Loe raamatut: «Lese-Rechtschreibstörungen (LRS)»

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Prof. Dr. Andreas Mayer, Sprachheilpädagoge, hat sich habilitiert zum Thema Früherkennung und Prävention von Schriftspracherwerbsstörungen und ist Inhaber des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik (Förderschwerpunkt Sprache und Sprachtherapie) an der LMU München.

Prof. Dr. Sven Lindberg, Diplom Psychologe, ist assoziiertes Mitglied des Forschungszentrums IDeA in Frankfurt am Main und ist Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn.

Außerdem von A. Mayer im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Gezielte Förderung bei Lese- und Rechtschreibstörungen (2. Aufl. 2013, ISBN 978-3-497-02417-9)

Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE). Manual (3. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02600-5)

Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE). Testheft Vorschulalter und 1. Klasse (3. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02601-2)

Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE). Testheft 2. Klasse (2. Aufl. 2014, ISBN 978-3-497-02418-6)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 8662

ISBN 978-3-8252-8662-0 (Print)

ISBN 978-3-8463-8662-0 (EPUB)

© 2016 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Cover unter Verwendung eines Fotos von © rcx / Fotolia.com

Satz: SatzBild, Ursula Weisgerber

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1 Das deutsche Schriftsystem

1.1 Unterschiedliche Schriftsysteme

1.2 Die deutsche Orthographie

1.2.1 Das Grapheminventar des Deutschen

1.2.2 Prinzipien der deutschen Orthographie

2 Der ungestörte Schriftspracherwerb

2.1 Dual-Route Modelle

2.2 Das konnektionistische Modell der Worterkennung

2.3 Das Modell des Simple View of Reading

2.4 Entwicklungsmodelle

2.4.1 Präliteral-symbolische Phase

2.4.2 Logographemische Phase

2.4.3 Alphabetische Phase

2.4.4 Orthographische Phase

2.4.5 Integrativ-automatisierte Phase

3 Definition der Lese-Rechtschreibstörung

4 Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung

Von Sven Lindberg

4.1 Zur Genetik der Lese-Rechtschreibstörung

4.2 Neurobiologische Grundlagen der Lese-Rechtschreibstörung

4.2.1 Theorien zur Ursache der Lese-Rechtschreibstörung

4.2.2 Neurokognitive Korrelate der Lese-Rechtschreibstörung

4.2.3 Übersicht und Ausblick

5 Die phonologische Informationsverarbeitung

5.1 Begriffsklärung

5.2 Das Arbeitsgedächtnis

5.2.1 Begriffsklärung

5.2.2 Das Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley

5.2.3 Die Komponenten des Arbeitsgedächtnisses

5.2.4 Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsgedächtnis und dem Schriftspracherwerb

5.2.5 Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsgedächtnis und Schriftspracherwerb

5.2.6 Möglichkeiten der Förderung

5.3 Die phonologische Bewusstheit

5.3.1 Begriffsklärung

5.3.2 Das zweidimensionale Modell der phonologischen Bewusstheit

5.3.3 Entwicklung der phonologischen Bewusstheit

5.3.4 Zusammenhänge zwischen der phonologischen Bewusstheit und dem Schriftspracherwerb

5.3.5 Erklärung des Zusammenhangs zwischen der phonologischen Bewusstheit und schriftsprachlichen Kompetenzen

5.4 Die Benennungsgeschwindigkeit

5.4.1 Begriffsklärung

5.4.2 Überprüfung der Benennungsgeschwindigkeit

5.4.3 RAN-Leistungen dyslektischer Kinder

5.4.4 Persistenz des Naming-Speed Deficit

5.4.5 Erklärungsmodelle

5.4.6 Training der Benennungsgeschwindigkeit?

5.4.7 Spezifische Einflüsse der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit auf den Schriftspracherwerb

5.4.8 Die Double-Deficit Hypothese

6 Früherkennung von Schriftspracherwerbsstörungen

6.1 Das Problem der Früherkennung

6.2 Diagnostische Verfahren zur Früherkennung von Risikokindern

6.2.1 Bielefelder und Münsteraner Screening (BISC und MÜSC)

6.2.2 Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE)

