Loe raamatut: «Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17», lehekülg 2

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Die zweite Gruppe widmete sich dem Geschichtsunterricht und den darin beobachtbaren Interaktions- bzw. Lernprozessen. Dabei kamen fachliche Dimensionen und die Dimension der Urteilsbildung in den Blick.

Barbara Christophe untersuchte je zwei Unterrichtsstunden zum Kalten Krieg in Deutschland und in der Schweiz. Die dargebotenen Deutungen erschienen in den Unterrichtslektionen monoperspektivisch, und die explizite Auslassung der politischen Dimension wurde nicht transparent gemacht. Die Autorin kam zum Schluss, dass die Transparenz und Reflexivität im Umgang mit der politischen Dimension allen historischen Erzählens nicht nur ein Gebot der erinnerungskulturellen Fairness in pluralen Gesellschaften ist, sondern auch eine Voraussetzung für Verstehen darstellt.

Andrea Kolpatzik nahm mit ihrem Beitrag die Urteilsbildung im Geschichtsunterricht in den Blick. In ihrer Fallstudie untersuchte sie ein mehrere Lektionen umfassendes Unterrichtssetting zur NS-Propaganda und fokussierte darin auf die sprachliche Verfasstheit von Werturteilen und deren diskursive Begründung. Dabei zeigte sich, dass den Schülerinnen und Schülern für die (selbst-)reflektierte Urteilsbildung nebst dem notwendigen (bildungs-)sprachlichen Wortschatz auch das Verständnis für die mit den Arbeitsaufträgen verknüpften domänenspezifischen Denkleistungen fehlte.

Die dritte Gruppe von Beiträgen befasste sich mit historischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern sowie mit Grundlagen von deren Diagnose.

Jan Scheller entwickelte, ausgehend vom FUER-Kompetenzstrukturmodell, ein Analyseraster für die Feststellung und Diagnose der De-Konstruktionskompetenz bei Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Die deduktiv hergeleiteten Analysekategorien schlüsselte er anhand von verschiedenen Medien feingliedrig auf.

Christiane Bertram, Wolfgang Wagner, Michael Werner, Ulrich Trautwein und Waltraud Schreiber untersuchten in einer Längsschnittstudie die Kompetenz- und Interessenentwicklung von Schülerinnen und Schülern der 9. bis 12. Klasse in deutschsprachigen Schulen in Belgien, die mit dem »mBook« arbeiteten. Sie stellten fest, dass das Interesse am Fach Geschichte ab der 10. Klasse zunahm. Hinsichtlich der Kompetenzentwicklung konnte in den ersten drei Jahren ein beachtlicher Zuwachs festgestellt werden, der sich im letzten Jahr abschwächte.

Kristine Gollin und Martin Nitsche nahmen die Struktur historischer Schreibprozesse von Deutschschweizer Schülerinnen und Schülern der 10. und 11. Gymnasialstufe in den Blick. Im Rahmen der Aufgabenentwicklung in Cognitive Labs wurden die bei der Aufgabenlösung beobachtbaren Operationen narrativer Kompetenz erfasst und kategorisiert sowie weitere damit verbundene Lese- und Schreibtätigkeiten herausgearbeitet.

Der vorliegende Tagungsband vermag wiederum einen substanziellen Einblick in derzeitige empirische Forschungsprojekte der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik zu geben. Diese Zusammenschau wurde unter anderem ermöglicht durch finanzielle Zuschüsse des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Ein großes Dankeschön gebührt den Reviewerinnen und Reviewern aus dem geschichtsdidaktischen Kreis, die sich an der Review der Abstracts vorgängig zur Tagung sowie bei der Review der eingegangenen Buchbeiträge beteiligten. Zum Schluss geht der Dank an Manuel Hubacher, der uns mit sehr viel Umsicht bei der Organisation der Tagung unterstützte und federführend die Erstellung des Manuskripts voranbrachte.

