235
Das Settlement in einem behördlichen Verfahren und die Voraussetzungen dafür sind einfachgesetzlich nicht geregelt. Die Vorschriften der StPO zur Verständigung (insb. § 257c StPO) sind für das Verfahren unter Beteiligung eines Strafgerichts ausgelegt.[312] Gleichwohl finden die Regelungen im Grundsatz auch im behördlichen Bußgeldverfahren Beachtung.[313]
236
Die Voraussetzungen und Regeln für eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung folgen vor allem rechtstaatlichen Grundsätzen[314], den Prozessmaximen des Bußgeldverfahrens und dem allgemeinen (Straf-)Zumessungsrecht[315]. Eine Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen darf daher nicht unterbleiben.[316] Die Pflicht zur „behördlichen“ Erforschung der materiellen Wahrheit und das Finden einer gerechten und angemessen Sanktion bleibt auch im Rahmen eines Settlements bestehen[317]: Liegen Verfahrenshindernisse wie die Verjährung vor oder kann der objektive oder subjektive Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nicht nachgewiesen werden, ist das Verfahren zwingend nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Eine Settlementvereinbarung wäre unzulässig.[318]
237
Anders als im Strafverfahren, wo Gegenstand der Vereinbarung lediglich eine Ober- und Untergrenze der Strafe sein darf (§ 257c Abs. 3 S. 2 StPO), dürfen sich die Verfahrensbeteiligten im Bußgeldverfahren auf eine „Punktsanktion“ (also eine der Höhe nach genau bestimmte Geldbuße) verständigen.[319] Das entspricht auch der Ahndungspraxis der BaFin. Dem Betroffenen wird in der Regel eine konkrete Geldbuße in Aussicht gestellt, die die BaFin beabsichtigt, im Falle eines Settlements festzusetzen. Die Settlementvereinbarung enthält also grundsätzlich keine Unter- und Obergrenze („von bis zu“) der in Betracht kommenden Geldbuße, wie es in § 257c Abs. 3 S. 2 StPO vorgesehen ist.
238
Dem „behördlichen“ Settlementverfahren vorgeschaltet ist die Einleitung des Bußgeldverfahrens durch die BaFin. Ferner setzt der Abschluss eines Settlements die Bereitschaft der Verfahrensbeteiligten zur Verständigung voraus.
239
Das Verständigungsverfahren, das flexibel und nicht übermäßig formalisiert gehalten ist, läuft in der Praxis der BaFin überwiegend wie folgt ab:[320]
- | Das Bußgeldreferat der BaFin hat die den Tatvorwurf begründenden Tatsachen pflichtgemäß ermittelt und in rechtlicher Hinsicht überprüft. Die Ordnungswidrigkeit wurde tatsächlich begangen, ist individuell vorwerfbar und nachweisbar. Ein Ahndungsbedürfnis besteht. |
- | Dem Betroffenen des Bußgeldverfahrens wird der Tatvorwurf und der zu Last gelegte Sachverhalt bekanntgegeben. Dies geschieht meistens schriftlich im Rahmen der Anhörung (vgl. § 55 OWiG)[321]. |
- | In der Regel kommt es bereits jetzt – ggf. auch erst nach einer schriftlichen Einlassung – zu mündlichen Gesprächen zwischen den Verfahrensbeteiligten auf Grundlage des aktuellen Verfahrensgegenstandes. Verständigungsgespräche können jederzeit aufgenommen werden, auch noch nach Erlass des (streitigen) Bußgeldbescheids, solange die Ahndung in der Zuständigkeit der BaFin liegt. Die BaFin erläutert dabei den Sachverhalt, die zumessungsrelevanten Umstände und die Rechtsfolgen: Die Sach- und Rechtslage wird erörtert. Die Settlementgespräche können frühestens beginnen, sobald die BaFin einen Überblick über die Zuwiderhandlungen hat. |
