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Loe raamatut: «Zwanzig Jahre nachher», lehekülg 61

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XIX
Vorsichtsmaßregeln

Mazarin kehrte, nachdem er Anna von Oesterreich verlassen hatte, nach Rueil zurück, wo sein Haus war. Mazarin marschierte in diesen stürmischen Zeiten mit sehr starker Escorte und zuweilen auch verkleidet. Der Cardinal war in der Tracht eines Soldaten erwähnter Maßen ein sehr schöner Herr.

In dem Hofe des alten Schlosses stieg er in seinen Wagen und erreichte die Seine in Chatou. Der Herr Prinz hatte ihm ein Geleite von fünfzig Chevaurlegers geliefert, nicht sowohl zu seiner Bewachung, sondern vielmehr, um den Deputierten zu zeigen, wie leicht die Generale der Königin über ihre Truppen verfügten und dieselben nach ihrer Laune zerstreuen konnten.

Von Comminges scharf bewacht, zu Pferde und ohne Degen, folgte Athos dem Cardinal, ohne ein Wort zu sagen. Grimaud, der von seinem Herrn vor dem Thore des Schlosses zurückgelassen worden war, hatte die Nachricht von seiner Verhaftung vernommen, als Athos dieselbe Aramis zurief, und ging lautlos auf ein Zeichen des Grafen in die Nähe von Aramis, als wäre nichts vorgefallen.

Seit den zweiundzwanzig Jahren, die Grimaud seinem Herrn diente, hatte er diesen allerdings aus so vielen Abenteuern sich herausziehen sehen, daß ihn nichts mehr beunruhigte.

Die Abgeordneten hatten nach ihrer Audienz auch wieder den Weg nach Paris eingeschlagen, das heißt, sie gingen dem Cardinal etwa fünfhundert Schritte voran. Athos konnte also, vor sich sehend, Aramis erschauen, dessen vergoldetes Wehrgehänge und stolze Haltung seine Blicke unter dieser Menge eben so sehr fesselten, als seine Nähe die Hoffnung auf Befreiung in ihm rege machte und die Anziehungskraft der Freundschaft ausübte.

Aramis dagegen schien sich nicht im Geringsten darum zu bekümmern, ob ihm Athos folgte. Ein einziges Mal wandte er sich um. Allerdings geschah dies bei der Ankunft am Schlosse. Er dachte, Mazarin würde vielleicht seinen Gefangenen in diesem kleinen Fort zurücklassen, das gleichsam als Schildwache für die Brücke diente und unter dem Befehl eines Kapitäns als Gouverneur im Namen der Königin stand. Aber dem war nicht so. Athos zog im Gefolge des Cardinals an Chatou vorüber.

Bei der Verzweigung der Straße von Paris nach Rueil wandte sich Aramis um. Dießmal hatten ihn seine Vorhersehungen nicht getäuscht. Mazarin zog rechts und Aramis konnte den Gefangenen an der Wendung der Bäume verschwinden sehen. In demselben Augenblick schaute Athos, durch einen ähnlichen Gedanken bewogen, ebenfalls zurück. Die zwei Freunde wechselten ein einfaches Zeichen mit dem Kopfe und Aramis legte seinen Finger wie zum Gruße an den Hut. Athos allein begriff, daß ihm sein Freund bezeichnete, er hätte einen Gedanken.

Zehn Minuten nachher gelangte Mazarin mit seinem Gefolge in den Hof des Schlosses, das der Cardinal, sein Vorgänger, in Rueil hatte einrichten lassen.

In dem Augenblicke, wo er den Fuß auf die unterste Stufe der Freitreppe setzte, näherte sich ihm Comminges mit der Frage:

»Monseigneur, wo beliebt Euerer Eminenz, daß wir Herrn de la Fère einquartiren?«

»Im Pavillon der Orangerie, dem Pavillon gegenüber, wo sich der Posten befindet. Man soll dem Herrn Grafen de la Fère Ehre erweisen, obgleich er der Gefangene der Königin ist.«

»Monseigneur,« bemerkte Comminges, »er bittet um die Gunst, zu Herrn d’Artagnan gebracht zu werden, welcher nach dem Befehle Euerer Eminenz im Jagdpavillon der Orangerie gegenüber wohnt.«

»Mazarin dachte einen Augenblick nach.

Comminges sah, daß er mit sich zu Rath ging.

»Es ist ein sehr starker Posten fügte er bei, »vierzig sichere Leute, erprobte Soldaten, beinahe lauter Deutsche und folglich ohne Verbindung mit den Frondeurs und ohne Interesse bei der Fronde.«

»Wenn wir diese drei Menschen zusammenbrachten, Herr von Comminges,« sagte Mazarin, »so müßten wir den Posten verdoppeln, und wir sind nicht reich genug an Vertheidigern, um uns eine solche Verschwendung zu erlauben.«

Comminges lächelte. Mazarin sah dieses Lächeln und verstand es.

