Loe raamatut: «Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht», lehekülg 6

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aa) Belehrung über das Schweigerecht

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Vor der Anhörung muss der Betroffene über sein Schweigerecht gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt werden. Es ist ausreichend, die Belehrung im Anhörungsschreiben schriftlich vorzunehmen. Die unterlassene Belehrung führt in der Regel zur Unverwertbarkeit der auf die schriftliche Anhörung hin erfolgten Äußerungen des Betroffenen, es sei denn, er kannte sein Schweigerecht, etwa weil gegen ihn schon zuvor Bußgeldverfahren geführt worden sind.[85]

bb) Belehrung über das Recht auf einen Verteidiger

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Der Betroffene hat das Recht auf jederzeitige Verteidigerkonsultation, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 137 Abs. 1 StPO. Auf dieses Recht ist der Betroffene – entgegen § 55 Abs. 2 OWiG – von der BaFin im Bußgeldverfahren hinzuweisen.[86]

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Seit der Einführung des Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes (AnSVG) im Jahr 2004 ist der Verpflichtete im Aufsichtsverfahren gem. § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG (§ 4 Abs. 9 S. 2 WpHG a.F.) von der BaFin darauf hinzuweisen, dass es „ihm nach dem Gesetz freistehe, jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen“. Im Aufsichtsverfahren geht der Hinweis allerdings ins Leere, denn der Verpflichtete hat im Verwaltungsverfahren kein Recht auf einen Verteidiger.[87] Dieses steht ihm gem. § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG (erst) „nach dem Gesetz“ zu, womit das Recht auf Verteidigerkonsultation gem. § 137 StPO im Strafverfahren in Bezug genommen wird und die Stellung eines Beschuldigten voraussetzt.[88] Richtigerweise ist die Hinweispflicht wie im Strafverfahren (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) als Konditionalsatz ausgestaltet, d.h. die Hinweispflicht besteht für die BaFin erst dann, sobald dem Verpflichteten nach dem Gesetz das Recht auf einen Verteidiger zusteht.[89]

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Die Pflicht einer Aufsichtsbehörde, den Auskunftspflichtigen auf das Verteidigerkonsultationsrecht hinzuweisen, ist im Wirtschaftsverwaltungsrecht einmalig. Sie ist – soweit ersichtlich – nur für die BaFin im WpHG vorgesehen.[90] Sogar im Steuer-, Insolvenz- und Wettbewerbsrecht, wo sich die Normadressaten typischerweise der dargestellten Kollisionslage ausgesetzt sehen, hat der Gesetzgeber eine solche Hinweispflicht der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. der zuständigen Stelle nicht als regelungsbedürftig erachtet.

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Mit der Implementierung der Hinweispflicht in § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG zielte der Gesetzgeber erkennbar (nur) auf das Verteidigerkonsultationsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren.[91] Übersehen wurde, dass dem Verpflichteten, der Betroffener einer Ordnungswidrigkeit ist, ebenfalls „nach dem Gesetz“ ein Recht auf einen Verteidiger zusteht (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 137 Abs. 1 StPO). Der Gesetzgeber hat damit (wohl unerkannt) eine Hinweispflicht auch im Bußgeldverfahren nach WpHG geschaffen, die nach den allgemeinen Regeln (§ 55 Abs. 2 OWiG) entbehrlich wäre. Dieser Sichtweise steht der in § 46 Abs. 1 OWiG angeordnete Vorrang des OWiG nicht entgegen. Denn dieser regelt nur das Verhältnis zu den Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren (d.h. Strafprozessordnung, Gerichtsverfassungsgesetzes und Jugendgerichtsgesetzes) und nicht gegenüber sonstigen Gesetzen wie dem WpHG.

