Loe raamatut: «Volkswirtschaft, 4. Auflage», lehekülg 6
2. Das Unternehmen in der Sozialen Marktwirtschaft
2.1 Handlungssituation (Fallbeispiel 1)
Fallbeispiel 1
▬ Handlungssituation
Der Fleischerfachbetrieb von Fleischermeister Kutter hat durch die Herstellung von Wildspezialitäten und auch durch einen Partyservice neue Kunden gewonnen. In der von ihm belieferten Region zählt er mittlerweile zu den drei größten Betrieben, zu denen er aber in harter Konkurrenz steht. Sein Personalbestand ist auf zwanzig Beschäftigte angewachsen und auch sein Sachkapitalbestand (Firmengebäude, Maschinen etc.) wurde erweitert. Der kräftige Umsatzanstieg hat zu einer Verbesserung der Gewinnsituation geführt. Allerdings sind die verschiedenen Betriebsabläufe durch die Betriebserweiterung auch unübersichtlicher geworden. Fleischermeister Kutter wendet sich daher an einen Unternehmensberater.
Situationsbezogene Frage 1
Warum benötigt Fleischermeister Kutter eine Organisation seines Fleischerfachbetriebes und was muss organisiert werden?
2.1.1 Notwendigkeit und Gegenstand einer Wirtschaftsordnung
Spezialisten benötigen eine Organisation
Aus Abschnitt 1.1.2 wissen wir, dass Volkswirtschaften heute verstärkt versuchen, durch eine immer weiter voranschreitende nationale und internationale Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung als eine Form der Rationalisierung das gesellschaftliche Güterversorgungsproblem noch besser zu lösen. Wir wissen auch, dass sich dabei die Spezialisten in Anbieter und Nachfrager unterteilen lassen, die beim Faktoreinsatz auf der Inputseite (Kostenseite) und bei der Güterproduktion auf der Outputseite (Ertragsseite) anzutreffen sind. Den Vorteil einer höheren Produktivität und Produktqualität erkaufen sich die Spezialisten allerdings mit einer größeren Abhängigkeit untereinander, die gelegentlich schon allein als unangenehm und daher nachteilig empfunden wird. Spezialisten sitzen gleichsam „gemeinsam in einem Boot“. Ihre wechselseitige Abhängigkeit erfordert eine Organisation und gegenseitige Abstimmung (Koordination), ist aber selbst Problemen ausgesetzt. Um diese Koordination und die Frage nach dem geeigneten Koordinationsmechanismus geht es in einer Wirtschaftsordnung.
Gleichgewicht als Interessenausgleich
Die Wirtschaftsordnung beantwortet die Frage nach dem Koordinationsmechanismus von Angebot und Nachfrage.
Die Wirtschaftsordnung sagt uns, wie die Spezialisten als Anbieter und Nachfrager in ihren unterschiedlichen Wünschen und Plänen so aufeinander abgestimmt werden, dass es möglichst zu einem Ausgleich der Interessen, zu einem harmonischen Gleichgewicht, kommt. Ungleichgewichte als Zeichen einer – zumindest teilweise – falschen Spezialisierung äußern sich in einem Überangebot oder einer Übernachfrage. Die Wirtschaftsordnung soll sie verhindern oder beseitigen. Sie ist zwangsläufig nur ein – wenn auch gewichtiger – Teil der Gesellschaftsordnung, die außerdem zu berücksichtigen hat, dass es neben ökonomischen Interessen auch nichtökonomische Interessen gibt, die ebenfalls nach einem Ausgleich verlangen.
Die Notwendigkeit eines Koordinationsmechanismus bzw. einer Wirtschaftsordnung und die Frage, wie sie konkret ausgestaltet werden sollen, ist keineswegs nur eine Frage, die sich auf der gesellschaftlich-volkswirtschaftlichen Ebene stellt. Sie ist auch eine betriebswirtschaftlich bedeutsame Frage, denn die einzelnen Spezialisten treffen täglich vor Ort im Produktionsprozess aufeinander und jedes Unternehmen hat sich daher Gedanken zu machen und zu entscheiden, mit welcher konkreten Organisationsstruktur versucht werden soll, einen möglichst reibungslosen Produktionsablauf zu sichern. Die Wirtschaftsordnung einer Volkswirtschaft im Großen ist daher mit der Organisation eines Unternehmens im Kleinen vergleichbar.
