Loe raamatut: «Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen – Kommentar», lehekülg 11

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§ 6 Außerordentliche Zuständigkeit

(1) Bei Gefahr im Verzug oder in den gesetzlich vorgesehenen Fällen kann jede Ordnungsbehörde in ihrem Bezirk die Befugnisse einer anderen Ordnungsbehörde ausüben. Dies gilt nicht für den Erlaß ordnungsbehördlicher Verordnungen.

(2) Erfordert die Erfüllung ordnungsbehördlicher Aufgaben Maßnahmen auch in benachbarten Bezirken und ist die Mitwirkung der dort örtlich zuständigen Ordnungsbehörden nicht ohne eine Verzögerung zu erreichen, durch die der Erfolg der Maßnahme beeinträchtigt wird, so kann die eingreifende Ordnungsbehörde auch in benachbarten Bezirken die notwendigen unaufschiebbaren Maßnahmen treffen.

(3) Die allgemein zuständige Ordnungsbehörde ist über die getroffenen Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten.

I. Allgemeines

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§ 6 enthält eine originäre[408] Zuständigkeitsregelung zugunsten höherer oder niederer Verwaltungsebenen zur Bewältigung von Gefahren im Vollzug in ihrem Bezirk (Abs. 1), bei inhaltlich abweichenden Eingriffsvoraussetzungen auch in benachbarten Bezirken (Abs. 2). Abs. 1 gilt für das Verhältnis der allgemeinen Ordnungsbehörden untereinander, für das Verhältnis der Sonderordnungsbehörden untereinander und für das Verhältnis der allgemeinen Ordnungsbehörden zu den Sonderordnungsbehörden (§ 12 Abs. 2)[409].

Die örtliche Zuständigkeit der nach § 6 einschreitenden Ordnungsbehörde muss indes vorliegen, daher sind bei Abs. 1 nur vertikale Übergriffe zulässig, keine horizontalen[410]; bei Abs. 2 wird der Zuständigkeitsbereich der einschreitenden örtlich zuständigen Ordnungsbehörde auch vertikal in die „Nachbarschaft“ erweitert. Tragender Grund für die Regelung ist, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung der normalerweise geltenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelung gegenüber der für das Gemeinwohl evident wichtigeren Gefahrenabwehr im Notfall zurücktreten muss[411].

II. Absatz 1

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Höhere örtlich zuständige Behörden können für untere handeln und umgekehrt[412]. Handelt eine höhere anstelle einer unteren Behörde, spricht man von einem – ohne § 6 (verfassungsrechtlich) unzulässigen[413] – Selbsteintrittsrecht (vgl. auch § 10). Selbstverständlich ist § 6 nicht anwendbar, wenn es um verschiedene Ämter einer Gemeinde- oder Kreisverwaltung geht.[414] Die Vorschrift ist auch nicht anwendbar, wenn sich die zuständige Behörde weigert, tätig zu werden. § 6 weist nur bei Gefahr im Verzug einer nicht zuständigen Behörde ausnahmsweise eine Zuständigkeit zu, er ermächtigt dagegen nicht unzuständige, aber gewissermaßen zuständigkeitssuchende Behörden zu Zuständigkeitsusurpationen gegen den erklärten Willen der zuständigen Behörde. In solchen Fällen kann bzw. muss die übergeordnete Behörde vielmehr nach § 9 oder 10 vorgehen[415].

