Loe raamatut: «Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik»
Arthur Rosenberg (19.12.1889 Berlin – 7.2.1943 New York), zu Lebzeiten ein Außenseiter der Geschichtswissenschaft, gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts.
Geboren in einer assimilierten jüdischen Familie, studierte er in Berlin Alte Geschichte, Philologie und Archäologie und schlug zunächst die Laufbahn eines Althistorikers ein. 1911 wurde er mit Untersuchungen zur römischen Zenturienverfassung zum Dr. phil. promoviert, 1914 erfolgte die Habilitation mit der Arbeit Der Staat der alten Italiker. Verfassung der Latiner, Osker und Etrusker, worin Rosenberg die verschiedenen Regierungsformen in den Stadtgemeinden des vorrömischen Italiens untersuchte. Im Ersten Weltkrieg diente er zumeist im Kriegspresseamt, wo er auch General Erich Ludendorff kennenlernte.
Bisher auf deutschnationalen Positionen stehend, schlug sich Rosenberg bei Kriegsende auf Seite der äußersten Linken, was zu großen Schwierigkeiten seiner akademischen Laufbahn führte. Erst 1930 wurde er außerplanmäßiger Professor in Berlin. Schon Anfang 1927 hatte er sich jedoch gegen die Unterordnung der KPD unter Stalins Politik gewandt und kurz darauf die Partei verlassen, die er zuvor auch im Reichstag vertreten hatte. Neben den beiden hier vorliegenden Büchern schrieb er u. a. eine Geschichte des Bolschewismus (1932) und ein auch politiktheoretische Fragen behandelndes Werk, Demokratie und Sozialismus (1938). Vom Hitler-Regime mit seiner Familie aus Deutschland vertrieben, fand er nach schweren Jahren des Exils schließlich eine wissenschaftliche Heimat am Brooklyn College in New York.
Mario Keßler, geb. 1955, Prof. Dr. phil., arbeitete bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2021 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und lehrte u. a. in Potsdam sowie an der Yeshiva University in New York.
Arthur Rosenberg
Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik
Neuausgabe herausgegeben und mit einem Vorwort von Mario Keßler
E-Book (ePub)
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Coverabbildung: unter Verwendung eines Buchgestaltungsentwurfs von
J. Heartfield mit fr. Genehmigung der Akademie der Künste Inv.-Nr. JH 604
Covergestaltung: Christian Wöhrl, Hoisdorf
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
ePub:
ISBN 978-3-86393-567-2
Auch als gedrucktes Buch erhältlich:
Neuausgabe © CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Print: ISBN 978-3-86393-101-8
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www.europaeische-verlagsanstalt.de
Inhalt
Mario Keßler Zeitkritik und Nachwirkung. Arthur Rosenbergs Bücher zur Weimarer Republik
