Loe raamatut: «Internal Investigations», lehekülg 23

Font:

b) Konsequenzen bei Vorliegen interner Untersuchungsergebnisse

49

In Einklang mit der derzeitig vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass das „Claims-Made-Prinzip“ – wenn auch abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen – dem Versicherungsvertrag wirksam zugrunde gelegt werden kann, kommt es im Hinblick auf etwaige Ergebnisse, die durch „Internal Investigations“ aufgefunden wurden, nunmehr für die Gesellschaft entscheidend darauf an, dass das Unternehmen die Ergebnisse rechtlich auswertet und überprüft, ob auf dieser Grundlage Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Schadenersatzansprüche gegen Unternehmensleiter oder Aufsichtsorgane nach § 93 AktG oder § 43 GmbHG bestehen könnten. Wenn dies der Fall ist, dann muss auf einer zweiten Ebene überprüft werden, ob für solche Schadenersatzansprüche Versicherungsschutz bestehen könnte.

c) Der von der Gesellschaft durchzuführende Abwägungsprozess

50

Zu beachten ist dabei unter Zugrundelegung der soeben im Rahmen des Claims-Made-Prinzips erörterten Erwägungen, dass diese Schadensersatzansprüche auch so geltend gemacht werden, dass der zeitliche Anwendungsbereich der aktuellen Police eröffnet wird.

51

Regelmäßig werden nämlich D&O-Versicherungen über einen vorher festgelegten Zeitraum[47] abgeschlossen. Die Gesellschaft, insbesondere die in der Verantwortung stehenden Aufsichtsorgane[48] müssen zum Wohle der Gesellschaft genau abwägen, ob und unter welchen Umständen eine zeitnahe Inanspruchnahme eines Organmitgliedes erfolgen muss, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Es besteht nämlich das Risiko, dass bei einem Zuwarten der Versicherungsvertrag abläuft und etwaige später geltend gemachte Schadensersatzansprüche deshalb nicht versichert sind, weil der zeitliche Anwendungsbereich der D&O-Versicherung bereits abgelaufen ist. Sollte sich dieses Risiko verwirklichen, dann laufen die verantwortlichen Aufsichtsorgane Gefahr, dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen haben.

52

Für die Aktiengesellschaft hat der BGH nämlich in der bekannten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung[49] betont, dass die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, die der Aktiengesellschaft gem. § 93 Abs. 2 AktG gegen ihre Vorstandsmitglieder zustehen, Teil der „nachträglichen Überwachungstätigkeit“ ist, deren Ziel darauf gerichtet ist, den Vorstand zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.[50] Bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Vorstandsmitglieds, steht dem Aufsichtsrat kein Ermessen zu. Seine Entscheidung ist allein dem Unternehmenswohl verpflichtet, welches grundsätzlich eine Wiederauffüllung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt.[51] Der Aufsichtsrat muss folglich Schadensersatzansprüche verfolgen, wenn er dafür Anhaltspunkte hat. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass vor Durchführung eines langwierigen und kostenintensiven Rechtsstreits nie sicher ist, ob der vermeintliche Anspruch wirklich begründet ist, oder ob er zunächst aufgrund der gegebenen Anhaltspunkte nur begründet erscheint, sich dann aber doch als unbegründet erweist. Eine Sicherheit oder Garantie für das Bestehen des Schadensersatzanspruchs wird nicht verlangt.[52] Die Pflicht des Aufsichtsrats zu einer Geltendmachung kann also auch begründet werden, wenn sich die Ansprüche später als unbegründet erweisen.

53

Der Aufsichtsrat muss deshalb – dies hat der BGH in Fortführung des vorgenannten ARAG-Urteils nochmals ausdrücklich betont[53] – die Rechtslage begutachten, die Prozessrisiken abwägen und insbesondere auch die Beitreibbarkeit der Forderung abschätzen. Verstößt der Aufsichtsrat gegen diese Pflichten, so haftet er seinerseits nach den §§ 116, 93 Abs. 2 AktG.[54] Zu der Frage, ob eine Forderung beitreibbar ist gehört aber auch die Prüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen Versicherungsschutz für den möglichen Haftungsschuldner besteht.

