Loe raamatut: «Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden»
EHP – HANDBUCH SYSTEMISCHE PROFESSIONALITÄT UND BERATUNG
Hg. Bernd Schmid
Autor und Autorin:
BERND SCHMID, Dr. phil., (Jg. 1946), studierte Wirtschaftswissenschaften (Universität Mannheim) und promovierte in Erziehungswissenschaften und Psychologie; Gründer und Leiter des ISB-Wiesloch; Ehrenmitglied der Systemischen Gesellschaft; Preisträger des Eric Berne Memorial Award 2007 der Internationalen TA-Gesellschaft ITAA und des Wissenschaftspreises 1988 der Europäischen TA-Gesellschaft EATA; Mitgründer und Vorsitzender des Präsidiums des Deutschen Bundesverband Coaching DBVC; Beirat und Kolumnist der Zeitschrift Konfliktdynamik; Mitbegründer der Zeitschrift Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog / International Journal for Change, Learning, Dialogue; Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher; Texte, Audios und Videos zum kostenlosen Download: www.isb-w.de; Blog: www.blog.bernd-schmid.com; www.bernd-schmid.com.
CHRISTIANE GÉRARD, Jg. 1948, hat als Verhaltenstherapeutin, Transaktionsanalytikerin und Neuropsychologin 25 Jahre in einem neuropädiatrischen Krankenhaus gearbeitet. Als ehemalige Ausbildungsschülerin von Bernd Schmid hat sie eine systemische Sichtweise von Hirnschädigung entwickelt und dazu mehrfach veröffentlicht.
© 2012 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach
Redaktion: Ingeborg Weidner
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagentwurf: Gerd Struwe
– unter Verwendung eines Bildes von Peter Schmid (1984-2001): ›o.T. V.‹ –
Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin
Gedruckt in der EU
Alle Rechte vorbehalten
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eBook-ISBN 978-3-89797-538-5
