Loe raamatut: «Der Koch, der drei Mal lebte»
Der Koch, der drei Mal lebte
Impressum
Ich danke
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Historische Rezepte
Rezepte von Adrian de Vries:
Anhang Rezepte
Rezepte von Adrian de Vries
Aal in Rotwein
Geschmortes Kaninchen
Aprikosenmus
Crêpe mit Birnenfüllung
Birnenfüllung
Rezept von Titus
Gefülltes Huhn aus dem Ofen
Fleischbällchen in Kräutersauce
Gänseleberterrine
Geflügelfond
Rezept von Paul Ansardin
Gespickte Hirschkeule
Gefüllte Kalbsschulter
Kresseküchlein
Glossar
ASTRID KEIM
Astrid Keim
Der Koch, der drei Mal lebte
Historischer Roman
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96752-153-5
E-Book-ISBN: 978-3-96752-653-0
Copyright (2021) XOXO Verlag
Umschlaggestaltung und Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag
unter Verwendung der Bilder:
Stockfoto-Nummer: 659114929 von www.shutterstock.com
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
XOXO Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149, 28237 Bremen
Die historischen Persönlichkeiten und ihre Lebensumstände sind exakt recherchiert. Alle anderen Personen wurden frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Ich danke
meinem Mann Eckhardt Keim,
der mich auf die Idee zu diesem Buch brachte
und die Rezepte neu entwarf,
meinen Schwager Dr. Heinrich Keim,
der mich unterstützte,
der Psychoonkologin des Krankenhauses Nord-West in Frankfurt,
Heide-Marie Jungbluth,
die mir eine andere Sichtweise eröffnete.
Astrid Keim
Prolog
Nach einem Abendessen beim Italiener um die Ecke kehrt Arnold Medenbach nach Hause zurück. Der Arbeitstag liegt hinter ihm, jetzt kann er es sich auf dem Sofa bequem machen und schauen, was Jonas Goldberg ihm zugeschickt hat. Es ist ein ziemlich dicker Umschlag. Er enthält mehrere eng beschriebene Seiten. Kein Schreibmaschinenpapier, richtiges Briefpapier, und es wurde ein Füllfederhalter benutzt. Offensichtlich wollte der Absender damit seiner Mitteilung Gewicht verleihen. Die Handschrift neigt sich leicht nach rechts mit betonten, einzeln stehenden Anfangsbuchstaben. Sie ist flüssig und gut lesbar, eindeutig von jemandem, der gewöhnt ist, sich schriftlich auszudrücken.
»Sehr geehrter Herr Medenbach,
in der vergangenen Woche hatte ich nochmals einen Traum, bei dem im Gegensatz zu den anderen jedoch jede Einzelheit haften blieb ...«
Sein ehemaliger Klient Jonas Goldberg ist innerhalb seiner Zunft eine Berühmtheit. Viele Menschen kennen und bewundern, ja verehren ihn als begnadeten Künstler seines Faches. Bereits mit knapp dreißig erhielt er seinen ersten Michelin-Stern und wenige Jahre später den zweiten. Keiner, nicht einmal er selbst, zweifelte daran, dass ihm auch die höchste Auszeichnung für einen Koch, der dritte Stern, über kurz oder lang zuerkannt würde.
»... Eine geräumigen Höhle, etwa vier Meter hoch, die zum Ausgang hin schmaler und niedriger wurde, war jetzt mein Zuhause ...«
Bereits während des ersten Sondierungsgespräches war sich Medenbach im Klaren darüber, dass er einen Menschen vor sich hatte, der Herausforderungen nicht nur annahm, sondern seinen ganzen Ehrgeiz darin setzte, andere zu übertrumpfen.
»... Es war ein schöner, blauer Morgen. Am Vortag hatte es geregnet, auf den Blättern und im Gras glitzerte Nässe. Die Sonne stand noch nicht hoch, schien aber schon so warm, dass es ein heißer Tag zu werden versprach. Ich war nach einem Bad im Fluss gerade wieder in unserer Höhle angelangt, als ein tiefes Grollen ertönte und die Erde zu zittern begann ...«
Vor gut drei Jahren hatte der gut gekleidete, gut aussehende Mann um die Vierzig seine Praxis zum ersten Mal aufgesucht. Dass er sich dazu durchringen musste, war bereits den ersten Worten zu entnehmen. Eigentlich habe er nie viel von Psychotherapie gehalten, die das Innerste, das ganz Private nach außen kehrt. Wenn Probleme entstünden, müssten sie eben gelöst werden, das sei ihm bis jetzt aus eigener Kraft immer ziemlich gut gelungen. Mehr als fester Wille und ein bisschen analytischer Verstand sei dazu eigentlich nicht nötig.