I ENTSTEHUNG DER WEIMARER REPUBLIK
Vorwort zur Erstausgabe
I. Kapitel Die gesellschaftlichen Kräfte unter Bismarck
II. Kapitel Verschärfung der inneren Konflikte unter Wilhelm II.
III. Kapitel Weltkrieg und Burgfrieden
IV. Kapitel Die Diktatur des Generals Ludendorff
V. Kapitel Die Reichstagsmehrheit der Friedensresolution
VI. Kapitel General Ludendorff auf der Höhe seiner Macht
VII. Kapitel Der Zusammenbruch
Anmerkungen
II GESCHICHTE DER WEIMARER REPUBLIK
Vorwort
I. Kapitel Nach dem 9. November
II. Kapitel Die Regierung der Volksbeauftragten
III. Kapitel Spartakus und Noske
IV. Kapitel Die Nationalversammlung in Weimar
V. Kapitel Der Kapp-Putsch
VI. Kapitel Die Zeit der katholischen Demokratie 1920–1922
VII. Kapitel Ruhrbesetzung und Inflation 1923
VIII. Kapitel Stabilisierung und Stresemann 1924–1928
IX. Kapitel Das Ende 1928–1930
Epilog
Anmerkungen
Mario Keßler
Zeitkritik und Nachwirkung. Arthur Rosenbergs Bücher zur Weimarer Republik
Zeitgenössische Geschichte, schrieb der Publizist und Weltbürger Sebastian Haffner, ist die beste Geschichte. Alle Quellenforschung ersetze nicht die eigenen Augen, die es wirklich gesehen haben, und vor allem nicht die eigene Nase, die es wirklich gerochen hat. „Es gibt für den Historiker räumlich und zeitlich eine Art Idealdistanz zu seinem Gegenstand: räumlich die des gerade noch Beteiligten, der dabei war und ein bißchen mitgemischt hat, ohne geradezu im Mittelpunkt zu stehen; zeitlich ungefähr zehn bis zwanzig Jahre danach, wenn sich die Erinnerung gesetzt hat, aber noch nicht verblichen ist.“ Genau diesen Abstand habe der Historiker Arthur Rosenberg besessen, als er seine Bücher über Aufstieg und Fall der Weimarer Republik, zur Geschichte des Bolschewismus sowie über Demokratie und Sozialismus schrieb. Rosenberg habe sich, ohne Nebengeräusche zu beachten, ganz auf die ihn interessierenden Fragen konzentriert. „Daß er außerdem noch ein Mann von hoher Wahrheitsliebe und Fairness war, ein gelernter Fachhistoriker und ein glänzender Schriftsteller, ergab einen Glücksfall, für den ich in Deutschland im 20. Jahrhundert keine Parallele weiß.“1
Über wenige Historiker hat sich das allgemeine Urteil nach ihrem Tod so sehr gewandelt wie über Arthur Rosenberg, dessen Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik hier als Neuausgabe vorliegt. Arthur Rosenberg (19.12.1889 Berlin–7.2.1943 New York) schrieb den ersten Teil, das Buch zur Entstehung, genauer: zur Vorgeschichte der Weimarer Republik, 1928 in Berlin, den Folgeband zur Geschichte der Weimarer Republik schrieb er 1934/35 im englischen Exil. Damit sind bereits Wegmarken dieses politischen Intellektuellen angedeutet, der in seinem kurzen Leben ebenso ein Außenseiter des Fachbetriebs war wie – nach einer kurzen und spektakulären Karriere – auf der politischen Linken. Alsbald nach seinem Tod setzte jedoch eine intensive Rezeption von Rosenbergs zeithistorischen Arbeiten ein, zu denen neben den hier vorliegenden seine Geschichte des Bolschewismus sowie sein letztes Buch Demokratie und Sozialismus gehören. Fünfundzwanzig Jahre nach Rosenbergs Tod wurden seine Bücher zur Weimarer Republik geradezu „Klassiker“ unter den Studenten und Akademikern in der Bundesrepublik und West-Berlin, die politisch nach neuen Ufern suchten. In nüchterner Betrachtung gilt Rosenberg auch heute als einer der wichtigsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts – ein Urteil, das zu seinen Lebzeiten undenkbar schien.
Es lohnt noch immer, sich mit Arthur Rosenberg die Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik lesend zu erschließen. Die beiden Bücher waren nicht nur Pionierarbeiten, was ihre wissenschaftliche Bedeutung betraf, sondern fesseln auch durch ihren packenden, doch zugleich schnörkellosen Stil wie durch ihre pointierten Urteile. Dabei ging es Rosenberg stets um die analytische Durchdringung scheinbar kaum entwirrbarer Vorgänge, die er aus ihrem Kontext heraus zu interpretieren verstand. Scheinbare Nebenbemerkungen, die Rosenberg in den Gang der Erzählung einstreute, erhellen wie Schlaglichter die Motive der politischen Akteure, die diese selbst hinter einer Wand hochtönender Phrasen zu verbergen suchten. Rosenbergs klare Sprache war nicht zuletzt ein Ergebnis seiner jahrelangen Lehrtätigkeit in der Berliner Hochschule für Politik wie in Volkshochschulen, in denen er bei bildungshungrigen Arbeitern und Angestellten eine dankbare Schülerschaft fand. Weit besser als mit jeder anderen zeitgenössischen Arbeit konnte und kann man mit Rosenberg auf eine Entdeckungsreise durch die deutsche Geschichte zwischen 1871 und 1934 gehen; eine Zeit, deren Wirkungen noch stets spürbar sind und uns noch immer beschäftigen.
