Loe raamatut: «Drogen»
Ansichten und Behauptungen über Drogen und deren Konsument*innen gibt es reichlich. Dieses Buch hinterfragt sie. Es bietet Betroffenen und deren Angehörigen, aber auch anderen an der Thematik interessierten Personen Informationen, die den Blick auf Abhängigkeit und davon Betroffene schärfen sollen, und stellt essenzielle Fragen:
Wieso werden manche Menschen abhängig und andere nicht? Was sind die Folgen der Abhängigkeitserkrankung und wie kommt der oder die Abhängige wieder heraus? Sind Frauen anders süchtig als Männer? Wie gehe ich mit erkrankten Angehörigen um? Welche Möglichkeiten gibt es, Kinder und Jugendliche präventiv vor einer Abhängigkeitserkrankung zu schützen?
Die Ansicht, dass „der eine Tropfen Alkohol“ unweigerlich wieder in die Abhängigkeit führe oder Cannabis eine Einstiegsdroge sei, wird genauso kritisch hinterfragt wie der Glaube, dass strenge Verbote die Drogenprobleme einer Gesellschaft lösen können. Die Autorin stellt solche und weitere Vorurteile und Mythen auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse sowie praktischer Erfahrungen aus ihrer langjährigen Arbeit mit Abhängigkeitserkrankten infrage. Erfahrungen von Betroffenen runden das Bild ab.
BARBARA GEGENHUBER
DROGEN.
VORURTEILE, MYTHEN, FAKTEN.
FALTER VERLAG
© 2019 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.
1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9
T: +43/1/536 60-0, E: bv@falter.at, W: www.falter.at
Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung!
ISBN ePub: 978-3-85439-656-7
ISBN Kindle: 978-3-85439-649-9
ISBN Printausgabe: 978-3-85439-636-9
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2020
INHALT
Cover
Titel
Impressum
VORWORT
DIE POLITIK UND DIE SUCHT
Von Prohibition bis Legalisierung – was wirkt?
Die rechtliche Situation in Österreich
WIE DROGEN WIRKEN
FREIZEITDROGENKONSUM
GEBRAUCH – MISSBRAUCH – ABHÄNGIGKEIT. NICHT NUR DIE DOSIS MACHT DAS GIFT
Gebrauch
Schädlicher Gebrauch
Abhängigkeit
ENTWICKLUNG DER ABHÄNGIGKEIT
Biopsychosoziales Modell
Risiko- und Schutzfaktoren
SIND FRAUEN ANDERS SÜCHTIG? – GENDER-SPEZIFISCHE ASPEKTE VON SUCHTERKRANKUNGEN
DIE FOLGEN DER ABHÄNGIGKEIT
Drogenabhängigkeit und Kriminalität
Soziale Folgewirkungen
Körperliche Folgewirkungen
Psychische Folgewirkungen
DIE WEGE AUS DER SUCHT SIND VERWORREN
Raus aus der Sucht – will ich das wirklich?
Abstinenz oder Akzeptanz – eine ideologische Debatte
Genesungsverläufe und der Umgang mit Rückfällen
RAUS AUS DER SUCHT – ABER WIE?
Opioid-Substitutionstherapie
Entzug
Entwöhnung und Rehabilitation
Kontrollierter Konsum
Selbstgesteuerte Ausstiegsverläufe
Recovery-Orientierung in der Suchthilfe
Selbsthilfe
SCHADENSMINIMIERUNG UND SAFER USE
MYTHOS CO-ABHÄNGIGKEIT
KINDER AUS SUCHTBELASTETEN FAMILIEN
PRÄVENTION BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN
KLEINE SUBSTANZKUNDE
Alkohol
Opiate und Opioide – Heroin
Kokain und Crack
Cannabis
Amphetamin – Speed
Methamphetamin – Crystal Meth
MDMA – Ecstasy
LSD
Neue psychoaktive Substanzen
ANHANG
Literaturverzeichnis
Register
Endnoten
Die Autorin
VORWORT
In den USA der 1920er- und frühen 1930er-Jahre blüht der illegale Verkauf und Handel von Alkohol dank der von der Regierung verordneten Alkoholprohibition. Die organisierte Kriminalität mit berühmten Vertretern wie Al Capone oder Lucky Luciano beherrscht den Handel mit der Substanz, die der Staat verboten hat, die Bevölkerung sich aber nicht nehmen lassen will. Nach dem Eingeständnis des Scheiterns der Prohibition im Jahr 1933 gerät eine andere Substanz ins Visier der amerikanischen Behörden. Harry J. Anslinger trieb als Chef des Federal Bureau of Narcotics den Kampf gegen psychoaktive Substanzen voran, vor allem gegen Cannabis und Opiate. Anslinger war ein strenger Verfechter des Drogenkriegs und der festen Überzeugung, dass repressive Maßnahmen gegen den Drogenkonsum wirksam seien.