»... Etwas Unvorhersehbares geschah ...«
Unvorhersehbares brachten alle Sitzungen mit Jonas Goldberg. Geschichten, die sich unglaublich und unfassbar anhörten. Wie immer hatte Medenbach zu Beginn um Erlaubnis gebeten, die Gespräche aufzeichnen zu dürfen, um Missverständnisse auszuschließen. Glücklicherweise, denn die Mitschnitte übertrafen alle Vorstellungen.
Kapitel 1
Adrian de Vries sitzt im Schatten von zwei hohen Zypressen auf der Steinbank des Kräutergartens und beobachtet die tollkühnen, akrobatischen Flugmanöver der Mauersegler im wolkenlosen Blau des Himmels. Nur ihre schrillen Schreie durchschneiden die vollkommene Stille. Kein anderer Vogel regt sich, keine menschliche Stimme ist zu hören. Die Hitze des Mittags hat alles zum Schweigen gebracht und lastet auf dem hoch gewachsenen blonden Mann. Seine Stirn mit dem zurückweichenden Haar ist von Schweißperlen bedeckt, die Strahlen der südlichen Sonne haben ihm hunderte von Sommersprossen ins Gesicht gemalt. Fast fünfzig Lebensjahre lassen sich mühelos an den Falten um die hellblauen, von goldfarbenen Wimpern gesäumten Augen ablesen, den Furchen auf der Stirn, den Linien, die sich von der Nase zum Mund ziehen. Er fühlt sich erschöpft und verbraucht. Das Gefühl, versagt zu haben, bedrückt sein Gemüt. Seit Wochen, nein, seit Monaten versucht er mit der ganzen Kunstfertigkeit, die ihm zur Verfügung steht, ein Lächeln, eine Geste der Dankbarkeit, ein Zeichen von Anerkennung hervorzurufen. Vergebens, nicht die geringste Resonanz wurde seinen Bemühungen zuteil.
Was, in drei Teufels Namen, suche ich eigentlich hier?, grübelt er nicht zum ersten Mal und bekreuzigt sich schnell, hoffend, dass der Herr ihm verzeihen möge, den Namen des Bösen im Geiste benutzt zu haben. Wie konnte ich mich nur auf dieses Abenteuer einlassen? In Brügge hatte ich alles, was das Leben angenehm macht. Eine sichere Stellung, Ansehen, schöne Kleider, sogar einen pelzverbrämten Umhang und einen großen Kragen aus feinster Spitze – außergewöhnliche Gunstbezeugungen, denn solch kostbare Kleidung war ansonsten nur dem Adel vorbehalten. Und ich hatte Greetje. Sein Herz zieht sich zusammen beim Gedanken an die Geliebte, deren Locken sich zu kupferner Fülle auflösten, wenn sie die Nadeln herauszog und ins Bett schlüpfte. Die Hochzeit war bereits beschlossene Sache, als er das verführerische Angebot erhielt und sie verließ. Ihre Tränen und Bitten waren ihm nicht gleichgültig, konnten ihn aber nicht davon abhalten, dem Ruf zu folgen. Allzu viel stand für seine Zukunft auf dem Spiel, allzu schmeichelhaft, die Hochachtung, mit der man ihn behandelte.
Die hiesigen Frauen erscheinen ihm wenig anziehend, obwohl er sich an den Anblick der pechschwarzen Haare, des olivfarbenen Teints und der dunklen Augen gewöhnt hat. Nur die ganz jungen Mädchen entfalten eine samtige Schönheit, doch blühen sie allzu schnell auf, um genauso schnell dahinzuwelken. Wie das Land, in dem sie leben, denkt er, ein kurzer Frühling in aller Pracht und dann der endlose Sommer, in dem die Erde unter der flirrenden Hitze ausdörrt, dem Boden nur in kräftezehrender Arbeit ein Weniges abzuringen ist.