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Soweit das VG Köln in einem Fall des Zuständigkeitsstreits zwischen dem Eisenbahn-Bundesamt und der örtlichen Ordnungsbehörde über die Durchsetzung naturschutzrechtlicher Bestimmungen der Länder im Bereich von Eisenbahnanlagen (es ging um das auf eine kommunale Baumschutzsatzung gestützte Verbot von Baumfällarbeiten einer örtlichen Ordnungsbehörde gegen die Eisenbahn des Bundes und das Eisenbahn-Bundesamt) die gegenteilige Position vertreten hat[416], vermag dies nicht zu überzeugen. Die Entscheidung zeigt vielmehr, wie ein Rechtsanwender in die Irre gehen kann, wenn er vorschnell und ohne sachgerechte Prüfung von Zuständigkeitsfragen den Versuch unternimmt, von kompliziert formulierten Ausnahmetatbeständen Gebrauch zu machen: Zum einen hätte erörtert werden müssen, ob die Gesetzgebungsverbandskompetenz des Landes ausreicht, um auch Regelungen wie § 6 zulasten einer Bundesbehörde zu treffen[417]. Vor allem aber hätte das VG Köln zentral die Frage klären müssen, ob und inwieweit genau von einer abschließenden Exemtion der Bundesverwaltung vom Landesnaturschutzrecht und der Verwaltungszuständigkeit der Landesbehörden auszugehen war. Es ging in Wirklichkeit um einen Fall aus dem Bereich der (früher sogenannten) Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern und der Reichweite von Exemtionsvorschriften wie etwa § 4 AEG[418]. Jedenfalls kam eine Zuständigkeitsusurpation der Landesgebietskörperschaft über § 6, der es erkennbar darum ging, ihre Baumschutzsatzung auch gegen die Eisenbahn und die Eisenbahnverwaltung des Bundes durchzusetzen, nicht in Betracht. Die Gründe, die das VG Köln gegen die Verneinung der Anwendbarkeit des § 6 in solchen Fällen anführt, überzeugen nicht, insbesondere nicht das Argument, örtliche Ordnungsbehörde und Eisenbahn-Bundesamt hätten keine gemeinsame Aufsichtsbehörde: Umso weniger Anlass würde bestehen, einer nicht zuständigen Ordnungsbehörde einseitig zu gestatten, ihre Vorstellungen gegen die zuständige Behörde (noch dazu eine Bundesbehörde) durchzusetzen. Die tatsächlich angezeigten Prüfungen (Reichweite der Exemtion, Bestimmtheit der Verfügung und Vereinbarkeit der Verfügung der Ordnungsbehörde mit § 14 und den Vorschriften des Landschafts- und Naturschutzrechts) hat dann das OVG im Einzelnen nachgeholt und die Entscheidung des VG aufgehoben; auf § 6 ist es zu Recht nicht einmal eingegangen[419].

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Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn ein rechtzeitiges Eingreifen der zuständigen Instanz zur Gefahrenabwehr objektiv nicht mehr möglich ist und ohne ein sofortiges Einschreiten der an sich unzuständigen Stelle der drohende Schaden tatsächlich entstehen würde[420].

Die Gefahr im Verzug rechtfertigt die Notkompetenz, das Recht des ersten Zugriffs[421]. Voraussetzung ist, dass ohne das Eingreifen der Ordnungsbehörde der drohende Schaden nicht mehr rechtzeitig von der an sich zuständigen Behörde abgewendet werden könnte; hier werden Beispielsfälle genannt wie Sofortmaßnahmen der örtlichen Ordnungsbehörde anstelle der zuständigen Wasserbehörde bei Grundwassergefährdung durch ausgelaufenes Mineralöl, Sicherung privater Ansprüche, bis das zuständige Gericht tätig geworden ist[422].

