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Loe raamatut: «Die Bräutigame der Babette Bomberling»

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Die Bräutigame der Babette Bomberling

Der Mensch hat's nicht leicht. Das einfachste Tier hat es besser.

Wenn sich zwei Esel begegnen, weiß jeder von ihnen sofort, daß er einen Esel getroffen hat. Stehn sich zwei Menschen gegenüber, wissen sie noch lange nicht, wen sie vor sich haben. Sie ahnen nicht einmal, ob sie ihren rechten Handschuh in den rechten Handschuh des andern legen dürfen.

Denn selbst ein Name spricht selten genug.

Erst am Beruf erkennt ein guter Bürger den andern. Erst wenn man erfahren hat, womit sich der liebe Nächste, mehr oder weniger, steuerpflichtig macht, kann man die innere Sicherheit finden, die jedes positive Wissen verleiht.

Aufs Ungewisse von jedem Mitmenschen das Beste zu glauben, ehrt einen. Man soll es sogar. Aber man stößt dabei auf Überraschungen. Und Überraschungen sind selten angenehm.

Niemanden wird es beglücken, wenn sich im Theater der nette, rundliche Herr Nachbar, den man für einen gediegenen Rentier hielt, unvermutet als Sargfabrikant en gros und en detail vorstellt. Ohne Entzücken streift man nun die Eleganz seiner vollen, lächelnden Gattin, die der lebendigste Beweis für das Blühen seines Geschäftes ist. Auch wenn es der Freundliche uns nicht noch vor dem Wiederaufgehen des Vorhangs zuraunte, wir ahnten es, daß sein Umsatz von Jahr zu Jahr steigt.

Man soll dem ehrlichen Wirken seines Nächsten das reichste Gedeihen wünschen . . . Der Mensch hat's nicht leicht . . .

Keiner wußte besser Bescheid um alle Arten dieser geheimen Gedanken, als Frau Anna Bomberling, geborene Kolpe.

Sie, die seit einundzwanzig Jahren die bessere Hälfte eines Sargfabrikanten war und den blühenden Beruf ihres Gatten doch noch nicht liebgewonnen hatte.

Trotzdem er es verdient hätte. Denn sie verdankte ihm eine Lebensweise, die weit alle Mädchenträume übertraf, die sie einstmals in des Vaters Schmiede gesponnen hatte, wenn die Funken stoben und die um sich schlagenden Pferde der Fuhrleute neue Hufeisen bekamen.

Sie hatte heute nicht nur einen echten Hasenpelz, wie damals die junge Frau Amtmann, sondern wärmte sich mit Zobel und Chinchilla. Sie hatte nicht nur einen schönen Sohn, ihr Hermann war sogar Student und verkehrte nur mit den feinsten Leuten. Sie hatte nicht nur ein süßes Mädchen mit blonden Locken und blauen Schleifchen darin, ihre Babette war sogar so fein, zierlich und vornehm, daß der Vater ihr sicher befohlen hätte, die Schmiede dreimal auszufegen, ehe ein solches Fräulein über die Schwelle treten durfte. Sie hatte einen guten, zärtlichen Mann, der den ganzen Tag über nicht zu Haus war. Und doch war sie nicht glücklich.

Denn auch Gewohnheit macht es nicht schöner, wenn man immer wieder bemerken muß, daß jeder Bekannte an etwas Unangenehmes erinnert wird, sobald er einen erblickt. Es bleibt kränkend, daß Fremde, wenn sie herausgefühlt haben, wer man ist, zusammenzucken, wie wenn sie sich an einer unsichtbaren Nadel gestochen hätten.

Und das Schlimmste war, daß es Frau Anna ganz im Geheimen den Leuten immer weniger verargen konnte. Die Jahre machen erfahren. Je älter sie wurde, je besser lernte sie die anderen verstehen.

Wenn sie an grauen und regenfeuchten Tagen, trotz der wohligen Wärme ihrer feinen Zimmer, immer wieder fröstelte und Gicht und Alter zu spüren glaubte, schauerte sie entsetzt zusammen, wenn ihr Mann frisch und froh nach Haus kam, sie in die rechte Backe kniff und sagte: »Altes Mäuschen, das Geschäft blüht!«

Und wenn sie auf ihren Abonnementsplätzen im Hoftheater ein klassisches Stück mit angesehen hatten, wo am Schluß alle edlen Menschen tot ausgestreckt am Boden lagen und Bomberling dann auf dem Heimweg, in seiner Freude, daß es aus war, ein wenig zärtlich werden wollte, da kicherte sie nicht mehr, wie vielleicht früher einmal, sondern noch ganz im Bann des vielen Pathos, das sie geschluckt hatte, stieß sie ihn mit schauernder Gebärde fort und sagte:

»Laß mich zufrieden. Mit dem Tod bist du im Bund!«

Das war ungerecht. Denn trotz seines Berufes hatte August Bomberling noch nie einen Toten gesehen. Das wäre ihm ebenso unangenehm gewesen wie jedem andern Menschen.