Literatur

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Translation II

Translation: Von der Theorie zur Empirie und zurück

Drei Vorschläge für den Weg

Michele Barricelli

Mit Fug und Recht lässt sich heute sagen, die Geschichtsdidaktik habe eine Periode des relativen Mangels an empirischer Forschung hinter sich gelassen.2 Ertragreiche Projekte gibt es in steigender Zahl, die Fragestellungen sind interdisziplinär anschlussfähig geworden, der Gebrauch von Erhebungs- und Auswertungsmethoden gelingt zunehmend sicher. Die Schweizer Tagungsreihe »geschichtsdidaktik empirisch« der FHNW (mit ihren entweder tiefstapelnden oder verwegenen Minuskeln) hat nicht wenig zu diesem glücklichen Umstand beigetragen. Dafür gebührt den Ideengebern, spiritus rectoribus, Organisatoren, auch den Förderern großer Dank.

Entsprechend der Fortentwicklung von Aufgabenbereichen, methodischen Zugängen und Auskunftsmöglichkeiten gibt es nun bereits eine Vielzahl von Überblicken zum Stand der empirischen Forschung in der Geschichtsdidaktik. Diese sind, ob in Aufsatzform, Sammelbänden oder Monografien, oft eher auf die methodische Seite der Forschung konzentriert wie zuletzt der Band von Holger Thünemann und Meik Zülsdorf-Kersting (2016), dem hier manche beispielhaften Anregungen entnommen werden. Rarer, wiewohl ebenso zu finden sind allgemeine Überlegungen dazu, wie die neu hinzutretende Betonung des empirischen Zugriffs die Denkroutinen und Arbeitsweisen in der Disziplin Geschichtsdidaktik verändert hat. Bei Letzterer herrschen naturgemäß gewisse pragmatische Hinsichten vor, die um Empfehlungen für eine gute, zuverlässige und nützliche Forschung sozusagen im Dienste des Kunden (der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte, einer an Geschichte und Erinnerung interessierten Öffentlichkeit, der Bildungspolitik) gruppiert sind.3 Dass sich zugleich der Charakter der Geschichtsdidaktik als Wissenschaft überhaupt wandelt, gerät dagegen noch recht wenig in den Blick. Denn diese ist nun ja nicht mehr länger (oder will oder darf es nicht sein) eine dominant hermeneutisch arbeitende Instanz, deren Ausübende einer scholarship im Sinne etwa eines Hans Ulrich Gumbrecht huldigen, die einst (nur) zu Kontemplation, langer gedanklicher Verweildauer und schier unendlichem Austausch jeweils nur fein modifizierter Argumente im behaglichen Diskurs innerhalb eines geschützten Raumes verpflichtete. Stattdessen orientiert man sich unter der Parole von Messbarkeit an einer Idee der Verwertbarkeit von Ergebnissen und stellt sich zudem in vielen auch nichtakademischen Räumen, zum Beispiel in Beiräten und Fachkommissionen von Museen, Gedenkstiftungen oder Anstalten öffentlicher Erinnerung, drängenden Nachfragen, mahnenden Ansprüchen und ungeduldig vorgebrachten Auskunftsersuchen nach dem Muster »Was kann Bildung zum Abbau von Fundamentalismen und Extremismen beitragen?«, »Wie hilft Geschichte bei der Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts?«, »Ist unsere liberale Demokratie zu retten?«. Soll heißen: Statt dass die Geschichtsdidaktik Zeit erhält zu er- und begründen, was »Fundamentalismus« und »Extremismus«, »Gesellschaft«, »Pluralität« und »Demokratie« in ihrer jeweils historischen Dimension bedeuten und wie man solch verwickelte Konzepte lehren kann, um sich möglicherweise zu aus ihnen erwachsenden Bedürfnissen zu verhalten, werden nunmehr – auch, aber beileibe nicht ausschließlich unter dem Paradigma der Kompetenzbasierung von allgemeinbildendem Fachunterricht – standardmäßige Formulierungen zu graduierten Leistungsniveaus auf den Feldern etwa der Gesellschaftsstärkung oder Demokratiesicherung (eher sogar noch der Abwehr von nicht gewünschten Erscheinungen der Verwerfung, des Auseinanderbrechens, der Desintegration) gefordert. Die einen nennen dies einen willkommenen Bedeutungszuwachs der Fachdidaktiken und hier der Geschichtsdidaktik durchaus im Besonderen; die anderen beklagen einen Verlust an Autonomie und konstatieren eine neue Getriebenheit im Allgemeinen, von der das auf empirische Forschung ausgerichtete Drittmittelwesen ja nur der Ausdruck, nicht der Grund ist (vgl. dazu Barricelli, 2014).