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Wollte man die Hinweispflicht der BaFin gem. § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG hingegen unter Verweis auf das „gesetzgeberische Versehen“ auf die Verfahrensstellung des Beschuldigten im Strafverfahren beschränken, wird die Hinweispflicht auf das Verteidigerkonsultationsrecht im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht gleichwohl nicht zu verneinen sein. Es ist auch unter Maßgabe des § 55 Abs. 2 OWiG anerkannt, dass nach den Umständen des Einzelfalls, etwa wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder der Höhe der zu erwartenden Geldbuße, eine Hinweispflicht im Bußgeldverfahren geboten sein kann.[92] Im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht drohen typischerweise empfindliche Geldbußen. Daher sollte das Bußgeldreferat der BaFin bei der Anhörung jeden Betroffenen standardisiert über das Verteidigerkonsultationsrecht belehren. Diese Erwägung greift auch bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach WpÜG, WpPG und VermAnlG, die von der Regelung des § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG nicht erfasst werden.

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Im Ergebnis ist festzuhalten: Rückt der Verpflichtete spätestens durch die förmliche Einleitung des Bußgeldverfahrens in die Betroffenenstellung ein, ist er vom Bußgeldreferat der BaFin gem. § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 137 StPO auf das Verteidigerkonsultationsrecht hinzuweisen.

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Praxishinweis

Die Fachreferate der BaFin müssen den Verpflichteten erst dann über das Aussageverweigerungsrecht bzw. über das Verteidigerkonsultationsrecht belehren, wenn der Verpflichtete Beschuldigter bzw. Betroffener ist. Wurde der Verpflichtete überobligatorisch im Aufsichtsverfahren standardisiert belehrt, ohne dass die BaFin mangels Betroffenenstellung der Verpflichteten hierzu gem. § 6 Abs. 15 S. 2 WpHG verpflichtet gewesen war, ist der Betroffene spätestens zu Beginn des förmlichen Bußgeldverfahrens über das Verteidigerkonsultationsrecht erneut und erstmals verpflichtend zu belehren. Der vorherige („vorsorgliche“) Hinweis im Aufsichtsverfahren ist nicht geeignet, die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht zu ersetzen, sobald dem Betroffenen nach dem Gesetz das Recht auf einen Verteidiger tatsächlich zusteht.[93]

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Der Betroffene muss im Übrigen nicht darüber belehrt werden, dass er unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO Anspruch auf einen notwendigen Verteidiger hat. Diese Belehrungspflicht, die gem. § 136 Abs. 1 S. 5 StPO im Strafverfahren gilt, ist gem. § 55 Abs. 2 S. 2 OWiG ausgeschlossen.

c) Fragen zum Tatgeschehen und Fristsetzung

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Dem Betroffenen wird mit dem Anhörungsschreiben die Gelegenheit gegeben, sich innerhalb einer von der BaFin bestimmten Frist (z.B. von einem Monat) zu den Tatvorwürfen zu äußern. Da die schriftliche Anhörung die förmliche Vernehmung des Betroffenen ersetzt (vgl. § 55 Abs. 1 OWiG), werden typischerweise die aus Sicht der BaFin relevanten Fragen zum Sachverhalt dem Betroffenen bereits im Anhörungsschreiben gestellt.

2. Bestellung eines notwendigen Verteidigers

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Im Ermittlungsverfahren entscheidet die BaFin gem. § 60 OWiG i.V.m. § 121 WpHG über die Bestellung eines notwendigen Verteidigers (sog. Pflichtverteidiger). Im Bußgeldverfahren kommt eine Pflichtverteidigerbestellung – wie aus § 60 Abs. 1 OWiG folgt – nur aus den Gründen des § 140 Abs. 2 StPO in Betracht. Von vornherein kein Bedürfnis und daher auch keine Pflicht zur Bestellung eines notwendigen Verteidigers besteht, wenn sich ein Wahlverteidiger für den Betroffenen bereits legitimiert hat. Dies dürfte in der Praxis die Regel sein.

