Charlys Sommer

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The Lady in Red – Chris De Burgh

Charly schnappte den Lippenstift zu und spitzte die Lippen zum Kuss. Ihre Mutter hatte sich mit dem roten Kleid selbst übertroffen. High Heels und Lippenstift passten perfekt dazu. Beschwingt verließ sie das Hotel und strebte zur Straßenbahnhaltestelle. Ihr folgte so mancher Blick, aber Charly ignorierte es. In der Stadt wechselte sie die Bahn und stieg knapp eine halbe Stunde später an einem Gewerbegebiet aus. Das Autohaus lag nur wenige Schritte von der Station entfernt.

Sie betrat den Verkaufsraum. Der einzige anwesende Verkäufer staunte sie mit offenem Mund an. Sie grüßte und wandte sich einem Fahrzeug zu, das direkt vor ihr auf einem Podest thronte. Ehrfürchtig betrachtete sie den Oldtimer, während dieser langsam um sich selbst rotierte.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Der Verkäufer war unbemerkt neben sie getreten.

Sie wies auf den Wagen vor sich. „Ich möchte ihn kaufen.“

Zum zweiten Mal klappte ihm der Kiefer nach unten.

„Er steht doch zum Verkauf, nicht wahr?“, vergewisserte sie sich.

Er nickte. „Einen Augenblick, bitte. Ich hole den Chef.“

Dieser war ein hochgewachsener Mann Mitte fünfzig, der ihr reserviert die Hand reichte. „Sie interessieren sich für den Isabella?“

„Ich bin hier, um ihn zu kaufen.“

Er nickte und wies ihr den Weg zu einem der Schreibtische. „Üblicherweise interessieren sich nur deutlich ältere Semester als Sie für einen Borgward.“

Charly setzte sich und lächelte. „Meine Urgroßmutter hat diesen Wagen gefahren, er hat ihr sehr viel bedeutet“, improvisierte sie. Es war noch nicht einmal gelogen. „Sozusagen ihr zu Ehren möchte ich ihn haben.“

Er legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und betrachtete sie nachdenklich.

‚Ich hätte einen Hut aufsetzen sollen’, dachte sie. ‚Hinter Krempen kann man so schön die Augen verstecken. Ganz ruhig bleiben’, mahnte sie sich. ‚Ich mache nichts Illegales. Nur ein bisschen Schauspielkunst à la Mam zugunsten Dad´s.’ Sie wartete geduldig und ohne eine Miene zu verziehen.

Schließlich nickte er leicht und zog die Tastatur seines Rechners zu sich heran.

„Es gibt nur eine Kleinigkeit zu klären“, fuhr Charly fort.

„Die wäre?“

„Inwieweit sie mir mit dem Preis entgegenkommen würden. Ich habe alle meine Konten abgeräumt, aber es reicht leider nicht ganz.“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

Er schmunzelte. „Wie viel haben Sie denn?“

Charly zog eine Geldbörse aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Schreibtisch. „Das sind genau siebenundfünfzigtausendneunhundertdreiundzwanzig Euro und zweiundsechzig Cent.“

„Darf ich?“

Sie nickte.

Er zählte das Geld ab und legte alle Fünfhundert-Euro-Scheine auf einen Stapel zu seiner Rechten, die Geldbörse mit dem Kleinkram und die vier Einhundert-Euro-Scheine reichte er ihr zurück. „Ihren Ausweis, bitte.“ Er stutzte kurz, als er ihren Namen auf das Verkaufsformular übertrug.

‚Na, fragt er nach Dad oder fragt er nicht?’ Aufgeregt knautschte sie den Trageriemen ihrer Handtasche.

„Wann wollen Sie ihn abholen?“

„Gleich mitnehmen, dachte ich“, erwiderte sie unschuldig.

Er sah auf die Uhr, nahm den Telefonhörer und wählte. „Ich habe hier eine Kundin, die den Isabella sofort mitnehmen möchte. Geht das noch?“ Er lauschte.

„Wunderbar“, er legte auf und nahm ein Blatt aus dem Drucker, das er ihr hinschob.

Charly las es aufmerksam durch und unterschrieb. Derweil war ein Mechaniker erschienen, hatte die Türflügel des Verkaufsraumes aufgeschoben und fuhr den Isabella auf den Hof. Der Verkäufer begleitete sie hinaus. Sie verabschiedete sich, bedankte sich und stieg ins Auto.