Der hier vorliegende Text Arthur Rosenbergs fasst seine beiden Bücher zusammen, die zuerst mit den Titeln Die Entstehung der deutschen Republik und Geschichte der deutschen Republik 1928 bei Rowohlt in Berlin und 1935 im Verlag Graphia im tschechischen Karlsbad erschienen. Dem zweiten Band angefügt ist ein „Epilog“, der den Gang der Ereignisse bis zum Jahr 1934 zieht. Rosenberg schrieb dieses Kapitel nach seiner Emigration in Liverpool wahrscheinlich in Englisch; jedenfalls ist keine deutsche Fassung bekannt. Dieser Epilog, der in den englischen und amerikanischen Ausgaben von A History of the German Republic seit 1936 abgedruckt ist, fehlte bislang in allen deutschen Editionen. Er wurde vom Herausgeber unter größtmöglichem Bemühen, Arthur Rosenbergs Stil treu zu bleiben, übersetzt. Die vorliegende Edition beinhaltet auch die Vorworte zu den Erstausgaben beider Bücher sowie eine in späteren deutschen Editionen weggelassene Passage zum Flaggenstreit in der Weimarer Republik. Kurt Kerstens Vorwort, das den deutschen Ausgaben seit 1955 vorangestellt war, wurde jedoch durch die hier abgedruckten Bemerkungen ersetzt. Diese möchten in Arthur Rosenbergs Leben und in zentrale Gedanken beider Bücher sowie in deren zeitgenössische wie spätere Rezeption kurz einführen.2
I. Ein vierfacher Außenseiter zwischen Berlin, Liverpool und New York
Die Zäsuren in Arthur Rosenbergs Biographie stehen für die Wegscheiden der deutschen und europäischen Geschichte und machten ihn zum vierfachen Außenseiter. Als Jude gehörte Rosenberg zu einer grausam verfolgten Minderheit, dem nur knapp die Flucht aus seinem Geburtsland gelang, als ausgebildeter Althistoriker wandte er sich der Zeitgeschichte zu, als Kommunist geriet er in Konflikt mit seiner Partei, als Paria im Universitätsbetrieb erreichte er erst sehr spät im Exil eine – schlecht bezahlte – Festanstellung. Als Wissenschaftler aber hinterließ er Spuren, die Vertreibung und Verleumdung nicht auszutilgen vermochten.
Arthur Rosenberg wurde am 19. Dezember 1889 in Berlin in einer Familie des jüdischen unteren Mittelstandes geboren. Sein Vater Georg Henry, ein Geschäftsmann, und seine Mutter Helene stammten beide aus dem Gebiet Rosenberg/Rózsahegy (heute Ružomberok), das damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte und jetzt ein Teil der Slowakei ist. Beide Eltern waren assimilierte Juden. Arthur und seine Schwester Jenny wurden nach ihrer Geburt protestantisch getauft.
Georg Henry Rosenberg starb in recht jungen Jahren, und so hatte die Familie Mühe, den Unterhalt zu sichern. Ein Stipendium der Gustav-Levinstein-Stiftung ermöglichte Arthur Rosenberg den Besuch der höheren Schule. 1907 bestand er sein Abitur mit sehr gutem Ergebnis am Askanischen Gymnasium, einer der besten Lehranstalten Berlins. Von 1907 bis 1911 studierte er Alte Geschichte, Philologie und Archäologie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der damals bestangesehenen Alma mater Mitteleuropas.