Nordamerika, Mexiko oder die Philippinen, aber auch viele anderen Staaten der Welt, vertreten viele Jahrzehnte später immer noch die Überzeugung, dass mit kontrollierenden und reglementierenden Maßnahmen dem Drogenproblem beizukommen sei, obwohl alle wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen deren Wirksamkeit sprechen. Im Gegenteil, Nordamerika steht derzeit vor der bisher größten Opioid-Krise aller Zeiten, die Gefängnisse sind voll von Menschen, die in den „War on Drugs“ involviert sind, und eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Obwohl die Drogenpolitik im westlichen Europa weit fortgeschrittener ist, ist auch hierzulande die Meinung, dass Prohibition, Kriminalisierung und Kontrolle das Drogenproblem lösen könnte, weit verbreitet. Doch Verbote und Ausschluss sind genau das, was Menschen mit einer Suchterkrankung nicht nur nicht hilft, sondern, wie im Fall von anderen marginalisierten Gruppen auch, sogar eher kontraproduktiv ist. Inklusivere Konzepte und Vorgehensweisen brauchen mehr spezifisches Know-how und aktuelles Wissen über die Erkrankung, um bestehenden Vorurteilen entgegenzutreten.
Der „War on Drugs“ ist nur ein Beispiel für die auf Vorurteilen und falsche Annahmen beruhenden Maßnahmen, die rund um das Thema Drogen getroffen werden. Im Zuge meiner langjährigen Arbeit mit Abhängigen war ich in meinem Umfeld immer wieder mit denselben Ängsten, Mythen und Vorurteilen über Suchtkranke konfrontiert. Dieselben Fragen, dieselben falschen Annahmen, dieselben Sorgen und Befürchtungen. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass mit zunehmendem Wissen über die Erkrankung das Verständnis für die Betroffenen steigt, die Auseinandersetzung mit der Thematik hilft Vorurteile abzubauen. Es gibt im Allgemeinen wenig Verständnis für Drogenkranke, zumindest so lange, bis sich jemand näher mit ihnen auseinandersetzt und versucht, die Dinge zu hinterfragen und zu verstehen. Die unter dieser Situation Leidenden sind zuallererst die Abhängigen selbst, die kaum eine Lobby haben und nur sehr selten ein Sprachrohr, um sich Gehör zu verschaffen. Gibt es in den Medien Schlagzeilen über Süchtige, sind diese meist negativ, weil es oft nur um Dealer in U-Bahn-Stationen und Beschaffungsdelikte geht. Selten gibt es Berichte über die Menschen dahinter, selten geht es darum, wer sie sind und wie es ihnen geht.
Dieses Buch soll einige weitverbreitete Annahmen über Drogen und deren Konsument*innen hinterfragen und zurechtrücken sowie Betroffenen und Angehörigen, aber auch anderen an der Thematik interessierten Personen, Informationen bereitstellen, die zu einem anderen Blick auf Sucht und Suchtkranke führen können. Es bietet einen Überblick zu einer breiten Auswahl von Themenbereichen, die mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen in Verbindung stehen. Welche unterschiedlichen Formen des Konsums gibt es, wieso werden manche Menschen abhängig und andere nicht, welche Folgen hat die Abhängigkeitserkrankung und wie kommt der oder die Süchtige da wieder heraus? Mythen, wie der eine Tropfen Alkohol, der unweigerlich wieder in die Sucht führt, werden genauso hinterfragt wie die verbreitete Annahme, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei. Dazu werden wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse sowie praktische Erfahrungen aus meiner langjährigen Arbeit mit Suchtkranken innerhalb und außerhalb des Gefängnisses aufbereitet. Ergänzend runden Lebensgeschichten und Erfahrungen von Betroffenen selbst das Bild ab. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei ihnen allen für die Bereitschaft, ihre Erfahrungen mit den Leser*innen dieses Buches zu teilen, bedanken. Ohne sie und all die anderen drogenabhängigen Menschen, die ich in meinem Leben kennen lernen durfte, würde es dieses Buch nicht geben.