Situationsbezogene Antwort 1
Fleischermeister Kutter benötigt eine Organisation seines Fleischerfachbetriebes, um einen reibungslosen Produktionsablauf zu gewährleisten. Störungen (Ungleichgewichte) im Produktionsablauf könnten dadurch auftreten, dass seine spezialisierten Beschäftigten als Anbieter und Nachfrager nicht „Hand in Hand“ arbeiten und es dadurch zu Engpässen kommt. So muss z. B. sichergestellt werden, dass die Bedienung hinter der „Ladentheke“ (Nachfrage) möglichst schnell durch die „Wurstküche“ (Angebot) beliefert wird, wenn sich Kundenwünsche ändern. Auch innerhalb der „Wurstküche“ ist z. B. eine Abstimmung zwischen dem Personal am Cutter zur Herstellung des Bräts (Angebot) und dem Personal an der Füllmaschine (Nachfrage) notwendig, um einen Leerlauf in der Wurstproduktion zu verhindern. In kleineren Betrieben wird dies natürlich ohne ein großartiges Organisationsschema geschehen, weil „man sich kennt“. Mit zunehmender Betriebsgröße und komplizierteren Produktionsabläufen dürfte jedoch die Entwicklung eines klar strukturierten Organisationsschemas – z. B. unter Hinzuziehung eines Unternehmensberaters als Organisationsspezialist – unvermeidlich sein.
Situationsbezogene Frage 2
Wird das Konzept einer Unternehmensorganisation, das der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater seinen Überlegungen zugrunde legen wird, schon vollständig in die Praxis umzusetzen sein?
2.1.2 Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung
Ein Wirtschaftssystem bezeichnet die gedanklichen Möglichkeiten einer Koordination von Angebot und Nachfrage in einer Volkswirtschaft.
Wirtschaftssysteme sind „rein“
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist ein Wirtschaftssystem gleichsam das, was sich z. B. der Leiter der Organisationsabteilung eines Unternehmens oder ein Unternehmensberater „am grünen Tisch“ überlegt, wenn er sich vor die Aufgabe gestellt sieht, die Spezialisten im Produktionsprozess (z. B. die Arbeitnehmer an einem Fließband) in ihren verschiedenen Verrichtungen aufeinander abzustimmen. Das Ergebnis ist insofern – wie eine „Blaupause“ – idealtypisch, als es noch die Wunschvorstellungen des Organisationsleiters oder Unternehmensberaters widerspiegelt und noch nicht in der Praxis erprobt ist. Wir ahnen damit bereits, dass die praktische Umsetzung eines Wirtschaftssystems zu Abstrichen von der Reinheit der idealtypischen Vorstellungen zwingen dürfte, weil sich in der Praxis theoretische Grenzlinien nicht so klar ziehen lassen, Überlappungen und Vermischungen an der Tagesordnung und Kompromisse nicht zu umgehen sind.
Im Gegensatz zum gedanklichen Wirtschaftssystem bezeichnet die Wirtschaftsordnung die tatsächliche Koordination in der Wirklichkeit.
Wirtschaftsordnungen sind „unrein“
Eine Wirtschaftsordnung kann zwangsläufig immer nur ein Mischsystem, eine Vermischung von idealtypischen Wirtschaftssystemen, darstellen. Der Zusatz „rein“ (z. B. als „reine Marktwirtschaft“) im Zusammenhang mit einer bestimmten Wirtschaftsordnung ist daher eher verwirrend als klärend und eine – bewusste oder unbewusste – Überhöhung der Ordnungsidee in der Realität. Wer ihn verwendet, läuft Gefahr, sich dem Vorwurf der Ideologie auszusetzen.
