Das große Still-Kompendium

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KAPITEL III

Mein Vater – An den Missouri übergesiedelt – Eine lange Reise – Das erste Dampfschiff – In St. Louis – Ein skrupelloser Gottesmann – Mühsale im Westen – Der erste Methodistenprediger im Nordosten von Missouri – Der Vorsitzende Älteste – Aufregung in der Methodistenkirche – Der Standpunkt des Ältesten Abram Still – Rückzug nach Kansas

Wenn ich von Reverend Abram Still (meinem Vater) spreche, möchte ich meinen Leser daran erinnern, dass die Erinnerung allein mein Führer ist, und ich aus ihr heraus diese Geschichten wiedergebe. Die von anderen aufgezeichneten Erinnerungen sind nur nette Geschichten von Leuten, die von ihm persönlich wenig wussten.

Im Frühling 1836, soweit ich mich erinnere, wurde mein Vater von der Holston-Konferenz der Methodistenkirche von Tennessee, der er angehörte, als Missionar nach Missouri geschickt. Wir verließen Tennessee von New Market in Jefferson County aus mit zwei Wagen, sieben Pferden und acht Familienmitgliedern und starteten so unsere siebenwöchige Überlandfahrt nach Macon County. Wir hatten bis zu unserer Ankunft im Flachland am Ohio-Fluss auf der Höhe von Cairo, Illinois, eine schöne Zeit, gute Straßen und eine leichte Reise. Dort mussten wir uns einige Kilometer bis zum Flussufer durch tiefen Schlamm kämpfen. Lange bevor wir es erreichten, hörten wir die Pfeife eines Dampfbootes. Wir wollten alle das Maul sehen, das sich derart spitzen und pfeifen konnte. „Oh Mann, wir konnten es so deutlich hören wie einen krähenden Hahn der auf unserem Kopf sitzt!“ Kannst Du Dir das vorstellen! Vater fragte einen vorbeikommenden Mann, wie weit es noch bis zum Fluss sei und dieser antwortete etwa 9 oder 11 Kilometer. Wir holten alle zusammen und setzten unseren Weg rasch fort, da jeder von uns unbedingt das Boot sehen wollte, wie es sein Maul spitzt und pfeift. Unsere Vorstellung von Dampf war sehr vage und unsere Begleiter wussten genauso wenig über Dampfmaschinen oder Maschinen allgemein. Wir hielten auf das Flussufer zu – und dort war es: Groß, voller Menschen, Vieh, Pferden, Schafen, Waren und Fährleuten, aber niemand nahm uns zur Kenntnis. Das Boot war die Sehenswürdigkeit und nun wussten alle, was es über Dampfschiffe zu wissen gab. Wir hatten ein echtes Dampfschiff gesehen – und was für ein Mordsding! Es dampfte den Lauf des Flusses hinauf und war bald außer Sicht, aber wir waren überzeugt davon, nun wirklich alles über Dampfschiffe zu wissen, und dieses versorgte uns für viele Tage mit Gesprächsstoff.

Nun waren wir bereit als Missionare nach Nord Missouri zu gehen und die Heiden zu unterrichten und ihnen alles über Dampf zu erzählen. Wir überquerten den Fluss mit einer Fähre, die von Pferden bzw. einem Laufrad gezogen wurde. Der Fährmann feuerte die Pferde mit dem Ruf „Wasser hoch, Wasser hoch!“ an. Innerhalb einer halben Stunde erreichten wir Illinois und setzten unseren Weg durch den Schlamm hindurch nach St. Louis fort. Wir mussten Führer engagieren, die uns durch die Sumpflandschaft von Illinois führte, da wir sonst bereits wenige Schritte abseits der Wege im Morast versunken und nie wieder herausgekommen wären.