»Ihr kennt sie nicht, Herr von Comminges, aber ich kenne sie, einmal durch sie selbst und dann durch die öffentlichen Gerüchte. Ich hatte sie beauftragt, dem König Karl Hilfe zu bringen, und sie haben zu seiner Rettung wunderbare Dinge vollbracht. Das Schicksal mußte sich darein mischen, daß der gute König Karl nicht zu dieser Stunde in Sicherheit unter uns weilt.«

»Aber warum hält sie Euere Eminenz im Gefängniß, wenn sie dem Herrn Cardinal so gut gedient haben?«

»Im Gefängniß!« sprach Mazarin, »seit wann ist Rueil ein Gefängniß?«

»Seitdem Gefangene hier sind,« erwiderte Comminges.

»Diese Herren sind nicht meine Gefangenen,« sprach Mazarin mit seinem verschmitzten Lächeln, »sie sind meine Gäste, so theure Gäste, daß ich ihre Fenster vergittern und Riegel an die Thüren der Zimmer, welche sie bewohnen, machen ließ, dergestalt befürchte ich, sie könnten müde werden, mir Gesellschaft zu leisten. So viel aber ist gewiß, daß ich sie, obgleich sie oberflächlich betrachtet Gefangene zu sein scheinen, doch sehr hochschätze; zum Beweise mag dienen, daß ich dem Herrn de la Fère einen Besuch zu machen wünsche, um unter vier Augen mit ihm zu plaudern. Damit wir bei dieser Plauderei nicht gestört werden, führt Ihr ihn, wie ich gesagt habe, in den Pavillon der Orangerie, Ihr wißt, das ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Mache ich wieder einen Spaziergang, so trete ich bei ihm ein und wir plaudern. Obgleich er, wie man behauptet, mein Feind ist, so habe ich doch eine Sympathie für ihn. Benimmt er sich vernünftig, so werden wir vielleicht etwas daraus zu machen wissen.«

Comminges verbeugte sich und kehrte zu Athos zurück, der mit scheinbarer Ruhe, aber mit wirklicher Unruhe den Erfolg dieser Besprechung erwartete.

»Nun?« fragte er den Lieutenant der Garden.

»Mein Herr,« erwiderte Comminges, »es scheint, es ist unmöglich.«

»Herr von Comminges,« sprach Athos, »ich bin mein ganzes Leben hindurch Soldat gewesen; ich weiß also, was ein Befehl bedeutet; aber außerhalb dieses Befehls könntet Ihr mir einen Dienst leisten.«

»Von Herzen gern, mein Herr,« sprach Comminges; »seitdem ich weiß, wer Ihr seid und welche Dienste Ihr einst Ihrer Majestät geleistet habt, seitdem ich weiß, wie nahe Euch der junge Mensch berührt, der mir so muthig am Tage der Verhaftung des alten Burschen, des Broussel, zu Hilfe gekommen ist, erkläre ich mich ganz für den Eurigen, abgesehen indessen von dem Befehl.«

»Ich danke, mein Herr, ich verlange nicht mehr, und ich will Euch um etwas bitten, was Euch keineswegs gefährden wird.

»Wenn es mich nur ein wenig gefährdet, mein Herr,« sagte lächelnd Herr von Comminges, »so bittet immerhin; ich liebe Mazarin nicht mehr als Ihr; ich diene der Königin, was ganz natürlich nach sich zieht, daß ich auch dem Cardinal diene; aber ich diene der Einen mit Freuden und dem Andern mit Widerwillen. Sprecht also, ich bitte Euch, ich warte und höre.«

»Da es von keinem Nachtheil ist,« sprach Athos, »daß ich von der Anwesenheit von Herrn d’Artagnan unterrichtet bin, so kann es meiner Ansicht nach eben so wenig nachtheilig sein, wenn er erfährt, daß ich mich auch hier befinde.«

»Ich habe in dieser Beziehung keinen Befehl erhalten.«

»Nun wohl, so habt die Güte, ihm alles Freundliche von mir zu sagen und ihm mitzutheilen, ich sei sein Nachbar. Ihr werdet ihm zugleich verkündigen, was Ihr so eben mir verkündigtet, daß ich nämlich von Herrn von Mazarin in den Pavillon der Orangerie einquartiert worden bin, damit er mir einen Besuch machen kann, und daß ich die Ehre, die er mir erweisen will, benützen werde, um einige Erleichterungen in unserer Gefangenschaft zu erlangen.«

»Welche nicht lange dauern kann,« fügte Comminges bei, »denn der Herr Cardinal hat mir selbst gesagt, es wäre hier kein Gefängniß.«

»Wohl aber gibt es hier Oublietten,« sprach Athos lächelnd.