Situationsbezogene Antwort 2
Der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater wird zunächst in seinem Büro aufgrund der gesammelten Informationen ein gedankliches Organisationsschema (Wirtschaftssystem) entwickeln. Er wird dieses Schema vielleicht auch graphisch mit einem Computerprogramm aufarbeiten, um es dann zunächst Fleischermeister Kutter und möglicherweise auch in einer Betriebsversammlung den Beschäftigten zu präsentieren. Es ist damit zu rechnen, dass es in der Diskussion vor Ort bei einzelnen Punkten zu Einwänden gegen die praktische Umsetzung und auch zu Verbesserungsvorschlägen kommt. Letztlich wird das dann endgültig in die Praxis umgesetzte Organisationsschema (Wirtschaftsordnung) eine Mischung aus verschiedenen, gedanklich durchgespielten Organisationsmöglichkeiten (Mischsystem) sein.
Situationsbezogene Frage 3
Welche grundsätzlichen Organisationsformen wird der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater seinen Überlegungen zur Entwicklung eines Organisationsschemas zugrunde legen?
2.1.3 Grundprinzipien der Marktwirtschaft und Planwirtschaft
Im marktwirtschaftlichen System werden Angebot und Nachfrage nach dem Prinzip des Einverständnisses und Einvernehmens aufeinander abgestimmt.
Freiheit als marktwirtschaftliches Grundprinzip
In einem marktwirtschaftlichen System wetteifern Anbieter und Nachfrager als Spezialisten frei untereinander und mit dem jeweiligen Verhandlungspartner über das Tauschverhältnis von Gütern oder/und die Nutzung von Produktionsfaktoren. In einer Geldwirtschaft geschieht dies über den Preis als Anzahl der Geldeinheiten (z. B. EUR pro Einheit (z. B. Liter, Stück, Kilogramm, Stunde, m2)) des betreffenden Tauschobjekts. Der Verhandlungsort von Anbietern und Nachfragern wird Markt genannt, unabhängig davon, ob es auf ihm frei oder nicht frei zugeht. Märkte sind die logische Konsequenz der Arbeitsteilung (vgl. Abschnitt 1.1.2). Wie – nicht dass – sie organisiert werden, also die Frage des Marktsystems bzw. der Marktordnung, steht auf einem ganz anderen Blatt. Insofern darf „Markt“ und „Marktwirtschaft“ nicht gleichgesetzt werden, ebenso wie „Ort“ nicht wörtlich zu nehmen ist, denn ein Markt kann sich z. B. auch in einer Zeitung, am Telefon oder im Internet abspielen.
Egoismus als marktwirtschaftliche „Triebfeder“
Marktwirtschaftlich sind die frei handelnden Marktteilnehmer Egoisten und müssen es auch sein. Sie folgen ihrem Individualinteresse und haben zunächst nur ihr eigenes Güterversorgungsproblem im Auge, das sie bestmöglich lösen wollen. Etwas salopp gesagt: sie trachten danach, den Verhandlungspartner „über den Tisch zu ziehen“ und zur Lösung des eigenen Güterversorgungsproblems einzuspannen. Sie erkennen aber auch, dass sie auf ebenfalls egoistisch denkende und handelnde Verhandlungspartner treffen, die das Gleiche mit ihnen vorhaben, auf die sie als Spezialisten zwangsläufig angewiesen sind und denen gegenüber sie sich daher anpassungsfähig und kompromissbereit zeigen müssen. Das Prinzip lautet: Leistung gegen Gegenleistung und das Ergebnis wird auch als gerecht empfunden (Leistungsgerechtigkeit). Nur wer bereit und in der Lage ist, als Spezialist auf die Wünsche der Gegenseite einzugehen, kann im Gegenzug damit rechnen, seinen eigenen Wunsch nach bestmöglicher Güterversorgung erfüllt zu bekommen.