In dieser Zeit, da die Geschichtsdidaktik also das empirische Wagnis in beiderlei Gestalt, der methodischen Anverwandlung wie der facheigenen Profilierung, auf sich genommen hat, sollte die theoretische Rückversicherung stete Begleiterscheinung sein. Diese wird hier diesmal von der Feststellung ausgehen, wie sehr wir angesichts des Booms der evidenzbasierten Lehr-Lern-Forschung als Forscherinnen und Forscher nicht nur, aber eben auch bei der Konzeption von Empirie in einer Zwangsjacke stecken. Denn die Ursituation aller empirischen Forschung in den nach wie vor »verstehenden« Geisteswissenschaften stellt sich dar, wie Ludwig Wittgenstein sie einmal beschrieb:

»Es ist für unsere Untersuchung wesentlich, dass wir nichts Neues mit ihr lernen wollen. Wir wollen etwas verstehen, was schon offen vor unseren Augen liegt. Denn das scheinen wir, in irgendeinem Sinn, nicht zu verstehen.«

(Wittgenstein zusf. zit. nach Wrabel, 1998, 65 f., Hervorhebungen im Original)

Richtig betrachtet, liegt darin die Crux oder die Herausforderung unseres Strebens: nicht die passenden Fragen zu stellen, Methoden zu beherrschen, nach Resultat, Anschluss und Transfer zu suchen – das ist alles auch von Belang, kommt aber später. Zuerst geht es um die Ideologien der Untersuchung, das heißt um das Verhältnis unseres forschenden Tuns zu uns selbst (und eben nicht zu den anderen, die wir vom Erfolg der Forschung erst überzeugen wollen). Es geht darum, einen Bedingungszusammenhang zwischen Mentalität und Messung ehrlich zu erzählen. Drei der dafür nötigen Grundeinstellungen, Marken auf dem Weg zu valider Erkenntnis, sollen im Folgenden benannt werden. Sie seien wie folgt überschrieben:

1.Maß halten,

2.reflexiv bleiben,

3.nützlich sein.

1Maß halten

Geschichtslernen sei schwerer als Mathematik. – So lauteten Aussagen von Schülerinnen und Schülern sowie auch Meldungen von Zeitschriften, als in den 1990er-Jahren in Großbritannien das National Curriculum for History mit einiger Konsequenz und dem ganzen Zubehör auf ein narratives Verständnis von Geschichte umgestellt wurde. Denis Shemilt beschrieb, wenn man recht liest, fast genussvoll, wie die jungen Lernenden, bisher an die Verkündung und Wiederholung feststehender historischer Wahrheiten gewöhnt, sich von nun an abstrampeln konnten, wie sie wollten: Nie würden sie gemäß den geänderten Voraussetzungen ein hinreichendes Lernergebnis erreichen:

»First we say that there is no single right answer to the really significant questions in history and that pupils must work out for themselves. Then we say: ›But not any answer will do. Some answers are indefensible even if no one answer is clearly right! And some admissible answers are not as good as other admissible answers.‹ Pupils then spend considerable time and effort learning how to determine which answers and accounts are better than others. If they succeed we say: ›But even though some accounts are better because more valid or coherent or parsimonious than others, there is no one best account, since we find it useful to vary questions, assumptions and perspectives.« (Shemilt, 2000, 98)

