Tasuta

Ansichten der Natur

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

So entfernt auch die Resultate, welche ich hier entwickle und welche Monticellis genauern Beobachtungen entsprechen, von denen sind, die man in den letzten Monaten verbreitet hat, so bleibt doch der Aschenauswurf des Vesuvs vom 24. zum 28. Oktober der denkwürdigste, von dem man, seit des älteren Plinius Tode, eine sichere Nachricht hat. Die Menge ist vielleicht dreimal größer gewesen als alle Asche, welche man hat fallen sehen, solange vulkanische Erscheinungen mit Aufmerksamkeit in Italien beobachtet werden. Eine Schicht von 15 bis 18 Zoll scheint, auf den ersten Anblick, unwichtig gegen die Masse, mit der wir Pompeji bedeckt finden. Aber ohne auch der Regengüsse und Anschwemmungen zu gedenken, die allerdings diese Masse, seit Jahrhunderten, vermehrt haben mögen, ohne den lebhaften Streit wieder aufzuregen, welcher, jenseits der Alpen, über die Zerstörungsursachen der kampanischen Städte mit vielem Skeptizismus geführt worden ist: darf man wohl hier in Erinnerung bringen, daß die Ausbrüche eines Vulkans, in weit voneinander entfernten Zeitepochen, ihrer Intensität nach, keinesweges miteinander zu vergleichen sind. Alle auf Analogien gestützte Schlüsse sind unzureichend, wenn sie sich auf quantitative Verhältnisse, auf Menge der Lava und Asche, auf Höhe der Rauchsäulen, auf Stärke der Detonationen beziehen.

Aus der geographischen Beschreibung des Strabo und einem Urteil des Vitruvius über den vulkanischen Ursprung des Bimssteins ersieht man, daß bis zu Vespasians Todesjahre, d. h. bis zum Ausbruch, der Pompeji bedeckte, der Vesuv mehr einem ausgebrannten Vulkan als einer Solfatara ähnlich sah. Wenn plötzlich nach langer Ruhe die unterirdischen Kräfte sich neue Wege eröffneten, wenn sie Schichten von uranfänglichem Gestein und Trachyt wiederum durchbrachen, so mußten Wirkungen sich äußern, für welche die später erfolgten kein Maß abgeben können. Aus dem bekannten Briefe, in welchem der jüngere Plinius den Tod seines Oheims dem Tacitus berichtet, ersieht man deutlich, daß die Erneuerung der Ausbrüche, man könnte sagen die Wiederbelebung des schlummernden Vulkans, mit Eruption der Asche anfing. Eben dies wurde bei Xorullo bemerkt, als der neue Vulkan im September 1759, Syenit- und Trachytschichten durchbrechend, sich plötzlich in der Ebene erhob. Die Landleute flohen, weil sie auf ihren Hüten Asche fanden, welche aus der überall geborstenen Erde hervorgeschleudert ward. Bei den gewöhnlichen periodischen Wirkungen der Vulkane endigt dagegen der Aschenregen jede partielle Eruption. Überdies enthält der Brief des jüngeren Plinius eine Stelle, welche deutlich anzeigt, daß gleich anfangs, ohne Einfluß von Anschwemmungen, die aus der Luft gefallene trockene Asche eine Höhe von 4 bis 5 Fuß erreichte. »Der Hof«, heißt es im Verfolg der Erzählung, »durch den man in das Zimmer trat, in welchem Plinius Mittagsruhe hielt, war so mit Asche und Bimsstein angefüllt, daß, wenn der Schlafende länger gezögert hätte, er den Ausgang würde versperrt gefunden haben.« In dem geschlossenen Raume eines Hofes kann die Wirkung Asche zusammenwehender Winde wohl eben nicht beträchtlich gewesen sein.