Arm sind die einfachen Leute. Bauern und Handwerker leben in bescheidensten Verhältnissen, müssen froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben, ein paar Oliven, etwas Käse, Brot und Getreide, um satt zu werden. Noch vor wenigen Jahren lebte auch der Adel nur von seinem Grundbesitz, von dem, was er seinen Leibeigenen abpresste. Aber jetzt strömt das Gold aus der Neuen Welt herbei, dazu Rubine und Perlen aus dem Fernen Osten, Onyx aus Sachsen, Südamerika und Indien, Lapislazuli aus Russland und Afghanistan, Smaragde aus Afrika und aus Japan reinster Bergkristall, der zu kostbaren Gefäßen verarbeitet wird. Dieser Reichtum jedoch ist nur Wenigen vorbehalten. Während die Bauern ihre dünne Suppe aus Vertiefungen der Holztische löffeln, speist der Adel von goldenen und silbernen Tellern, von prächtigen, meisterhaft bemalten und glasierten Schalen, jede ein Kunstwerk für sich. Seine Paläste dagegen sind vom Äußeren her abweisend und streng, so als verschlösse sich das Land selbst dem neuen Baustil mit seiner glanzvollen Architektur, die aus Italien kommend, im Triumph ganz Europa eroberte. In der Schmucklosigkeit der Fassaden hat die Renaissance noch keinen Niederschlag gefunden, das Innere jedoch macht alle Defizite wett. Hier stellt man den Reichtum zur Schau, nicht nur in üppiger Dekoration, sondern die Bewohner selbst sind Schaustücke. Der Aufwand ihrer Kleidung kann nicht groß genug sein, die Juwelen nicht erlesener.
Ganz im Gegensatz zu seiner Herrin. Adrian seufzt. Sie, Juana, die Tochter der Reyes Católicos Ferdinand und Isabella, Herrscherin über Kastilien, Herzogin von Burgund, gleicht eher der untersten Magd als einer Königin. Nichts an ihr, kein Kleidungs- oder Schmuckstück verrät ihre königliche Abstammung. Das einst kunstvoll geflochtene rot-goldene Haar, mit Perlen besetzten Bändern durchwunden, hängt wirr um den Kopf, das einfache Hemd, kaum jemals gewechselt, ist mit Flecken übersät. Schon bevor sie ihre gesamte weibliche Dienerschaft außer einer alten Zofe entließ, klagte man über ihre Launen, ihre Unberechenbarkeit, die sich bald in Lethargie, bald in wüsten Beschimpfungen und Tätlichkeiten äußerte. Jetzt nähert sich ihr kaum jemand mehr, zu gefürchtet sind ihre Zornesausbrüche. Selbst bei kleinen Verfehlungen büßt der Betroffene im besten Fall mit Schlägen, in weniger günstigen mit Gefahr um Leib und Leben. Einen Küchenjungen traf vor ein paar Tagen ein Leuchter mit derartiger Wucht am Kopf, dass er blutüberströmt und bewusstlos auf dem Boden liegen blieb. Anlass war ein Huhn, das seinen Händen entschlüpft war und auf der Flucht vor dem Kochtopf, in Panik laut gackernd, flügelschlagend durch die Korridore irrte, während er es einzufangen versuchte. Ihre Hoheit, jäh aus der Versenkung am Betpult gerissen, stürzte wutentbrannt zum Ort des Geschehens und schritt zur Tat. Es kam Adrian wie ein Wunder vor, dass der Junge überlebte und sich auf dem Weg der Besserung befindet. Niemand ist da, der Gebieterin Einhalt zu gebieten, sie gebietet über alle.
Ihm gegenüber hat sie sich bis jetzt zurückgehalten, äußerte weder Lob noch Tadel. Den Grund vermutet er in der Tatsache, dass es ihr völlig gleichgültig ist, was und wann es etwas zu essen gibt. Als Leibkoch kümmert er sich persönlich und ausschließlich um die Belange Ihrer Majestät. Alle Bediensteten, die Wachen eingeschlossen, werden von Jorge, dem einheimischen Koch, mit einer Schar von Untergebenen versorgt, dem auch das Herbeischaffen der Nahrungsmittel und Gewürze obliegt, genauso wie die Reinigung der Küche nach dem Mittagsimbiss der Dienerschaft. Ihm Ordnung beizubringen, erwies sich als mühseliges Stück Arbeit. Obwohl er nur die Anweisungen zu geben hatte, schien es ihm ein nutzloses Unterfangen, Töpfe, Pfannen und Bratspieße blitzblank zu scheuern, wenn sie doch in wenigen Stunden wieder benutzt würden. Aber in dieser Beziehung kennt Adrian kein Pardon und auch nicht, was die Reinigung des Bodens betrifft. An Sauberkeit ist er von Kindesbeinen an gewöhnt. In Brügge konnten die Frauen in Pantoffeln über die Straßen gehen, ohne sie zu beschmutzen. Als er davon erzählte, schlug ihm blankes Unverständnis entgegen, aber die Drohung, alle Essensreste an die Armen zu verteilen, erwies sich als wirksames Mittel, dem Gesinde Gehorsam beizubringen.