DIE POLITIK UND DIE SUCHT
Österreich hat bei der Herstellung und dem Konsum von Alkohol eine lange Tradition, er ist Teil unserer Kultur. Es ist noch gar nicht so lange her, dass es gang und gäbe war, auf Baustellen oder ähnlich herausfordernden Arbeitsplätzen Bier zu trinken, natürlich nur wegen des Flüssigkeitsverlustes und der Elektrolyte. Der Konsum von Alkohol auf den zahlreichen Zelt- und Dorffesten am Land, aber auch in Bars und Lokalen in den Großstädten ist für viele selbstverständlich. Die Weinbauern der steirischen Weinstraßen oder anderer Heurigengegenden sind genauso wenig aus der Landschaft wegzudenken wie die großen Brauereien, die als Sponsoren von Veranstaltungen auftreten oder Werbung in den Medien schalten. Alkohol wird in Österreich mit einer Selbstverständlichkeit konsumiert, wie das nicht in vielen Ländern dieser Welt der Fall ist.
Das heißt aber nicht, dass andere Kulturen nicht auch Substanzen zur Berauschung verwenden. So etwa findet man in den südamerikanischen Anden zahlreiche Coca-Bauern. Das Kauen von Blättern der Coca-Pflanze ist aufgrund ihrer anregenden Wirkung in den hochgelegenen Gegenden von Peru, Chile oder Bolivien weit verbreitet. In der Eisenbahn, die über das peruanische Hochland fährt, wird im Bordrestaurant Coca-Tee als Mittel gegen die Höhenkrankheit verkauft. Die Bevölkerung kaut die Blätter mit ihrer stimulierenden und aktivierenden Wirkung zu vielen Gelegenheiten. In Ländern ohne eine derartige Tradition ist die Coca-Pflanze weitgehend verboten, obwohl man kiloweise Blätter benötigen würde, um eine brauchbare Menge Kokain daraus herzustellen. In einer anderen Ecke der Welt ist der Konsum von Cannabis verbreitet, nicht nur weil die gesetzlichen Regelungen dies erleichtern, sondern auch weil damit ein gewisses Lebensgefühl transportiert wird. Man denke dabei nur an die Rastafarians in Jamaika, bei denen Reggae, Dreadlocks und Cannabiskonsum wohl die bekanntesten Aspekte der Rasta-Religion darstellen.
Es sind also bei weitem nicht die Gefährlichkeit oder das Abhängigkeitspotenzial alleine, die über den Konsum von psychoaktiven Substanzen in einem Land entscheiden, vielmehr sind es die Traditionen und damit verbunden natürlich auch die gesetzlichen Regelungen, die das Ausmaß dieses Konsums in einer Gesellschaft mitbestimmen. Relativ deutlich sieht man dies am sehr unterschiedlichen Umgang mit Cannabis, das in immer mehr Ländern der Welt legalisiert oder zumindest entkriminalisiert wird, während es in anderen noch streng verboten ist. Mit einer rein wissenschaftlich orientierten Einschätzung der Gefährlichkeit einer Substanz hat das nichts zu tun, sonst wären vermutlich Alkohol und Nikotin verboten und Cannabis erlaubt. Es muss demnach andere Gründe für die unterschiedlichen Herangehensweisen und gesetzlichen Regelungen geben.
Um einen Einblick in die Entstehung dieser Zugangsweisen zu bekommen, muss man etwas weiter zurückgehen und einen Blick in die amerikanische Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts werfen. Bis zum Jahr 1920 galten in den USA Alkohol und Cannabis als legale Genussmittel, in den Saloons wurde Alkohol getrunken, Kühlgeräte wurden von Brauereien gesponsert. Damit einhergehend wuchs auch das Angebot an Glücksspielen und Prostitution. Diese zunehmende Freizügigkeit und Lustbarkeit gefiel nicht allen in den USA. Puritanische Bewegungen, die vorwiegend von der anglikanischen Oberschicht ausgingen, sahen ihren Einfluss und die christlichen Werte schwinden und setzten sich für ein Verbot des Alkohols ein. Kriminalität und Korruption, soziale Probleme und die große Zahl an Gefängnissen wurden dem „Teufel Alkohol“ angelastet. So kam es, dass immer mehr Bundesstaaten unter dem Druck verschiedener Abstinenzorganisationen, wie etwa der Anti-Saloon League, der Prohibition Party, der Woman’s Christian Temperance Union (Christlicher Frauenbund für Abstinenz) und vieler anderer mehr, lokale Alkoholverbote erließen. Es entstanden Landkarten mit „trockenen Zonen“. Im Jahr 1916 war die Prohibition in 23 Staaten der USA eingeführt. Mit 16. Jänner 1920 trat das sogenannte Volstead-Gesetz in Kraft, das die Erzeugung, den Verkauf sowie Transport alkoholischer Getränke auf amerikanischem Staatsgebiet untersagte. Der Beginn der Ära der Prohibition begann mit der Hoffnung auf eine Verbesserung der Gesundheit und der sozialen Situation der Bürgerinnen und Bürger.