Rosenberg schloss sich eng seinem Lehrer Eduard Meyer an, einem international herausragenden Forscher zur Sozialgeschichte der Alten Welt. Meyer und Otto Hirschfeld begutachteten seine Dissertation über Untersuchungen zur römischen Zenturienverfassung. Die Arbeit erschien in erweiterter Form im Buchhandel und wurde mit dem Preis der Johann-Gustav-Droysen-Stiftung ausgezeichnet.3 Dies ermöglichte Rosenberg, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.4
Er arbeitete zunächst für die Frankfurter Zeitung, einem der führenden Blätter Deutschlands, und war an der Herausgabe von Ullsteins Weltgeschichte beteiligt. Zeitweilig hielt er sich in Italien auf, um das Material für seine Habilitationsschrift zusammenzutragen. Im Januar 1914 habilitierte der noch nicht 25-Jährige sich mit der (bereits gedruckt vorliegenden) Arbeit Der Staat der alten Italiker. Verfassung der Latiner, Osker und Etrusker, worin er die verschiedenen Regierungsformen in den Stadtgemeinden des vorrömischen Italiens untersuchte.5 Bis zu Beginn der 1920er Jahre erarbeitete er sich einen Ruf als einer der produktivsten jüngeren deutschen Althistoriker.6
Rosenberg war gerade Privatdozent geworden, als der Erste Weltkrieg begann. Der glühende deutsche Patriot meldete sich als Kriegsfreiwilliger. 1915 wurde er zur Armee eingezogen und diente die meiste Zeit im Kriegspresseamt, wo er auch General Ludendorff kennenlernte, doch war er auch kurz an der Westfront eingesetzt. Daneben fand er Zeit für eine Neuherausgabe von Droysens Geschichte Alexanders des Großen, für die er eine Einleitung schrieb.7 Politisch stand er der rechtsgerichteten Deutschen Vaterlandspartei nahe, in der auch sein Lehrer Eduard Meyer wirkte. Einige Biographen nennen eine Mitgliedschaft in der Vaterlandspartei.8 Rosenberg betonte hingegen, er habe in der Zeit bis zum 10. November 1918 keiner politischen Partei oder Organisation angehört. 1918 war er aussichtsreicher Kandidat für eine Professur an der Prager Universität, die dann aber Arthur Stein erhielt.
Wie viele Deutsche seiner Generation verlor Rosenberg jedoch alle Illusionen über die alte soziale Ordnung, die für vier Jahre eines gegenseitigen Tötens auf Europas Schlachtfeldern und in den Schützengräben stand. Er gehörte alsbald zur Minderheit derer, die im sozialistischen Internationalismus eine Alternative zum deutschen Nationalismus sahen.
Im November 1918 schlug sich Rosenberg auf die Seite der äußersten Linken, was zum Bruch mit Eduard Meyer führte. Fortan war er beinahe ein Paria im Universitätsbetrieb. Im Februar 1921 erteilte ihm die Philosophische Fakultät einen strengen Verweis und drohte ihm mit dem Entzug der Lehrbefugnis, nachdem er sich in einem Untersuchungsverfahren für einen Studenten eingesetzt hatte. Dieser hatte die nazifreundlichen Brüder Leonardo und Silvio Conti als Reichswehrinformanten enttarnt, worauf sie den Studenten beim Akademischen Senat wegen Beleidigung angezeigt hatten.9
Noch 1918 wurde Arthur Rosenberg Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), die sich zwei Jahre darauf spaltete. Ihr linker Flügel, zu dem Rosenberg gehörte, schloss sich 1920 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an. Seine Rede auf dem Vereinigungsparteitag von USPD und KPD bezeugte seinen revolutionären Enthusiasmus. „Genossen!“, rief er aus. „Die weltrevolutionäre Lage liegt zurzeit so, daß die Welle nach Mitteleuropa geht. Italien und Deutschland werden reif für den Entscheidungskampf, und diesen Entscheidungskampf werden wir in diesen beiden Ländern mit ziemlich ähnlicher Taktik führen müssen.“10 Er konstatierte, die italienische Regierung habe nicht gewagt, die von den Arbeitern besetzten Fabriken anzugreifen, da die Arbeiter gut bewaffnet seien. Entsprechende Kampfmethoden seien für Deutschland nötig.
