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Loe raamatut: «Lache Bajazzo», lehekülg 6

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Sechstes Kapitel

Cläre Holten an den alten Brand.

Mein lieber Freund!

– schrieb Cläre Holten an den alten Brand – Sie haben recht mit allem, was Sie schreiben, und ich würde handeln, wie Sie es von mir erwarten, wenn ich ein Mann wäre. Ich kenne die Pflichten, die ich gegen Carl, als Menschen und Dichter habe, und bringe auch die Kraft auf, meine Gefühle als Weib, das ich trotz meinen vierzig Jahren doch nun mal bin, auszuschalten und alles vernunftmäßig zu behandeln. Aber was nutzt es, wenn ich es tue? Jeden Einwand, den ich mache, jedes Bedenken, das ich äußere, wird er ja doch in erster Linie als den natürlichen Versuch des Weibes deuten, das den Mann entgleiten sieht. Alles wird er unter diesem Gesichtswinkel betrachten, von dem aus jedes meiner Argumente seine Beweiskraft verliert.

Ich glaube mit Ihnen, daß er sich noch immer in aufsteigender Linie bewegt und daß erst die nächsten Jahre seine Höhe bringen werden. Ich glaube auch, wie Sie, daß er begnadet ist wie zurzeit kein anderer deutscher Dichter, und daß sein Werk nicht ihm, sondern der Welt gehört. Ich weiß auch, daß er, um zu schaffen, seine Berge und einen gleichgesinnten Menschen braucht; weiß das alles ja weit besser noch als Sie es wissen können, bester Freund, die ich in der Zeit seines Schaffens jedes Werden eines Gedankens, jeden Ausbruch eines Gefühls schweigend miterlebe – dafür sorge, daß ihn in seiner Welt nichts stört, was oft weit schwerer ist, als Sie es sich denken können.

Alle diese meine Pflichten kannte und kenne ich, und es tut nicht not, daß Sie mich an sie erinnerten.

Ich aber habe allen Erwägungen des Freundes und Verlegers, die gewiß den besten Absichten entspringen und der Ausdruck besorgtester Freundschaft, in letzter Linie aber doch die Sorge um sein Werk sind, als Frau und Kameradin noch etwas anderes entgegenzusetzen, und das ist: die Sorge um sein Glück.

Mir hat in den zwanzig Jahren unserer ehelichen Kameradschaft sein Glück stets mehr gegolten als sein Ruhm. Steinigen Sie mich! aber ich will ihn lieber ruhmlos glücklich sehen, als daß die ganze Welt ihm Kränze flicht, während ihn eine unerfüllte Sehnsucht quält. Abgesehen davon, daß ich es dann wäre, die der Erfüllung sein Wünsche im Wege steht, würde damit die Frage, die für Sie als Freund und Verleger von so großer Bedeutung ist, ja doch eine negative Lösung erfahren. Denn wenn Sie glauben, daß er, innerlich zerrissen, auch nur ein Werk gleichwertig den früheren zu Ende bringt, dann kennen Sie ihn und seine Art nicht.

Gelänge es aber wirklich, seiner Leidenschaft, die sich vertieft hat und kein Rausch mehr ist, mit Mitteln, die ich nicht kenne, wirksam zu begegnen und das seelische Gleichgewicht wieder in ihm herzustellen, glauben Sie mir: es wäre nur ein gewaltsames Halten und Zurückdrängen; das Gefühl wäre nicht tot, es würde in seinem Unterbewußtsein weiterleben, um eines Tage mit doppelter Kraft wieder hervorzubrechen. Für das Gefühl gilt noch immer: was ist, ist, und kann nur durch sich selbst enden. Einwirkungen von außen, Bemühungen Dritter schaden mehr als sie nützen. Besonders bei einer Natur wie der Carls, der jeder Zweck fremd ist und die ganz nur auf das Gefühl gestellt ist.

