Loe raamatut: «Reisen im Sudan»

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Alfred Edmund Brehm (1829-1884) Die Forschungsreise in den Sudan machte ihn auf einen Schlag so berühmt, dass er bereits im Alter von 20 Jahren in die Akademie der Naturforscher aufgenommen wurde. Heute ist er der wohl bekannteste Autor populärwissenschaftlicher zoologischer Literatur.

Dr. Helmut Arndt

gelangen als Kenner und Liebhaber historischer Reiseliteratur schon mehrfach bemerkenswerte Wiederentdeckungen, so u.a. Helmuth Graf von Moltkes Unter dem Halbmond und Vivant Denons Mit Napoleon in Ägypten.

Zum Buch

„Noch sind wir weit entfernt, das tierische Leben erkannt zu haben, und noch studieren wir an Tieren, in der Absicht, uns selbst kennenzulernen.“ Alfred Edmund Brehm

Auch heute ist Brehms Tierleben noch jedem ein Begriff – dass der Begründer eines der prominentesten zoologischen Nachschlagewerke die Tiere auch in freier Wildbahn studierte, wissen hingegen nur wenige. Die Faszination für die Zoologie gab Brehms Vater, selbst ein bekannter Ornithologe, an seinen Sohn weiter. Im Jahr 1847 bricht Alfred Brehm sein Architekturstudium ab, um den Vogelkundler Baron Johann Wilhelm von Müller auf eine Forschungsreise nach Afrika zu begleiten. Während der fünfjährigen Expedition reist er von Kairo über Karthoum bis nach Kurdufan durch Savanne und Urwälder und teilt mit gefährlichen Leoparden, Elefanten, wilden Löwen und Büffelherden einen Lebensraum. Die Ausbeute dieses Abenteuers ist ein sehr lebendiger, detaillierter und bisweilen äußerst humorvoller Bericht über die faszinierende Tierwelt Afrikas und die Menschen dieser Region.

1847, ein Jahr nach dem Abbruch seines Architekturstudiums, begleitet Brehm den Ornithologen Johann Wilhelm von Müller auf eine Expedition durch die Dschungel und Savannen Ägyptens, dem Sudan und der Sinai-Halbinsel. Schon im Morgengrauen ist der Forscher auf der Pirsch: Er erlegt Antilopen und Hyänen, beobachtet Gorillas und Krokodile und die unzählbaren Vogelarten Afrikas. Doch die Reise ist keine Safari im heutigen Sinne des Wortes, denn der damals gerade einmal 18-jährige kämpft beständig gegen das unwirtliche Klima, Krankheit und die hartnäckigen Missionierungsversuche seiner jesuitischen Begleiter. Brehms detaillierter Bericht über seinen Sudanaufenthalt ist weit mehr als eine aufschlussreiche Dokumentation einer zoologischen Forschungsreise. Dank dem erzählerischen Talent des Verfassers wird er zur spannenden Abenteuerlektüre, die uns einen bereichernden Einblick in die Kultur von Menschen einer uns gänzlich fremdartigen Region vermittelt.

DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER


Alfred Edmund Brehm

Reisen im Sudan

Entdeckungen

zwischen Nil und Wüste

1847–1852

Herausgegeben, bearbeitet

und eingeleitet von Helmut Arndt

Mit 49 zeitgenössischen

Darstellungen und 1 Karte


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013

Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2012

Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

nach der Gestaltung von Nele Schütz Design, München

Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin

eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0290-1

www.marixverlag.de

INHALT

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Verfassers

I. Einleitung

II. Die ersten Tage in Ägypten

III. Reise auf dem Nil

IV. Die Wüste und ihr Leben

V. Im Belled el Sudan

VI. Khartum und seine Bewohner

VII. Fremdenleben in Khartum

VIII. Sklaven und Sklavenjagd

IX. Reise nach Kordofan

X. Zweiter Aufenthalt in Khartum. Rückkehr nach Ägypten

XI. Zweite Reise nach dem Sudan

XII. Vier Monate im Sudan

XIII. Jagdreise in den tropischen Wäldern des Blauen Flusses

XIV. Freuden und Leiden während des letzten Aufenthaltes in Khartum

XV. Eine Nilfahrt von Khartum nach Kairo

Schluss

Anmerkungen des Herausgebers

Literaturangaben


Umschlagbild der Erstausgabe

VORWORT DES HERAUSGEBERS

I

Denkt man heute an den Sudan, fallen einem der Südsudan, Darfur, Gewalt und Konflikte ein – ein instabiler Staat zwischen Krieg und Frieden. Das war – wie man sehen wird – zu Brehms Zeiten nicht anders.

