Poetry for Future

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Samuel J. Kramer (Hrsg.)

POETRY FOR FUTURE

45 TEXTE FÜR ÜBERMORGEN


E-Book-Ausgabe September 2020

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2020

www.satyr-verlag.de

Cover: Karsten Lampe

Korrektorat: Jan Freunscht

Diese Anthologie wurde mit Sorgfalt lektoriert und korrigiert. Die abgedruckten Textfassungen entsprechen den ausdrücklichen Wünschen der Verfasser*innen.

© Audioaufnahmen bei den Verfasser*innen. Keine unerlaubte Sendung und Vervielfältigung!

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-947106-63-9

25 Prozent vom Gewinn dieses Buches werden an Klimaschutzprojekte gespendet.

Inhalt

Samuel J. Kramer: Editorial

Gregor Hagedorn/Karen Helen Wiltshire: Vorwort

1. Kapitel: WASSER

Ulrike Almut Sandig: vom Wasser

Marina Sigl: Ein Bericht

Temye Tesfu: polkappenrequiem

Christofer mit f: Das große Verschlingen

Peter Heiniger: Zwanzig Zentimeter

Katrin ohne H: Die Haxen bitte vor dem Duschen rasieren

David Friedrich: Staub

Daniela Seel: (ohne Titel)

2. Kapitel: KINDER

Jan Cönig: Wald Thing

Cecily Ogunjobi: Aufgabe 1

Björn Rosenbaum: Generationenkonflikt

Pascal Simon: Cookie Clicker

Luka*s Friedland (mit Cecily Ogunjobi): Einige Berichtigungen über das Klima. Ein anthropozänes Klickstück

Jean-Philippe Kindler: Plädoyer für die Wut

Simeon Buß: Kein Gespräch

Leonie Klendauer: Über Springer

Lea Weber: Zweitausenddreißig

3. Kapitel: ENDEN

Mikael Vogel: Das Östliche Irmawallaby

Noah Klaus: Ein zynischer Vorschlag

Lars Ruppel: Die Welt ist tot

Danny Grimpe: Eine Konferenz

Mara-Daria Cojocaru: Hilfestellung für den letzten Menschen

Jan Wagner: de vita caroli quarti

Yannick Steinkellner: feinstaub

Björn H. Katzur: Nach uns die Sinnflut

Oliver Walter: Drehbuch für einen viel zu realistischen Katastrophenfilm

4. Kapitel: GEGENSÄTZE

Kaleb Erdmann: Konsum und Verzicht

Manfred Manger: Dämmerung, zwischenmenschlich

Julius Althoetmar: Logik

Kierán Meinhardt: Sommer im Winter

Sebastian 23: In der Blüte der Quadrate

Janina Mau: Die Mietsache

Meral Ziegler: Ich habe keinen Bock, einen Umwelttext zu schreiben

Mieze Medusa: Reisen mit Zukunft

Anna Teufel: Toller Wagen

5. Kapitel: SPRACHE

Dafni Tokas: Zungenblatt

Xenia Stein: Ich kann euch nicht helfen

Holger Rohlfs: Drei (fast) wahre Geschichten

Anja Utler: Rechnungslegung. Wie aus einem schweren Traum

Laurin Buser: Ein cooler Text über Naturschutz

Marcus Roloff: sechzehnter elfter

Luisa Maria Schulz: Wenig Winter

Laura Klegräfe: Alles, was ich bin, ist secondhand

Luca Swieter: Klimawandeltext

Samuel J. Kramer: Vögel

Samuel J. Kramer: (ohne Titel)

Danksagung

Die Autor*innen / bibliografische Hinweise

für Calian für die Zukunft

Editorial

Wir schreiben das Jahr 2020. Viele haben es noch nicht verstanden – oder wieder vergessen –, aber wir befinden uns in einer entscheidenden Phase unserer Geschichte. Wir haben, wenn wir Glück haben, noch ein paar Jahre Zeit, um die Kontrolle über das System Erde zurückzugewinnen, um den klimatischen Kollaps und ein Massenaussterben zu verhindern.