Tatsächlich hatte die Prohibition auch positive Auswirkungen, der Alkoholkonsum ging anfangs zurück und auch die alkoholbezogenen Todesfälle – vorwiegend durch Leberzirrhosen – verringerten sich deutlich. Wer sich aber betrinken wollte, dem gelang das auch damals. Alkohol war zwar nicht mehr auf legalem Weg zu kaufen, dafür blühten Schwarzmarkt, Schmuggel und Schwarzbrennerei. Obwohl Alkohol verboten war, konnte man immer irgendwo welchen erstehen. Es etablierten sich sogenannte „Speakeasys“, illegale Bars, in denen man nach dem „Flüstern“ eines Codewortes Alkohol beziehen konnte. Schwarzbrenner destillierten illegal Whisky, der aufgrund seiner heimlichen Herstellung bei Nacht auch „Moonshine“ genannt wurde.
Doch nicht alle Schwarzbrenner arbeiteten sauber und gewissenhaft, gepanschter Alkohol verursachte Vergiftungen, die zu Hirnschäden und Erblindungen bis hin zum Tod führten. Auch gingen die Konsument*innen dazu über, eher hochprozentige Spirituosen statt Wein oder Bier zu trinken, da diese leichter zu schmuggeln waren. Wer Alkohol trinken wollte, bekam diesen, jedoch war der Konsum in Hinblick auf die gesundheitlichen Folgeschäden und die Kriminalisierung deutlich riskanter. Die Zahl der Verbrechen und damit auch der Inhaftierten stieg massiv an, die Korruption blühte.
Eine weitere wesentliche negative Folge der Prohibition war die Förderung mafiöser Strukturen und organisierter Kriminalität. Kriminelle wie Al Capone oder Johnny Torrio gründeten Vereinigungen, die nicht zuletzt durch den Verkauf von Alkohol und die Kontrolle des Alkoholmarktes vorher nie dagewesene Größe und Einfluss erlangten. Der illegale Handel mit Alkohol war ein großes Geschäft, mafiöse Strukturen blieben weit über das Ende der Prohibition bestehen. Lediglich die Art der gehandelten Waren änderte sich im Lauf der Zeit, weg von Alkohol hin zu Drogen und Waffen.
Aufgrund dieser negativen Folgewirkungen musste man schließlich zur Kenntnis nehmen, dass das schlichte Verbot einer Substanz nicht den gewünschten Erfolg bringt, sondern, im Gegenteil, weit massivere Probleme schafft. Dazu kam, dass die Besteuerung von Alkohol auch eine attraktive Einnahmequelle für das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Land darstellte. So wurde am 5. Dezember 1933 das Experiment Prohibition wieder aufgegeben.
Damit war der Kampf gegen den Substanzkonsum jedoch nicht beendet. Es gab nach dem Ende der Prohibition viele Arbeitskräfte, die mit der Kontrolle und Exekution des Volstead-Gesetzes beschäftigt gewesen waren und nun keine Aufgabe mehr hatten. In diesem Zusammenhang spielte Harry J. Anslinger, der damalige Leiter des Federal Bureau of Narcotics, eine wesentliche Rolle. Er war ein entschiedener Gegner von Drogen, jedoch weniger aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als aufgrund persönlicher Erfahrungen sowie rassistisch geprägter Vorurteile. Er vertrat die Meinung, dass Marihuana die Menschen zu wilden Bestien macht, die Frauen vergewaltigen und töten, und bezog sich dabei auf einen damals großes Aufsehen erregenden Mordfall, ein Einzelereignis, das medial hochstilisiert wurde. Der Zeitungsmagnat William Randolph Hearst sowie ein Chemiekonzern unterstützten Anslingers Kampagne, auf eine wissenschaftliche Überprüfung seiner Thesen wurde kein Wert gelegt. Im Gegenteil, Anslinger führte seinen erbitterten Kampf gegen Marihuana mit autoritären und polemischen Mitteln und verknüpfte diesen mit einer rassistischen Kampagne gegen Schwarze und andere Einwanderer, was in Teilen der Bevölkerung auf regen Zuspruch stieß. Im Jahr 1947 wurde Anslinger in die UN-Drogenkommission berufen, wo er im Jahr 1961 die „Single Convention on Narcotic Drugs1“ durchsetzte, in der Cannabis mit anderen Drogen, wie etwa Heroin, gleichgesetzt wurde. Dieses Einheitsabkommen über Betäubungsmittel unterzeichneten insgesamt 183 Staaten, es ist die bis heute gültige Grundlage gesetzlicher Bestimmungen in zahlreichen Ländern.