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. »Unter uns«
2.1 Vorbemerkung
2.2 Dialog zwischen den Autoren
2.3 Und Sie? Ein Fragebogen zur persönlichen Orientierung
3. Mensch und Beruf – ein Überblick
3.1 Menschen im Beruf
3.2 Menschen in Organisationen
3.3 Professionelle Persönlichkeitsentwicklung
3.4 Kernfragen der Ökonomie
3.5 Integrierende Perspektiven
3.6 Passung
3.7 Umgang mit Überkomplexität
3.8 Unternehmen und Organisationen
3.9 Kulturentwicklung in Organisationen
3.10 Die systemische Perspektive
3.11 Persönliche Orientierung
4. Mensch und Professionalität
4.1 Der Beruf als Unternehmen
4.2 Neue Professionen
4.3 Professionalisieren
4.4 Systemische Professionalität
4.5 Beruf als Lebensform
4.5.1 Gestiegene Anforderungen
4.5.2 Einstieg ins Berufsleben
4.5.3 Orientierungshilfen
4.5.4 Jenseits der Lebensmitte
4.5.5 Seniorexperten
4.5.6 Beruf als Lebensinhalt
4.6 Professionelle Kompetenzen
4.7 Beratermarktübung
4.8 Kompetenzperspektiven
4.8.1 Fachkompetenz
4.8.2 Feldkompetenz
4.8.3 Marktkompetenz
4.8.4 Netzwerkkompetenz
4.8.5 Sichtbarkeit und Originalität
4.8.6 Sensibilität und Robustheit
4.8.7 Weltläufigkeit und Bodenständigkeit
4.8.8 Kulturkompetenz und die Metaperspektive
4.9 Wieslocher Kompetenzformel
4.10 Professionelle Persönlichkeitsentwicklung
4.11 Persönliche Orientierung
5. Mensch und Organisation
5.1 Zentrale menschliche Motive
5.1.1 Etwas bewegen
5.1.2 Bewegt sein
5.1.3 Sich bewegen
5.1.4 Organisation und Ich
5.2 Kernfragen der Ökonomie
5.2.1 Wirtschaften
5.2.2 Wettbewerb
5.2.3 Wachstum
5.2.4 Leistung
5.3 Einige Organisationsperspektiven
5.3.1 Unternehmertum
5.3.2 Strategie und Führung
5.3.3 Übersicht und Detailkenntnisse
5.3.4 Ganzheitlichkeit und Partialoptimierung
5.3.5 Integrationsfähigkeit statt Polarisierung
5.3.6 Distanz und Engagement
5.4 Wenn Organisationen desintegrieren?
5.4.1 Entstehung von Krisen
5.4.2 Meist trifft es die Falschen
5.4.3 Was kann getan werden?
5.4.4 Kultur – ein verderbliches Gut
5.5 Verantwortungskultur
5.5.1 Drängende Fragen
5.5.2 Auf der Suche nach der verlorenen Verantwortung
5.5.3 Eine Metapher
5.5.4 Eine Herausforderung im Alltag
5.5.5 Eine Integrationsleistung
6. Wie man sich als Professioneller persönlich entwickelt
6.1 Professionelle Individuation
6.1.1 Spielräume
6.1.2 Intuition und innere Bilder
6.1.3 Persönliche Orientierung
6.2 Selbstempfinden und Identitätsbeschreibungen
6.2.1 Wie bin ich?
6.2.2 Sind wir viele?
6.2.3 Zwar verschieden, aber immer derselbe!
6.2.4 Jeder ist anders
6.2.5 Sich gegenseitig vorstellen
6.2.6 Rahmenvereinbarungen auf Augenhöhe
6.2.7 Wie beschreibe ich mich?
6.2.8 Wie beschreibe ich mich in Beziehungen?
6.2.9 Metabetrachtungen
6.2.10 Intuition und Spiegelung
6.2.11 Flyerarbeit
6.2.12 Persönliche Orientierung
6.3 Persönlichkeit im beruflichen Kontext
6.3.1 Scheitern – ein Beispiel
6.3.2 Persönlichkeit als Ichzustände und deren Verknüpfungen
6.3.3 Umgang mit psychischen Belastungen im Beruf
6.3.4 Rollen, Welten und Kompetenzen
6.3.5 Gesundheit und Kultur
6.4. Individuation und Persönlichkeit als Erzählung
6.4.1 Berufsbezogene Sinnerzählungen
6.4.2 Die Theatermetapher
6.4.3 Das biographische Interview
6.4.4 Konzeptionelle Überlegungen
6.4.5 Zur Konzeption von Persönlichkeit
6.4.6 Persönlichkeit und schöpferische Begegnungen
6.4.7 Konsequenzen für die Beratung
6.4.8 Beratungsbeispiel mit der Theatermetapher
6.5 Lebensinszenierungen
6.5.1 Eine Geschichte
6.5.2 Wirklichkeit ist Beziehungswirklichkeit
6.5.3 Man kann nicht nicht inszenieren
6.5.4 Zweierlei Narzissmus
6.5.5 Die eigene Story
6.5.6 Gemeinsam eine Geschichte erzählen
6.5.7 Sinnstiftende Schlüsselerzählungen