»Oh! das ist etwas Anderes,« versetzte Comminges; »ja, ich weiß, es gehen Sagen hierüber. Aber ein Mensch von niederer Geburt, wie der Cardinal, ein Mensch, der nach Frankreich gekommen ist, um sein Glück zu suchen, würde es nicht wagen, zu solchen Excessen gegen Männer, wie wir sind, zu greifen. Das wäre eine Ungeheuerlichkeit. Dergleichen mochte gut sein zur Zeit des andern Cardinals, der ein vornehmer Herr war; aber Herr Mazarin! geht doch. Die Oublietten sind königliche Rachewerke, welche ein Knicker, wie er ist, nicht zu berühren wagt. Man kennt Eure Verhaftung, man wird auch bald die Eurer Freunde erfahren, und der ganze Adel Frankreichs würde von ihm Rechenschaft über Euer Verschwinden fordern. Nein, nein! beruhigt Euch: die Oublietten von Rueil sind seit zehn Jahren Sagen zum Frommen der Kinder geworden. Bleibt also unbesorgt an diesem Orte; ich meinerseits werde Herrn d’Artagnan von Eurer Ankunft unterrichten. Wer weiß, ob Ihr mir nicht vielleicht in vierzehn Tagen einen ähnlichen Dienst zu leisten habt.«

»Ich, mein Herr?«

»Ei, allerdings; kann ich nicht Gefangener des Herrn Coadjutors sein?«

»Glaubt, mein Herr,« sprach Athos sich verbeugend, »daß ich in diesem Falle Euch zu dienen bemüht sein werde.«

»Werdet Ihr mir die Ehre erweisen, mit mir zu Nacht zu speisen?« fragte Comminges.

»Ich danke; ich bin finsterer Laune und würde Euch einen traurigen Abend machen.«

Comminges führte nun den Grafen in ein Zimmer des Erdgeschosses, in einen Pavillon, der noch zur Orangerie gehörte und auf gleicher Höhe mit dieser lag. Man gelangte zur Orangerie durch einen mit Soldaten und Höflingen angefüllten Hof. Dieser Hof bildete ein Hufeisen, hatte in seinem Mittelpunkte die von Herrn von Mazarin bewohnten Zimmer und an jedem von seinen Flügeln den Jagdpavillon, in welchem sich d’Artagnan befand, und den Pavillon der Orangerie, in den man Athos einquartiert hatte. Hinter dem Ende dieser zwei Flügel dehnte sich der Park aus.

Als Athos in das Zimmer gelangte, das er bewohnen sollte, gewahrte er durch das sorgfältig vergitterte Fenster Mauern und Dächer.

»Was für ein Gebäude ist dieß?«

»Der Hintere Theil des Jagdpavillons, wo Eure Freunde gefangen gehalten werden,« sprach Comminges. »Leider sind die Fenster, die auf diese Seite gehen, zur Zeit des andern Cardinals verstopft worden; denn mehr als ein Mal haben die zwei Gebäude als Gefängniß gedient, und wenn Herr von Mazarin Euch darin einschließt, so gibt er sie nur ihrer ersten Bestimmung zurück. Wären diese Fenster nicht verstopft, so hättet Ihr den Trost, mit Euren Freunden eine Verbindung durch Zeichen zu unterhalten.«

»Und Ihr seid überzeugt, Herr von Comminges,« sagte Athos, »daß mir der Cardinal die Ehre eines Besuches gönnen wird?«

»Er hat es mich wenigstens versichert.«

Athos seufzte, die vergitterten Fenster anschauend.

»Ja, das ist wahr,« sprach Comminges, »es ist beinahe ein Gefängniß; nichts fehlt, nicht einmal die eisernen Stangen. Aber welch ein seltsamer Gedanke hat Euch auch erfaßt, Euch, der Ihr eine Blüthe des Adels seid, Eure Tapferkeit und Loyalität unter diesen Pilzen der Fronde zu entfalten! In der That, Graf, hätte ich je einen Freund in den Reihen des königlichen Heeres zu haben geglaubt, so würde ich an Euch gedacht haben. Ihr, ein Frondeur! der Graf de la Fère von der Partei eines Broussel! eines Blancmesnil, eines Viole! pfui doch! Man sollte glauben, Euere Mutter wäre eine kleine Robine gewesen. Ihr, ein Frondeur!«

