte, sagte man mir, daß die Frau des Diebes mich in dem Eßzimmer erwartete.

Ihr Gesicht war ruhig und fast freudig.

– Herr Abbé, sagte sie zu mir, ich komme, Ihnen zu danken; mein Gatte ist mir gestern erschienen, als es Mitternacht auf der Kirche Notre-Dame schlug, und er hat zu mir gesagt:

– Du wirst morgen früh zu dem Abbé Moulle gehen und ihm sagen, daß ich Dank ihm und der Jungfrau Maria gerettet bin.

XI.
Das Armband von Haaren

Mein lieber Abbé, sagte Alliette, ich habe die größte Achtung für Sie und die größte Verehrung für Cazotte; ich nehme ohne Weiteres den Einfluß Ihres guten und Ihres bösen Genius an; aber es gibt Etwas, das Sie vergessen, und von dem ich ein Beispiel bin: nämlich daß der Tod das Leben nicht tödtet; – der Tod ist nur eine Art Umgestaltung des menschlichen Körpers; der Tod tödtet das Gedächtniß, sonst nichts. Wenn das Gedächtniß nicht stürbe, so würde sich jeder aller der Wanderungen seiner Seele von Anfang der Welt bis zu uns erinnern. – Der Stein der Weisen ist nichts anderes als dieses Geheimniß; es ist das Geheimniß, das Pythogoras gefunden hatte, und das der Graf von Saint Germain und Cagliostro wiedergefunden haben; – es ist das Geheimniß, welches ich nun auch besitze, und welches macht, daß mein Leib sterben wird, wie ich mich bestimmt erinnere, daß ihm das bereits vier bis fünf Male begegnet ist, und dabei irre ich mich noch, wenn ich sage, daß mein Leib sterben wird, es gibt gewisse Körper, welche nicht sterben, und ich gehöre zu diesen.

– Herr Alliette, sagte der Doctor, wollen Sie mir im Voraus eine Erlaubniß geben?

– Welche?

– Die, Ihr Grab einen Monat nach Ihrem Tode öffnen zu lassen.

– Einen Monat, zwei Monate, ein Jahr, zehn Jahre, wann Sie wollen, Doctor; nur treffen Sie Ihre Vorsichtsmaßregeln. . . denn das Leid, das Sie meiner Leiche zufügen würden, könnte dem Körper schaden, in den meine Seele neuerdings eingetreten wäre.

– Sie glauben also an diese Thorheit?

– Ich habe mit einer bittern Erfahrung das Recht bezahlt daran zu glauben: ich habe gesehen.

– Was haben Sie gesehen?. . . einen jener lebendigen Todten?

– Ja.

– Lassen Sie hören, Herr Alliette, da jeder seine Geschichte erzählt hat, so erzählen Sie uns auch die Ihrige; es wäre merkwürdig, wenn es die wahrscheinlichste von den gehörten wäre.

– Wahrscheinlich oder nicht, Doctor, hier ist sie in ihrer ganzen Wahrheit. Ich ging von Straßburg nach den Bädern von Louesche. Sie kennen die Straße, Doctor?

– Nein; aber gleichviel, erzählen Sie immerhin.

– Ich ging also von Straßburg nach den Bädern von Louesche, und kam natürlicher Weise über Basel, wo ich den Postwagen verlassen, und einen Miethkutscher nehmen mußte.

In dem Wirthshause zur Krone angelangt, das man mir empfohlen hatte, erkundigte ich mich nach einem Wagen und nach einem Miethkutscher, indem ich meinen Wirth bat, sich zu erkundigen, ob vielleicht irgend Jemand in der Stadt geneigt wäre dieselbe Reise als ich zu machen; dann war er beauftragt, dieser Person eine Vereinigung anzubieten, welche die Reise natürlicher Weise weit angenehmer und minder kostspielig machen mußte.

Am Abend kehrte er zurück, indem er das gefunden hatte, was ich verlangte; die Frau eines Kaufmannes von Basel, welche ihr drei Monat altes Kind, das sie selbst stillte, verloren hatte, war in Folge dieses Verlustes von einer Krankheit befallen worden gegen welche man ihr die Bäder von Louesche anqerathen hatte. Es war das erste Kind dieser seit einem Jahre geschlossenen Ehe.

