Der Dreißigjährige Krieg

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Der Dreißigjährige Krieg
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UTB 4555

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Axel Gotthard

Der Dreißigjährige Krieg

Eine Einführung

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN · 2016

Impressum

Axel Gotthard lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich

unter www.utb-shop.de.

Umschlagabbildung: »Raubende Soldateska«. Holzstich nach einer Radierung von Hans Ulrich Franck, um 1646. © akg-images

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien

Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe

Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

Printed in Germany

UTB-Band-Nr. 4555 | ISBN 978-3-8252-4555-9 | eISBN 978-3-8463-4555-9

Über dieses eBook

Der Böhlau Verlag steht gleichermaßen für Tradition und Innovation. Wir setzen uns für die Wahrung wissenschaftlicher Standards in unseren Publikationen ein – auch unsere elektronischen Produkte sollen wissenschaftlichen Anforderungen genügen.

Deshalb ist dieses eBook zitierfähig, das Ende einer gedruckten Buchseite wurde in Form von Text-Hinweisen kenntlich gemacht. Inhaltlich entspricht dieses eBook der gedruckten Ausgabe, das Impressum der gedruckten Ausgabe ist vorhanden.

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über dieses eBook

Vorwort

1 Der lange Weg in den Krieg

1.1 Seit 1555 – der Reichsverband überwölbt zwei Konfessionen

1.2 Seit 1580 – die konfessionelle Polarisierung des Reichsverbands

1.2.1 Die interkonfessionellen Beziehungen verschlechtern sich wieder

1.2.2 Ein Versuch, den mentalen Haushalt des Konfessionellen Zeitalters sinnfällig zu machen

1.2.3 Der Interpretationskrieg um den Religionsfrieden

1.2.4 Das politische Grundvertrauen schwindet dahin

1.3 Seit 1608 – die Vorkriegszeit

1.3.1 Krisenjahr 1608

1.3.2 Die Blockade des politischen Systems

1.3.3 Evangelische Union und katholische Liga

1.3.4 Letztlich vergebliche Versuche, die Sprachlosigkeit zu überwinden

1.3.5 Kriegsgefahr hier und dort

1.4 Schon einmal vorab: etwas Kriegsursachenforschung

1.4.1 Warum die Ursachenforschung am Zustand des Reichsverbandes ansetzen muss

1.4.2 Kann die moderne Politik aus dem damaligen Desaster lernen?

1.5 Die böhmischen Anlässe des Dreißigjährigen Krieges

1.5.1 Rückblicke: lange Tradition konfessioneller Heterogenität und ständischer Aufmüpfigkeit

1.5.2 Der „Bruderzwist“ im Hause Habsburg

1.5.3 Streit um den Majestätsbrief

2 Ereignisabfolge 1: der große deutsche Konfessionskrieg (1618–1630)

2.1 Auftakt zum Böhmisch-Pfälzischen Krieg: der „Fenstersturz“

2.1.1 Der Udenheimer Mauersturz, oder: Was zeitgenössische Akteure und was Historiker für wichtig halten

2.1.2 Der Prager Fenstersturz

2.2 Warum weitet sich eine regionale Krise zum mitteleuropäischen Krieg aus?

2.2.1 Sommer 1618 bis Frühjahr 1619: Beide Seiten müssen ihren Kurs finden

2.2.2 Sommer 1619 – Weichenstellungen hin zum großen Krieg

2.2.3 Verbündete für Kaiser Ferdinand

2.2.4 Verbündete für Friedrich von der Pfalz?

2.3 Die Schlacht am Weißen Berg und ihre Folgen

2.3.1 Entscheidung vor Prag

2.3.2 Die Folgen in Böhmen

2.3.3 Die Folgen im Reich

2.4 Warum geht der Krieg weiter?

 