6.5.8 Lebensentwürfe und kreative Anpassungen
6.5.9 Als WER und WIE leben?
6.5.10 Persönliche Orientierung
6.6. Entwicklung der professionellen Identität
6.6.1 Entwicklungsstufen – nach Erik Erikson
6.6.2 Hilfe bei Identitätsfragen
6.6.3 Weitere Beispiele
6.6.4 Identität und Identifizieren
6.6.5 Identitätsdebatten in Berufsfeldern
6.6.6 Entwicklungsfragen in Aus-, Weiterbildung und Supervision
6.6.7 Persönliche Orientierung
6.7 Entwicklung von professionellen Haltungen
6.7.1 Einleitung
6.7.2 Das Stufenmodell von Lenhardt
6.7.3 Weiterentwicklung des Stufenmodells
6.7.4 Entwicklung professioneller Haltungen
6.7.5 Professionalitätsschulen und Sektenbildung
6.7.6 Persönliche Orientierung?
6.8. Professionelle Essenz – eine Metapher
7. Professionelle und ihre Wirklichkeiten
7.1 Milieu – ein wenig beachteter Faktor
7.1.1 Einleitung
7.1.2 Eine Geschichte
7.1.3 Was meint Milieu?
7.1.4 Milieu, Anlagen und Kompetenzen
7.1.5 Passungsprobleme und Lösungsrichtungen
7.1.6 Milieu und professionelle Qualifizierung
7.1.7 Milieu-Beheimatung und Milieu-Mobilität
7.1.8 Milieus und gesellschaftliche Klassen
7.1.9 Gläserne Zäune und Milieu-Aufstieg
7.1.10 Beratermilieus und Tabus
7.1.11 Es geht um Ent-Tabuisierung
7.1.12 Persönliche Orientierung
7.2 Störungen und Störungsbeseitigung
7.2.1 Vorstellungen von Störungen und Heilsein
7.2.2 Realität und Autonomie
7.2.3 Gestörte Wirklichkeiten und Veränderung durch Störungen
7.2.4 Psychoanalytisch orientierte Ansätze
7.2.5 Verhaltenstherapeutisch orientierte Ansätze
7.2.6 Familientherapeutische Ansätze
7.2.7 Der Systemische Ansatz
7.2.8 Hypnosystemische Ansätze
7.2.9 Störungen aus Sicht der Analytischen Psychologie
7.2.10 Was ist dann Heilung?
7.2.11 Persönliche Orientierung
7.3 Wirklichkeitserzeugung in Therapie und Beratung
7.3.1 Eine Übung
7.3.2 Die Entstehung gemeinsamer Wirklichkeit
7.3.3 Intuition als Beurteilungsvorgang
7.3.4 Informationsbegriff des Systemischen
7.3.5 Intuition als Information
7.3.6 Wirklichkeitsfinden
7.3.7 Verantwortung für Wirklichkeit?
7.4 Weitere Perspektiven professioneller Entwicklung
7.4.1 Ist Entwicklung machbar?
7.4.2 Entwicklungsstreben
7.4.3 Suche und Sucht
7.4.4 Entwicklungsfreundlichere Gangarten
7.4.5 Persönliche Orientierung
8. Drei Thesenpapiere
8.1 Charisma und Professionalität
8.1.1 Ausgangslage
8.1.2 Was können Fachleute für Professionalisierung tun?
8.1.3 Die Zusammenhänge mit anderen Worten
8.2 Professionalität und Ehrenamt
8.3 Kybernetischer Humanismus
8.3.1 Eine Hinführung
8.3.2 99 Thesen zum Integrativen (kybernetischen) Humanismus
9. Literatur
10. Veröffentlichungen von Bernd Schmid
Vorwort
Nun erscheint der Band über »Professionalität« vor dem angekündigten Band über »systemische Lernkultur«. Für beide liegen schon länger Rohmanuskripte vor. Doch will gut Ding eben Weile haben. Diesen Band konnten wir erst jetzt rund machen, da Christiane Gérard ihr Berufsleben abgeschlossen und Bernd Schmid – nun 65-jährig – wesentliche Funktionen in die Hände anderer gegeben hat, um sich auf neue Horizonte hin auszurichten.
Der Band über systemische Lernkultur wird nach weiterer Reifung folgen.
Zu den Themen, die uns am Herzen liegen, gibt es viel mehr wertvolle Veröffentlichungen anderer als wir berücksichtigen konnten. Für mehr hat die Kraft nicht gereicht. Wir bitten, uns das nachzusehen. Doch haben wir nach bestem Wissen deutlich gemacht, was wir von anderen übernommen haben. Dass wir viele Querverweise auf eigene Schriften machen, hat weniger mit Eitelkeit zu tun als mit dem Versuch aufzuzeigen, wie die jeweiligen Ausführungen mit anderen Zweigen der sich vielfältig entwickelnden Kultur des Wieslocher Instituts in Beziehung stehen.