Neben seiner Tätigkeit als Privatdozent an der Universität unterrichtete Rosenberg an der Berliner Volkshochschule und publizierte Beiträge zur Arbeiterbildung, so die kleine, ganz auf Nicht-Akademiker ausgerichtete Schrift Demokratie und Klassenkampf im Altertum, in der er jedoch Kategorien der modernen Sozialgeschichte – ganz entgegen seiner bisherigen Arbeitsweise – recht grob auf die so andersgeartete Realität der alten Welt anwandte.11 Anfang 1921 wurde er zum kommunistischen Stadtverordneten für Groß-Berlin gewählt. Er wurde durch seine Auftritte auf KPD-Parteitagen bekannt. Im August 1921 erklärte er: „Wir gehen großen Perioden heftiger Kämpfe entgegen“; dies werde „zu großen Zusammenstößen mit der Staatsgewalt führen; das ist vollkommen klar.“12 Er ignorierte die Tatsache, dass diese Politik der putschistischen Märzaktion von 1921 zugrunde gelegen und zu einer Katastrophe für die deutschen Kommunisten geführt hatte, da diese von der Mehrheit der deutschen Arbeiter vollkommen isoliert geblieben waren. Sogar die neuerliche Niederlage im Herbst 1923 konnte seine Haltung, dass Deutschland für eine kommunistische Revolution reif sei, nicht erschüttern. Folglich gehörte er zur Linksopposition um Ruth Fischer und Arkadij Maslow, die sich gegen die realistischere Politik Heinrich Brandlers, des Parteivorsitzenden, und August Thalheimers, des damals bedeutendsten Theoretikers der Partei, wandten.
Im Frühjahr 1924 übernahm die bisherige Linksopposition 1924 die Parteiführung. Nunmehr rückte Rosenberg innerhalb der KPD rasch auf. Noch 1924 wurde er in die Leitung des Parteibezirks Berlin-Brandenburg, einer der wichtigsten Bezirksorganisationen, gewählt. Im gleichen Jahr stieg er auf dem Frankfurter Parteitag in die Parteizentrale auf. Im Mai 1924 wurde er Reichstagsabgeordneter und übte sein Mandat bis zu den Wahlen von 1928 aus. Auf dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) wurde er im Juli 1924 zum Präsidiumskandidaten des Exekutivkomitees (EKKI) gewählt. Auch schrieb er zahlreiche Artikel für die Komintern-Presse zu Fragen der internationalen Beziehungen.
In der KPD bestimmte Rosenberg mit Ruth Fischer und Werner Scholem zunächst den ultralinken Kurs. In einer Rede vor der Chemnitzer Parteiorganisation erklärte er, „daß es nicht von Bedeutung sei, ob die Partei ein oder zwei Millionen Stimmen bei dem „parlamentarischen Affentheater“ verliere. Die einzige Aufgabe sei die Bewahrung des Geistes der Revolution und der proletarischen Organisation.13 Im April 1925 kritisierten Rosenberg, Scholem und Iwan Katz sogar Fischer und Maslow, die in Übereinstimmung mit der Komintern-Führung eine „relative Stabilisierung“ der kapitalistischen Weltordnung konstatiert hatten.14
Rosenberg hielt bis zum Herbst 1925 an dieser ultralinken Haltung fest. Seitdem aber rückte er davon ab. In der Atmosphäre der Stabilisierung in der Mitte der zwanziger Jahre begriff er, dass für revolutionäre Abenteuer jede Voraussetzung fehlte. Im November 1925 schrieb er einen Artikel, in dem er klar feststellte, dass die KPD nur bei einer Minderheit der Arbeiter über Einfluss verfüge; die Mehrheit folge weiterhin den Sozialdemokraten, der katholischen Zentrumspartei und sogar nationalistischen Kräften. In einer nichtrevolutionären Situation vertrete die SPD die Interessen der Arbeiter besser und effektiver als die KPD. Für eine solche Lage, schrieb Rosenberg, habe die KPD eine ernsthafte, sachliche Strategie nicht gefunden. Die Mehrheit der arbeitenden Menschen würde die Partei „für einen konfusen Haufen von Thesenfabrikanten, Radaumachern und Putschisten halten.“15
Diese Art der Kritik und Selbstkritik brachte Rosenberg in Kontakt mit der von Ernst Thälmann geführten Fraktion. Thälmann, früher ein Ultralinker, schien jetzt für die Strömung in der KPD zu stehen, die sich mehr an der Realität orientierte. Rosenberg hoffte auch, dass eine KPD-Führung mit Thälmann gegenüber der sowjetischen Parteiführung eine unabhängigere Position beziehen werde, was eine völlige Fehleinschätzung war.