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Seit der Reform des Rechts der notwendigen Verteidigung im Jahr 2019[94] hat der Betroffene ein eigenes Antragsrecht auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers. Diese Regelung, die auch im Bußgeldverfahren Geltung beansprucht, hat grundsätzlich das Potential, die Anzahl der Pflichtverteidigerbestellungen im Straf- und Bußgeldverfahren zu erhöhen. Da der Betroffene im Bußgeldverfahren über diese Möglichkeit indes nicht belehrt zu werden braucht,[95] dürfte sich die Regelung auf die Pflichtverteidigerbestellung in der Bußgeldpraxis der BaFin allerdings nicht wesentlich auswirken.

a) Verteidiger

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In § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 138 StPO ist geregelt, wer im Bußgeldverfahren als Verteidiger gewählt werden kann.

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Hierzu sind in der Praxis in erster Linie Rechtsanwälte (§ 138 Abs. 1 1. Var. StPO) berufen. Ebenfalls kommen Rechtslehrer an deutschen Hochschulen i.S.d. Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt (§ 138 Abs. 1 Var. 2 StPO) als Verteidiger im Bußgeldverfahren in Betracht.

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Auch ein Syndikusanwalt darf als Verteidiger im Bußgeldverfahren nicht zurückgewiesen werden. Der Syndikusanwalt hat nach der sog. Doppelberufstheorie zwei Arbeitsbereiche: den eines freien Rechtsanwalts und – im Hauptberuf – den eines nichtanwaltlichen und weisungsgebundenen Arbeitnehmers.[96] Nur soweit der Syndikusanwalt außerhalb seines hauptberuflichen Dienstverhältnisses tätig wird, kann er als Verteidiger gem. § 138 Abs. 1 Var. 1 StPO bestellt werden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn in dem Arbeitsvertrag geregelt ist, dass strafrechtliche Angelegenheiten nicht zu seinen Arbeitsaufgaben gehören.[97] Der Syndikusanwalt unterliegt zwar den standesrechtlichen Beschränkungen des § 46c Abs. 2 S. 2 BRAO. Danach ist es ihm verboten, in Straf- oder Bußgeldverfahren, die sich gegen den Arbeitgeber oder dessen Mitarbeiter richten, als Verteidiger aufzutreten. Der Verstoß gegen das Berufsrecht ist indes strafprozessual folgenlos. Weder berechtigt der Verstoß gegen § 46c Abs. 2 S. 2 BRAO die BaFin zu einer Zurückweisung gem. § 146a StPO, noch hat dieser Auswirkung auf die Wirksamkeit von Verteidigerhandlungen.[98]

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Keine Syndikusanwälte sind Justiziare oder Mitarbeiter von Rechtsabteilungen. Sie besitzen keine Rechtsanwaltszulassung. Sie können zwar im Auftrag der Nebenbeteiligten für diese mit der BaFin Gespräche über das Bußgeldverfahren führen, haben aber nicht die prozessuale Stellung eines Verteidigers inne (und damit z.B. kein eigenständiges Akteneinsichtsrecht).

b) Gründe notwendiger Verteidigung

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Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht dürften die Bestellungsgründe der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge und die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage in Betracht kommen.[99]

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Die Höhe der zu erwartenden Geldbuße kann die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge begründen. Gegen die Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung in dieser Fallgestaltung soll jedoch sprechen, wenn der Betroffene in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und zudem lebenserfahren, umsichtig, geschäftsgewandt und in der Lage ist, seine Interessen mit Nachdruck zu vertreten.[100]

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Die Rechtslage ist schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird.[101] Dies wird etwa angenommen, wenn ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt.[102]

c) Bestellung eines notwendigen Verteidigers

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Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, hat die BaFin dem Betroffenen einen Pflichtverteidiger für das Bußgeldverfahren von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestellen, § 60 OWiG.[103] Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 OWiG allein ist dafür nicht ausreichend; die Bestellung muss gem. § 60 OWiG zusätzlich geboten sein.[104]

Das insoweit eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert, wenn der Betroffene die Bestellung eines Pflichtverteidigers wünscht. Denn die Bestellung eines Pflichtverteidigers hat nach der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung[105] unverzüglich im Ermittlungsverfahren zu erfolgen, sobald der Betroffene dies ausdrücklich beantragt, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO.