2.5 Der Niedersächsisch-Dänische Krieg – Konstellationen zu Kriegsbeginn

2.5.1 Norddeutschland rückt ins Blickfeld

2.5.2 Doch noch Verbündete für Friedrich von der Pfalz?

2.5.3 Christian IV. von Dänemark: der Mann, sein Land, seine Kriegsziele

2.6 Der Niedersächsisch-Dänische Krieg – zum Kriegsverlauf

2.7 Warum geht der Krieg weiter?

2.7.1 Wieder maßlose Sieger 1: politisch motivierte Urteile, Konfiskationen

2.7.2 Wieder maßlose Sieger 2: das Restitutionsedikt

2.7.3 Europäische Konstellationen ändern sich

2.7.4 Deutsche Warnzeichen für die siegreiche Seite

2.7.5 Regensburg 1630: ein Kampf um die Reichsverfassung

3 Wie hat man im Dreißigjährigen Krieg gelebt, gekämpft und gelitten?

3.1 Warum beherrscht der Söldner das Feld?

3.1.1 Der Ausgangspunkt: die Ritterheere des Mittelalters

3.1.2 Niedergang des Rittertums, Aufstieg der Infanterie

3.1.3 Wie bringt man massenhaft Infanterie auf?

3.1.4 Sozioökonomische Voraussetzungen des Söldnerwesens

3.2 Welche politischen und militärischen Implikationen haben Söldnerheere?

3.2.1 Wachsender Geldbedarf als Motor des Ausbaus vormoderner Staatlichkeit

3.2.2 Die dem Söldnertum entsprechende Art der Kriegführung

3.3 Die Lebensweise des Söldners (sowie der Seinen)

3.3.1 Wer wird warum Söldner?

3.3.2 Das Regiment und seine Binnengliederung

3.3.3 Der Tross

3.3.4 Eine riskante Lebensform: „gartende Knechte“, „Marodeure“ und „ungeschützte Frauen“

3.4 Das Allernötigste aus dem Arsenal der „Militaria“

3.5 Lasten für die Zivilbevölkerung

3.5.1 Der Kriegsalltag: Quartiere, Kontributionen

3.5.2 Fast alltäglich: Plündern, Brandschatzen

3.5.3 „Magdeburgisieren“

3.6 Höhepunkt oder Perversion des kommerziellen Söldnertums? Wallenstein als Kriegsunternehmer

3.6.1 Ein Krisen- und Kriegsgewinnler

3.6.2 Der Krieg ernährt den Krieg

3.6.3 Wallensteins Kriegswirtschaftssystem

3.6.4 Und die „Lehren der Geschichte“?

3.7 Wie schlimm war der Dreißigjährige Krieg?

3.7.1 Die ökonomischen und klimatischen Rahmenbedingungen

3.7.2 „Alles gar nicht so schlimm“? Der Forschungsmythos

3.7.3 Das Quellenproblem

3.7.4 Zeitgenössische Versuche, das unbeschreibliche Leid in Worte zu fassen

3.7.5 Zeitgenössische Verlusterfahrungen und Bewältigungsstrategien

4 Ereignisabfolge 2: Mitteleuropa wird zur Bühne von Großmachtrivalitäten (1630–1648)

4.1 Gustav Adolf und der Schwedische Krieg

4.1.1 Kleine Anfänge, große Wirkungen

4.1.2 Zur Massenresonanz; Flugschriften, Flugblätter

4.1.3 Noch einmal, jetzt exemplarisch für Mittelfranken: Wie schlimm war dieser Krieg?

4.1.4 Die Schlacht bei Lützen

4.1.5 Gustav Adolf: der Mann, sein Land, seine Kriegsziele

4.2 Der Schwedische Krieg nach Gustav Adolfs Tod

4.2.1 Axel Oxenstierna

4.2.2 Wallensteins Ende

4.2.3 Die evangelische Seite verliert auch die dritte Kriegsphase

4.3 Warum geht der Krieg weiter?

4.3.1 Der Prager „Frieden“ – was drinsteht

4.3.2 Warum der Prager Vertrag keinen Frieden bringt

4.4 Der Französisch-Schwedische Krieg – Konstellationen zu Kriegsbeginn

4.4.1 Das darstellerische Problem: „Verwerfungen“

4.4.2 Was wir über Richelieu und über Frankreich wissen müssen

4.4.3 Frankreich erklärt Spanien den Krieg

4.4.4 Das Reich wird in den Französisch-Spanischen Krieg hineingerissen

4.5 Der Französisch-Schwedische Krieg – zum Kriegsverlauf