Unterdessen entwickelte Rosenberg im Reichstag eine Reihe von Initiativen. Seine wichtigste parlamentarische Aktivität war seine Mitarbeit im Reichstagsausschuss zur Untersuchung der Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Weltkrieg. Durch die Mitgliedschaft im vierten Untersuchungsausschuss erhielt er Zugang zu einer Vielzahl von Primärquellen und Dokumenten, die sein Interesse für Zeitgeschichte verstärkten.
Doch nahm Rosenberg besorgt die immer stärkere Unterordnung der KPD unter das Regime Stalins wahr. Am 26. April 1927 trat er deshalb aus der Partei aus. In einem Brief an die Parteiführung, den die SPD-Presse am folgenden Tag veröffentlichte, nannte er die kommunistische Niederlage in China und die Unterwerfung der verschiedenen kommunistischen Parteien unter die Moskauer Politik als Gründe für seinen Schritt.16 Er blieb fraktionsloser Abgeordneter des Reichstages. Nunmehr kritisierte Rosenberg die KPD und ihre „romantische Phraseologie, die nicht im Entferntesten eine reale Bedrohung der bestehenden Staatsordnung darstellt. […] Durch diese Romantik werden Millionen Arbeiter davon abgelenkt, in realer sachlicher Weise ihre Tagesinteressen zu vertreten. Der Kampf gegen die Romantik bringt eine außerordentliche Energieverschwendung für die übrigen Tendenzen und Richtungen der Arbeiterbewegung mit sich […].“17
Nach den Reichstagswahlen von 1928 verlor Rosenberg sein Abgeordnetenmandat. Um seine Familie – seine Frau Ella und die Kinder Liselott und Wolfgang – ernähren zu können, nahm er eine Stelle als Lehrer am Köllnischen Gymnasium an, wo der spätere Agrarökonom Theodor Bergmann zu seinen Schülern zählte.18 Die von Siegfried Kawerau geleitete Schule war durch die progressiven Bildungsreformen der SPD-geführten preußischen Regierung und des Berliner Magistrats geprägt. Gleichzeitig unterrichtete er als Privatdozent an der Berliner Universität. Unter seinen Hörern war der spätere Historiker der französischen Revolution, Walter Markov.19 Nunmehr publizierte Rosenberg in verschiedenen SPD-nahen Organen und wurde Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte. Gegen den Widerstand der konservativen Berliner Fakultät ernannte ihn der preußische Kultusminister Adolf Grimme 1930 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor.
Der 30. Januar 1933 veränderte Arthur Rosenbergs Leben völlig. Der Marxist jüdischer Herkunft musste aus Hitler-Deutschland fliehen. Im März 1933 verließ er mit seiner Familie Berlin. Über Konstanz, wo Verwandte seiner Frau lebten, ging er nach Zürich, dann unter großen Schwierigkeiten 1934 nach London und von dort nach Liverpool, wo ihm die dortige Universität einen Lehrauftrag in Alter Geschichte anbot. Aber die Universität sah sich nicht imstande, ihm eine dauerhafte akademische Stellung zu geben. Nach dem Ende seines Dreijahresvertrages verließ Rosenberg 1937 England und ging in die Vereinigten Staaten, der letzten Station seines Lebens.