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Stellt der Betroffenen den Antrag nicht, hat die BaFin ihr eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß auszuüben. Dabei sind beispielsweise die Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen, die Bedeutung der Sache[106] sowie der Umstand zu würdigen, dass der Betroffene – sofern er im Bußgeldverfahren überobligatorisch darauf hingewiesen worden ist – selbst keinen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung gestellt hat.

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Bei der Auswahl des Verteidigers ist im Grundsatz der Wunsch des Betroffenen zu berücksichtigen, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 142 Abs. 5 S. 2 StPO.

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Die Bestellung wirkt nur für das Bußgeldverfahren vor der BaFin, nicht auch für das gerichtliche Bußgeldverfahren.[107] Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden, erlischt die Pflichtverteidigerbestellung. Sie wirkt nicht in das verwaltungsrechtliche Vollstreckungsverfahren fort.[108]

3. Zurückweisung eines Verteidigers

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Gemäß § 60 OWiG i.V.m. § 121 WpHG entscheidet die BaFin über die Zurückweisung eines Verteidigers (Wahl- und Pflichtverteidiger).

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Der Verteidiger darf zur Vermeidung von Interessenkollisionen weder gleichzeitig mehrere Betroffene derselben (prozessualen) Tat noch mehrere Betroffene unterschiedlicher (prozessualer) Taten in demselben Bußgeldverfahren verteidigen (Verbot der Doppel- und Mehrfachverteidigung, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 146 StPO).

Beispiel

Hat ein Rechtsanwalt die Verteidigung von zwei Betroffenen einer Ordnungswidrigkeit in demselben Bußgeldverfahren übernommen, ist zu differenzieren. Bei gleichzeitiger Beauftragung des Verteidigers durch mehrere Betroffene ist der Verteidiger insgesamt zurückzuweisen. Bei nicht gleichzeitiger, sukzessiver Beauftragung ist der Verteidiger lediglich hinsichtlich der später übernommenen Verteidigung zurückzuweisen, die zuerst übernommene Verteidigung bleibt zulässig.

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Weiter dürfen sich aus Gründen der Verfahrensvereinfachung für denselben Betroffenen nicht mehr als drei Verteidiger bestellen, § 137 Abs. 1 S. 2 StPO.[109] Wird dagegen verstoßen, ist der (Wahl-)Verteidiger gem. § 146a Abs. 1 S. 1 StPO von der BaFin durch Bescheid zwingend zurückzuweisen.

Beispiel

Für den Betroffenen legitimiert sich eine auf das Kapitalmarktrecht spezialisierte Anwaltssozietät zur Akte. Nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen[110] ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Mandatsübernahme durch einen einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalt auch seine Sozien verpflichtet.[111] Diese Rechtsprechung steht dann nicht im Konflikt mit der strafprozessualen Regelung des § 137 Abs. 1 S. 2 StPO, solange in der Kanzlei nicht mehr als drei Rechtsanwälte tätig sind. In diesem Fall können alle in der Vollmacht benannten Rechtsanwälte als beauftragte Verteidiger desselben Betroffenen angesehen werden.[112] Die förmliche Zurückweisung eines Verteidigers durch die BaFin allein aufgrund einer auf die Gesamtkanzlei/-sozietät ausgestellten Verteidigervollmacht scheidet daher jedenfalls solange aus, wie rein tatsächlich nicht mehr als drei Verteidiger für den Betroffenen tätig geworden sind.[113] Sind hingegen mehr als drei Rechtsanwälte auf dem Briefkopf der Kanzlei aufgeführt, ist bei der bevollmächtigten Sozietät durch behördliches Anschreiben unter Hinweis auf die Rechtsfolge des § 137 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 146a Abs. 1 S. 1 StPO zu ermitteln, welcher Rechtsanwalt die Verteidigung des Betroffenen übernommen hat. Wird die Unklarheit seitens der Bevollmächtigten nicht beseitigt, ist „die Sozietät“ bzw. sind alle unter der Kanzlei benannten Rechtsanwälte als Verteidiger gem. § 60 S. 2 OWiG zurückzuweisen.

