Loe raamatut: «Reform oder Blockade», lehekülg 7

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Mangelnde öffentliche Finanzierung der WHO und zunehmende Abhängigkeit von privaten Spendern

Die Kritik am Versagen der WHO gegenüber der 2014 ausgebrochenen Ebola-Epidemie ist berechtigt. Zugleich ist diese Kritik aber wohlfeil, ja häufig verlogen, wenn sie von Regierungen der WHO-Mitgliedstaaten geäußert wird. Denn die Mitgliedstaaten sind dafür verantwortlich, dass die größte Sonderorganisation des UNO-Systems schon seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert ist. Seit Ende des Kalten Krieges ist die WHO in immer stärkere Abhängigkeit von Pharmakonzernen, Stiftungen und anderen privaten Geldgebern geraten. Die Interessen dieser privaten Geldgeber bestimmen heute in erheblichem Ausmaß die Politik der WHO – stärker als bei jeder anderen Sonderorganisation der UNO. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die WHO ihren Kernauftrag, die Errichtung von funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystemen zu unterstützen und damit zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit in allen Ländern dieser Erde beizutragen, zunehmend vernachlässigt.

Die hochproblematische Entwicklung der WHO stößt schon seit langem auf scharfe Kritik von Medico International und anderen im Gesundheitsbereich engagierten Nichtregierungsorganisationen (NGO). Diese WHO-kritischen NGOs haben sich international im People’s Health Movement vernetzt.

Die Kritik von Medico International am mangelnden Interesse der Pharmaindustrie und der reichen Mitgliedstaaten der WHO, schon lange vor der aktuellen Ebola-Epidemie in die Forschung nach Medikamenten zur Bekämpfung der Seuche zu investieren, wird auch von anderen Gesundheitsfachleuten geteilt.

Nach Überzeugung der Ärztin Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm), hätte die Forschung bereits nach den ersten größeren Ebola-Ausbrüchen in der Demokratischen Republik Kongo (1995) und in Uganda (2000) intensiviert und staatlich gefördert werden müssen. Nun brauche es »so eine furchtbare Epidemie, damit auch mehr öffentliche Gelder zur Verfügung stehen«.

Stattdessen standen der WHO aber nicht einmal genug Gelder zur Verfügung, um auf die Ebola-Epidemie des Jahres 2014 angemessen reagieren zu können. Denn im Vergleich zum vorherigen Zweijahreshaushalt 2012/13 hatte das Budget 2014/15 der Weltgesundheitsorganisation mehr als 50 Prozent der Gelder für Krankheits- und Krisenmanagement eingebüßt. Von den noch 469 Millionen US-Dollar (knapp 375 Mio. Euro) für 2012/13 verblieben für 2014/15 nur noch 228 Millionen US-Dollar (ca. 180 Mio. Euro). Dies jedoch war genau die Summe, die der Organisation damals eigentlich hätte zur Verfügung stehen müssen, um nur angemessen auf Ebola reagieren zu können. Stattdessen konnte die WHO in ihrem Haushaltsplan ledglich 71 Millionen US-Dollar (rund 57 Mio. Euro) veranschlagen für die Umsetzung des Ebola-Programms – ein solches Defizit würde gar nicht existieren, wenn die Mitgliedstaaten den Etat zur Krisenintervention nicht um mehr als die Hälfte gekürzt hätten. Sie 2014 ist die Schere zwischen den finanziellen Mitteln, die die WHO benötigt, um ihren Auftrag zu erfüllen, und den Mitteln, die die Mitgliedstaaten der Organisation in Form fester Beiträge zur Verfügung stellen, noch weiter aufgegangen. Damit hat auch die Abhängigkeit der WHO von der von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda betriebenen Stiftung, von Wirtschaftsunternehmen und anderen privaten Geldgebern weiter zugenommen.