»Meiner Treue, mein lieber Herr,« sprach Athos, »man mußte entweder Mazariner oder Frondeur sein. Lange ließ ich diese zwei Namen an mein Ohr klingen, und ich sprach mich am Ende für den letzteren aus; es ist doch wenigstens ein französischer Name! Und dann bin ich Frondeur nicht mit Herrn Broussel, mit Herrn Blancmesnil und mit Herrn Viole, sondern mit Herrn von Beaufort, mit Herrn von Bouillon, und Herrn von Elboeuf, mit Prinzen und nicht mit Präsidenten, Räthen und Robins. Seht übrigens den angenehmen Erfolg der Dienste, die man dem Herrn Cardinal leistet. Schaut diese Mauer ohne Fenster an, Herr von Comminges, und sie wird Euch schöne Dinge von der Mazarin’schen Dankbarkeit sagen.«

»Ja,« versetzte lachend Comminges, »besonders wenn sie wiederholt, welche Verwünschungen ihm Herr d’Artagnan seit acht Tagen zuschleudert.«

»Armer d’Artagnan,« sprach Athos mit jener reizenden Schwermuth, welche eine von den Seiten seines Charakters bildete; »ein so braver, so guter Mann, so furchtbar für diejenigen, welche nicht lieben, wen er liebt! Ihr habt da zwei schlimme Gefangene, Herr von Comminges, und ich beklage Euch, wenn man diese unzähmbare Menschen unter Eure Verantwortlichkeit gestellt hat.«

»Unzähmbar!« erwiderte Comminges lächelnd, »ei, mein Herr, Ihr wollt mir bange machen. Am ersten Tage seiner Gefangenschaft hat Herr d’Artagnan alle Soldaten und alle Unteroffiziere herausgefordert, ohne Zweifel, um einen Degen zu bekommen. Dieß dauerte bis zum andern Tage, erstreckte sich sogar noch auf den zweiten; dann wurde er aber sanft und ruhig wie ein Lamm. Gegenwärtig singt er gascognische Lieder, über die wir uns beinahe zu Tode lachen.«

»Und Herr Du Vallon?« fragte Athos.

»Ah, der, das ist etwas Anderes. Ich gestehe, das ist ein furchtbarer Mann. Am ersten Tage hatte er alle Thüren mit einem einzigen Drucke seiner Schulter gesprengt, und ich war darauf gefaßt, daß er aus Rueil hinausgehen würde, wie Simson aus Gaza. Aber seine Laune nahm denselben Gang, wie die seines Gefährten, des Herrn d’Artagnan. Jetzt hat er sich nicht nur an seine Gefangenschaft gewöhnt, sondern er scherzt sogar darüber.«

»Desto besser,« sprach Athos, »desto besser!«

»Erwartetet Ihr denn etwas Anderes?« fragte Comminges, der das, was ihm Mazarin über seine Gefangenen gesagt hatte, mit der Aeußerung des Grafen de la Fère zusammenhaltend einige Unruhe zu verspüren anfing.

Athos seinerseits überlegte, daß die Verbesserung in der Gemüthsbeschaffenheit seiner Freunde ohne Zweifel aus einem von d’Artagnan gebildeten Plane entsprang. Er wollte ihm deßhalb nicht durch zu große Anpreisung schaden.*

»Ei?« sagte er, »es sind entzündbare Köpfe; der Eine ist ein Gascogner, der Andere aus der Picardie. Beide entstammen leicht, erlöschen aber bald. Ihr habt den Beweis davon gehabt, und was Ihr mir erzähltet, dient zur Bestätigung dessen, was ich sage.«

Dies war auch die Anficht von Comminges. Er entfernte sich ruhiger, und Athos blieb allein in dem großen Zimmer, wo er, gemäß dem Befehle des Cardinals, mit der einem Edelmanns schuldigen Rücksicht behandelt wurde.

Um sich übrigens einen genauen Begriff von seiner Lage zu machen, erwartete er den ihm von Mazarin selbst zugesagten Besuch.

XX
Der Geist und der Arm

Gehen wir nun von der Orangerie zu dem Jagdpavillon über.

Im Hintergrunde des Hofes, wo man durch einen von jonischen Säulen gebildeten Porticus die Hundeställe erblickte, erhob sich ein längliches Gebäude, das sich wie ein Arm dem andern Arme dem Pavillon der Orangerie, einem den Ehrenhof einschließenden Halbkreise, entgegenzustrecken schien.

In diesem Pavillon im Erdgeschosse waren Porthos und d’Artagnan eingesperrt, welche mit einander die Stunden der für solche Temperamente höchst widerwärtigen Gefangenschaft theilten.

D’Artagnan ging wie ein Tiger mit starrem Auge auf und ab und gab zuweilen ein dumpfes Knurren an den Gitterstangen eines großen Fensters von sich, das sich dem Gesindehofe ging.

Porthos verdanke in der Stille ein vortreffliches Mittagsmahl, dessen Ueberreste man so eben abgetragen hatte.