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Es wird in der Kommentarliteratur darauf hingewiesen, dass die Durchbrechung durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes vorgegebener Zuständigkeiten durch die Verwaltung nicht voreilig und ohne zwingenden Grund geschehen sollte[423]. Auch angesichts der modernen Möglichkeiten, die zuständige Behörde (per E-Mail oder Mobiltelefon) zu informieren, seien Fälle einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der Eilkompetenz die (zu begründende) Ausnahme. Die Notwendigkeit des Zuständigkeitsübergriffs werde sich daher bei der gebotenen sofortigen Unterrichtung der zuständigen Behörde in der Regel nicht ergeben[424]. Das ist in dieser Allgemeinheit freilich ebenso fraglich wie die oben[425]geschilderte Entscheidung des VG Köln zu einem Fall der Zuständigkeitsanmaßung einer örtlichen Ordnungsbehörde gegen eine fremde Behörde. Gerade im ländlichen Bereich ist die Gemeinde als örtliche Ordnungsbehörde nicht nur der sozusagen geborene erste Ansprechpartner der Bürger. Die Sonderordnungsbehörde ist häufig der Kreis, die Kreisverwaltung mancherorts weit entfernt. Es gibt zahlreiche Fallgestaltungen im Außenbereich (Ölunfälle etc.), in denen die örtliche Ordnungsbehörde nicht nur zuerst gerufen wird, sondern in denen sie auch erste, vorläufige Maßnahmen anordnen muss, weil auf das Erscheinen der Sonderordnungsbehörde(n) nicht gewartet werden kann. Es handelt sich auch angesichts der Zuständigkeitsaufteilung auf Gemeinden und Kreise um eine sehr wertvolle Verwaltungstätigkeit der Gemeinden. Diese vorläufigen Maßnahmen sind, soweit die sonstigen Voraussetzungen des § 6 und des OBG erfüllt sind, zulässig. Selbstverständlich ist die eigentlich zuständige Sonderordnungsbehörde zu unterrichten etc.

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Keinesfalls darf die Notkompetenz des § 6 Abs. 1 indes dazu missbraucht werden (und auch dies versteht sich von selbst), Organisationsmängel einer Ordnungsbehörde zu verdecken. Sollte ein Zuständigkeitsübergriff nur deshalb erforderlich werden, weil eine Ordnungsbehörde (allgemeine oder Sonderordnungsbehörde) personell unterbesetzt ist, wäre der Eingriff zwar möglicherweise nach außen gemäß § 6 Abs. 1 gedeckt; intern müssten indes kommunalaufsichtliche bzw. disziplinarische Maßnahmen aus dem Gesichtspunkt der Missachtung interner Organisationspflichten geprüft bzw. ergriffen werden.

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Zulässig sind auch unter dieser Prämisse nur unbedingt notwendige einzelne – vorläufige – Maßnahmen. Dauerregelungen sind unzulässig[426]. Wird die allgemeine örtliche Ordnungsbehörde bei Gefahr im Verzug hilfsweise anstelle einer an sich zuständigen Behörde tätig, so dürfen ihre Maßnahmen nur so weit gehen, als es notwendig ist, um die Gefahr vorläufig abzuwenden[427]. Die Ordnungsbehörde hat dann unverzüglich die eigentlich zuständige Behörde über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Diese Maßnahmen gelten als solche derjenigen Behörde, die sie erlassen hat, die also eingeschritten ist, nicht als solche der eigentlich zuständigen Ordnungsbehörde. Das erfordert schon der Grundsatz der administrativen Verantwortungszurechnung. Dagegen sind die üblichen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegeben.

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Die einschreitende Behörde hat – abschließend – die Kosten zu tragen (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2). Die analoge Anwendung von Vorschriften wie der Geschäftsführung ohne Auftrag etc. war vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollt und hat deshalb auszuscheiden[428]. § 6 ist daher, was den gesetzlichen Ausschluss von Kostenerstattungen angeht, die vorrangige Spezialnorm, soweit die Vorschrift anwendbar ist[429]. Die einschreitende Behörde bleibt damit auf ihren Kosten „sitzen“, soweit sie nicht nach den allgemeinen Vorschriften von Dritten, etwa dem Störer, Ersatz verlangen kann. Damit ist die rechtspolitisch richtige Absicht verbunden, Zuständigkeitsübergriffe in die Geschäftsbereiche anderer Behörden auf die wirklich zwingenden Fallgestaltungen zu beschränken. Eine ganz andere Frage ist, ob eine Gebietskörperschaft Erstattungs- oder Schadenersatzansprüche gegen eine andere Gebietskörperschaft hat, weil diese als Verantwortliche bestimmten Rechtspflichten nicht nachgekommen ist[430].