Es war überhaupt nichts Grauenhaftes an ihm. Im Gegenteil. Er stand seinem Geschäft nicht nur in rastloser Tüchtigkeit vor, sondern mit der ganzen Heiterkeit, die ein rechtschaffener Sinn und die gesunde Regelmäßigkeit aller Körperverrichtungen dem Menschen geben.

Niemand ging aus Bomberlings Laden, dem er nicht selbst die Tür geöffnet und mit einer Verbeugung versichert hätte:

»Es war mir ein Vergnügen, beehren Sie mich wieder.«

Aber leider läßt sich das Glück der Ehe mit Fleiß und Gediegenheit allein nicht erzwingen.

August Bomberling merkte bald, daß er von dem, was ihn am meisten beschäftigte, zu Haus nicht reden durfte, wenn er's gut haben wollte. Und das wollte er. So lernte er schweigen, wo's Not tat. Das war in den ersten Ehejahren nicht immer leicht; denn Frau Anna begann sich bald mit ihrer Kleidung mehr nach dem Pariser Journal als nach dem Hauptbuch seines Geschäfts zu richten. Aber er hatte seine Frau lieb, und das half ihm vorwärts.

Ihm war überhaupt nichts zuwider.

Er konnte nicht begreifen, was man auszusetzen hatte an seinem Beruf, der ehrlich und notwendig war. Auf die natürlichste Weise von der Welt war er zu ihm gekommen. Als seine Meisterarbeit als Tischler fertig war, da hatte er den Weg ins Leben nach einer Gelegenheit entlang gespäht, die möglichst rasch vorwärts bringt. Er hatte sich auf die Schwelle der Werkstatt gesetzt und sich ruhig und klar vorgestellt, was von allen Dingen seines Handwerks wohl das gangbarste wäre. Ob es nicht etwas gäbe, was einfach ein jeder haben müsse, ob er wolle oder nicht.

An einem Tisch saßen viele. Einen Schrank hatte selten jemand allein, selbst ein Bett hat nicht jedes in der Welt für sich. Er selbst teilte das seine mit zwei kleineren Brüdern.

Da flitzte ein Pfiff über seine Lippen, ein anderes Bett war ihm eingefallen. Bei dem gab's nichts zu teilen. Das bekam der ärmste Tölpel für sich allein. Er grübelte weiter. Je mehr er sich mit diesem Gedanken beschäftigte, um so mehr Vorzüge fielen ihm ein.

Da gab's kein Umtauschen. Da gab's keine Nörgelei mit Reparaturen. Daran wurde nichts unmodern. Da ging man nicht nach langem Handeln wieder lächelnd zur Ladentür hinaus, um sich's dankend noch einmal zu überlegen. Da mußte man kaufen, da half kein Zappeln.

Immer lustigere Lieder pfiff er, während die Gedanken tanzten. Lächelnd hatte er zu Anna Kolpe hinübergeschmunzelt, die schlank und blond die Kartoffeln schälte und auf die Hufeisen sah.

An dem gleichen Abend war er zum Schmied gegangen und hatte ihm seine Pläne anvertraut. Eine Sargfabrik wollte er anfangen und sich die Anna holen, sobald das Geschäft im Schwunge war. Ob der Schmied einige Tausende wagen wollte? Es wäre eine aufgelegte Sache, und er begann ihm die Vorzüge seines gangbaren Artikels an den Fingern herzuzählen. Erstens: jeder braucht's, ob er will oder nicht. Zweitens: Umtausch ausgeschlossen. Drittens: Reparaturen . . .

Der Schmied hatte ihn unterbrochen und ihm versichert, daß er ihm auch ohne weitere Ausführlichkeiten glaube. Doch meinte er, daß sie im Dorf so etwas nicht brauchten. Er sah dabei rückwärts über seine Schulter, wie wenn er jemanden hinter sich spüre. Eine solche Sache wäre etwas für die große Stadt. Die Anna könnte er gewiß einmal kriegen, wenn er's zu etwas gebracht hätte. Dafür müsse er sich aber die paar Tausend wo anders suchen. Alles mit Maßen.