Wir durchquerten Illinois ohne Zwischenfälle und näherten uns dem Ufer des Mississippi in Sichtweite von St. Louis, bestiegen eine dampfgetriebene Fähre und erreichten die sumpfigen Ufer auf der Seite von Missouri. Wir blieben ein, zwei Tage und suchten den Prediger der Methodistenkirche im Ort auf. Wie es Vaters Gewohnheit auf Reisen war, blieben wir bis Sonntag bei ihm. Ich meine, sein Name war Harmon. Er lieh sich ‚Bruder Stills‘ Geld – ganze $ 700. Vater akzeptierte seinen Schuldschein ohne jede Sicherheit, wobei das Geld in sechs Monaten zurückzahlt sein sollte. Wir brachen, begleitet von Bruder Harmons Gott segne euch! Richtung Macon County auf. Mutter hatte noch ein wenig Geld ($ 350). Dies war nun in den kommenden sechs Monaten oder noch länger unsere einzige Reserve in der Wildnis. Bruder Harmon zahlte Vater das Geld erst acht Jahre später zinslos zurück. In dieser Zeit lernte mein Vater, dass einige Prediger nicht von Gott, sondern genauso wie manche normale Menschen schäbige Lügner waren. Er war äußerst enttäuscht und wenig erfreut darüber, dass ein vorgeblicher Prediger ihn so hinters Licht geführt und ihm um das Geld betrogen hatte, das er während seiner Missionarstätigkeit in der Wildnis von Nord Missouri dringend für den Unterhalt seiner Familie benötigte. Bald brachen harte Zeiten über uns herein. Das Geld war alle, die Kleidung abgetragen und der Winter kam mit seiner ganzen Macht über uns. Als Schuhe machten wir uns Mokassins aus Hirschleder oder gingen barfuß, trugen Hirschlederhosen oder liefen mit nackten Beinen herum. Die tägliche Arbeit brachte 25 Cents. Ihr seht also, Geld zu machen, bedeutete sehr viel Arbeit.

Wie ich bereits in einem vorigen Kapitel erwähnt habe, gab es zunächst keine Schulen, Kirchen oder irgendeine der aus den alten Staaten bekannten Annehmlichkeiten. Wir mussten uns alles selber errichten oder viele Jahre lang ohne es auskommen. Aber wir hatten eine Menge Enthusiasmus mitgebracht und machten uns mit aller Kraft an die Arbeit.

Vater arbeitete mit uns drei Jungs während des ganzen Frühlings und zur Erntezeit verhalf er uns zu einem guten Start. Dann bestieg er sein Pferd und durchquerte die Prärie, um den Pionieren das Evangelium zu verkündigen. Gewöhnlich dauerten seine missionarischen Reisen sechs Wochen. In seiner Abwesenheit leitete Mutter die Farm und erledigte ihre Aufgaben so gut wie jeder andere auch. Sie spann, wob, schnitt Kleidung zu und nähte sie, schlachtete Schweine oder Rinder und machte es alles in allem so gut wie Vater; vielleicht sogar etwas besser, da sie die Situation immer fest im Griff hatte.

Vater war der erste Methodistenprediger in Nord Missouri und hielt dort die Stellung. Bis 1844, als sich die Methodistenkirche spaltete, errichtete er neben dem Predigen auch die ersten methodistischen Kirchen und Klassen. Diejenigen, die überzeugt waren, dass die Bibel die Sklaverei rechtfertigte, gründeten die Methodistenkirche Süd.

Vater glaubte nicht daran, dass ‚Sklaverei von Gott gewollt‘ war, und verweigerte sich der neuen Kirche. Komitees der Methodistenkirche Süd versuchten erfolglos ihn an sich zu binden. Er aber blieb bei der alten Kirche und predigte, dass Sklaverei eine Sünde sei, was seinen der Sklaverei wohl gesinnten Brüdern nicht behagen sollte. Er schloss sich der Iowa-Konferenz der Methodistenkirche an und wurde, so weit ich mich heute daran entsinnen kann, deren Vorsitzender Ältester. Seine Aufgabe war es, sich um die Methodisten von Missouri, ebenfalls Sklavereigegner, zu kümmern. Die Brüder der neuen Kirche ließen ihn wissen, dass er zu ihnen überlaufen oder Missouri verlassen müsse, da man seine Antisklaverei-Predigten nicht tolerieren könne. Er beachtete ihre Warnungen nicht und wurde nach einigen Jahren des Predigens in seinem alten Revier zu den Shawnee-Indianern nach Kansas gerufen. Dies beendete seinen Kampf in Missouri abrupt. Der letzte Teil der Auseinandersetzung in Missouri war geprägt von Bitterkeit, denn Teer und Federn waren in jener Zeit starke Argumente und sie wurden freigebig eingesetzt. Da sie aber nicht stark genug waren, machten sie schließlich dem Strick und der Kugel Platz.

Mein Vater war ein Mann strenger Überzeugungen, die er immer und an jeder Stelle verteidigte. Er stand stets für die Abschaffung der Sklaverei ein und kämpfte so lange dafür, bis er sie von jedem Fleck Nordamerikas getilgt sah, ob sie nun von Gott gewollt oder teuflisch war. Er starb zufrieden damit, dass er jeden Mann in seinem Land, ob schwarz oder weiß, noch frei gesehen hatte.