„Eine Frage noch“, hielt er sie auf, als sie nach dem Schlüssel griff. „Da Sie den gleichen Familiennamen tragen: Kennen Sie Arved Thelen?“

Charly lächelte. „Das ist mein Vater.“ Sie startete und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie noch, wie er ärgerlich die geballte Rechte in die Linke schlug. ‚Zu spät gefragt, Junge!’

***

Ihr Telefon klingelte. Sie fuhr an der nächsten Bushaltestelle rechts ran und nahm das Gespräch an. Ihr Vater. „Ich hab ihn!“, rief sie grußlos ins Telefon.

„Zu welchem Preis?“

„Errätst du nie“, flötete sie. „Wann und wo holt Steven ihn ab?“

„Hauptbahnhof. Ich setze ihn jetzt gleich in den Zug, er dürfte gegen acht da sein.“

„Ok, see you later, Dad.“

***

Auf dem Display wurde ein Anruf in Abwesenheit angezeigt. Sie drückte die Ruftaste. Es hatte kaum einmal geklingelt, da meldete sich Gereon.

„Hi. Hier ist Charly.“

„Schön von Ihnen zu hören. Sie sind in Magdeburg?“

„Ja“, schmunzelte sie.

„In welchem Hotel?“

„Verfolgen Sie mich wieder?“, neckte sie ihn.

„Ich möchte Sie wiedersehen.“

Sie nannte ihm das Hotel. „Wann werden Sie da sein?“, fragte sie.

„In zwanzig Minuten laut Navi.“

„Diesmal möchte ich Sie zu einer kleinen Ausfahrt einladen und anschließend zum Essen, ich habe etwas zu feiern.“

„Ausfahrt ist ok, über das Essen reden wir noch“, kündigte er an.

Sie lachte.

„Was feiern Sie denn?“

„Das sehen Sie gleich.“

„Wo treffen wir uns?“

„18 Uhr am Hoteleingang. See you.“

***

Pünktlich stand Gereon vor dem Foyer. Ein cremeweißes Oldtimer-Cabriolet bog in die Auffahrt und hielt vor ihm. Darin Charly in einem raffiniert geschnittenen, roten Kleid.

„Hi!“

Ihre Stimme setzte die Zeit wieder in Gang, die irgendwann stehen geblieben sein musste. „Wo haben Sie denn dieses Schmuckstück aufgetrieben?“ Er wusste selbst nicht, was er meinte, Fahrzeug oder Kleid.

„Soeben erst erstanden.“

Überrascht musterte er sie. ‚Woher nimmt sie das Geld, oder habe ich mich verschätzt?’

Als habe sie seine Gedanken gelesen, sagte sie: „Er ist für meinen Dad. Ich kaufe öfter Fahrzeuge in seinem Auftrag.“

‚OK, das erklärte einiges’, dachte er.

„Haben Sie Wünsche, wo wir hinfahren? Um acht muss ich den Wagen am Hauptbahnhof abgeben“, holte sie ihn ins Gespräch zurück.

„Ich überlasse mich ganz Ihrer Führung“, blieb er absichtlich zweideutig. Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und beobachtete schweigend, wie er zu ihr ins Auto stieg. „Sie sagen gar nichts?“

„Ich versuche, mich für eine der unzähligen attraktiven Möglichkeiten zu entscheiden.“

‚Ihre Antwort ist auch nicht gerade eindeutig’, überlegte er und sah zu ihr hinüber. Sie hatte den Blick von ihm abgewandt und fuhr los. Ihre Wangen glühten.

‚Welche ‚attraktiven Möglichkeiten’ sie wohl erwogen hatte?’, fragte er sich.

Sicher lenkte sie den Wagen durch den Feierabendverkehr, ließ sich von einer Navigations-App ihres Handys leiten, das sie im Schoß liegen hatte. Etwa eine halbe Stunde später stoppte sie den Wagen auf einem Parkplatz.

***

„Schloss Hundisburg“, verkündete sie.

Sie betrachteten den imposanten Schlossbau von außen und schlenderten durch den Park. Ihre Unterhaltung drehte sich sorgfältig nur um Belanglosigkeiten und erst im Verlauf des Spazierganges machte er ihr ein vorsichtiges Kompliment. Es war unnötig. Sein Blick sprach Bände. Zeitweise fragte sie sich, ob er von Schloss und Park überhaupt etwas wahrnahm, so stark fokussierte er seine Aufmerksamkeit auf sie.