Adam Smith als „Vater des Gedankens“
Der geistige Vater der Marktwirtschaft, ADAM SMITH (1723–1790), hat das 1776 – also noch vor der französischen Revolution 1789 mit ihrem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – in seinem berühmten Buch „Wealth of Nations“ (Wohlstand der Nationen) so formuliert: „Nicht vom Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Rücksichtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihren Egoismus und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihren Vorteilen“.
Information und Sanktion durch Preise
Der Preis als marktwirtschaftliches Verhandlungsergebnis informiert im Vorfeld neuer Verhandlungen potentielle Anbieter darüber, ob sie angesichts ihrer Produktionskosten überhaupt als Anbieter auftreten können, welcher Bedarf besteht und wie viele Verhandlungspartner als Nachfrager anzutreffen sind, die ihrerseits wiederum untereinander im Wettbewerb und in Rivalität um das betreffende knappe Gut stehen. Gleichzeitig belohnt und bestraft (sanktioniert) der Preis als relativ hoher bzw. niedriger Preis diejenigen, die ihre Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung und den Bedarf richtig bzw. falsch eingeschätzt und in den Verhandlungen die Gegenseite davon überzeugt bzw. nicht überzeugt haben, dass sie ihnen zur Lösung ihres Güterversorgungsproblems hilfreich sein können und ihnen daher auch eine entsprechende Gegenleistung zusteht. Auf die Funktionsweise des marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismus müssen wir wegen ihrer Bedeutung für das Verständnis unserer eigenen Wirtschaftsordnung später noch genauer eingehen.
Im planwirtschaftlichen System werden Angebot und Nachfrage auf dem Markt nach dem Prinzip der Über- und Unterordnung (hierarchisches Prinzip) koordiniert.
Hierarchie als planwirtschaftliches Grundprinzip
Informationsbeschaffung und -bewertung, Anweisung, Kontrolle und Sanktionierung gehen in einem planwirtschaftlichen System von einer Zentrale als übergeordneter Stelle aus. Daher wird bei dieser Koordinationsform auch von Zentralverwaltungswirtschaft gesprochen. Es ist selbstverständlich, dass die Zentrale hoheitliche Befugnisse, also Macht, haben muss, wenn sie wirksam koordinieren soll. Was die Zentrale selbst betrifft, so kann sie unterschiedlicher Gestalt sein und auf unterschiedlichem Wege zur Zentrale geworden sein.
Unternehmensführung als Planwirtschaft
Auf der betriebswirtschaftlichen Ebene wie z. B. in einem handwerklichen Betrieb kann z. B. der Meister die Zentrale sein, der kraft seiner Ausbildung und Autorität seinen Auszubildenden und Gesellen als Spezialisten sagt, wo und wie sie sich im Produktionsprozess einzugliedern haben. Überhaupt lässt sich sagen, dass auf der betriebswirtschaftlichen Ebene die planwirtschaftliche Koordination überwiegt und mit der Größe des Unternehmens an Bedeutung zunimmt (z. B. Fließbandarbeit), da nur mit einer straffen Organisation Leerlauf und Stillstand als Ungleichgewichte in den komplexen Produktionsabläufen verhindert werden können. Der Hinweis auf die betriebswirtschaftliche Normalität einer planwirtschaftlichen Koordination und damit einer Zentralverwaltungswirtschaft im Kleinen ist insofern wichtig, als er deutlich macht, dass eine vordergründige Wertung nach dem Muster: „Marktwirtschaft ist gut, Planwirtschaft ist schlecht“ völlig unangebracht ist. Eine planwirtschaftliche Koordination kann genauso gut oder schlecht wie eine marktwirtschaftliche Koordination sein. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung in der Realität an, denn es gibt z. B. auch gute oder schlechte Meister im Handwerksbetrieb, je nach dem, wie sie mit ihren Untergebenen umgehen und welche fachliche Autorität sie besitzen.