Danach können wir nur noch zusehen, wie sich die Erde immer weiter erhitzt und ein Ökosystem nach dem anderen zusammenbricht. Dann können wir noch versuchen, die Schäden zu begrenzen und die Konflikte zu schlichten, die über knapper werdende Ressourcen und bewohnbaren Lebensraum ausbrechen.

Zugleich kämpfen Menschen weltweit schon heute mit Wasserknappheit, extremer Hitze, Krankheiten und Naturkatastrophen, deren Häufigkeit und Intensität auf den Klimawandel zurückgeführt werden können.

Zugleich ist das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten*, das sich aktuell 1.000- bis 10.000-mal schneller vollzieht als im historischen Durchschnitt, kein bloßes Verschwinden. Auch dieser Prozess ist von Leid und Schmerz durchzogen.

Und jetzt stellt auch noch eine Pandemie die weltweiten Gesundheits- und Sozialsysteme auf eine harte Probe (und nicht nur diese) und dominiert die Schlagzeilen. Es ist dabei gleichermaßen verständlich und gefährlich, über diese Entwicklung die Erhaltung unserer planetaren Lebensgrundlagen als politisches Ziel aus den Augen zu verlieren.

Andersherum sollte die Dringlichkeit von umweltpolitischen Fragen auch nie dazu dienen, die Wichtigkeit anderer politischer Kämpfe (wie die aktuelle Black-Lives-Matter-Bewegung – um nur ein Beispiel zu nennen) infrage zu stellen. Ich glaube, dass es in diesen Fragen kein »Entweder- oder« geben kann.**

Wenn ich mir diese biophysikalische und politische Realität in ihrer Gesamtheit vor Augen führe, fällt es mir oft schwer, eine positive Perspektive darauf einzunehmen. Ich zwinge mich dann meistens zum Optimismus. Weil ich weiß, dass wir Optimismus brauchen, um weiterzumachen.

 

Auch bei der Durchsicht der Texte für diese Anthologie fiel mir auf, dass die dystopischen Visionen überwiegen und positive Zukunftsentwürfe selten sind. Ich glaube, dass es ein grundlegendes Problem dieser Debatte darstellt, dass oft davon gesprochen wird, dass es so nicht weitergehen kann – ohne zu sagen, wie es weitergehen soll. Von dieser Schwierigkeit spreche ich mich selbst nicht frei.

Ich glaube aber gleichzeitig, dass die literarische Beschäftigung mit den negativen Gefühlen, die unsere unsichere Zukunft in uns auslöst, sehr wertvoll ist und konstruktiv sein kann. Wir brauchen einen (Resonanz-)Raum für die Angst, die Trauer und die Wut auf unser zerstörerisches System.

Es hat mich bestärkt zu sehen, wie viele der von mir erreichten Autor*innen (hauptsächlich aus der Poetry-Slam- und der Lyrikszene***) sich mit diesen extrem wichtigen Themen beschäftigen, und mit was für großartigen Ergebnissen. Das ist für mich ein Teil einer positiven Perspektive auf die Zukunft: Ich möchte in einer Welt leben, in der weiterhin solche Texte geschrieben und gelesen werden können, überall auf dem Globus.

Es hat mir immense Freude bereitet, alle diese Stimmen zu entdecken – und ich habe mich dadurch auch weniger allein gefühlt. Hier liegt für mich ein weiterer Grundstein einer optimistischen Perspektive: Wir sind schon so viele. Es gibt ein großes Potenzial und eine große Bereitschaft, den enormen Herausforderungen unserer Zeit mutig und kreativ zu begegnen.

Um noch eine Frage zu beantworten, die immer im Hintergrund steht, wenn es um Politik und Literatur geht: Ja, ich bin überzeugt, dass Literatur im Allgemeinen, und diese Sammlung von Texten im Speziellen, eine Antwort auf politische Probleme solcher Größenordnungen darstellen kann und muss.