Schließlich kehrte sie bedauernd dem wunderschönen Park den Rücken.

***

Sie wählte für die Rückfahrt eine andere Strecke und er stellte sich moralisch darauf ein, gleich ihrem Vater gegenüberzustehen. Die letzte ähnliche Begegnung lag einige Jahre zurück. Sehr viel Erfahrung hatte er damit sowieso nicht. Während des Studiums waren seine Beziehungen meist nur oberflächlich gewesen und selten lang genug, dass er den Eltern vorgestellt wurde. Danach hatte er sich in die Arbeit gestürzt, woran auch die zwei, drei Beziehungen recht früh gescheitert waren, die er seitdem gehabt hatte.

‚Immerhin kann ich dem Zusammentreffen mit Charlys Vater gelassen entgegensehen, war ich doch noch nicht mit ihr im Bett. Nicht, dass es an mir gelegen hätte …’ Er grinste in sich hinein.

Charly brachte den Isabella in der Bahnhofszufahrt zum Stehen, sprang aus dem Auto und schlang die Arme um den Hals eines jungen Mannes, der unmöglich ihr Vater sein konnte. Mit einem Anflug von Eifersucht beobachtete Gereon, wie dieser sie im Kreis schwenkte und sie ihn mit einem Wangenkuss bedachte, als sie wieder auf den Füßen stand.

„Steven, das ist Gereon“, sagte sie. „Gereon, darf ich Ihnen Steven vorstellen? Mein Bruder.“

Sein Gegenüber abschätzend, schüttelte er dem jungen Mann die Hand. ‚Jünger als ich, älter als Charly’, dachte er. ‚Groß, gutaussehend, harmonisch gebaut, sparsame, effiziente Bewegungen. Und überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihr.’

Sie angelte ihre Handtasche aus dem Wagen, nahm einige Scheine aus der Geldbörse und drückte sie Steven in die Hand. Er zählte sie durch.

„Du hast siebeneinhalbtausend rausgeholt?“

„Ja.“ Charly schmunzelte selbstzufrieden.

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Wie machst du das?“

„Ein paar Zentimeter mehr an der richtigen Stelle können Wunder wirken.“

„Tatsächlich? Ich dachte immer, weniger?!“ Gewandt wich er ihr aus und setzte sich ans Steuer.

„Falsch gedacht“, lachte sie.

„Mehr Zentimeter“, murmelte Gereon vor sich hin. „Das aus dem Munde einer Frau …“

„Fahr vorsichtig“, gab sie Steven mit auf den Weg.

 

„Pass auf dich auf und mach keinen Unsinn“, antwortete der. Ein letzter misstrauischer Blick galt ihm, dann setzte Steven aus der Parklücke und fuhr davon.

„Hunger?“ Charly sah zu ihm auf.

„Ich könnte schon was vertragen“, bestätigte er.

„Es ist nicht weit.“

***

Kurze Zeit später saßen sie auf einem kleinen Platz und prosteten sich zu. Er war ihrer Empfehlung gefolgt und hatte das gleiche Bier bestellt wie sie. Eine gute Wahl, wie er nach dem ersten Schluck feststellte.

Charly war sichtlich unruhig. Zappelig schlug sie die Beine übereinander, und keine zwei Minuten später andersherum. Sie zog ihr Handy aus der Tasche, tippte ein paar Mal darauf, packte es weg, nur um es ein paar Sekunden später wieder herauszuwühlen. Er beobachtete sie dabei und konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Sie wurde noch nervöser.

Gerade als er sie aus ihrer Verlegenheit erlösen wollte, wurde die Vorspeise serviert. Knoblauchsuppe.

Immerhin, sie hatte ihn vorgewarnt und er war ihr auch in diesem Punkt nur zu gern gefolgt. Erstens mochte er Knoblauch und zweitens, wenn sie darüber nachdachte, so hieß das doch, dass er früher oder später mindestens mit der Möglichkeit zu einem Kuss rechnen durfte – oder gar mehr.