Staatliches Handeln als Planwirtschaft
Auf der volkswirtschaftlichen Ebene muss die Zentrale der Staat sein, denn er besitzt das Gewaltmonopol bei seiner Aufgabe, für das Wohlbefinden und den Erhalt des Gemeinwesens, der Gesellschaft, zu sorgen. Er allein ist legitimiert, uns als Individuen und Gesellschaftsmitglieder zu zwingen. Dieser Zwang äußert sich z. B. in der Pflicht zur Zahlung von Steuern (Zwangsabgaben), mit denen uns private Güter genommen werden, um sie – z. B. als öffentliche Güter – an eine andere Stelle in der Gesellschaft bzw. Volkswirtschaft zu lenken. Die Frage, wie die staatliche Zentrale zu ihrer Macht kommt und wie sie damit gegenüber den Bürgern als gleichsam Untergebenen umgeht, ist – wie auf der betriebswirtschaftlichen Ebene – unterschiedlich zu beantworten.
Staatsgewalt durch Demokratie
Eine Möglichkeit zur Schaffung eines staatlichen Gewaltmonopols ist die Demokratie, in der jeder einzelne Bürger mit seiner Stimme und mit seiner freien Entscheidung diejenigen wählt, die ihn für einen begrenzten Zeitraum, nämlich bis zur nächsten Wahl, zwingen dürfen. In einer demokratischen Wahl liegt also gleichzeitig auch eine Machtkontrolle durch diejenigen, die dieser Macht ausgesetzt sind. Dies sieht z. B. in einer absoluten Monarchie anders aus, in der nach dem Motto: „Der Staat bin ich“ der jeweilige Herrscher seine hoheitlichen Befugnisse gegenüber den Bürgern einsetzt. Jedenfalls aber ist auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene davor zu warnen, eine Zentralverwaltungswirtschaft wie auch eine Marktwirtschaft ideologisch von vornherein als gut oder schlecht zu bewerten. Täglich werden wir durch jede „rote Ampel“ oder konkret z. B. durch die Pflicht zum Eintrag in die Handwerksrolle gezwungen und damit planwirtschaftlich koordiniert, ohne dass wir uns dagegen auflehnen, weil wir keinen Sinn darin erkennen. Letztlich geht es um den Erhalt einer Gesellschaft, wie es von der Verfassung festgelegt ist. Dabei ist ein „Marktversagen“ ebenso möglich wie ein „Staatsversagen“ (vgl. auch Abschnitt 2.1.5). Als höchste und letzte Instanz zur Beurteilung dieser Frage dient ein Verfassungsgericht, z. B. in Deutschland das Bundesverfassungsgericht.
Situationsbezogene Antwort 3
Der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater hat bei seinen Überlegungen zur Entwicklung eines praxistauglichen Organisationsschemas grundsätzlich von zwei gegensätzlichen Organisationsformen (Wirtschaftssystemen) auszugehen. Eine auf dem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem beruhende Organisationsform würde die Selbstorganisation der Beschäftigten zum Inhalt haben, d. h., sie würde es der freien und durchaus auch egoistischen Entscheidung der Beschäftigten überlassen, wie sie sich in den Produktionsprozess eingliedern. Dieser Gedanke mag auf den ersten Blick realitätsfern erscheinen, weil er eher an Missmanagement bzw. betriebliche Unordnung denken lässt. Bei genauerem Hinsehen aber wird deutlich, dass auch eine freiheitliche Selbstorganisation der Beschäftigten gleichsam von einer „unsichtbaren Hand“ zur Anpassung und zum Interessenausgleich geleitet wird. Jeder einzelne Beschäftigte ist nämlich durch sein Güterversorgungsproblem und demnach durch die Notwendigkeit einer Einkommenserzielung gezwungen, sich anzupassen und in den Produktionsablauf einzufügen. Er muss sich als Spezialist mit seinen anderen Mitbeschäftigten als Spezialisten arrangieren, wenn er nicht seinen Arbeitsplatz verlieren und damit seine Güterversorgung aufs Spiel setzen will.