Ich glaube nicht, dass sie damit allein bleiben darf.

Es wird noch mehr Proteste brauchen, noch mehr anstrengende Gespräche, Forschung und die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Forschung. Wir brauchen mutige Politiker*innen, die sich gegen schädliche Traditionen, Nationalismus und die Macht von Konzernen und Lobbyverbänden stellen, und mutige Menschen, die den notwendigen Wandel auf allen Ebenen unserer Gesellschaft vorantreiben und mittragen.

Ich hoffe, mit dieser Anthologie einen winzigen Beitrag zu diesem Wandel zu leisten.

Viel Freude allen, die darin lesen – und viel Kraft.

Bis übermorgen.

Samuel J. Kramer Offenbach, Juni 2020

* Dieses Aussterben ist nicht allein auf den Klimawandel zurückzuführen. Eine große Rolle spielen auch die Zerstörung von Lebensräumen, menschliche Flächennutzung, Umweltgifte, Jagd, Wilderei und die Verbreitung invasiver Arten. Das Artensterben ist für sich allein ein gewaltiges Problem, das eigener Lösungen bedarf – und eigener (medialer) Aufmerksamkeit.

** Zumal es sich lohnt, die Zusammenhänge dieser Themen politisch in den Blick zu nehmen.

*** Für mich, der ich so gern in beiden dieser Welten zu Hause sein will, war es auch eine schöne und bestätigende Erfahrung, dass alle angefragten Personen dem Projekt gegenüber so offen reagiert haben. Ich habe mir aufgrund dieser doppelten Wahlheimat erlaubt, dem Buch einen Bonustext hinzuzufügen.

Scientists for Future

Vorwort

Nichts in der menschlichen Vergangenheit stellte eine solche Bedrohung für das langfristige Überleben der Menschheit dar wie die derzeitige Nachhaltigkeits- und Klimakrise. Niemals wurden die tragenden Säulen unseres Daseins, die natürlichen Lebensgrundlagen, die Artenvielfalt, die Stoff- und Energieflüsse unseres Erdsystems, gleichzeitig so global und rasant angegriffen.

Die Expert*innen des World Economic Forums schätzen seit vielen Jahren die Risiken des ungestoppten Klimawandels größer als die eines globalen Krieges mit Massenvernichtungswaffen ein. 2020 taten sie dies erstmalig nicht nur aufgrund der viel höheren Eintrittswahrscheinlichkeit der Klimakatastrophe. Allein die katastrophalen Folgen des Klimawandels selbst übertreffen möglicherweise den globalen Atomkrieg.

Viele junge Menschen zeigen in den letzten Jahren mit ihrer klaren Fokussierung und ihrer persönlichen, fast poetischen Beziehung zu Leben und Zukunft, dass ein »Weiter-so«, ein fortgesetztes »Nicht-wahrhaben-Wollen« keine Option ist. Sie lesen und verstehen die Risikoschätzungen der Wissenschaft korrekt. Und sie berufen sich auf Wissenschaft.

Aber die Einschätzungen des Weltklimarates, des Weltbiodiversitätsrates, die vielfältigen anderen Warnungen von Wissenschaftler*innen an die Weltöffentlichkeit verhallten jahrzehntelang. Vielleicht nicht ungehört, aber unverstanden. Unverstanden, weil unsere menschliche Intuition nicht ausreicht, um mit dem Herzen zu verstehen, dass unsere Handlungen heute dramatische Konsequenzen in der Zukunft haben können. Wir erleben Ähnliches derzeit in Bezug auf die COVID-Krise – auch wenn dort die Verzögerungszeit eher Wochen bis Monate statt Jahrzehnte bis Jahrhunderte beträgt.

Wir leben weiter auf Pump, in einer zutiefst nicht nachhaltigen Welt.

Nicht nachhaltig. Das ist irgendetwas Abstraktes. Das sagt sich leicht.