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An der zwingenden Eilbedürftigkeit (im Sinne eines Ausschlusses der eigentlich zuständigen Stelle) wird es bei ordnungsbehördlichen Verordnungen gerade fehlen, sodass der Gesetzgeber diesen Fall in Abs. 1 Satz 2 zu Recht ausgeschlossen hat. Zudem sehen §§ 26 ff. ein eigenes Rechtsregime hinsichtlich der Zuständigkeiten zum Erlass von Verordnungen vor.

III. Absatz 2

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Abs. 2 erlaubt eine Art „Nachbarschaftshilfe“. Danach muss eine Zuständigkeit der eingreifenden Ordnungsbehörde gegeben sein. Diese darf nach Abs. 2 dann auch in „benachbarten Bezirken“ die notwendigen unaufschiebbaren Maßnahmen treffen, wenn die Mitwirkung der dort örtlich zuständigen Ordnungsbehörde nicht ohne eine Verzögerung zu erreichen ist[431]. Benachbart heißt: Die Bezirke müssen eine gemeinsame Grenze haben.

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Die weiteren Regeln und Rechtsfolgen richten sich nach Abs. 1. Fraglich könnte angesichts des Wortlauts sein, ob auch bei einem Einschreiten nach Abs. 2 die nach Abs. 1 zwingend erforderliche Gefahr im Verzug vorliegen muss. Dafür könnte sprechen, dass die Gefahr im Verzug grundsätzlich der rechtfertigende Grund für die gesetzliche Anordnung ist, in Einzelfällen von der allgemeinen gesetzlichen Kompetenzordnung abzuweichen; gleichsam als verfassungsrechtlich notwendiges geschriebenes oder auch ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. In der Kommentarliteratur wird dagegen angenommen, eine Gefahr im Verzug sei gerade nicht erforderlich, es komme nur auf die Möglichkeit des Eintritts einer Verzögerung an, durch die der Erfolg beeinträchtigt werde. Als Beispiel wird auf die Anbringung einer Ölsperre auch auf dem Gebiet der benachbarten Ordnungsbehörde ohne vorherige Unterrichtung dieser benachbarten Ordnungsbehörde hingewiesen. Allerdings wird sodann auch gefordert, es kämen nur unaufschiebbare Maßnahmen in Betracht, was nur der Fall sei, wenn die Maßnahme nicht ohne Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zurückgestellt werden könne[432]. Die letztere Einschränkung zeigt bereits, dass sich kaum Beispiele finden lassen werden, mit denen zwingend belegt werden könnte, dass auf das Merkmal der Gefahr im Verzug unbedingt verzichtet werden müsste: Die Verhinderung der weiteren Ausbreitung eines Ölteppichs (Störung, Schädigung zumindest der Tier- und Pflanzenwelt und des Wassers) dürfte die Kriterien des Handelns bei Gefahr im Verzug erfüllen.

IV. Absatz 3

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Abs. 3 ist eine Organisationsvorgabe, die (rechtsförmlich) auch auf Erlassebene geregelt sein könnte. Die Unterrichtungspflicht der handelnden Behörde versteht sich von selbst, gleichwohl lehrt die Verwaltungspraxis, dass gerade solche Pflichten oft vergessen bzw. missachtet werden. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht ist ein Rechtsverstoß, der beamtenrechtlich bzw. innerdienstlich geahndet werden kann, er berührt die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach außen selbstverständlich nicht.

Schönenbroicher

§ 7 Aufsichtsbehörden

(1) Die Aufsicht über die örtlichen Ordnungsbehörden in den Kreisen führt der Landrat als untere staatliche Verwaltungsbehörde.

(2) Die Aufsicht über die kreisfreien Städte als örtliche Ordnungsbehörden und über die Kreisordnungsbehörden führt die Bezirksregierung. Sie ist gleichzeitig obere Aufsichtsbehörde über die kreisangehörigen Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden.

(3) Oberste Aufsichtsbehörde ist das jeweils zuständige Ministerium.