6.2.3 Der Rundgang durch Hörhausen

6.2.4 Basiskompetenzen für Lese-Rechtschreibleistungen (BAKO 1–4)

7 Diagnostik

7.1 SLRT II

7.1.1 Überprüfungen

7.1.2 Auswertung

7.1.3 Testgütekriterien

7.2 Würzburger Leise Leseprobe

7.2.1 Überprüfung

7.2.2 Auswertung

7.2.3 Testgütekriterien

7.3 Lesegeschwindigkeits- und -Verständnistest für die Klassen 6–12

7.3.1 Überprüfungen

7.3.2 Auswertung

7.3.3 Testgütekriterien

7.4 Hamburger Lesetest für 3. und 4. Klassen

7.4.1 Überprüfungen

7.4.2 Auswertung

7.4.3 Testgütekriterien

7.5 ELFE 1–6

7.5.1 Überprüfungen

7.5.2 Auswertung

7.5.3 Testgütekriterien

7.6 Hamburger Schreib-Probe (HSP)

7.6.1 Überprüfung

7.6.2 Auswertung

7.6.3 Testgütekriterien

7.7 Deutscher Rechtschreibtest für das erste und zweite Schuljahr (DERET)

7.7.1 Überprüfung

7.7.2 Auswertung

7.7.3 Testgütekriterien

8 Förderung im Rahmen des Unterrichts

8.1 Ausgangslage

8.2 Kriterien für eine Förderung phonologischer Basisfähigkeiten

8.3 Erwerb der Graphem-Phonem-Korrespondenzen

8.3.1 Grundlagen

8.3.2 Erwerb der GPK-R mit Hilfe von Anlauttabellen

8.3.3 Systematische Buchstabenanalyse

8.4 Unterstützung beim Erwerb der Worterkennung

8.4.1 Erlernen der indirekten Lesestrategie

8.4.2 Automatisierung der Worterkennung

8.5 Förderung sinnentnehmenden Lesens

8.5.1 Komponenten des Leseverstehens

8.5.2 Vermittlung von Verstehensstrategien

8.5.3 Sprachliche Optimierung von Lesetexten

8.6 Förderung orthographisch korrekten Schreibens

8.7 Nachteilsausgleich

9 Prävention und Intervention

9.1 Hören, Lauschen, Lernen

9.1.1 Grundlagen

9.1.2 Aufbau und Inhalte

9.2 Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi

9.2.1 Grundlagen

9.2.2 Aufbau und Inhalte

9.2.3 Evaluation des Trainingsprogramms

9.3 Olli, der Ohrendetektiv

9.3.1 Grundlagen

9.3.2 Aufbau und Inhalte

9.4 Münsteraner Trainingsprogramm

9.4.1 Grundlagen

9.4.2 Aufbau und Inhalte

9.5 Marburger Rechtschreibtraining

9.5.1 Grundlagen

9.5.2 Aufbau und Inhalte

9.5.3 Evaluation des Programms

9.6 Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung

9.6.1 Grundlagen

9.6.2 Aufbau und Inhalte

9.7 Die Wortbaustelle

9.7.1 Grundlagen

9.7.2 Aufbau und Inhalt

9.8 IntraActPlus

9.8.1 Grundlagen

9.8.2 Aufbau und Inhalte

9.9 Blitzschnelle Worterkennung

9.9.1 Grundlage

9.9.2 Aufbau und Inhalte

9.10 PotsBlitz – Das Potsdamer Lesetraining

9.10.1 Grundlagen

9.10.2 Aufbau und Inhalte

Bildnachweis

Literatur

Sachregister

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuchs

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Beispiel
Informationsquellen print und online
Definition

Da sich die Lernziele in den Kapiteln 3, 7 und 9 jeweils auf das gesamte Kapitel beziehen, wurde dort auf die Angabe von Unterkapiteln zu den einzelnen Lernzielen verzichtet.

Vorwort

Mit einer Prävalenz von etwa sechs bis acht Prozent Betroffener gehören Lese-Rechtschreibstörungen zu den häufigsten Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter (Shaywitz et al. 1990).

Spätestens seit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der PISA Studien ist diese Problematik einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. In der Folge wurden verstärkt Bemühungen unternommen, valide Verfahren zur Früherkennung sowie Förder- und Therapiekonzepte zu entwickeln und hinsichtlich ihrer Effektivität zu evaluieren. Zudem wurden in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, was die Erforschung der Ursachen im neurobiologischen Bereich sowie der sprachlich-kognitiven Grundlagen eines erfolgreichen Schriftspracherwerbs angeht.

