Misanthropia

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Misanthropia
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Anno Dazumal

Misanthropia

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Misanthropia

Seitenwechsel

Impressum neobooks

Misanthropia

„Es war eine andere Welt, in der sie lebten. Nicht vergleichbar mit der unsrigen, aber irgendwie vielleicht doch. Nur daß in ihrem Fall die Individualisierung des Einzelnen seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die Menschen lebten längst nicht mehr zusammen, jeder bewohnte für sich ein Haus und diese Häuser standen einige hundert Meter voneinander entfernt. Natürlich war das alles nur möglich, weil es nicht mehr sonderlich viele Menschen gab, zumindest nicht auf jener Insel, welche von allen „Misanthropia“ genannt wurde. Man redete nicht mehr miteinander, da man sich nicht ausstehen konnte. Der Mensch ist des Menschen Wolf, diesen Ausspruch hatten die Leute verinnerlicht und daran wollten sie auch nicht rütteln. Jeder hatte es sich in seiner eigenen Welt bequem gemacht und fühlte sich wohl. Ja, es war tatsächlich so, denn die Humanoiden kannten es nicht anders, sie waren in diese Welt hinein geboren worden und hatten es so gelernt. Man überließ die Kinder sich selbst, niemand kümmerte sich um die anderen Personen und irgendwie funktionierte es. Kaum einer konnte sich vorstellen, daß es mal anders gewesen sein könnte, nur hin und wieder traf man auf einen alten Mann, der behauptete, vor vielen Jahrzehnten wäre mal alles ein kleines bißchen anders gewesen, doch die Schauermärchen aus vergangenen Zeiten interessierten nur die Wenigsten. Man lebte so vor sich hin, kümmerte sich um die eigenen Belange und war glücklich und zufrieden. Unvorstellbar für Leute, die das heute lesen, aber es war so. Der Mensch als solcher paßt sich den Gegebenheiten an, er hinterfragt nicht und wenn er es doch tut, dann bekommt er Ärger mit den Machthabern. Jene existierten auf Misanthropia nicht, denn jeder war sich selbst der Nächste und sein eigener Chef. Nach vielen Jahrtausenden voller Leid, Elend, Krieg und Gier hatten die Leute festgestellt, daß es keinen Sinn machte, zusammen in einer Gemeinschaft zu leben, da ohnehin nur jeder auf den eigenen Vorteil bedacht war. Deshalb hatte man sich leichten Herzens dazu entschlossen, das Ganze sinnvoll zu lösen und dafür gesorgt, daß jeder Mensch für sich alleine leben konnte. Nein, Misanthropia war sicherlich keine Insel der Glückseligen, doch dadurch, daß man den menschlichen Kontakt untereinander vermied, hatte es dort schon lange keine Verbrechen und keinen Krieg mehr gegeben. Zweifellos war es ein hoher Preis, den man dafür zahlen mußte, doch die Jüngeren kannten gar keine sozialen Kontakte, weshalb sie jene auch nicht vermißten.“

„So, das wäre erst mal geschafft“, murmelte der Mann erleichtert vor sich hin, nachdem er den letzten Satz niedergeschrieben hatte und stand auf. Er sah nicht unbedingt so aus, wie man sich einen Schriftsteller vorstellte, aber das war auch nicht wirklich von Bedeutung, da er sich auch gar nicht als solchen betrachtete. Nein, er war auch kein Geschichtenerzähler, ihm ging es lediglich darum, das, was in seinem Kopf vor sich ging, zu Papier zu bringen, um es auf diese Art und Weise rauszulassen und damit auch zu verarbeiten. Immer wieder stieg in seinem Kopf eine Gedankenparty voller Ideen und kreativen Ergüssen und um daraus etwas Sinnvolles zu machen, brauchte er die Schreiberei. Nun aber hatte er genug, denn seine neueste Idee war eine, die ihm irgendwie viel schwerer zu schaffen machte als alle vorherigen. Er hatte die „Schöne neue Welt“ sowie das „Eiland“ von Huxley gelesen, aber natürlich auch „1984“ von Orwell und doch hatte er das Gefühl, daß es da noch ganz andere Gesellschaftsvisionen geben konnte. Die, welche ihm ins Gehirn sprang, war die von „Misanthropia“. Eine Insel, auf der Menschen lebten, die nichts miteinander zu tun haben wollten, weil sie einander nicht ausstehen konnten. Das klang nicht sonderlich spektakulär, sondern erinnerte vielmehr an irgendeine Kleinstadt in der tiefsten Provinz, doch die Bewohner der Insel hatten ihre knallharten Konsequenzen gezogen und sich tatsächlich voneinander getrennt. Der Autor aber wollte sich nun ablenken und ging deshalb in die große Empfangshalle seiner Villa, wo sich gewöhnlich immer die verschiedensten Leute aufhielten. Das war auch diesmal nicht anders und er wurde freundlich begrüßt, schließlich handelte es sich ja bei ihm um den Hausherrn und obwohl ihn Einige der Anwesenden nicht leiden konnten, weil er ein arrogantes Arschloch war, so verhielt man sich ihm gegenüber doch höflich, denn man wollte auch nicht des Hauses verwiesen werden. Der Autor mischte sich unter die Gäste und wieder einmal gelang es ihm ganz hervorragend, sich abzulenken und seine eigenen Ängste und Probleme zu vergessen. Er wußte, daß er sich ihnen irgendwann stellen mußte, doch das wollte er so lange wie möglich hinausschieben, denn er hatte kein wirkliches Interesse daran, sich mit sich selbst und seiner eigenen jämmerlichen Existenz auseinanderzusetzen. „Ein Hoch auf die Bleierische Landesbank!“ rief er plötzlich und alle horchten auf. Sie starrten ihn erstaunt an, weshalb er sogleich erklärte: „Diese Villa hier habe ich ihr für einen Schnäppchenpreis abkaufen können.“ Gelächter mischte sich mit bewundernden Blicken und besonders die Damen warfen das eine oder andere Auge auf den Gastgeber. Klar, er war zweifellos kein Wiger Toods, aber er schien Kohle zu haben und die Kreativen hatten es in der Damenwelt ohnehin immer am leichtesten, woran auch immer das liegen mochte. Vielleicht erhofften sich die Frauen von den Künstlern phantasievolle Liebesspiele im Bett oder sie wußten, daß jene viel leichter an Koks herankamen, mit dem es sich noch viel geiler vögeln ließ. Wie auch immer, der Autor war guter Dinge und hatte überhaupt keine Lust darauf, in sein Schreibzimmer zurückzukehren.

„Und Schnitt!“ rief der Regisseur und die Schauspieler atmeten erleichtert auf. Es war mal wieder ein anstrengender Tag am Set und man ging sich schon seit geraumer Zeit so richtig schön auf die Nerven. „Manchmal wünschte ich mir, ich wäre einer der Bewohner von Misanthropia“, gestand eine Schauspielerin. „Das habe ich gehört“, bemerkte der Regisseur etwas angepißt. „Deshalb sagte ich es ja.“ „Aber meine liebe Kathleen, diese Insel ist nichts weiter als eine Illusion, eine zugegebenermaßen verlockende Utopie unseres Drehbuchautors.“ „Und wenn schon? Ich finde den Gedanken faszinierend und ich glaube, Viele von uns würden sich auf dieser Insel sehr wohl fühlen.“ „Das müssen Sie viel differenzierter betrachten. Alle Dinge haben zwei Seiten und wenn Sie nur die Vorteile bedenken, dann führen Sie sich damit selbst hinters Licht. Außerdem ist es nie gut, einem Extrem ein anderes Extrem entgegenzusetzen.“ Kathleen ging, denn sie hatte keine Lust darauf, mit dem Regisseur eine jener sinnlosen Diskussionen zu führen, in denen er am Schluß immer zu der Feststellung kam, daß er Recht hatte und sein Gegenüber ein Blindfuchs war. Statt dessen mischte sich nun der Kameramann ein und entgegnete: „Wollen Sie damit behaupten, daß wir gerade in einer extremen Gesellschaft leben würden?“ „Nicht mehr, mein Freund, nicht mehr. Aber wenn ich an die Zeiten im sozialistischen Paradies zurückdenke, in dem Elite ein Schimpfwort war und alle ganz gleich sein sollten, bis auf die Bonzen natürlich, die ihre Privilegien selbstverständlich immer beanspruchten, dann sehe ich „Misanthropia“ schon als klares Gegenmodell zum Zwangskollektivismus des 20.Jahrhunderts“, erläuterte der Regisseur. „Mag sein, aber das hier ist verdammt nun mal nur ein Film und dieses Buch über diese Insel schreibt ein Schauspieler, aber in Wirklichkeit hat es der Drehbuchautor verfaßt und von daher finde ich, sollten wir das alles nicht überbewerten. Das Leben als solches hat doch viel mehr zu bieten und auch dieser Film dient lediglich der Unterhaltung der Kinobesucher und hat keinen tieferen Sinn.“ „Durchaus richtig, junger Mann, aber so ein Film bedeutet trotz allem schon ein bißchen mehr, zumindest wenn er einen gewissen Anspruch hat wie dieser hier. Ich gebe zu, daß auch wir die Welt nicht verändern oder verbessern werden, aber wir möchten die Leute zum Nachdenken bringen.“ Der Kameramann winkte genervt ab und erwiderte: „Das wollten schon so viele vor uns. Nehmen Sie Charlie Chaplin und seine Friedensansprache am Ende von „Der große Diktator“. Oder diese ganzen anderen Weltverbesserer und Aufrüttler. Was hat es denn gebracht? Die Leute kamen tränenüberströmt aus dem Kino raus und machten danach weiter wie vorher.“ Der Regisseur dachte nach: „Irgendwie hat der Mann schon ein bißchen Recht. Das Umdenken, das in den Menschen stattfinden müßte, ist wie ein Feuer, das kurz aufflackert, aber recht schnell wieder erlischt. Vielleicht müßten wir mehr machen, um im Gedächtnis der Zuschauer hängen zu bleiben. Womöglich müßten wir dafür sorgen, daß sie selbst ein paar Wochen auf der Insel verbringen könnten. Aber wie soll das gehen? Das hier ist doch alles nur Fiktion und der Drehbuchautor ist spurlos verschwunden, den hätte ich sonst wenigstens dazu befragen können. Na ja, egal, erst einmal müssen wir den Film vernünftig abdrehen und dann sehen wir weiter. Andererseits hätte es schon seinen Reiz, wenn alle, die es wollen, Misanthropia am eigenen Leib erfahren und erleben könnten.“

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?