Geschichte der USA

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Christof Mauch / Jürgen Heideking / Anke Ortlepp

Geschichte der USA

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Coverabbildung: Freiheitsstatue. New York Wahrzeichen und Symbol der Freiheit und derDemokratie. (© Robert Voigt, shutterstock.com, 2016)

Prof. Dr. Christof Mauch leitet die Abteilung für Amerikanische Kulturgeschichte und ist Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der LMU München.

Prof. Dr. Anke Ortlepp ist Professorin für Nordamerikanische Geschichte an der Universitätzu Köln.

Prof. Dr. Jürgen Heideking war Professor für Angloamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln.

7., aktualisierte und ergänzte Auflage 2020

6., überarbeitete und erweiterte Auflage 2008

1. Auflage 1996

Mit umfangreichem Zusatzmaterial unter https://www.utb-shop.de/geschichte-der-usa-11176.html

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

Print-ISBN 978-3-8252-5399-8

ePub-ISBN 978-3-8463-5399-8

Inhalt

  Vorwort

 Kapitel 1: Kolonien und Empire1 Der Zusammenprall dreier Kulturen am Rande der atlantischen Welt2 Regionale, ethnische und religiöse VielfaltDer SüdenDie Neuengland-KolonienDie Mittelatlantik-KolonienKüste und Hinterland3 Die Kolonien im Empire-VerbandSalutary neglect und imperiale KontrolleGemeinsame englische Institutionen und KulturDie Kolonien im englischen MerkantilsystemKriege für das Empire

 Kapitel 2: Revolution, Verfassungsgebung und Anfänge des Bundesstaates, 1763–18141 Die imperiale Debatte, 1763–1774Die Stamp Act-KriseTownshend-Zölle, „Boston Massacre“ und Bostoner „Tea Party“Der Erste KontinentalkongressDie ideologischen Ursprünge der Revolution2 Unabhängigkeitserklärung und konstitutionelle NeuordnungDer Kontinentalkongress erklärt die UnabhängigkeitStaatenverfassungen, Grundrechteerklärungen und Articles of Confederation3 Unabhängigkeitskrieg, Bündnisdiplomatie und Pariser Friedensschluss, 1775–17834 Die „kritische Periode“, 1783–1787/88Egalitäre Tendenzen und Krise der AutoritätDie Schwäche des KonföderationskongressesDer Verfassungskonvent von PhiladelphiaDie Ratifizierungsdebatte5 Die Federalists an der Macht, 1789–1800Hamiltons Finanz- und WirtschaftsprogrammDie Rückwirkungen der Französischen RevolutionDer Jay Treaty mit EnglandWashingtons Farewell AddressJohn Adams und der Quasi-Krieg mit FrankreichDie „Revolution von 1800“6 Jeffersons Republikanismus als Alternative zum nationalen Machtstaat, 1801–1814Der Niedergang der Federalists und das Ideal der agrarischen RepublikDer Louisiana PurchaseDer „zweite Unabhängigkeitskrieg“ gegen EnglandDie USA am Ende der Revolutionsepoche

 Kapitel 3: Demokratisierung, Marktwirtschaft und territoriale Expansion, 1815–18541 Die Era of Good FeelingGrenzregelungen und Monroe-DoktrinDer Missouri-KompromissLandpolitik, Finanzkrise und Fraktionsbildungen2 Die „Marktrevolution“Bevölkerungswachstum und BinnenwanderungAusbau der Infrastruktur und Anpassung des RechtssystemsLandwirtschaft und frühe IndustrialisierungSozialer Wandel und Reformbewegungen im NordenDie Sonderkultur des Südens3 Der Übergang zur ParteiendemokratieDas Parteienverständnis im WandelDie Anfänge der Jacksonian DemocracyJacksons IndianerpolitikNullifikationskrise und „Bankkrieg“Die Whigs als neue OppositionsparteiDas zweite nationale Parteiensystem4 Territoriale Expansion und SklavereiproblematikManifest DestinyTexas und OregonDer Mexikanisch-Amerikanische KriegDie USA und die Revolutionen in Europa, 1848/49Der Sklaverei-Kompromiss von 1850Das Kansas-Nebraska-Gesetz von 1854

 Kapitel 4: Bürgerkrieg, Industrialisierung und soziale Konflikte im Gilded Age, 1855–18961 Die Eskalation des Nord-Süd-Konflikts und der Weg in den BürgerkriegDie Umgestaltung der ParteienlandschaftDas „blutende Kansas“ und das Dred Scott-UrteilDie Lincoln-Douglas-DebattenLincolns Wahl und der Weg in den Krieg2 Der Amerikanische Bürgerkrieg, 1861–1865Das militärische Patt, 1861–1863Seekrieg und AußenpolitikLincolns EmanzipationserklärungGettysburg und VicksburgDie Niederlage der Konföderation und die Ermordung Lincolns3 Die Wiedereingliederung des Südens und die Rechte der befreiten AfroamerikanerDie „präsidentielle Rekonstruktion“, 1865–1867Die Phase der radikalen Rekonstruktion, 1867–1872Die weiße Gegenoffensive im SüdenDas Ende der Rekonstruktion4 Die Erschließung und Transformation des amerikanischen WestensFrederick J. Turners Frontier-TheseDer transkontinentale EisenbahnbauDer aride Westen und die Ausbeutung der natürlichen RessourcenDie Verdrängung der Indianer5 Der Aufstieg der USA zur führenden IndustriemachtBesonderheiten der amerikanischen IndustrialisierungDie Bedingungsfaktoren der wirtschaftlichen ExpansionKonzentration und Konsolidierung der Wirtschaft6 Parteipolitik und soziale Konflikte im Gilded AgeParteimaschinen und „congressional government“Soziale Ausgrenzung und rechtliche Diskriminierung der Afroamerikaner in den SüdstaatenFrauen im öffentlichen LebenGewerkschaften und ArbeiterbewegungDie Rebellion der Populisten und die Wahlen von 1896

 Kapitel 5: Imperialismus, progressive Reformbewegung und Erster Weltkrieg, 1897–19201 Der Eintritt der USA in die WeltpolitikGrundlagen und Motive einer amerikanischen GroßmachtpolitikDer spanisch-amerikanische Krieg von 1898Schwerpunkte der amerikanischen Außenpolitik bis zum Ersten Weltkrieg2 Das Bemühen um eine innere Erneuerung der Vereinigten StaatenTriebkräfte und Charakter der „progressiven Bewegung“Reformanliegen und ReformerfolgeNationale Politik in der ReformäraGrenzen und Widersprüche der Reformbewegung3 Die Vereinigten Staaten im Ersten WeltkriegDer Weg in den Krieg, 1914–1917Die Vereinigten Staaten als Krieg führende Macht, 1917/18Der Versailler Friede und seine Rückwirkungen in den USADie Konsequenzen des Ersten Weltkrieges

 Kapitel 6: Prosperität, Große Depression und Zweiter Weltkrieg, 1921–19451 Die „Goldenen Zwanziger Jahre“Prosperität, Konsumkultur und gesellschaftliche FreiräumeAntimodernismus, kulturelle Konflikte und sozialer ProtestDer selektive Unilateralismus der amerikanischen Außenpolitik in den 1920er Jahren2 Die Vereinigten Staaten in der Krise des demokratisch-kapitalistischen SystemsUrsachen und Verlauf der Großen DepressionDie Wahlen von 1932Der „erste“ New DealOpposition gegen den New DealDer „zweite“ New DealDer Streit um den Supreme Court und die Bewertung des New Deal3 Die USA in der weltpolitischen Auseinandersetzung mit den expansiven MächtenIsolationismus und Neutralität, 1933–1938Der Weg in den Krieg, 1938–1941Der Krieg an der „Heimatfront“Politik und Kriegführung, 1942–1945Die Ergebnisse des Krieges aus amerikanischer Sicht

 Kapitel 7: Liberaler Konsens und weltpolitische Hegemonie, 1946–19681 Die Anfänge des Kalten Krieges und die Grundlegung der nationalen Sicherheit, 1946–1953Erklärungsmodelle für die Entstehung des Ost-West-KonfliktsBesatzung und Rekonstruktion in Deutschland und JapanDie Neuordnung der Exekutive und der Aufbau des amerikanischen BündnissystemsNSC 68 und der Korea-Krieg2 Politik und Gesellschaft in der Eisenhower-Ära, 1953–1960Der McCarthyismus und das Problem der BürgerrechteLeistungen und Widersprüche der WohlstandsgesellschaftPolitische Kontinuität und Immobilismus in den 1950er JahrenDie Außenpolitik der Eisenhower-AdministrationErste Antworten auf die Revolutionierung der „Dritten Welt“Eisenhowers Deutschland – und Europapolitik3 Höhepunkt und Zerfall des liberalen Konsens, 1961–1968John F. Kennedys Aufbruch zur New FrontierKrisen um Kuba und BerlinDie Widersprüche der Dekolonisierung und der VietnamkonfliktRealität und Mythos der „Ära Kennedy“Lyndon B. Johnsons Projekt der „Great Society“Die Ausweitung des Vietnamkrieges und die inneramerikanische ProtestbewegungDas Epochenjahr 1968

 

 Kapitel 8: Krise des nationalen Selbstverständnisses und konservative Renaissance, 1969–19921 Die krisenhaften siebziger JahreZerfall der Anti-Kriegs-Front und Auffächerung der BürgerrechtsbewegungDas „Disengagement“ in Vietnam und die Suche nach einem globalen MächtegleichgewichtDer Watergate-Skandal und der erzwungene Rücktritt Präsident NixonsPolitik im Schatten von Vietnam und Watergate2 Soziale und kulturelle EntwicklungenDie Wiederbelebung des amerikanischen PatriotismusNachlassendes Wirtschaftswachstum und soziale HärtenWirtschaftsliberalismus, religiöser Fundamentalismus und Neokonservatismus3 Die Ära Reagan-Bush und das Ende des Kalten KriegesPräsident Reagan : Der „große Kommunikator“ im Weißen HausReaganomics : Amerikanische Wirtschafts – und Finanzpolitik ab 1981Amerikanische Außenpolitik von der atomaren Nachrüstung der NATO zur Wiedervereinigung Deutschlands, 1981–1990Sowjetisch-amerikanische Annäherung, Überwindung der deutschen Teilung und Ende des Kalten KriegesVom Golfkrieg zur Abwahl von Präsident Bush

 Kapitel 9: Die Vereinigten Staaten nach dem Kalten Krieg1 Im Kampf gegen die konservative Revolution: Die erste Clinton-Administration2 Prosperität, Skandale und Impeachment: Die zweite Clinton-Administration3 Die „postmoderne Präsidentschaft“ und das Erbe der Ära Clinton

 Kapitel 10: Manipulationen und Krisen – Die USA im neuen Jahrtausend1 George W. Bush – Umstrittene Wahl und konservativer Wandel2 Die Terrorattacken vom 11. September und der „Krieg gegen den Terrorismus“AfghanistanDer Weg in den Irak-KriegDer Krieg im IrakInnenpolitische Reaktionen auf den 11. September 2001Präsidentschaftswahl 2004Innenpolitische Entwicklungen3 George W. Bushs Erbe und der Kampf um seine Nachfolge4 Barack Obama – Politischer Aufbruch in einem polarisierten LandHerausforderungen und erste InitiativenDie Reform des GesundheitssystemsWirtschafts – und FinanzkriseDie USA in der WeltObamas KriegeTerrorbekämpfung und ÜberwachungAtomare Rüstungskontrolle – Obamas IranpolitikPräsidentschaftswahl 2012Neue Herausforderungen – Obamas zweite AmtszeitEinwanderungspolitik und Kampf gegen den KlimawandelDer coole Präsident5 Donald Trump – Parteilichkeit und erneute SpaltungDer Präsidentschaftswahlkampf 2016Erste InitiativenRussia Investigation und Mueller ReportKongress und Zwischenwahlen von 2018Supreme Court und BundesgerichteUkraine-Affäre und ImpeachmentDie USA und die WeltDer Präsidentschaftswahlkampf 2020 und die Coronakrise6 Gesellschaftliche TrendsDemographie, Ethnizität, MigrationBevölkerungsverschiebungen und Strukturwandel der WirtschaftWeltmacht im Wandel

 Anhang1 Ausgewählte weiterführende Literatur2 Aufnahme der 50 Einzelstaaten in die Union3 Zeittafel4 Die Präsidenten und Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten5 Personenregister6 Sachregister7 Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Vor 25 Jahren von Jürgen Heideking begründet, ist die Geschichte der USA nach dessen völlig unerwartetem Tod von dem Münchner Historiker Christof Mauch betreut worden. Während der letzten 20 Jahre hat Christof Mauch den Band im Rahmen von Neuauflagen kritisch durchgesehen, aktualisiert, ergänzt, mit Illustrationen und Tabellen versehen, mehrfach aber auch gekürzt, um den Umfang in Grenzen zu halten. Mit der neuen Auflage, ab der Präsidentschaft von Donald Trump, übernimmt die Historikerin Anke Ortlepp die Geschichte der USA. Damit wird die Betreuung des Bandes in einer Art Stafettenlauf von einer HistorikerInnen-Generation zur nächsten weitergegeben: Christof Mauch hatte bei Jürgen Heideking in Köln habilitiert, Anke Ortlepp bei Christof Mauch in München, und seit einigen Jahren hat Anke Ortlepp den ehemaligen Lehrstuhl von Jürgen Heideking in Köln inne.

Die Durchsicht des Textes haben Christof Mauch und Anke Ortlepp gemeinsam vorgenommen. Das Kapitel zum ersten afroamerikanischen Präsidenten Barack Obama und dessen historischer Bewertung stammt von Christof Mauch, das neue Kapitel zur Präsidentschaft von Donald Trump und die kommentierte Bibliographie, die neben aktueller Literatur auch Klassiker enthält, von Anke Ortlepp. Wie in früheren Auflagen wurden auch einige Kürzungen vorgenommen, vor allem in den Kapiteln zum ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert.

Im 21. Jahrhundert, in der Ära von #MeToo und #BlackLivesMatter, sind Leserinnen und Leser für individuelle Befindlichkeiten, für kulturelle Minderheiten und für rassistische und sexistische Diskriminierungen in einer Weise sensibilisiert wie dies bei der ersten Niederschrift der Geschichte der USA noch nicht der Fall war. Vor diesem Hintergrund wurden einzelne politisch konnotierte Ausdrücke ausgetauscht und diverse kulturelle Bewertungen abgeschwächt. Bei all dem haben die AutorInnen allerdings Sorge getragen, dass der Tonfall und der sprachliche Duktus des Texts sowie besonders der Inhaltskern der ursprünglichen Darstellung erhalten blieben.

Bei der Aktualisierung des Anhangs, vor allem der kommentierten Bibliographie, haben uns die Kölner Doktorandin Dorothee Schwieters und die wissenschaftlichen Hilfskräfte Maria Wiegel und Stefan Draskic engagiert unterstützt. Die Endredaktion des Textes hat die Münchner Doktorandin Stefanie Schuster mitübernommen. Die Aktualisierung des umfangreichen Registers wurde von Charlotte Huber an der LMU München besorgt. Ihnen allen danken wir herzlich. Unser Dank geht weiterhin an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Narr Francke Attempto Verlags unter Leitung von Herrn Gunter Narr, die dem Projekt großes Interesse entgegengebracht haben, allen voran an Dr. Valeska Lembke und Corina Popp, die die Überarbeitung durchgängig kompetent und zügig begleitet haben.

Das Vorwort zu diesem Band schreiben wir im August 2020, während der Parteitag der Demokratischen Partei Joseph Biden als Präsidentschaftskandidaten und Kamala Harris als erste schwarze Vizepräsidentschaftskandidatin für die Wahlen im November nominiert. Der Ausgang der Wahlen wird darüber entscheiden, wie die Regierung in Washington sich den vier historischen Krisen der Gegenwart stellt: der Corona-Pandemie, der größten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und dem drohenden Klimawandel.

München und Köln, im August 2020 Christof Mauch und Anke Ortlepp

Kapitel 1: Kolonien und Empire

Die Autoren der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung und US-amerikanischen VerfassungVerfassung werden häufig als „Gründungsväter“ bezeichnet. Mit ihnen beginnt im strengen Sinne die Geschichte der Vereinigten Staaten. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts gaben sie den politischen Rahmen für die Entwicklung der USA vor, der bis heute Gültigkeit hat. Im Vergleich zur langen Geschichte des nordamerikanischen Kontinents erscheinen die Ereignisse der 1780er Jahre allerdings sehr gegenwartsnah.

Schon vor etwa 20.000 Jahren gab es Amerikaner, die über die Beringstraße eingewandert waren. Die Ureinwohner des Kontinents lebten anfangs von der Jagd, vom Beerensammeln und vom Fischen. Etwa 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung betrieben sie bereits Landwirtschaft. Als sich die ersten europäischen Entdecker – 500 Jahre vor KolumbusKolumbus, Christoph waren dies die Wikinger – für ein paar Jahre in Siedlungen an der Küste NeufundlandsNeufundland niederließen, hatten die Native AmericansNative AmericansKolonialzeit bereits weite Teile des nordamerikanischen Kontinents besiedelt und vielfältige Wirtschaftsformen entwickelt.

Nach verschiedenen vergeblichen Anläufen unternahmen die Engländer im frühen 17. Jahrhundert den Versuch, permanente Kolonien in der „Neuen Welt“ einzurichten. Die vermeintlich großen Schätze des Kontinents, die weiten Räume, die Aussicht auf freie Ausübung der ReligionReligion und auf einen persönlichen Neubeginn wirkten wie ein Magnet. Im Gegensatz zu den Siedlungen der Spanier und Franzosen, die sich enger mit den Ureinwohnern verbanden, suchten die Siedler aus EnglandGroßbritannien die gesellschaftlichen Einrichtungen und die ökonomische Praxis von der alten in die neue Welt zu „transplantieren“. Dies gelang ihnen nur bedingt. Da sie mit der britischenGroßbritannien KroneGroßbritannien nur indirekt verbunden waren, entwickelten sie – in ihrer neuen Umgebung und im ständigen transatlantischen Austausch – neue politische und soziale Institutionen. Der Zusammenprall der Kulturen auf dem nordamerikanischen Kontinent, die regionale, ethnische und religiöse Vielfalt der Siedlerkolonien und die Stellung der Kolonien im Herrschafts- und Wirtschaftsverband des englischenGroßbritannien Weltreiches bildeten so eine Art Präludium zur amerikanischen Nationalgeschichte.

1 Der Zusammenprall dreier Kulturen am Rande der atlantischen Welt

Die Kolonialgeschichte gehört zweifellos zu den Epochen, deren wertende Darstellung von Historikern und Publizisten am gründlichsten überprüft und – begleitet von heftigen Debatten – am stärksten revidiert worden ist. Anfangs wurde sie fast ausschließlich aus europäischer Perspektive und mehr oder weniger in der Form eines Heldenepos erzählt, das die Entdeckung und Erschließung eines „jungfräulichen“ Kontinents durch tapfere Seefahrer und Siedler verherrlicht. Die Kritik an diesem „Eurozentrismus“ hat eine Verlagerung des Interesses und der Sympathien hin zu den Leidtragenden des epochalen Geschehens bewirkt, den indianischen Ureinwohnern und den versklavten African Americans, die bis in die 1980er Jahre meist nur am Rande der historischen Betrachtung auftauchten. Es bleibt zwar unbestritten, dass sich die „weiße“ Kultur durchsetzte, aber man fragt heute doch viel bohrender als früher nach den Schattenseiten und Kosten dieses Erfolges, und man versucht zugleich, auch die langfristigen Wirkungen zu ergründen, die der Zusammenprall und die Interaktion von indianischer, europäischer und afrikanischer Kultur in Nordamerika zeitigten.

Am härtesten traf es die Ureinwohner, die den aus Europa und AfrikaAfrika eingeschleppten Krankheitserregern hilflos ausgeliefert waren und deren Ethnien oft schon nach den ersten Kontakten durch Seuchen dezimiert und später durch Kriege, Vertreibungen, Hungersnöte und Alkoholismus immer mehr geschwächt und nicht selten ganz vernichtet wurden. Die Beziehungen zu den vordringenden Siedlern waren uneinheitlich und wechselhaft: Sie reichten von friedlichem Handel und temporären Bündnissen gegen gemeinsame Feinde bis zu gegenseitigen Terror- und Ausrottungskampagnen, die von den Weißen häufig grausamer, vor allem aber „effizienter“ durchgeführt wurden. An der englischenGroßbritannien Siedlungsgrenze (FrontierFrontier), wo der „Landhunger“ am größten war, hatten gelegentliche Missionierungs- und Zivilisierungsversuche noch weniger Erfolg als im französischenFrankreichKolonien oder spanischenSpanien Einflussbereich. Hier nahm während der Kolonialzeit ein Teil der demographischen Katastrophe ihren Lauf, zu der sich die „Entdeckung“ Amerikas für die Ureinwohner des Kontinents entwickelte. Die BevölkerungszahlenBevölkerungsentwicklung können nur geschätzt werden, aber sie sind in den letzten dreißig Jahren von der Forschung deutlich nach oben revidiert worden. 1965 ging man noch davon aus, dass zur Zeit des KolumbusKolumbus, Christoph auf dem Gebiet der heutigen USA und KanadasKanada zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Ureinwohner lebten. Inzwischen variieren die Schätzungen zwischen 5 und 12,5 Millionen, wobei die Mehrheit der Wissenschaftler 6 bis 7 Millionen als realistisch betrachtet. Ähnlich verhält es sich mit Untersuchungen zur indianischen Gesamtbevölkerung Nord- und Südamerikas um 1490, die neuerdings auf 45 bis 60 Millionen beziffert wird. Als die englische Kolonisation im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts begann, waren die großen Indianerreiche Südamerikas bereits zerstört und die Bewohner der KaribikinselnKaribik weitgehend ausgerottet. Die indianischen Kulturen im MississippiMississippi (Fluss)-Tal hatten ihren Höhepunkt offenbar schon um 1350 überschritten, aber der rapide demographische Niedergang setzte auch hier erst mit der europäischen Kolonisierung ein. Als „Faustregel“ gilt, dass sich die Zahl der Native AmericansNative AmericansKolonialzeit innerhalb von hundert Jahren nach dem ersten Kontakt mit Europäern um etwa 90 Prozent verringerte. Lebten beispielsweise um 1570, zur Zeit der frühesten englischenGroßbritannien Siedlungsversuche an der Festlandsküste, östlich des MississippiMississippi (Fluss) 3 Millionen IndianerIndianer, so waren es 1670 gerade noch 300.000. Im südlichen NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen) schrumpfte die Zahl der Ureinwohner im selben Zeitraum von ca. 120.000 auf 12.000. Hier trafen die PuritanerPuritaner auf eine indianische BevölkerungBevölkerungsentwicklung, die durch von Entdeckungsreisenden und Abenteurern eingeschleppte Krankheitserreger so sehr geschwächt war, dass sie kaum noch Widerstand leisten konnte. Als sich der Stamm der PequotsPequots im ConnecticutConnecticut-Tal 1637 dennoch gegen die weiße Landnahme zur Wehr setzte, töteten puritanische Milizen und verbündete IndianerNative AmericansKolonialzeit etwa 500 Männer, Frauen und Kinder und verkauften viele Überlebende als Sklaven auf die KaribikinselnKaribik. Dieses brutale Vorgehen wurde mit dem Hinweis auf die „Sündhaftigkeit“ der „Wilden“ und einem aus der Bibel abgeleiteten Anspruch auf „ungenutztes“ Land gerechtfertigt. Die Geistlichen deuteten die militärischen Erfolge ebenso wie das Massensterben der IndianerNative AmericansKolonialzeit an Pocken oder anderen Epidemien als Fingerzeig Gottes, dass die Wildnis für das „auserwählte Volk“ der Puritaner vorbestimmt sei.

 

Abb. 1: Das Dorf Pomeiock, ca. 1590

Ähnliche Folgen zeitigte das Zusammentreffen von Europäern und Native AmericansNative AmericansKolonialzeit in der südlicher gelegenen ChesapeakeChesapeake-Region, obwohl es den Siedlern der VirginiaVirginia Company ohne die anfängliche Unterstützung durch den Häuptling PowhatanPowhatan und dessen Tochter PocahontasPocahontas kaum gelungen wäre, dauerhaft Fuß zu fassen. Ein indianischer Aufstand im Jahr 1622 diente dazu, die systematische Bekämpfung und Dezimierung der einheimischen Stämme zu rechtfertigen. Das Bild des „edlen Wilden“, das in Europa von den Befürwortern der Kolonisierung propagiert wurde und das viele Engländer mit nach Amerika brachten, schlug innerhalb weniger Jahre in ein aggressives Feindbild um. Dabei schrieben die Siedler den IndianernNative AmericansKolonialzeit häufig negative Eigenschaften wie Grausamkeit, Heimtücke und Habgier zu, die sie selbst in ihrem Verhalten gegen die Ureinwohner an den Tag legten. Die Zerstörung der indianischen Stammeskulturen konnte nicht ohne negative moralische Rückwirkungen auf die kolonialen Gemeinschaften selbst bleiben, die doch in vieler Hinsicht – etwa durch die Übernahme der NutzpflanzenLandwirtschaftKolonialzeit u. Revolutionsepoche Mais und Tabak – von den Native Americans profitiert hatten.


Karte 1: Die Indianerkulturen Nordamerikas

Als mindestens ebenso schwere und anhaltende, bis in die Gegenwart fortdauernde Belastung sollte sich die Versklavung von AfrikanernAfroamerikanerAfrika erweisen, die auf dem nordamerikanischen Kontinent in nennenswertem Ausmaß erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann. Die Schwarzen, die ab 1619 nach VirginiaVirginia gebracht wurden, waren rechtlich zunächst nicht wesentlich schlechter gestellt als die weißen Knechte (indentured servantsindentured servants), die über eine bestimmte Zahl von Jahren die Kosten ihrer Schiffspassage abdienen mussten. Einige AfrikanerAfroamerikanerAfrika erlangten sogar, zumeist wohl als Belohnung für ihren Übertritt zum Christentum, die völlige Freiheit. Sexuelle Kontakte von Schwarzen und Weißen und sogar Mischehen waren keine Seltenheit, obwohl für solches Verhalten Kirchenstrafen und (im Fall der AfrikanerAfroamerikaner) Peitschenhiebe drohten. Seit den 1660er Jahren wurde der Status der Schwarzen jedoch durch Gerichtsurteile und auf gesetzlichem Wege immer mehr verschlechtert, bis sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Konzept der chattel slavery fest etablierte, das die AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeitAfrika zu „beweglichem Besitz“ (personal property) und zur Ware degradierte. Hierbei handelte es sich um die einzige gravierende Abweichung vom englischenGroßbritannien common lawCommon Law, denn die Institution der chattel slavery existierte nicht im Mutterland, sondern wurde von den KaribikinselnKaribik übernommen.

Die schrittweise Einführung der SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) auf dem nordamerikanischen Festland muss im größeren Zusammenhang eines Systems der Zwangsarbeit gesehen werden, mit dem die europäischen Mächte (SpanienSpanien, PortugalPortugal, NiederlandeNiederlande, Frankreich, EnglandGroßbritannienSklavenhandel) seit dem 16. Jahrhundert die gesamte „Neue Welt“ überzogen. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an setzten sich die EngländerGroßbritannienKolonialreich immer erfolgreicher gegen ihre Konkurrenten durch und legten mit dem Kolonial- und Sklavenhandel den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung GroßbritanniensGroßbritannienKolonialreich. Im Vergleich zu den Zuckerinseln in der KaribikKaribik wie etwa BarbadosBarbados und JamaicaJamaica, auf denen eine regelrechte „Vernichtung durch Arbeit“ praktiziert wurde, mutet das Schicksal der SklavenAfroamerikanerKolonialzeit in den Festlandskolonien noch einigermaßen erträglich an. Während die hohe Todesrate auf den Inseln nur durch ständige Neuzufuhr aus AfrikaAfrika ausgeglichen werden konnte, nahm die Sklavenbevölkerung in der ChesapeakeChesapeake-Region ab 1720 auf natürliche Weise zu. Weiter südlich, in den malariaverseuchten Reisanbaugebieten South CarolinasSouth Carolina, herrschten härtere Bedingungen, und die Lebenserwartung war entsprechend geringer. Dabei wäre den Weißen die Kultivierung von Reis (und später auch Indigo) ohne die Erfahrung und die Hilfe der AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeit gar nicht gelungen. South CarolinaSouth Carolina entsprach auch insofern am ehesten den Zuckerkolonien, als hier schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Zahl der Sklaven diejenige der weißen Pflanzer und Farmer überstieg. Immer mehr Plantagenbesitzer zogen sich nach Art der spanischenSpanien und englischenGroßbritannien absentee landowners in Städte wie CharlestonCharleston, South Carolina und SavannahSavannah, Georgia zurück und überließen die unmittelbare Kontrolle ihren Verwaltern und Sklavenaufsehern.

Obgleich Nordamerika nur etwa 5 Prozent der fast 11 Millionen in die westliche Hemisphäre verschleppten AfrikanerAfroamerikanerBevölkerungsentwicklungAfroamerikanerKolonialzeit aufnahm, handelte es sich doch um weit mehr als nur ein Rinnsal im großen EinwandererstromEinwanderungKolonialzeit. Bis zum UnabhängigkeitskriegUnabhängigkeitskrieg gelangten ca. 300.000 Sklaven als unfreiwillige Immigranten auf das nordamerikanische Festland, gegenüber ca. 500.000 Europäern, die als freie Einwanderer, indentured servantsindentured servants oder Sträflinge (convicts) kamen. Um 1770 lebten (bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3 Millionen) etwa 500.000 SklavenBevölkerungsentwicklung in den dreizehn Kolonien, die sich zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenschlossen. Sie machten ein gutes Drittel der Bevölkerung der südlichen Kolonien aus, deren WirtschaftssystemWirtschaft zu dieser Zeit bereits ganz auf der Ausbeutung von Sklavenarbeit beruhte.

Die ökonomischen Vorteile, die dieses extreme Herr-Knecht-Verhältnis den Weißen einbrachte, mussten mit moralischen und psychologischen Schäden erkauft werden. Niemand erkannte besser als Thomas JeffersonJefferson, Thomas, selbst ein Sklavenhalter, wie tief sich dieses Übel bereits in das Bewusstsein der Menschen eingefressen hatte: In seinen Notes on the State of VirginiaNotes on the State of Virginia (1786) beklagte er 1786, die SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) gebe weißen Herren und schwarzen Knechten täglichen Anschauungsunterricht „in den ungezügeltsten Leidenschaften, im schlimmsten Despotismus auf der einen und in herabwürdigender Unterwerfung auf der anderen Seite“. Andererseits konnte sich der liberale Aufklärer JeffersonJefferson, Thomas aber ebenso wenig wie die meisten seiner weißen Landsleute vom Vorurteil einer „natürlichen Minderwertigkeit“ der schwarzen Rasse befreien. Die Sklavengesetze (slave codes) der Kolonien sahen bereits für geringe Übertretungen grausame Strafen vor, um Fluchtversuche zu unterbinden und individuellen oder kollektiven Widerstand im Keim zu ersticken. Im Unterschied zu den amerikanischen Ureinwohnern war die schwarze Bevölkerung nicht in ihrer physischen Existenz bedroht, sondern „nur“ zu extremer Anpassung gezwungen. In den nördlichen Kolonien, wo – mit Ausnahme von New YorkNew York – die Zahl der Schwarzen relativ gering blieb, vollzog sich diese erzwungene Abkehr von den afrikanischenAfrika Wurzeln schneller als in den Gebieten südlich von PennsylvaniaPennsylvania. Dort entwickelten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts eigenständige Kommunikationsformen und Lebensweisen sowie Ansätze einer afroamerikanischenAfroamerikanerKultur Kultur. In South CarolinaSouth Carolina und GeorgiaGeorgia schufen Schwarze aus verschiedenen Teilen AfrikasAfrika die Sklavensprache GullahAfroamerikanerKulturGullah, und auf den Reispflanzungen konnten sich die in großen Gruppen zusammenlebenden Sklaven eine gewisse Autonomie bewahren. Dagegen verschmolzen in VirginiaVirginia, MarylandMaryland und DelawareDelaware, wo Weiße und Schwarze auf Tabakplantagen oder Familienfarmen in engen Kontakt kamen, europäische und afrikanischeAfrika Bräuche, Techniken und Denk- und Verhaltensweisen am ehesten zu neuen Lebensformen. Trotz der gesetzlichen Verbote fand auch – meist als Folge sexueller Ausbeutung von Sklavinnen durch ihre weißen Herren – eine Rassenvermischung statt. Von einer gegenseitigen kulturellen Bereicherung konnte im Zeichen der SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) aber kaum die Rede sein. Der großen Mehrzahl der weißen Siedler war der Preis für das Überleben und die Entwicklung der Kolonien – die Verdrängung der Ureinwohner und die Unterdrückung der AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeitAfrika – nicht zu hoch. Die positiven Möglichkeiten, die das Zusammentreffen dreier Kulturen in sich barg, blieben damit weitgehend ungenutzt.