Einfluss von Bill Gates bei der WHO – Verschwörungsmythen und Wahrheit

Bill Gates ist einer der Lieblingsfeinde von Corona-Leugnern und Gegnern von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Im Internet sowie bei Demonstrationen und Kundgebungen verbreiten sie zahlreiche Falschbehauptungen über die angebliche Rolle von Gates sowie seinen Einfluss in der WHO und auf die globale Gesundheitspolitik: Gates habe das Corona-Virus erfunden und in der Welt verbreitet, er wolle einen weltweiten Impfzwang durchsetzen, er finanziere über 80 Prozent des Haushalts der WHO. Das sind unhaltbare Verschwörungstheorien oder zumindest maßlose Übertreibungen, deren Verbreiter zum Teil mit falschen oder aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von Gates operieren. Daher nachfolgend die Fakten zu Rolle und Einfluss von Gates und seiner Stiftung. Diese sind tatsächlich nicht unproblematisch, im Wesentlichen allerdings Folge des Versagens der Mitgliedstaaten von UNO und WHO seit den neunziger Jahren.

Die Bill & Melinda Gates Foundation ist die weltweit größte und bekannteste philanthropische Stiftung mit einem Vermögen von über 60 Milliarden US-Dollar. Laut dem Abschlussbericht der WHO über das Haushaltsdoppeljahr 2017/18 war die Gates-Stiftung 2018 mit einem Anteil von knapp 10 Prozent – über 250 Millionen US-Dollar – der mit Abstand größte nichtstaatliche Finanzier der WHO. Auf der Gesamtliste aller Geldgeber an die WHO lag die Gates-Stiftung knapp hinter den USA und vor Großbritannien. Indirekt war der finanzielle Einfluss der Gates-Stiftung sogar noch größer. Denn auf Platz vier der offiziellen Liste stand 2018 die GAVI, die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung. Zu dieser Allianz gehören Pharmakonzerne und Stiftungen, darunter als Mitglied mit dem größten Finanzierungsanteil von 17 Prozent die Gates-Stiftung.

Wie konnte es zu dem starken finanziellen Einfluss von Gates in der WHO kommen?

Bis Ende der neunziger Jahre kamen rund 80 Prozent aller Haushaltsmittel der WHO aus den Pflichtbeiträgen der 194 Mitgliedstaaten, waren also Gelder aus öffentlichen, zumeist von Parlamenten kontrollierten Steuergeldern der Mitgliedstaaten, mit denen die WHO fest rechnen und alle ihre Programm finanzieren konnte. Inzwischen stammen über 80 Prozent aller Haushaltsmittel für die WHO aus freiwilligen Beiträgen von Regierungen und eben von privaten Akteuren wie der Gates-Stiftung, beziehungsweise von Konzernen aus der Pharma- oder der Lebensmittelbranche. Um diese Mittel muss die WHO ständig neu werben. Diese Gelder werden fast immer nur zweckgebunden vergeben, das heißt, die Geber können erheblichen Einfluss auf die Verwendung der Mittel ausüben.

Welchen Einfluss nimmt die Stiftung auf die WHO, und wie macht sich das in der Arbeit der WHO bemerkbar?

Die Gates-Stiftung vergibt ihre zweckgebundenen Mittel an die WHO vorrangig für technische Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten, zum Beispiel für Impfkampagnen und für die Verteilung von Medikamenten insbesondere in ärmeren Ländern des Südens. Damit leistet die Stiftung ohne Frage einen wichtigen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit akutem Bedarf. Ihr technokratischer Ansatz berücksichtigt allerdings nicht die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, die überhaupt erst zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten führen. Zugleich entspricht die Gates-Stiftung mit ihrer Finanzierungsstrategie den Interessen der Pharmakonzerne, bei denen die Gates-Stiftung milliardenschwere Aktienpakete besitzt. Als Folge ihrer zunehmenden Abhängigkeit von solchen zweckgebundenen Finanzbeiträgen hat die WHO ihren Auftrag zu einer präventiven Politik, insbesondere den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme in armen Ländern, in den letzten 25 Jahren zunehmend vernachlässigt.

Die Gates-Stiftung besitzt ein Kapitalvermögen von rund 60 Milliarden US-Dollar. Das Geld stammte ursprünglich aus dem Microsoft-Konzern, inzwischen aber zunehmend aus dem Besitz von Aktien der weltgrößten Pharmakonzerne (Pfizer, Novartis, Roche, GlaxoSmithKline, Sanofi, Gilead). Je mehr Gewinn diese Konzerne machen, desto mehr Geld kann die Gates-Stiftung an die WHO vergeben.