Um wenigstens den Anschein von Normalität aufrecht zu erhalten, bestimmte er im Sommer acht und im Winter fünf Uhr als Essenszeit. Wie immer wird ein reichhaltiges Mahl zubereitet, denn vor dem Schlafengehen nimmt die Herrin nur noch etwas Obst und einen Becher Wein, gewürzt mit Pfeffer und Nelken, zu sich. Eine feste Zeit ist nicht dafür vorgesehen, das liegt in ihrem Ermessen. Es kommt immer darauf an, wie lange sie sich bei ihrem Gemahl aufhalten wird, zu dem sie sich bei Einbruch der Dämmerung begibt.
Adrian legt den Kopf in den Nacken, um abzuschätzen, wie viel Zeit ihm noch bliebe, und schließt erleichtert die Augen, als er feststellt, dass die Sonne den Zenit noch nicht allzu weit überschritten hat. Seine Gedanken wandern in die Heimatstadt zurück, das glänzende Brügge, Mittelpunkt des Burgundischen Hofes. Mit welcher Freude ging er dort an die Arbeit, wo man ihm Wertschätzung und Achtung entgegenbrachte, er nach Herzenslust aus dem Vollen schöpfen durfte. Die Erinnerung an seinen berühmten Eintopf weckt Wehmut. Die Komposition aus Kapaun, Lamm, Kalbfleisch, Widderhoden, Kalbsfüßen, Hahnenkämmen und Markknochen, gewürzt mit Safran, Nelken, Lorbeerblättern, Liebstöckel sowie einer ordentlichen Menge gestoßenem Pfeffer, vermischt mit einem Dutzend Eidottern, abgeschmeckt mit herbem Wein, gedünstet in zerlassener Butter, erhielt Lob von höchster Stelle und war fester Bestandteil jedes größeren Bankettes.
Allseits bewundert wurden seine Schaustücke, kredenzt als Höhepunkt des Mahls. Hier entfaltete er sein ganzes Können. Es gab nur wenige seiner Zunft, denen es gelang, einen Pfau so vorsichtig von Haut und Federkleid zu befreien, dass sie unverletzt blieben, dann das Fleisch auszulösen und zuzubereiten, um damit wieder die Hülle zu füllen. Der Vogel wurde, als wäre er lebendig, in seiner ganzen Pracht auf einer großen Platte in den Saal getragen und zum Entzücken der Gäste vor ihren Augen tranchiert. Besonders stolz ist er bis heute auf den Einfall, ihm den Schnabel zu vergolden und mit in Schnaps getränkter Wolle zu füllen, die vor dem Auftragen angezündet wird. Einen Feuer speienden Pfau hatte noch niemand gesehen und nicht wenige bekreuzigten sich, da sie Zauberei befürchteten.
Damals war ich auf der Höhe meines Ansehens und wurde gefeiert wie ein großer Künstler, erinnert er sich betrübt. Nur Philipp gegenüber hatte ich Rechenschaft abzulegen, dem glänzenden Herzog von Burgund, Erzherzog von Österreich, Sohn des großen Kaisers Maximilian und seiner allzu früh verstorbenen ersten Gemahlin Maria, die das Herzogtum Burgund den Habsburgern zum Geschenk machte. Als Kind kam ich bereits an den Hof, zurückgelassen von den Eltern vor dem Tor. Eine Magd erbarmte sich meiner und brachte mich in die Küche, damit ich etwas zu essen bekäme. Dort blieb ich mit Duldung des ebenso beleibten wie betagten und angesehenen Meisters Lucas, Gebieter über die Küche. Ich schlief neben dem Herd auf dem Boden, hütete das Feuer, kehrte den Boden, verrichtete Botengänge und schaute vor allem zu. Es dauerte nicht lange, bis der Meister mein Interesse und meine Geschicklichkeit bemerkte und anfing, mir kleine Aufgaben zu übertragen. Es war ein langer, hart erkämpfter Weg, aber schließlich stand ich an seiner Seite. Als er starb, hatte ich alles von ihm gelernt, was er selber wusste, und wurde sein Nachfolger.