Ich könnte noch eine Menge aus seinem Leben in der Zeit zwischen 1844 und seinem Weggang nach Kansas berichten. Wie er oft angegriffen wurde und sein Spazierstock von religiösen Feinden, welche der Meinung waren, er solle doch lieber einen Speer zu seiner Verteidigung tragen, zerbrochen wurde. Ich könnte berichten von den heißen Kämpfen voller Vorurteile und kirchlicher Dispute, aber ich glaube, ich habe dem Leser genug berichtet, um ihm den Charakter dieses Mannes und der Zeit, in der er gelebt hat, ein wenig näher zu bringen.

KAPITEL IV

In dem ich eine Frau nehme – Hausbasar – Ein zerstörerischer Hagelsturm – In der Wakarusa Mission – Trauer – Der Ärger mit den Sklavereibefürwortern – Ein gefährlicher Ritt – Drill der Sklavereibefürworter – Meine Erfahrung mit der Gesetzgebung

Die Tage des Schuljungen, die Tage jugendlicher Unternehmungen und sportlicher Aktivitäten gingen mit ihrer Unbeschwertheit vorüber und ich wurde zum Mann. Ich lasse meine weitere Schul- und medizinische Ausbildung aus und möchte hier nur erwähnen, dass ich – wie ‚mein Vater, der im Himmel ist‘ 14 – dachte, es sei nicht gut, alleine zu bleiben. So ging ich auf Brautschau und war neugierig, wie die jungen Damen auf einen jungen, gut gekleideten Soldaten reagieren würden. Ich schulterte meine Waffe wie Bunyan und verbrachte meine Zeit so lange damit, bis ein liebendes Auge auf mich fiel. Hinter diesem Auge verbarg sich Mary M. Vaughn15, die Tochter von Philamon Vaughn. Sie war wunderbar, zuvorkommend, aktiv, voller Liebe und gutem Menschenverstand. Sie liebte Gott und alle seine Wege. Nach wenigen Worten von Reverend Lorenzo Waugh im Haus ihrer Mutter am 29. Januar 1849 änderte sich ihr Name in Mrs. M. M. Still. Dem denkwürdigen Augenblick folgte ein gutes Abendessen und tags darauf ein Dinner mit dem damals üblichen ‚Hausbasar‘ bei meinem Vater. Nach diesen, für die Gesellschaft der Grenzlandbewohner so bedeutenden Formalitäten, brachte ich meine Gattin zu unserem neuen Heim auf einem 80 Hektar großen Grundstück und nur 1600 Meter von meinem alten Zuhause entfernt. Ich war jung und stark, arbeitete von früh bis spät, säte 60 Hektar Mais ein und pflegte ihn. Er war einfach wunderschön anzusehen, die Halme in Seide und mit Quasten behangen, und ich war sehr stolz darauf. Ich nahm an, dass ich schon bald meine Krippe mit Tausenden von Scheffeln gefüllt haben würde. Am Morgen des 4. Juli (der Tag den wir so gerne feiern), war ich voller Vorfreude und Hoffnung. Da zogen um drei Uhr nachmittags dunkle Wolken auf und um vier brach daraus 8 Zentimeter hoch der Hagel über jeden Hektar Mais hinunter. Er ließ keinen Halm auf den ganzen 60 Hektar stehen und tötete sämtliche Vögel und Kaninchen. Alles starb dahin. Irgendjemand tröstete mich und sich mit den Worten: „Der Herr liebt jene, die er züchtigt.“ 16

 

Ich hatte keinen Mais mehr, aber jeder, dessen Getreide nicht völlig in Stücke gerissen wurde, konnte es verkaufen, sodass sich alles wie gewöhnlich ausglich. Ich unterrichtete in jenem Herbst und Winter für $ 15 im Monat und so endete mein erstes Jahr als verheirateter Mann.