- | Ein mehrköpfiger, in der Besetzung wechselnder Ahndungsausschuss des Bußgeldreferats der BaFin entscheidet über die Höhe der beabsichtigten, festzusetzenden Geldbuße. Die Bußgeldhöhe ergibt sich aus der Schwere des Tatvorwurfs und der Vorwerfbarkeit der Tat. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls wird die Höhe durch bußgeldmindernde Umstände, wie zum Beispiel eine funktionierende Compliancestruktur im Unternehmen, und ggf. durch bußgelderhöhende Umstände, wie zum Beispiel die Wiederholungstat, sowie durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bestimmt.[322] Erst danach wird über den bußgeldmindernden Settlementabschlag („von bis zu 30 %“) entschieden. In der Regel wird in solchen Fällen der „Bußgeldrabatt“ bis zu 30 % wegen spezialpräventiven Gesichtspunkten nicht voll ausgeschöpft werden. Maßgebend ist, dass die Geldbuße auf einem Niveau festgesetzt wird, das der Zuwiderhandlung angemessen ist und die Geldbuße hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet. |
Zulässig sind auch sog. Gesamtlösungen („package deals“), wenn zum Beispiel zu Lasten des Betroffenen mehrere Bußgeldverfahren bei der BaFin anhängig sind und „zugunsten“ des schwerwiegenderen Verstoßes ein weiteres Bußgeldverfahren aus Opportunität nach § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt wird.[323]
- | Nachdem dem Betroffenen die Bußgeldhöhe bekannt gegeben[324] worden ist,[325] wird ihm ggf. eine Frist zur Annahme des „Settlementvorschlags“ eingeräumt. |
- | Abgeschlossen wird die Settlementvereinbarung durch eine schriftliche Erklärung des Betroffenen[326]. Die Erklärung umfasst die Akzeptanz des angedachten Geldbetrages und das Anerkenntnis des Tatvorwurfs sowie des zugrundeliegenden Sachverhalts. Die Vereinbarung wird in der Bußgeldakte durch die BaFin dokumentiert. Ein Rechtsmittelverzicht kann nicht Gegenstand der Vereinbarung sein. Die Settlementvereinbarung ist rechtlich nicht bindend. Sollte der Betroffene aber gegen einen Bußgeldbescheid mit „verständigter“ Bußgeldhöhe Einspruch einlegen, wird die BaFin in der Regel diesen Bußgeldbescheid zurücknehmen und einen weiteren Bußgeldbescheid ohne „Settlementabschlag“ erlassen. |
- | Das Bußgeldverfahren wird durch einen sog. verkürzten Bußgeldbescheid beendet.[327] Dieser Bußgeldbescheid enthält keine über § 66 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 3 OWiG hinausgehende Begründung; es fehlt eine ausführliche rechtliche Würdigung. Der verkürzte Bußgeldbescheid kann für den Betroffenen mit Blick auf nachfolgende etwaige Schadensersatzansprüche mangels vollständig begründeter Entscheidung und wegen seiner geringeren Aussagekraft vorteilhaft sein.[328] |
240
Legt der Betroffene trotz Settlementvereinbarung Einspruch gegen den Kurzbescheid ein, wird der Bußgeldbescheid im Rahmen des Zwischenverfahrens aufgehoben und das Verfahren wird streitig zu Ende geführt, indem ein (neuer) vollständig begründeter Bußgeldbescheid erlassen wird, vgl. § 69 Abs. 2 OWiG. Festgesetzt wird die Geldbuße ohne den gewährten „Settlementrabatt“. Das ist in der Regel der sog. angepasste Grundbetrag nach den WpHG-Bußgeldleitlinien II.
241
Gegen den Bußgeldbescheid kann der Betroffene gem. § 67 Abs. 1 OWiG Einspruch einlegen. Der Einspruch ist Rechtsbehelf sui generis. Das Verbot der Verschlechterung (reformatio in peius) gilt – wie beim Strafbefehl[329] – nicht.