Bei der sogenannten Schweinegrippe im Jahr 2009 führte der Einfluss der Pharmaindustrie dazu, dass die WHO sehr schnell eine Pandemie ausrief. Die Pharmakonzerne erhöhten ihre Impfstoffproduktion. Mit ihren Warnungen vor der Pandemie löste die WHO eine weltweite Panik aus. Dadurch wurden wiederum die Regierungen unter Druck gesetzt, ihre Lager rasch mit Impfstoffen und Medikamenten gegen die Schweinegrippe zu füllen. Allein die deutsche Bundesregierung kaufte damals Impfstoffe und Grippemittel im Wert von 450 Millionen Euro. Als die Pandemie ausblieb, mussten die Medikamente vernichtet werden. Die Pharmakonzerne aber hatten Milliardengewinne gemacht.

In der aktuellen Corona-Krise sind alle Pharmakonzerne, an denen die Gates-Stiftung direkt oder indirekt Aktienanteile hält, an den Forschungen zur Entwicklung eines Corona-Impfstoffs beteiligt, zum Teil in scharfer Konkurrenz zueinander. Der US-Konzern Pfizer – zusammen mit der deutschen Firma Biontech – war Ende 2020 als erstes Unternehmen mit einem zugelassenen Impfmittel auf dem Markt. Mit dem britisch-französischen Konsortium aus GlaxoSmithKline und Sanofi und mit anderen Pharmakonzernen hatten die USA, die EU und weitere Länder lukrativere Verträge für über eine Milliarde Impfdosen abgeschlossen. die Gates-Stiftung dürfte ihr Vermögen in Folge der Corona-Pandemie auf jeden Fall erheblich steigern.

Neben ihren Anteilen an Pharmakonzernen hält die Gates-Stiftung auch milliardenschwere Aktienpakete an den weltgrößten Lebensmittelunternehmen (Coca Cola, PepsiCo, Unilever, Kraft Heinz, Mondelez und Tyson Foods) und Herstellern alkoholischer Getränke (Anheuser-Busch, Pernod). Darüber hinaus ist sie indirekt an einigen dieser Unternehmen beteiligt. Zum Beispiel hält sie Anteile im Wert von fast zwölf Milliarden US-Dollar am Berkshire Hathaway Trust des Investors Warren Buffett. Der Trust wiederum besitzt Aktien von Coca Cola im Wert von 17 Milliarden US-Dollar und von Kraft Heinz von 29 Milliarden US-Dollar.

Auch hier gilt für die Gates-Stiftung: Je mehr Profite die genannten Konzerne machen, desto mehr Geld kann sie für die WHO ausgeben. Für die WHO heißt das wiederrum, sie würde mit jeder Maßnahme gegen gesundheitsschädliche Aktivitäten der Süßgetränke-, Alkoholund Pharmaindustrie die Gates-Stiftung daran hindern, Spenden für die WHO zu erwirtschaften. Kurz, die Weltgesundheitsorganisation steckt in einem klassischen Interessenkonflikt, der sie in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und der angesichts ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Gates-Stiftung kaum aufzulösen ist.

Aggressives Marketing von zucker-, fett- und salzreichem Junkfood hat dazu geführt, dass heute zwei Milliarden Menschen übergewichtig sind – 2016 starben alleine in China 1,3 Millionen Menschen an Diabetes. Vom Einfluss der Nahrungsmittelindustrie auf die WHO und der weltweiten Pandemien Fettleibigkeit und Diabetes profitieren wiederum die Pharmakonzerne. Besonders gewinnträchtig sind unter anderem Medikamente gegen Folgeerkrankungen falscher Ernährung. Der weltweite Umsatz mit Diabetes-Medikamenten lag 2017 bei rund 55 Milliarden US-Dollar.

Außer im Gesundheitswesen engagiert sich die Gates-Stiftung im Bereich des UNO-Systems unter anderem auch für landwirtschaftliche Programme zur Bekämpfung des Hungers. Als die Stiftung nach ihrer Etablierung Mitte der neunziger Jahre begann, der New Yorker UNO-Zentrale Angebote zur Finanzierung bestimmter, von der Stiftung ausgewählter Programme und Aufgaben zu machen, befand sich die Weltorganisation gerade in ihrer bis dato schwersten Finanzkrise. Wesentlich verursacht wurde diese Krise durch die Weigerung der USA, rund 1,7 Milliarden US-Dollar völkerrechtlich verbindlicher Pflichtbeiträge an die UNO-Kasse zu überweisen. Ohne eine möglichst pünktliche Entrichtung der jährlichen Pflichtbeiträge durch die Mitgliedstaaten – die Finanzregeln der UNO schreiben hierfür als letzte Frist den 31. Januar vor – kann die UNO nicht funktionieren. Sie darf sich kein Geld bei Banken leihen oder sonstige Kredite aufnehmen.