54

In diesem Zusammenhang gewinnen häufig sog. Nachhaftungsklauseln und Umstandsmeldungen Bedeutung. Gerade darin hatte nämlich das OLG München[55] in seiner zwischenzeitlich als durch den BGH überholt anzusehenden Entscheidung eine mögliche Kompensation für etwaige Nachteile gesehen. Ungeachtet der Frage, ob denn Nachmeldeklauseln oder Klauseln, welche die Möglichkeit beinhalten, eine Umstandsmeldung abzugeben, objektiv erforderlich sind, um etwaige Nachteile auszugleichen, die aus dem Claim-Made-Prinzip folgen, oder ob man solche Klauseln nicht als rechtlich geboten ansieht: In der versicherungsrechtlichen Praxis sind sie üblich, weshalb darauf nachfolgend einzugehen ist.

d) Nachhaftungsklauseln

55

Unter Nachhaftungsklauseln sind solche Klauseln zu verstehen, die den zeitlichen Anwendungsbereich der Police verlängern. Selbst nach Beendigung der Versicherungslaufzeit gelten daher Inanspruchnahmen noch als gedeckt, wenn sie nur innerhalb des als „Nachhaftung“ definierten Zeitraumes erfolgen. Damit wird also der Versicherte davor geschützt, dass er für eine während der Versicherungszeit begangene Pflichtverletzung erst zu spät – nämlich nach Ablauf des Versicherungsvertrages – in Anspruch genommen wird. Häufig wird ein Zeitraum von drei Jahren gefordert.[56] Zu beachten ist des Weiteren, dass die Nachhaftung häufig nur für Pflichtverletzungen gilt, die sich innerhalb der Versicherungszeit zugetragen haben. Anders als für Inanspruchnahmen, die sich innerhalb der regulären Versicherungszeit ereignen, besteht also kein Versicherungsschutz für Pflichtverletzungen, die sich vor Vertragsschluss ereignet haben. Es ist jedenfalls auf Grundlage der oben dargestellten Erwägungen notwendig, dass der Aufsichtsrat genau überprüft, ob und in welcher Form bestehende Nachhaftungsklauseln eine künftige Inanspruchnahme tatsächlich absichern.

e) Umstandsmeldung

56

Unter einer Umstandsmeldungsklausel ist eine Regelung zu verstehen, die es dem VN ermöglicht, Umstände zu melden, die erst später – also nach Ablauf der Police – zu einer Inanspruchnahme führen könnten. Kommt es zu einer Inanspruchnahme, dann gilt diese als gedeckt und zwar unabhängig davon, wann die Inanspruchnahme erfolgte, wenn nur die Umstandsmeldung innerhalb des versicherten Zeitraumes erfolgte. Anders als bei der Nachhaftung muss also zumindest eine Meldung innerhalb des Versicherungszeitraumes bei dem Versicherer erfolgen. Bisher nicht geklärt ist allerdings, welche Erfordernisse an die Konkretisierung dieser Meldung zu stellen sind. Auch insoweit weisen die D&O-Policen teilweise erhebliche Unterschiede auf. Wenn die Möglichkeit einer Umstandsmeldung besteht, dann sollte der Aufsichtsrat überprüfen, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und die Ergebnisse der „Internal Investigation“ bereits als Umstandsmeldung an den Versicherer weiterleitet. Auch dies darf keineswegs ohne genaue Vorprüfung des Sachverhaltes geschehen. Denn die Konsequenz kann sein, dass der Versicherer den Vertrag nicht mehr verlängert. Dies mag dann für die aufgedeckten Ergebnisse in Anbetracht der erfolgten Umstandsmeldung unschädlich sein, führt jedoch zu einem Wegfall des Versicherungsschutzes für (noch) unbekannte Schadenfälle. Auch hier muss also eine umfassende Sach- und Risikoanalyse unter Abwägung der Vor- und Nachteile für das Unternehmenswohl stattfinden, bevor der Aufsichtsrat eine endgültige Entscheidung über die richtige Vorgehensweise wählt.

Anmerkungen

[1]

Henssler/Strohn/Oetker Gesellschaftsrecht § 43 Rn. 25; Saenger/Inhester/Lücke/Simon GmbHG, 2011, § 43 Rn. 28; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer § 93 Rn. 6; Hölters § 93 Rn. 63 ff; MK-AktG/Spindler § 83 Rn. 82; Heidel/Landwehrmann § 93 Rn. 71.

[2]

Hüffer § 93 Rn. 14; MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 161; Heidel/Landwehrmann § 93 Rn. 108; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer § 93 Rn. 9.