Ist jemand dabei gerade zu Tode erschrocken? Erschrocken bei dem Gedanken, dass unsere Gesellschaft so, wie sie jetzt ist, nicht fortbestehen kann, sondern entweder reformiert wird oder kollabiert?

Dies mit Herz und Intuition zu erfassen, ist die vielleicht größte Herausforderung der Gegenwart.

Vor 200 Jahren wollten Menschen das Unrecht der Sklaverei nicht wahrhaben. In scheinbar großer Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit wischten sie die nagenden Zweifel beiseite. Die allermeisten Menschen schafften es, ihre Herzen zu verschließen. Dies wäre heute nicht mehr denkbar.

Als Scientists for Future sind wir zutiefst überzeugt, dass dies eines Tages, auch bezüglich unseres nicht nachhaltigen Lebensstils, nicht mehr denkbar sein wird. Wir werden zu dem Punkt kommen, an dem eine UN-Generalsekretärin oder ein UN-Generalsekretär vor der Vollversammlung den Jahrestag der Erreichung einer klima- und biodiversitätsstabilisierten Welt feiert. Und sie oder er wird sagen: »Es fällt schwer zu glauben, dass das, was heute ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, früher einmal in Ordnung war.«

Und genau an diesen Stellen sehen wir Werke wie das hier vorliegende. Die weisen, einfallsreichen und sensiblen Gedichte und Texte dieses Buches sind ein Fußabdruck der Verfassung unserer Zeit. Aber im Einklang mit anderen For-Future-Bewegungen ist »Poetry for Future« gleichzeitig viel mehr: ein Handabdruck aktiven Tuns.

Jedes Wortgeflecht ist ein eindringlicher Appell für ein nachhaltiges Geflecht von Mensch und Erde. Die hier vorliegenden Texte sind Paten eines neuen Klima- und Nachhaltigkeitszeitalters. Sie sind Paten, die Gegenwart und Zukunft neu zu denken, und sie helfen uns auf kluge Weise, über unsere Sehnsüchte, Ängste und Vorurteile, über unsere uns in die Irre führende Intuition nachzudenken. Sie helfen, über alte Mythen, Fake-News und veraltetes Wissen hinauszuwachsen und uns neu aufzustellen. Sie öffnen unsere Herzen und bilden unsere Intuition. Und sie verbinden dies mit bemerkenswert gut fundiertem fachlichem Wissen.

Diese Literatur steht für unser Zeitalter. Ein Zeitalter, in dem Kinder für ihre Zukunft kämpfen müssen.

Dr. Gregor Hagedorn und Prof. Dr. Karen Helen Wiltshire Scientists for Future

1. Kapitel

Ulrike Almut Sandig

vom Wasser

kommt alles, das spricht.

das Wasser kümmert es nicht

dass alles, was wir sind

aus Wasser besteht wie Kinder

aus einem kranken Gensatz

ihrer Erzeuger, der gespenstisch

in seine Bestandteile zerfällt

wie Flüssigkeit in nichts

als zwei Gase. wir werden uns

wünschen, wir könnten

unsere eigene parasitäre Art

im Morgennebel auflösen.

aber Vorsicht mit den Wünschen.

einmal wünschten wir uns

es käme einer, der machte

Wasser zu Wein. dem Wasser

ist es egal. wir werden uns

wünschen, den Jahr um Jahr

höher steigenden Pegeln

zu entrinnen, und sei es

an einem Tag in der Woche

freitags vielleicht

den #FridaysforFuture-Klimaprotesten gewidmet

Audiolink: https://satyr-verlag.de/audio/PFF_Sandig.mp3

Marina Sigl

Ein Bericht

Januar.

In meinen Keller läuft das Wasser. Weicht den Fußboden auf, sickert in alle verstaubten Ritzen und pustet Feuchtigkeit meine Wände entlang in meine Atemluft. Gerümpel sinkt auf die alten Holzdielen nieder und schafft eine neue Unterwasserwelt.