I. Allgemeines

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§ 7 regelt den Instanzenzug der ordnungsbehördlichen Sonderaufsicht (vgl. dazu §§ 119 GO NRW, §§ 8, 9, 11 OBG).

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Das Verhältnis von Sonderaufsicht zu allgemeiner kommunalrechtlicher Aufsicht nach der Gemeinde- und Kreisordnung ist ausgesprochen kompliziert ausgestaltet. Die allgemeine kommunalrechtliche Aufsicht ist in §§ 119 ff. GO geregelt, wobei § 119 Abs. 2 GO bestimmt, dass, soweit die Gemeinden ihre Aufgaben nach Weisung erfüllen, sich die „Aufsicht nach den hierüber erlassenen Gesetzen (Sonderaufsicht)“ richtet. Dass die Aufgaben der Ordnungsbehörden Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung sind, ist in § 3 Abs. 1 bestimmt. Der Gesetzgeber des OBG hat sich an die vom GO-Gesetzgeber „verfügte“, richtiger: vorgeschlagene, Terminologie und Systematik gehalten: Die Aufsicht über die kommunalen Behörden in ordnungsbehördlichen Angelegenheiten wird als „Sonderaufsicht“ bezeichnet[433], wobei der Begriff selbst im OBG, soweit ersichtlich, nicht verwendet wird. Dafür ist in § 9 die Einschränkung des fachaufsichtlichen Weisungsrechts verfügt, wie dies der Gesetzgeber der Gemeindeordnung in der an spätere Gesetzgeber adressierten „Grundsatznorm“ des § 119 Abs. 2 GO sozusagen „vorgesehen“ hat. Über § 12 gilt das System nicht nur für die allgemeinen Ordnungsbehörden, sondern auch für die Sonderordnungsbehörden, ohne dass insoweit weitere fachgesetzliche Anordnungen in gefahrenabwehrrechtlichen Normen nach dem „Prinzip der erschöpfenden Aufsichtsregelung im Sondergesetz“[434] notwendig wären.

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Die ordnungsbehördliche Aufsicht über die staatlichen Behörden – Fachaufsicht[435] – ist in §§ 11 und 13 LOG geregelt. Die Fachaufsicht im staatlichen Verwaltungsstrang eröffnet der vorgesetzten Behörde nach § 13 Abs. 3 LOG ein umfassendes Unterrichtungs-, Weisungs- und Selbsteintrittsrecht[436]. Darin liegt der fundamentale Unterschied zur Sonderaufsicht, die durch ein zurückgenommenes, differenziertes Instrumentarium gekennzeichnet ist, welches fachgesetzlich jeweils angeordnet wird und im OBG in §§ 8 bis 10 geregelt ist. Im Zentrum steht dabei § 9 mit seiner feinziselierten Beschränkung des Fachweisungsrechts. Den sonderaufsichtlichen Aufsichtsbehörden über die Kommunen soll nicht die allgemeine Dienstaufsicht früheren preußischen Charakters zustehen, die sich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten erstreckte[437]. Auch um diese Unterschiede zwischen der Aufsicht über staatliche Behörden einerseits und der Aufsicht über kommunale Körperschaften andererseits herauszustellen, soll der Begriff „Fachaufsicht“, so die Terminologie in der Gesetzgebungs- und Staatspraxis des Landes, nur in Bezug auf die Aufsicht gegenüber nachgeordneten Landesbehörden und im Falle der Wahrnehmung von staatlichen Auftragsangelegenheiten durch kommunale Stellen verwendet werden. Auch bis in diese kleinsten terminologischen Verästelungen wird also das Bemühen spürbar, den staatlichen vom kommunalen Strang zu unterscheiden. Dabei ist für jeden Verwaltungspraktiker offensichtlich, dass, was Fach- und Sonderaufsicht angeht, der Einschätzung zuzustimmen sein dürfte, dass der enge Kontakt mit den zuständigen Dienstkräften der nachgeordneten Behörden und ihre sachverständige Beratung, z. B. durch regelmäßige Dienstbesprechungen, mindestens ebenso wirksame Möglichkeiten bieten, um der Steuerungs-, Anleitungs- und Kontrollfunktion vorgesetzter Stellen zu genügen. Eine sachgerechte Aufsicht wird Gängelung im Detail und Besserwisserei außerhalb der Sphäre der Rechtswidrigkeit strikt vermeiden, auf der anderen Seite aber anleiten und klug steuern; im richtigen Moment auch Härte zeigen, wenn dies notwendig erscheint, um die Beachtung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wirksam in das Gedächtnis zu rufen.