Relative Ruhe und Konsolidation brachte das anglo-ägyptische Kondominium (1895–1955); der arabisch geprägte Norden und der christlich-animistische Süden bildeten de facto eine englische Kolonie, ohne direkt zum Empire zu gehören. In diesen 60 Jahren des pax britannica gewann der Sudan unter britischer Kolonialregie eine passable Infrastruktur und – vornehmlich im Norden – Investitionen in Wirtschaft und Bildung. Der Süden verblieb dank der Missionstätigkeit und der schützenden Abschottung durch die Kolonialmacht ein weitgehend isoliertes Territorium. Die dabei praktizierte Abtrennung vertiefte die bestehenden ethnischen, religiösen und sprachlichen Eigenheiten und legte die Wurzeln für die Abspaltung des Südens, die nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges zu der im Juli 2011 erreichten Eigenstaatlichkeit aufgrund eines erfolgreichen Referendums führte.

Der Sudan gewann am 1.1.1956 als Gesamtstaat die Souveränität – als eines der ersten Länder Schwarzafrikas. Unmittelbar darauf begann das Bestreben der politischen Gruppierungen des Nordens, den gesamten Sudan unter zentralistischer Einbindung des Südens zu einem arabisch-islamistischen Gesamtstaat zu formieren. Im Widerstand dagegen bildete sich die »Südsudanesische Befreiungsfront«, eine Resistance-Bewegung, die mit den Anya-Anya Milizen einen fast zwanzigjährigen erbitterten Bürgerkrieg gegen das reguläre Militär des Nordens führte, bis dieser erste Krieg mit dem Frieden von Addis Abeba 1972 ein vorläufiges Ende fand. Das Resultat bildeten etwa eine Million Tote, hunderttausende Flüchtlinge und ein weitgehend verwüstetes Land. Die vom damaligen Staatschef General Numeri zugesagte Autonomie stand auf schwachen Füßen.

Nach einem parlamentarischen Experiment hatte schon 1958 das Militär unter General Aboud die Regierungsgewalt übernommen. Von zeitlich begrenzten zivilen Perioden abgesehen, in denen sich Nationale Unionisten und Mahdisten abwechselten, ist der Sudan unter Militärherrschaft verblieben. General Djafar Numeri regierte von 1969 bis 1985, ihm folgte der gegenwärtige Machthaber Brigadier Omar Hassan al-Baschir, der sich in einem unblutigen Coup d’Etat an die Macht putschte.

Mit der Einführung der Scharia, des islamischen Rechts im Südsudan durch General Numeri und die auch auf saudi-arabischen Druck erfolgende Islamisierung endete für den Süden der ohnehin brüchige Waffenstillstand von 1972. Von 1983 bis 2005 bekämpften sich die Milizen des »Sudanese People’s Liberation Movement« und die Armee des Nordens in einem weiteren über 20 Jahre währenden blutigen Bürgerkrieg, der sich durch Intemationalisierung – wie schon zuvor – noch verschärfte. Militärhilfe der Sowjetunion, Ägyptens und Libyens auf der einen, Israels und Äthiopiens auf der anderen Seite weiteten den Konflikt zu Stellvertreterkriegen aus.

Der zweite Bürgerkrieg ruinierte den Süden vollends, der Verwüstung fiel fast die gesamte bescheidene Infrastruktur des Landes zum Opfer: Kirchen, Schulen, Kliniken. Die Zivilbevölkerung geriet zwischen die Fronten, eine riesige Flüchtlingsbewegung entwurzelte rund 2–3 Millionen Menschen. Krieg und Gewalt führten zu neuen Formen der im Sudan von jeher praktizierten Sklaverei: verschleppte Kinder besonders geraten in Zwangsarbeit und sexuelle Ausbeutung.

Vergleicht man die Schilderungen Brehms fast 200 Jahre zuvor, wirkt vieles erschreckend bekannt. Nach dem Tod von nahezu 2 Millionen Menschen, vorwiegend Nichtkombattanten, kommt mit dem Naivasha-Abkommen im Februar 2005 endlich der Frieden.