Ich habe meine vergleichende Übersicht der Vulkane durch einzelne, am Vesuv angestellte Beobachtungen unterbrochen, teils des großen Interesses wegen, welches der letzte Ausbruch erregt hat, teils aber auch, weil jeder starke Aschenregen uns fast unwillkürlich an den klassischen Boden von Pompeji und Herculanum erinnert. In einer Beilage, deren Lesung für diese Versammlung nicht geeignet ist, habe ich alle Elemente der Barometermessungen zusammengedrängt, welche ich am Ende des letztverflossenen Jahres am Vesuv und in den Phlegräischen Feldern zu machen Gelegenheit gehabt habe.

Wir haben bisher die Gestalt und die Wirkungen derjenigen Vulkane betrachtet, die durch einen Krater in einer dauernden Verbindung mit dem Inneren der Erde stehen. Die Gipfel solcher Vulkane sind gehobene, durch Gänge mannigfaltig durchschnittene Massen von Trachyt und Laven. Die Permanenz ihrer Wirkungen läßt auf eine sehr zusammengesetzte Struktur schließen. Sie haben, sozusagen, einen individuellen Charakter, der in langen Perioden sich gleich bleibt. Nahe gelegene Berge der Art geben meist ganz verschiedene Produkte: Leucit- und Feldspat-Laven, Obsidian mit Bimsstein, olivinhaltige, basaltartige Massen. Sie gehören zu den neueren Erscheinungen der Erde, durchbrechen meist alle Schichten des Flözgebirges, und ihre Auswürfe und Lavaströme sind späteren Ursprungs als unsere Täler. Ihr Leben, wenn man sich dieses figürlichen Ausdrucks bedienen dürfte, hängt von der Art und Dauer ihrer Verbindungen mit dem Inneren des Erdkörpers ab. Sie ruhen oft jahrhundertelang, entzünden sich plötzlich wieder und enden als Wasserdampf, Gasarten und Säuren ausstoßende Solfataren; aber bisweilen, wie man an dem Pic von Teneriffa bemerkt, ist ihr Gipfel bereits eine Werkstatt regenerierten Schwefels geworden: und doch entfließen noch mächtige Lavaströme den Seiten des Berges, basaltartig in der Tiefe, obsidianartig mit Bimsstein nach oben hin, wo der Druck geringer ist.

Unabhängig von diesen mit permanenten Kratern versehenen Vulkanen, gibt es eine andere Art vulkanischer Erscheinungen, die seltener beobachtet werden, aber, vorzugsweise belehrend für die Geognosie, an die Urwelt, d. h. an die frühesten Revolutionen unsers Erdkörpers, erinnern. Trachytberge öffnen sich plötzlich, werfen Lava und Asche aus und schließen sich wieder, vielleicht auf immer. So der mächtige Antisana in der Andeskette, so der Epomäus auf Ischia im Jahre 1302. Bisweilen geschieht ein solcher Ausbruch selbst in der Ebene: wie im Hochlande von Quito, auf Island, fern vom Hekla, und auf Euböa in den Lelantischen Gefilden. Viele der gehobenen Inseln gehören zu diesen vorübergehenden Erscheinungen. Die Verbindung mit dem inneren Erdkörper ist dann nicht permanent; die Wirkung hört auf, sobald die Kluft, der kommunizierende Kanal, wiederum geschlossen ist. Gänge von Basalt, Dolerit und Porphyr, welche in verschiedenen Erdstrichen fast alle Formationen durchschneiden; Syenit, Augit-Porphyr und Mandelsteinmassen, welche die neuesten Schichten des Übergangsgebirges und die älteste Schicht des Flözgebirges charakterisieren: sind wahrscheinlich auf eine ähnliche Weise gebildet worden. In dem Jugendalter unseres Planeten drangen die flüssig gebliebenen Stoffe des Inneren durch die überall geborstene Erdrinde hervor: bald erstarrend als körniges Ganggestein, bald sich überlagernd und schichtenweise verbreitend. Was die Urwelt von ausschließlich sogenannten vulkanischen Gebirgsarten uns überliefert hat, ist nicht bandartig, wie die Laven unserer isolierten Kegelberge, geflossen. Die Gemenge von Augit, Titan-Eisen, Feldspat und Hornblende mögen zu verschiedenen Epochen dieselben gewesen sein, bald dem Basalte, bald dem Trachyte näher; die chemischen Stoffe mögen sich (wie es Mitscherlichs wichtige Arbeiten und die Analogie künstlicher Feuerprodukte lehren) in bestimmten Mischungsverhältnissen kristallinisch aneinandergereiht haben: immer erkennen wir, daß ähnlich zusammengesetzte Stoffe auf sehr verschiedenen Wegen an die Oberfläche der Erde gekommen sind, entweder bloß gehoben oder aus temporären Spalten vorgedrungen, und daß sie, die älteren Gebirgsschichten, d. h. die früher oxydierte Erdrinde, durchbrechend, sich endlich aus Kegelbergen, die einen permanenten Krater haben, als Lavaströme ergossen. Die Verwechselung dieser so verschiedenartigen Erscheinungen führt die Geognosie der Vulkane in das Dunkel zurück, dem eine große Zahl vergleichender Erfahrungen sie allmählich zu entreißen angefangen hat.