Ob unter solchen Bedingungen Ranke, Nipperdey, die Mommsens hätten Historiker werden wollen? Denn in der Tat: Heute gehen wir mit einiger Leichtigkeit davon aus, dass bereits Siebt-, ja Fünftklässler »Geschichte« als »sprachlich verfasste« »Konstruktion« oder, im Lautwert geheimnisvoller noch, »Konstrukt« in einer Art durchschauen sollen, wie dies vor fünfzig, geschweige vor hundertfünfzig Jahren noch kaum einem Fachmann geläufig gewesen ist: Dass ein Unterschied zwischen Quelle und Darstellung gemacht werden soll, ist als Erkenntnisprinzip abseits von frühen Außenseitern wie Droysen noch kaum ein halbes Jahrhundert alt. Die Standortgebundenheit von Geschichtsschreibung als conditio sine qua non wurde die längste Zeit eben nicht, wie heute, entweder resigniert oder aber stolz (an-)erkannt, sondern als durch Kritik auszumerzender Mangel eingestuft. Dass schließlich Geschichtsschreiberinnen und Geschichtsschreiber Erzählerinnen und Erzähler von möglichst vielen Geschichten sind oder sein sollten, von Geschichten mit argumentativen und diskursiven Anteilen, noch dazu well-written narratives, ist zumindest in Deutschland immer noch gar nicht Konsens. Es soll aber, zumal unter dem Leitstern der narrativen Kompetenz, das Maß historischen Lernens in der Schule sein. Freilich führt zur empirischen Erforschung dieser Grundeinstellung kein direkter Weg.

Eher gilt weiterhin die Bedingtheit, Beschränktheit und Kleinigkeit der in den entsprechenden fachlichen Studien verfolgten Fragen bzw. der verwertbaren Resultate. Jedoch ist Häme in Nachfolge alter, jetzt sprichwörtlich gewordener Abqualifizierungen etwa eines »Fingerhuts« von Erkenntnis durch »Fliegenbeinzählen« ganz fehl am Platze. Denn liest man die in den oben erwähnten Überblickswerken aufmarschierenden Studien chronologisch, synoptisch und im Zusammenhang, scheint es tatsächlich so, dass die eingeschlagene Richtung die eines Strebens nach immer größerer Systematisierung, nach Anschlussfähigkeit zu möglichst vielen Seiten, nach Komplettierung eines Bildes ist. Insofern überrascht nicht, dass häufig Fachtagungen unter überaus allgemeinen Titeln veranstaltet werden wie »Geschichtsdidaktik empirisch«, oder »Geschichtsunterricht« und dass das sogar – cum grano salis – funktioniert. Größe entsteht hier also durch Addition und Summen, nicht unbedingt den ausschweifenden Entwurf oder das visionäre Programm.