Ich sah den jungen Herzog heranwachsen. Er eroberte mein Herz genauso wie das aller anderen mit seiner Unbekümmertheit, dem angenehmen Äußeren, verschont vom Makel der männlichen Habsburger, dem vorstehenden Unterkiefer und der gewaltigen Hakennase, hauptsächlich aber mit der Abwesenheit jedes Standesdünkels. Sein Wohlergehen lag mir vor allem am Herzen und war Ansporn genug, mich immer mehr zu vervollkommnen. Kamen hochgestellte Persönlichkeiten zu Gast, die ihre eigenen Köche mitbrachten, schaute ich mir ihre Kniffe ab, fachsimpelte ganze Nächte mit ihnen darüber, wie Speisen zu verfeinern seien, lernte neue Gewürze und Zubereitungsweisen kennen, experimentierte mit ausgefallenen Zutaten. Und ich reiste. Überall hin nahm man mich mit, sogar nach Österreich, Frankreich und England, obgleich ich auf dieser kalten und regnerischen Insel nur wenig Neues zu entdecken vermochte denn Wildbret, gebraten oder gesotten, ohne jede Raffinesse der Zubereitung und Haferbrei bestimmten den Speiseplan.
Überall hielt ich Augen und Ohren offen, prüfte die Produkte des Landes auf ihre Verwendbarkeit und nahm Samen mit nach Hause, um aus ihnen Kräuter zu ziehen. So kam es, dass ich schließlich zu einer Berühmtheit wurde, und nicht nur einmal versuchte ein Fürst, mich für seinen Hof abzuwerben. Ich aber blieb standhaft, denn meinem jungen Herzog brachte ich eine herzliche Zuneigung entgegen und meine Wurzeln lagen in Brügge. Er dankte es mir mit vielen Gunstbezeugungen, und ich gab ihm den Dank zurück in unverbrüchlicher Treue. Einer Treue, die sich jetzt gegen mich wendet.
Aber wie hätte ich auch ahnen können, dass alles so enden würde, als die liebliche Juana, Kronprinzessin von Kastilien, León, Granada und Aragon, ihren Fuß auf niederländischen Boden setzte? Damals, 1496 Jahre nach der Geburt des Herrn, war Philipp, wie es die Höflichkeit gebot, seiner jungen spanischen Braut entgegengereist, um sie in die neue Heimat zu geleiten, und was keiner vorhersehen konnte geschah: Die beiden verliebten sich auf den ersten Blick so heftig ineinander, dass sie sich sofort zurückzogen, um die Ehe zu vollziehen.
Eine verhängnisvolle Liebe sollte es werden, zumindest für Johanna, wie sie nun genannt wurde, in der sie sich so vollkommen verlor, dass keine andere Realität mehr existierte. Es war nicht so, dass Philipp sich nach dem ersten Überschwang von ihr abwendete, aber mit der Treue nahm er es nicht genau. Am Hof herrschten lockere Sitten, und er, der Schöne, der alle begeisterte mit seinem Charme, seiner Geselligkeit und Freigiebigkeit, gewann die Herzen mit Leichtigkeit. Jungfrauen wie Ehefrauen folgten ihm ohne Zögern in seine Gemächer. Sollte er auf diese Freuden zu verzichten? Daran dachte er keineswegs.
Täglich sah ich die beiden und bemerkte, wie die Herzogin immer schweigsamer, immer verschlossener wurde. Ihre Bildung, ihr musikalisches Talent galten Philipp wenig, der für seine Vergnügungen lebte. Selbst ich, der ihn liebte wie einen Sohn, hätte mir gewünscht, dass er weniger leichtfertig mit den Gefühlen seiner Gemahlin umgehe. Nur noch selten saß sie am Clavicord, korrespondierte immer weniger in ihrem makellosem Latein mit Erasmus von Rotterdam. Sie zog sich zurück, weigerte sich, die prächtigen Gewänder anzulegen, die für sie angefertigt worden waren. Schon damals begann die Dienerschaft vor ihren Wutanfällen zu zittern. Besänftigen konnte sie allein ihr Geliebter in der Erfüllung seiner ehelichen Pflichten. Und die trugen Früchte. Nach einer Tochter erblickte der Thronfolger das Licht der Welt, und weitere Kinder folgten.