Im Mai 1853 zogen meine Frau und ich auf die Wakarusa Mission in Kansas, welche vom Stamm der Shawnee bewohnt wurde. Es gab überall Indianer. Außerhalb der Missionsschule wurde wenig Englisch gesprochen. Meine Frau unterrichtete in jenem Sommer die Indianerkinder, während ich mit einem 50-Zentimeter-Pflug und sechs in einer Reihe vorgespannten Ochsengespannen 90 Hektar Land umpflügte und die Arbeit vom vorangegangenen Juli vollendete. An einigen Tagen brach ich vier Hektar Land um. Im Herbst behandelte ich zusammen mit meinem Vater die Indianer. Wundrose, Fieber, Durchfall, Lungenentzündung und Cholera waren besonders häufig. Die indianische Behandlung von Cholera war nicht viel lächerlicher als einige der von den so genannten wissenschaftlichen Doktoren der Medizin verordneten Therapien. Die Indianer gruben zwei etwa 50 Zentimeter voneinander entfernte Löcher in den Boden und legten den Patienten ausgestreckt darüber. Er erbrach sich in das eine und entleerte sich in das andere und starb so ausgestreckt, nur mit einem Laken bedeckt. Hier erfuhr ich das erste Mal von den Krämpfen, welche die Cholera begleiten und Hüften und Beine ausrenken. Manchmal musste ich die Hüften wieder einrenken, um den Leichnam in den Sarg zu bekommen. Als Medikamente gaben sie Tees aus Schwarzwurzel und Frauendaumen, Sagatee, Muckquaktee und Tee aus Chenee Olachee. So wurden sie behandelt und starben und gingen zu Illinoywa Tapamalaqua, dem ‚Haus Gottes‘.

Ich erlernte ihre Sprache und gab ihnen die Medizin des weißen Mannes, heilte die meisten Fälle, die mir begegneten und wurde stets freundlich von den Shawnees willkommen geheißen. Ich lebte nahe der Shawnee-Mission der Methodistenkirche, welche etwa 64 Kilometer westlich von Kansas City und 10 Kilometer östlich von Lawrence gelegen war. 1854 wurde mit den Shawnees und anderen Indianerstämmen ein Vertrag über den Kauf eines Großteils ihres Landes durch die Regierung geschlossen und das Land für die Besiedlung durch Weiße frei gegeben. Nach Abschluss des Vertrages begannen die Leute das Land zu besiedeln. 1855 war das Land von einigen Jägern belebt, obwohl schon 1854 auch einige Landbesetzer in das Territorium eindrangen. Nach dem Abschluss des Vertrags begann die Besiedlung des Landes. In dieser Zeit hinterließ mir meine Frau die Sorge für unsere drei Kinder, nachdem sie mit mir meine Unglücke, Geschäfte und Sorgen geteilt und mich bis zum 29. September 1859 begleitet hatte (zu diesem Zeitpunkt wurde ihr Lebensfaden durchschnitten und sie trat in die Welt der Liebe und des Glücks ein, für die sie ein Leben lang gelebt hatte). Zwei dieser Kinder sind ihr bis zum heutigen Tage bereits gefolgt. Die älteste, Rusha H., heiratete mit 18 Jahren John W. Cowgill aus Ottawa Kansas und lebt bis heute auf einer Farm in der Nähe. Da unsere Freunde zu himmlischen Wesen wurden und es unmöglich war noch Zeit mit ihnen zu verbringen, machten wir in der Zwischenzeit aus den Jahren, die uns in dieser Welt verblieben waren, das Beste und suchten die Gesellschaft irdischer Wesen. Einige waren wahre Engel des Mitgefühls, der Liebe, der Weisheit und Freundlichkeit und sagten: „Komm zu mir und ich helfe Dir die Last des Lebens zu tragen.“ Dies traf auch auf Mary E. Turner zu, die am 20. November 1860 zur Mrs. Mary E. Still wurde. Sie ist nun Mutter von vier lebenden Kindern, drei Jungen und einem Mädchen. Alle sind sie Führer in einer Division, in einem der größten je auf Erden bekannten Kriege, dem Krieg für die Wahrheit unter dem Banner der Osteopathie.

Um aber zu meiner Erzählung zurückzukehren, muss ich einige Geschichten aus dieser Zeit nachholen.