***

Charly ärgerte sich. Über sich selbst. Sie hatte, in aller Vorfreude auf Gereon und mit einem Anflug schlechten Gewissens, wenn sich dabei Christian in ihre Gedanken schlich, das rote Kleid und die High Heels in den Tankrucksack gepackt, aber keinen Gedanken an weitere Kleidung verschwendet. Soeben war ihr eingefallen, dass sie sich nicht noch einmal ums Frühstück drücken konnte, zumindest nicht ohne plausible Ausrede. ‚Die ich nicht habe. Abgesehen davon ist das Frühstück im Hotel viel zu gut, um darauf zu verzichten.’ Mühsam zwang sie ihre Gedanken von ihrer Bredouille weg. „Waren Sie schon hier?“

„Sie haben ein Händchen für die weißen Flecken auf meiner Landkarte“, antwortete er.

„Hm, was gibt es hier zu sehen?“, überlegte sie laut. „Den Dom, das Kloster, diverse Kirchen, nicht zu vergessen das Hundertwasserhaus.“ Sie probierte vorsichtig die Suppe, leckte genießerisch den Löffel ab und sprach weiter. „Der Elbauenpark nebst Jahrhundertturm – oder Jahrtausend?“, unterbrach sie sich selbst. „Ich vertue mich da immer.“ Sie kniff schelmisch die Augen zusammen. „Unser Hotel, dessen Park und die Elbe. Mehr kenne ich selbst noch nicht.“

„Für heute Abend sollte es reichen“, schmunzelte er. „Da genügt mir Ihr Hotelzimmer. Von innen.“

Charly lachte. „Das dürfte nicht viel anders aussehen als Ihr eigenes.“

„Es hat einen ganz entscheidenden Unterschied.“

Sie legte fragend den Kopf schräg.

„Sie.“

Sie spürte, wie sich ihr ganzer Körper mit Gänsehaut überzog und ihr die Hitze in die Wangen stieg. Verlegen wandte sie den Blick ab und knüllte die Serviette in der Hand zusammen. Wieder rettete sie die Ankunft des Kellners, der den Hauptgang servierte. Sie aßen schweigend.

„Nachtisch?“, fragte er.

„Natürlich, Palatschinken lasse ich mir doch nicht entgehen!“ Sie kam ihm mit dem Heranwinken des Kellners zuvor und bestellte nicht nur den Nachtisch, sondern auch einen Slivovitz.

„Für mich auch, bitte“, schloss er eiligst an und verlangte die Rechnung.

Charly kniff verärgert die Augen zusammen. ‚Ich hasse es, von einem Mann eingeladen zu werden’, dachte sie. ‚Hat er dann nicht ein Recht darauf, dass ich ihm mehr entgegenkomme? Hat er dann nicht ein Recht … auf die Nacht mit mir?’ Sie fühlte sich so … ‚käuflich’, pulsierte der unangenehme Gedanke.

Als ob er ihren inneren Widerstreit gefühlt hätte, legte er seine Hand auf ihren Arm und sagte eindringlich: „Charly, bitte lassen Sie mir die Freude, Sie einzuladen.“

Sie zögerte, sah auf den leeren Teller vor sich.

***

„Ich bin nicht gerne jemandem verpflichtet“, sagte sie leise.

‚Herrje! Sie denkt doch nicht etwa, dass ich mir damit eine Nacht mit ihr erkaufen will?!’, dachte er innerlich kopfschüttelnd.

Auf einmal wirkte sie jung und verletzlich.

‚Wie alt sie wohl sein mag?’, überlegte er, nicht zum ersten Mal. „Sehen Sie es als Beitrag zu den Fahrtkosten mit dem Isabella.“ Er lehnte sich entspannt zurück und lächelte sie offen an.

Sie sah zu ihm auf, schien noch einen Moment abzuwägen, dann nickte sie. Sein jungenhaft strahlendes Lachen war offenbar ansteckend, denn sie lächelte zaghaft. Er hob den Slivovitz. „Auf den Isabella!“

Sie nickte und wiederholte den Spruch, dann stürzten sie beide den Schnaps hinunter.

„Und jetzt? Was zeigen Sie mir heute?“

“Lassen Sie sich überraschen!“

Er freute sich über ihre schelmische Antwort.

***

Sie spazierten zum Dom. Wie erwartet konnten sie ihn nur von außen betrachten; die Öffnungszeit war längst vorüber. Hand in Hand gingen sie die Breite Straße zurück, nahmen nebenher das Hundertwasserhaus in Augenschein und waren schon fast an der Straßenbahnhaltestelle, als Charly auffiel, dass das große Einkaufscenter noch ungewöhnlich stark frequentiert wurde.