Wir danken dem Verleger Andreas Kohlhage für seine Geduld und sein unvermindertes Engagement auch anspruchsvollen Vorhaben gegenüber. Unser Dank gilt auch allen Mitwirkenden im ISB-Wiesloch, die erst den Freiraum geschaffen haben, in dem gemeinsame Reflexionen zu Texten werden konnten. Insbesondere danken wir Ingeborg Weidner, die seit Jahren unsere Schriften betreut und auch diesmal Text, Fußnoten und Literaturhinweise in eine verlagstaugliche Form gebracht hat.
Bernd Schmid / Christiane Gérard
Wiesloch im Dezember 2011
1. Einleitung
Hinter jedem Beruf beziehungsweise jeder beruflichen Tätigkeit steht ein Verständnis von Professionalität. Ebenso hinter jeder Rolle bzw. jeder Funktion in einer Organisation. Typischerweise werden zur Beschreibung professioneller Positionierungen und Vorgehensweisen zunächst Attribute gewählt, die etwas mit den Zielen der Tätigkeit, den bevorzugten Inhalten, den dabei verwendeten Konzepten und Methoden, den bevorzugten Settings und Inszenierungsweisen und so weiter zu tun haben. Diese Themen wurden in den ersten Bänden des EHP-Handbuchs Systemische Professionalität und Beratung ausführlich behandelt. Dieser Band hingegen fokussiert vermehrt übergeordnete Beschreibungen und Ausleuchtungen von Hintergründen.
Oft bietet erst das Abtasten solcher Hintergründe die Chance auf ein umfassendes Verständnis von Professionalität, eingewoben in vielschichtige Zusammenhänge und Sinnerzählungen. Dafür brauchen wir Betrachtungsperspektiven – metaphorisch gesprochen: Scheinwerfer – mit deren Hilfe wir Innen- und Außenwelten, gesellschaftliche und geistige Sphären ausleuchten können. An solchen Ausleuchtungen haben fast alle Professionellen im Laufe ihrer Entwicklung immer wieder Interesse, wenn sie mit einem Erkenne-dich-Selbst verbunden sind. Da sich viele Professionen aber auch mit dem Verstehen und Entwickeln der Professionalität anderer befassen, brauchen sie solche Scheinwerfer auch für das Ausleuchten der Hintergründe ihres Gegenübers beziehungsweise der Zusammenhänge, in denen die Arbeit stattfindet.
Solche Scheinwerfer richten sich auf die handelnden Menschen, ihre Biografien, ihre Eigenarten und Bestimmungen, auf die Milieus, denen sie entstammen und in denen sie sich bewegen. Sie beleuchten die Bedürfnisse nach einem Sinn, die auch im Berufsleben gestillt werden sollen, und Identitäten und Kulturzugehörigkeiten, die helfen, sich zu positionieren. Sie erfassen Entwicklungen, zu denen man umgekehrt selbst beiträgt, wenn auch nur in bescheidenem Maße. In den Blick kommen Zugehörigkeiten zu Schulen, professionellen Gemeinschaften und die dort repräsentierten Wirklichkeitsverständnisse und Betrachtungsweisen. Da es nach Adorno kein richtiges Leben im falschen gibt, erfordern solche Betrachtungen auch eine Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, mit Märkten, Organisationen, Strömungen im Zeitgeist und mit den Formen von Wirtschaften, mit denen jede Lebensführung unauflösbar zusammenhängt.
Wie also kann mit Menschen für Menschen gewirtschaftet werden? Wie können Organisationen dafür gestaltet werden? Wie können Menschen als Professionelle und in Organisationsfunktionen sinnvoll handeln? Welche Haltungen und Kompetenzen braucht es dafür? Wer muss was wie lernen und wie soll Lernkultur sein, dass sie zu einer humanen Organisations-, Professions- und Wirtschaftskultur beiträgt? Da kann einem schon schwindlig werden, wenn man erkennt, wie vielschichtig und vielfältig die Zusammenhänge und Betrachtungsweisen sind, die zu einer geläuterten Professionalität gehören. Sich mit dem allem auseinanderzusetzen ist ein lebenslanger Prozess.