Um 1835 begannen einige gute Menschen zu behaupten, dass die Sklaverei ein schlimmes Übel darstelle und nur durch Waffen und Unrecht aufrechterhalten werden könne. Es erschien ihnen unchristlich, unfortschrittlich, unmenschlich und eine Schande und Ungnade, dass jene von Menschen toleriert wurden, die stolz auf das Wort ‚Freiheit‘ waren und gleichzeitig durch die Gewalt des Gesetzes bei schwerster Strafe verhinderten, dass sechs Millionen ausgehungerter Wesen von dem süßen Kelch der Freiheit tranken. Dem weißen Mann vor Gott gleichwertige Seelen wurden von ihren Herren in Fesseln gehalten. Das Gefühl der Verantwortung begann in mir zu wachsen. Jeder sollte als Teil einer gewaltigen Ewigkeit frei sein und das gleiche Recht auf die Gestaltung des eigenen Lebens haben, um es auf ein anderes vorzubereiten, indem sich das Wachstum fortsetzen sollte. Noch machten unsere Gesetze aus den einen Herren und aus den anderen Sklaven, mit der Konsequenz, dass letzteren ihr ganzes Sehnen für immer aus dem Verstand verbannt wurde. Aus dieser Situation entstand in den Dreißigern unter den Kirchen ein Streit, in dem die eine Seite für, die andere gegen Herrschaft und Sklaverei eintrat. In den Vierzigern entstand ein Bruch und es kam zur Spaltung einer der stärksten und einflussreichsten Kirchen. Vor den Dreißigern hatte der Kongress Angst bekommen, dass die Sklaven per Gesetz frei sein würden, noch bevor die Mehrheit der Staaten als Sklavenstaaten anerkannt würden. Als Missouri zum Mitglied der Staaten von Amerika ernannt werden wollte, entstand eine große Furcht vor dem Befreiungsprozess. Illinois war ein freier Staat und wenn Missouri ebenfalls ein freier Staat würde, konnte dies die Kräfte im Senat ausgleichen. Staat und Kirche waren daran interessiert die Sklaverei in den nationalen gesetzgebenden Versammlungen gleichberechtigt zu behalten, sodass Zweifel daran bestanden, ob ein Votum mit 14 Stimmen für Missouri eine Mehrheit für einen freien oder einen Sklavenstaat ergab. Nach einer Menge Fürs und Widers wurde die Sklaverei um 1820 in Missouri mit dem Kompromiss anerkannt, alles Land nördlich des 36°30‘ nördlicher Breite, entlang einer Linie an der westseitigen Mündung des Kaw Flusses beginnend und bis zur Nordgrenze von ‚Nebraska‘ reichend, für immer für frei zu erklären. Hier gründete also der Kampf. Stein des Anstoßes war, dass Kansas als Sklavenstaat und Nebraska als freier Staat dazukommen sollten. Ich gebe dies weniger wegen seiner geschichtlichen Bedeutung wieder, sondern vielmehr um zu erwähnen, dass es in den frühen Tagen von Kansas viel Streit unter den Siedlern darüber gab, ob Kansas als Sklaven- oder als freier Staat anerkannt werden sollte. Die Auseinandersetzung wurde erbittert und nicht ohne Blutvergießen geführt. Ich sammelte meine Leute um mich und stimmte für Freiheit. So wurde ich für die Befürworter der Sklaverei zu einem Gegner und jemandem, der ein gesetzlich angestammtes Eigentum stahl. Als die Regierung das Recht eines Mannes akzeptierte, einen anderen als gesetzliches Eigentum zu betrachten, das mit Urkunde und amtlichem Siegel ge- und verkauft werden konnte, bezeichneten sie die Gegner der Sklaverei einstimmig als unehrenhaft. Ich wählte die Seite der Freiheit. Ich für meinen Teil konnte nicht anders stimmen, denn kein Mensch, unabhängig von Rasse und Farbe, kann per Gesetz die Freiheit eines anderen besitzen. Mit dieser Wahrheit im Bewusstsein beteiligte ich mich zu Hause und auf der Straße an allen Auseinandersetzungen für die Abschaffung der Sklaverei. Ich hatte schon einen ganzen Haufen erbitterter politischer Feinde, was zu vielen nervenaufreibenden und merkwürdigen Abenteuern führte, von denen einige es Wert wären hier berichtet zu werden.