Die Zumutung, ihn für seine Gefühle auch nur einen Augenblick lang verantwortlich zu machen, lehne ich als denkdumm ab. Auf seine Gefühle einzuwirken, dagegen sträubt sich außer den tatsächlichen Gründen, die ich Ihnen verständlich gemacht zu haben glaube, auch meine weibliche Ehre.

Die Frage, die allein ich mir vorlege, lautet: ist es sein Glück? Und warum soll es das nicht sein, nach allem, was ich von dieser Agnes weiß und höre? – Meine Aufgabe kann demnach nur darin bestehen, mich davon zu überzeugen. Das, freilich, muß geschehen. Denn aus ihren Briefen gewinnt man kein Bild. Wie Sie wissen, spricht Carl mit mir über alles und gibt mir auch ihre Briefe zu lesen. Er meint es gut und kann bei seiner Mitteilsamkeit und Ehrlichkeit wohl auch nicht anders. Aber leichter macht er es mir dadurch nicht. Jedenfalls sind diese Briefe dem Geiste nach einander so unähnlich, als wenn nicht ein und derselbe Mensch sie geschrieben hätte. Ich lege die letzten bei, bitte lesen Sie sie! —

In dem Augenblicke aber, in dem ich mich davon überzeuge, daß diese Frau sein Glück ist, ist es meine Pflicht, Platz zu machen. Nicht etwa in Form eines Opfers, indem ich mit großer Gebärde Verzicht leiste und ihm Schmerz bereite, sondern indem ich mich kameradschaftlich zu ihm stelle und Anteil nehme, damit er seines Glücks auch froh werden kann.

Fragen Sie mich nicht phrasenhaft, ob ich diese Größe auch werde aufbringen können. Ich liebe Carl! Und was mir bei einem Menschen, den ich liebe, über alles geht, also auch über seinen Ruhm und über mich – ist sein Glück. Und darin suchen Sie nicht nur den Grund für die Ablehnung der in Ihrem Briefe ausgesprochenen Bitte, sondern auch die Erklärung für alles, was nun folgen wird.

In Freundschaft Ihre
Cläre Holten.

Diesem Schreiben lagen die folgenden Briefe bei:

Mein Carli!

Obgleich ich von früh bis spät nicht zum Ausruhen komme, so denke ich doch bei allem, was ich tue, an Dich. Es ist sehr traurig, daß wir so viel getrennt sein müssen. Menschen, die sich lieb haben, sollten immer zusammen sein. Aber das liegt ja nicht in meiner Macht. Wenn es nach mir ginge, so wüßte ich wohl, was ich täte. So gebe ich mich mit dem zufrieden, was mein Herr und Meister für richtig hält, und hoffe nur, daß es mir gelingt, mir seine Liebe zu erhalten und mich ihrer jederzeit würdig zu erweisen.

Ich habe den dramatischen Unterricht bei Fräulein Pforten aufgegeben, da ich bemerkt habe, daß sie mich absichtlich Falsches lehrt. Statt dessen lerne ich jetzt bei Frau Führer das, was mir zur vollständigen Ausbildung noch fehlt. Die Frau Geheimrat hat sie mir empfohlen. Die sorgt überhaupt selbstlos und rührend für mich wie eine Mutter. Und Dich, Carli, vergöttert sie.

Ich mag überhaupt nur mit Leuten zusammen sein, die Dich mögen und mit denen ich von Dir sprechen kann. Nicht, um ihnen von meiner Liebe zu erzählen! die trage ich wie ein Heiligtum in mir. Aber es tut doch schon wohl, von Dir reden zu können. Glaubst Du’s?