Der Eine schien der Vernunft beraubt und sann nach, der Andere schien in tiefes Nachsinnen versunken und schlief. Nur war sein Schlaf ein Alp, was sich aus der unzusammenhängenden, unterbrochenen Art und Weise seines Schnarchens entnehmen ließ.

»Der Tag neigt sich,« sprach d’Artagnan, »es muß ungefähr vier Uhr sein. Bald sind wir hundert und dreiundachtzig Stunden eingeschlossen.«

»Hm,« murmelte Porthos, um sich das Ansehen zu geben, als antwortete er.

»Hört Ihr, ewiger Schläfer?« rief d’Artagnan, ungeduldig darüber, daß sich ein Mensch am Tage dem Schlafe hingeben konnte, während er die größte Mühe hatte, bei Nacht zu schlafen.

»Was?« fragte Porthos.

»Was ich sage?«

»Was Ihr sagt?«

»Ich sage,« versetzte d’Artagnan, »wir seien bald hundert und dreiundachtzig Stunden, hier.«

»Das ist Euer Fehler,« sprach Porthos.

»Wie, mein Fehler?«

»Ja, ich habe Euch unsere Entfernung angeboten.«

»Durch das Losmachen einer Gitterstange oder durch das Sprengen einer Thüre?«

»Allerdings.«

»Porthos, Leute, wie wir sind, gehen nicht so ganz einfach fort.«

»Meiner Treue, ich würde mit der Einfachheit gehen, die Ihr so sehr zu verachten scheint.«

D’Artagnan zuckte die Achseln.

»Und dann,« sagte er, »dann ist dadurch noch nicht Alles geschehen, daß wir dieses Zimmer verlassen.«

»Lieber Freund,« sprach Porthos, »Ihr scheint mir heute etwas besserer Laune zu sein, als gestern. Erklärt mir, warum damit nicht Alles geschehen ist, daß wir dieses Zimmer verlassen.«

»Es ist nicht Alles, weil wir, da wir weder Waffen noch Parole haben, keine fünfzig Schritte im Hofe machen würden, ohne aus eine Schildwache zu stoßen.«

»Wohl,« sprach Porthos, »wir schlagen die Schildwache todt und haben Waffen.«

»Ja, aber ehe sie völlig todt geschlagen ist, – ein Schweizer hat ein hartes, sehr hartes Leben, – wird sie einen Schrei, oder wenigstens einen Seufzer ausstoßen und der Posten dadurch herausgerufen werden. Man umstellt uns, man fängt uns wie Füchse, uns, die wir doch Löwen sind, und wirft uns in ein tiefes Kerkerloch, wo wir nicht einmal den Trost haben, den abscheulichen Himmel von Rueil zu sehen, der dem Himmel von Tarbes nicht mehr gleicht, als die Sonne dem Monde. Mord und Tod! wenn wir Jemand hätten, der uns Auskunft über die moralische und physische Topographie dieses Schlosses geben könnte, über das, was Cäsar die Sitten und die Orte nannte, wenigstens wie man sagt. Wenn man bedenkt, daß es mir während der zwanzig Jahre, in denen ich nicht wußte, was ich thun sollte, nie in den Kopf kam, eine von diesen Stunden dazu zu benützen, um Rueil zu studieren!«

»Was thut das?« sagte Porthos, »wir wollen immerhin gehen.«

»Mein Lieber,« sprach d’Artagnan, »wißt Ihr, warum die Pastetenbäckermeister nie mit ihren eigenen Händen arbeiten?«

»Nein,« erwiderte Porthos, »aber ich würde mich sehr freuen, es zu erfahren.«

»Weil sie sich fürchten, vor ihren Zöglingen ein paar Torten zu stark zu backen, oder Crämes zu sehr einzukochen.«

»Nun?«

»Dann würde man über sie spotten und man soll nie über Pastetenbäckermeister spotten.«

»Welche Beziehung haben diese Herren zu uns?«

»Wir dürfen im Punkte der Abenteuer nie unterliegen oder uns lächerlich machen …Auch sind wir kürzlich gescheitert, wir sind geschlagen worden, und das ist ein Flecken an unserem Rufe.«

»Von wem sind wir geschlagen worden?«

»Von Mordaunt.«

»Ja, aber wir haben Herrn Mordaunt ertränkt.«

»Ich weiß es wohl, und das wird unsere Ehre im Geiste der Nachwelt einigermaßen wieder herstellen, wenn überhaupt die Nachwelt sich mit uns beschäftigt. Aber hört mich, Porthos: obgleich Herr Mordaunt nicht zu verachten war, so scheint mir doch Herr von Mazarin eine ganz andere Stärke zu besitzen, als Herr Mordaunt, und wir werden ihn nicht so leicht ertränken. Laßt uns also genau auf Alles merken und unser verborgenes Spiel spielen, denn,« fügte d’Artagnan mit einem Seufzer bei, »wir Zwei sind wohl so viel Werth als acht; aber nicht so viel als die Euch bekannten Vier.«

»Das ist wahr,« sprach Porthos, einen Seufzer von d’Artagnan ebenso mit einem Seufzer erwidernd.