[3]

MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 161; Heidel/Landwehrmann § 93 Rn. 108; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer § 93 Rn. 9.

[4]

Grundlegend: BGHZ 135, 244 – ARAG.

[5]

BGHZ 135, 244, 252 – ARAG.

[6]

Vgl. den Wortlaut von § 19 Abs. 1 S. 1 VVG („und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat“).

[7]

Zu dem Konkretisierungserfordernis vgl. MK-VVG/Langheid § 19 Rn. 55; Prölss/Martin/Prölss VVG § 19 Rn. 23; Rüffer/Halbach/Schimikowski VVG § 19 Rn. 16; Römer/Langheid/Langheid VVG § 19 Rn. 24.

[8]

Es ist allerdings bisher nicht entschieden, ob eine solch allgemeine Fragestellung dem Konkretisierungserfordernis genügt, vgl. dazu im Einzelnen: Versicherungsrechts-Handbuch/Knappmann Rn. 22a; Rixecker zfs 2007, 370; Reusch VersR 2007, 1313, 1314; MK-VVG/Langheid § 19 Rn. 55; Prölss/Martin/Prölss VVG § 19 Rn. 23; Rüffer/Halbach/Schimikowski VVG § 19 Rn. 16; Römer/Langheid/Langheid VVG § 19 Rn. 24.

[9]

Vgl. dazu Ziffer 1.1 der Musterbedingungen des GDV.

[10]

Dafür ausdrücklich Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski VVG § 22 Rn. 7; Versicherungsrechts-Handbuch/Knappmann § 14 Rn. 126; Marlow/Spuhl Das neue VVG, S. 46, 47; Rixecker ZfS 2008, 340; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle VVG § 22 Rn. 6, 8; Weiberle VuR 2008, 170, 171.

[11]

Schimikowski/Höra Das neue Versicherungsvertragsrecht, 2008, S. 123.

[12]

Römer/Langheid/Langheid VVG § 22 Rn. 4; Prölss/Martin/Prölss VVG § 22 Rn. 3; MK-VVG/Müller-Frank § 22 Rn. 5 ff.; Grote/Schneider BB 2007, 2689, 2693; differenzierend: Bruck/Möller/Rolfs VVG § 22 Rn. 10: Bei auf der Hand liegender Gefahrerheblichkeit; Günther/Spielmann r+s 2008, 133, 135: Bei evidenter Gefahrerheblichkeit; Brand VersR 2009, 715, 721: Beschränkung der Aufklärungspflicht auf „stark individualisierte Verträge“.

[13]

BT-Drucks. 16/3945, 64.

[14]

A.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski VVG § 22 Rn. 7: Arglistige Täuschung, „wenn der VN von sich aus unzutreffenden Angaben macht“.

[15]

Insoweit besteht kein Unterscheid zur „alten“ Rechtslage, dort hat der BGH eine Nachfrageobliegenheit des Versicherers ausdrücklich abgelehnt, vgl. dazu BGH VersR 2007, 96.

[16]

Zu den Voraussetzungen der Arglist generell vgl. BGH NJW-RR 2008, 258.

[17]

BGH NJW 1989, 763; BGH NJW-RR 1991, 439; NJW-RR 2008, 258.

[18]

BGH NJW 1971, 1795/99; BGH WM 1983, 1007.

[19]

Vgl. dazu den bereits eingangs erwähnten Bericht von Budras FAZ v. 3.6.2012.

[20]

BGH WM 2011, 2311.

[21]

Dazu bereits BGH WM 2007, 562.

[22]

BGH WM 2011, 2311, 2313 (der Entscheidung liegt eine „Valorenversicherung“ zugrunde).

[23]

Für eine Übertragbarkeit vgl. etwa Mayer Versicherungspraxis 2012, 12, 13; Lenz/Weitzel Phi 2012, 122, 123.

[24]

BGHZ 81, 298, 303; BGHZ 97, 135, 139; Staudinger/Coester § 307 Rn. 246.

[25]

Vgl. dazu Ziff. 1.1 der AVB AVG.

[26]

In den marktüblichen Policen wird in diesem Zusammenhang häufig der Ausdruck des „mitversicherten Tochterunternehmens“ verwendet. Dies ist jedoch streng betrachtet unrichtig. Denn weder die VN noch eine ihrer Tochtergesellschaften erhalten einen eigenen Anspruch auf Versicherungsschutz.

[27]

BGH VersR 1956, 187; BGH NJW 1979, 1117; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 928 (Streitverkündung).