242
In formeller Hinsicht sind die nachfolgenden Voraussetzungen zu beachten:
- | Einspruchsberechtigung: Neben dem Betroffenen und dem gesetzlichen Vertreter (§ 67 Abs. 1 OWiG, § 298 StPO) ist der Verteidiger (§ 67 Abs. 1 OWiG, § 297 StPO) einspruchsberechtigt. War der Verteidiger im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht bevollmächtigt, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen, §§ 96 Abs. 1, 70 OWiG.[330] Auch die nebenbeteiligte Gesellschaft ist wie der Betroffene berechtigt, Einspruch gegen den sie belastenden Bußgeldbescheid einzulegen. Problematisch ist die Wirksamkeit des Einspruchs, wenn dieser von dem betroffenen Organ der Gesellschaft eingelegt wird. Das betroffene Organ ist nach h.M. wegen Interessenskollision von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen.[331] Stellt die BaFin den Bußgeldbescheid an die Gesellschaft – vertreten durch das betroffene Organ (z.B. an den betroffenen Vorstand) – zu, ist die Zustellung gleichwohl wirksam.[332] Mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens wäre es nicht vereinbar, wenn die BaFin in dieser Situation den vom betroffenen Vorstand für die Gesellschaft eingelegten Einspruch wegen Vertretungsmangels als unwirksam behandeln würde; denn wenn sich die Gesellschaft trotz einer etwaigen Interessenkollision die Zustellung des Bußgeldbescheids entgegenhalten lassen muss, wäre es überraschend und damit unzulässig,[333] sodann den durch dasselbe Organ eingelegten Einspruch als unwirksam zu behandeln. Betrachtet man dies hingegen streng zivilrechtsakzessorisch und behandelt den eingelegten Einspruch als schwebend unwirksam (nach h.L. sollen die Grundsätze der §§ 177 ff. BGB Anwendung finden[334]), verbietet das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im streng formalisierten Strafprozessrecht, die Wirksamkeit des Einspruchs von einer etwaigen Genehmigung durch die Gesellschaft abhängig zu machen. Insoweit wäre der Einspruch zwar als unwirksam zu betrachten, indes wäre bei Fristversäumung über § 52 OWiG i.V.m. §§ 44 f. StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein vertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft verfristet Einspruch einlegen sollte. |
- | Einspruchsform: Der Einspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der BaFin einzulegen. Dem Schriftformerfordernis ist schon dann Genüge getan, wenn sich aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennen lässt, von wem die Erklärung herrührt, ob sie als endgültig gedacht war sowie ernstlich und willentlich in den Verkehr gebracht wurde.[335] Die eigenhändige Unterschrift ist nicht erforderlich.[336] Wird der Einspruch mittels Telefax eingelegt, soll es die eigenhändige geleistete Unterschrift allerdings enthalten.[337] Auch der durch E-Mail eingereichte Einspruch kann formgerecht sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Bußgeldbescheid der BaFin eine E-Mail-Adresse des Fallbearbeiters ausweist und in der Rechtsmittelbelehrung die Einlegung des Einspruchs durch E-Mail nicht ausgeschlossen ist.[338] Denn dadurch gibt die BaFin nach außen zu erkennen, dass sie sowohl den Übermittlungsweg als auch die Form des Einspruchs als E-Mail akzeptiert.[339] Ob es zusätzlich einer qualifizierten elektronische Signatur bedarf, wird unterschiedlich gesehen.[340] Richtigerweise ist dies zu verneinen.[341] Entscheidungen des zuständigen AG Frankfurt a. M. sind hierzu bislang nicht veröffentlicht. |