»Nun wohl, Porthos, macht es wie ich: geht im Zimmer auf und ab, bis eine Nachricht von unsern Freunden zu uns gelangt oder bis uns ein guter Gedanke kommt. Aber schlaft nicht immer, wie Ihr dies thut: es gibt nichts, was den Geist so schwerfällig macht, wie der Schlaf. Was uns erwartet, ist vielleicht weniger ernst, als wir von Anfang an wähnten. Ich glaube nicht, daß Mazarin daran denkt, uns den Kopf abzuschneiden, weil man uns den Kopf nicht ohne Prozeß abschneiden könnte, weil der Prozeß Lärmen machen würde, weil der Lärmen unsere Freunde herbeiziehen müßte, und diese ließen dann Herrn von Mazarin nicht gewähren.«

»Was Ihr vortrefflich schließt,« sprach Porthos mit Bewunderung.

»Allerdings nicht schlecht,« sagte d’Artagnan. »Und dann, seht Ihr, wenn man uns nicht unsern Prozeß macht, wenn man uns nicht den Kopf abschneidet, so muß man uns hier behalten oder anderswohin bringen.

»Ja, das muß nothwendig sein.«

»Wohl, es ist ganz unmöglich, daß Aramis, dieser feine Spürhund, und Athos, dieser weise Edelmann, unsern Aufenthaltsort nicht entdecken. Dann wird es, meiner Treue, noch Zeit sein.«

»Ja, um so mehr, als man hier nicht gerade ganz schlimm ist, mit Ausnahme von Einem.«

»Von was?«

»Habt Ihr bemerkt, d’Artagnan, daß man uns drei Tage hinter einander auf Kohlen geröstetes Schöpsenfleisch gegeben hat?«

»Nein, aber seid unbesorgt, wenn es zum vierten Male kommt, werde ich mich beklagen.«

»Und dann fehlt mir mein Haus. Ich habe sehr lange meine Schlösser nicht mehr besucht.«

»Bah! vergeßt sie für den Augenblick; wir werden sie wieder finden, wenn sie Herr von Mazarin nicht dem Boden gleich machen läßt.«

»Glaubt Ihr, eine solche Tyrannei wäre erlaubt?« fragte Porthos unruhig.

»Nein, dergleichen Beschlüsse waren gut für den andern Cardinal. Der unsere ist zu schmutzig, um solche Dinge zu wagen.«

»Ihr beruhigt mich, d’Artagnan.«

»Nun wohl, dann macht ein gutes Gesicht, wie ich es mache. Laßt uns mit den Wachen scherzen, die Soldaten für uns interessieren, da wir sie nicht bestechen können; wir wollen ihnen mehr schmeicheln, als Ihr dieß zu thun pflegt, wenn sie wieder unter unsere Gitter kommen. Bis jetzt habt Ihr ihnen nur Euere Faust gezeigt, und je achtungswerther Euere Faust ist, desto weniger ist sie anziehend, Porthos. Ah, ich gäbe viel, wenn ich fünfhundert Louisd’or hätte!«

»Und ich auch,« sagte Porthos, der an Großmuth nicht hinter d’Artagnan zurückbleiben wollte, »ich gäbe viele hundert Pistolen.«

Die zwei Gefangenen waren so weit in ihrem Gespräch, als Comminges eintrat. Ihm gingen ein Sergent und zwei Soldaten voran, welche das Abendbrod in einem mit Schüsseln und Platten gefüllten Tischkorbe trugen.

»Gut,« sagte Porthos, »abermals Schöpsenfleisch.«

»Mein lieber Herr von Comminges,« sprach d’Artagnan, »Ihr möget wissen, daß mein Freund, Herr Du Vallon entschlossen ist, zu den äußersten, gewaltsamsten Mitteln zu greifen, wenn Herr von Mazarin hartnäckig darauf besteht, uns mit dieser Art von Fleisch zu füttern.«

»Ich erkläre sogar,« sprach Porthos. »daß ich nichts Anderes essen werde, wenn man das Schöpsenfleisch nicht wegnimmt.«

»Nehmt das Schöpsenfleisch weg,« sagte Herr von Comminges. »Herr Du Vallon soll um so mehr angenehm zu Nacht speisen, als ich ihm eine Neuigkeit mitzutheilen habe, die ihm, ich bin es fest überzeugt, Appetit machen wird.

»Sollte Herr von Mazarin verschieden sein?« fragte Porthos.