Es ist oft die Frage aufgeworfen worden: was in den Vulkanen brenne, was die Wärme errege, bei welcher Erde und Metalle schmelzend sich mischen. Die neuere Chemie hat zu antworten versucht: was da brennt, sind die Erden, sind die Metalle, sind die Alkalien selbst; es sind die Metalloide dieser Stoffe. Die feste, bereits oxydierte Erdrinde scheidet das umgebende sauerstoffhaltige Luftmeer von den brennbaren unoxydierten Stoffen im Innern unseres Planeten. Bei dem Kontakt jener Metalloide mit zudringendem Sauerstoff entsteht die Wärmeentbindung. Der berühmte, geistreiche Chemiker, der diese Erklärung vulkanischer Erscheinungen vortrug, hat sie bald selbst wiederum aufgegeben. Die Erfahrungen, welche man unter allen Zonen in Bergwerken und Höhlen gemacht und welche ich mit Arago in einer eigenen Abhandlung zusammengestellt, beweisen, daß schon in geringer Tiefe die Wärme des Erdkörpers um vieles höher als an demselben Orte die mittlere Temperatur des Luftkreises ist. Eine so merkwürdige und allgemein bewährte Tatsache steht in Verbindung mit dem, was die vulkanischen Erscheinungen uns lehren. Es ist die Tiefe berechnet worden, in welcher man den Erdkörper als eine geschmolzene Masse betrachten könne. Die primitive Ursach dieser unterirdischen Wärme ist, wie an allen Planeten, der Bildungsprozeß selbst, das Abscheiden der sich ballenden Masse aus einer kosmischen dunstförmigen Flüssigkeit, die Abkühlung der Erdschichten verschiedener Tiefen durch Ausstrahlung. Alle vulkanischen Erscheinungen sind wahrscheinlich das Resultat einer steten oder vorübergehenden Verbindung zwischen dem Innern und Äußern unseres Planeten. Elastische Dämpfe drücken die geschmolzenen, sich oxydierenden Stoffe durch tiefe Spalten aufwärts. Die Vulkane sind demnach intermittierende Erdquellen; die flüssigen Gemenge von Metallen, Alkalien und Erden, welche zu Lavaströmen erstarren, fließen sanft und stille, wenn sie, gehoben, irgendwo einen Ausgang finden. Auf ähnliche Weise stellten sich die Alten (nach Platons Phädon) alle vulkanischen Feuerströme als Ausflüsse des Pyriphlegethon vor.