Die meisten Leser kennen vermutlich den magischen Würfel, ein Geduldsspiel, bei dem man durch das Drehen verschiedener Reihen oder Spalten jede Würfelseite so verändern soll, dass am Ende jede Seite eine einheitliche Farbe hat. Bei jeder Drehbewegung auf der einen Seite werden gleichzeitig die Muster der anderen Seiten mitverstellt. Um die Seiten also aufeinander abzustimmen, muss man immer wieder seine Perspektiven verändern. Der Hintergrund wird zum Vordergrund gemacht, oben wird mit unten getauscht, die linke Seite wird zur rechten und umgekehrt, so lange, bis man eben ein stimmiges Muster über alle Dimensionen hinweg bilden kann. Und so ähnlich arbeiten wir in diesem Buch. Stand beispielsweise soeben die Organisation im Vordergrund, so behalten wir das Gesagte im Hinterkopf, drehen aber den Würfel und blicken nun auf den Vorgang der professionellen Individuation.
Über allem steht die Frage, wie Menschen im Beruf und in ihrer Organisation die einzigartige Persönlichkeit verwirklichen können, die in ihnen steckt. Dies gilt zumindest für Berufe und Tätigkeiten mit hohem kreativem Anteil. Nicht immer stammen die illustrierenden Beispiele aus den jeweils vertrauten Berufsbereichen der Leser. Doch glauben wir, dass sich die jeweiligen Betrachtungen auf Beratung und Entwicklung von Professionalität allgemein anwenden lassen. Professionalität und Ansichten über Professionalität haben neben allen fachlichen und gesellschaftlichen Perspektiven eben auch mit den Wesenszügen des jeweiligen Menschen und mit Aspekten seiner ganz persönlichen Lebensgeschichte zu tun. Zumindest scheinen diese als Hintergründe immer durch und entscheiden oft, ob sich die Seele für das berufliche Tun interessiert, ob man Bereicherung erlebt oder nicht.
Zur Einstimmung geben wir den Lesern zunächst die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit uns, den Autoren. Sonst bietet dieser Band Streiflichter aus unseren Welten, um die Leser zu inspirieren und um die Möglichkeit zu eröffnen, sich – über die wichtigen Vordergründe hinaus – mit ihren hintergründigen Fragen an Professionalität auseinanderzusetzen. Fangen wir also im folgenden Kapitel mit einem eher persönlichen Gespräch zwischen den Autoren an. »Programmatischer« geht es dann ab Kapitel 3 weiter.
2. »Unter uns«
2.1 Vorbemerkung
Ich, Christiane Gérard, kenne Bernd Schmid nunmehr seit 25 Jahren, seit ich 1984 meine Transaktionsanalyse-Ausbildung in seinem Institut begonnen habe. Auch nach meinem klinischen TA-Examen 1989 blieben wir durch gemeinsame Interessen und Neigungen bis heute miteinander verbunden.
Wir blicken beide auf jeweils mindestens 30 Jahre Berufstätigkeit in den Bereichen Beratung und Psychotherapie und dazugehörender Erwachsenenbildung zurück. Wir befinden uns beide in einer Lebensphase, in der das Bedürfnis wächst, die Essenz der vergangenen Berufsjahre zu überdenken und anderen zum Nachdenken anzubieten. Dabei passen unsere Reflexions- und Erzählweisen in vielerlei Hinsicht zusammen oder ergänzen sich.