Sie stutzte. ‚Tatsächlich! Die Geschäfte sind geöffnet’, jubelte sie still, wurde jedoch sofort unsicher. ‚Wie soll ich ihm beibringen, dass ich jetzt noch einkaufen will?’ Sie wandte sich zu ihm, nur um zu bemerken, dass er sie schmunzelnd beobachtet hatte.

„Shopping?“, fragte er.

„Wenn es Sie nicht stört?“

„Woran dachten Sie denn?“

„Jeans und ein Shirt. Vielleicht noch einen Bikini.“

„Dann los.“ Seine Miene war unlesbar, aber sie meinte, ein belustigtes Schmunzeln in seinen Augen zu entdecken.

***

Mit einem dezent angedeuteten Knicks trat sie an ihm vorbei in die Karusselltür. Mit dem Finger auf dem Überblicksplan an der Scheibe vor ihnen drehte sie zwei Runden und verließ die Drehtür dann zielstrebig in Richtung eines Jeans-Stores. Er ließ sie vorausgehen und hielt sich beobachtend im Hintergrund.

Die Billigjeans würdigte sie keines Blickes, am Sale-Ständer verharrte sie kurz und sah sich einige Sachen an, dann fing sie den Blick einer Verkäuferin auf und signalisierte Beratungsbedarf. Nannte ihr eine Marke und die benötigte Größe, die er sich vorsorglich einprägte; wer wusste denn, wozu er das Wissen noch brauchen konnte?

Derweil war Charly der Frau in den hinteren Teil des Raumes gefolgt, nahm zwei blaue Jeans entgegen und verschwand in der Umkleidekabine. Tauchte kurz darauf mit hochgerafftem Kleid in einer knackig sitzenden Jeans auf, drehte sich zweimal vor dem Spiegel, warf einen prüfenden Blick zu ihm und war verschwunden, ehe er es geschafft hatte, den Blick von ihrem Po loszureißen. Die zweite Jeans führte sie gar nicht vor, sondern reichte sie mit dem Kommentar „Sitzt nicht“ heraus, wies das Angebot nach weiteren Hosen ab und trabte, wieder mit nackigen Beinen, zur Kasse.

Die Einkaufstüte schwingend schwebte sie weiter durch das Einkaufszentrum. Er bemerkte die Blicke anderer Männer, die sie entweder ignorierte oder wirklich nicht wahrnahm. Auch nicht wenige Frauen blickten ihr mehr oder weniger offen neidisch nach. Die Auswahl des Oberteiles erfolgte ähnlich flott und unspektakulär wie die der Jeans.

Als Nächstes huschte sie tatsächlich in ein Dessous-Geschäft! Die Preise im Schaufenster wiesen auf die gehobene Klasse hin und wieder fragte er sich, wie sie dies finanzierte. Als er die Boutique betrat, wurde Charly bereits von einer älteren Dame bedient. Eine Handvoll Bikinis lagen vor ihr auf einem Tisch ausgebreitet und jetzt fügte die Dame noch einige BHs dazu, die eindeutig nicht in die Kategorie Strandmode fielen.

Charly ignorierte ihn geflissentlich, aber er beugte sich leicht über ihre Schulter, wies auf ein sündig rotes Set und raunte leise neben ihrem Ohr: „Für heute Nacht? - Schatz?“

„Oh, ist das ihr Freund, Liebes?“, sprach die Dame Charly an.

Die lächelte zurück.

„Ein“, betonte sie. „Freund.“

„Ach, was nicht ist, kann ja noch werden“, leutselig tätschelte die Dame Charlys Arm und zwinkerte ihm zu.

Charly wurde nun doch rot. Sie schnappte einige Teile vom Tisch und entfleuchte in die Umkleidekabine.

Diesmal allerdings wartete er vergebens. Sie zeigte sich ihm nicht und sie rief ihn auch nicht zu sich. Zu gerne hätte er einen Blick zu ihr hineingeworfen.

Und sie ließ sich Zeit. Er sah auf seine Uhr. Mindestens zwanzig Minuten war sie nun schon verschwunden. Eine Bewegung ließ ihn aufblicken. Sie stand vor ihm.