- | Einspruchsfrist: Der Einspruch muss innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Bußgeldbescheids bei der BaFin an ihrem Sitz in Frankfurt/Main (vgl. § 1 Abs. 3 S. 2 FinDAG) eingelegt werden. Wird der Einspruch versehentlich am Sitz der BaFin in Bonn eingelegt, ist die Frist gewahrt, wenn der Einspruch noch innerhalb der Einspruchsfrist am Sitz in Frankfurt/Main eingeht.[342] Die Fristberechnung richtet sich nach § 43 StPO. Wurde die Frist nicht eingehalten, ist unter den Voraussetzungen der §§ 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Hierüber entscheidet die BaFin gem. § 52 Abs. 2 S. 1 OWiG als zuständige Verwaltungsbehörde. Der Betroffene muss sich das Verschulden seines Verteidigers im Zusammenhang mit dem Fristversäumnis – im Gegensatz zum Zivilprozessrecht (§ 85 Abs. 2 ZPO) – nicht zurechnen lassen. Verlegt der Verteidiger die Akte und versäumt deshalb die Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 OWiG, kann dies dem Betroffenen nicht ohne eigenes Verschulden (z.B. Kenntnis der Unzuverlässigkeit des Verteidigers[343]) angelastet werden. Er ist auch nicht verpflichtet, die Tätigkeit seines Verteidigers zu überwachen.[344] |
243
Ist der Einspruch nicht form- oder fristgerecht eingelegt worden, verwirft ihn die BaFin durch Bescheid gem. § 69 Abs. 1 OWiG als unzulässig. Der Bescheid ist zu begründen (§§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 34 StPO) und zuzustellen (§ 51 OWiG).[345] Innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Verwerfungsbescheids kann der Berechtigte Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 69 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 62 OWiG bei der BaFin stellen. Die BaFin kann sodann den Verwerfungsbescheid aufheben, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren und erkannten Rechtsfehlern abhelfen.[346]
244
Der Einspruch muss nicht begründet werden. Er kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden, § 67 Abs. 2 OWiG. So ist es möglich, den Einspruch auf die Höhe der Geldbuße zu beschränken.
245
Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden, ist die BaFin gem. § 92 OWiG als Vollstreckungsbehörde für die Vollstreckung des Bußgeldbescheids zuständig.
246
Zahlungserleichterungen durch Gewährung einer Zahlungsfrist oder der Gestattung von Zahlung von Teilbeiträgen sind unter den Voraussetzungen des § 18 OWiG möglich, also dann, wenn es dem Betroffenen wirtschaftlich unzumutbar ist, die Geldbuße sofort zu zahlen. Anträge auf Zahlungserleichterung sind an die BaFin als Vollstreckungsbehörde zu richten, § 93 Abs. 1 OWiG.
247
Die Vollstreckbarkeit von Geldbußen von mehr 1.000 € ist auf fünf Jahre begrenzt (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Die Vollstreckungsverjährung beginnt mit dem Tag der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, § 34 Abs. 3 OWiG. Wie bei der Verfolgungsverjährung zählt der erste Tag der Rechtskraft bei der Berechnung der Frist vollständig mit.[347] Zu beachten ist jedoch, dass die Vollstreckungsverjährung gem. § 34 Abs. 4 Nr. 3 OWiG ruht, solange eine Zahlungserleichterung bewilligt wurde. Folge des Ruhens ist, dass der Zeitraum zwischen dem Beginn des Ruhens und seinem Ende nicht auf die Vollstreckungsverjährungsfrist angerechnet wird.
248
Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden, ist die BaFin gem. § 153a Abs. 1 GewO (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 GZRVwV) verpflichtet, die mitteilungspflichtige Ordnungswidrigkeit an das Bundesamt für Justiz (BfJ) zu melden. Dort wird das Gewerbezentralregister (GZR) geführt. Die Mitteilung soll binnen eines Monats nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids erfolgen, § 3 GZRVwV.
249
Die Mitteilungspflicht von Bußgeldentscheidungen richtet sich u.a. nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO. Danach sind rechtskräftige Geldbußen ab 200 € in das GZR einzutragen, wenn sie etwa bei der Tätigkeit in einem Gewerbe oder einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung von einem Vertreter oder Beauftragten i.S.d. § 9 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) oder von einer Person, die in einer Rechtsvorschrift ausdrücklich als Verantwortlicher bezeichnet ist, begangen worden ist. Einzutragen sind sowohl Bußgelder gegen natürliche Personen als auch Verbandsgeldbußen gegen Unternehmen gem. § 30 OWiG.