Bomberling hatte sich froh bedankt, daß er die Anna haben sollte, wenn es ihm gut gehn werde, und war zu seinem Meister geschwenkt.

Der gab ihm die paar Tausend, als er die neumodischen Pläne des Gesellen erfuhr.

Diese jungen Plänezimmerer waren am besten in der Stadt aufgehoben, die groß und entfernt war. Hier war man selber. – – –

Ehe Bomberling damals wieder heimkam, waren viele heiße Hufeisen geschmiedet worden.

Anna sah, daß Augusts Schnurrbart dick und blond war und seine Augen blau und froh blickten. Sie sagte sich, daß er in der großen Stadt wohne, wo man mitten drinnen im Leben saß. Was kümmerte sie sein dummes Geschäft, das nur für die Toten da war.

Es gab Hochzeit. Den Brautkranz in einer Tortenschachtel und viele Kisten voll neuer Wäsche, in jedem Stück ein Hufeisen eingestickt, fuhr man am andern Tage glückselig nach der Stadt. Die kleine Wohnung lag vier Treppen hoch, und die schlanke Anna war stolz über das große Stück Stadt, das sie von ihren Fenstern übersehen konnte.

Nun war das alles lange her. Die Stadt war mit jedem Zeigerdrehen gewachsen, und der Umsatz von Bomberlings Fabrik hatte Schritt mit ihr gehalten.

Man wohnte im ersten Stockwerk und war selbst ein Teil dieser großen Stadt geworden. An Kleidung sowohl, wie an der in Grenzen gehaltenen Wohlbeleibtheit war man von weitem als gut fundierter Bürger erkenntlich.

Anna Bomberling, die gnädige Frau, hatte nicht die geringste Ahnung mehr, daß man der goldenen Sonne zumuten durfte, rote, mit grüner Seife gewaschene Flanellhosen auf Bodenkammern oder ordinären Gartenzäunen zu trocknen.

Man weiß, was man sieht. Und in Bomberlings Heim, das sie jetzt bezogen hatten, als ihre Ehe in das dritte Jahrzehnt bog, erinnerte nichts mehr an eine Vergangenheit mit Schmiede und Tischlerwerkstatt.

Selbst die alten Familienbilder waren verschwunden, die bisher die Wände geschmückt hatten, in breiten schwarzen Rahmen, aus Leistenresten der Fabrik gezimmert.

Frau Bomberling hatte erklärt, daß sie die alten Gesichter nicht mehr sehen konnte, und Bomberling hatte sich, wie stets, ihrem Wunsche gefügt. Ihm war es gleich, was an der Wand hing. Nur die großen Kreidezeichnungen von seinen und Annas Eltern waren nicht auf den Boden gekommen, sondern schmückten die mit Bügeleisen verzierte Tapete des Plättzimmers.

Der Herr Dekoratör, der es übernommen hatte, die Wohnung mit Prima-Geschmack einzurichten, hatte erklärt, daß es jetzt die meisten Herrschaften so machten. Und er verstand seine Sache. Er nannte sich nicht umsonst »Spezialist für Wohnungskultur«, er war es auch.

Die Vorderräume von Bomberlings Wohnung waren unter seinen Händen ein Stück moderner Kultur geworden. In den feinen Duft des Modeparfüms, dem stets der würzige Soßenhauch eines großen Bratens diskret untermischt war, atmeten sie eine starke Vornehmheit aus.

Schon auf der Diele lag ein großer Perserteppich, der echt war.

Jeder Besucher, dem Frau Bomberling den Preis dieses Gegenstandes zuflüsterte, fuhr zusammen, als habe ihn jemand auf den kleinen Zeh getreten.

Dies bewies Frau Bomberling, daß sich Selbstüberwindung belohnt, denn eigentlich hatte sie den Perser nicht haben wollen. Sie wollte nicht so viel Geld ausgeben für einen alten Fetzen voll türkischen Ungeziefers. Sie meinte, Imitation wäre sauberer und billiger und mache denselben Effekt.

Aber der Spezialist für Geschmack hatte beschwörend seine Hände erhoben, an denen die meisten Fingerspitzen blau unterlaufen waren, weil auch der geschickteste Mensch nicht immer den Nagel auf den Kopf treffen kann. Mit Wehmut in den schmalen, rot geränderten Augen hatte er der gnädigen Frau erklärt, daß auf der Diele ein echter Orientale liegen müsse. In den hinteren Zimmern und den Räumen, die sie bewohnten, konnte man so viel Imitation haben, wie man wollte. Noblesse oblige.