In der im Wesentlichen von den USA verursachten finanziellen Erpressungssituation Mitte der neunziger Jahre nahm der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan die Angebote der Gates-Stiftung und anderer privater Finanziers nur allzu bereitwillig an (siehe Kapitel »Ted Turner, Bill Gates, Nestlé und der Global Compact – die neoliberale Privatisierung der UNO und der wachsende Einfluss von Wirtschaftskonzernen«, S. 237). Doch aus der Abhängigkeit von privaten Finanziers, in die sich die Weltgesundheitsorganisation und andere Teile und Aufgabenbereiche der UNO wegen der extremen Finanzkrise in den neunziger Jahren begeben hatten, ist inzwischen längst ein Dauer- und Normalzustand geworden. Außer von einigen Nichtregierungsorganisationen wie dem in New York, Bonn und Brüssel ansässigen Global Policy Forum wird diese problematische Abhängigkeit kaum noch kritisch hinterfragt. Einer der wenigen, die sich die Mühe gemacht haben, die Auswirkungen der Finanzierung von Gesundheitsprogrammen der WHO und anderer Institutionen durch die Gates-Stiftung und andere private Geldgeber zu untersuchen, ist der britische Mediziner David McCoy. Er lehrt Public Health (öffentliche Gesundheit) an der Universität Queen Mary in London.

In einem Interview mit der Zeitschrift Enorm. Wirtschaft für den Menschen vom März 2014, geführt von der Journalistin Kathrin Hartmann, kommt McCoy zu einem vernichtenden Ergebnis: »Die Gates-Stiftung ist ein Mittel, um Macht und Einfluss auszuüben.« Er sagt: »Bill Gates nennt sich einen ›ungeduldigen Optimisten‹. Aber ich finde, dass seine Hoffnungen konservativ und unambitioniert sind. Ich will eine gerechte Entwicklung – nicht nur Charity. Ich bin hier der ungeduldige Optimist. Dennoch: Es scheint ihm ernst zu sein, Gutes für die Armen tun zu wollen. Deshalb würde ich mit ihm gerne öffentlich diskutieren. […] Ich würde mit ihm über die Unzulänglichkeit des Systems geistiger Eigentumsrechte sprechen und ihn auffordern, sich für Banken-, Buchführungs- und Steuerreformen einzusetzen, die unterbinden würden, dass Hunderte Milliarden Dollar auf illegalem Weg Afrika verlassen. Über Handels- und Investitionsabkommen, von denen Investoren und Großkonzerne profitieren und unter denen Menschen und Umwelt leiden. Ich würde ihn fragen, ob er das unermessliche Vermögen des einen Prozents der Weltbevölkerung ökonomisch und ethisch begründen kann und ob das erbärmliche Gehalt Hunderttausender Krankenschwestern und Lehrer weltweit gerechtfertigt ist. Mir würde noch viel einfallen. Wir könnten stundenlang diskutieren.«

Der Ausweg aus dem Dilemma: Demokratisierung der WHO

Eine echte Reform der WHO und damit der Global Governance im Gesundheitsbereich müsste sich nach Überzeugung von Medico International und der übrigen im People’s Health Movement vernetzten Nichtregierungsorganisationen an zwei Eckpfeilern orientieren: An der umfassenden Demokratisierung der WHO und an ihrer Konzentration auf das Menschenrecht auf Gesundheit sowie auf die Basisgesundheitsversorgung (Primary Health Care). Umfassende Demokratisierung der WHO meint vor allem die stärkere Beteiligung kritischer (Gesundheits-) Netzwerke aus der Zivilgesellschaft an den Verfahren zur Etablierung und Durchsetzung von Normen und Standards im Gesundheitsbereich. Im Fokus wären hier vor allem zivilgesellschaftliche Kräfte, die einen starken Bezug zu sozialen Bewegungen haben und somit ein wichtiges Korrektiv gegenüber der medizinisch-technokratischen Expertokratie großer Privatstiftungen und Unternehmen bilden.