Die Eifersuchtsanfälle jedoch wurden immer schlimmer, die Lakaien erzählten von Handgreiflichkeiten. Es kam so weit, dass die Herzogin in Abwesenheit ihres Gemahls im abgedunkelten Zimmer saß und sich weigerte, Besuch zu empfangen. Nur Bedienstete hatten Zutritt, unter denen sich jedoch keine einzige Frau befand, denn sie misstraute dem gesamten weiblichen Geschlecht.
Ihre Unersättlichkeit war Gesprächsthema am Hof und nicht nur dort. Man munkelte, dass Übertreibung auf diesem Gebiet in der Familie läge. Ihr Bruder Juan, vorgesehener Thronfolger der vereinigten Königreiche von Aragon und Kastilien, Gemahl von Philipps Schwester Margarete, starb im 20. Lebensjahr, wie man zu wissen glaubte, an zu unbeherrschter Hingabe an seine natürlichen Triebe, die zur völligen Entkräftung und schließlich zum Tode führte. Aus sicherer Quelle war jedenfalls bekannt, dass Ärzte kurz vorher eine vorübergehende Trennung des jungen Paares empfohlen hatten.
Wie sie sich aufführte, war nicht standesgemäß. Darüber herrschte Einigkeit und auch darüber, dass ihr Gatte zu bedauern sei. Ich jedoch hatte auch Mitleid mit ihr. Ich begriff, dass diese absolute Liebe ihr Leben zerstörte und niemand ihr helfen konnte. Auch der Herzog nicht, denn sie forderte seine Anwesenheit bei Tag und Nacht und die Staatsgeschäfte waren ihr gleichgültig. Die aber gingen weiter, denn mittlerweile war Isabella verstorben und hatte der Tochter als einzigem überlebendem Kind das Königreich Kastilien hinterlassen, wodurch auch Philipp den Königstitel beanspruchen konnte. Nach neun Jahren war die Rückkehr nach Spanien nun dringend geboten, denn Ferdinand, König von Aragon und Johannas Vater, verlangte dieses Recht gleichermaßen. So wurde ein großes Gefolge zusammengestellt, und mein Herr bat auch mich darum mitzureisen. Viel zu schmeichelhaft war diese Auszeichnung, als dass ich hätte ablehnen können. So stimmte ich zu in meiner Einfalt, ja, und auch in meinem Hochmut, alle Gefahren und Risiken außer Acht lassend. Noch höher wollte ich klimmen, an meinen Namen sollten sich noch die Nachgeborenen erinnern. Vor meinen Augen stand ein glänzendes Leben am Königshof, und niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass es mit dem Glanz so schnell vorbei sein könne. Allzu hoch wollte ich hinaus, Gott aber hat meinen Ehrgeiz gestraft …
Adrian erwacht aus seinem Tagtraum, als die Strahlen der Sonne seinen linken Fuß erreichen. Es ist Zeit, sich um das Essen zu kümmern. Er erhebt sich seufzend, streckt den Rücken durch, lässt die Schultern kreisen, als wolle er das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszögern.
Wie immer sind sieben Gerichte vorgesehen, eine armselige Anzahl im Vergleich zu den vielen Dutzenden, die drei Mal täglich am Burgundischen Hof serviert wurden. Aber hier in den düsteren Gemäuern der Festung von Torquemada gelten andere Regeln, hier darf die magische Zahl der Todsünden und Tugenden zum Gefallen Gottes nicht überschritten werden.
Hoffend, dass Jorge und seine Helfer die Zutaten nach seinen Anweisungen bereit gelegt haben, macht er sich auf den Weg zur Küche. Vorsichtig steigt er die steilen Stufen hinab, um seine linke Hüfte zu schonen, die seit einiger Zeit zunehmend Schwierigkeiten bereitet. Mit einem Blick umfasst er sein Reich. Breite Sonnenstrahlen aus den hochgelegenen Fenstern erhellen den größten Teil des weitläufigen Raumes, dessen Gewölbe von zwei Säulen getragen wird, und lassen das Kupfergeschirr aufleuchten. In regelmäßigen Abständen wurden Arme aus Eisen angebracht, an denen Öllampen hängen, die auch im hinteren Teil für genügend Helligkeit sorgen.