Da hatte Frau Bomberling nachgegeben; denn sie baute dieses Heim nicht zum Vergnügen so vornehm auf. Sie hatte ihre Absichten damit.

Drei stilvolle Zimmer reihten sich der Diele an. Im Salon standen die Möbel aus einem alten englischen Schloß. Über der Erkerbrüstung des breiten Fensters hatte ein lateinisches Buch, im alten Einband aus Schweinsleder, stets aufgeklappt, dazuliegen. An der Wand hing ein englischer Kupferstich, worauf in einem wohlgepflegten Park ein lächelnder junger Mann bemüht war, einem lächelnden Mädchen aus guter Familie den Verlobungsring anzustecken. Jedesmal, wenn Frau Bomberling durch diesen feierlichen Raum ging, dessen Vorhänge aus gelber Seide immer geschlossen waren, lächelten das Bild und sie sich an.

Sonst hatte sie mancherlei Ärger mit diesem Salon. Die Mädchen konnten nicht begreifen, daß das lateinische Buch aufgeschlagen auf der feingeschnitzten Holzbrüstung zu liegen habe. Jedesmal, wenn sie Staub wischten, klappten sie es zu. Obwohl sie in den feinsten Familien gewesen.

Von diesem Salon aus kam man in das Teezimmer. Seine besondere Sehenswürdigkeit bestand in der Tassensammlung einer russischen Gräfin. Auf jeder emaillierten Schale war ein Zar oder mindestens ein Großfürst.

»Wenn ich nur wüßte, wozu wir das alles nötig haben,« hatte Bomberling gesagt, als man ihn das erstemal durch die fertige Pracht seines Heims führte. Frau Anna hatte nichts geantwortet. Sie tauschte nur wieder ein Lächeln mit dem kupfergestochenen Paar an der Wand.

An dem gläsernen Tassenschrank vorbei ging es zwischen zwei Kelims ins Musikzimmer. Hier beherrschte der große Flügel den Raum, an dem Babette Klavier und Gesang übte. Von einer Damastdecke hob sich wie eine große gediegene Bonbonniere der blanke Mahagonikasten ab, in dem Hermanns Geige ruhte.

Babette und Hermann waren, was musikalisches Gefühl betraf, nicht gerade erblich belastet zu nennen.

Bomberling gestand, so unnötig es Frau Anna auch fand, noch heute jedem offen ein, daß ihm Musik ein Geräusch wie jedes andere sei. Aber daß er einen Lokomotivenpfiff einem Geigensolo vorziehe, weil er kürzer sei.

Frau Anna dagegen wurde vor jedem Grammophon tief bewegt.

Außerdem wußte sie, daß Musik zum guten Ton gehöre. So spielte Babette Klavier und Hermann geigte.

Das Musikzimmer gehörte also eigentlich schon zu den gewohnten Räumen. Das sah man auch an den vielen Blumen, die dort in allen Vasen standen; denn Babette liebte die Blumen und kaufte sie, wo sie sie sah. Sie brachte alle Woche eine andere Lieblingsblume, die sie für die schönste der Welt erklärte, am Gürtel und am Jackett trug, und mit der sie alle bewohnten Zimmer zu schmücken versuchte.

Besonders das ihre. Zwischen den weiß lackierten Möbeln und den hellen Mullgardinen, dem blanken Spiegel, hinter dem die Photographien berühmter Männer steckten, und zwischen den vielen Blumen hatten die Hände des Geschmacksspezialisten nichts anrühren dürfen.

Ebenso wenig wie im Nebenzimmer, wo Hermann zwischen Büchern, Heften, Pfeifen, Tintenfässern, Rapieren und der Galerie schöner Frauenköpfe nur in einer von ihm selbst bestimmten Unordnung hausen wollte.

Eine lange Pfeife im Mund und eine Knallbonbonmütze auf dem dicken Blondhaar war er dem Spezialisten in der behäbigen Breitschultrigkeit, die er vom Vater übernommen hatte, auf der Schwelle seines Zimmers entgegengetreten und hatte ihm erklärt, daß vor dieser Tür seine Geschmackskultur aufzuhören habe. Hier herrsche schon die nächste Generation.

Und dann hatten Babette und er ein Lachduett von vielen Minuten angestimmt. Der Gehrock des Spezialisten verschwand mit langen Schritten, die lange Linie des Korridors herunter. Sein blanker Rücken spiegelte vornehm beherrschte Wut.

Aber merkwürdigerweise hatte auch Frau Bomberling ihn mit sanftem Lächeln gebeten, die Einrichtung des ehelichen Schlafzimmers ihr selbst zu überlassen.