Letzteres gibt es jedoch auch. Es kann so überbordend sein, dass das eigentliche Schulfach sogar überschritten und historisches Denken bzw. Lernen nicht nur im Unterricht, sondern überall in der Gesellschaft abgebildet bzw. modelliert werden mag. Damit sind diese Konzepte noch größer als das ohnehin ja schon große PISA-Projekt, das sich freilich bislang nicht auf das Fach Geschichte erstreckt und das, bei allem, was man ihm an Gigantomanie vorwerfen kann – die gerade zu jener Schieflage geführt hat, welche im Namen antizipiert wurde –, dem Grundsatz nach nur auf Messungen von dem beruhen sollte, was üblicherweise Schulstoff in den betreffenden Fächern ist. Selbstverständlich kann an dieser Stelle die HiTCH-Studie (»Historical Thinking – Competencies in History«, Trautwein et al., 2017),4 ein veritables large-scale assessment, nicht außer Acht gelassen werden. In ihrem Umfang, ihrem Anspruch – eng verknüpft mit dem Kompetenzstrukturmodell der FUER-Gruppe unter Waltraud Schreiber – ist sie imponierend. Ihr methodischer Aufbau (Design, mehrfache Qualitätskontrolle, Pilotierung, Haupterhebung usw.) ist schlechterdings unangreifbar. Die nach Subgruppen differenzierten Befunde müssen wie stets noch weiter geprüft und gewogen werden, wobei allerdings das Urteil nur auf einem Indizienprozess beruhen kann (die entwickelten Testaufgaben bzw. Items werden nur exemplarisch veröffentlicht). An dem umfangreichen Projektbericht stimmt indessen nachdenklich, dass die Entwicklung dieses Instruments für die Validierung eines historischen Kompetenztests auf die Konstruktion eines, bei aller behaupteten Zuverlässigkeit der »dahinter stehenden Theorie« (Trautwein et al., 2017, 117), recht ominösen »Generalfaktors« historische Kompetenz angewiesen ist, der aufgrund seiner nicht mehr steigerbaren Verallgemeinerung womöglich nur noch wenig Erklärungs- oder Bezeichnungskraft besitzt (Trautwein et al., 2017, 95).5 Diese stupende Grundsätzlichkeit des Zugriffs, wo es doch eigentlich, wie gesagt, um eine eng umgrenzte intellektuelle Operation, noch dazu in einem beschränkten öffentlichen Raum (Schule), geht bzw. gehen sollte, wirft Fragen auf, denn er ist ja gepaart mit der praktischen Notwendigkeit, einen nicht zu langen, nicht zu umfangreichen Fragebogen (hier »Testheft«) für die Erprobung eben jener »Generalkompetenz« zu entwerfen. Das passt nur schwer zusammen. – Was den Menschen im Grundsatz, gänzlich oder in mental basierten Teilbereichen wie der Fähigkeit, zu lieben, zu streben, zu gestalten oder zu trauern, ausmacht, haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller seit Generationen im dichterischen Experiment zu ergründen versucht; gelungen ist dies bisher nicht, was begrüßt werden soll, da sonst ja die Produktion von Literatur, Theater, Film einzustellen wäre. Wie aber soll man nach einem noch so variantenreichen und durch mutmaßlich »raffinierte« (vgl. oben von Borries) Item-Formulierung ausgezeichneten standardisierten Test, der, schon durch die Körperkräfte beschränkt, kaum länger als einen Schultag dauert, sagen können oder sagen können wollen, wie ein junger Mensch, gegebenenfalls infolge geeigneter Schulung, »historisch denkt«?

Trotz aller Unwahrscheinlichkeit des Strebens in der Praxis bleiben die Einsicht in den Konstruktcharakter der Geschichte, in Standortgebundenheit und Perspektivität der historischen Narration, die Anerkennung von Multiperspektivität und Vorläufigkeit, das Abwägen von Gütekriterien innerhalb einer argumentierenden Erzählung wichtige Ziele von Geschichtsunterricht und historischem Lernen über die gesamte Schulzeit hinweg. Die Suche nach dem single best narrative ist schon um dieser Prinzipien willen zu verwerfen. Das Set an gemäß Shemilt unermüdlich erhobenen und in empirischen Studien getesteten Forderungen – nicht aufhören zu denken, nachzufragen, zu zweifeln, wieder von vorn zu beginnen – behält jedoch (lediglich?) idealen bzw. regulativen, jedenfalls nicht realistischen Wert. Denn so funktioniert die Lebenswelt der jungen Lernenden einfach nicht, nicht die sie umgebende Geschichtskultur oder Vergangenheitspolitik – dies zu bezeugen, muss man derzeit nicht erst nach Polen oder Ungarn schauen – und, man sei ehrlich, schon gar nicht die Produktion von aktuell gültigem Wissen zum Beispiel auf Historikertagen. Auf eine zumindest auf den ersten Blick widersprüchliche Art schafft unsere angeblich so diverse Gegenwart nämlich eine Pflicht zu Zuordnung und Bekenntnis. Dabei geht es freilich nicht, wie noch zu Zeiten einer nationalapologetischen Geschichtsschreibung, um Einheitlichkeit, sondern um Eindeutigkeit: Ich wähle einen Standpunkt, wofür ich Gründe benennen soll und den zu verteidigen ich bereit bin. Die Position mag im Laufe der Zeit wechseln; sie muss jedoch, zum Beispiel, im Augenblick des Stimmzetteleinwurfs in der Wahlkabine, beim Einkauf von mithilfe von Kinderarbeit erstellten Kleidungsstücken oder wenn jemand in der U-Bahn fordert, bestimmte Fahrgäste sollten dahin zurückgehen, woher sie kommen, klar sein. Dies sind fürwahr sämtlich kompetenzbasierte Aktionen bzw. Reaktionen.