Seit der Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2006) und der damit verbundenen sukzessiven Umsetzung eines inklusiven Schulsystems, sehen sich neben Sprach- und Lerntherapeuten und Förderschullehrern zunehmend auch Lehrkräfte des Regelschulsystems mit der Problematik gestörter Schriftspracherwerbsprozesse konfrontiert.

Das vorliegende Buch ist das Resultat meiner langjährigen wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung mit diesem Störungsbild. Die Grundlage lieferte mein Habilitationsprojekt am Lehrstuhl für schulische und außerschulische Sprachbehindertenpädagogik der Universität zu Köln (Prof. Dr. Motsch), in dessen Rahmen eine empirische Studie mit mehr als 1.000 Kindern zur Früherkennung und Prävention von Schriftspracherwerbsstörungen im inklusiven Unterricht (Mayer 2014) durchgeführt wurde.

Dieses Buch verfolgt das Ziel, den genannten Berufsgruppen, die sich um Kinder und Jugendliche mit Lese-Rechtschreibstörungen kümmern, aber auch Lehramtsstudierenden unterschiedlicher Fachrichtungen sowie angehenden Sprach- und LerntherapeutInnen durch eine Aufarbeitung des internationalen Forschungsstandes wissenschaftliche Grundlagen dieses komplexen Störungsbildes zu vermitteln. Zu diesem Zweck gibt Kapitel 1 einen Einblick in die Charakteristika und Prinzipien der deutschen Orthographie. Kapitel 2 verdeutlicht die kognitiven Prozesse beim Lesen und Schreiben und skizziert den Schriftspracherwerb als Entwicklungsprozess. Nach einer detaillierten Begriffsklärung (Kap. 3) werden in Kapitel 4 die angenommenen Ursachen im engeren Sinn und in Kapitel 5 das Konstrukt der phonologischen Informationsverarbeitung als Bindeglied zwischen Ursachen und Oberflächensymptomatik ausführlich erläutert.

Kapitel 6 bis 9 sind der Früherkennung, Diagnostik, Prävention, Förderung und Intervention gewidmet. Neben einer kritischen Analyse unterschiedlicher Herangehensweisen soll der Leser auch Anregungen für die praktische Tätigkeit der Diagnostik, des Unterrichts und der Therapie erhalten.

Aufgrund der leichteren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen zumeist die männliche Form verwendet. Doch es sind selbstverständlich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler etc. gemeint. Beide Geschlechter sind immer mitzudenken.


Köln im Januar 2016Andreas Mayer

1 Das deutsche Schriftsystem

Lernziele

ein Bewusstsein für die Charakteristika unterschiedlicher Schriftsysteme entwickeln und die Besonderheiten alphabetischer Orthographien kennen (Kap. 1.1)

die unterschiedlichen Prinzipien der deutschen Orthographie kennen und die daraus resultierenden Rechtschreibbesonderheiten nachvollziehen können (Kap. 1.2)

Für einen Dozenten der Didaktik und Methodik des Biologieunterrichts oder einen Physiklehrer der Sekundarstufe ist es selbstverständlich, neben didaktisch-methodischen Kompetenzen über umfassendes fachspezifisches Wissen zu verfügen. Genauso selbstverständlich sollte es für alle Berufsgruppen sein, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Lese-Rechtschreibstörungen fördern oder therapieren, sich umfassendes Spezialwissen zu Aufbau, Struktur und Besonderheiten des deutschen Schriftsystems, den Entwicklungsprozessen beim Lesen- und Schreibenlernen sowie den dabei ablaufenden sprachlich-kognitiven Prozessen anzueignen.

Dieses Wissen zu vermitteln, ist das Ziel der Kapitel 1 und 2 des vorliegenden Lehrbuchs. Der Leser soll sich Wissen über die wesentlichen Charakteristika der deutschen Orthographie aneignen, ihm soll deutlich werden, dass es sich bei der Aneignung dieses komplexen Systems um einen (meta-)sprachlich-kognitiven Entwicklungsprozess handelt, der sich in unterschiedliche Phasen gliedern lässt, in denen sich die Kinder von unterschiedlichen Strategien leiten lassen, um sich sukzessive den Fähigkeiten kompetenter Leser und Schreiber anzunähern.