Mein ganzer Eifer gehört jetzt dem Studium meiner Rolle; beherrsche ich sie auch schon völlig, so finde ich doch alle Tage kleine Nuancen, die die Wirkung steigern. Ich zittere voller Ungeduld dem für mich bedeutungsvollen Abend entgegen, an dem ich zum ersten Male der Welt Deine Dichtung vermitteln darf. Wenn Du nur mit mir zufrieden sein wirst! Das ist mein tägliches Gebet. Denn mein Leben kennt nur noch einen Zweck: Dir zu gefallen, Carli!

In Liebe Dein
Vögelchen.
Mein Carli!

Wie die Stunden fliegen! Nun sind es bloß noch fünf Tage bis zu Deiner Rückkehr. Und doch scheint mir jeder Tag, den ich ohne Dich verlebe, verloren. Dabei arbeite ich von früh bis spät, um Dir Ehre zu machen. Es ist nicht allein meine Rolle, die ich immer mehr vertiefe; es sind tausend andere, kleine Dinge des täglichen Lebens, die ich mir unter Assistenz der Frau Geheimrat aneigne. Mein Leben hat erst durch Dich Inhalt bekommen, Carli! Mir kommt es manchmal vor, als wenn ich geträumt hätte, bis Du kamst und mich mit Deiner Liebe zu wecken. Sei innig umarmt von Deinem

Vögelchen.

Geliebter Carli,

also denk dir bloß an, ich hab mich doch mit der ollen Geheimrätin verkracht. Was sagst du? Eigentlich deinetwegen, aber ich habe sie wirklich nicht nötig, es geht auch so und es wird auch schon werden, und du mußt nur ein bißchen Geduld mit mir haben und Nachsicht. Jetzt ist doch überhaupt alles ganz anders, damals wußte ich ja selbst noch nicht, was ich wollte und worauf es ankam. Aber nun, jetzt weiß ich’s und insofern bin ich der Alten ja dankbar und werde mich auch schon vertragen, denn sieh mal erstens und dann hat sie ein böses Maul und kennt doch eine Unmenge Rezensenten, und wenn die sich auch nicht verhetzen lassen, aber schaden können sie doch. Entschuldige, wenn ich heut nicht so schwollen schreibe, aber Probe und Probe und tanzen und Schneiderin und die Corsetiere und Französisch und Klavier und alles so gehetzt, du kannst dir nicht denken, wie! Ohne das Auto vom Geheimrat wärs kaum möglich. Du mußt mehr arbeiten, glaub ich, und vor allem nicht so langsam, damit du Geld verdienst, du weißt ja nicht, wie teuer alles ist und was son Automobil kostet. Aber du sollst dich von mir nicht lassen treiben, nur meine Unruhe immer ohne dich, das ist schrecklich und daß dir was zustößt, darum wäre ich viel ruhiger, wenn wir zusammen wären und ich säße bei dir, wenn du nichts tust. Aber alle Jahre, da müßten wir eine Reise machen, und dann tust du nichts und ich auch nichts und wir leben nur miteinander, du wirst sehen, dann kommen dir auch schon von selbst Gedanken; ach wäre das schön, Carli! Reisen, Träume! Träume und wenn wir dann da unten sitzen, du weißt schon, da soll es so schön und warm sein, dann bin ich lieb, lieb zu dir, fahre dir mit den Händen durchs Haar, ganz langsam hin und her, wie du’s so gern hast, und du wirst sehen, Carli, wie die dummen weißen Haare dann wieder schwarz werden und alle sich wundern und du dich auch, wie jung du bist. Ich will dich gar nicht mehr loslassen, Carli. Aber das mußt du selbst ja wissen, ob wir zusammen gehören, ich weiß es und werde sehr traurig sein, wenn du anders fühlst. So! Nun komm! Denn das ist das letzte Mal, daß ich schreibe, da du nun übermorgen bei mir bist. Ich schlafe nicht mehr und lebe immer mit dem Gedanken an den ersten Abend im Theater. Du wirst ja sehen, und obgleich Estella im Theater hinter mir herhetzt, sind sie alle sehr nett und auf meiner Seite. Also Carli, nun denk an mich, aber tu’s auch, ich hab doch so viel und alles, ich schriebs ja, und denke doch immer: wie wäre das schön, wenn wir beide – ich fühle das so! dein Vögelchen küßt dich.