4.5.1 1635–1638: erfolgloses Frankreich, frustrierte Schwedische

4.5.2 Wachsender Kriegsüberdruss allenthalben

4.5.3 Das Ende des Spanischen Zeitalters

4.5.4 Stationen des Niedergangs auch der österreichischen Habsburger

5 Der lange Weg zum Frieden

5.1 Rückblicke 1: Worum wurde da dreißig Jahre lang gekämpft?

5.1.1 Deutungsangebote der Zeitgenossen und der Forschungsgeschichte

5.1.2 Der Konfessionskrieg

5.1.3 Das Ringen um die Reichsverfassung

5.1.4 Ein Indikator: die Bündniskonstellationen

5.2 Rückblicke 2: Warum musste dieser Krieg dreißig Jahre lang währen?

5.3 Die Vorgeschichte der westfälischen Kongresse

5.3.1 Zu den Wurzeln

5.3.2 Die Idee der „pax universalis“

5.3.3 Der Admissionsstreit

5.4 Was wir über die westfälischen Kongresse wissen müssen

5.4.1 Das „Wer?“, das „Wie?“, was steht im Lastenheft?

5.4.2 Zum Verlauf: einige Schlüsseldaten

5.5 Was wir über die westfälischen Friedensschlüsse wissen müssen

5.5.1 „Beyond Westphalia“? Der Mythos 1648

5.5.2 Die Kompetenzverteilung im Reichsverband wird wieder einmal austariert

5.5.3 Der Zweite Religionsfrieden

5.5.4 Was noch für Mitteleuropa von Bedeutung war

5.6 Das Ende des Achtzigjährigen Krieges

5.7 Nachspiel in Nürnberg

Karten

Zeittafel

Kommentiertes Quellen- und Literaturverzeichnis

Die wichtigsten Quellensammlungen zur „großen Politik“

Mentalitätsgeschichtlich besonders aufschlussreiche Editionen

Besonders lesenswerte Gesamtdarstellungen

Besonders wichtige Aufsatzsammlungen

Militaria im engeren Sinne

Mentalitäts- und ideengeschichtliche Zugriffe

Einzelnachweise

Abbildungsnachweis

Personenregister

Orts- und Sachregister

Rückumschlag

Vorwort

Der Dreißigjährige Krieg, dieses besonders faszinierende, aber wohl auch dunkelste Kapitel der vormodernen deutschen Geschichte, lässt mich seit meiner Doktorandenzeit nicht mehr los. Viele meiner wissenschaftlichen Publikationen versuchen den nicht enden wollenden Krieg seit 1618 und seine Vorgeschichte zu ergründen. Worum eigentlich hat da eine ganze Generation auf Leben und Tod gekämpft? War dieser furchtbare Krieg fast unvermeidlich, weil sich die politischen Akteure Mitteleuropas seit den 1580er-Jahren nun einmal immer mehr auseinandergelebt hatten, die Kommunikationskreise nachhaltig gestört waren und die konfliktkanalisierende Kraft des politischen Verfahrens mit den letzten noch funktionierenden Reichsorganen dahinschwand? Oder war es doch – wie so viele Experten für „1914“ mutmaßen – eher ein bis zuletzt, mit ein bisschen mehr politischer Klugheit, leicht vermeidbarer ‚Betriebsunfall‘? Oder verhält es sich noch einmal ganz anders, weil wir, genau besehen, ziemlich treffsicher Kriegsschuld zumessen können? Hat sich die leidgeprüfte Generation, die die Kernphase der Kleinen Eiszeit, die schlimmsten Exzesse der Hexenverfolgungen und dazu auch noch, und vor allem, einen der verheerendsten Kriege der Weltgeschichte erleiden musste, schließlich einfach mit dem Kriegszustand abgefunden, wurde ihr Krieg zum ‚Normalfall‘ menschlicher Existenz, oder sehnte sie sich unaufhörlich nach dem Frieden – und falls ja, warum war dann der Weg dahin so dornenvoll? Einer konsensfähigen Beantwortung dieser Fragen stellen sich noch immer viele spannende wissenschaftliche Probleme in den Weg.

 