Manchmal, besonders in Kriegszeiten, nimmt ein Mann große Risiken wie Hochwasser, Feuer und Krankheit auf sich. Dann wird er freiwillig Dinge tun, die er sonst weder für Geld noch für Liebe angehen würde. Wir wissen nie, was wir wirklich tun werden, so lange, bis wir in die Enge getrieben werden. In Gefahren ist es oft sehr wichtig Zeiten und Wege so kurz wie möglich zu halten. Ganze Armeen gehen verloren, wenn sie einige Minuten zu spät kommen, ganze Ernten fallen aus, weil sie nicht rechtzeitig eingebracht werden. Pünktlichkeit ist also zu aller Zeit sehr wichtig. Während des blutigen Krieges in Kansas, in den Fünfzigern, war ein Mann verhasst, wenn er die Freiheit liebte. Die Feinde der Freiheit dachten, er habe kein Recht zu leben und sie verfolgten ihn mit Revolvern und Gewehren. Es war gefährlich für einen Freistaatler alleine angetroffen zu werden und da ich ein Freistaatler auf dem Territorium von Kansas und als praktizierender Arzt überall im Land unterwegs war, reiste ich besonders, als die Befürworter der Sklaverei sich zum Krieg sammelten und die Freistaatler in einem gemeinsamen Hauptquartier zusammenblieben, mit äußerster Anspannung und nur auf Routen, die mir als sicher bekannt waren. Beide Armeen waren bewaffnet und ausgerüstet: auf der einen Seite, um die Sklaverei zu verbreiten, auf der anderen Seite, um sie zu verbieten. Im Jahre 1855 befand sich der Staat im Bürgerkrieg: Partisanen standen sich gegenüber, rangelten miteinander und Morde waren an der Tagesordnung.

In dieser Phase befand ich mich einmal in einer gefährlichen Situation. Auf der Heimreise von einem meiner Arztbesuche fand ich mich plötzlich vor einem tiefen Graben mit steilen Uferwänden. Der einzige Weg führte über einen roh behauenen Balken mit einer nicht mehr als 40 Zentimeter breiten Oberfläche, dessen Enden in das Ufer eingegraben waren. Der Balken bestand aus Pappelholz, war etwa 6 Meter lang und insgesamt 70 Zentimeter breit und mit den Enden an beiden Uferseiten befestigt. Er war als Fußgängerüberweg für die Leute aus der Nachbarschaft gedacht. Ich musste entweder den Graben an dieser Stelle überqueren oder einen sechs Kilometer langen Umweg machen und mich somit vielen Möglichkeiten aussetzen, von den Verfechtern der Sklaverei getötet zu werden. Sie hassten mich mit der Galle politischer Bitternis, und das war schon lange nicht mehr lustig. So riss ich mich zusammen, nahm mein Leben in meine Hände und hob meinen Körper auf meine treue und erst kurz zuvor beschlagene Maultierstute. Sie schnupperte an dem Balken, welcher etwa 3 Meter über dem zugefrorenen Wasser schwebte. Das Eis war keine 3 Zentimeter dick, darunter befanden sich 60 Zentimeter Wasser und noch einmal 60 Zentimeter Schlamm, wohingegen die Distanz zum anderen Ufer etwa 5 Meter betrug. Meine Stute setzte erst einen Huf auf den Balken, dann einen weiteren und nahm, die Nase direkt am Balken, verwegen und mit festen und vorsichtigen Tritten, den Weg zum gegenüber liegenden Ufer. Es gelang ihr, und nach einer Minute lagen Balken und alle Gefahren hinter mir. Schon erreichte ich die Unterkunft meiner Freunde 800 Meter von meinem Zuhause entfernt.

Als ich meine Maultier- und Balken-Geschichte im Camp berichtete, gab es eine Menge Ungläubige. Da ich die Wahrheit liebte und die Anschuldigung einer Lüge mir nicht behagte, bat ich den Hauptmann um ein Komitee von drei Personen, die überprüfen sollten, ob mein Maultier den Balken überquert hatte. Da die Stelle nur 800 Meter entfernt lag, antwortete der Hauptmann: „Wir werden alle als Komitee gehen!“ So kamen alle mit und drohten mir, mich in den Bach zu werfen, falls ich gelogen hätte. Als wir den Überweg erreicht hatten, sagte der Hauptmann: „Hier sind überall Hufspuren auf dem Balken, die nur von einem Maultier stammen können. Still hat die Wahrheit gesprochen, die Spuren beweisen es!“