Im November 1937 erreichte die Familie New York. Einige Wochen später nahm Rosenberg seine althistorische Lehrtätigkeit am Brooklyn College wieder auf. Die Stelle, für die sich der Präsident des College, Jesse Clarkson, und die Historikerin Madeleine Robinton eingesetzt hatten, war zwar schlecht bezahlt, doch erhielt Rosenberg finanzielle Unterstützung sowohl vom Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars als auch von der Carl Schurz Foundation. Zum 1. Januar 1941 stellte ihn das Brooklyn College fest als Instructor an. Die schlechte Bezahlung bedeutete jedoch, dass er weiterhin von der Gehaltsaufbesserung durch die Stipendien abhing. Politisch blieb er aktiv: Im Frühjahr 1942 trat er der von KPD-nahen Emigranten, darunter seinem Freund Felix Boenheim, gegründeten German American Emergency Conference bei, die sich mit Planungen für ein Deutschland nach Hitler befasste.
Doch wurde Rosenberg, der bis dahin seiner jüdischen Herkunft keine große Bedeutung beigemessen hatte, nunmehr auch zum sozialistischen Zionisten. 1939 publizierte er eine Reihe von Aufsätzen in der linkszionistischen New Yorker Monatszeitschrift Jewish Frontier. Die britischen Spezialisten für den Nahen Osten, so Rosenberg im Juni 1939, seien gewiss keine Antisemiten im Sinne Hitlers. Sie seien auch keine Feinde der jüdischen Kapitalisten, aber hassten die jüdische Gewerkschaft, die Histadruth, und „die freie Selbstverwaltung der jüdischen Bauern und Arbeiter. Wenn die Juden fähig wären, eine funktionierende Demokratie in Palästina aufzubauen, dann könnten sie durch dieses Beispiel den ganzen Nahen Osten ‚entgiften‘. Die armen arabischen Arbeiter und Bauern würden vielleicht entdecken, dass sie auch menschliche Wesen sind und würden sich gegen ihre einheimischen Unterdrücker und deren britische Freunde wenden.“20 Seit 1939 hielt Rosenberg jährliche Sommerkurse in Liberty in den Catskill Mountains im Staate New York ab, die von der linkszionistischen Studentenvereinigung Avukah (Fackel) organisiert wurden.
Im Herbst 1942 wurden Arthur Rosenbergs Stipendien nicht verlängert. In einem bewegenden Brief an Betty Drury, die Sekretärin des Emergency Committee, schrieb er, seine „Situation hat sich verschlechtert. Während der letzten Monate bekam ich Schmerzen in der Hüfte und begann mit dem rechten Fuß zu hinken. Als die Schmerzen immer stärker wurden, habe ich einen Spezialisten aufgesucht. Dieser sagte mir, eines meiner Beine sei ernsthaft geschädigt und würde die umliegenden Organe des Körpers angreifen. Ich muß mich einer langwierigen Röntgenbehandlung unterziehen. Trotz meiner Krankheit werde ich versuchen, soweit dies irgend möglich ist, meinen akademischen Verpflichtungen nachzukommen. Sie wissen, wie teuer eine solche Röntgenbehandlung ist, und ich weiß zur Zeit nicht, wie ich mir das leisten kann. Ohne die Behandlung muß ich in naher Zukunft meine akademische Tätigkeit aufgeben. Bitte informieren Sie das Komitee über diese neue Lage. Ein Stipendium ist deshalb dringender denn je zuvor.“21
Am 1. Februar 1943 wurde Arthur Rosenberg in das Long Island College Hospital in Brooklyn eingeliefert. Sechs Tage später starb er im und wohl auch am Exil. Sein Freund und Kollege Hans Rosenberg, der nicht mit ihm verwandt war, erreichte, dass das Brooklyn College der Familie die einmalige Summe von 2000 Dollar zukommen ließ. Eine Mitteilung hielt fest, das Geld werde aufgrund einer Verzögerung nicht vor Mai eintreffen. Rosenbergs Grab befindet sich auf dem Friedhof Cypress Hills in Brooklyn.