Adrian ist zufrieden. Jorge und seine Leute haben die Lektion gelernt, selbst der Steinboden ist gefegt. In der gemauerten Herdstelle, über der sich ein großer Abzug öffnet, brennt Feuer, von den beiden Gehilfen gehütet, die jetzt von den Holzbänken aufgestanden sind, um ihrem Meister zur Hand zu gehen. An einer Kette über dem Herd hängt ein Topf mit heißem Wasser, auf dem mit einer Handkurbel verstellbaren Spieß daneben stecken fünf in Speck gewickelte, mit Kräutern gefüllte Wachteln. Ein Gefäß zum Auffangen des abtropfenden Fettes steht bereit, aber noch hängen sie ein gutes Stück über der Glut. Die in Stücke geschnittenen Herzen und Mägen sind bereits gekocht und liegen in einem Tontöpfchen, ein anderes enthält die noch rohen Lebern. Beide Gefäße befinden sich gegenüber auf dem hüfthohen, breiten Steinsims, wo auch die angeforderten Lebensmittel aufgereiht sind.
Prüfend nimmt Adrian eine Aprikose in die Hand, tippt mit dem Finger auf den Kuchenboden, um seine Konsistenz zu untersuchen, drückt auf die beiden Brotlaibe, um ihre Frische zu prüfen, riecht an einem Bündel Minze, lässt Amaranth durch die Finger gleiten, feine Samenperlen des roten Fuchsschwanzes, die kürzlich geerntet wurden, und begutachtet die Schildkröte im Tontopf, deren Gliedmaßen, Kopf und Schwanz bereits abgehackt sind. Die geringe Menge aufgefangenen Blutes, vermischt mit Essig, befindet sich in einem kleinen Napf daneben.
Jorge verrichtet das Schlachten mit großer Geschicklichkeit, indem er ein Messer an den Hals setzt und mit dem Hammer darauf schlägt. Falls das Tier sein Verhängnis kommen sieht und sich in den Panzer zurückzieht, hat er ein probates Mittel zur Hand: Ein glühendes Stück Holzkohle auf dem Rücken bewirkt Wunder. Die Schildkröte streckt den Kopf heraus, sodass er ihn mit einem blitzschnellen Hieb abtrennen kann. Adrian überlässt seinem Untergebenen diese Arbeit immer, denn diesbezüglich ist der besser in Übung, da in den Niederlanden diese Tiere nicht auf dem Speisezettel standen. Sie kennengelernt zu haben empfindet er als große Bereicherung, denn das Fleisch und auch die Brühe, welche beim Auskochen entsteht, sind von köstlichem Geschmack, und ihre Zubereitung lohnt alle Mühe.
Für heute ist ein Ragoût vorgesehen, und so lässt er zunächst die sauber geschrubbte Schildkröte in den Topf gleiten, um sie eine gute halbe Stunde zu kochen. Während dieser Zeit kann er sich den Süßspeisen zuwenden, denn die müssen als erstes in Angriff genommen werden, damit sie auskühlen können. Eusebio, kaum dem Kindesalter entwachsen, klein und pfiffig, immer gut gelaunt und immer auf der Suche nach Essbarem, das er seiner vielköpfigen Familie mitbringen kann, ist bereits damit beschäftigt, die Aprikosen zu entsteinen und in Stücke zu schneiden. José, sein Gegenstück, mürrisch und einsilbig, mit einer Haut wie Leder und krummem Rücken, zerstößt Mandeln in einem Mörser.
Adrian weicht ein Stück helles Weizenbrot ohne Kruste in Milch ein, drückt es aus und gibt es zu den Aprikosenstücken in eine irdene Schüssel. Dann fügt er Honig hinzu, einen kleinen Zweig Rosmarin, pulverisierten Fenchelsamen, ein paar geschrotete Pfefferkörner und übergießt alles mit Wein. Damit die Masse aufkochen kann, kommt die Schüssel auf einen Dreifuß am Rand des Herdes über die Glut. Eusebio sorgt durch Rühren dafür, dass das Mus nicht anbrennt. Ist es schön eingekocht und sämig, wird es durch ein Sieb geschlagen und zum Schluss von Adrian noch mit Zimt abgeschmeckt.