Einige Monate nach dem Maultier- und Fußwegübergang-Abenteuer wurde ich zu einer 16 Kilometer entfernt lebenden kranken Frau namens Jones gerufen. Um den Weg so kurz wie möglich zu halten, schlug ich mich durchs Unterholz. Weil ich durch einen dichten Waldabschnitt ritt, konnte ich mehr als drei Kilometer sparen. Ich erreichte den Waldpfad und wollte gerade los galoppieren, als meine Stute plötzlich abbremste, ihre Ohren aufmerksam nach vorne richtete und anschließend nur sehr langsam und widerstrebend ihren Weg fortsetzte. Mir war sofort klar, dass hier Menschen in der Nähe waren und mir war ebenfalls bewusst, dass das Blut der Gegentruppe bereits siedete. Also zückte ich meinen Revolver, nahm mein Gewehr von der Schulter und wappnete mich so gegen die Gefahr. Da ich weder die Position noch die Zahl des Feindes genau kannte, erschien mir als beste Strategie, möglichst gefährlich auszusehen. Innerhalb einer Minute befand ich mich auf einer offenen Lichtung in Gesellschaft von 50 oder mehr Anhängern der Sklaverei, meinen tödlichen politischen Feinden. Sie waren an diesem geheimen und abgeschiedenen Platz versammelt, um sich auf den Kampf mit den Gegnern der Sklaverei vorzubereiten. Ich kann nicht mehr sagen, ob mir die Haare zu Berge standen, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass mir überhaupt noch Zeit blieb, um mich um meine Haare zu kümmern. Ich wusste, dass Bluff in jeder Situation eine Menge ausmachen kann; deshalb sprach ich mit lauter, bestimmter und kommandierender Stimme:

 

„Was zum Tl macht Ihr hier?“ 17

Der kommandierende Hauptmann antwortete mir:

„Wo zur Hle willst Du hin?“

Ich sah sofort, dass mein festes Auftreten einen guten Eindruck gemacht hatte und ich nicht länger in Gefahr schwebte. Ich saß ab, stellte mich vor die Kompanie, schüttelte dem Hauptmann die Hand, bat ihn mir das Kommando zu überlassen, damit ich diese Männer trainieren und ihm zeigen könne, wie Jim Lane und John Brown dies zu tun pflegten und schloss mit den Worten:

„Wenn Deine Männer nicht besser trainiert werden und Jim Lane Dich eines Tages trifft, wird er Dich vermöbeln!“

Der Hauptmann übergab mir seine Männer. Ich ließ sie in einer Reihe Aufstellung nehmen, alle Übungen der Kavallerie durchführen, verwickelte sie ineinander und entzerrte den Haufen wieder. Ich sagte zum Hauptmann, er müsse seine Männer besser drillen, sodass sie sich besser aus der Bredouille bringen könnten, sofern sie auf uns stießen. Nachdem ich die Kompanie wieder ihrem Hauptmann Owens übergeben hatte, sagte dieser zu seinen Männern:

„Achtung Kompanie! Dies ist Dr. Still, der verte Gegner der Sklaverei außerhalb der He. Er fürchtet sich weder vor der He noch vor Hochwasser. Wenn ihr krank seid, ruft nach ihm! Er hat das Leben meiner Frau gerettet, als sie an Cholera litt und ich weiß, dass er überall dort erfolgreich sein wird, wo ihr ihn hinstellt. In der Politik ist er euer Feind, bei Krankheiten hat er bewiesen, dass er ein Freund ist!“

Er schloss mit den Worten:

„Doc, kommen Sie mit zu mir nach Hause zum Abendessen und dann werde ich Sie zu Mrs. Jones begleiten.“

Ich begleitete ihn zum Abendessen und er hielt sein Wort. Von da ab, bis zum Ende der Sklavereifrage 1857 passierte ich seine Leute ohne jede Belästigung.

Ich wurde als Repräsentant von Douglas County, Kansas, in die gesetzgebende Versammlung gewählt. Unter meinen Kollegen waren Leute wie John Speer, George Ditzler und Hiram Appleman, alles glühende ‚Freistaatler‘, welche die Sklaverei in allen ihren Formen hassten und in ihr ein Hindernis für den Fortschritt des Menschen und der Nationen sahen.

Ich machte mir Gedanken darüber, dass mein alter Staat Missouri, der 20 Jahre meine Heimat gewesen war, 150.000 Hektar Schulgelände besaß und dennoch nicht einen Dollar für die Schulen verwendet worden war. Als ich in meinen jungen Jahren zur Schule gehen wollte, wurde dieses, über $ 1.000.000 betragende Geld dazu verwendet, um ‚Maultiere und Nigger‘ zu kaufen. Ich fühlte mich um mein Recht auf Schulbildung betrogen und bezahlte meine Ausbildung mit beschädigten Gleisen.18 Als Mitglied der gesetzgebenden Versammlung in Kansas wollte ich dafür sorgen, dass so eine Tyrannei nicht wieder stattfinden sollte. Die Versammlung plädierte mit großer Mehrheit für die Freiheit. Beide Häuser sowie Gouverneur Reeder waren da mit uns einer Meinung.