Noch in derselben Woche demonstriere ich gegen die unangekündigte Flutung von Kellern.

Februar.

In meinem Keller ist das Wasser gestiegen. Es ist jetzt knietief. Mit dem Wasser kommen die Algen und mit den Algen kommen die Fische. Vereinzelt schwimmen sie um alte Fahrradschläuche, die wie Muränen zwischen durchtränkten Pappkartons hin und her wischen.

Lena kommt zweimal die Woche vorbei und füttert die Fische. Chris gibt seinen Lieblingsfischen die Namen Nemo 1 bis 7.

Nemo 6 verheddert sich eines Tages in der Plastikfüllung eines Pakets, dessen Inhalt ich bestellt und ungenutzt vergessen hatte.

Chris beginnt, in seinem Alltag Plastik zu reduzieren.

März.

In meinem Keller schwappt mir das Wasser nun bis zum Oberschenkel. Die Fische sind mittlerweile so zahlreich, dass wir ihnen keine Namen mehr geben können. Wasserpflanzen blühen auf und nachts hört man das leise Quaken von Fröschen.

Anna hat auch von den Fischen in meinem Keller gehört und macht einen Witz darüber, bald einen Sushi-Abend mit ihnen zu veranstalten. Lena macht ein böses Gesicht und bewirft Anna mit Fischfutter. Sie beschließt, kein Fleisch mehr zu essen.

April.

Das Wasser ist inzwischen hüfthoch. In meinem Keller wachsen nun seltene Wasserpflanzen, die in anderen aquatischen Lebensräumen vom Aussterben bedroht sind. Auch verschiedene Wasservögel haben in alten Kellerregalen Nisthöhlen gebaut. Erik beschließt, seine Masterarbeit in aquatischer Biologie über die Pflanzen zu schreiben.

Mein Vermieter hat vom Biotop in meinem Keller gehört und kassiert nun Eintritt für die Touristenattraktion. Schaulustige trampeln durch die Tümpel der Frösche und überfüttern die Enten mit Brot, das aufgeweicht und flockig den Pflanzen im Wasser ihr Licht nimmt.

Anna startet eine Kampagne zum bewussten Umgang mit der Umwelt.

Mai.

Das Wasser steht uns bis zur Brust. Mein Vermieter verpachtet mein Biotop an einen großen Tourismuskonzern. Sie befahren das Gebiet mit Motorbooten, die das Wasser durchpflügen, als sei es ihr Eigentum. Eines Tages findet Jan ein totes Entenküken, das in den Antrieb eines Bootes gekommen sein muss.

Auch er beschließt, vegetarisch zu leben.

Juni.

Der Wasserspiegel ist höher, als wir es für möglich gehalten haben. Auch große Tanker und Kreuzfahrtschiffe mit Urlaubern befahren nun das Wasser in meinem Keller. Mein Vermieter kauft sich einen Porsche. Die seltenen Wasserpflanzen beginnen wieder auszusterben. Erik muss dreißig Seiten seiner Masterarbeit verwerfen und ein anderes Thema wählen.

Noch in derselben Woche laufen wir uns auf einer Demonstration über den Weg.

 

Juli.

Mein Vermieter investiert seinen Gewinn aus dem »Erlebnis Kellerkreuzfahrt« in weitere Stockwerke für unser Haus. Mit jedem weiteren Stockwerk, das geflutet wird, baut er ein neues Stockwerk für seine Bewohner.

Maike erkundet die Unterwasserwelt in einem Tauchgang. Sie entdeckt mehrere verendete Fische in Netzen aus Plastikverpackungen, wie sie auf dem Kreuzfahrtschiff verwendet werden. Andere Fische schnappen nach den durchsichtigen Folien in der Annahme, es sei Nahrung.

Maike beginnt, plastikfrei zu leben.

August.

Niklas nutzt meinen Keller für sein Schwimmtraining. Eines Tages erleidet ein Öltanker ein Schiffsunglück. Niklas lernt unfreiwillig schwimmen in Öl und stinkt noch wochenlang nach Frachter.