250
Die Eintragung im GZR wird bei einer Geldbuße, die mehr als 300 € beträgt, nach fünf Jahren aus dem GZR zu tilgen sein, § 153 Abs. 1 Nr. 2 GewO.
251
Hat der Betroffene bzw. die Nebenbeteiligte in zulässiger Weise Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, und hat die BaFin den Bußgeldbescheid gem. § 69 Abs. 2 OWiG aufrechterhalten und nicht zurückgenommen, sind die Akten über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht zu senden, § 69 Abs. 3 OWiG. Zuständig ist das Amtsgericht Frankfurt a. M. Nur bei Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 60 WpÜG wird die erstinstanzliche Zuständigkeit dem OLG Frankfurt a. M. zugewiesen (§ 62 Abs. 1 S. 1 WpÜG).[348]
Mit dem Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. gehen die Aufgaben der Verfolgungsbehörde gem. § 69 Abs. 4 OWiG auf sie über. Die Staatsanwaltschaft wird die Akten dem Richter beim Amtsgericht vorlegen, wenn sie weder das Verfahren einstellt noch weitere Ermittlungen durchführt, § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG.
252
Die BaFin hat als zuständige Verwaltungsbehörde Mitwirkungsrechte im gerichtlichen Verfahren; Mitwirkungspflichten hat sie grundsätzlich nicht.[349] So kann sie etwa auf ihr Anhörungsrecht jederzeit verzichten.[350] Formell ist die BaFin keine Verfahrensbeteiligte im gerichtlichen Verfahren, sondern objektives Hilfsorgan des Gerichts.[351] Durch ihre besondere Sachkunde und Erfahrung im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht soll die BaFin dabei helfen, dass das Gericht eine gerechte Entscheidung treffen kann.[352]
253
Wegen dieser Aufgabenzuschreibung hat die BaFin im gerichtlichen Verfahren im Grundsatz nur ein Anhörungsrecht, § 76 Abs. 1 OWiG. Auch werden ihr die Termine der Hauptverhandlung mitgeteilt, § 76 Abs. 1 S. 3 OWiG. Die Staatsanwaltschaft wird gem. Nr. 288 Abs. 2 RiStBV darauf hinwirken müssen, dass ein Vertreter der BaFin in der Hauptverhandlung anwesend ist.
254
Da die BaFin lediglich Hilfsorgan des Gerichts ist, stehen ihr die Rechte eines Verfahrensbeteiligten nicht zu. Zwar erhält der Vertreter der BaFin gem. § 76 Abs. 1 S. 4 OWiG in der anberaumten Hauptverhandlung auf Verlangen das Wort. Ein eigenständiges Frage- oder Antragsrecht hat die BaFin jedoch nicht.[353] Auch hat die BaFin keine Rechtsmittelbefugnis; sie kann folglich keine Rechtsbeschwerde einlegen.[354] Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die fehlerhaft unterbliebene Anhörung der BaFin die Rechtsbeschwerde des Betroffenen begründen kann, wenn darin ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Gerichts gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO zu sehen ist.[355]
255
Will die Staatsanwaltschaft nach Abgabe der Akten das Verfahren einstellen, wozu sie gem. § 69 Abs. 4 OWiG berechtigt ist, muss sie die BaFin hierzu nicht anhören, sondern von der Entscheidung lediglich unterrichten (Nr. 282 Abs. 3 i.V.m. Nr. 275 Abs. 1 RiStBV).[356] Denn für die Ordnungswidrigkeiten nach dem Kapitalmarktrecht ist eine vorherige Anhörungspflicht durch die Staatsanwaltschaft (anders als z.B. bei Ordnungswidrigkeiten nach den Steuergesetzen, Nr. 282 Abs. 3 i.V.m. Nr. 275 Abs. 2 RiStBV) nicht vorgesehen.