Bodo von Borries hat wiederholt darüber nachgedacht, was genau eigentlich das Aus der Lernzielorientierung zugunsten des neuen, noch gewaltiger scheinenden Kompetenzparadigmas bewirkt hat (von Borries, 2004). Gewiss war dafür die nicht zu kontrollierende Beliebigkeit der taxonomisch obersten Lernzielebenen ein Grund. Die umfassenden sogenannten Fern- und Richtziele waren einfach auf Dauer nicht konsensfähig zu formulieren. Sehr ähnlich hielt von Borries seit jeher »Geschichtsbewusstsein« für ein viel zu komplexes mentales Konstrukt, um es als Ganzes oder auch nur in seinen wesentlichen Teilen empirisch regelrecht zu erforschen. Es hat ein wenig gedauert, bis die Geschichtsdidaktik daraus den richtigen Schluss zog, dass es mithin vielversprechender sei, statt, einer typisch deutschen Tradition folgend, in die Blackbox des Bewusstseins schauen zu wollen, sich, sozusagen im Sinne eines amerikanischen Pragmatismus, auf das zu beziehen, was als Äußerung und Handeln tatsächlich beobachtbar und damit zu messen, wägen und beschreiben ist. In die Theorie von den Kompetenzen immerhin wurde dieser empirische Zugriff durch das Konstrukt der »Performanz« von vornherein eingebaut. Nur gibt es eben bisher nicht den geringsten Konsens darüber, was eigentlich einen geschichtsbewussten Menschen praktisch ausmacht, wodurch er als solcher handelnd in Erscheinung tritt. Durchaus vermag man einen umwelt- oder gesundheitsbewussten Zeitgenossen erkennen – aber was prägt das Bild eines Jugendlichen, der Geschichtsbewusstsein besitzt? Jeder Geschichtsdidaktiker und jede Geschichtsdidaktikerin dürfte hier recht eigene Vorstellungen besitzen: Ist damit die Nachhaltigkeit von memorierbarem und in sensiblen Momenten vorzeigbarem Wissen, die entwickelte Urteilskraft, die reflektierte Haltung gemeint? Die Fähigkeit, andere mit seinen Geschichten über die Vergangenheit von nötigen Handlungen in der Gegenwart zu überzeugen? Die Einsicht in die Sinnlosigkeit historischen Geschehens, die in Verzweiflung ebenso münden könnte wie in Wagemut, die Hyperkritik an unseren gesellschaftlichen Zuständen? Die Entscheidung für eine bestimmte politische Partei oder jedenfalls eine ganz bestimmte nicht? Das mutige Eintreten für Diskriminierte in der U-Bahn? Der Verzicht auf Konsum zugunsten der Agitation? Deswegen ganz logisch, aber eigentlich ein Jammer: Fünfzig Jahre danach lässt sich, nur zum Beispiel, nicht einmal (mehr) sagen, ob die soixante-huitards besonders geschichtsbewusst oder aber geschichtsvergessen waren.