1.1 Unterschiedliche Schriftsysteme


Unter dem Begriff der Orthographie versteht man ein institutionalisiertes, normiertes System aus Zeichen und Regeln, das von kompetenten Benutzern gleich verwendet und verstanden werden kann (Crystal 2010).

Weitgehend selbstverständlich verbinden die meisten Menschen der westlichen Welt mit dem Begriff der Orthographie eine Schriftsprache, die die phonologische Struktur der jeweiligen Lautsprache nach bestimmten Regeln symbolisiert. Dabei handelt es sich aber nur um ein mögliches System, das historisch betrachtet zudem eher am Ende der Schriftentwicklung stand. Ausgehend von den Ursprüngen der Schrift im 3. Jahrtausend v. Chr. lassen sich unterschiedliche Schriftsysteme unterscheiden.

verschiedene Schriftensysteme

Diese werden üblicherweise differenziert in solche, die mittels Bildern oder Symbolen Inhalte abbilden, aber in keiner Beziehung zur jeweiligen Lautsprache der Sprachgemeinschaft stehen, in der sie verwendet wird (Piktographie, Ideographie) und solche, die sich an der Struktur der Lautsprache orientieren. In der zuletzt genannten Gruppe werden Systeme, deren Einheiten die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Logographie) von solchen unterschieden, die den Klang der Sprache abbilden (Phonographie).

Entstehung

Der Ursprung der Schriftkultur ist im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris zu suchen, wo sich etwa 3400 v. Chr. die sumerische Keilschrift entwickelte, ein Terminus, der sich auf die dabei verwendete Technik bezieht, mit einem Griffel Zeichen in feuchten Ton einzuritzen.

Piktographie

Wie bei allen bekannten Schriften aus dieser Zeit handelte es sich dabei um ein piktographisches System, mit dessen Zeichen, den Piktogrammen, die gegenständliche Welt in recht konkreten Bildern wiedergeben wird, weshalb ausschließlich visuell Wahrnehmbares (z. B. Tiere, Pflanzen, landwirtschaftliche Geräte) abgebildet werden konnte. Neben der sumerischen Keilschrift gehören die Hieroglyphen, die zwischen 3000 v. Chr. und der Zeitenwende in Ägypten, aber auch in anderen Kulturen, bspw. der Hethiter oder der Maya, verwendet wurden, zu den bekanntesten Beispielen der Piktographie. Da die Bedeutungen der Piktogramme unmittelbar aus der visuellen Darstellung abgeleitet werden können und nicht an die Kenntnis einer bestimmten Sprache gebunden sind, kommen entsprechende Systeme auch heute noch in öffentlichen Einrichtungen oder bei internationalen Veranstaltungen bzw. an Orten zum Einsatz, an denen zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalität zusammentreffen (z. B. Flughäfen) (Abb. 1).

Ideographie

Eine Weiterentwicklung der Piktographie stellt die Ideographie dar, deren Zeichen (= Ideogramme) meist aus Piktogrammen abgeleitet wurden, aber abstrakterer, schematisierter Natur sind und keinen unmittelbaren Bezug mehr zum Bezeichneten (signifié) erkennen lassen (Abb. 1). Deshalb können die Bedeutungen der Zeichen auch nicht mehr unmittelbar verstanden werden, sondern beruhen auf einer willkürlichen Vereinbarung, die gelernt werden muss.


Unter der Piktographie werden Schriftsysteme zusammengefasst, deren Zeichen (= Piktogramme) eindeutig und einfach sind, sodass der Inhalt auf Anhieb verstanden und wiedergegeben werden kann. Die Ideographie ist eine Weiterentwicklung piktographischer Systeme, deren Symbole (= Ideogramme) abstrakterer Natur sind, und keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Realität erkennen lassen. Die Logographie referiert auf Systeme, deren Einheiten (= Logogramme) die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Crystal 2010).

Diese Weiterentwicklung der Piktographie zur Ideographie brachte den Vorteil mit sich, dass sich die Zeichen nicht mehr nur auf materielle Gegebenheiten beziehen, sondern auch auf abstrakte Begriffe, Ideen und Gedanken ausgedehnt werden konnten.

Logographie

Während Piktogramme und Ideogramme Gedanken, Ideen, Ereignisse symbolisieren können, handelt es sich bei einem logographischen System und den dabei verwendeten Logogrammen um eine visuelle Repräsentation der Bedeutung einzelner Wörter oder Morpheme.