Diese Bilder sind alle für dich und auch dazu gemacht, daß du dich freust.

Dein Vögelchen.
*

Der alte Brand an Cläre Holten.

Beste Freundin!

Ich achte Ihren Standpunkt, ohne ihn billigen zu können. Aber ich sehe, ich werde Sie zu meiner Auffassung nicht bekehren, die am Ende auch veraltet ist. Ich kann mir nicht denken, daß ein Mann ohne Achtung vor sich selbst glücklich sein kann. Und das wäre hier der Fall. Wie ich denn überhaupt glaube, daß Leistung und Pflichterfüllung für ein Glück, das Bestand haben soll, unentbehrlich sind.

Mit Carl kann ich über die Dinge nicht sprechen. Unsere Welten sind zu verschieden. Er sieht mich treuherzig mit seinen Knabenaugen an und versteht mich nicht. Deshalb wandte ich mich an Sie. Also muß man den Dingen ihren Lauf lassen, dem ich für meine Person hoffnungslos entgegensehe.

Die Briefe, die Sie mir zur Einsichtnahme überließen, lege ich bei. Ihre Unähnlichkeit erklärt sich, glaube ich, aus dem Zerwürfnis mit der Frau Geheimrat, die ihre Helferin und Beraterin ist.

Ich bin, liebe Freundin, immer zu Ihrer Verfügung!

Gute Wünsche Ihr Brand.
*

Als, Carls Stück vom Neuen Theater in das Stadttheater übersiedelte, spielte Agnes am ersten Abend an Stelle Estellas von Pforten die Helena.

Am Tage zuvor las man in den Blättern:

»Infolge leichter Indisposition Estella von Pfortens wird am Freitag Fräulein Agnes Holl als Helena im Stadttheater debutieren.«

Am gleichen Abend fand im Neuen Theater die seit Wochen mit großer Spannung erwartete Erstaufführung des Holtenschen Dramas »Das erwachte Gewissen« statt. Die Hauptrolle spielte Fräulein Wedelly von der Burg. Das Haus war seit einer Woche ausverkauft. Zwei Tage vor der Premiere zahlte man zwanzig Mark und mehr für einen Parkettplatz. Als dann über die Blätter am nächsten Tag die Notiz brachten, daß im Stadttheater Agnes Holl als Helena debutieren würde, suchten Hunderte ihre mühsam und teuer erworbenen Karten gegen Karten für das Stadttheater einzutauschen. Am Mittag schon gab es kein Billett mehr, und die Händler boten gute Parkettsitze zur Holtenpremiere wieder wie vor vierzehn Tagen für zehn Mark an. Jeder ahnte, wer Agnes Holl war. Wenn man sie auch in den Theatern, in den Hotels und Restaurants, auf den Rennen, den Concours-Hippiques und auf den Modeschaus nur unter dem Namen »die schwarze Agnes« kannte, ohne daß jemand wußte, woher die Bezeichnung kam. Wie sie wirklich hieß, wußte niemand. Daß aber Holl nicht ihr richtiger Name war und daß sie ihn nur unter Anlehnung an Holten für die Bühne angenommen hatte, hielt man für sicher.

Der Abend unterschied sich äußerlich durch nichts von einer Premiere; es war dasselbe Publikum, das vor Monaten das Stück aus der Taufe gehoben und dem Dichter und jedem Akte zugejubelt hatte. Und wie damals dem Dichter, so jubelte man heute Agnes zu, die auch hier weniger durch ihre Leistung als durch ihren Reiz bestach und eine Gewandtheit und Sicherheit zeigte, wie man sie bei einer Anfängerin nicht für möglich gehalten hatte.