Mittlerweile hat José die Mandeln zerstoßen, und ist dabei, fünf Eier zu trennen. Jetzt übernimmt Adrian die weitere Zubereitung. Er füllt die Mandelmasse in eine Schüssel, fügt Rosenwasser hinzu, Eiweiß und Sahne, bis der Brei dünn geworden ist, aber nicht zu flüssig, sodass er sich gut auf dem Kuchenboden verteilen lässt. Eusebio wird ihn beim Ausbacken überwachen und kurz vor der Fertigstellung noch mit Eigelb bestreichen.
Jetzt ist es Zeit geworden, sich um die Schildkröte zu kümmern. José hat bereits das Kochwasser abgegossen. Geschickt bricht er den Panzer auf, entfernt die schwarze Haut, sodann die Eingeweide samt der Galle. Das ausgelöste Fleisch reicht er seinem Meister auf einem Holzbrett zu. Der Panzer mit den innen noch anhaftenden Resten, Gliedmaßen und Kopf werden nun nochmals auf- und die daraus entstehende Brühe bis auf ein Minimum eingekocht, sodass zum Schluss nur ein kleines Schälchen übrig bleibt. Fein gehackte Minze, Salz, eine Prise gemahlener Ingwer und etwas Knoblauch ziehen darin, bis die Essenz kurz vor dem Auftragen abgesiebt wird.
Adrian wendet sich nun dem Ragoût zu. In der Ecke steht eine große, kippbare Amphore, der er eine Kanne Olivenöl entnimmt. Für dieses Öl, in den Niederlanden rar und kostbar wie Silber, ist Adrian dankbar. Es steht hier im Überfluss zur Verfügung und verfeinert viele Speisen. Er schwitzt Zwiebeln darin an, fügt Sellerie, Petersilienwurzeln, Lauch und etwas Zitronensaft hinzu, würzt mit Salz, Nelken und Lorbeer. Damit das Gemüse keine Farbe annimmt, kommt Weißwein hinzu. Mit dem klein geschnittenen Fleisch, ein paar Thymianzweigen und fein gewiegten, eingesalzenen Sardellen wird nun alles weich gekocht. Als ein großer Teil der Flüssigkeit verdampft ist, gießt Adrian das Gemisch aus Essig und Blut hinzu. Nun kann die Sauce mit zwei Eigelben abgezogen und durch ein Sieb gegossen werden. Zum Abschmecken taucht er einen Holzlöffel hinein. Mit gerunzelter Stirn hält er inne und entschließt sich, noch etwas Zucker hinzuzugeben. Es wäre doch besser gewesen, die Sardellen vorher abzuspülen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn dann aber wieder verworfen. Ja, so ist es besser. Jetzt noch ein gutes Stück Butter, um eine bessere Sämigkeit zu erzielen. Nochmals taucht er den Löffel ein und ist zufrieden. Besser wird das niemandem gelingen, der Aufwand hat sich gelohnt. Ob ihn vielleicht heute ein Lächeln belohnt?
Adrian erhebt sich aus seiner gebeugten Haltung und zieht die Schultern nach hinten, um den Rücken zu entspannen. Bis jetzt hat alles gut gekappt, der Zeitplan ist eingehalten. Lange Jahre der Routine zahlen sich aus, die Abfolge der Handgriffe funktioniert fast automatisch. Der schwierigste Teil liegt hinter ihm, und er kann sich eine kleine Verschnaufpause auf einer der Holzbänke mit einem Becher Wein gönnen, während er seinen Helfern Aufgaben zuweist.
Seit einigen Stunden liegt ein abgezogener, ausgenommener Aal in Salzwasser, der nun von Eusebio mit klarem Wasser abgewaschen wird. Das steht gottlob in reichlicher Menge zur Verfügung, denn die Festung verfügt nicht nur über eine Zisterne, sondern auch einen eigenen Brunnen, von der Küche her gut zugänglich, der viele Meter in die Tiefe reicht. Mit einer Hebevorrichtung wird das Wasser in eine steinerne Rinne und von dort aus in ein Becken geführt.
Der Junge kocht die Aalstücke in reichlich Rotwein, fügt kurz vor dem Garpunkt die notwendige Menge Safran, Zimt, Zucker, Lorbeerblätter und Nelken hinzu und lässt alles noch einmal aufwallen. Das Gericht kann nun bis zum Beginn des Essens warm gehalten werden, ohne dass sich noch jemand darum kümmern muss.