Mein Wirth erzählte mir, daß man große Mühe gehabt hätte die Frau zu bestimmen, ihren Gatten zu verlassen. Sie wollte durchaus entweder in Basel bleiben, oder daß er mit ihr nach Louesche ginge; da aber auf der andern Seite der Zustand ihrer Gesundheit die Bäder erheischte, während der Zustand ihres Geschäfts seine Anwesenheit ein Basel erforderte,, so entschloß sie sich, und reisete am folgenden Morgen mit mir ab. Ihre Kammerjungfer begleitete sie.

Ein katholischer Priester, der Pfarrvicar an der Kirche eines kleinen Dorfes der Umgegend war, begleitete uns, und sollte den vierten Platz in dem Wagen einnehmen.

Am folgenden Tage gegen acht Uhr Morgens holte uns der Wagen in dem Wirthause ab; der Priester befand sich bereits darin. Ich stieg gleichfalls ein, und wir holten die Dame und ihre Kammerjungfer ab.

Wir wohnten von dem Innern unseres Wagens aus dem Abschiede der beiden Gatten bei, der in dem Innern ihres Zimmers angefangen, in dem Laden sich fortsetzte und erst auf der Straße endigte. Ohne Zweifel hatte die Frau irgend eine Ahnung, denn sie vermogte sich nicht zu trösten. Man hätte glauben können, daß sie, statt eine Reise von ohngefähr fünfzig Stunden zu machen, zu einer Reise um die Welt aufbräche.

Der Gatte schien ruhiger als sie. aber nichts desto weniger war er weit aufgeregter, als man vernünftiger Weise bei einer solchen Trennung voraussetzen konnte.

Endlich fuhren wir ab.

Natürlicher Weise hatten wir, der Priester und ich, der Reisenden und ihrer Kammerjungfer die beiden besten Plätze gegeben, das heißt, daß wir rückwärts und sie im Hintergrunde des Wagens saßen.

Wir schlugen den Weg nach Solothurn ein, und übernachteten am ersten Tage in Mundischwyll. Den ganzen Tag über war unsere Reisegefährtin gequält und beunruhigt gewesen. Als sie am Abend einen Wagen vorüberkommen sah. der zurückfuhr, wollte sie wieder den Weg nach Basel einschlagen. Es gelang indessen ihrer Kammerjungfer, sie zur Fortsetzung ihrer Reise zu bestimmen.

Am folgenden Tage begaben wir uns gegen neun Uhr Morgens auf den Weg. Die Tagereise war kurz, wir gedachten nicht weiter als bis nach Solothurn zu gehen.

Gegen Abend, und als wir die Stadt zu erblicken begannen, erbebte unsere Kranke. . .

– Ah! sagte sie, hattet an, man eilt uns nach. Ich bückte mich aus dem Schlage.

– Sie irren sich, Madame, antwortete ich, die Straße ist gänzlich leer.

– Das ist sonderbar, beharrte sie. Ich höre den Galopp eines Pferdes.

Ich glaubte nicht recht gesehen zu haben, und streckte mich weiter aus dem Wagen.

Niemand, Madame, sagte ich zu ihr.

Sie sah selbst nach, und fand wie ich die Straße einsam.

– Ich hatte mich geirrt, sagte sie, indem sie sich in den Wagen zurückwarf, und sie schloß die Augen wie eine Frau, welche ihre Gedanken in sich selbst verschließen will.

Am folgenden Tage brachen wir um fünf Uhr Morgens auf. Dieses Mal war die Tagereise lang. Unser Kutscher übernachtete in Bern. In derselben Stunde, wie am vorigen Tage, das heißt gegen fünf Uhr, erwachte unsere Reisegefährtin aus einer Art von Schlummer, in den sie versunken war, und indem sie den Arm nach dem Kutscher ausstreckte, sagte sie:

– Haltet, Kutscher. Dieses Mal bin ich gewiß, man eilt uns nach.

– Madame irrt sich, antwortete der Kutscher. Ich sehe nur die drei Landleute, welche an uns vorübergekommen sind, und die ihren Weg ruhig fortsetzen.

– O! aber ich höre den Galopp des Pferdes.

Diese Worte waren mit solcher Ueberzeugung gesagt, daß ich mich nicht enthalten konnte hinter uns zu blicken. Wie am Tage zuvor war die Straße durchaus verlassen.

– Es ist unmöglich, Madame, antwortete ich, ich sehe keinen Reiter.

– Wie kömmt es, daß Sie keinen Reiter sehen, da ich den Schatten eines Mannes und eines Pferdes sehe?