Die literarische Kritik stimmte darin überein, daß man es hier mit einer ebenso reizvollen wie starken Persönlichkeit zu tun hatte. Im übrigen verhielt sie sich zurückhaltend und lehnte es ab, auf Grund dieser Leistung ein abschließendes Urteil über ihr Können und ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu fällen, um so mehr als sie sich mit einem Anpassungsvermögen, das bewundernswürdig, aber zugleich bedenklich sei, an ihre Vorgängerin anlehne. Man erkannte an, daß sie in manchen Szenen über die Pforten hinausgewachsen sei, fand die Erklärung hierfür aber nicht in einer tieferen Innerlichkeit, vielmehr in dem Aeußeren, das bestach, und der Jugend, die sie vor ihrer Vorgängerin voraus hatte; schließlich auch in dem stärkeren Intellekt, den man für ihre Fortentwickelung aber für nicht ungefährlich hielt. Man sprach den Wunsch aus, ihr bald einmal in einer Rolle, die schlichteste Menschendarstellung verlangte, zu begegnen.

Indes die Kritik, die nicht in die Tiefen schürfte und die daher nicht forschte, auf welchem Wege die Leistung zustande kam – ob sie im Innern keimte, wuchs, erlebt wurde und dann als Eigenes ohne Mitteilung des Verstandes und ganz unbewußt auf der Bühne lebte, oder ob sie ihre Rolle als etwas Fertiges, Fremdes, Unpersönliches von außen in sich aufnahm, durch den Verstand gehen ließ und dann, jeden Augenblick der Wirkung bewußt, spielte – diese Kritik war voll des Lobes und feierte Agnes als schauspielerisches Phänomen.

Aus der »schwarzen Agnes«, die man bisher zwar beschnüffelt, bestaunt, nachgeahmt, im stillen begehrt und beneidet, bei alledem aber doch nicht für ganz stubenrein gehalten und nicht ganz für voll genommen hatte, wurde über Nacht »Agnes Holl«, die große Künstlerin, die man laut pries, bewunderte und suchte, mit deren Freundschaft man sich brüstete und die jetzt selbst Backfische und Primaner öffentlich anschwärmen durften.

Auch Carl hatte an diesem Abend einen Erfolg, den die Kritik in ihrem Urteil, daß Holten der erste Dichter seit Strindberg war, bestärkte. Und der Geheimrat übertrieb nicht, als er des Abends Carl und Agnes feierte und sagte:

»Carl Holten und Agnes Holl werden in der Welt des Theaters morgen die best- und meistgenannten Namen sein. Darauf, daß sie es bleiben und daß sie uns noch viele solcher Siege gemeinsam bescheren, darauf leere ich mein Glas Carl Holten und Agnes Holl, sie leben hoch!«

»Also, wer, wer erfährt das nun alles von mir?« fragte Agnes fiebernd vor Glück.

»Die ganze Welt!« sagte der Geheimrat.

»Und mein Name steht überall dabei?«

»Selbstverständlich!«

»Aber das Bild – wie ich aussehe, weiß man nicht?«

»Ich denke mir, daß die illustrierten Zeitungen nach dem Erfolg sämtlich Ihr Bild bringen werden.«

»Kann man nichts tun dafür? – kann man nicht zu ihnen gehen? – schon damit sie kein falsches – am Ende gerade ein unvorteilhaftes . . .«

Der Direktor klopfte ans Glas. »Bitte, bitte! Direktor, nicht jetzt!« unterbrach ihn Agnes. »Ich weiß ja, Sie lassen mich leben! Schön! Aber das hier ist ja weit wichtiger – wir wissen ja nun – prost!«

Und sie hob ihr Glas und trank ihm zu. Der Direktor war verblüfft und setzte sich; Alle lachten.