Von Natur ist nichts schön, erst die Gewohnheit macht es dazu.

Es gibt so mancherlei liebgewordene Bequemlichkeit, die man nicht dem modernen Leben opfern möchte: einen einzigen Raum wollte sie haben, wo man sich wirklich zu Hause fühlte.

Vergeblich hatte der Kulturspezialist der gnädigen Frau vorgehalten, daß ein Betthimmel geradezu fabelhaft unmodern geworden sei, daß der dicke Engel, der aus vergoldetem Holz über den Betten schwebte, jeder Kunst entbehre und sogar anatomische Mängel aufweise.

Frau Bomberling war fest geblieben. Auch die Kultur muß ihre Grenzen haben.

Diesen Engel hatte ihr August eigenhändig geschnitzt und vergoldet. Sie hatte immer gefunden, daß Hermann ihm ähnlich sähe. –

Zwischen diesen Räumen mit eigner Atmosphäre und dem stummen Kulturgebiet auf der anderen Seite lag, als freundlicher Vermittler, das große Speisezimmer.

Es war der Raum, der am häufigsten alle Bomberlings vereint sah. Eichenmöbel und Lederstühle machten es behaglich. In einer Ecke tickte, fest und bestimmt, die große Standuhr. Am Fenster hüpfte ein Kanarienvogel im Bauer, den Hermann Napoleon getauft hatte, worauf Frau Bomberling stolz war.

Am Umgang erkennt man den Menschen.

Es lag Würde in ihrem Ton, wenn sie dem Mädchen sagte:

»Geben Sie Napoleon frisches Futter.«

An der Wand hing ein großes Stilleben, ein delikates Bild. Es war nicht nur von einem Maler gemalt, der weltberühmt war, es stellte eine echte Straßburger Gänseleberpastete vor, umgeben von Austern, roten Hummern, frischen Spargelbündeln und einem Strauß ausgewählter Rosen.

Der Geschmacksspezialist hatte Frau Bomberling auf dieses vornehme Bild aufmerksam gemacht, das aus dem Nachlaß eines Bankiers billig zu erstehen war. Frau Anna hatte es eigentlich teuer gefunden. Sie meinte, daß es der Maler zu einer Jahreszeit gemacht haben müsse, in der diese Delikatessen gerade besonders hoch im Preise gestanden hätten. Aber sie konnte sich nicht davon losreißen. So wurde es gekauft und dem Eßtisch gegenüber gehängt. Wo es gewiß am Platz war. Denn Kunst soll anregend wirken.

Der erste, der jeden Morgen, sobald der Frühstückstisch gedeckt war, dieses freundliche Zimmer betrat, war Bomberling selbst. Er war ein Frühaufsteher und genoß das Behagen eines kurzen Alleinseins an jedem Morgen aufs neue.

Erst ging er zum Fenster und sah nach dem Wetter, das er immer schön fand. Dann zwängte er einen seiner runden Finger in das Vogelbauer und lockte Napoleon, den er so früh am Morgen einfach Hänschen nannte. Und dann ging schon die Tür auf, und das Mädchen mit reiner Schürze und reinem Häubchen kam herein, sagte freundlich guten Morgen und stellte die blanke Kaffeekanne auf den sorgsam gedeckten Tisch.

Kaffeeduft gibt Behagen wie Sonnenschein.

Lächelnd setzte sich Bomberling an den Tisch, steckte sich die kleine Frühstücksserviette in den Kragen, der wie ein weißer Ring den vollen Hals mit dem Doppelkinn zusammenhielt, und packte das Messer zum Angriff . . .

Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte er sie sich oft als fröhliche Morgengäste ins Zimmer geholt. Er hatte sich Babette aufs Knie gesetzt, ihr gelbseidenes Haar gestreichelt, ihre kleinen weißen Finger auf den breiten Rücken seiner behaarten Hand gelegt und sich immer wieder gewundert, wie zierlich solche kleinen Mädelchen gearbeitet waren. Oder er hatte sich den dicken Hermann auf den kräftigen Rücken gebuckelt und war mit ihm um den Tisch herumgerannt. Das hatten sie Karussellfahren genannt.

Aber jetzt waren die Kinder groß und redeten gebildet. Er steckte seine Bissen gern ungeniert in den Mund.

Mit sicherer Hand faßte Bomberling die Leberwurst und säbelte sich ein dickes Stück herunter. Dann warf er die Wurst zurück und griff in das volle Semmelkörbchen. Ehe er Brot und Wurst vereinte, nahm er mit lautem Schlürfen einen großen Schluck des starken Kaffees. Wohlig wärmend rann die heiße Flüssigkeit ihren dunklen Weg.