Das darin vorgesehene Referendum über die Zukunft des Südsudan führt 2011 in die Unabhängigkeit. Konflikte mit dem Norden wie über die territoriale Zugehörigkeit des Erdölgebiets von Abyei sind vorprogrammiert.

Noch während des Krieges im Süden bricht im entlegenen Westen, in der Provinz Darfur, ein Aufruhr aus, der weder religiös noch ethnisch bedingt erscheint. Die 6 Millionen Einwohner des an Tschad und Zentralafrika grenzenden Westdarfurs sind Muslime, die sich in ihren Lebensgewohnheiten jedoch unterscheiden: sesshaften, Ackerbau betreibenden Fur stehen Kamel- und Rindernomaden gegenüber, Viehzüchter; Stammeskonflikte um Wasser- und Weideland sind stets präsent.

Zur Unterdrückung des Aufstands bedient sich die Regierung in Khartum des Einsatzes lokaler Nomadenbanden, der sogenannten »Dschandschawid«, schweifender Kamelreiterkorps, die in brutaler Weise die Bevölkerung terrorisieren. Auch hier werden die Toten dieses Genozids auf nahezu 1 Million geschätzt, 2 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, in Lagern im Sudan oder im Tschad. 2007 kam es durch die Vereinten Nationen zu einer Friedensmission, die sich – aus afrikanischen Kontingenten bestehend – als nicht sonderlich effizient erwiesen hat. Ob es in Darfur zur Pazifikation oder zur Sezession kommen wird, ist schwer voraussehbar.

So bleibt der Sudan – wie auch schon zu Brehms Zeiten – im Zwielicht zwischen Rasse und Religion, zwischen Chaos und Hoffnung.

II

Als Alfred Brehm 1847 zu seiner Reise in den Sudan in Alexandrien landete, lebte Mohammed-Ali noch, der Ägypten seit 1805 beherrschte. Dem Namen nach türkischer Pascha eines Osmanischen Reichsteils, in Wahrheit absoluter Herrscher und Schöpfer des modernen Ägyptens, wurde er zum Begründer der Dynastie der Khediven und nachmaligen Könige von Ägypten, die bis zur Ausrufung der Republik am 18. Juni 1953 den Thron innehatten.

1769 geboren, aus einer albanischen Familie aus Kavala in Mazedonien stammend, kam er kaum dreißigjährig als Leutnant mit dem türkischen Kontingent nach Ägypten, das die Pforte gegen das Expeditionskorps Napoleons entsandt hatte. Wie man sich erinnert, war Bonaparte am 1. Juli 1798 in der Absicht, die englischen Handelswege im Mittelmeer und nach Indien zu unterbrechen, vor Alexandrien erschienen und hatte – wenngleich unter Verlust seiner Flotte bei Abukir – binnen eines Jahres Unter- und Oberägypten erobert und der Herrschaft der Mamelukken ein Ende bereitet.

Am 24. August 1799 kehrt Napoleon nach Frankreich zurück. Zwei Jahre später kapitulieren die Reste seiner Armee. In den Kämpfen mit den Franzosen wusste sich Mohammed-Ali in jeder Hinsicht hervorzutun, bis ihm der türkische Gouverneur das Kommando über das albanische Korps übertrug. In den nun folgenden Auseinandersetzungen zwischen Türken und Mamelukken um die Herrschaft über Ägypten versteht es Mohammed-Ali, sich durch geschicktes Lavieren in der Mitte zwischen den Parteien zu halten und in der Stille die Vernichtung beider zu betreiben. Es waren die ersten Schritte einer militärischen und staatsmännischen Karriere, die für Ägypten eine neue Ära bedeutete und die die europäischen Mächte in ihrer Orientpolitik für ein halbes Jahrhundert vor weitreichende Probleme stellen sollte. Die orientalische Frage und die Rolle Ägyptens sind das Werk seines Einsatzes und seiner Ambitionen. Binnen weniger Jahre gelingt es Mohammed-Ali, in den Wirrnissen Ägyptens nach dem Abzug der Franzosen die Macht zu erringen. Anstelle des vertriebenen türkischen Gouverneurs zum Pascha ausgerufen und von der Pforte bestätigt, nimmt er 1805 von der Zitadelle in Kairo Besitz. Als die Engländer Alexandrien und Rosette besetzen – die Napoleonischen Kriege in Europa dauern an –, einigt sich Mohammed-Ali mit den Mamelukken und schlägt die englischen Truppen. Seit 1807 ist Ägypten frei von fremder Besetzung; dank Mohammed-Ali bleibt es auch für weitere 75 Jahre von ausländischen Invasionen verschont, bis 1882 Franzosen und Engländer – zur Schuldenverwaltung – das Land erneut in Besitz nehmen, auf längere Zeit bleiben und Ägypten letztlich erst nach der Suez-Expedition von 1956 endgültig räumen. Anschließend entledigt sich Mohammed-Ali der Mamelukken, indem er die Beïs nach Kairo einlädt und sie, 480 an der Zahl, am 1. März 1811 auf der Zitadelle von seinen Albanesen umbringen lässt. Im gleichen Jahr bekriegt er im Auftrag der Pforte die Wahhabiten in Arabien. Bis 1816 dauert der Feldzug. Einen erneuten Aufstand schlägt sein Sohn Ibrahim-Pascha, ein Feldherrntalent ersten Ranges, 1819 nieder. Das Rote Meer wird von der Seeräuberei gesäubert; Mekka und Medina, die heiligen Stätten des Islam, geraten – formell bei der Pforte bleibend – zusehends in den ägyptischen Einflussbereich.