Die Alternative zur „unsichtbaren Hand“ ist die „sichtbare Hand“ eines Vorgesetzten oder Betriebsleiters bzw. letztlich des Unternehmensleiters als Kapitaleigner. Sie trifft in Anlehnung an ein zentralverwaltungswirtschaftliches Wirtschaftssystem Entscheidungen, an die sich die untergeordneten Mitarbeiter anzupassen haben. Sie befinden sich also in einem hierarchischen System, an deren Spitze z. B. Fleischermeister Kutter steht. Natürlich hat dabei seine hoheitliche Entscheidungsbefugnis, sein „Gewaltmonopol“, eine andere Qualität als das staatliche Gewaltmonopol. Jedenfalls wird der Unternehmensberater beide Organisationsformen in sein Beratungsergebnis einfließen lassen. Für Fleischermeister Kutter ergibt sich daraus die wichtige Erkenntnis, dass das, was auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene als marktwirtschaftliches oder zentralverwaltungswirtschaftliches Wirtschaftssystem zur Diskussion steht, im Kern auch in seiner eigenen Betriebsorganisation anzutreffen ist. Er sollte sich also davor hüten, die eine oder andere Organisationsform ideologisch von vornherein als gut oder schlecht zu bewerten. Ihre Bewertung hängt vielmehr davon ab, inwieweit sie geeignet ist, das Unternehmensziel bestmöglich zu erreichen.
Situationsbezogene Frage 4
Welche Bedeutung wird der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater bei seinen Überlegungen zur Entwicklung eines Organisationsschemas den Eigentumsverhältnissen im Unternehmen beimessen?
2.1.4 Eigentum an Produktionsfaktoren in Marktwirtschaft und Planwirtschaft
Eigentum beinhaltet ein Nutzungsrecht
Eigentum ist prinzipiell für den Eigentümer mit dem Recht verbunden, über die Nutzung seines Eigentums selbst bestimmen zu können. Eigentümer von Produktionsfaktoren haben also das Recht, selbst darüber zu entscheiden, wie ihr Produktionsfaktor im Produktionsprozess eingesetzt wird. Dazu zählt auch das Recht, anderen (z. B. in einem Arbeits- oder Pachtvertrag) die Nutzung zu gestatten.
Kapitalistische Marktwirtschaft
In einem marktwirtschaftlichen System bestehen von vornherein klare Verhältnisse hinsichtlich des Eigentums an den Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Da dieses System auf der freien (und auch egoistischen) Entscheidung des Einzelnen beruht, bleibt es auch seiner eigenen, privaten Entscheidung überlassen, ob er „nur“ Eigentümer von Arbeitskraft bleiben will oder ob er einen Teil seines Arbeitseinkommens – sofern er dazu in der Lage ist – durch Konsumverzicht sparen, dadurch direkt oder indirekt zum Eigentümer von Boden und Kapital werden und über dieses Eigentum wiederum frei verfügen will, indem er es z. B. an seine Nachkommen vererbt. Das marktwirtschaftliche System ist also prinzipiell mit dem Privateigentum an sämtlichen Produktionsfaktoren verbunden. Man bezeichnet diese Eigentumsordnung auch als kapitalistisch. Als Idealtyp eines marktwirtschaftlichen Systems gilt demnach die kapitalistische Marktwirtschaft.
Sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft
Auch in einem planwirtschaftlichen System sind die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsfaktoren prinzipiell vorbestimmt, denn die zentrale, staatliche Entscheidungsgewalt kann eine private, von egoistischen Motiven geleitete Entscheidung über die Verfügung bzw. den Einsatz der Produktionsfaktoren im Produktionsprozess nicht dulden, da es sonst zu Konflikten zwischen den staatlichen, auf die Gesellschaft gerichteten Zielvorstellungen und den privaten Zielvorstellungen kommen kann, aber nicht muss. Es liegt daher nahe, dass das Eigentum an den Produktionsfaktoren – seit Abschaffung des Leibeigentums (Sklaventum) allerdings nur das Eigentum an den Produktionsfaktoren Boden und Kapital – in staatlichen Händen liegt (Kollektiveigentum). Man bezeichnet eine solche Eigentumsform auch als sozialistisch. Ein idealtypischer Gegensatz zur kapitalistischen Marktwirtschaft ist daher in der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft zu sehen.