[28]

Vergleiche dazu oben Rn. 13 ff.

[29]

BGH BB 2016, 1359.

[30]

Baumann NZG 2010, 1366; Graf von Westphalen VersR 2011, 145; Koch VersR 2011, 295; ausführlich zum Ganzen vgl. auch Schramm Das Anspruchserhebungsprinzip, 2009, 253 ff.

[31]

Vgl. dazu insbesondere Koch VersR 2011, 295, 296.

[32]

OLG Frankfurt r+s 2010, 61.

[33]

OLG Frankfurt r+s 2010, 61.

[34]

OLG München r+s 2009, 327.

[35]

OLG München r+s 2009, 327, 330.

[36]

OLG München r+s 2009, 327, 330, wobei das OLG nicht hinreichend zwischen den Interessen der versicherten Organmitglieder und den Interessen der Gesellschaft als Vertragspartner differenziert, dazu kritisch Koch VersR 2011, 295, 297; Graf von Westphalen VersR 2011, 145, 152.

[37]

BGH VersR 2014, 625; BAG NJW 2008, 3372.

[38]

BGH BB 2016, 1359.

[39]

BGH NJW 1982, 178 ff.; OLG Celle NJW 1998, 82 ff.; Rieble DB 1995, 195 ff.; zum Ganzen insbesondere Staudinger/Coester § 307 Rn. 142.

[40]

So für die Mitreisenden beim Reisevertrag BGH NJW 1989, 2750 f.

[41]

Speziell für die Versicherung für fremde Rechnung vgl. BGH NJW 1993, 2442 ff.; des Weiteren vgl. BGH NJW 2001, 1934 ff.; BGH VersR 1999, 1390 f.; zum Ganzen vgl. auch Koch VersR 2011, 295 (297) sowie Staudinger/Coester § 307 Rn. 142 ff.

[42]

Und es ist deshalb im Ergebnis folgerichtig, dass die Judikatur in diesen Fällen auf die Drittinteressen abstellt, vgl. BGH NJW 1993, 2442 ff.

[43]

Dieser Rückschluss wird in der Literatur teilweise gezogen; vgl. dazu Graf von Westphalen VersR 2011, 145, 149 („Erforderliche Bilanzierung der beiderseitigen Interessen ausschließlich an der Person des Dritten vorzunehmen“), etwas einschränkend jedoch wiederum Koch VersR 2011, 295, 297 („Vornehmlich die Rechte der versicherten Personen“).

[44]

BGH BB 2016, 1359.

[45]

Es ist deshalb im Ergebnis zutreffend, wenn das OLG München speziell im Bereich der D&O-Versicherung im Rahmen von § 307 BGB immer wieder von den Interessen des „VN“ spricht, ohne eine nähere Differenzierung vorzunehmen, VersR 2009, 1066 f.

[46]

BGHZ 135, 244, 257 – ARAG.

[47]

Dieser Zeitraum umfasst häufig ein Jahr, wobei automatische Prolongationsklauseln vorgesehen werden, wonach sich der Versicherungsschutz jeweils um ein weiteres Jahr verlängert, wenn er nicht von einer der Vertragsparteien vorher gekündigt wird. Dies ist aber nicht zwingend. Es ist auch möglich, dass der Versicherungsschutz von vornherein über einen längeren Zeitraum erstreckt wird.

[48]

Die Zuständigkeit der Aufsichtsorgane folgt bei der AG aus § 112 AktG.

[49]

BGHZ 135, 244 ff.

[50]

BGHZ 135, 244, 254 – ARAG, mit Verweis auf Raiser NJW 1996, 552, 554.

[51]

BGHZ 135, 244, 254 – ARAG.

[52]

BGHZ 135, 244, 254 – ARAG.

[53]

BGH DB 2009, 948, 950.

[54]

BGH DB 2009, 948, 950.

[55]

OLG München r+s 2009, 327.