Aber unser Wohlbehagen hängt nicht allein von unseren eigenen Anstrengungen ab.

Gerade als Bomberling, Brot und Wurst kauend, innen und außen gewärmt, in dem illustrierten Teil der Morgenzeitung den Katafalk eines aufgebahrten Milliardärs studierte, ging hinter seinem Rücken die Tür auf, und Frau Anna, im hellblauen Schlafrock, jedoch noch ohne die moderne Haarfülle, kam herein. Klirrend setzte sie das Schlüsselkörbchen neben die Leberwurst. Dann nahm sie Bomberling gegenüber Platz und begann, sich mit auffallend viel Geklapper dem Frühstück zu widmen. Mehrere Mal räusperte sie sich laut und klopfte mit dem Löffel gegen die Tasse, wie wenn sie eine öffentliche Ansprache halten wollte. Aber Bomberlings Aufmerksamkeit blieb bei Leberwurst und Katafalk.

Selbst als Frau Anna, langsam und nicht ohne Betonung, gesagt hatte:

»Wir sind im Oktober, mein August –« wendete er nicht den Kopf, sondern sagte kauend, die Augen in der Zeitung, daß er die Miete schon vom Geschäft aus bezahlt habe.

Das Selbstverständliche vergißt man zu achten.

Die hellblauen Schlafrockschultern zuckten geringschätzend, und Frau Anna sagte, daß sie, um das zu hören, nicht so früh aufgestanden wäre.

Bomberling legte rasch die Serviette fort, erhob sich und steckte sich eine Morgenzigarre an. Er war überzeugt davon, daß Frau Anna, wie immer, wenn sie einen Augenblick allein zusammen waren, ohne müde zu sein, ihm wieder einmal mitteilen würde, wie und was sie in all den Jahren gelitten habe, die Frau eines Sargmachers zu sein, und daß sie nicht eher ruhen werde, bis die Lebensbahn ihrer Kinder in ein höheres Milieu gelenkt wäre.

Daher beeilte er sich, rasch die Krümel von dem runden Hügel der Weste, über dem sich die dicke goldene Uhrkette schlängelte, abzuschütteln und sagte:

»Mein altes Mäuschen, ich muß leider schleunigst fort. Wenn du mir noch etwas zu sagen hast, telefoniere, du weißt: 8182.«

Er kniff Frau Anna in gewohnter Weise in die rechte Backe und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.

Aber ein Ehemann ist selten sein eigener Herr.

»Ich habe mit dir zu reden,« sagte Frau Anna sanft, aber fest. Und Bomberlings Füße waren gebannt.

Frau Anna begann. Aber sie hielt sich nur kurz bei dem vielen Leid auf, das sie durch die Art von Bomberlings Beruf gelitten. Sie sprach von Babette. In ernstem Ton erinnerte sie ihren Gatten daran, daß das Kind in diesem Oktober siebzehn Jahre alt werde. Und ehe noch Bomberling hatte einwenden können, daß er zu jedem Geschenk bereit sei, hatte sie ihm feierlich erklärt, daß viele Mädchen aus guter Familie in diesem Alter schon verlobt wären.

Sie schöpfte ein wenig Atem, und es gelang Bomberling zu sagen, daß ein Mädchen warten müsse, bis der Rechte kommt.

Dabei hatte er sich schon wieder zum Gehen gewandt, denn er wußte nicht, daß die Unterhaltung erst jetzt begann.

Ohne von seinen Worten Notiz zu nehmen sprach Frau Anna weiter, ohne Aufenthalt, ohne zu stocken.

So wie man redet, wenn man weiß, was man will. Sie teilte Bomberling mit, daß die Eltern für das Glück der Töchter zu sorgen hätten. Daß dies in seinen Kreisen zu den ersten Pflichten der menschlichen Natur gehöre.

Napoleon schmetterte in seinem Bauer einen langen Triller, und Frau Anna unterbrach sich und rief:

»Halt den Schnabel, Napoleon.«

Aber auch die Zwiesprache zwischen den Gatten wurde nun heftiger. Denn Frau Anna war etwas außer Atem gekommen, und Bomberling fand Zeit zu antworten.

Bis Frau Anna den Namen und das Einkommen eines Geheimen Regierungsrates über den Frühstückstisch schleuderte.