»Also, geliebtes Geheimrätchen,« fuhr sie unbekümmert fort, »sagen Sie, was meinen Sie, wenn Carl zu den Leuten ginge – oder ich – oder beide – aber noch besser – Sie gehen mit mir – Carl, der kann das nicht!«

»Dann müßten wir ja eine Reise um die Welt machen.«  Sie sah ihn groß an.

»Sie meinen?« und dachte nach, »ach so ja, da haben Sie recht, das geht nicht, ich muß ja auch spielen – also – also —« sagte sie ganz nervös, »dann brieflich.«

»Das heißt, die besseren Blätter haben ja hier ihre Vertreter – und auf die anderen legen Sie ja wohl keinen Wert?«

»Doch! doch! Die anderen auch! Gerade die anderen. Das ist sehr wichtig!« Und sie dachte an Otto und an das Ferkel. »Aber dem kann ich’s ja auch schicken. – Sie lachen! Aber was hat das alles für ’n Sinn, wenn man’s nicht ausnutzt! Glauben Sie, daß ich gastiere? Womöglich eine Tournee? – Carli, Liebling, da mußt du mit! Ueberhaupt jetzt – Ich hab’s,« rief sie plötzlich, »wissen Sie, was wir tun? Wir müssen zusammen, der Carli und ich, auf ein Bild, und das muß dann in die Blätter und in die Schaufenster und auf Postkarten – Kinder! Kinder! Ist das eine feine Idee! Wenn ich dann spazierengehe und sehe mich überall. Geheimrätchen, das Berühmtsein ist doch eine feine Sache! – Aber passen Sie auf, jetzt fängt’s erst an! – Also Carli, nun mußt du sehen, was ich kann und dann schreibst du für mich ein Stück mit Toiletten – weißt du, so vom Dreck an, wie ich immer größer werde! Was glaubst du, wenn erst die Prinzen kommen! Carli, dann sieh dich vor, das war schon alles da. – Prost Werner! Prost Estella! Hand geben, nicht böse sein, komm!« Sie sprang auf und fiel Estella um den Hals. »Wir müssen auch auf ein Bild: die beiden Helenas! Ich mache dich mit berühmt.«

Estella ließ alles über sich ergehen. Peter, mit dem die Bande zwar stark gelockert waren, hatte sie überzeugt, daß es klüger war, wenn sie, statt schmollend beiseite zu stehen, so tat, als wenn sie über den Dingen stände. Klar war ihr das freilich weniger durch Peters Dialektik geworden als durch eine Smaragdbrosche, die zwar schon an ihrer Brust glänzte, die aber erst ihr Eigentum wurde, wenn dieser Abend ohne einen Mißton, dessen Ursache sie war, geendet hatte. Auf die Art hatte sich Estella im Laufe der Jahre schon manches wertvolle Schmuckstück erworben. Und Peter, der sonst ein Menschenkenner war, merkte nicht, daß Estella bei seiner Erziehungsmethode die Wirkung zur Ursache erhob. Agnes sah das Schmuckstück und rief:

»O wie schön! Carl, sieh nur! Ja, ja, der reiche Peter, das ist ein Freund! Das heißt, du bist mir lieber!« und sie fiel Carl um den Hals. »Aber so eine Brosche, die schenkst du mir auch, das hab ich verdient – das heißt, darum bleibt’s doch bei der Wohnung, die du mir versprochen hast. Ach, Carli, Carli, mir dreht sich alles – dabei habe ich kaum —« und sie nahm ihr Glas, »aber jetzt, jetzt wird getrunken, die ganze Nacht – bis wir alle unter dem Tische liegen – Geheimrätchen, Frechdachs! Hände weg! – toi! toi! So soll’s bleiben bis hundert! Was Werner? Das heißt bex! Dann sehen wir aber aus – darum jetzt, wo wir noch jung sind und schön – das heißt, du Carli —« und sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar – »bist schon ganz grau, aber das schad’ nichts, darum bleib ich doch – du machst mich groß, was, Carl – Kinder! Kinder!«

Der Direktor stand schon wieder.