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Wegen des Gleichlaufs der Interessen soll es im Bußgeldverfahren zulässig sein, wenn der Verteidiger im einheitlichen Verfahren sowohl den persönlich Betroffenen als auch die nebenbeteiligte juristische Person oder Personenvereinigung i.S.d. § 30 OWiG gemeinschaftlich verteidigt.[114] Das soll jedenfalls dann gelten, wenn sich die bußgeldrechtliche Ahndung der Gesellschaft – wie bei § 30 OWiG – von der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ableitet. Ausgeschlossen ist ein Verteidiger demgegenüber von der Vertretung mehrerer Nebenbeteiligter dann, wenn diese Teil eines Konzernverbunds sind. Werden etwa wegen Verstößen gegen die Stimmrechtsmeldepflichten (§§ 33 ff. WpHG) Bußgeldverfahren gegen mehrere Konzernunternehmen eingeleitet, ist für jede Gesellschaft ein eigener Verteidiger zu bestellen.

4. Verfahrensbeteiligung einer Gesellschaft

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Kommt die Verhängung einer Geldbuße gegen eine Gesellschaft gem. § 30 OWiG in Betracht, wird ihre Verfahrensbeteiligung in der Regel schon zu Beginn des Bußgeldverfahrens zu erfolgen haben.

a) Anordnung der Verfahrensbeteiligung

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Die BaFin ordnet die Verfahrensbeteiligung gegen die Gesellschaft gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 1 S. 1 StPO an, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Voraussetzungen des § 30 OWiG vorliegen.[115] Die Zuständigkeit der BaFin für die Anordnung folgt aus § 88 Abs. 1 OWiG. Die Anordnung der Verfahrensbeteiligung könnte allerdings auch konkludent durch Erlass eines Bußgeldbescheids erfolgen.[116] Die Anordnung ist unanfechtbar (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 1 S. 2, 424 Abs. 4 StPO) und wirkt konstitutiv, d.h. die Gesellschaft ist ab der Anordnung Subjekt des Verfahrens mit eigenen verfahrensrechtlichen Befugnissen und nicht mehr nur Dritter.[117]

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Hintergrund (Zur Wirkung der Anordnung der Verfahrensbeteiligung)

Ab der Anordnung der Verfahrensbeteiligung können die vertretungsberechtigten Organe der Gesellschaft verfahrensrechtlich nicht mehr als Zeuge behandelt werden.[118] Ihnen stehen bei der Anhörung die Rechte eines Betroffenen – wie das Schweigerecht und das Beweisantragsrecht gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 1 S. 2, 426 Abs. 2, § 136 Abs. 1 StPO – zu.[119] Dabei gelten die Einschränkungen des § 55 OWiG. Eine förmliche Vernehmung ist nicht erforderlich, die Gelegenheit zur Äußerung zum Tatvorwurf ist ausreichend.

b) Anhörung der Organe der Gesellschaft

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In der Praxis erfolgt neben der Anordnung der Verfahrensbeteiligung häufig zugleich die erforderliche Anhörung der Gesellschaft als Nebenbeteiligte gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO.[120] Die Anhörung der Gesellschaft findet nach den Vorgaben des § 55 Abs. 1 OWiG statt, sodass die Gelegenheit zur Äußerung ausreichend ist.