[56]

Koch VersR 2011, 295, 302.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 3. Kapitel Versicherungsrechtliche Rahmenbedingungen › IV. Zusammenfassung

IV. Zusammenfassung

57

Es ist festzuhalten, dass der Umgang mit den Ergebnissen, die im Rahmen von „Internal Investigations“ gewonnen werden in versicherungsrechtlicher Hinsicht für die Gesellschaft erhebliche Bedeutung hat. Da gerade die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes bei der D&O-Versicherung im Einzelfall „maßgeschneidert“ vereinbart wird, lässt sich eine allgemeingültige Empfehlung in diesem Zusammenhang nicht aufstellen. Vor Abschluss eines Versicherungsvertrages gehört es jedenfalls zu den maßgeblichen Pflichten der Gesellschaft – und damit einhergehend zu den Pflichten der Unternehmensleiter – dafür Sorge zu tragen, dass der Versicherungsschutz, den das Unternehmen einkaufen möchte, nicht deshalb gefährdet wird, weil etwaige Anzeigepflichten verletzt werden. Besteht bereits Versicherungsschutz, dann gehört es zu den maßgeblichen Pflichten des Aufsichtsrates zu überprüfen, ob durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen Unternehmensleiter bestehen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob Versicherungsschutz für die betroffenen Unternehmensleiter besteht und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit dieser Versicherungsschutz nicht beeinträchtigt wird. Soweit ein Interesse der Gesellschaft besteht, die Untersuchungsergebnisse zunächst nicht publik zu machen, muss eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile von möglichen Maßnahmen im Interesse der Gesellschaft erfolgen. Die Verantwortung der Leitungsorgane in dieser Situation ist komplex und erfordert eine umfassende Aufklärung der tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 4. Kapitel Projektorganisation, Projektplanung, Projektsteuerung und Reporting

4. Kapitel Projektorganisation, Projektplanung, Projektsteuerung und Reporting

Inhaltsverzeichnis

I. Einführung

II. Projektorganisation

III. Projektplanung und -steuerung

IV. Reporting

Literatur:

Ackermann/Clages/Roll Handbuch der Kriminalistik, 4. Aufl. 2011; Drees/Lang/Schöps Praxisleitfaden Projektmanagement, 2. Aufl. 2014; Dreher/Hoffmann Sachverhaltsaufklärung und Schadenswiedergutmachung bei vergaberechtlicher Selbstreinigung, NZBau 2012, 265; Erben/Romeike Allein auf stürmischer See – Risikomanagement für Einsteiger, 3. Aufl. 2016; Galley/Minoggio/Schuba Unternehmenseigene Ermittlungen, 2016; Hofmann Handbuch Anti-Fraud-Management, 2008; Kostka/Mönch Change Management, 2009; Kuster/Huber/Lippmann/Schmid/Schneider/Witschi/Wüst Handbuch Projektmanagement, 3. Aufl. 2011; Lessel Projektmanagement, 4. Aufl. 2012; Litke/Kunow/Schulz-Wimmer Projektmanagement, 3. Aufl. 2015; Madauss Handbuch Projektmanagement mit Handlungsanleitungen für Industriebetrieb, Unternehmensberater und Behörden, 7. Aufl. 2009; Patzak/Rattay Projektmanagement, 6. Aufl. 2014; Ulrich Selbstständiges Beweisverfahren mit Sachverständigen, 2008, Abschn. 5.18; Upmeier Fakten im Recht, 2010; Wells/Kopetzky Handbuch Wirtschaftskriminalität in Unternehmen, 2. Aufl. 2011; Wöhe/Döring Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 4. Kapitel Projektorganisation, Projektplanung, Projektsteuerung und Reporting › I. Einführung

I. Einführung
1. Internal Investigation als Projekt

a) Zweck, Prinzipien, Leitlinien

1

Compliance- und Risikomanager beschreiben ihre Arbeitsweise oft mit Begriffen aus der Welt der Reiseveranstalter.[1] Wer aus der beruflichen Perspektive heraus vor einer Reise steht, denkt und plant typischerweise vorausschauend in die nahe oder ferne Zukunft über Reisezweck, Reiseziele, Reiseausrüstung, Reiseroute und – wenn er sich an die Reiseergebnisse und -erfahrungen erinnern oder andere darüber informieren möchte – die Berichterstattung über seine Beobachtungen. Bevor die Reise beginnt, sollen möglichst vorausschauend alle Parameter berücksichtigt sein, die aller Voraussicht nach auf der Reise eintreten können, die als Meilensteine den Fortschritt kennzeichnen und als Hindernisse oder gar als Gefahrenpotentiale überwunden werden müssen. Dabei müssen genauso Etappen wie auch Ruhe- und Entspannungszeiten für alle Teilnehmer bedacht sein. Eine unternehmensinterne Aufklärung (Internal Investigation) benötigt im übertragenen Sinne ebenfalls eine solche Reiseplanung. Beispielsweise sind Anfang und Ende der Internal Investigation zu bedenken; nicht nur der Weg der Ergebnisfindung sondern auch die Umsetzungsschritte für den betrieblichen Alltag liegen in der Zukunft. Die Stationen bis zu diesem Ziel sind noch unbekannt oder nur schemenhaft umrissen. Daher sind