„Sie haben es geschafft. Ab zur Kasse!“

Dort angekommen klappte ihm der Kiefer nach unten, ob des stolzen Preises, den Charly zu zahlen hatte. Ihre Einkäufe waren bereits eingepackt und keine Chance für ihn, noch einen Blick zu erhaschen.

Auf dem Weg aus dem Einkaufszentrum zur Straßenbahnhaltestelle kamen sie an einem kleinen Motorradladen vorbei. Ebenfalls geöffnet.

„Ich brauche neue Handschuhe“, bemerkte er und steuerte das Geschäft an.

Charly folgte ihm und sondierte das Angebot, während er verschiedene Modelle anprobierte. Er war nicht bei der Sache, sondern beobachtete sie verstohlen. Plötzlich stand sie neben ihm.

***

„Sie waren mit dem Motorrad in Görlitz?“

Sie zog fragend die Augenbrauen hoch. ‚Mist! Hat er mich etwa doch irgendwo gesehen?’, überlegte sie hastig. ‚Oder wo habe ich den Fehler gemacht?’

„Meine Schwester hat mir die Grüße ausgerichtet und sagte, Sie wären ein großes gelbes Motorrad gefahren, meine Neffen hätten sogar darauf sitzen und die Hupe drücken dürfen. – Auf dem Hotelparkplatz stand eine gelbe 800 GS“, erklärte er. „Ich hatte Ihnen ja eher den kleinen Audi angedichtet.“

Charly lachte erleichtert. „Der gefällt mir auch. Ja, das war meine.“

„War?“

„Ist“, gab sie zu. ‚Meine Güte, er nimmt es aber genau’, dachte sie.

„Haben Sie noch mehr Motorräder?“, fragte er weiter.

Sie lächelte. „Reicht eines nicht?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

„Normalerweise ja“, erwiderte er sanft. „Ich kann mich nur des Eindrucks nicht erwehren, dass für Sie ‚normale’ Maßstäbe nicht gelten.“

Seine Augen ruhten auf ihr, während er eines der Handschuhpaare packte und es dem Verkäufer über den Tresen reichte.

Sie schluckte und wusste keine Antwort.

***

Eine halbe Stunde später betraten sie das Foyer des Hotels. Charly nahm zunächst die Treppe, dann forderte sie den Aufzug an. Die Türen öffneten sich sofort. Die kurze Fahrt lohnte kaum. Charly lehnte sich diskret an den Handlauf und er vermutete, dass ihr die High Heels unbequem waren. ‚Ich bin beeindruckt, wie lange sie mit diesen klaglos auf den Beinen ist.’

Als der Aufzug mit einem leisen Glöckchenton stoppte, hielt er ihr die Hand entgegen. Sie nahm sein Angebot an. Er ließ sich von ihr führen und nur wenige Sekunden später standen sie vor der letzten Tür des kurzen Querganges.

‚Ihr Zimmer. Direkt neben meinem eigenen.’

Sie hielt die Schlüsselkarte an den Leser und drückte die Tür auf.

„Danke für das Abendessen und die Geduld beim Einkaufen.“ Sie lächelte zu ihm auf.

Am anderen Ende des Ganges klappte geräuschvoll eine Tür zu, dann erklangen eilige, vom dicken Teppichboden gedämpfte Schritte in ihre Richtung. Reflexartig sah er sich um und gab dabei Charly den Blick in den Gang frei. Sie erstarrte mitten in der Bewegung.

„Mutter! Was machst du hier?“

Sein Blick zuckte zwischen Charly und der elegant und teuer gekleideten Frau Anfang vierzig, die erstaunt stehen geblieben war, hin und her. ‚Mutter?’

Die erfasste die Situation und kam näher. „Das frage ich dich!“, gab sie mit einem strengen Ausdruck an Charly gewandt zurück. Ein bedeutungsvoller Blick streifte seine Person.

Charly trat an ihm vorbei und begrüßte ihre Mutter mit einer flüchtigen Umarmung. „Urlaub. – Mutter, das ist Gereon. Gereon, meine Mutter, Gitta Thelen.“

Charlys Mutter reichte ihm eine kühle, kleine Hand und erwiderte seinen Händedruck fest. Unverkennbar abschätzend musterte sie ihn.