Situationsbezogene Antwort 4
Der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater hat bei seinen Überlegungen zur Entwicklung eines praxistauglichen Organisationsschemas nicht nur die Frage zu klären, ob eine zentrale (zentralverwaltungswirtschaftliche) oder/ und dezentrale (marktwirtschaftliche) Lenkung des Produktionsablaufs erfolgen soll, sondern hat auch die Frage zu beantworten, wer die Eigentümer der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital sein sollen. Sollten Private ohne hoheitliche Befugnisse innerhalb oder/und außerhalb des Betriebes (kapitalistische Organisationsform) oder der Staat mit hoheitlichen Befugnissen (sozialistische Organisationsform) Faktoreigentümer sein?
Zunächst dürfte klar sein, dass der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater die sozialistische Organisationsform nicht in seine Überlegungen einbeziehen wird, denn letztlich würde es ja dann um eine Verstaatlichung des Unternehmens gehen. Insofern dürften seine Überlegungen von vornherein kapitalistisch ausgerichtet sein. Beim Produktionsfaktor Arbeit ist dabei ebenfalls von vornherein klar, dass es nur eine Möglichkeit gibt, nämlich das alleinige Eigentum in Händen des Arbeitnehmers. Er selbst entscheidet darüber, ob und wie er seine, mit ihm untrennbar verbundene Arbeitskraft nutzen lässt. Diese Entscheidung ist an sich frei, steht allerdings unter dem Zwang, ohne eine Nutzung der Arbeitkraft auch kein Einkommen zu erzielen und damit die Güterversorgung nicht sichern zu können. Für Fleischermeister Kutter bzw. für seinen Unternehmensberater stellt sich also die Frage, wie er die für die Produktion notwendigen Arbeitskräfte mit einem Arbeitsvertrag am Arbeitsmarkt gewinnen kann.
Bei den Produktionsfaktoren Boden und Kapital sind dagegen kapitalistische Alternativen denkbar. Zunächst liegt der Gedanke nahe, dass der Unternehmensleiter, in unserem Fall also Fleischermeister Kutter, auch alleiniger Eigentümer des genutzten Bodens und Kapitals ist. Daraus würde folgen, dass er allein über den Faktoreinsatz und damit über den Betriebsablauf entscheiden könnte. Dies würde sich bereits ändern, wenn Teile des Faktoreigentums an Boden und Kapital z. B. innerhalb des Betriebes in den Händen von Arbeitnehmern oder außerhalb des Betriebes in den Händen von Geschäftsbanken, Aktionären etc. liegen. Solche Anteilseigner könnten dann über den Betriebsablauf zwangsläufig mitentscheiden. Im Kern geht es also bei der Frage nach den Faktoreigentümern von Boden und Kapital im Unternehmen um eine Finanzierungsfrage, nämlich um Eigen- oder/und Fremdfinanzierung. Auch auf diese Frage hat der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater eine Antwort zu finden. Jedenfalls wird wiederum deutlich, dass die volkswirtschaftliche Frage, ob ein kapitalistisches Wirtschaftssystem mit Privateigentum an allen Produktionsfaktoren oder ein sozialistisches Wirtschaftssystem mit Staatseigentum (Kollektiveigentum) an den Produktionsfaktoren vorzuziehen ist und wie sie konkret ausgestaltet werden, im Kern auch eine betriebswirtschaftliche Frage ist, die möglichst ideologiefrei entschieden werden sollte.
Situationsbezogene Frage 5
Welche Vor- und Nachteile der beiden grundsätzlichen Organisationsformen wird der von Fleischermeister Kutter hinzugezogene Unternehmensberater bei seinen Überlegungen zur Entwicklung eines Organisationsschemas zu berücksichtigen haben und was folgt daraus für sein Beratungsergebnis?
Tasuta katkend on lõppenud.