Diesen Betrachtungen sei es mir erlaubt eine andere, gewagtere, anzuschließen. Liegt nicht auch in der inneren Wärme des Erdkörpers, auf welche Thermometerversuche über Quellen, die aus verschiedenen Tiefen emporsteigen, und Beobachtungen über die Vulkane hindeuten, die Ursache eines der wunderbarsten Phänomene, welche die Petrefaktenkunde uns darbietet? Tropische Tiergestalten, baumartige Farrenkräuter, Palmen und Bambusgewächse liegen vergraben im kalten Norden. Überall zeigt uns die Urwelt eine Verteilung organischer Bildungen, mit welcher die dermalige Beschaffenheit der Klimate im Widerspruch steht. Zur Lösung eines so wichtigen Problems hat man mehrerlei Hypothesen ersonnen: Annäherung eines Kometen, veränderte Schiefe der Ekliptik, vermehrte Intensität des Sonnenlichtes. Keine derselben hat den Astronomen, den Physiker und den Geognosten zugleich befriedigen können. Ich lasse gern unverändert die Achse der Erde, oder das Licht der Sonnenscheibe, aus deren Flecken ein berühmter Sternkundiger Fruchtbarkeit und Mißwachs der Felder erklärt hat; aber ich glaube zu erkennen, daß in jeglichem Planeten, unabhängig von seinen Verhältnissen zu einem Zentralkörper und von seinem astronomischen Stande, mannigfaltige Ursachen der Wärmeentbindung liegen: durch Oxydationsprozesse, Niederschläge und chemisch veränderte Kapazität der Körper, durch Zunahme elektromagnetischer Ladung, durch geöffnete Kommunikation zwischen den inneren und äußeren Teilen.

 

Wo in der Vorwelt die tiefgespaltete Erdrinde aus ihren Klüften Wärme ausstrahlte, da konnten vielleicht jahrhundertelang, in ganzen Länderstrecken, Palmen und baumartige Farrenkräuter und alle Tiere der heißen Zone gedeihen. Nach dieser Ansicht der Dinge, die ich in einem eben erschienenen Werke: Geognostischer Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Hemisphären, bereits angedeutet habe, wäre die Temperatur der Vulkane die des inneren Erdkörpers selbst; und dieselbe Ursach, welche jetzt so schauervolle Verwüstungen anrichtet, hätte einst, auf der neu oxydierten Erdrinde, auf den tief zerklüfteten Felsschichten, unter jeglicher Zone den üppigsten Pflanzenwuchs hervorrufen können.

Ist man geneigt anzunehmen, um die wunderbare Verteilung der Tropenbildungen in ihren alten Grabstätten zu erklären, daß langbehaarte, elephantenartige Tiere, jetzt von Eisschollen umschlossen, einst den nördlichen Klimaten ursprünglich eigen waren, und daß ähnliche, demselben Haupttypus zugehörige Bildungen, wie Löwen und Luchse, zugleich in ganz verschiedenen Klimaten leben konnten, so würde eine solche Erklärungsweise sich doch wohl nicht auf die Pflanzenprodukte ausdehnen lassen. Aus Gründen, welche die Physiologie der Gewächse entwickelt, können Palmen, Pisanggewächse und baumartige Monokotyledonen nicht die Beraubung ihrer Appendikular-Organe durch nordische Kälte ertragen; und in dem geognostischen Problem, das wir hier berühren, scheint es mir schwer, Pflanzen- und Tierbildungen voneinander zu trennen. Dieselbe Erklärungsart muß beide Bildungen umfassen.

Ich habe am Schluß dieser Abhandlung den Tatsachen, die in den verschiedensten Weltgegenden gesammelt worden sind, unsichere hypothetische Vermutungen angereiht. Die philosophische Naturkunde erhebt sich über die Bedürfnisse einer bloßen Naturbeschreibung. Sie besteht nicht in einer sterilen Anhäufung isolierter Tatsachen. Dem neugierig regsamen Geiste des Menschen sei es erlaubt, bisweilen aus der Gegenwart in das Dunkel der Vorzeit hinüberzuschweifen, zu ahnden, was noch nicht klar erkannt werden kann und sich so an den alten, unter vielerlei Formen wiederkehrenden Mythen der Geognosie zu ergötzen.