Nun beginnen Mohammed-Alis militärische Reformen. Seine zügellosen Albanesen beschäftigt er auf dem Feldzug in den Sudan, der noch näher zu schildern ist, und bildet in Ägypten aus Fellachen, Nubiern und Sudanesen nach französischem Vorbild eine Armee, die 1823–1827 im griechischen Unabhängigkeitskrieg Gelegenheit findet, ihre Tüchtigkeit zu beweisen. Sein Hauptaugenmerk gilt der Ausrüstung einer schlagkräftigen Flotte, die teils in Europa gekauft, teils auf den neuen, von ihm ins Leben gerufenen Werften in Alexandrien gebaut wird. 1823 schlägt sie im Verein mit türkischen Kräften den Aufstand der Griechen auf Kreta nieder und besetzt die Inseln der Ägäis. Als seine Landungstruppen, in denen bereits sudanesische Kontingente kämpfen, auf dem Peloponnes die Griechen zu besiegen drohen, greifen die europäischen Großmächte ein. In der Seeschlacht von Navarino, im Oktober 1827, vernichten die Geschwader der französischenglisch-russischen Tripelallianz die vereinigte türkisch-ägyptische Flotte, und Mohammed-Alis Truppen müssen Griechenland räumen.

Trotz der Niederlage stellte Ägypten um 1830 eine Macht dar, mit der die europäischen Mächte zu rechnen hatten und die sich für das Osmanische Reich als lebensbedrohend erweisen sollte. Das Interesse Mohammed-Alis ist in diesen Jahren darauf gerichtet, sich von der Oberherrlichkeit der Pforte freizumachen und seiner Dynastie die Erblichkeit der Herrschaft über Ägypten zu sichern. Mit 61 Jahren musste es ihm darum zu tun sein, seine faktische Unabhängigkeit auch völkerrechtlich anerkannt zu sehen.