Ziele zu formulieren;
Maßnahmen und die dafür benötigen Ressourcen zu planen;
Budgets zu verwalten;
mit den Beteiligten ein regelmäßiger und inhaltlich hochstehender Informations- und Meinungsaustausch zu organisieren;
die Reihenfolge und der Umfang des Vorgehens festzulegen,
die Chancen und Risiken zu analysieren und laufend weiter zu entwickeln;
ein Zeitplan aufzustellen;
eine abschließende Bewertung vorzulegen und schließlich
erforderliche Umsetzungen und/oder Änderungen zu beschreiben, ggf. auch durch das Team, das mit der Internal Investigation beauftragt war, voranzutreiben.

2

Unabhängig von Art und Inhalt des Auftrages dient die Internal Investigation keinem Selbstzweck, sondern sie verfolgt auf die jeweiligen Auftraggeberinteressen bzw. das jeweilige Unternehmen bezogene Zwecke, bspw.:


Objektivierung von Behauptungen und Verdächtigungen anhand der legal erreichbaren und verwertbaren Beweise als Grundlage für Management-Entscheidungen oder eine externe Berichterstattung (bspw. in Ad-Hoc-Mitteilungen, Lage- und Kapitalmarktberichten etc.);
Unterstützung juristisch ausgerichteter Verfahren (Straf-, Verwaltungs-, Aufsichts- und Haftungsprozesse, z.T. auch mediatorische Prozesse);
Risikoidentifizierung, Risikovalidierung und Risikomanagement von rechtlichen, betriebswirtschaftlichen – auch betriebsorganisatorischen – zukünftigen Risiken für eine betroffene Rechtsposition (daher muss – am Ende der Internal Investigation – eine Faktenbasis für diese Aspekte vorliegen);
Selbstreinigung des Unternehmens (was voraussetzt, dass bestimmte Handlungsempfehlungen ausgesprochen, Maßnahmen umgesetzt und deren Implementierung und Wirksamkeit prüfbar belegt werden);
Fortentwicklung eines (zukunftsgerichteten und präventiven) Compliance-Management-Systems (durch Identifikation der Untersuchungsergebnisse, die sich mit Organisation & Prozessen befassen).

3

Wer die Internal Investigation als Krisenreaktionsmechanismus des Unternehmens sieht, wird die Frage stellen, ob ein solches Vorhaben überhaupt mit dem Projektgedanken verglichen oder die Leitung und Steuerung der Internal Investigation gar als Projektmanagement mit einer betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen Ausrichtung betrieben werden kann. Wer vom Gedanken einer Rechtspflicht zur Aufklärung her die Pflicht zur Durchführung einer Internal Investigation ableitet, wird möglicherweise Bedenken haben, wenn Wirtschaftlichkeit und Ressourcenknappheit als Kategorien für eine Pflichterfüllung zugelassen werden. Zuweilen wird das mit der Erfahrung begründet, dass gerade wegen dieser Kriterien im Unternehmen unterentwickelte Kontrollen anzutreffen sind und die Regelkonformität darunter leidet. Wenn eine Unternehmensrevision bspw. infolge der personellen und sachlichen Ausstattung nicht in der Lage war, den „Dingen auf den Grund zu gehen“, dann darf eine etwaige darin liegende Aufsichtspflichtverletzung[2] nicht bei einer Internal Investigation, die sich mit dem gleichen Sachverhalt zu befassen hat, wiederholt werden. Es wird daher darauf zu achten sein, nicht etwa den gleichen Fehler beim Start der Untersuchung zu begehen. Von einem fallweisen Erfahrungs- oder Beurteilungsmaßstab darf aber die Frage des Projektmanagements nicht abhängig gemacht werden.