Erst nach einer Weile fragte Bomberling leise und verdutzt:

»Liebt sie ihn denn?«

»Sie kennt ihn doch noch gar nicht,« sagte Frau Anna, nun wirklich ärgerlich über so viel Schwerfälligkeit.

Sie goß sich Eau de Cologne auf das Taschentuch und tupfte sich hörbar atmend die Stirn.

Das war eine Wendung des Gesprächs, die Bomberling nicht fremd war. Er atmete erleichtert auf, zündete seine Zigarre, die bei dem schnellen Wortwechsel ausgegangen war, noch einmal an und maß dabei die teppichbelegte Strecke bis zur Tür. Da läutete es draußen.

Für den Großstädter ist die Flurklingel die Stimme des Schicksals. Es wollte offenbar Bomberling zur Hilfe kommen.

Frau Anna zuckte zusammen, griff ohne Zögern zum Schlüsselkorb und verschwand.

Bomberling war nicht der Mann, der Zeit verlor.

Im gleichen Augenblick war er zu der anderen Tür hinaus.

Draußen auf der Diele fand er sich seinem Neffen Paul gegenüber, der sich vergeblich bemühte, den Hut abzunehmen, denn er hatte die Arme voll Blumen.

Bomberling zog seine Uhr.

»Ist es nicht längst Geschäftszeit, Junge?« fragte er.

Paul bejahte das, aber auf dem Wege zur Fabrik habe er in einem Laden diese Blumen gesehen. Babette hatte gestern so bedauert, daß man nirgends mehr Maiglöckchen bekomme. Da hätte er ihr diese rasch bringen wollen.

»Dann tu's nur und komme mir dann nach,« sagte Bomberling.

Damit fiel die Tür hinter ihm zu. Er wollte seine Freiheit nicht noch einmal aufs Spiel setzen. –

Als ihn ein Stadtauto geschwind und geschickt durch das Gewimmel von Straßen und Plätzen trug, wo sich die frische Geschäftigkeit eines neuen Tages regte, dachte er, wie einfach es wäre, wenn aus Babette und Paul ein Paar werden würde.

Gerade im Jahr, als Babette geboren werden sollte, war ihm Paul, der damals zehnjährig war, als einzige Erbschaft eines Onkels zugefallen, den man in der ganzen Familie stets den Erbonkel genannt hatte.

Aber Testamente bergen noch mehr Wunder als andere Geheimnisse.

Als der Onkel starb, hinterließ er den betrübten Verwandten nichts als diesen Sohn. Die anderen lehnten die Annahme dieser Erbschaft ab. August trat sie an. Alle belächelten seine Dummheit, denn damals war sein Geschäft noch klein, und er hätte wohl genug an seinen eigenen Kindern haben können.

Aber unsere Dummheiten sind oft das Klügste, was wir im Leben tun. Paul war jetzt längst sein einziger Vertrauter in dem großen Fabrikbetrieb, der unaufhaltsam anwuchs und immer weitere Anforderungen an Überlegung und Arbeitskraft stellte.

Denn alles kommt anders. Er hatte gedacht, daß etwas, das nicht modern war, nicht unmodern werden konnte. Das war ein Irrtum gewesen. Man hatte den Stil erfunden. Alles mußte jetzt stilvoll sein. Man wollte auch hier Eigenart. Besondere Linien in der Schnitzerei. Mit Kunst gehämmerte Beschläge. Dann wurde das Verbrennungssystem immer moderner und beliebter. Man mußte auch geschmackvoll ausgestattete Urnen führen.

Als sich bei Paul ein nettes Zeichentalent zeigte, hatte ihn Bomberling auf die Kunstschule geschickt.

Er wurde sein erster Zeichner und leitete nun das große Schnitzatelier der Fabrik. Und das war gut; denn Bomberling konnte rechnen wie ein Finanzminister, aber vom Zeichnen verstand er so viel wie von der Musik. Es wollte ihm nicht einleuchten, warum ein Schnörkel schöner sein sollte, wenn er nach rechts umbog statt nach links. Die Menschen machten sich das Leben auf alle Weise verzwickt.

Er runzelte die Stirn. Der Geheime Regierungsrat fiel ihm ein.

Ärgerlich warf er den Stummel seiner Zigarre zum Wagenfenster hinaus. In der Großstadt findet alles sein Unterkommen. Ein Schusterjunge fing ihn auf und steckte ihn in den Mund.

Bomberling mußte lachen. Gesunde schleppen sich nicht lange mit Ungemach. Als das Auto hielt, war es Bomberling schon wieder behaglicher zumut, und als er erst bei der Arbeit war und die neueste Musterkollektion aus Ebenholz in Augenschein nahm, hatte er seine alte Fröhlichkeit wiedergefunden . . .