Dieses Büchlein wendet sich freilich nicht an fertige Wissenschaftler, wurde nicht für Kollegen geschrieben. Eine Bachelorstudentin hatte ich vor Augen, eher im Grund- als im Hauptstudium, als ich einen Insiderterminus nach dem anderen strich (oder zu erklären versuchte); an den Examenskurs dachte ich, der Grundwissen wieder auffrischen und [<<11] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe fürs schriftliche Staatsexamen fit machen soll. Der Duktus versucht, dem im Hörsaal üblichen gesprochenen Deutsch nahe zu kommen, und meinen Vorlesungen zu diesem Thema erwuchs das Büchlein denn auch. Den vielen Erlanger und Nürnberger Studenten, die mir in den letzten 25 Jahren sagten, was ihnen an meinen Erklärungsversuchen gefalle und was man besser machen könne (viele von ihnen geben sich ja inzwischen der noch viel anspruchsvolleren Aufgabe hin, den Forschungsstand für Mittelstufenschüler zu ,übersetzen‘), mein Dankeschön! Und bedanken will ich mich auch bei meiner Frau Anette, einer erfahrenen und engagierten Geschichtslehrerin, für ihre konstruktive Kritik. Dank gebührt sodann der Programmplanerin des Böhlau Verlags, Dorothee Rheker-Wunsch, für ihre Ermunterung, meiner vielen wissenschaftlichen und didaktischen Bemühungen um den Dreißigjährigen Krieg wegen den Mut zu fassen, ein Studienbuch über dieses besonders spannende, aber auch herausfordernde Thema zu schreiben; und nicht minder Julia Beenken für ihre hilfreichen Handreichungen bei der technischen Umsetzung dieses Vorhabens.

Weiher, im Januar 2016

Axel Gotthard [<<12]

1 Der lange Weg in den Krieg
1.1 Seit 1555 – der Reichsverband überwölbt zwei Konfessionen

Was wir als „Dreißigjährigen Krieg“ kennen, nannten die Zeitgenossen seit 1648 manchmal auch so. Vor allem aber sprachen die Miterlebenden vom „Teutschen Krieg“. Das reflektiert, dass dieser Krieg hauptsächlich in Mitteleuropa ausgefochten wurde, unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation (dieses Studienbuch spricht im Folgenden kürzer vom „Alten Reich“ – „alt“ ist es im Vergleich mit dem Kaiserreich seit 1871 und einem weiteren Reich seit 1933, das tausendjährig werden wollte).

Also, zunächst und für längere Zeit handelte es sich um einen „teutschen“ Krieg. Von den Hauptkriegsschauplätzen her betrachtet blieb das (weitgehend) bis zum Schluss so. Nehmen wir die Hauptakteure ins Visier, ändert sich das Bild: Denn nacheinander werden verschiedene auswärtige Herrscher die Bühne des deutschen Kriegstheaters betreten. Natürlich trägt dieses Büchlein der Ausweitung des Kriegsgeschehens Rechnung – aber alles zu seiner Zeit! Was wir über außerdeutsche Kriegsschauplätze (beispielsweise Teile Oberitaliens) und insbesondere außerdeutsche Kriegsteilnehmer (Dänemark, Schweden, Frankreich) wissen müssen, wird ausgebreitet und analysiert, wenn diese Schauplätze und Akteure fürs Kriegsgeschehen wichtig werden. Der sukzessiven Internationalisierung des Krieges korrespondierend, weitet sich also sukzessive der Fokus dieses Büchleins. Es beginnt mit einer Analyse des Zustands des Alten Reiches. Die Kriegsursachen nämlich müssen wir dort suchen.

Die rechtliche Basis: der Erste Religionsfrieden von 1555

Wer verstehen will, warum der Reichsverband im frühen 17. Jahrhundert kaum mehr steuerbar war, muss weit ins 16. Jahrhundert zurückgehen. So, wie dem großen, dem dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg 1648 ein Zweiter Religionsfrieden auf dem Fuße [<<13] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe folgen wird, antwortete 1555 auf eine unruhige Dekade voller konfessionell aufgeladener Querelen, Scharmützel und kurzlebiger Kriege der Religionsfrieden von Augsburg. Der komplexe Text ist modernen Lesern nur schwer zugänglich; einige seiner tückischen Ausnahme- und Sonderregelungen werden aber noch zur Sprache kommen müssen. Einfach hingegen das regulative Grundprinzip: Wird der Zweite Religionsfrieden von 1648 die konfessionellen Besitzstände an ein Stichdatum binden, stellte der Erste, der von Augsburg, auf die freie Entscheidung des Landesherrn ab. Die regionale Obrigkeit – ob Kurfürst, Fürst oder Graf, in Reichsstädten der Stadtrat – konnte zwischen zwei Konfessionen wählen und diese Glaubenswahl ihrem Territorium verbindlich vorschreiben.