Impulsiv hob er ihre Hand leicht an und beugte sich zu einem Handkuss darüber. Als er sich aufrichtete, sah er die Überraschung in ihren Augen. „Darf ich die Damen zu einem Drink an die Bar einladen?“

„Sie dürfen“, erwiderte Charlys Mutter, und jetzt, da er sich von der überraschenden Wendung erholt hatte, fiel ihm deren Stimme auf.

 

‚Ungewöhnlich’, fasste er seine Gedanken vorsichtig zusammen und hoffte, dass beiden Frauen das leichte Heben der Härchen auf seinen Armen entgangen war.

Kommentarlos schnappte Charly die Tüte aus seiner Hand, ließ sie zusammen mit ihren Einkäufen in ihrem Zimmer achtlos zu Boden sinken und zog die Tür wieder zu.

Er bot Charlys Mutter den Arm, aber diese wies ihn weiter an Charly, die, offensichtlich unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollte, sich vage bei ihm einhakte. Kurz darauf saßen sie, Charly in der Mitte, am ruhigen hinteren Ende der Bar.

„Whisky, doppelt“, bestellte Charly als Erste, mit rauer Stimme, räusperte sich, sondierte eilig das Angebot der aufgereihten Flaschen und verfeinerte: „Bowmore.“

Charlys Mutter entschied sich für einen Calvados, er überlegte, ob er Charly wiederum folgen sollte, ließ es aber bei der milderen Variante, Glenmorangie, einfach.

Sie stießen an und Charly stürzte die Hälfte des Glasinhaltes in einem Zug hinunter.

Gitta schüttelte missbilligend den Kopf. „Du benimmst dich unmöglich!“

„Wenn ich dich unvorbereitet aushalten muss, brauche ich das“, feuerte Charly zurück.

„Das nehme ich als Kompliment“, lachte Gitta und Charly verdrehte die Augen, nippte aber vorsichtiger an ihrem Getränk.

„Du siehst bezaubernd aus.“

„Du hast dich selbst übertroffen.“

Mit zufriedenem Lächeln überließ er die Frauen ihrem Gespräch und genoss einfach Charlys Nähe.

***

Charlys Mutter sah auf ihr Handy und entschuldigte sich. Sie glitt vom Barhocker, wandte sich mit „Mach keinen Unsinn!“ an ihre Tochter, bedachte ihn mit einem warnenden Blick, der in starkem Kontrast zu ihrer gewandten Verabschiedung stand, und war verschwunden, noch ehe er und Charly es so richtig begriffen hatten.

In unsicherem Schweigen tranken sie die Neigen aus ihren Gläsern, er zahlte und Charly sprang von ihrem Hocker und hob ihre Schuhe auf, die sie während des Gesprächs mit ihrer Mutter von den Füßen gestreift hatte. Barfuss ging sie vor ihm her, verzichtete diesmal auf den Aufzug und nahm die Treppe, dann standen sie wiederum vor ihrer Tür.

Schnurrend entriegelte der Kartenleser und sie drückte die Tür auf. Elegant hob sie seine Einkaufstüte vom Boden auf.

Er nahm sie entgegen, und bevor sie sich in ihr Zimmer flüchten konnte, hatte er einen langen Arm um ihre Taille geschlungen und küsste sie. Sie schmeckte warm und rauchig nach Whisky, ein bisschen süß nach Toffee. Er konnte gar nicht genug von ihr bekommen. Atemlos ließ er schließlich von ihr ab. „Bitte“, flüsterte er in ihr Haar. Er wusste selbst nicht, worum er bat. Widerstrebend ließ er sie los, um ihr in die Augen schauen zu können. Sie waren dunkel.

Charly leckte sich über die Lippen, ein Anblick, der ihm fast den Verstand raubte. Er schloss die Augen und kämpfte mit eisernem Willen um seine Selbstbeherrschung. Ihre Hand auf seinem Arm machte seine Anstrengung um ein Haar zunichte. Er öffnete die Augen.

Charly stand ganz dicht vor ihm. Sichtlich selbst um Haltung bemüht, schüttelte sie den Kopf. „Nicht, wenn meine Mutter ein paar Zimmer weiter … wohnt“, schloss sie lahm.

Er spürte, wie ihre Hand zitterte.

„Sieben Uhr Frühstück?“, drang ihre Stimme zu ihm.

Er nickte.

„Gute Nacht“, flüsterte Charly nahezu lautlos, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn flüchtig, dann schloss sich leise die Tür hinter ihr.

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