»Ist’s jetzt erlaubt, schöne Holl?« fragte er mit einem Blick zu Agnes.

»Wenn’s sein muß! Aber kurz! Ich kann den Mund heut nicht so lange halten – morgen, da bin ich halb tot – wie immer – ich weiß – ich weiß – also reden Sie schon – so!« Sie nahm die Hand des Geheimrats und hielt sie sich vor den Mund. »Nich loslassen!« pruschte sie unter seiner Hand, »bevor Direktorchen fertig ist.«

Der Direktor sprach wenige, starke, gefühlvolle Worte auf Agnes, die er mit Euphorion verglich, und schloß mit einem Hoch auf den »neuen Liebling des Publikums«. – Werner brachte Agnes und Carl in seinem Auto nach Haus. Am Haupttelegraphenamt hielten sie. Carl ging hinein und meldete Cläre seinen Erfolg. Er telegraphierte ihr:

»Lebendigstes Gedenken in diesen unvergleichlichen Stunden. Es war ein schöner Abend. Man hat mich sehr gefeiert und oft gerufen. Und auch im Stadttheater hatte Helena in der neuen Besetzung einen großen Erfolg. Ich lebe ganz in neuen Plänen, sehne mich nach der Arbeit und trage mich mit den schönsten Gedanken. Zähle nicht gar zu ungeduldig die Stunden meiner Rückkehr. Treulichst Carl.«

»An wen depeschiert er eigentlich?« fragte Agnes.

Werner zog die Schultern hoch.

»Wie kann ich das wissen?«

Agnes sah ihn an:

»Sie lügen! Sie wissen es, so gut wie ich!«

»Sie haben recht.«

»Er soll nicht!«

»Aber das gehört sich doch.«

»Was wird er depeschieren?«

»Nun, von seinem Erfolge natürlich.«

»Und von meinem?«

»Kaum.«

»Warum nicht?«

»Nun, für die Frau ist das Hauptinteresse doch, zu erfahren, wie man heut sein neues Stück aufgenommen hat.«

»Ja!« sagte Agnes und nickte. »Liebt er seine Frau?«

Werner zog wieder die Schulter hoch.

»Ich denke,« sagte er kleinlaut.

»Sie kennen sie?«

»Ja.«

»Sie soll alt und häßlich sein – aber sehr klug – stimmt das?«

»Hat er Ihnen das erzählt?«

»Nein, die Frau Geheimrat – aber die lügt. Wenn sie jung und schön ist, bringe ich sie um!«

»Lieben Sie ihn so?«

Agnes sah ihn an.

»Wollen Sie mich aushorchen?« fragte sie.

»Durchaus nicht!«

»Also, wie sieht sie aus?«

»Sie ist nicht mehr jung; schön ist sie auch nicht.«

»Also!« rief Agnes und klopfte ihm vergnügt auf die Schulter, »dann mag er in Gottes Namen an sie depeschieren.«

»Sie ist sehr gut,« sagte Werner.

»Pe!« sagte Agnes, »was geb ich darauf?«

»Aber er vielleicht.«

Sie schüttelte den Kopf – und nach einer Weile sagte sie:

»Schon möglich, daß er was drauf gibt.«

»Und klug ist sie auch.«

»Ich weiß – ich bin auch nicht dumm. Allerdings: sie kennt ihn besser. Aber was nützt sie ihm? Was kann sie für ihn tun?«

»In dem Sinne nichts.«

»Nun also.«

»Sie hat ihn lieb.«

»Das kann sie ruhig.«

»Und zwanzig Jahre treuer Gemeinschaft geben schließlich einen Anspruch.«

»Worauf?«

»Auf Treue.«

Agnes wurde unruhig.