»Nein, ich bedaure sogar, Euch sagen zu müssen, daß er sich sehr wohl befindet.«

»Desto schlimmer,« versetzte Porthos.

»Und worin besteht diese Neuigkeit?« fragte d’Artagnan. »Eine Neuigkeit im Gefängniß ist eine so seltene Frucht, daß Ihr meine Ungeduld hoffentlich entschuldigen werdet, nicht wahr, Herr von Comminges? um so mehr, als Ihr uns zu verstehen gegeben habt, die Kunde wäre gut.«

»Sollte es Euch wirklich angenehm sein, zu erfahren, daß sich der Herr Graf de la Fère wohl befindet?« erwiderte Comminges.

Die kleinen Augen von d’Artagnan öffneten sich übermäßig weit.

»Ob es mir angenehm Ware!« rief er. »Es wäre mir mehr als angenehm; es würde mich glücklich machen!«

»Wohl, ich bin von ihm beauftragt, Euch seine besten Complimente zu überbringen und Euch zu sagen, er erfreue sich einer guten Gesundheit.«

D’Artagnan wäre beinahe vor Freude in die Höhe gesprungen. Ein rascher Blick überbrachte Porthos seinen Gedanken: wenn Athos weiß, wo wir sind, sagte dieser Blick, so wird er binnen Kurzem handeln.

Porthos war nicht sehr geschickt im begreifen der Blicke. Diesmal aber, da er bei dem Namen von Athos denselben Eindruck gefühlt hatte, begriff er.

»Aber,« fragte der Gascogner schüchtern, »der Herr Gras de la Fère hat Euch, wie Ihr sagt, mit seinen Complimenten für Herrn du Vallon und mich beauftragt?«

»Ja, mein Herr.«

»Ihr habt ihn also gesehen?«

»Allerdings.«

»Wo dies, wenn mir diese Frage erlaubt ist?«

»Sehr nahe von hier,« antwortete Comminges lächelnd.

»Sehr nahe von hier?« wiederholte d’Artagnan mit funkelnden Augen.

»So nahe, daß Ihr ihn, wenn die Fenster, welche in die Orangerie gehen, nicht verstopft wären, von der Stelle aus, wo Ihr seid, sehen könntet.«

»Er streift in der Gegend des Schlosses umher,« dachte d’Artagnan. Dann sprach er laut:

»Ihr habt ihn auf der Jagd getroffen, im Parke vielleicht?«

»Nein, noch näher, viel näher; seht, hinter dieser Mauer,« sagte Comminges, an die Mauer klopfend.

»Hinter dieser Mauer? was ist denn hinter dieser Mauer? Man hat mich bei Nacht hierher gebracht, so daß ich, der Teufel soll mich holen, nicht weiß, wo ich bin.«

»Wohl,« sprach Comminges, »nehmt Eines an.«

»Ich werde annehmen, was Ihr wollt.«

»Nehmt an, es wäre ein Fenster in dieser Mauer.«

»Nun?«

»So würdet Ihr von diesem Fenster aus Herrn de la Fère an dem seinigen sehen.«

»Herr de la Fère wohnt also im Schlosse?«

»Ja.«

»Unter welchem Titel?«

»Unter demselben Titel, wie Ihr.«

»Athos ist Gefangener?«

»Ihr wißt wohl,« versetzte Comminges lachend, »daß sich in Rueil keine Gefangene befinden, insofern es hier kein Gefängniß gibt.«

»Wir wollen nicht mit Worten spielen, mein Herr. Athos ist verhaftet worden?«

»Gestern in Saint-Germain, als er die Königin verließ.«

Die Arme von d’Artagnan fielen träge an seiner Seite herab. Man hätte glauben sollen, er wäre vom Blitze getroffen. Die Blässe lief wie eine weiße Wolke über sein gebräuntes Gesicht, verschwand aber in demselben Augenblicke wieder.

»Gefangen?« sprach er.

»Gefangen?« wiederholte Porthos ganz traurig.

Plötzlich erhob d’Artagnan das Haupt, und man sah in seinen Augen einen selbst für Porthos unmerklichen Blitz glänzen. Aber dieselbe Niedergeschlagenheit, die ihm vorhergegangen war, folgte auf diesen flüchtigen Schimmer.

»Auf, auf,« sprach Comminges, der eine wirkliche Zuneigung für d’Artagnan seit dem großen Dienste hegte, den ihm dieser am Tage der Verhaftung von Broussel dadurch, daß er ihn den Händen der Pariser entzog, geleistet hatte; »auf, mein Herr, verzweifelt nicht. Ich war weit entfernt, Euch eine traurige Nachricht bringen zu wollen. In diesen Kriegsläufen sind wir Alle unsichere Wesen. Lacht also über den Zufall, der Euch und Herrn Du Vallon Euren Freund nahe bringt, statt darüber trostlos zu sein.«

Aber diese Aufforderung hatte keinen Einfluß auf d’Artagnan, der seine düstere Miene beibehielt.