Wir sind uns bewusst, dass die Arbeitsbedingungen und Arbeitslebensweisen der Leser sich von den unseren stark unterscheiden können. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass sie von unseren Anregungen profitieren können. Und auch wir Autoren unterscheiden uns trotz aller Übereinstimmungen in mancher Hinsicht und bilden damit selbst eine Spanne möglicher Betätigungsfelder und persönlicher und institutioneller Voraussetzungen ab:
Bernd Schmid arbeitete bzw. arbeitet vorwiegend freiberuflich in vielfältigen Rollen als Erwachsenenbildner, Supervisor, Berater, Unternehmer und Leiter seines eigenen Weiterbildungsinstituts in Wiesloch, Orientierungsgeber, Gesprächspartner für seine MitarbeiterInnen, Buchautor, Vortragender auf Kongressen und ist aktiv in Hochschulen und Verbänden. Ich war dagegen immer angestellt und arbeitete zuletzt 25 Jahre lang als Neuropsychologin und Psychotherapeutin in einer Kinderklinik – halbtags.
Wir beide haben recht unterschiedliche Lebensinszenierungen, denen unterschiedliche Lebensentwürfe zugrunde liegen. Lebensentwürfe sind geprägt
• von der Wesensart,
• von Talenten und Ambitionen,
• von Ausstattungen und Aufträgen durch die Familie,
• vom Lebensgefühl und von den Lebensstilen der Milieus, in denen man aufgewachsen ist und in denen man sich später bewegt,
• durch prägende Lebenserfahrungen, die oft in Schlüsselerlebnissen und inneren Bildern verdichtet sind. (Schmid 2008d)
Auch wenn sich Menschen oberflächlich betrachtet in gleichen Berufen oder Funktionen bewegen und sich z. B. als Psychotherapeuten, Berater, Bildungsfachleute, Führungskräfte oder Unternehmer bezeichnen, so stecken hinter diesen Titeln doch oft sehr unterschiedliche Lebensinszenierungen. Das trifft bei uns beiden Autoren ebenso zu. Das folgende Gespräch zwischen uns – spontan aufgezeichnet, stark gekürzt, bearbeitet und ergänzt – soll die Leser zu ähnlicher Selbstreflexion einladen. Wir stellen uns Fragen, die uns, manchmal unterschiedlich stark, während unseres Werdegangs und jetzt in der Lebensphase des bilanzierenden Rückblickens beschäftigt und/oder die wir häufig als Fragestellungen bei Kollegen und Kolleginnen vernommen haben.
2.2 Dialog zwischen den Autoren
CHRISTIANE GÉRARD: Wir beide schauen auf eine lange und reiche Berufszeit zurück. Angenommen, du könntest noch einmal darüber entscheiden: Würdest du diesen Berufsweg wieder so einschlagen oder würdest du etwas anders machen, und wenn ja, was?
BERND SCHMID: (…) Ursprünglich wollte ich ja mal Lehrer werden. Aber nach meinem ersten Schulpraktikum wurde mir klar, dass ich nicht Schullehrer werden wollte. Und zwar nicht wegen der Schüler, sondern weil ich im Praktikum das Lehrerkollegium wie eine Versammlung Untoter erlebt habe. Und da habe ich entschieden: Ich will nicht mit solchen Zombies in einem solchen Raum sitzen. Also war für mich klar, dass ich nicht in die Schule gehe. Lehrer wollte ich aber gerne werden. Die Alternative war dann Hochschullehrer. Ich war ja schon früh Assistent an einem Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre. Diese Alternative war dann aber deswegen wiederum nicht möglich, weil ich für diese zumindest damals sehr traditionelle Disziplin mit meinen psychologischen Interessen ein zu »bunter Hund« war. Ich wurde über viele eigene Bewegungen und Wechselfälle des Schicksals (Schmid 1992, 2001c) das, was ich geworden bin, und heute wüsste ich nicht, was ich beruflich ändern sollte. Im Nachhinein schien sich alles zu fügen.
CG: Du sagst also, das bin ich, das war ich und das will ich auch weiter sein.
B.: Ja, ich habe ja immer alles mit großem Engagement gemacht, war damit sehr identifiziert und habe daraus auch immer viel Kraft geschöpft. Auf der anderen Seite gab es auch Bereiche, in denen ich mich versucht habe, die mal besser und mal schlechter gingen, letztlich aber nicht wirklich gepasst haben, wie z. B. Vortragsreden vor einem größeren, mir unbekanntem Publikum.