2Reflexiv bleiben

Die deutsche Geschichtsdidaktik besitzt den Vorteil, dass sie von Anbeginn um ein Höchstmaß von Reflexivität bemüht war und dieses Ziel auch theoretisch zu begründen suchte. Dass alle Erkenntnis bedingt ist und die Welt nicht aus Essenziellem, sondern aus Kontingenzen besteht, ist Teil ihrer Predigt seit Langem. Konsequent gilt das für alle geschichtsdidaktische Forschung: Wo ein Design entwickelt, eine Forschungsfrage präpariert wird, ist ein anderer, möglicherweise gar gegenteiliger Entwurf nie fern. Dass trotzdem der Eindruck besteht, man arbeite gemeinsam am großen Ganzen, ist dann eine besondere Leistung der inneren Verbundenheit. Diese Art von staunenswerter Reflexivität gilt nota bene nicht für alle Fachkulturen. Insbesondere die Naturwissenschaften zieren sich noch, anzuerkennen, dass das in der Schule vermittelte biologische oder physikalische Grundwissen gerade so konstruiert, interessengeleitet und überhaupt menschengemacht ist wie jede Meistererzählung der Geschichte. Mitnichten ist etwa in den jeweiligen Fachlehrplänen verankert, dass die Fotografie im 19. Jahrhundert an der scheinbar so ungekünstelten Lichtbrechung der weißen und eben nicht der dunklen Menschenhaut entwickelt wurde oder dass, ebenfalls im 19. als dem Jahrhundert, das wie kein anderes zuvor dem Binären verfallen war – Mann und Frau, wir und ihr, Herrscher und Beherrschte –, die Klassifizierung und Benennung der Säugetiere, der Mammalia, ganz entscheidend einem volkspädagogischen Impetus geschuldet war, der da lautete: Frauen erfüllen ihre naturbedingte Pflicht nur, wenn sie Kinder bekommen und diese dann auch an ihren Brustwarzen, den mammae, säugen (und eben nicht mit der Flasche aufziehen oder in die Obhut von Kinderfrauen geben, um womöglich noch einer anderen, gar Erwerbstätigkeit nachzugehen).

Jedoch, dieser rigorose Konstruktivismus, an dem die Geschichtsdidaktik so hängt, wird ausgerechnet für die empirische Forschung im Fach wenigstens zuweilen durchaus gelockert. Oder eher andersherum: Durch die Hintertür schleichen sich more often than not die eigentlich gefürchteten Essenzialismen wieder ein. Denn für den Augenblick jeder Messung ist mindestens eine theoretische Vorannahme als gegeben zu setzen. Um ein klassisches Muster der Feldforschung heranzuziehen: Die Ausprägung eines Faktors X beim historischen Lernen (Bildungsnähe, Sprachvermögen, Interesse, Geschlecht) kann nur ge- und ermessen werden, wenn eine je und je definierte Existenz von »Bildung«, »Sprache«, »Interesse«, »Geschlecht« immer schon vorausgesetzt wird. Jede Entwicklung von Testinstrumenten, z. B. für kompetenzorientiertes historisches Lernen auf der einen und für die entsprechenden Qualitäten der Lehrprofession auf der anderen Seite, ist von der Anerkennung der Beobachtbarkeit und kontrollierten Beschreibbarkeit eben jener Performanzen abhängig. Reflexivität kann dieses Vor-Einverständnis der Forschung mit ihren eigenen Vorannahmen bewusst machen, schafft es aber nicht aus der Welt. Es bleibt dabei: Jede Erhebung von historischen Kenntnissen oder fachlichem Urteilsvermögen benötigt zunächst einen abgehärteten Begriff vom Wissen und reasoning in der Domäne der Geschichte. Jede Überprüfung der Funktionalität von Schulbüchern verfolgt ein vorgängiges Konzept von gutem Unterricht und so weiter und so fort. Als Bestimmungsziele der Erkenntnisgewinnung kennzeichnet solche underlying assumptions allerdings zweierlei: Sie sind akademisch wie gesellschaftlich regelmäßig (höchst) umstritten und wenigstens mit den Mitteln der Empirie selbst nicht aufzudecken oder gar zu kritisieren. Sie sind im Übrigen in hohem Maße historisch. Warum spricht heute alle Welt von Identität, auch historischer (und möchte diese beschreiben, mit Merkmalen versehen, morphologisch herleiten), und nicht mehr von Emanzipation oder Autonomie, wie in den 1970er- und 1980er-Jahren? Könnte Identität nicht einfach ein gigantisches Programm sein, um den Menschen am Wachsen zu hindern?