II. Regelungsfelder der Sonderaufsicht

3a

Die Sonderaufsicht bezieht sich auf die fachlichen Aspekte der Aufgabenwahrnehmung. Sie betrifft fachliche Grundsatz- und Einzelfragen. Sonderaufsichtliche Instrumente sind:

Unterrichtungsrecht (§ 8),

eingeschränktes Weisungsrecht wegen der Qualifikation als Pflichtaufgabe (§ 9),

Selbsteintrittsrecht (§ 10).

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Der Sonderaufsichtsbehörde ist es wegen § 119 Abs. 2 verwehrt, über §§ 8 bis 10 hinaus selbst die kommunalaufsichtlichen Instrumente, welche nach §§ 119 ff. GO der Kommunalaufsicht vorbehalten sind, auf dem Feld des OBG zur Anwendung zu bringen. Sie muss ggf. die Kommunalaufsicht um entsprechendes Einschreiten bitten, wobei zu bedenken ist, dass es sich mindestens um unterschiedliche Abteilungen in einer Aufsichtsbehörde handelt, möglicherweise auch um unterschiedliche Aufsichtskörperschaften bzw. um unterschiedliche oberste Landesbehörden. Allerdings stehen der Sonderaufsicht mit dem Weisungsrecht und dem Selbsteintritt durchaus angemessene Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Wegen der Möglichkeit etwa des Selbsteintritts nach § 10 erscheint es aus Sicht einer – verfassungsrechtlich gebotenen – wirksamen Aufsicht als hinzunehmen, dass das OBG z. B. keine Ersatzvornahme vorsieht[438]. Den allgemeinen Kommunalaufsichtsbehörden stehen auf der anderen Seite die Kommunalaufsichtsmittel auch dann zu, wenn sich ihre Anwendung bei der Durchführung von ordnungsbehördlichen Pflichtaufgaben auf Weisung als notwendig erweist (§ 11[439]).

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Mangelhafte Organisation der Ordnungsbehörde insgesamt, fehlende Qualifikation der Mitarbeiter oder des Leiters, unzureichende sächliche Ausstattung sind durch die Kommunalaufsichtsbehörde im Wege der Kommunalaufsicht (§§ 119 ff. GO NRW) aufzugreifen, wobei es, was Fragen der fehlenden fachlichen Qualifikation im Einzelfall angeht, sicherlich auf das Votum der zuständigen Sonderaufsichtsbehörden ankommen wird. Wenn also die Sonderaufsichtsbehörde z. B. der Meinung ist, dass ein Leiter eines kommunalen Ordnungsamtes unfähig ist, soll sie die Kommunalaufsicht um den „Einsatz der zur Behebung dieser Mängel geeignet erscheinenden Maßnahmen der Kommunalaufsicht […] ersuchen“[440].

Eine solch verschachtelte Aufsichtsmechanik mag auf den ersten Blick umständlich und wenig effektiv erscheinen. Sie ist verfassungsrechtlich auch keineswegs durch zwingende Elemente des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gefordert[441]. Gleichwohl erscheint die Regelung sinnvoll. In der Verwaltungspraxis ist häufig zu beobachten, dass bestimmte Konflikte auch und gerade aus emotional-persönlichen Gesichtspunkten eskalieren können. Die notwendige Einschaltung der gleichsam unparteiischen Kommunalaufsicht kann insoweit im Einzelfall u. U. für Versachlichung und Mäßigung sorgen[442].