Die Lebenskraft oder der modische Genius

Eine Erzählung

Die Syrakuser hatten ihre PoikileIn der ποικίλη (στοά), der gemalten Halle an der Nordseite des Marktes zu Athen, befanden sich mehrere Wandgemälde, besonders des Polygnotos Darstellung der Schlacht bei Marathon. wie die Athener. Vorstellungen von Göttern und Heroen, griechische und italische Kunstwerke bekleideten die bunten Hallen des Portikus. Unablässig sah man das Volk dahin strömen: den jungen Krieger, um sich an den Taten der Ahnherren, den Künstler, um sich an dem Pinsel großer Meister zu weiden. Unter den zahllosen Gemälden, welche der emsige Fleiß der Syrakuser aus dem Mutterlande gesammelt hatte, war nur eines, das seit einem vollen Jahrhunderte die Aufmerksamkeit aller Vorübergehenden auf sich zog. Wenn es dem olympischen Jupiter, dem Städtegründer Kekrops, dem Heldenmut des Harmodius und Aristogiton an Bewunderern fehlte, so stand um jenes Bild das Volk in dichten Rotten gedrängt. Woher diese Vorliebe für dasselbe? War es ein gerettetes Werk des Apelles oder stammte es aus der Malerschule des Callimachus her? Nein, Anmut und Grazie strahlten zwar aus dem Bilde hervor, aber an Verschmelzung der Farben, an Charakter und Stil des Ganzen durfte es sich mit vielen andern in der Poikile nicht messen.

Das Volk staunt an und bewundert, was es nicht versteht, und diese Art des Volks begreift viele Klassen unter sich. Seit einem Jahrhundert war das Bild aufgestellt und unerachtet Syrakus in seinen engen Mauern mehr Kunstgenie umfaßte als das ganze übrige meerumflossene Sizilien, so blieb der Sinn desselben doch immer unenträtselt. Man wußte nicht einmal bestimmt, in welchem Tempel dasselbe ehemals gestanden habe. Denn es ward von einem gestrandeten Schiffe gerettet; und nur die Waren, welche dieses führte, ließen ahnden, daß es von Rhodus kam.

An dem Vorgrunde des Gemäldes sah man Jünglinge und Mädchen in eine dichte Gruppe zusammengedrängt. Sie waren ohne Gewand, wohlgebildet, aber nicht von dem schlanken Wuchse, den man in den Statuen des Praxiteles und Alkamenes bewundert. Der stärkere Gliederbau, welcher Spuren mühevoller Anstrengungen trug, der menschliche Ausdruck ihrer Sehnsucht und ihres Kummers, alles schien sie des Himmlischen oder Götterähnlichen zu entkleiden und an ihre irdische Heimat zu fesseln. Ihr Haar war mit Laub und Feldblumen einfach geschmückt. Verlangend streckten sie die Arme gegeneinander aus; aber ihr ernstes, trübes Auge war nach einem Genius gerichtet, der, von lichtem Schimmer umgeben, in ihrer Mitte schwebte. Ein Schmetterling saß auf seiner Schulter, und in der Rechten hielt er eine lodernde Fackel empor. Sein Gliederbau war kindlich rund, sein Blick himmlisch lebhaft. Gebieterisch sah er auf die Jünglinge und Mädchen zu seinen Füßen herab. Mehr Charakteristisches war an dem Gemälde nicht zu unterscheiden. Nur am Fuße glaubten einige noch die Buchstaben ζ und ς zu bemerken, woraus man (denn die Antiquarier waren damals nicht minder kühn als jetzt) den Namen eines Künstlers Zenodorus, also gleichnamig mit dem späteren Koloßgießer, sehr unglücklich zusammensetzte.

Dem modischen Genius, so nannte man das rätselhafte Bild, fehlte es indes nicht an Auslegern in Syrakus. Kunstkenner, besonders die jüngsten, wenn sie von einer flüchtigen Reise nach Korinth oder Athen zurückkamen, hätten geglaubt alle Ansprüche auf Talent verleugnen zu müssen, wenn sie nicht sogleich mit einer neuen Erklärung hervorgetreten wären. Einige hielten den Genius für den Ausdruck geistiger Liebe, die den Genuß sinnlicher Freuden verbietet; andere glaubten, er solle die Herrschaft der Vernunft über die Begierden andeuten. Die Weiseren schwiegen, ahndeten etwas Erhabeneres und ergötzten sich in der Poikile an der einfachen Komposition der Gruppe.