Als ich das erste Mal 1857 in die gesetzgebende Versammlung gewählt wurde, einigten sich die Freistaatler auf ein Treffen in Lawrence und Topeka und machten sich gemeinsam auf den Weg nach Lecompton. Da ich zum unteren Distrikt gehörte, ging ich ebenfalls nach Lawrence. Die Freistaatler hatten sich darauf geeinigt um 10:30 Uhr, begleitet durch eine bewaffnete Truppe in die Stadt einzuziehen. Wir kamen kurz vor den anderen an, versorgten unsere Pferde und schlenderten in kleinen Gruppen plaudernd durch die Stadt. Unser Verhalten erweckte sofort Vorahnungen bei den Befürwortern der Sklaverei. Unweit vom Rathaus entfernt pöbelten mich einige von ihnen, Richter Elmore, zwei Männer namens Kato und Brindle und ein gewisser Hall, an:

„Wo kommst’n her?“

Ich antwortete ihm, ich käme von Douglas County und Elmore fragte:

„Und was sucht Du hier?“

„Ich bin von Jim Lane geschickt worden“, antwortete ich.

„Und was haste vor?“

„Was immer Jim Lane wünscht.“

Sie begannen laut zu werden, streuten in ihre unflätigen Reden Bemerkungen ein, unter denen ‚ver…er Sklavereigegner‘, ‚ver…er Verrückter‘, ‚ver…er Niggerdieb‘ die am wenigsten schmeichelhaften waren.

In diesem Moment näherte sich ein kleiner, keine 110 Pfund schwerer, Yankee aus Massachusetts namens G. F. Warren, bat mich in privater Angelegenheit zu sprechen und hoffte meine Freunde würden mich entschuldigen, da er sehr in Eile sei. Mit der Versicherung, ich würde zurückkehren, entschuldigte ich mich und trat einen Schritt beiseite:

„Was möchtest du, Warren?“

„Ich wollte Dich von diesen Typen wegholen. Ich befürchte, sie werden Dich umbringen.“

Ich trug einen Übermantel der Taschen im Innenfutter aufwies, öffnete ihn, zeigte Warren die beiden Revolver in den Innentaschen und wies ihn an zu gehen und seinen eigene Geschäfte zu betreiben, denn ich wollte persönlich mit diesen Gentlemen reden. Falls ich während des Gespräches Hilfe brauchen sollte, würde ich sicher nach ihm rufen. Als Warren gegangen war, kehrte ich zu den anderen zurück, deren Zahl sich beträchtlich erhöht hatte und auch Oberst Young hatte sich unter sie gemischt. Der Oberst trug ein Fleischermesser, das jene, die an eine höfliche Sprache nicht gewöhnt sind, ‚Bowiemesser‘ nennen, an seinem Gürtel. Ein Blick bestätigte mir, dass Warren mich ängstlich aus einer Ecke beobachtete. Während ich mit ihnen sprach, sorgte ich dafür, dass ich meine Gegner genau vor mir hatte. Young fragte mich in einem milderen Ton als alle anderen:

„Was glaubst Du, werdet ihr mit Eurer Versammlung erreichen?“

„Wir haben vor jedes Glied in der Kette der Vertreter der Sklaverei zu brechen und alles zu tun, was Jim Lane von uns verlangt, um Kansas ein für alle mal zu einem freien Land zu machen. Kein Herr, kein Sklave!“

Sie brausten gewaltig auf und Richter Elmore beschuldigte mich unflätigst. Ich sah ihm ins Gesicht und sagte:

„Die Engel kommen! Der Herr ist auf unserer Seite! Seine Engel werden schon bald bei uns sein; dann werdet ihr die Musik von oben hören!“

Einer der Gentlemen sagte:

„Hört Euch diesen veren Narren an, er ist verrückt.“ Ich antwortete:

„Ich bin nicht verrückt, Richter!“

Dann sah ich auf meine Uhr, die ich am vorangehenden Abend mit den Uhren meiner Freunde verglichen hatte. Mir blieben weniger als zwei Minuten bis zur verabredeten Zeit.

„Ich kann schon den Atem der Engel riechen! Ich höre das Rauschen ihrer Flügel!“ In diesem Moment schrie Elmore:

„Der verde Narr ist entweder verrückt oder betrunken. Was ist bloß mit ihm los?“