Nur zu gut war ihm der enge Spielraum dieses Terrains bewusst, wollte er sich nicht die dünne türkische Oberschicht Ägyptens in ihrer nach wie vor bestehenden Loyalität gegenüber dem Sultan entfremden. Nach der Niederlage der Pforte hielt er den Zeitpunkt für gekommen, seine Ziele zu verwirklichen. Seine Ambitionen waren zu weit gediehen, als dass er sie nicht auch gegen den Willen seines Souveräns durchzusetzen entschlossen war. Zuvörderst erstrebte er die Angliederung Syriens an Ägypten. Zu Beginn des Jahres 1832 rückte Ibrahim in Syrien ein und stand nach Jahresfrist als Sieger mitten in Kleinasien. Er schlug die Türken bei Homs, bezwang die anatolischen Pässe, errang einen weiteren Sieg bei Konya; der Weg nach Konstantinopel stand offen. Angesichts der kritischen Lage der Pforte und der daraus resultierenden Gefährdung des internationalen Gleichgewichts intervenierten die europäischen Mächte, und im Frieden von Konya gelang es der Pforte, günstige Bedingungen zu erreichen. Zwar wurde der Anschluss Syriens an Ägypten vollzogen, aber der weitere Siegeszug Mohammed-Alis blieb blockiert. Der Jubel, der in Syrien den neuen Statthalter Ibrahim-Pascha begrüßte, verflog rasch; das ägyptische Regime mit seinen rigorosen Steuereintreibungen und zahllosen Zwangsrekrutierungen für die Armee empfand man bald als stärkere Unterdrückung denn die vorausgegangene Türkenherrschaft. Als ebenso kurzfristig sollte sich mehr als ein Jahrhundert später der analoge Enthusiasmus Syriens beim Anschluss an Nassers Ägypten erweisen. Die Unzufriedenheit in Syrien wuchs, Aufstände mehrten sich, Sultan Mahmoud II. setzte seine Armee gegen Ibrahim in Marsch. Bei Nisib, westlich vom Euphrat, wurden die türkischen Truppen am 24. Juni 1839 von Ibrahim-Pascha wiederum vernichtend geschlagen. Jedoch abermals intervenierten die europäischen Mächte. Konnte man dulden, dass die Landenge von Suez in die Hände eines jungen und soliden Staates geriet? War es nicht vorteilhafter, den Weg nach Indien, an den Persischen Golf und nach Südostasien in der Obhut des schwachen Osmanischen Reiches zu wissen? Darüber hinaus musste die Auflösung der osmanischen Türkei alle Interessengegensätze der Mächte aufleben lassen, seine Erneuerung unter Mohammed-Ali erschien noch weniger wünschenswert. So sprach alles dafür, den Sultan in Konstantinopel zu stützen. Unter den religiösen Gemeinschaften im Libanon wurden Waffen verteilt; Christen und Drusen revoltierten. Ein englisch-österreichisches Landungskorps eroberte Beirut und schlug Ibrahims Truppen im Libanon. Die englische Flotte vor Alexandria erzwang die endliche Unterwerfung Mohammed-Alis. Am 1. Juli 1841 erging der Investiturfirman der Pforte, der für seine Familie die Erblichkeit der Herrschaft über Ägypten nach Maßgabe des in der Türkei geltenden Thronfolgegesetzes zugestand, den der Pforte zu zahlenden jährlichen Tribut auf 80.000 Beutel (rund sechseinhalb Millionen Goldmark) festsetzte, die Räumung Syriens und aller anderen eroberten Gebiete sowie die Rückgabe der übergelaufenen türkischen Flotte vorsah und dem Vizekönig das Recht zum Abschluss nichtpolitischer Verträge und die Ernennung der Beamten sowie der Offiziere seines auf nominale Stärke beschränkten Heeres zugestand.

Als Brehm sechs Jahre nach diesen Ereignissen das Ägypten Mohammed-Alis bereiste, war dieser ein nahezu achtzigjähriger Greis. Die Unterwerfung unter die Souveränität des Sultans und damit das zumindest partielle Scheitern seiner Pläne hatten ihn erschöpft, gegen Ende seines Lebens verließ ihn die geistige Schaffenskraft, so dass 1848 die Belehnung Ibrahims mit der Regierung erforderlich wurde, nachdem schon seit 1844 in den letzten Jahren seiner Herrschaft sein Sohn an den Staatsgeschäften teilgenommen hatte. Am 2. August 1849 starb Mohammed-Ali, ihm folgte sein Enkel Abbas I.

Die Leistung Mohammed-Alis für Ägypten kann heute nicht hoch genug veranschlagt werden. Wenn in unserer Zeit Ägypten zur Vormacht der arabischen Staatenwelt wurde, so beruhen die Fundamente hierfür nicht zuletzt auf den von ihm geschaffenen Strukturen. Fürst Pückler, der zu seinen Bewunderern gehört und von dem wir eine der lebhaftesten Schilderungen Ägyptens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besitzen, schreibt von ihm:

»Die unbestreitbaren spezielleren Verdienste Mohammed-Alis, wie sie als Fakta vor aller Augen stehen, sind Folgende: Er hat mit bewunderungswürdigem Organisationstalent in einem der verwahrlosesten und verwildertsten Ländern der Welt Ordnung und Sicherheit, die ersten Bedürfnisse eines zivilisierten Staates, herzustellen gewusst. Er hat in der Ausübung der Justiz und in der Verwaltung innerhalb seines Gebiets mehr Gerechtigkeit und feste Norm eingeführt, als in irgendeinem anderen orientalischen Staate noch existiert. Er hat den Fanatismus gebändigt, eine größere Toleranz in religiösen Dingen geübt, als in manchen christlichen Staaten stattfindet, und die Christen in seinen Ländern nicht nur beschützt, sondern selbst in einer Art bevorzugt, die fast zur Härte für die Muselmänner wurde. Er hat den Handel mit Europa nicht nur belebt, er hat ihn größtenteils neu geschaffen und durch die großartigsten Anlagen aller Art den in Ägypten gänzlich untergegangenen Sinn für Industrie wohltätig wiedererweckt. Er hat für die Bildung der künftigen Generation ein Erziehungs- und Schulwesen gegründet, von dem man vor ihm im Orient seit Jahrhunderten gar keinen Begriff mehr hatte, und ungeheure Summen diesem edlen Zwecke geopfert. Er hat mehr gebaut und mehr gemeinnützige Anstalten ins Leben gerufen als irgendein Beherrscher Ägyptens seit Saladins Zeiten.«

In der Tat hat Mohammed-Ali nahezu ein halbes Jahrhundert methodisch daran gearbeitet, aus Ägypten ein modernes Land zu machen. Seine Landwirtschaftsreformen beruhten auf der Einführung von Bewässerungssystemen und dem Anbau neuer Kulturen, die Exportzwecken dienen sollten. Als er zu Gunsten der Baumwolle im Delta die permanente Bewässerung einführte, tat er den ersten Schritt zu einem Umschwung, auf den sich seither die Wirtschaft des Landes gründet. Er grub Kanäle, errichtete 1836 den berühmten Barrage du Nil, der die Fellachen, die bisher allein auf die Flut angewiesen waren, das ganze Jahr hindurch für ihre Saaten mit Wasser versorgte. Die einmalige Wasserversorgung während der Überschwemmungszeit wurde durch das System dauernder Bewässerung mittels zahlreicher Kanäle und Wasserläufe ersetzt. Im Gefolge kam der verstärkte Anbau von Getreiden und Hülsenfrüchten, Baumwolle, die 1821 aus Indien eingeführt wurde, Indigo, Zuckerrohr und Ölfrüchten.

Der Pascha ist Schöpfer der ägyptischen Industrien und Ölmühlen. Papier- und Glasfabriken entstanden, Arsenale, die Werft von Alexandria. Er gründete Schulen, errichtete die erste Druckerei, reformierte das Gesundheitswesen und schuf nach europäischem Vorbild eine moderne, schlagkräftige Armee. Um sein Programm verwirklichen zu können, musste er Fremde ins Land rufen. Albaner, Türken, Armenier, Griechen, eine Handvoll Europäer. Über seine Erfahrungen mit europäischen Experten befragt, gab Mohammed-Ali Pückler gegenüber, der ihm vorwarf, sich fortwährend von Abenteurern, Scharlatanen und unwissenden Projektemachern täuschen und betrügen zu lassen, die auch in unsere Zeit der Entwicklungshilfe passende Antwort: »Ich weiß«, sagte er, »dass unter fünfzig Menschen, die aus Europa kommen, um mir ihre Dienste anzubieten, neunundvierzig nur unechten Edelsteinen gleichen. Ohne sie zu erproben, kann ich aber den einen echten Brillanten, der vielleicht darunter sein mag, nicht herausfinden. Ich kaufe sie also vorläufig alle, und habe ich dann den rechten entdeckt, so ersetzt er mir oft allein den erlittenen Verlust hundertfältig.«

Seine europäischen Instruktoren, Techniker, Archäologen, Wissenschaftler, Ärzte, sind vornehmlich Franzosen. Die Namen Clot Beys, Cérisys, Bersons, Sèves oder derjenigen, die mit ihnen ins Land kamen, begegnen in Brehms Schilderung immer wieder. Der Einfluss Frankreichs war außerordentlich. Der Pascha erwies den Franzosen eine exzeptionelle Zuneigung. Er misstraute den Engländern gründlich und vermied auch späterhin möglichst jeden Kontakt mit ihnen und vergaß niemals ihre wiederholte Einmischung in das Schicksal Ägyptens.