Er gründet eine Gruppe von Umweltaktivisten.

September.

Der Sommer ist vorbei, aber das Wasser in meinem Keller hört nicht auf zu steigen. Alle Bewohner leben nun hoch über meinem Biotop, um nicht die Schiffshörner zu hören und dem Wellengang zu entgehen, der das Fundament erschüttert.

Unsere Gruppe von Aktivisten besteht aus acht Freunden. Zwei von uns sind Vegetarier. Zwei von uns leben plastikfrei. Zwei von uns gehen regelmäßig auf Demonstrationen und zwei von uns sind nah an klimaneutral.

Oktober.

Ich bin ausgezogen. Weg von meinem reichen Vermieter mit seinem wasserunterlaufenen Haus – sein Porsche wird ihm auch nicht helfen, wenn Mutter Natur die tragenden Wände verwittert hat und jedes noch so neue Stockwerk von hoch oben ins Wasser fällt.

Meine Freunde und ich wohnen in einem Plusenergiehaus. Wir sitzen in der Küche über Rettungsplänen, großen Plänen, die hoffentlich groß genug sind. In zwei Monaten ist schon wieder ein Jahr vorbei, denke ich, als ich auf die Wanduhr schaue. Tick. Tock.

Temye Tesfu

polkappenrequiem

am ende verklebte schwarzer schlamm der hände linien

furchen rillen vom frenetischen wühlen im erdgrund

man saugte den geschürzten mund auf den boden gepresst

bis es sprudelte und schlürfte und soff bis zum spuckschluck

die erde war aufgeräumt und hingestellt – halogenstrahler

suchten die tiefe ab; was zu holen war ist geholt worden

verstummt sind die sonare seismografen stehen still

nichts ist wahr nichts ist falsch nichts ist zeit

jetzt/hier: ein gekreuzigter himmel stiert in schillernde augen

auf den wassern – ausgelaufene irides

säulen aus feuer und rauch und methan auf den halden

die peitschen in andacht solange sie luft haben

wirbel aus wind und aus ramsch durchstreifen die landschaft

zu tode gelangweilt wie erwerbslose trödler

und die stubenreinen gebirgszüge? und die gesattelten

cumuluswolken? die gestriegelten sicheldünen und die

pünktlichen stromschnellen? der salutierende kies, die

sedierten geysire, und ja: selbst die

dressierten coltan-stollen wissen einfach nichts mehr

anzufangen mit sich

wem noch apportieren, fragen im flüsterton die stalaktiten

doch niemand ist da eine antwort zu geben

wer sagt uns wo es langgeht, fragen die wasserfälle

doch niemand ist da um feststellungen zu machen

im gestaubsaugten schlick liegen grinsende schädel.

fossilien erzähln sich alte wetterberichte als wären es witze

Wo ist da der Joke, fragt der coltan-stollen.

wo da der joke sei, fragt sein echo.

doch auch den anderen (den gebirgen wie den wolken

den dünen wie den stromschnellen, den kieseln, den

geysiren, den wasserfällen und stalaktiten)

bleibt die punchline unbegreiflich

nur die brandung erträgt mit geduld das tamtam

erklärt sie uns vielleicht die pointe?nein.

sie ist neuerdings buddhistin und intoniert ein mantra:

Niemand friert.Niemand stirbt.Niemand weint.

in einem anderen szenario würde die brandung feststellen

dass es keinen mehr gibt um feststellungen zu machen

aber wir befinden uns bereits in einem szenario

in dem es keinen mehr gibt um feststellungen zu machen

Stimmt, sagt die brandung. Stimmt – stimmt – stimmt, sagen

berg und wolke und düne und geiser und

fluss und fossil und kiesel und tropfstein und wasserfall

alle nacheinander und halten schließlich ein

alles ruht alles lauscht alles schweigt

nur der coltan-stollen lacht noch kurz

(mit leichter verspätung)

über den witz