4

In der Rechtsprechung sind durchaus Kategorien wie „Wirtschaftlichkeit“ und „Angemessenheit“ oder „Erheblichkeit“ für die Aufklärung von Sachverhalten anerkannt.[3] Auch die Verfahrensordnungen zeigen durch Ermessensvorschriften,[4] dass der Gedanke der Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Wirtschaftlichkeit längst Einzug in die Ergebnisbeurteilung von Aufklärungsanstrengungen aller Art – besonders auch bei juristisch relevanten Fehltritten von Individualpersonen und Unternehmen – gefunden hat.[5] Schließlich sind sich selbst die Befürworter weitestgehender Präventivmaßnahmen in Unternehmen darüber einig, dass schon eine vollständige, lückenlose Prävention nicht zu erreichen ist, ja lebensfremd erscheint.[6] Erst recht muss dies für nachträglich in die Vergangenheit zurückblickende Untersuchungen gelten. Obwohl es unzweifelhaft richtig ist, dass eine Rechtsregel vom Adressaten uneingeschränkte Befolgung erwartet, ist für die Untersuchung einer Rechtsverletzung von der anlassbezogenen Notwendigkeit auszugehen, Entscheidungsgrundlagen für den – über eine personale oder vertragliche Beziehung hinausgehenden – Aufgriff, die Nachverfolgung und die Sanktionierung zu schaffen.[7] In der Folge lassen sich Art, Umfang, Dauer und Beendigung der Internal Investigation von folgenden Faktoren bestimmen:


Bedeutung bzw. Erheblichkeit einer (vermuteten oder verdächtigen) Rechtsverletzung für das betroffene und andere verwandte Rechtsgüter;
Dispositionsmöglichkeiten des Betroffenen, d.h. sowohl des Rechtsgutsträgers, eines Mitberechtigten, als auch die Möglichkeiten des durch die Rechtsverletzung etwaig in seinem Verhalten beeinflussten Dritten (insb. durch Anzeige- und Antragsrechte, Auswahlermessen bei mehreren möglichen Reaktionsweisen, Zustimmungsrechte, Kontrollrechte etc.);
Beurteilung von Aufgriffs- und Verfolgungsfristen (bspw. Strafantragsfristen und Strafverfolgungsverjährung);
Wahrscheinlichkeiten einer Rechtsdurchsetzung bei unterschiedlichen Graden an die eigene und die fremde Beweisführung und reziproke Wirkung einer solchen Eskalation auf das Unternehmen (bspw. die Bindung von Ressourcen, die öffentliche Wahrnehmung etc.);
etwaige prozessuale Gegebenheiten der zuständigen Instanz;
bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Beurteilung von Aufgriffs- und Verfolgungswahrscheinlichkeiten aus der Sicht der ausländischen Rechtsordnung.

5

Allerdings erfüllt nicht jedes Vorhaben einer „Internal Investigation“ den Projektbegriff. So sind bspw. der Auftrag zur Erstattung eines Rechtsgutachtens oder einer anderen sachverständigen Begutachtung, wie es im Schieds- und Gutachterwesen häufiger vorkommt, keine Projekte. Auch die Prozessvertretung oder die außergerichtliche Beratung stellen unabhängig von Art und Umfang der Aufgabe (noch) keine Anforderungen an eine Projektorganisation. Erst wenn eine vielschichtigere Aufgabe zu erledigen ist, die nicht durch eingeübte Routine einer Linienorganisation bewältigt werden kann, die eine Koordination mehrerer Kompetenzen erfordert, die einer unbekannten, unüberschaubaren oder komplexen Sachlage auf den Grund gehen soll und zudem Personen zusammenarbeiten sollen, die vorher noch nicht viel miteinander zu tun hatten, spricht man von einem „Projekt“.[9] Deshalb ist es richtig, sich sowohl als Auftraggeber der Internal Investigation als auch als Auftragnehmer (selbst-)kritisch die Frage zu stellen, ob angesichts von Art, Umfang, Bedeutung und Wirkung der Aufgabenstellung diese als Projekt verstanden und – dann folgerichtig – auch gestaltet, d.h. „gemanagt“ werden muss. Das schränkt keinesfalls den juristischen Anspruch an eine Klärung von Rechtsvoraussetzungen und Rechtsfolgen ein, sondern gibt – wie auch im staatlichen Verfahrensrecht – Gelegenheit, die im betrieblichen Alltag aufgrund der menschlichen Natur anzutreffenden Eigenheiten, Schwächen, Fehler, Versäumnisse oder Lücken rein tatsächlich von qualifizierten Übertretungen zu trennen.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
3010 lk 17 illustratsiooni
ISBN:
9783811442757
Kustija:
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip