Loe raamatut: «Es war ein reiches Leben», lehekülg 2

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Kapitel II
DIE EVOLUTION DER LANDWIRTSCHAFT

1. Die Technisierung des Landes

Doch die Zustände meiner Jugend auf der Farm konnten nicht andauern. Die damalige sozialistische Politik sorgte dafür, dass die Landknechte, die früher nicht viel Bargeld verdienten – dafür aber Ware –, mehr Geld bekamen. Für die „Supply Side Economics“ (= Angebotswirtschaft, das heißt alle Waren und Leistungen werden gegen Geld angeboten) musste gesorgt werden. Wenn das Volk Bargeld besitzt, kann die Großindustrie florieren. Aber die englischen Farmer konnten damals die hohen Löhne, die hohen Steuern und den hohen kirchlichen Zehnten nicht bezahlen. So viel Bargeld besaßen sie einfach nicht. Deshalb wurden die Landknechte mit ihren schönen kleinen Häusern und den schönen großen Gärten, mit denen sie sich selbst versorgten, arbeitslos. Der Farmer musste mechanisieren, wenn er überleben wollte. Der Landknecht verdiente in meiner Jugend etwa 18 Schilling pro Woche (damals etwa zwölf RM oder etwas weniger). Er bezahlte fünf Schilling pro Woche für ein nettes Häuschen mit großem Garten, sodass er eigene Kartoffeln, Gemüse, Hühner und Kaninchen besaß. Er bezahlte also etwa 25 Prozent des Lohnes für die Haus- und Gartenmiete! Kann er das heute noch? Dann verboten die englischen Sozialisten den Bau dieser Häuser für Landknechte – der Farmer durfte keine preiswerten Häuser, die für die eigenen Landknechte spezifisch reserviert waren, mehr bauen. Der Landknecht musste auf dem offenen Markt eine Wohnung suchen, was natürlich viel teurer war. Deshalb musste sein Bargeldlohn erhöht werden. Die Parole hieß: Sozialisierung. Der Landknecht musste wie alle anderen Arbeiter werden, so entstand eine einheitliche Steuerquelle! Die Landknechte erhielten nun gesetzlich mehr Bargeld – wenn sie einen Bauern finden konnten, der die erhöhten Löhne bezahlen konnte. So entstand Arbeitslosigkeit bei Arbeitermangel! Billige Häuser mit Garten, Hühnern, Ziegen oder Kaninchen verschwanden vom Markt!

Mein Vater kam mit den ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskräften nicht mehr aus. Für die Pferde brauchte er mindestens drei Landknechte, um nach der Arbeit auch noch die Pferde füttern und abbürsten zu können. Dann musste man neue Hufeisen besorgen, die Fohlen pflegen und einreiten, was viel Lohn kostete. Ein einziger Traktorfahrer konnte die Arbeit von drei Fuhrknechten mit seinen Pferden erledigen. Dazu muss man noch bedenken, dass der Fuhrmann um 14.00 Uhr nach Hause kam, um seine Pferde zu pflegen. Der Traktorfahrer konnte bis 18.00 Uhr pflügen, den Pflug auf dem Feld stehen lassen und mit dem Traktor nach Hause fahren. Um also bei den erhöhten Löhnen durchzukommen, waren die Landwirte zur Mechanisierung gezwungen.

Nach einigen Jahren standen die Pferdeställe leer, der Fuhrmann lernte um und fuhr Traktor, die Getreidemühle für die Pferde und für die Kühe nebst der alten Dampfmaschine, die die Mühle antrieb, stand still. Eine neue Ära war angebrochen. Bald war das Gut nicht mehr von eigenen Arbeitskräften und eigenem Heu und Getreide abhängig, sondern von teurem Öl aus dem Mittelosten – und der Farmer war nicht mehr von den eigenen Arbeitskräften und dem eigenen Land abhängig, sondern von Ölfinanzen.

2. Der Dampfpflug und andere Maschinen

Unsere erste Anschaffung waren Dampfpflüge. Unser Boden bestand aus einem schweren Lehm, der für Weizen sehr gut geeignet war. Aber Fuhrleute und deshalb Pferde waren fürs Pflügen zu teuer geworden.

Stattdessen bediente man sich nun schwerer Dampfmaschinen, die große Stahlkabelwinden unter dem Boiler aufwiesen. Eine Dampfmaschine stand an einer Seite des zu pflügenden Feldes und die andere an der anderen Seite. Ungefähr ein Kilometer oder mehr lag zwischen den beiden Maschinen. Ein Sechs-Furchen-Pflug wurde ans Kabel befestigt. Die eine Dampfmaschine zog am Kabel und beförderte den Pflug zu sich auf der einen Seite des Feldes. Anschließend zog die andere Dampfmaschine den Pflug zurück zur anderen Seite des Feldes. Dann zog wiederum die andere Dampfmaschine den Pflug zurück zur anderen Seite. Beide Maschinen fuhren einige Schritte vorwärts und der Pflug wurde hin- und hergezogen. Die Dampfmaschine verbrannte Kohle, was damals sehr billig war. Auf diese Weise konnte man ganze Felder gut und billig umpflügen.

Mit der Zeit aber wurde Kohle teurer, denn die Bergarbeiter verdienten (mit Recht) auch mehr Geld. Für ein Dampfpflugteam brauchte man immer mindestens eine Mannschaft von zwei Dampfmaschineningenieuren, was bei den damaligen Lohnverhältnissen teuer kam. Für Wasser- und Kohleversorgung musste ein dritter Mann dazukommen. Nach einigen Jahren der Dampfmaschinenwirtschaft wagte mein Vater den Schritt in das moderne Zeitalter. Er kaufte zwei „Titan“–Kerosintraktoren.

Diese großen amerikanischen Maschinen besaßen vier Stahlräder, die derart schwer waren, dass der Boden zitterte, wenn man sie im Hof herumfuhr. An beiden Seiten der Maschine befand sich ein schweres, offenes Schwungrad.

Um den Motor anzukurbeln, musste man eine große eiserne Kurbel ans Schwungrad anbringen und dann mit Leibeskraft – und etwas mehr dazu – daran drehen. Schlug der Motor zurück, was leicht vorkam, wurde man am Kopf getroffen – was schnell tödlich ausgehen konnte. Sprang er an – die Chancen waren etwas weniger als 50 zu 50! – blieb die Kurbel leicht am Schwungrad hängen und drehte sich ohne Befestigung herum, sodass alle Herumstehenden schleunigst in Deckung gehen mussten. Löste sich die Kurbel dann bei hohen Touren, flog sie im hohen Bogen durch die Luft – oder schlug mit einem dumpfen Knall in den Boden. Gab es eine schmutzige Zündkerze – was recht oft vorkam, explodierten die unverbrannten Gase im Auspuff, und zwar mit einem heftigen Knattern, das man kilometerweit hören konnte.

Wir kauften damals, wie gesagt, zwei solche Ungeheuer. Damit trieben wir die Getreidemühle, die Dreschmaschine und auch die Kleedreschmaschine an. Für Pflügen, Eggen und Walzen aber musste man besondere Stahlräder montieren. Die Maschinen waren derart schwer, dass sie für unseren Lehmboden nicht viel taugten. Nur wenn der Boden ausnehmend trocken war, konnte man mit diesen Maschinen aufs Land fahren, sonst versank der Traktor im Nu bis zu den Achsen im Schlamm. Innerhalb von einigen Minuten hatten solche Maschinen die Eigenschaft, im Boden vor Vaters Augen buchstäblich zu verschwinden. Dann brauchte es eine Dampfmaschine mit Stahlwinde, um sie wieder herauszuziehen – wobei der alte Fuhrmann lächelnd zuschaute. Mit seinen Pferden passierte so etwas nicht.

Es war wirklich verwunderlich, dass wir Jungen in diesen ersten Jahren der Mechanisierung nicht mehr Unfälle erlitten. Alles musste ja schleunigst mechanisiert werden, weil die Löhne in die Höhe schnellten – um Steuern für den Staat zu erzeugen! Dabei gab es viel, viel Arbeitslosigkeit! Die Mittel der Farmer reichten nicht aus, um die neuen Löhne zu zahlen. Deshalb musste man sich nach dem „Do it Yourself“-Verfahren helfen. Die Mechanisierung war notwendig, um die nötigste Arbeit zu erledigen. Aber die Maschinen waren noch nicht so entwickelt, dass jeder Landknecht mit ihnen umgehen konnte.

Autos funktionierten damals ähnlich. Zuerst besaßen wir einen Panhard mit Kettenantrieb, danach einen schönen Cubitt. Aber der graue 1918 De Dion-Bouton übertraf alles. Dieser Wagen war nicht so primitiv. Er schlug nicht zurück, denn ehe man ihn mit der Hand ankurbelte – er besaß sogar einen elektrischen Selbstanlasser, der aber nur bei besonderen Anlässen benutzt wurde, weil er die Batterie rasch erschöpfte –, justierte man per Hand mit einem Hebel am Steuer. Ging der Motor an, justierte man die Zündung mit diesem Hebel nach Bedarf. Wenn man sehr schnell fahren wollte – wir Kinder sind oft mit diesem riesigen Panzer über 100 Stundenkilometer gefahren, was für damalige Verhältnisse als sehr schnell galt –, avancierte man maximal. Damals musste man noch etwas von Maschinen und Motoren verstehen, wenn man ans Reiseziel kommen wollte.

3. Der neue Humber Snipe

Onkel Frank war ein guter Freund von uns Jungen. Er kam regelmäßig zu uns nach Cholsey, denn er war auch Freimaurer und lernte freitagabends mit meinem Vater die Logenriten. Vater und Onkel rezitierten ihren ganzen Ritus, nachdem die anderen alle im Bett waren, denn niemand durfte erfahren, was sie aus dem Buch, das so wie ein Gebetsbuch aussah, lernten. Später lernte ich all das persönlich kennen, aber das ist eine Geschichte für sich.

Nun, Onkel Frank kaufte sich einen nagelneuen Humber Snipe. Zwischen Onkel Frank und Vater bestand eine gewisse Rivalität, obwohl sie sehr gute Freunde waren. Sie waren im gleichen Alter, und Onkel Frank war ja Mutters Bruder. Vater hatte mittlerweile einen Drei-Liter-Bentley gekauft, und der Wagen war der Stolz der ganzen Familie.

Eines Sonntags tauchte Onkel Frank nebst seiner lieben Frau, Tante Ennnie, und einigen Kusinen ganz unerwartet zum Teetrinken auf. Sie wollten im neuen Wagen mit der Familie ein wenig durch die Landschaft spazieren fahren. Das war für uns Kinder ein Fest, denn Onkel Frank spielte gern mit uns, und wir mochten ihn sehr. Dies aber schützte ihn keineswegs vor uns und unseren Streichen. Während die anderen Tee tranken, schlichen mein Bruder und ich aus dem Haus und fanden das nagelneue Auto vorschriftsmäßig vor dem Haus geparkt. Es war ein sehr schönes Auto – aber natürlich noch lange nicht so schön wie unser Bentley – und lief wahrscheinlich nicht ganz so gut, davon waren wir überzeugt. Wenn jemand das bezweifelt hätte, konnten wir es leicht beweisen! Oh ja, das konnten wir.

Schnell machten wir die Haube auf, im Nu stand der Zündverteiler offen vor unseren Blicken. Tief im Verteiler befand sich ein ganz winzig kleines Schräubchen. Mit unserem speziell dazu geeigneten Taschenmesser, das ein eingebautes Millimetermaß besaß, schraubten wir den Unterbrecher, der normalerweise mit einem Abstand von ein bis zwei Millimeter öffnete, auf einen viel zu kleinen Abstand zusammen. Nichts sonst; das war alles und genügte! Verteiler wieder zu, Haube herunter! Jetzt brauchten wir nur zu warten! Wir unterhielten uns mit unserer Tante, unseren Kusinen und Onkel Frank – vollendete Schauspieler waren wir! Nach dem Teetrinken mit gutem Kuchen und Erdbeeren plus Sahne, sagte Onkel Frank, seine Familie wolle die Spazierfahrt in ihrem neuen Wagen fortsetzen. Sie standen auf, bedankten sich für die gute Bewirtung und gingen stolz auf ihr neues Auto zu. Jetzt wurde es für uns spannend! Würde der Motor anspringen?

Ja, das erste Mal sprang er sogar gut an, und Onkel Frank und seine Familie fuhren mit großem Schwung und Gedränge durch die Tore zum Gutshaus hinaus. Auf der Hauptstraße angelangt, gab er Gas, um zu zeigen, wie tadellos der Motor beschleunigte – Humber Snipes waren dafür bekannt; der Motor war groß und die Karosserie sportlich leicht. Aber was war das? Der Motor spuckte laut und zögerte. Onkel Frank gab daraufhin wirklich Gas, um uns Bentley-Besitzern zu zeigen, dass nicht nur Bentleys etwas taugten. Da setzte der Motor plötzlich ganz aus! Er betätigte den Selbstanlasser, woraufhin der Motor etwas zögernd anging – sehr peinlich! Sobald aber der Motor auf Touren kam, fing er wieder an, laut zu spucken und zu husten. Der Wagen ruckte herum wie ein scheuendes Pferd. Onkel Frank meinte offenbar, dass er es mit Gewalt schaffen könnte – und gab Vollgas. Die Antwort des gequälten Motors war diesmal ein riesiger Knall, der von schwarzem Rauch begleitet war! Sehr peinlich – aber von unserem Standpunkt aus total vorschriftsmäßig! Wir schauten gelassen und vergnügt zu. Da probierte es der Ingenieur, Onkel Frank, mit List – er gab diesmal ganz leise Gas. Sobald aber der Motor auf Touren kam, fing ein Spucken, ein Niesen, ein Husten und ein Knallen an, das dem allerbesten Rennwagen Ehre gemacht hätte.

So Fuhr Onkel Frank mit seiner Familie durch das schläfrige sonntägliche Dorf, als ob er der Leitwagen einer Feuerwerksparade wäre; das Knallen, das Explodieren, das Qualmen und das Niesen hörten gar nicht mehr auf. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Trotzdem kam er sehr langsam von der Ortschaft fort, lange nachdem er unseren Blicken entschwunden war, hörten wir das Knallen des Motors in der Ferne. Wir schauten uns beglückt an!

„Nanu, ob er so nach Hause kommt?“, sagte mein Vater. Wir Kinder antworteten nicht. Aber was war jetzt los? Das heftige Niesen des Motors schien uns wieder näher zu kommen – wurde das Knallen wirklich lauter? Auf einmal erschien Onkel Frank nebst blasser Familie sehr gedemütigt vor unseren Toren wieder. Sein Motor rauchte und qualmte, lief aber immer noch, wenn auch unregelmäßig. Er fuhr wieder zu uns hinein, stieg aus, öffnete die Haube und inspizierte seinen neuen Schatz. Die Zündung und ihre Verstellung schienen in Ordnung zu sein. Keine Fliege und auch kein Wasser im Vergaser! Alles putzte er, der Ingenieur, fachmännisch aus. Die Damen gingen mittlerweile ins Haus, um eine zweite Portion Kuchen und Erdbeeren zu sich zu nehmen. Aber Onkel Frank, der Ingenieur, fand nicht, was die Ursache seiner sonntäglichen Demütigung sein könnte.

Da hatten wir Jungen plötzlich eine Idee! „Onkel Frank“, sagten wir, „du trinkst doch so gerne Kaffee, geh ins Haus und trink ganz gemütlich eine zweite Tasse. Dürfen wir in der Zwischenzeit versuchen, den Schaden am Motor zu finden – und vielleicht auch zu reparieren?“ Onkel Frank war ein sehr lieber Mann, der immer sehr hilfsbereit war! Er war auch ein wenig mehr als vollschlank und liebte Kuchen, Kaffee und Erdbeeren mit Schlagsahne. Er willigte gern ein und verschwand im Haus.

Schnell rissen mein Bruder und ich die Haube des Wagens auf. Herunter mit dem Zündverteiler, heraus mit dem Taschenmesser mit dem eingebauten Millimetermaß, zwei, drei Touren mit dem Schraubenzieher, bis der Abstand des Unterbrechers den Vorschriften entsprach. Dann zu mit der Haube!

Wir schlenderten langsam und gelassen ins Haus, aßen noch einige Erdbeeren und unterhielten uns überlegen mit unseren Kusinen, die den allergrößten Respekt vor uns Jungen hatten.

„So“, sagte Onkel Frank, „habt ihr was herausgefunden?“ „Möglicherweise“, antworteten wir, „aber wir haben noch nichts ausprobiert.“

Onkel Frank ging hinaus und setzte sich ins Auto, um eine Probefahrt zu machen. Er schoss förmlich aus dem Eingang auf die Hauptstraße, sauste durch das Dorf und kehrte nach fünf Minuten begeistert zurück.

„So gut fuhr mein neuer Wagen noch nie“, sprudelte es aus ihm heraus. „Man sieht, dass eure Mutter eine Ingenieurstochter ist. Es liegt einfach in eurem Blut!“

Mein Vater sagte gar nichts. Er hatte gewisse Erfahrungen mit den Söhnen einer Ingenieurstochter gemacht und riskierte offenbar keinen Kommentar. Aber unser guter Onkel war nicht so reserviert. Er kam auf uns verblüffte Jungen zu, griff tief in seine Tasche und holte ein Geldstück hervor (zweieinhalb Schillinge, so viel Geld hatten wir seit langem nicht gesehen).

„Das ist eine kleine Belohnung dafür, dass ihr in Mutters Fußstapfen tretet“, sagte er, indem er das große Stück Geld in die Hand meines Bruders drückte.

„Oh nein, Onkel Frank“, sagten wir, „so viel haben wir wirklich nicht verdient. Es war nur eine ganz kleine Sache.“

„Reden wir nicht darüber“, sagte er großzügig, „was wichtig ist, ist das Gewusst-wie – zwei Schillinge für Gewusst-wie“, fügte er hell vergnügt hinzu!

Nun, dachten wir tief beschämt, aber nicht bereit, zu unserer Missetat offen zu stehen, was bedeutet Gewusst-wie? Wohl gewusst, wie man einen ahnungslosen gutmütigen Onkel hereinlegt? Was er wirklich dachte, erfuhren wir nie. Er war ein guter Onkel, der immer bereit war, mitzumachen. Er war auch der einzige Onkel, der zu unserer Hochzeit kam. Die anderen waren entweder sehr alt oder bereits verstorben. Onkel Frank war gut über 70 Jahre alt, als wir heirateten.

Kapitel III
ANSCHAUUNGSUNTERRICHT

1. Die Bentley-Geschichte

Als ich etwa elf Jahre alt war, fuhr mein Vater eines Tages nach London, um einige Geschäfte zu erledigen. Er sah dort bei der Vertretung der bekannten Firma Bentley einen Drei-Liter-Bentley. Man verlangte für dieses gebrauchte, aber sehr schöne Auto etwa 900 DM: für damalige Verhältnisse ein horrender Preis.

Es war ein „Salonmodell“, vier Zylinder, blau und hatte viel Platz für die ganze Familie. Der Bentley gefiel Mutter und den Töchtern sehr gut. Man überlegte hin und her in der Familie. Das Auto war gut, aber teuer.

Zwei silberne Knöpfe auf dem Armaturenbrett dienten als Zündschlüssel. Neben diesen Zündknöpfen gab es eine Extra-Benzinpumpe, von Hand betätigt, um Benzin direkt in die Zylinder zu spritzen – sehr nützlich, wenn das Wetter so kalt war, dass der Motor nicht gleich ansprang. Wir Jungen hatten selbstverständlich alle Finessen und Raffinessen des Wagens sehr bald heraus. Das Auto hatte drei Vorwärtsgänge und einen Rückwärtsgang. Die Gänge waren nicht synchronisiert, man musste besonders beim Umschalten Zwischengas geben, was meinem guten Vater nicht immer ganz glückte. Da kratzten die Gänge bedrohlich. Wir fuhren sehr oft mit Vater in seinem neuen Spielzeug herum und hatten Luchsaugen dabei! Ob der Motor mit einer eingeschalteten Zündung fahren würde, oder ob beide Magnetzünder unbedingt nötig wären? Ob wir die Gänge besser schalten könnten als Vater? Meinen Schwestern gelang die Schaltung nicht, die Kupplung war für sie zu schwer.

a) Nächtliche Inspektionen

Während die restliche Familie sich abends unterhielt, schlichen wir oft in die neue Garage, die Vater speziell für den Bentley bauen ließ, um alles weiter und privat für unsere Experimente auszukundschaften. Nach sehr kurzer Zeit hatten wir genug theoretisches Wissen gesammelt, jetzt fehlte uns nur ein wenig Praxis! Die Engländer sind ja Pragmatiker! Aber wie und wann – das war die große Frage, die wir zu lösen hatten!

Eines Nachmittags saßen wir alle in reger Unterhaltung zusammen, nachdem wir Tee getrunken hatten. Ohne irgendwie die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, schlich mein Bruder um den Tisch und flüsterte mir sehr leise ins Ohr:

„Es ist offen.“

Mir war sofort klar, was er mit dieser kryptischen Bemerkung meinte, denn nachdem Vater mehrere Male am Morgen in die Garage gegangen war, um mit dem Bentley wegzufahren, entdeckte er eine ganz entladene, platte Batterie, die nur „Wuh“ machte und dann den Geist aufgab, als er auf den großen Anlasserknopf drückte. Die Batterie war mächtig (80–90 Ampèrestunden), entsprach trotzdem den vielen Anforderungen von zwei enthusiastischen Buben nicht, die den Anlasser zu lange und zu oft beanspruchten. Da hatte Vater kurzerhand ein Hängeschloss an der Garagentür befestigt, wofür nur er allein den Schlüssel besaß. So hörten unsere inoffiziellen Besuche in der Garage etwas früher und jäher auf, als wir geplant hatten. Deshalb inspizierten wir regelmäßig das Hängeschloss, denn Vater war ab und zu vergesslich, man wusste also nie!

Und mein Bruder fügte noch flüsternd hinzu: „Nicht beide auf einmal. Es würde auffallen. Komm in fünf Minuten nach, wir treffen uns an der Garage!“

Nach den vorschriftsmäßigen fünf Minuten stand ich vom Tisch auf, half ein wenig mit dem Abräumen vom Geschirr und verschwand leise. Mein Bruder war schon im Auto drin. Aber die Sache hatte einen Haken. Wir waren zu klein und konnten nur durch das Steuer schauen statt über das Steuer. Also noch einmal schnell ins Haus und zwei ganz dicke, große Kissen holen! So konnten wir gerade richtig sitzen! Aber unsere Beine waren für die mächtige Kupplung bedeutend zu kurz. Wir mussten fast aufstehen, um die Kupplung hinunterzudrücken.

b) Das Experiment

Wir ließen also den Drei-Liter-Motor an. Der Laut des Auspuffs war höchst befriedigend für unsere geschulten Ohren. Zündung linke Seite in Ordnung. Zündung rechte Seite ebenso. Benzinhandpumpe diesmal überflüssig. Der große Vierfachvergaser wurde von einem Wassermantel geheizt, sodass alles sehr schnell startbereit war. Dann mit letzter Kraft mit dem linken Fuß hinunter, Rückwärtsgang einlegen, ein wenig Gas, Kupplung langsam hoch und rückwärts – auf zwei große Kissen gestützt – fuhren wir aus der Garage. Wir fuhren ein paar Mal um den Hof, um unsere Theorien wegen der Notwendigkeit von Zwischengas zu prüfen. Alles klappte tadellos. Dann fuhren wir langsam zum Haupteingang des Gutes hinaus auf die Landstraße, dem Bahnhof entgegen.

Der Bahnhofsplatz war groß und bot genügend Platz an, um den Wagen auszutesten. So fuhren wir um den großen Platz herum und schalteten die Gänge. Niemand war da, um uns zu beobachten – das war wenigstens unsere Überzeugung! Immer schneller fuhren wir, immer raffinierter wurde die Technik des Zwischengases. Wir wechselten den Fahrer. Mein Bruder war jünger als ich, und seine Beine waren noch kürzer als meine. Deshalb brauchte er mehr Kissen als ich. Aber stark war er – und geschickt! Rund herum um den Bahnhofsplatz ging es. Gut, dass die Reifen und die Federung neu waren, denn die Karosserie kippte oft bedenklich, besonders in den Kurven, die wir oft zu knapp nahmen.

Zum x-ten Mal fuhren wir am Bürofenster von Mr. James vorbei. Mr. James war der Bahnhofsvorsteher, ein lieber Mann, der mit meinem Vater gut befreundet war. Aber er besaß ein Telefon! Seine Nummer war Cholsey 1 und unsere Nummer war Cholsey 2 – also nicht leicht zu verwechseln. Als wir bereits viele Runden gedreht hatten, fiel uns plötzlich ein, dass Mr. James uns vielleicht beobachtet hatte. Wir hatten ihn zwar nicht gesehen, aber er kannte uns gut – und auch Vaters Bentley. Vielleicht hatte Mr. James sein Telefon sogar benutzt! Vielleicht wusste Vater schon alles! Also mit Vollgas zum Gut zurück! Durch den Haupteingang des Gutes – gut bewältigt, obwohl die Kissen zu rutschen drohten. In die Garage – sehr knapp, die Garage war für ein so großes Auto etwas schmal, aber wie ein Kamel durch das Nadelöhr kamen wir gut hinein. Tore zu. Hängeschloss liegen lassen, wie es war! Ins Haus geschlichen, Hintertreppe hinauf in unser Zimmer. Nach etwa zehn Minuten rief Mutter zum Abendessen hinunter.

„Nein, Mutter, wir haben keinen Hunger. Wir haben Hausaufgaben, die bis morgen erledigt sein müssen.“

In Wirklichkeit wollten wir natürlich unserem Vater nicht begegnen, denn vielleicht wusste er es schon – und sagte nichts. Vater konnte sehr schweigsam sein und lange Zeit kein Wort sagen. Aber anders als bei anderen Menschen/Vätern, nahm sein Zorn mit der Zeit nicht ab.

„Vielleicht weiß er alles, sagt aber nichts. Und wenn es dann herauskommt, wird er um so schlimmer reagieren, je länger wir warten! Also Vater meiden!“, das war die Parole von jetzt an.

c) Die Macht des Gewissens

Vater und Mutter waren beide sehr erstaunt, dass wir nicht essen wollten. Jungen, die keinen Hunger hatten! Das war merkwürdig! Was hatten die beiden ausgeheckt? – Das war die natürliche Reaktion! Am nächsten Morgen mussten wir vor dem Schulgang frühstücken! Das ließ sich leider nicht vermeiden! Mutter teilte den Porridge aus, und nach dem Porridge kamen Eier und Schinken. Der Duft von Eiern und Speck fürs Frühstück ist mir immer noch unvergesslich! Wie schmeckt das lecker, besonders wenn es draußen nass und kalt ist. Aber Vater blickte misstrauisch zu uns herüber, wie wir in unseren Ecken kauerten. Wir würgten unseren Porridge hinunter! Vater sagte nichts, was nicht bedeutete, dass er nichts dachte! Sobald wir die Qual des Frühstückes – lies: Vaters Gegenwart – hinter uns hatten, stürzten wir zur Bahn, um den Zug nach Wallingford zur Schule zu nehmen. Die Schule pflegte sonst keine direkte Befreiung zu sein, heute aber war sie das.

Wir fuhren immer mittags mit der Bahn nach Hause – Wallingford lag nur etwa sechs Kilometer von zu Hause entfernt. Als wir dann gegen 12.30 Uhr nach Hause kamen, saß Vater oben am Tisch und teilte das Fleisch aus – Mutter teilte, wie immer, das Gemüse aus. Wusste es Vater oder wusste er es nicht? Das war die brennende Frage! Wegen des Autos sagte er nichts, die Batterie war offenbar nicht kaputt; schnell genug waren wir gefahren, sodass der Dynamo sich wieder aufladen konnte! Aber Vater schwieg! Mr. James, den wir jeden Tag beim Schulgang sahen, äußerte auch kein Wort! Wenn Vater Bescheid weiß – und nichts sagt, wird sein Zorn von Tag zu Tag größer werden, das wussten wir sehr wohl!

Jede Mahlzeit war für uns eine Qual. Wir mieden Vater, der immer noch nichts sagte, obwohl wir in unseren Knochen fühlten, dass er irgendetwas witterte. Er wartete vielleicht darauf, dass wir uns zu unserer Missetat freiwillig bekannten – wir mussten immer freiwillig zu unserer Schuld stehen. Auf die Jagd mit Vater gehen, das konnten wir jetzt unter diesen Umständen nicht – allein sein mit ihm auf dem Feld –, das kam nicht infrage! Abends pflegten wir bis vor kurzem sehr oft, mit Vater Dame zu spielen – er spielte sehr gut und baute viele „Hühnerfallen“ („chicken traps“ für die Unaufmerksamen, wie er sie nannte). Aber jetzt, in dieser Spannung, unter diesen quälenden Umständen, kam auch das nicht mehr infrage. Wir verschwanden lieber früh auf unser Zimmer und bastelten allein für uns. Vielleicht wussten unsere Schwestern es schon und sagten auch nichts! Denn sie standen mit Vater sehr gut, auch wenn sie Mutter oft Sorgen bereiteten.

Aus unserem Paradies auf dem Gut war über Nacht eine Hölle geworden – die Hölle der Ungewissheit und der Einsamkeit. Vielleicht hielten Vater und Mr. James zusammen, um uns zu quälen! So mieden wir auch Mr. James.

Nach etwa drei Wochen dieser Qual beratschlagten mein Bruder und ich, was zu machen sei. Denn diese Spannung und diese Qual waren unerträglich. Unser Zuhause war kein richtiges Zuhause mehr. Wo konnten wir hin?

Wir kamen nach vielem Hin und Her überein, dass wir zu Vater gehen müssten, um die Sache endgültig ins Reine zu bringen. Aber wann?

Klar, nicht wenn Mutter oder die Schwestern zu Hause waren! Mit Vater mussten wir allein sprechen, am besten wenn die anderen einkaufen gegangen oder im Bett waren. Doch da gab es ein Problem: Die anderen gingen später ins Bett als wir. Also wenn Mutter und die Schwestern freitags einkaufen gingen! Abgemacht!

d) Die Beichte

Nach dem Mittagessen saß Vater gewöhnlich in seinem Lederlehnstuhl, machte die Beine hoch und las ein Viertelstündchen die Zeitung. Er schlief beim Lesen immer schnell ein, aber in dieser Situation war er wenigstens allein. So saß er da, das Haus war still und Vater döste vor sich hin. Mein Bruder und ich betraten leise das Zimmer, was ihn aufweckte. Er schaute zu uns hinüber und fragte, was wir wollten?

„Ja, Vater, wir wollten allein mit dir reden.“

Da war er sofort wach.

„Hm“, sagte er, „das muss aber etwas sehr Wichtiges sein, denn lange Zeit scheint ihr mich sehr fleißig gemieden zu haben. Was ist denn los?“

„Ja“, sagten wir sehr, sehr verlegen, „hast du nicht gesagt, wir dürfen deine Garage nicht mehr allein betreten?“

„Ja, sicher“, antwortete Vater, „seid ihr doch allein in die Garage gegangen? Wie ist euch das gelungen? Habt ihr mein Hängeschloss kaputtgemacht oder einen neuen Schlüssel dafür herbeigeschafft?“

„Nein, Vater“, sagten wir, „du hast einmal vergessen, die Garage zuzuschließen.“

„So“, sagte er, „das mag wohl sein. Was habt ihr sonst angestellt?“

„Vater, wir betraten nicht nur die Garage, wir gingen in deinen Bentley und ließen den Motor an.“

Da stieg Vaters Zorn hoch. Nicht umsonst trug Vater einen rotblonden Schnurrbart!

„Ich habe euch das oft verboten“, tobte er und stand auf. „Was habt ihr sonst angestellt? Ist das alles?“

Die Tränen standen uns in den Augen – obwohl Jungen natürlich nicht weinen! – denn wir sahen, dass Vater zur Tür hinüberlief. Auf dem Sims über der Tür lag in einer Nische seine Reitpeitsche, die er selten benutzte, die er aber benutzen konnte! Einige Male anlässlich ganz schlimmer Delikte hatten wir diese Peitsche experimentell ausgekostet.

„Was habt ihr sonst noch angestellt? Habt ihr etwa die Batterie wieder platt gemacht?“

„Nein, Vater“, sagten wir erleichtert, „wir fuhren schnell genug, so schnell, dass der Dynamo auf Touren kam und die Batterie auflud!“

„So“, sagte er, „jetzt kommt es also allmählich heraus. Ihr habt also nicht nur den Motor angelassen, ihr habt das Auto sogar aus der Garage herausgefahren! Und ihr seid sogar so schnell gefahren, dass der Dynamo auf Touren kam!“

Er war gerade dabei, seine Reitpeitsche von ihrer Nische herunterzuholen.

„Nun, meine kleinen Halunken, jetzt fange ich langsam an, euer Benehmen in den letzten Tagen zu verstehen!“

Jetzt kullerten die Tränen unsere Backen herunter.

„Was habt ihr sonst angestellt?“

Vater wollte offenbar alles wissen, ehe er die Strafe administrierte. „Denkt daran, es heißt jetzt, mir alles zu beichten, sonst wird es euch nicht gut bekommen!“

Also es bestand noch Hoffnung, wenn wir ehrlich sein würden und Vater alles beichteten! Aber es gab so viel zu bekennen, das war unser großes Problem. Offenbar wusste Vater nichts; Mr. James hatte also nicht gepetzt, dafür mussten wir ihm unser Leben lang dankbar sein – nicht mehr zu ihm frech sein, wenn er auf Ordnung in der Bahn bestand. Er musste, der arme Mann, täglich mit vielen Fahrschülern fertig werden. Mein Vater sagte immer, dass diese vielen Jungen jeden Tag in der Kleinbahn arglistiger seien als eine Wagenladung Affen. Erst später im Leben sahen wir ein, dass Vater ein ganz klein wenig Wahrheit über Jungen und ihre Lebensweise erfasst hatte.

„Wir haben den Bentley angelassen, dann ließen wir bei offenen Garagentüren den Motor warm werden und luden die Batterie wieder auf. Wir holten zwei große Kissen, denn ohne sie konnten wir nicht richtig sehen. Dann fuhren wir rückwärts aus der Garage heraus, einige Male um den Hof, danach auf die Hauptstraße, um die Ecke bis zum Bahnhofsvorplatz, wo die anderen Autos den ganzen Tag geparkt stehen. Wie oft wir um den Platz herumgefahren sind, haben wir leider nicht genau gezählt. Vielleicht war es 20-mal, vielleicht auch 40. Wir fuhren nie mehr als 85 Kilometer die Stunde, meist aber weniger. Wir wollten aber schnell genug fahren, sodass der Dynamo die Batterie wieder auflud.“ (Damals gab es die Automatik nicht, die die Ladegeschwindigkeit regelt.)