»Und wie sah er aus?« fragte Porthos, der, als er sah, daß d’Artagnan das Gespräch fallen ließ, dieß benützen wollte, um ein Wort anzubringen.

»Sehr gut,« sprach Comminges. »Anfangs schien er, wie Ihr, in Verzweiflung zu gerathen. Als er aber erfuhr, daß der Herr Cardinal ihm noch diesen Abend einen Besuch machen sollte …«

»Ah!« sprach d’Artagnan, »der Herr Cardinal soll dem Grafen de la Fère einen Besuch machen?«

»Ja, er hat ihn davon in Kenntniß setzen lassen, und als der Herr Graf de la Fère dieß erfuhr, beauftragte er mich, Euch zu sagen, er würde diese Gunst des Herrn Cardinals benützen, um in Eurer Sache und in der seinigen zu sprechen.«

»Ah, dieser liebe Graf!« sagte d’Artagnan.

»Eine schöne Geschichte,« murrte Porthos.« eine große Kunst! Der Herr Graf de la Fère, dessen Familie mit den Montmorency und Rohan verwandt ist, darf sich wohl mit einem Herrn von Mazarin gleichstellen.«

»Gleichviel,« sagte d’Artagnan mit seinem freundlichsten Tone. »Wenn ich bedenke, mein lieber Du Vallon, … es ist viel Ehre für den Herrn Grafen de la Fère, und es gewährt besonders viel Hoffnung. Ein Besuch!.. . meiner Ansicht nach ist dies sogar eine so große Ehre für einen Gefangenen, daß ich glaube, Herr von Comminges täuscht sich.«

»Wie, ich täusche mich?«

»Herr von Mazarin wird nicht den Grafen de la Fère besuchen, sondern der Herr Graf de la Fère wird zu Mazarin gerufen sein.«

D’Artagnan suchte einen von den Blicken von Porthos aufzufangen, um zu erfahren, ob sein Freund die Wichtigkeit dieses Besuches begriffe. Aber Porthos schaute nicht einmal auf seine Seite.

»Der Herr Cardinal hat also die Gewohnheit, in seiner Orangerie spazieren zu gehen?« fragte d’Artagnan.

»Jeden Abend schließt er sich darin ein,« erwiderte Comminges. »Es scheint, er denkt dort über die Staatsangelegenheiten nach.«

»Dann fange ich an zu glauben, daß Herr de la Fère den Besuch Seiner Eminenz empfangen wird,« versetzte d’Artagnan. »Uebrigens wird er sich ohne Zweifel begleiten lassen?«

»Ja, von zwei Soldaten.«

»Und er wird auf diese Art vor zwei Fremden sprechen?«

»Die Soldaten sind Schweizer aus den kleinen Kantonen und sprechen nur Deutsch. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie auch vor der Thüre warten.«

D’Artagnan drückte sich die Nägel in die flache Hand, damit sein Gesicht nichts Anderes ausdrücke, als was er ihm auszudrücken erlauben wollte.

»Herr von Mazarin nehme sich in Acht, so allein zu dem Grafen de la Fère hineinzugehen,« sagte er, »denn dieser muß wüthend sein.«

Comminges erwiderte lachend:

»In der That, man sollte glauben, Ihr wäret Menschenfresser! Herr de la Fère ist höflich und hat überdies keine Waffen. Bei dem ersten Rufe Seiner Eminenz würden die Soldaten, die ihn begleiten, herbei eilen.«

»Zwei Soldaten?« sagte d’Artagnan, der seine Erinnerungen zurückzurufen sich den Anschein gab; »zwei Soldaten, ja! Das ist es also, warum ich jeden Abend zwei Soldaten rufen höre und eine halbe Stunde lang unter meinem Fenster auf- und abgehen sehe?«

»Das ist es: sie erwarten den Cardinal oder vielmehr Bernouin, der sie ruft, wenn der Cardinal weggeht.«

»Schöne Männer, meiner Treue!« sagte Porthos. »Es ist das Regiment, das in Lens war, und das der Prinz dem Cardinal gegeben hat, um ihm Ehre anzuthun.«

»Ah, mein Herr,« sprach d’Artagnan, als wollte er in einem Worte diese ganze lange Unterhaltung zusammenfassen, »wenn nur Seine Eminenz sich erweichen läßt und Herrn de la Fère unsere Freiheit bewilligt.«

»Ich wünsche es von ganzem Herzen,« sprach Comminges.

»Wenn er aber diesen Besuch vergäße, würdet Ihr nichts Unpassendes darin finden, wenn man ihn daran erinnerte?«

Žanrid ja sildid
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30 november 2019
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