Abb. 1: Historische und aktuelle Piktogramme sowie Ideogramme (Crystal 2010; Wikipedia 2015)

Die bekanntesten aktuellen logographischen Systeme mit ideographischen Elementen sind das japanische Kanji und die chinesische Schrift, wobei es sich bei den Zeichen des Chinesischen genau genommen um Phonogramme handelt, da sie neben dem Hinweis auf die Bedeutung des Zeichens auch einen lautandeutenden Teil beinhalten. Für ein Land wie China ist ein logographisches System, trotz der hohen Anzahl benötigter Zeichen, durchaus von Vorteil. Aufgrund der zahlreichen Regionalsprachen, deren Sprecher sich untereinander nicht verständigen können, ermöglicht die chinesische Schrift zumindest eine schriftliche Kommunikation, weil die Zeichen in den einzelnen Dialekten gleich aussehen und dieselbe Bedeutung haben, auch wenn sie lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden.

Auch das System arabischer Zahlen und mathematischer Symbole kann als logographisches System verstanden werden, da sich die einzelnen Zeichen (1, 3, 6, +, : etc.) auf eine bestimmte sprachenunabhängige Wortbedeutung beziehen, die – die Kenntnis der Symbole vorausgesetzt – verstanden, aber lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden (eins, one, un, uno).

Gemein sind den bislang genannten Schriftsystemen, dass die verwendeten Zeichen Bedeutungen symbolisieren, aber keine Hinweise auf die Aussprache liefern. Um die Zeichen dieser Schriften verstehen zu können, sind keine Kenntnisse über die Phonologie, Semantik, Lexik und Grammatik der Sprache erforderlich, man muss „nur“ die Bedeutung der Zeichen kennen.

Rebusprinzip

Eine grundlegende Veränderung fand statt, als man nach und nach begann, die Zeichen piktographischer oder ideographischer Systeme als Symbole für lautsprachliche Einheiten zu verwenden. Im System der ägyptischen Hieroglyphen bspw. kamen im Laufe der Zeit neben den Zeichen, die unmittelbar die Dinge der materiellen Welt symbolisieren (Piktogramme) auch solche zum Einsatz, die jeweils den Anlaut oder die erste Silbe des abgebildeten Gegenstandes repräsentieren sollten (Rebusprinzip).

phonografische Systeme

Dabei handelte es sich um einen ersten Schritt hin zu phonographischen Systemen, die also keine Bedeutungen, sondern den Klang der jeweiligen Sprache abbilden. In Abhängigkeit von der Größe der sprachlichen Einheit, die durch das jeweilige Schriftzeichen symbolisiert wird, lassen sich dabei Silbenschriften und alphabetische Schriften unterscheiden.

Silbenschriften

Die Zeichen der Silbenschriften symbolisieren die Silben der Bezugssprache, wobei einzelne Zeichen auch für eine Kombination aus Onset und Nukleus bzw. aus Nukleus und Coda (= Rime, im Folgenden auch Silbenreim genannt) stehen können (zum Begriff Onset und Rime sowie dem Aufbau der Silbe aus Onset und Silbenreim vgl. Abb. 13). Unter dem Onset einer Silbe versteht man den bzw. die Konsonanten einer Silbe, die vor dem Vokal (= Nukleus) stehen. Die Zahl der Zeichen in unterschiedlichen Silbenschriften schwankt zwischen 50 und mehreren hundert.

Hiragana, Katakana

Zu den bekanntesten aktuell noch verwendeten Silbenschriften gehören das japanische Hiragana und Katakana, das 75 Zeichen umfasst, wobei drei davon gewisse Kombinationen eingehen können, sodass weitere 36 Formen entstehen (Crystal 2010; Abb. 2).

Alphabetschriften

Bei Alphabetschriften besteht nun ein direkter Zusammenhang zwischen Phonemen und Graphemen, wobei in den seltensten Fällen eine Eins-zu-eins-Zuordnung vorherrscht.


Phoneme stellen die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Lautsprache dar, während der Begriff des Graphems auf die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Schriftsprache referiert.