Ich blickte in der Richtung ihrer Hand, und sah in der That den Schatten eines Pferdes und eines Reiters, ober ich suchte vergebens die Körper, denen die Schatten angehörten.

Ich machte den Priester auf diese seltsame Erscheinung aufmerksam, der sich bekreuzigte.

Allmählig erhellte sich dieser Schatten, wurde von Augenblick zu Augenblick weniger sichtbar und verschwand endlich gänzlich.

Wir fuhren in Bern ein.

Alle diese Vorbedeutungen schienen der armen Frau verhängnißvoll; sie sagte ohne Unterlaß, daß sie wieder umkehren wollte, setzte indessen ihre Reise fort.

Sei es nun moralische Besorgniß, oder sei es natürliches Zunehmen der Krankheit, als sie in Thun ankam, befand sich die Kranke so leidend, daß sie ihre Reise in einer Sänfte fortsetzen mußte.

Auf diese Weise kam sie durch das Kander Thal und über den Gemmi. Als sie in Louesch ankam, zeigte sich ein Rothlauf, und sie wurde wahrend länger als einen Monate taub und blind.

Uebrigens hatten sie ihre Ahnungen nicht getäuscht; kaum hatte sie zwanzig Stunden zurückgelegt, als ihr Gatte von einer Gehirnentzündung befallen worden war.

Die Krankheit hatte so rasche Fortschritte gemacht, daß er, da er die Gefährlichkeit seines Zustandes fühlte, am selben Tage einen Boten zu Pferde abgeschickt hatte, um seine Frau zu benachrichtigen und sie zur Rückkehr aufzufordern. Aber zwischen Laufen und Breitensteinbach war das Pferd gestürzt, und da der Reiter im Fallen mit dem Kopfe gegen einen Stein gestoßen und in einem Wirthshause geblieben war, so vermogte er nichts für den zu thun, der ihn abgesandt hatte, als ihn von dem Unfalle benachrichtigen zu lassen, der ihm zugestoßen war.

Nun hatte man einen anderen Eilboten abgesandt, aber ohne Zweifel waltete ein Verhängniß über ihnen ob; an dem Ausgange des Kander Thales hatte er sein Pferd verlassen und einen Führer genommen, um die Hochebene von Schwalbach zu ersteigen, welche das Oberland von dem Walliser Lande trennt, als auf halbem Wege eine von dem Berge Attels herobrollende Lawine ihn mit sich in den Abgrund fortgerissen hatte; der Führer war wie durch ein Wunder gerettet worden.

Während dieser Zeit machte die Krankheit schreckliche Fortschritte. Man war genöthigt gewesen, den Kopf des Kranken, der sehr lange Haare trug, zu rasiren, um ihm Eis auf den Schädel zu legen. Von diesem Augenblicke an hatte der Sterbende keine Hoffnung mehr bewahrt, und in einem ruhigen Momente an seine Frau geschrieben:

»Theure Bertha,

Ich werde sterben, aber ich will mich nicht gänzlich von Dir trennen. Laß Dir aus den Haaren, die man mir so eben abgeschnitten hat, und die ich bei Seite legen lasse, ein Armband machen. Trage es immer, und es scheint mir, daß wir auf diese Weise noch vereinigt sein werden.

Dein Friedrich.«

Dann hatte er diesen Brief einem dritten erpressen Boten übergeben, dem er befohlen hatte auf der Stelle abzureisen, sobald er gestorben wäre.

Er starb am selben Abende. Eine Stunde nach seinem Tode war der erpresse Bote aufgebrochen, und glücklicher, als seine beiden Vorgänger, war er gegen Abend des fünften Tages in Louesch angekommen.

Aber er hatte die Frau blind und taub gefunden, erst nach Verlauf eines Monates hatte vermöge der Wirksamkeit des Bades dieses doppelte Gebrechen zu verschwinden angefangen. Erst, nachdem noch ein Monat verflossen war, hatte man gewagt, der Frau die unglückselige Nachricht mitzutheilen, auf welche sie übrigens die verschiedenen Erscheinungen, die sie gehabt, vorbereitet hatten. Sie war noch einen Monat geblieben, um sich gänzlich wieder herzustellen; endlich war sie nach dreimonatlicher Abwesenheit wieder nach Basel abgereist.