Die zulässigen Optionen: Katholizismus und „augspurgische confession“

Bei den beiden reichsrechtlich zulässigen Konfessionen handelte es sich, modern gesprochen, um Katholizismus und Luthertum. Anders die Terminologie des Augsburger Religionsfriedens: er kennt die „alte religion“ und die „augspurgische confession“. „Konfession“ (lat. confessio = Bekenntnis): das meint ein spezifisches „Glaubensbekenntnis“; aber warum ist dieses „augspurgisch“? Am Augsburger Reichstag von 1530 hatten die Anhänger Luthers dem Kaiser eine schriftliche Zusammenfassung ihrer religiösen Anschauungen, die deshalb sogenannte Confessio Augustana („Augsburger Bekenntnis“) überreicht. „Alte religion“, „augspurgische confession“ – dass bald danach ein drittes Bekenntnis, der Calvinismus, ins Reich einsickern würde, hat man 1555 nicht vorhergesehen; ob auch die Anhänger Calvins vom Religionsfrieden geschützt seien, gehört denn auch zu den vielen Streitfragen, die seit den 1580er-Jahren die Atmosphäre im Reich erneut vergiften werden. Zunächst aber: zwei reichsrechtlich zulässige konfessionelle Optionen; im Norden und Osten optierten fast alle Obrigkeiten für jene Confessio Augustana, die in ihren Territorien längst maßgeblich war, im Westen und im Süden des Reiches gab es hingegen weiterhin viele katholische Territorien.

Ius reformandi der Obrigkeit

Der Wille der Obrigkeit gab also den Ausschlag. Im akademischen Lehrbetrieb machte man das später als „Ius reformandi“ der Landesobrigkeit griffig, und es kam diese Merkformel auf: „cuius regio, eius religio“. Herr Hinz und Frau Kunz pflegten es sich deutsch zusammenzureimen: „Wo ich leb, so ich bet“. Wo die Herrschaftstopografie kleinräumig und verwinkelt war, war es fortan auch die Konfession [<<14] slandkarte. Hier galt häufig genug schon hinter dem nächsten Bergrücken die andere einzig wahre Glaubensformel, das anders formulierte exklusive Heilsversprechen. Im Jahr 1997 berichtete eine fränkische Tageszeitung über das bei Wolframs-Eschenbach liegende 60-Seelen-Dörfchen Adelmannsdorf, das ein Bach durchschneidet: „Die Häuser davor sind ausnahmslos katholisch, die dahinter evangelisch … Ein Kind springt leicht über diesen Bach – für Hochzeiter ist er nach Jahrhunderten noch zu breit.“ Noch nie habe „jemand aus der einen Hälfte des Dorfes in die andere geheiratet“. Das liegt natürlich nicht an magischen Wirkkräften des dahinrinnenden Wassers, wir sehen Spätfolgen der vormodernen Herrschaftstopografie – der einen Dorfhälfte prägte einst der Deutsche Orden den Glauben auf, für die andere war die evangelische Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach maßgeblich.

Ein politisches System – zwei Wege zum Seelenheil

In der Mitte des Kontinents war die Glaubensentscheidung (nach vormodernem Verständnis ein wichtiges Attribut von Staatlichkeit) seit 1555 definitiv gleichsam eine Ebene tiefer angesiedelt als in den werdenden Nationalstaaten der Iberischen Halbinsel, West- und Nordeuropas. Das Alte Reich, der Dachverband über den zahlreichen mitteleuropäischen Territorien, hatte dauerhaft zwei divergierende Wege zum Seelenheil, zwei exklusive, einander erbittert bekämpfende Wahrheitsmonopole zu integrieren, politisch zu überwölben. Ein politisches System, zwei Wege zum Seelenheil – das war im europäischen Maßstab eine avantgardistische Leistung. Der Augsburger Religionsfrieden ist überhaupt in vielen Hinsichten wegweisend, er gehört sogar in eine Archäologie der Grund- und Menschenrechte. Aber wenn man vom Dreißigjährigen Krieg aus auf ihn zurückblickt, muss man die negativen Seiten hervorkehren.

Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 eilte seiner Zeit zu weit voraus. Es kann faszinieren, den Akten abzulesen, wie sich das vom doppelten Wahrheitsmonopol bedrohte Reich 1555 auf den säkularen Boden eines politischen Friedens rettete. Aber nach gut einer Generation pochte das Wahrheitsproblem kraftvoller denn je wieder an die Türe. Eine Generation lang schien der Gedanke, den Wahrheitsdissens rechtlich zu neutralisieren und politisch zu überwölben, das Reich tatsächlich zu befrieden, aber seit den 1580er-Jahren wurde dann ziemlich rasch ziemlich vieles schlechter. [<<15]