»Sie meinen also . . . Bitte, was meinen Sie? Ich gebe ihn frei? Ja? Glauben Sie das? Das wäre eine nette Dummheit! Jetzt, wo ich ihn nötiger habe als je! Und wo er ihr nicht einmal helfen kann!« Sie erregte sich immer mehr. »Also, wenn ein Mensch so dumm ist und so frech, wie Ihr Vater, daß er das von mir verlangt, dann, ja, dann hört es eben auf.«

»Mein Vater ist Carls bester Freund.«

»Und ich bin tausendmal mehr! Auf mich fliegt er, wenn ich will. Und ich will!! Verstehen Sie? Reiben Sie das Ihrem Vater unter die Nase, damit er seine Hände von Dingen läßt, die ihn nichts angehen!«

Dann sprang sie aus dem Wagen und lief ins Postbureau. Sie ging auf Carl zu, nahm ihm das Telegramm aus der Hand und sagte:

»Zeig!«

Sie las es, gab es ihm zurück, riß dann ein Formular herunter und schrieb:

Otto Berg, Siemensstraße 35,

du wirst dich freuen, von mir zu hören, daß ich heute in der großen Rolle Helena im Stadttheater zum ersten Male mit Riesenerfolg aufgetreten bin. Komm mal rein und sieh dirs an. Deine schwarze Agnes.

Sie reichte Carl das Formular und sagte:

»Bitte, gib das auch auf!«

Carl nahm’s und stutzte.

»Du willst doch nicht etwa . . .?« rief er entsetzt.

»Ja, warum nicht?« fragte sie und tat gleichgültig.

Carl nahm ihre Hände.

»Agnes, gerade jetzt, wo ich denke, daß du und ich – da willst du an Dinge rühren . . .?«

»Wo du was denkst von dir und mir?« fragte sie.

»Daß wir zusammengehören.«

Agnes zog die Schultern hoch.

»Wir?« fragte sie – und wies mit kaltem Lächeln auf das Formular an Cläre – »du irrst dich wohl.«

»Das kann dich doch nicht stören,« sagte er ganz erstaunt.

»Es stört mich aber.«

»Wo es sie nicht stört.«

»Weil sie dich hat,« sagte Agnes.

»Hast du mich nicht?«

»Sie steht dir näher als ich.«

»Ich liebe dich!« beteuerte Carl.

»Und sie?«

»Ich liebe sie anders.«

»Wie liebst du sie?«

»Wie soll ich dir das deutlich machen?«

»Versuch’s!«

»Nun sieh, meine Liebe zu dir, die ist vielleicht mehr triebmäßig, mehr Sache des Bluts, während meine Liebe zu ihr mehr in der Gesinnung liegt. Meine Gefühle für dich sind gegenwärtiger; die Gefühle für sie beruhen mehr auf Vergangenem.«

»Greise leben von der Vergangenheit,« sagte Agnes. »Es kommt einfach darauf an, ob du glaubst, daß ich deine Zukunft bin oder nicht.«

»Willst du es sein?«

»Ich wünsche mir nichts anderes.«

Carl sah sie strahlend an.

»Bin ich’s oder bin ich’s nicht?« drängte Agnes. »Sag es endlich!«

»Du bist es!« sagte er aus vollem Herzen.

»Beweise es!« forderte Agnes.

»Wie?«

Sie nahm beide Formulare auf, faßte sie mit beiden Händen, hielt sie ihm hin und sagte:

»Darf ich?«

Carl nickte.

»Danke!«

sagte sie und riß sie beide in tausend Stücke, dann nahm sie ihn unter den Arm und sagte zärtlich:

»Komm, Carli! Es ist Zeit, daß wir nach Hause kommen.«

Als sie aus dem Postgebäude traten, öffnete der Chauffeur den Schlag und sagte:

»Herr Brand läßt gute Nacht wünschen, er wollte sich noch ein bißchen Bewegung machen und ist zu Fuß nach Haus .«

»Pe!« sagte Agnes und zog die Schultern hoch.