Inzwischen wartete Paul auf Babette.

Als nahen Verwandten des Hauses hatte ihn das Mädchen nicht in das Kulturgebiet, sondern in das Speisezimmer geführt. Dort war niemand, nur Napoleon trillerte einen Morgengesang. Das laute Stimmenduett der ehelichen Unterredung hatte ihn angeregt.

Paul sah ernsthaft auf den kleinen gelben Federball, der sich beleidigt aufplusterte, weil jemand näher kam, und dachte: »Du hast es gut. Du siehst sie alle Tage.«

Niemand kam. Paul ging zum Büfett, um sich in dem blanken Silbertablett zu spiegeln. Er hatte keine Ahnung, welche Krawatte er heute umgebunden hatte. Als er von Hause fortging, wußte er ja nicht, daß er Babette heute sprechen würde. Aber das einfältige Tablett verkleinerte ihn auf lächerliche Weise. Die Krawatte war nichts als ein undeutlicher Fleck.

Als Paul es mit den Fensterscheiben versuchen wollte, wurde er gestört. Babette war hereingekommen. Ihr blondes Haar schmiegte sich glatt an den zierlichen Kopf und leuchtete über den Ohren in zwei dicken Puffen. Ein schwarzes Samtkleid, gürtellos und eng geschnitten, das den Hals freigab, ließ ahnen, wie schön das ganze Mädchen war.

Mit ganz besonderer Sorgfalt hatte sich Babette heute bekleidet: Denn sie hatte etwas sehr Besonderes vor.

Ein Lächeln auf dem Gesicht, hatte sie Paul gefragt, was ihn so früh hergeführt habe, als sie auch schon die Blumen bemerkte und an Paul vorüber zum Tisch eilte.

»Wie schön!« rief sie. »Die ganze Nacht träumte ich von Maiglöckchen.«

Eilig nahm sie einen Busch von den weißen Blüten und hellgrünen Blättern in den Arm, um sie sofort in ihr Zimmer zu tragen.

In der Tür besann sie sich. Sie drehte sich lächelnd zu Paul zurück und sagte, daß er nicht etwa zu warten brauche, bis sie wieder zurückkäme, sie wisse ja, daß er in die Fabrik müsse. Dann nickte sie ihm freundlich zu und verschwand.

Langsam ging Paul hinaus. Er hätte den Hut viel rascher nehmen können, als er tat; denn seine Arme waren jetzt leer.

Als Babette zurückkam, goß sie sich stehend ein wenig Kaffee ein und biß in ein braunes Semmelchen. Kauend ging sie hin und her, mit ihren Blumen beschäftigt.

Sie hatte nie Geduld, sich schon am Morgen feierlich vors Essen zu setzen, und heut besonders nicht.

Sie hatte beschlossen, den berühmten Schauspieler zu besuchen, der als Romeo und Hamlet, als Don Carlos und Faust teils über ihrem Waschtisch hing, teils hinter ihrem Spiegel steckte. Sie wollte ihn um ein Autogramm bitten. Ob er die Blonden leiden mochte? Man sagte, daß er ein Südländer sei. In der italienischen Stunde mußte sie stets an ihn denken. Io t' amo = ich liebe dich.

Sie fuhr ertappt zusammen. Hermann war ins Zimmer gekommen und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.

»Vater schon bei seinen Särgen?« fragte er und gähnte.

Babette fragte zurück: ob etwa sein Frühaufstehen bedeute, daß er ins Kolleg ginge?

»Unsinn, Frühschoppen,« knurrte Hermann, gähnte wieder und klingelte nach warmem Kaffee.

Babette suchte den Rest der Blumen zusammen, nickte dem Bruder freundlich zu und ging hinaus. Sie mußte in den Unterricht zu Fräulein Grisheim hinaus.

Ehe sie die Wohnung verließ, suchte sie die Mutter auf.

Mißtrauen ist die Tugend der Hausfrau. Frau Bomberling saß in der Küche und beobachtete durchs Lorgnon das Kochen der Quittenmarmelade.

Babette gab ihr einen herzlichen Kuß und dachte zärtlich: »Wie stolz würde die Gute sein, wenn sie die Schwiegermutter des berühmtesten Schauspielers wäre.«

Die Mutter streichelte lächelnd Babettes weiche Wangen und dachte gerührt: Meine Geheime Frau Regierungsrat.

Žanrid ja sildid

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Ilmumiskuupäev Litres'is:
04 detsember 2019
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