Eine stärkere Ausrichtung der Weltgesundheitsorganisation an dem Menschenrecht auf Gesundheit und dem Primary-Health-Care-Ansatz hieße, sich bei den Beratungstätigkeiten und der Etablierung von Normen auf die Stärkung lokaler Gesundheitszentren und nationaler Gesundheitssysteme zu konzentrieren.

Denn um Krankheiten wie Ebola nachhaltig zu bekämpfen beziehungsweise erst gar nicht entstehen zu lassen, bedarf es sozialer Strukturpolitiken, die lokales, insbesondere zivilgesellschaftliches und damit kontextsensibles Wissen sowie auf die Partizipation der Betroffenen ausgerichtete Prozesse der Selbstorganisation zum Ausgangspunkt nehmen. Es geht darum, nicht nur einmal ausgebrochene Epidemien zu bekämpfen, sondern auch die sozialen und politischen Ursachen von Krankheit.

Damit die WHO diese Aufgaben übernehmen kann, bedarf es aber einer ernsthaften finanziellen Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft zur globalen Gesundheitspolitik, die auf einem Bekenntnis zu öffentlichen und solidarischen Strukturpolitiken beruht. Denkbar wäre ein internationaler Gesundheitsfonds, der alle Staaten, die dazu in der Lage sind, ähnlich wie im deutschen Länderfinanzausgleich dazu verpflichtet, zu den Sozialbudgets der ärmeren Länder beizutragen. Das ist keine abstrakte Utopie, sondern eine konkrete Forderung, die sich aus dem Menschenrecht auf Gesundheit ergibt und bereits Eingang in die Diskussionen der UNO-Generalversammlung gefunden hat. Medico International hat diese Idee einer länderübergreifenden Gesundheitsfinanzierung bereits im Jahr 2011 entwickelt und arbeitet derzeit mit den Partnern aus dem People’s Health Movement wie auch aus diversen internationalen Public-Health-Einrichtungen an einem völkerrechtlich wirksamen Rahmenabkommen (Framework Convention on Global Health), um die Regierungen der WHO-Mitgliedstaaten zur Finanzierung dieses Gesundheitsfonds zu verpflichten.

Über die Forderung nach einem Rahmenabkommen hinaus hat Medico International weitere Ziele für eine Reform der internationalen Gesundheitspolitik formuliert, für deren Umsetzung die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation verantwortlich wären (siehe Anhang »Fünf Schritte zur Reform der globalen Gesundheitspolitik«, Seite 339).

Von Woodrow Wilson zu Joe Biden – das Ende des amerikanischen Jahrhunderts und seine Konsequenzen für die UNO

Kein anderes Land hat die UNO in ihren ersten 75 Jahren so stark geprägt wie die bislang noch führende Weltmacht USA – im positiven wie im negativen Sinne. Mit dem relativen, zunächst zumindest ökonomischen Machtabstieg der USA und dem rasanten Aufstieg Chinas zur kommenden Weltmacht verändern sich auch die Rahmenbedingungen für die Handlungsmöglichkeiten, den Erfolg und das Scheitern der UNO. Wird die Weltorganisation ihren 100. Geburtstag 2045 noch erleben? Und wenn ja, in welcher Verfassung? Das wird im Wesentlichen davon abhängen, wie sich die USA in den nächsten Jahren gegenüber der UNO und innerhalb der Weltorganisation verhalten. Das liegt auch daran, dass die USA weiterhin eine Vorbildrolle haben, trotz des rapiden Ansehensverlusts, den das Land in den vier Trump-Jahren auch bei den Regierungen und Bevölkerungen befreundeter und verbündeter Staaten erlitten hat. Die Trump-Jahre lieferten sogar einen Negativbeweis für diese Vorbildrolle: In Brasilia, Ankara, Budapest und anderen Hauptstädten eiferten Regierungen mit nationalistischer Politik der »America first«-Ideologie des US-Präsidenten nach.

Ein relevanter Faktor für das künftige Verhalten der USA gegenüber und innerhalb der UNO ist der relative Machtabstieg des Landes im Vergleich zu anderen internationalen Akteuren. Führt dieser Abstieg bei den politischen Eliten in Washington zur Anerkennung der veränderten globalen Machtgewichte, zu mehr Bereitschaft und Fähigkeit zu multilateraler Kooperation sowie zur Umsetzung der seit Jahrzehnten überfälligen Reformen auf dem Feld der Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits-, Umwelt- und Energiepolitik? Oder aber führen der relative außenpolitische Macht- und Einflussverlust im Verbund mit weiterhin ungelösten gravierenden innenpolitischen Problemen zu nationalistischer Aufwallung und zum kostspieligen Festhalten an globaler militärischer Dominanz der USA bis hin zur Kriegsbereitschaft gegen China oder andere Konkurrenten?