So blieb die Sache immer unentschieden. Das Bild ward mit mannigfachen Zusätzen kopiert und nach Griechenland gesandt, ohne daß man auch nur über seinen Ursprung je einige Aufklärung erhielt. Als einst mit dem Frühaufgang der Plejaden die Schiffahrt ins Agäische Meer wieder eröffnet ward, kamen Schiffe aus Rhodus in den Hafen von Syrakus. Sie enthielten einen Schatz von Statuen, Altären, Kandelabern und Gemälden, welche die Kunstliebe der Dionyse in Griechenland hatte sammeln lassen. Unter den Gemälden war eines, das man augenblicklich für ein Gegenstück zum modischen Genius erkannte. Es war von gleicher Größe und zeigte ein ähnliches Kolorit, nur waren die Farben besser erhalten. Der Genius stand ebenfalls in der Mitte, aber ohne Schmetterling, mit gesenktem Haupte, die erloschene Fackel zur Erde gekehrt. Der Kreis der Jünglinge und Mädchen stürzte in mannigfachen Umarmungen gleichsam über ihm zusammen; ihr Blick war nicht mehr trübe und gehorchend, sondern kündigte den Zustand wilder Entfesselung, die Befriedigung lang genährter Sehnsucht an.

Schon suchten die syrakusischen Altertumsforscher ihre vorigen Erklärungen vom modischen Genius umzumodeln, damit sie auch auf dieses Kunstwerk paßten, als der Tyrann Befehl gab, es in das Haus des Epicharmus zu tragen. Dieser Philosoph aus der Schule des Pythagoras wohnte in dem entlegenen Teile von Syrakus, den man Tyche nannte. Er besuchte selten den Hof der Dionyse: nicht, als hätten nicht ausgezeichnete Männer aus allen griechischen Pflanzstädten sich um ihn versammelt, sondern weil solche Fürstennähe auch den geistreichsten Männern von ihrem Geiste und ihrer Freiheit raubt. Er beschäftigte sich unablässig mit der Natur der Dinge und ihren Kräften, mit der Entstehung von Pflanzen und Tieren, mit den harmonischen Gesetzen, nach denen Weltkörper im großen und Schneeflocken und Hagelkörner im kleinen sich kugelförmig ballen. Da er überaus bejahrt war, so ließ er sich täglich in die Poikile und von da nach Nasos an den Hafen führen, wo ihm im weiten Meere, wie er sagte, sein Auge ein Bild des Unbegrenzten, Unendlichen gab, nach dem der Geist vergebens strebt. Er ward von dem niederen Volke und doch auch von dem Tyrannen geehrt. Diesem wich er aus, wie er jenem freudig und oft hülfreich entgegenkam.

Epicharmus lag jetzt entkräftet auf seinem Ruhebette, als der Befehl des Dionysius ihm das neue Kunstwerk sandte. Man hatte Sorge getragen, ihm eine treue Kopie des rhodischen Genius mitzuüberbringen, und der Philosoph ließ beide nebeneinander vor sich stellen. Sein Blick war lange auf sie geheftet, dann rief er seine Schüler zusammen und hub mit gerührter Stimme an:

»Reißt den Vorhang von dem Fenster hinweg, daß ich mich noch einmal weide an dem Anblick der reichbelebten lebendigen Erde! Sechzig Jahre lang habe ich über die inneren Triebräder der Natur, über den Unterschied der Stoffe gesonnen, und erst heute läßt der modische Genius mich klarer sehen, was ich sonst nur ahndete. Wenn der Unterschied der Geschlechter lebendige Wesen wohltätig und fruchtbar aneinanderkettet, so wird in der anorganischen Natur der rohe Stoff von gleichen Trieben bewegt. Schon im dunklen Chaos häufte sich die Materie und mied sich, je nachdem Freundschaft oder Feindschaft sie anzog oder abstieß. Das himmlische Feuer folgt den Metallen, der Magnet dem Eisen; das geriebene Electrum bewegt leichte Stoffe; Erde mischt sich zur Erde; das Kochsalz gerinnt aus dem Meere zusammen, und die saure Feuchte der Stypteria (στυπτηρία υργά) wie das wollige Haarsalz Trichitis lieben den Ton von Melos. Alles eilt in der unbelebten Natur, sich zu dem Seinen zu gesellen. Kein irdischer Stoff (wer wagt es, das Licht diesen beizuzählen?) ist daher irgendwo in Einfachheit und reinem, jungfräulichem Zustande zu finden. Alles strebt von seinem Entstehen an zu neuen Verbindungen; und nur die scheidende Kunst des Menschen kann ungepaart darstellen, was ihr vergebens im Inneren der Erde und in dem beweglichen Wasser- oder Luftozeane sucht. In der toten anorganischen Materie ist träge Ruhe, solange die Bande der Verwandtschaft nicht gelöst werden, solange ein dritter Stoff nicht eindringt, um sich den vorigen beizugesellen. Aber auch auf diese Störung folgt dann wieder unfruchtbare Ruhe.

Anders ist die Mischung derselben Stoffe im Tier- und Pflanzenkörper. Hier tritt die Lebenskraft gebieterisch in ihre Rechte ein; sie kümmert sich nicht um die demokritische Freundschaft und Feindschaft der Atome; sie vereinigt Stoffe, die in der unbelebten Natur sich ewig fliehen, und trennt, was in dieser sich unaufhaltsam sucht.

Tretet näher um mich her, meine Schüler, und erkennet im modischen Genius, in dem Ausdruck seiner jugendlichen Stärke, im Schmetterling auf seiner Schulter, im Herrscherblick seines Auges das Symbol der Lebenskraft, wie sie jeden Keim der organischen Schöpfung beseelt. Die irdischen Elemente zu seinen Füßen streben gleichsam ihrer eigenen Begierde zu folgen und sich miteinander zu mischen. Befehlend droht ihnen der Genius mit aufgehobener, hochlodernder Fackel und zwingt sie, ihrer alten Rechte uneingedenk, seinem Gesetze zu folgen.

Betrachtet nun das neue Kunstwerk, welches der Tyrann mir zur Auslegung gesandt; richtet eure Augen vom Bilde des Lebens ab auf das Bild des Todes. Aufwärts entschwebt ist der Schmetterling, ausgelodert die umgekehrte Fackel, gesenkt das Haupt des Jünglings. Der Geist ist in andere Sphären entwichen, die Lebenskraft erstorben. Nun reichen sich Jünglinge und Mädchen fröhlich die Hände. Nun treten die irdischen Stoffe in ihre Rechte ein. Der Fesseln entbunden, folgen sie wild nach langer Entbehrung ihren geselligen Trieben; der Tag des Todes wird ihnen ein bräutlicher Tag. – So ging die tote Materie, von Lebenskraft beseelt, durch eine zahllose Reihe von Geschlechtern, und derselbe Stoff umhüllte vielleicht den göttlichen Geist des Pythagoras, in welchem vormals ein dürftiger Wurm in augenblicklichem Genusse sich seines Daseins erfreute.

 

Geh, Polykles, und sage dem Tyrannen, was du gehört hast! Und ihr, meine Lieben, Euryphamos, Lysis und Skopas, tretet näher und näher zu mir! Ich fühle, daß die schwache Lebenskraft auch in mir den irdischen Stoff nicht lange mehr beherrschen wird. Er fordert seine Freiheit wieder. Führt mich noch einmal in die Poikile, und von da ans offene Gestade. Bald werdet ihr meine Asche sammeln!«