Denkt man an Zeiten und Milieu, aus denen der kleine türkische Offizier einst hervorgegangen war, so sind sein Interesse und seine Sympathien für Frankreich bemerkenswert. Frankreich errang in Ägypten eine solide Position. Seine Offiziere organisierten die Armee, seine Techniker beherrschten den Wirtschaftsaufbau, seine Erzieher hatten Schulen gegründet, die von 10.000 Schülern besucht und deren fähigste Absolventen nach Frankreich zum Studium gesandt wurden. Selbst die Anhänger der Lehre St. Simons nahm Ägypten bereitwillig auf. Das Frankreich Louis Philippes versuchte in diesen Jahren, Ägypten zu einem Eckpfeiler seiner Mittelmeerpolitik zu machen, und wenngleich die Regierung Thiers 1840 letztlich außenpolitisch doch zurückweichen und Mohammed-Ali fallenlassen musste, so haben sich doch französischer Einfluss und Geist, Denkens- und Lebensart in Ägypten bis auf den heutigen Tag erhalten.

Mohammed-Ali, so hat man gesagt, schöpfte seine Auffassung von der Mission des Herrschers aus der Theorie der Staatsräson Machiavellis. Er hat sich in der Tat den Principe ins Türkische übersetzen und vorlesen lassen, aber man sollte dabei nicht übersehen, dass er ein orientalischer Herrscher eigenen Formats war. Er verkörperte ein zentralistisches Herrschaftssystem mit allen Vorzügen und Schwächen, wie es dem Orient von jeher unter großen Herrschern eignet. Detailkenntnis und kluges Ermessen, aber auch Ungeduld und Willkür bestimmen viele seiner Entscheidungen, es kann nicht überraschen, dass die Leistungsfähigkeit seiner Untertanen darunter litt, dass trotz hoher Steuern der Staatshaushalt ein zunehmend bedenkliches Defizit aufwies.

Einige dieser Faktoren waren für die Eroberung des Sudan, diesen letzten Ausläufer osmanischer Expansion, bestimmend. Wenngleich in der großen Szenerie nur ein Nebenschauplatz, bewirkt diese einzige nichteuropäische koloniale Eroberung in Afrika, dass der Sudan ins Licht der modernen Geschichte tritt.

Die Erinnerung daran war, als Brehm den Sudan betritt, noch frisch, die erlittenen Schrecknisse und Gräuel in der Bevölkerung noch unvergessen. Brehm selbst ist den Ereignissen auf Schritt und Tritt begegnet.

Man hat viel über die Motive zur Eroberung des Sudan gerätselt. Sie sind komplexer Natur. Allem voran steht das enorme Macht- und Geldbedürfnis des Paschas. Als Privatmann war er sparsam, sein persönlicher Aufwand konnte sich mit dem seines Nachfolgers, des Khediven Ismael, nicht messen, seine Verwaltung war vernünftig, aber sein Ehrgeiz, sein politisches Engagement verleiteten ihn zu hohen Ausgaben. 1811 hatte er 20.000 Mann unter Waffen, später waren es 100.000, eine hohe Belastung für ein Land wie Ägypten. Neben dem Problem, die albanischen und türkischen Truppen nach Beendigung des Wahhabiten-Feldzuges zu beschäftigen, hat sicherlich auch das Motiv, den Mamelukken, die sich seit 1811 in Dongola festgesetzt und einige der nördlichen Scheikïe-Stämme unterworfen hatten, endgültig den Garaus zu machen, eine Rolle gespielt. Möglicherweise besaß Mohammed-Ali die Vision von der Einheit des Niltals, eine politische Idee, die vornehmlich in der arabischen Literatur des 20. Jahrhunderts hervorgehoben wird. Der Nil wurde ein ägyptischer Fluss vom Delta bis zu den geheimnisumwitterten Bergen Zentralafrikas, in denen man seinen Ursprung vermutete.

Für die Erweiterung der Grenzen Ägyptens nach Süden war der Besitz der angeblichen sagenhaften Reichtümer des Sudan bestimmend. Der gesamte Handel Nubiens und des Sudan wickelte sich damals über Ägypten ab. Große Karawanen erreichten jährlich Siut und Assuan. Sie brachten Elfenbein und Straußenfedern, Gummiarabicum aus den Akazien Kordofans, ganze Herden von Kamelen, Pferde aus Dongola, Rinder, Esel, Rhinozeros- und Nilpferdleder, Kupfer aus Hofrat En Nahas in Darfur, Baumwollstoffe aus Sennar; aber die Reichtümer par excellence waren Gold und Sklaven – Gold aus den Gebirgen des Roten Meeres und aus Fazoghl am Fuße des abessinischen Bergmassivs, Sklaven aus den unerschlossenen Weiten Zentralafrikas.