»America First« – vier Jahre erklärte Feindschaft gegen die UNO

Einen Vorgeschmack auf das Negativszenario lieferte die Administration von Präsident Donald Trump mit ihrer »America first«-Ideologie und -Politik. Nie zuvor seit Gründung der UNO 1945 verhielten sich die USA so feindselig und destruktiv gegenüber der Weltorganisation wie in den vier Jahren nach dem Amtsantritt Trumps im Januar 2017. Zwar führte Trump im Unterschied zu seinen drei Vorgängern im Amt, Bill Clinton, George Bush und Barack Obama, keine neuen Kriege unter Verstoß gegen die UNO-Charta oder unter Missbrauch von Resolutionen des Sicherheitsrats. Allerdings setzte Trump die von Bush begonnenen und unter Obama eskalierten Drohnenmorde gegen tatsächliche oder vermeintliche islamistische Terroristen in noch einmal verschärfter Form fort.

Vom Unterlassen neuer heißer Kriege einmal abgesehen, verstießen die USA in den vier Trump-Jahren in vielen Fällen in eklatanter Weise gegen die UNO-Charta und andere Bestimmungen des Völkerrechts. Das gilt für sämtliche Maßnahmen der Trump-Administration mit Blick auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina, für die »sekundären Sanktionen« gegen Unternehmen und Banken in Drittstaaten, die Wirtschaftsbeziehungen mit Iran unterhalten, für Trumps »Nukleares Feuer«-Vernichtungsdrohung gegen Nordkorea in seiner ersten Rede vor der UN-Generalversammlung im September 2017 und für die Drohungen und Sanktionsmaßnahmen gegen die Chefanklägerin, gegen Staatsanwälte und Richter des Internationalen Strafgerichtshofs, um diese von Ermittlungen und Verfahren zu Kriegsverbrechen von US-Soldaten und Geheimdienstagenten in Afghanistan und Irak abzuhalten.

Darüber hinaus vollzog Trump den Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO), aus der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und aus dem Menschenrechtsrat der UNO sowie aus dem im Rahmen der UNO-Generalversammlung vereinbarten Pariser Klimaabkommen und aus dem vom Sicherheitsrat völkerrechtlich abgesegneten Vertrag zur Begrenzung des iranischen Nuklearprogramms auf zivile Zwecke. Schließlich strich die Trump-Administration die US-Beiträge für das UNO-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNWRA) und reduzierte eigenmächtig, ohne die in der UNO-Satzung vorgeschriebenen Konsultationen von den anderen Mitgliedstaaten, die Pflichtbeiträge der USA für die friedenserhaltenden Blauhelmmissionen der UNO. Ähnlich feindselig und destruktiv, entsprechend der von Präsident Trump vertretenen »America first«-Ideologie, verhielt sich die Regierung in Washington auch gegenüber anderen Institutionen, Verträgen und Normen multilateraler Kooperation.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit begann Trump einen Handelskrieg gegen China und belegte auch europäische Staaten mit rechtswidrigen Zöllen und Sanktionen, anstatt die wirtschaftlichen Interessengegensätze der Welthandelsorganisation (WTO) zur Schlichtung vorzulegen. Und seit 2018 blockieren die USA die Neubesetzung von Richterposten für die Schiedsverfahren bei (WTO) und verhindern damit auch die Schlichtung von Handelsstreitigkeiten zwischen anderen WTO-Staaten.

Die Trump-Administration kündigte die Mitgliedschaft der USA im »Open Skies«-Abkommen über vertrauensbildende Maßnahmen im Luftraum, das 1990 im Rahmen der Konferenz und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE, OSZE) vereinbart wurde. Dabei wären entsprechende Maßnahmen unter aktiver Beteiligung der USA angesichts der Eskalation militärischer Manöver im Luftraum sowie entlang der Land- und Seegrenzen zwischen den NATO-Staaten und Russland heute mindestens so dringend wie 1990.

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