Während die USA und andere Staaten nach wie vor einen Drogenkrieg führen, entwickelten sich in Westeuropa gänzlich andere Konzepte. Eine wesentliche Rolle spielten dabei Länder wie die Schweiz, die bis heute einen eher liberalen und unterstützenden Umgang mit Konsument*innen illegalisierter Substanzen pflegt, was allerdings auch mehr der Not als der Tugend geschuldet ist. Ende der 1970er-Jahre etablierte sich in einem Park namens „Platzspitz“ und an anderen Orten in Zürich eine offene Drogenszene, die von der Polizei toleriert wurde und sich bald als Anziehungspunkt für Drogenabhängige aus der gesamten Schweiz entwickelte. Die Konsument*innen lebten in dem Park und gingen dort offen ihrem Konsum, dem Drogenhandel, der Prostitution und anderen sonst gesellschaftlich unerwünschten Verhaltensweisen nach. Die Stadt tolerierte die Szene und überließ sie sich selbst, was nach und nach zur Ghettoisierung und Verelendung der dort wohnhaften Abhängigen führte. Eine kaum mehr zu bewältigende Anzahl an Überdosierungen und Drogentoten war die Folge. Der mittlerweile als „Needle-Park“ bekannte Platzspitz musste Anfang der Neunzigerjahre geschlossen werden, es brauchte andere Konzepte. Ein Mittelweg zwischen Repression und Freigabe, begleitet von Therapie und schadensminimierenden Angeboten, ist seither die Basis der Schweizer Drogenpolitik. Auch progressivere Konzepte wie die Substitutionsbehandlung mit Diamorphin (Heroin) kommen erfolgreich zur Anwendung, etwas, das in vielen anderen Ländern – Österreich eingeschlossen – politisch undenkbar ist.
Neben diesen historischen Aspekten sieht man auch an aktuellen Diskussionen, dass die Drogenpolitik nicht nur vom Interesse an einem ordentlichen Umgang mit Süchtigen getragen ist. Während zum einen weiterhin ein Krieg gegen illegalisierte Substanzen geführt wird, gibt es derzeit auch ganz andere Bestrebungen: Die Legalisierung von Cannabis schreitet voran, die Regelungen in den USA sind in einigen Bundesstaaten mittlerweile wesentlich liberaler als im einstigen „Kifferparadies“ Amsterdam. Auch wenn die Tendenz in den USA recht eindeutig in Richtung eines liberaleren Umgangs mit der Substanz geht, ist ersichtlich, dass dieser nicht rein auf evidenzbasierten Fakten zum Nutzen oder der Schädlichkeit der Substanz basiert: Von den fünfzig Bundesstaaten ist in rund einem Drittel der Konsum weiterhin illegal, knapp ein Fünftel hat den Konsum legalisiert, ein weiteres Fünftel erlaubt Cannabis aus medizinischen Gründen und in einigen wenigen Staaten erfolgte eine Entkriminalisierung, ein Modell, dem beispielsweise auch Portugal sehr erfolgreich nachgeht.
Die Regelungen sind von einer Vielzahl unterschiedlicher, einander zum Teil widersprechender Interessenlagen abhängig. Steuereinnahmen und Qualitätskontrolle sprechen für eine Legalisierung, die potenziell gesundheitsschädliche Wirkung jeder psychoaktiven Substanz ist nicht zu leugnen. Bleibt letztlich die politisch-ideologische Frage, wie viel gesundheitsschädliche Substanzen sich eine Gesellschaft um welchen Preis leisten will und ob man mehr auf Eigenverantwortung oder mehr auf Fremdbestimmung der Konsument*innen setzt.
Wie ideologisch diese Debatte hierzulande geführt wird, sieht man auch daran, dass sie wenig differenziert ist. Die einen warnen vor Cannabis als Einstiegsdroge, während die anderen nicht einsehen, wieso sie im Keller Bier brauen, aber Gras am Balkon nicht züchten dürfen. Über die Hintertür der Verwendung zu medizinischen Zwecken kann etwas weniger emotionalisiert diskutiert werden, wobei genau diese Vermischung der Liberalisierungsdebatte mehr schadet als nützt.