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Das Anhörungsschreiben ist nach h.L. an das nicht betroffene vertretungsberechtigte Organ zu richten. Denn wegen unauflösbarer Interessenkonflikte sei das Organ, gegen das sich das Verfahren persönlich richtet, von der Vertretung der betroffenen Gesellschaft ausgeschlossen (Rechtsgedanke aus § 112 AktG; § 52 GmbHG).[121] Auch der 1. Strafsenat des BGH verneint, dass das beschuldigte bzw. angeklagte Organ die von einer Geldbuße nach § 30 OWiG betroffene Gesellschaft in demselben Strafverfahren wirksam vertreten kann.[122] Das BVerfG hat im Kontext der Zustellung von Schriftstücken im Zivilprozess hingegen in einer im Ausgangspunkt vergleichbaren Situation die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG einer Personenhandelsgesellschaft bejaht. In dem Fall wurde ein Vollstreckungsbescheid an die durch den Geschäftsführer vertretene Gesellschaft zugestellt, wobei der Geschäftsführer zuvor die dem Vollstreckungsbescheid zugrunde liegende Forderung an den Gläubiger abgetreten hatte. Das BVerfG entschied, dass durch die Zustellung zu Händen des Geschäftsführers den Verteidigungsmöglichkeiten der Gesellschaft und damit ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG ausreichend Rechnung getragen sei.[123] Dem stehe nicht entgegen, dass ihr gesetzlicher Vertreter den Interessen der Gesellschaft zuwiderhandeln könnte, denn ein solcher Missbrauch liege im Risikobereich der Gesellschaft, die sich ihre Vertreter eigenverantwortlich auswähle; dies könnte allenfalls Schadensersatzansprüche auslösen.[124] Ob diese Entscheidung auf das einheitliche Verfahren im Ordnungswidrigkeitenrecht ohne Weiteres zu übertragen ist, mit der Folge, dass das Anhörungsschreiben auch an das betroffene Organ der Gesellschaft unter Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör übersandt werden kann, ist zweifelhaft. Denn die Verhängung der Verbandsgeldbuße ist eine bußgeldrechtliche Sanktion eigener Art[125], die über die bloße Zahlungsverpflichtung hinaus für die Gesellschaft erhebliche Folgen haben kann. Aus diesem Grund werden im Bußgeldverfahren – zumindest im Kontext der Anhörung – höhere Anforderungen zu stellen sein, um dem Anspruch des rechtlichen Gehörs der Gesellschaft zu genügen. Ungeachtet solcher Bedenken sollte schon deshalb von der Anhörung des betroffenen Organs für die Gesellschaft abgesehen werden, um mögliche Folgeprobleme zu vermeiden.[126]

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Folgt man der vorzugswürdigen h.L. und ist der Betroffene alleinvertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft, wird im Schrifttum angeraten, der betroffenen Gesellschaft einen Notvertreter (§ 29 BGB)[127] oder einen notwendigen Rechtsbeistand gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 428 Abs. 2 StPO zu bestellen,[128] und diese Personen für die Gesellschaft anzuhören. Die Bestellung eines notwendigen Rechtsbeistands in dieser Situation deckt indes die Widersprüchlichkeit auf, wenn die h.L. bei der Vertretung der Gesellschaft durch das betroffene Organ eine – die Vertretung ausschließende – Interessenkollision erkennt, es im Kontext des § 146 StPO aber zulässig sein soll, dass derselbe Verteidiger mangels einer Interessenkollision sowohl den Betroffenen als auch die betroffene Gesellschaft in demselben Verfahren prozessual vertreten können soll.[129] Ungeachtet dessen kann in den Fällen des alleinvertretungsberechtigten, aber von der Vertretung ausgeschlossenen Organs die Möglichkeit gegeben sein, dem Passivvertreter der Gesellschaft die Gelegenheit der Stellungnahme (§ 55 OWiG) einzuräumen.[130] So liegt es im Fall eines betroffenen Alleinvorstands der Aktiengesellschaft, an dessen Stelle der Aufsichtsrat (Rechtsgedanke aus § 78 Abs. 2 S. 2 AktG) angehört werden kann, um das Recht auf rechtliches Gehör der betroffenen Gesellschaft zu wahren. Entsprechend § 78 Abs. 2 S. 3 AktG kann das Anhörungsschreiben sodann an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift der Gesellschaft gesendet werden.

87

Unterlässt die BaFin die Anhörung der betroffenen Gesellschaft im Ermittlungsverfahren, wird die Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Erlass und wirksamer Zustellung des Bußgeldbescheids durch die Gelegenheit der Einspruchseinlegung nachgeholt werden können.