Man hoffte auf Sklaven und Gold. Immer wieder befiehlt der Vizekönig während des Feldzuges seinen Söhnen, mehr Sklaven heranzuschaffen. Das unausgeschöpfte Sklavenreservoir der nilotischen Länder am oberen Nil sollte die durch die ständigen Kriege Mohammed-Alis entstandenen Lücken füllen. Gut disziplinierte Negerbataillons haben später die besten regulären Truppen Ägyptens gestellt – berühmt wurde das sudanesische Kontingent, das 1864 unter Bazaine in Mexiko für die Sache Kaiser Maximilians kämpfte. Sklavenarbeit blieb auch für die zahllosen industriellen und gewerblichen Unternehmen Mohammed-Alis unerlässlich; er hatte eingesehen, dass es vorteilhafter war, den ägyptischen Fellachen tunlichst auf seiner Scholle zu belassen.

Die Machtverhältnisse im Sudan luden einen weitsichtigen und ehrgeizigen Eroberer nachgeradezu ein. Seit den Tagen Sultan Selims I., dessen Truppen die Fung 1520 in der Schlacht bei Hannak schlugen, hatte das obere Niltal keine Eroberer mehr gesehen. Unternubien zwischen Assuan und Wadi Haifa, wo heute auch die ägyptisch-sudanesische Grenze verläuft, war osmanisches Einflussgebiet. Bis zur Insel Say erstreckten sich türkische Garnisonen. Um 1815 wurde nun die gelockerte Souveränität Ägyptens erneuert.

Zwischen dem 3. und 6. Katarakt erstreckte sich das Gebiet der Scheikïe-Stämme, einer losen Föderation unabhängiger Nomaden unter der nominellen Oberhoheit des Fungkönigtums in Sennar. Mit der Ankunft der Mamelukken in Dongola verminderte sich ihr Einfluss, militärisch wie politisch stellten sie keine Macht dar, mit der die Ägypter rechnen mussten. Südlich schloss sich das alte Fungkönigreich von Sennar an. Die Fung lebten an den Ufern des Blauen Nils und im Gebiet der heutigen Gezira, begrenzt durch den Weißen Nil. Um 1820 erstreckte sich die Autorität des Königs von Sennar nominell noch bis Berber im Norden, im Westen bis nach Kordofan, im Osten bis an das Rote Meer; doch das gesamte Gebiet kannte mit dem zunehmenden Zerfall des Fung-Reiches keine Herrschaft mehr, sondern lebte in stammesmäßiger Zersplitterung. Nicht nur lag das Sultanat von Sennar in den letzten Zügen seiner staatlichen Existenz, auch das im Westen gelegene alte islamische Königreich Darfur, mit der Sekundogeniturherrschaft Kordofan, befand sich in der nahezu vierzig Jahre währenden Herrschaft Sultan Mohammed Fadls in einer Periode des Niedergangs.

In Kairo war man über die Verhältnisse durch Spione und Stammesführer, die den Anschluss im Norden suchten, wohlunterrichtet. Mohammed-Alis Strategie war einfach. Im Sommer 1820 setzte er zwei Armeen in Marsch, die eine, 5.000 Mann unter dem Kommando seines Sohnes Ismael, sollte Sennar erobern, die zweite, 3.000 Mann stark, marschierte unter dem Defterdar, seinem Schwiegersohn, auf Darfur. Entlang der uralten Wasser- und Handelsstraße des Nil zogen mächtige Heeressäulen von Fußvolk, Arnauten und irreguläre Beduinen sowie ein Detachment Artillerie unter Leitung eines Amerikaners aus Massachusetts; die Herrscher einiger Nubierstämme lieferten weitere Zuzüge und die nötigen Führer. Die in Dongola verbliebenen Mamelukken flüchteten ohne Widerstand, die Stämme der Scheikïe erlagen in zwei Feldschlachten, ein anderer Teil unterwarf sich. Bei Meroe überschritt die ägyptische Armee den Nil, durchquerte die Bayudasteppe und erreichte den Fluss wieder Anfang März 1821 bei Berber. Der Scheich der Jaliin-Stämme, Nimr, ergab sich, Berber, Schendi, Halfaya fielen den Ägyptern zu. Am 14. Mai erreichte die Armee den Zusammenfluss des Blauen und Weißen Nils; 1823 sollte hier aus wenigen armseligen Fischerhütten die neue Hauptstadt Khartum entstehen.

€19,99

Žanrid ja sildid

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9783843802901
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