CG: Du hast mal erzählt, dass du als Kind gerne als Zauberer oder Zirkusdirektor das Publikum zum Staunen bringen wolltest. Ich hätte daher erwartet, dass dir Auftritte vor einem Publikum liegen. Was hat da nicht gepasst?
BS: In kleinerer Manege ist mir das meist gut gelungen. Doch wäre ich auch gerne in großer Manege besser zur Geltung gekommen. Aber dafür war ich vielleicht nicht extravertiert genug. Während befreundete Kollegen auf der Bühne erst richtig in Fahrt kommen und den Stecker in der Steckdose zu haben scheinen, haben solche Auftritte meinen Akku strapaziert. Ich habe mich auch oft zu mehr Extraversion genötigt als wirklich für mich gestimmt hat. Dieses Bemühen hat zwar meine Persönlichkeit erweitert, aber ich bin heute ganz froh, dass ich jetzt mehr Introversion leben kann und nicht so oft auf die Bühne gehe. Wenn meine Institutskollegen in der Gruppe oder beim Kunden präsentieren, kann ich an meinen Schreibtisch gehen und trotzdem eine Rolle in dem Zirkus haben.
CG: Du meinst in deinem Institut? Und dort hast du die Mitwirkenden ausgebildet, betreust sie und stärkst das Kraftfeld mehr hinter den Kulissen?
BS: Genau, ich bin jetzt mit allem eng verbunden, bin wichtig und bringe meine Erfahrung und meine Kreativität ein, muss aber nicht mehr Auditorien bei Laune halten.
CG: Wie meinst du das?
BS: Als Lehrtrainer muss man neben hoher Fachlichkeit dafür sorgen, dass sich eine Gruppe wohl und gut unterhalten fühlt, weil das fürs Lernen wichtig ist. Da wir von der Gunst eines anspruchsvollen Publikums leben, geht das nicht ohne. Ich war aber eher ein Entwickler, der anderen seine neuen Entwicklungen erläutern wollte, als ein Lehrer, der neue Generationen mit bekannten Inhalten immer wieder neu beseelt.
CG: Das heißt, du hast dir ein breiteres Repertoire entwickelt, um aufzubauen, was heute eine Institution geworden ist, konzentrierst dich aber jetzt wieder auf bevorzugte Funktionen.
BS: Richtig. Ich habe über viele Jahre die Organisation so entwickelt, dass alle Funktionen gut ausgefüllt sind und ineinander greifen. Ich kann jetzt an all dem partizipieren, was mir wichtig ist, ohne selbst zu Dimensionen beitragen zu müssen, die ich zwar kann, aber lieber anderen überlasse.
CG: Ja, das klingt, als seiest du da sehr im Reinen mit dir.
BS: Ja, viele sehen das so, melden mir dies zurück und nehmen auch für sich daran Maß. Es ist gelungen, eine Kultur zu schaffen, in der ich und andere, mit denen die Passung gestimmt hat, gute Rollen finden können. Auch bin ich irgendwie meiner ursprünglichen Berufung als Hochschuldidaktiker treu geblieben. Ich habe nun »meine eigene Hochschule«. Und da wir nie öffentliche Finanzierung in Anspruch genommen haben, bestand auch die Notwendigkeit, geistig anspruchsvolle mit wirtschaftlich tauglichen Angeboten zu kombinieren. Wir stellen uns damit einem manchmal verdrängten Zusammenhang, dass Kultur ohne eine leistungsfähige Wirtschaft geringe Chancen hat. Diese Kombination aus humanistischem Bildungsideal und marktwirtschaftlichem Verantwortungsprinzip hat uns immer gezwungen, gute Kompromisse zwischen gesellschaftstauglichen Anforderungen und eigenen Wertevorstellungen zu finden. Das hätte uns eine öffentlich finanzierte Hochschule nicht so konsequent abverlangt.