Da ich meinerseits meine Kur beendigt hatte, denn die Krankheit, gegen welche ich das Bad gebraucht, halte in einem Rheumatismus bestanden, der sich sehr gebessert hatte, so bat ich sie um die Erlaubniß, mit ihr abzureisen, was sie mit Dank annahm, da sie in mir eine Person gefunden hatte, mit der sie von ihrem Gatten sprechen konnte, den ich nur in dem Augenblicke der Abreise flüchtig gesehen, den ich aber am Ende doch gesehen hatte.

Wir verließen Louesch, und am fünften Tage Abends waren wir nach Basel zurückgekehrt.

Nichts war trauriger und schmerzlicher, als die Rückkehr dieser armen Wittwe in ihr Haus; – da die beiden jungen Gatten allein auf der Welt da standen, – so hatte man nach dem Tode des Gatten den Laden geschlossen, – das Geschäft hatte aufgehört, wie die Bewegung aufhört, wenn eine Uhr stehen bleibt. Man ließ den Arzt holen, der den Kranken behandelt hatte, die verschiedenen Personen, welche seinen letzten Augenblicken beigewohnt hatten, und durch sie ließ man gewisser Maßen diesen Todeskampf von Neuen entstehen, stellte man diesen, von diesen gleichgültigen Herzen fast bereits vergessenen Tod wieder her.

Sie verlangte zum Mindesten die Haare zurück, welche ihr Gatte ihr vermacht hatte.

Der Arzt erinnerte sich wohl, verordnet zu haben, daß man sie abschnitte; der Barbier erinnerte sich wohl, den Kranken rasirt zu haben, aber das war Alles. Die Haare waren in den Wind geworfen, zerstreut, verloren worden.

Die Frau war untröstlich; es war also unmöglich, den einzigen und alleinigen Wunsch des Sterbenden zu verwirklichen, daß sie ein Halsband von seinen Haaren trüge.

Mehrere Nächte verflossen; unendlich traurige Nächte, in denen die in dem Hause herumirrende Wittwe weit eher einem Schattenbilde, als einem lebendigen Wesen glich.

Kaum lag sie im Bette, oder kaum war sie vielmehr eingeschlafen, als sie ihren rechten Arm erstarren fühlte, und sie erwachte erst in dem Augenblicke, wo es ihr schien, als ob diese Erstarrung sich ihres Herzens bemächtigte.

Diese Erstarrung fing an dem Handgelenke an, – das heißt an der Stelle, wo das Armband von den Haaren hätte sein sollen, – und wo sie einen Druck gleich dem eines zu engen Armbandes von Eisen fühlte, und von dem Handgelenke an erreichte die Erstarrung, wie wir gesagt haben, das Herz.

Es war augenscheinlich, daß der Todte sein Bedauern darüber kund that, daß sein Wille so schlecht befolgt worden wär. Die Wittwe verstand dieses Bedauern, das von jenseits des Grabes kam. – Sie beschloß das Grab zu öffnen, und wenn der Kopf ihres Gatten nicht gänzlich rasirt worden wäre, von ihm Haare genug zu sammeln, um seinen letzten Wunsch zu verwirklichen.

Ohne irgend Jemand etwas von ihrem Vorhaben zu sagen, ließ sie dem zu Folge den Todtengräber holen.

Aber der Todtengräber, welcher ihren Gatten begraben hatte, war gestorben. Der neue, erst seit vierzehn Tagen in Dienst getretene Todtengräber wußte nicht, wo das Grab war.

Nun begab sie sich in der Hoffnung einer Offenbarung, – sie, welche durch die doppelte Erscheinung des Pferdes und des Reiters, sie. welche durch den Druck des Armbandes das Recht hatte an Wunder zu glauben, – allein auf den Kirchhof, setzte sich auf einen mit grünem und lebendigem Grase, wie es auf den Gräbern wächst, bedeckten Hügel, und beschwor dort irgend ein neues Zeichen, an das sie sich mit ihren Nachforschungen fesseln könnte.

Ein Todtentanz war an die Mauer des Friedhofes gemalt. Ihre Augen verweilten auf dem Tode und hefteten sich lange auf diese zugleich spöttische und schreckliche Gestalt.

Nun schien es ihr. als ob der Tod seine entfleischten Arme erhöbe, und mit der Spitze seines knochigen Fingers eins unter den letzten Gräbern bezeichnete.

Die Wittwe ging gerade auf dieses Grab zu, und als sie dort war, schien es ihr, als ob sie deutlich sähe, wie der Tod seinen Arm wieder auf seinen ursprünglichen Platz zurücksinken ließ.

Žanrid ja sildid
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06 detsember 2019
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