256
Gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG kann das Gericht über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid im schriftlichen Verfahren durch Beschluss entscheiden. Voraussetzung ist, dass der Betroffene und die Staatsanwaltschaft dem nicht widersprechen. Die BaFin hat kein Widerspruchsrecht.
257
Gleichwohl ist die BaFin zuvor anzuhören.[357] Im Zuge ihres Anhörungsrechts kann sie die Durchführung einer Hauptverhandlung anregen.[358] Dabei ist erforderlich, dass der BaFin neue Einwendungen des Betroffenen oder neue Umstände seitens des Gerichts mitgeteilt werden. Nur so kann sie eine sachgemäße Stellungnahme abgeben.[359] Sofern die BaFin bei der Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft bereits Stellung genommen hat und keine neuen Gesichtspunkte zu Tage getreten sind, ist eine Anhörung vor dem Beschluss entbehrlich.[360]
258
Die BaFin hat nach § 76 Abs. 1 OWiG in der Hauptverhandlung ein Anwesenheitsrecht, um ihre oben beschriebene Aufgabe zu erfüllen.[361] Sollte dies erforderlich sein, kann der Vertreter der BaFin zusätzlich als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden.[362]
259
Hauptaufgabe der BaFin wird es sein, ein möglichst vollständiges und zutreffendes Bild des Sachverhalts sowie der Bedeutung und Bewertung der Ordnungswidrigkeit zu vermitteln.[363] Die BaFin als Verwaltungsbehörde ist dabei zur Objektivität verpflichtet. Sie muss sowohl auf belastende als auch entlastende Umstände hinweisen. Des Weiteren steht es ihr offen, unter anderem zur Zumessung der Geldbuße und zur Frage der Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen Ausführungen zu machen.[364] Das Gericht ist jedoch nicht an die Stellungnahme und insbesondere die Rechtsauffassung der BaFin gebunden.[365]
260
Wie dargelegt, hat die BaFin in der Hauptverhandlung kein eigenes Frage- oder Antragsrecht.[366] Das Gericht kann dem Vertreter der BaFin allerdings gestatten, Fragen an den Betroffenen, Zeugen oder Sachverständigen zu richten.[367] Ferner kann die BaFin gegenüber dem Gericht Anregungen vorbringen, bestimmte Fragen zu stellen oder Beweiserhebungen vorzunehmen.[368] Das Gericht kann die Anregung aufgreifen und die Prozesshandlung vornehmen. Kommt das Gericht der Anregung nicht nach, muss es die Zurückweisung – mangels Antragsqualität der Anregung – indes nicht formell durch Beschluss bescheiden.
261
Die der BaFin als zuständige Verwaltungsbehörde zugeschrieben Aufgabe im gerichtlichen Verfahren bedingt es, dass sie zwar anzuhören ist. Der weitere Fortgang des Verfahrens oder etwa die Umsetzung einer Entscheidung ist aber nicht von ihrer Zustimmung abhängig. Im Einzelnen:
- | Einstellung gem. § 47 Abs. 2 OWiG: Beabsichtigt das Gericht das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung einzustellen, ist die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und nicht auch die der BaFin notwendig.[369] Gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 OWiG hat das Gericht die BaFin jedoch zuvor anzuhören. |
- | Rücknahme des Einspruchs durch den Betroffenen: Im Fall der Rücknahme des Einspruchs durch den Betroffenen bzw. der Nebenbeteiligten in der Hauptverhandlung bedarf es zu dessen Zulässigkeit nur der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Denn nicht die BaFin, sondern die Staatsanwaltschaft ist „Gegner“ i.S.d. § 303 StPO und muss der Rücknahme des Einspruchs zustimmen. |
- | Rücknahme des Bußgeldbescheids durch die Staatsanwaltschaft: Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft zur Rücknahme des Bußgeldbescheids („öffentliche Klage“, vgl. § 76 Abs. 3 OWiG), muss sie die BaFin vorab gem. §§ 76 Abs. 3, 63 Abs. 3 OWiG ebenfalls lediglich anhören.[370] |