Aufgrund der Symbolisierung der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der jeweiligen Sprache durch Grapheme handelt es sich bei Alphabetschriften um die ökonomischste und anpassungsfähigste Form der Orthographie. Anstatt einer riesigen Menge an Logogrammen oder Silbenzeichen benötigt eine Alphabetschrift nur eine relativ geringe Anzahl an Graphemen, mit denen sich alle vorhandenen Wörter aber auch neu hinzukommende Ausdrücke verschriften lassen.

unterschiedliche Alphabetschriften

Die vermutlich erste Alphabetschrift, auf der alle folgenden aufbauen, ist die in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. entstandene phönizische Schrift, die aus 22 Konsonantenzeichen besteht und vorwiegend im Mittelmeerraum verwendet wurde. Aus der phönizischen Schrift entwickelten sich das aramäische und das griechische Alphabet, sodass diese als Grundlage aller heutigen alphabetischen Schriften betrachtet werden können.

Eine annähernd vollständige Abbildung der Laute einer Sprachgemeinschaft gibt es erst seit der Entstehung des griechischen Alphabets (800–900 Jahre v. Chr.). Die auch von der deutschen Orthographie verwendete lateinische Schrift stellt eine Modifikation der griechischen Schrift dar. Sie verbreitete sich im Zuge der Christianisierung über die Grenzen des Römischen Reichs hinaus in ganz Westeuropa (Kirschhock 2004).

transparente und opake Alphabetschriften

Trotz der verbindenden Gemeinsamkeit aller Alphabetschriften – der Symbolisierung der kleinsten bedeutungsunterscheidenden sprachlichen Einheiten durch visuelle Symbole – unterscheiden diese sich sehr stark hinsichtlich der Regelmäßigkeit und der Eindeutigkeit der Laut-Buchstaben-Verknüpfung. In einer völlig eindeutigen Alphabetschrift entspricht jedes Graphem genau einem Phonem und jedes Phonem wird immer durch dasselbe Graphem abgebildet. Das europäische Schriftsystem, das dem am nächsten kommt, ist das Finnische. Am anderen Ende des Kontinuums zwischen transparenten und sogenannten opaken (uneindeutigen) Schriftsprachen befindet sich das Englische. Es besteht dem Deutschen vergleichbar aus etwa 40 Phonemen und 26 Graphemen. Jedoch kennt das Englische für die 40 Phoneme 1.200 unterschiedliche Möglichkeiten der Verschriftung. Was die Aussprache der einzelnen Grapheme angeht, sind insbesondere die Lautwerte der Vokale wenig eindeutig und werden stark durch den orthographischen Kontext beeinflusst. Bspw. kann der Laut [i] durch die Buchstaben(-folgen) <e>, <ea>, <ee>, <y>, <i> (we, beat, see, fluency, unique) wiedergegeben werden.


Abb. 2: Ein Ausschnitt aus dem Zeicheninventar der Silbenschrift Katakana (Yee o. J.)


Literaturempfehlung zur Geschichte der Schrift

Crystal, D. (2010): Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Haffmanns & Tolkemitt, Berlin

1.2 Die deutsche Orthographie

1.2.1 Das Grapheminventar des Deutschen

Das deutsche Schriftsystem gehört zu den relativ transparenten alphabetischen Schriften, wobei die Graphem-Phonem-Korrespondenz (Forward Regularity) regelmäßiger ist als die Phonem-Graphem-Korrespondenz (Backward Regularity) (Wimmer / Mayringer 2002; Klicpera et al. 2013).


Unter einer transparenten Graphem-Phonem-Korrespondenz (Forward Regularity) versteht man, dass Grapheme und Graphemverbindungen (z. B. <m>, <ack>, <ah>, <ie>) des Deutschen – Vokale und phonetische Feinheiten ausgenommen – in den meisten Fällen dasselbe Phonem bzw. dieselbe Phonemverbindung symbolisieren. Die Phonem-Graphem-Zuordnung (Backward Regularity) im Deutschen ist weit weniger eindeutig, da einzelne Laute eines Wortes durch unterschiedliche Grapheme symbolisiert werden. Bspw. kann ein langes und gespanntes [ɑ:] als <a>, <ah> oder <aa> (<Schal>, <mahlen>, <Saal>) verschriftet werden.