CG: Du warst aber auch im Hochschulrat einer Bildungshochschule tätig.
BS: Ja, das war eine ganz eigene Erfahrung. Dort wird gerne das Humboldt’sche Bildungsideal beschworen – doch nicht immer in überzeugenden Begründungszusammenhängen. Wilhelm von Humboldt hat seine Schulreform in 18 Monaten autoritär durchgezogen. Wer nicht mitspielte, war draußen. Das ist heute nicht möglich und vielleicht in einer Demokratie auch nicht wünschenswert. Aber es gibt Momente, in denen ich das bedauere.
Aber erzähl du doch mal! Wie ergeht es denn dir mit deinem Beruf? Würdest du ihn noch einmal wählen?
CG: Ich würde möglicherweise nicht noch einmal Psychologin werden wollen? Also, es gibt schon Bereiche in meiner Arbeit, in denen ich mich wieder finde: das Kreative, das Experimentieren, das Problemlösen! Vieles mache ich immer noch sehr gerne. Aber ich fand es entsetzlich langweilig immer dann, wenn ich dachte zu wissen, wie eine Lösung aussehen könnte, dann diesen ganzen, manchmal mühseligen Prozess der Therapie selbst zu begleiten. Sicher muss man dabei bedenken, dass meine Arbeit mit Hirnverletzten bzw. mit den von diesem oft plötzlichen Schicksal betroffenen Familien auch besonders kräftezehrend war. Andererseits war es auch eine echte Herausforderung, sich in das Denken, Fühlen und Erleben von Menschen, deren Hirnorganisation sich von unserer unterscheidet, hineinzuversetzen. Das war der kreative und sehr spannende Teil. Andererseits würde ich heute wahrscheinlich eher direkt etwas Kreatives machen und dann schauen, dass ich mein Kontaktbedürfnis zu Menschen privat befriedige.
BS: Kreativ im Sinne von künstlerisch? Im klassischen Sinne: malen, schreiben, bildhauern, Musik machen …?
CG: Ja auch, aber mehr im Sinne von Etwas erfinden! Oder aber, was ich schon immer als Kind toll fand: Verhaltensbeobachtung! Du beobachtest einfach nur und gibst den andern mit, was du siehst, ohne dass du selbst was machen musst …
BS: Also nicht das Gestalterische, sondern eine andere Form des Wirkens. Ist es das, was Michael Endes Momo kann? So zuzuhören, dass etwas anders wird, ohne einen Ratschlag geben zu müssen?
Ja, das verstehe ich gut. Ja, ich hab das Gefühl, je älter ich werde, desto mehr erlaube ich mir, einfach nur zuzuhören und zu beobachten ohne einzugreifen.
CG: (…) wobei ich nicht weiß, ob mir dann nicht wieder etwas fehlen würde.
BS: Ja, da ist was dran. Auch ich erlebe dabei einen Verlust.
CG: Wovon?
BS: Mir ist ein Stück weit die »Werkel-Lust« verloren gegangen. Ich empfinde es auch als sehr segensreich, wenn Menschen einfach Lust haben, die Ärmel hochzukrempeln, und wirklich etwas zu gestalten.
Also insofern habe ich Verständnis für deine Idee. Ich weiß aber jetzt nicht, ob das nicht einfach ein aufgestautes Bedürfnis bei dir ist, was bisher zu kurz kam, oder ob du das wirklich damals schon anders hättest machen wollen.
CG: Ja, das weiß ich natürlich auch nicht. Ich habe mich aber eigentlich nie wirklich als Psychotherapeutin gefühlt. Das war etwas Fremdes, was ich machen musste, was ich auch gut gemacht habe, aber ich habe mich nie dazu berufen gefühlt. Von daher denke ich, würde ich den Beruf mit dem Wissen, das ich heute habe, nicht mehr ausüben.
BS: Psychotherapeutin. Gibt es irgendeine Konkretisierung dieses Berufslebensweges oder ist es einfach die Nennung einer Kategorie?