Graphembegriff

Was die Zusammensetzung des Grapheminventars der deutschen Schriftsprache angeht, herrscht bislang keine vollständige Einigkeit darüber, wie der Graphembegriff zu definieren ist, sodass unterschiedliche Autoren zu unterschiedlichen Graphembeständen kommen. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten dieser Diskussion einzugehen (vgl. dazu Rezec 2009), betrachtet die Graphematik den Graphembegriff aus zwei Perspektiven. Zum einen werden sie als visuelle Symbolisierung eines Phonems interpretiert. Diesem Repräsentanzkonzept nach werden dann alle Buchstaben(-verbindungen) als Grapheme betrachtet, die als schriftsprachliches Symbol für ein Phonem fungieren können (Öhlschläger 2011). Die Buchstabenkombination <ng> würde dieser Interpretation zufolge als ein Graphem betrachtet werden, weil sie die schriftsprachliche Entsprechung des Phonems / ŋ / darstellt und dieses im Deutschen Phonemcharakter ( / dɪŋ / vs. / dɪk / ) hat. Zum anderen können Grapheme aber auch völlig unabhängig von der lautlichen Ebene, ausschließlich hinsichtlich ihrer schriftsprachlichen Funktion analysiert werden. In Analogie zur Phonologie und dem Phonembegriff werden Grapheme dann als kleinste bedeutungsunterscheidende Einheiten der Schriftsprache betrachtet (Distinktivitätskonzept, Öhlschläger 2011). Dieser Auffassung folgend lässt sich das Grapheminventar der deutschen Schriftsprache ohne Berücksichtigung der Lautsprache in Analogie zur Ermittlung des Phoneminventars mithilfe der Minimalpaarbildung bestimmen. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei <ng> nicht um ein Graphem, da es noch weiter in kleinere bedeutungsunterscheidende Einheiten zerlegbar ist und ein Buchstabe oder eine Buchstabenverbindung dann als Graphem bewertet wird, wenn es „nur als Ganzes ausgetauscht werden kann“ (Dürscheid 2006, 131). Die Minimalpaare <Ring> vs. <Rind> und <singen> vs. <sinken> wären unter dieser Prämisse ausreichend, um der Buchstabenkombination <ng> Graphemcharakter abzusprechen.


Analog definiert Eisenberg (2009, 66) den Graphembegriff als kleinste Einheit des Schriftsystems und fasst darunter „alle Einzelbuchstaben, die eine Sprache als kleinste segmentale Einheiten verwendet und außerdem alle Buchstabenverbindungen (sogenannte Mehrgraphe), die wie Einzelbuchstaben als kleinste unteilbare Einheiten zu gelten haben.“

Diesen Überlegungen folgend wären die Buchstabenverbindungen <sch>, <qu>, <ch> als Grapheme des Deutschen zu interpretieren, da es sich um Einheiten handelt, die in einem Wort nicht weiter zerlegt werden können, sondern nur als Ganzes ersetzt werden können.

Dem Distinktivitätskonzept folgend kommt den drei Diphthongen des Deutschen <ei>, <au>, <eu> kein Graphemstatus zu, da sich hier sehr wohl Minimalpaare finden, bei denen der Austausch eines der beiden Elemente zu einer Bedeutungsveränderung führt (<aus> vs. <bus>, <Eule> vs. <Eile> vs. <Elle>).


Abb. 3: Das Grapheminventar des Deutschen

Auch den Buchstaben <c> und <y> kommt im Deutschen kein Graphemstatus zu, da <y> in deutschen Wörtern gar nicht und <c> ausschließlich in Kombination mit den Graphemen <s> und <h> vorkommen.

Grapheminventar

Das Grapheminventar der deutschen Sprache auf der Grundlage des Distinktivitätskonzepts ist Abb. 3 zu entnehmen (Eisenberg 2009).

graphotaktische Regeln

Ferner formuliert die Graphematik graphotaktische Regeln, also Regularitäten hinsichtlich der in einer Schriftsprache möglichen Graphemkombinationen. Ein Beispiel für eine graphotaktische Regel, die eine vom phonologischen Prinzip der Orthographie abweichende Schreibweise erklärt, ist die im Deutschen geltende Besonderheit, dass im Anfangsrand einer Schreibsilbe das Phonem / ʃ / vor / p / und / t / niemals durch <sch> sondern immer durch <s> realisiert wird, um die Überlänge einer Schreibsilbe (Eisenberg 2009) zu vermeiden.

€23,99

Žanrid ja sildid

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518 lk 48 illustratsiooni
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9783846386620
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