Die Gärtner-Bande

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Die Gärtner-Bande
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Berndt Marmulla

Die Gärtner-Bande

und drei weitere Fälle

Bild und Heimat

Von Berndt Marmulla liegen bei Bild und Heimat außerdem vor:

Der Kinderwagen-Brandstifter und vier weitere Verbrechen

(Blutiger Osten, 2019)

Der Weihnachtsmord und vier weitere Verbrechen

(Blutiger Osten, 2019)

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden alle Namen von Tätern und Opfern verfremdet. Namensgleichheiten sind dem Zufall zuzuschreiben.

Alle Bilder stammen aus dem Privatarchiv des Autors, ausgenommen S. 89: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Bernd Heyden.

eISBN 978-3-95958-804-1

© 2020 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: capa

Umschlagabbildung: Chris Keller / bobsairport

In Kooperation mit der SUPERillu

www.superillu-shop.de

Vorwort

Verbrechen in der DDR

Die in diesem Buch geschilderten Straftaten waren nach dem damaligen Kriminalitäts- und Rechtsverständnis Verbrechen und dadurch in nicht unerheblichem Maße Unruhefaktoren innerhalb der Gesellschaft. Die gesellschaftspolitische Aufgabe der Volkspolizei, insbesondere der Kriminalpolizei, war es, diese Verbrechen so schnell wie möglich aufzuklären und die Straftäter der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Diese Aufgabe hatten die überwiegende Mehrheit meiner Kollegen und ich verinnerlicht.

Diebstähle aller Art, unbefugte Benutzungen von Fahrzeugen, Betrügereien, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und andere kleine und mittlere Delikte bestimmten den polizeilichen Alltag.

Die in diesem Buch beschriebenen Straftaten widerspiegeln zugleich den täglichen Ablauf von Ermittlungen und polizeilichen Handlungen der Kriminalisten und anderen Polizeiangehörigen. Die stellenweise Beschreibung der kollegialen Zusammenarbeit der Polizisten, vornehmlich der Kriminalisten, und ihres Umgangs miteinander beruht auf Tatsachen. Auch wenn es natürlich im Alltag Probleme menschlicher und dienstlicher Art gab, die gemeinsame Aufgabenerfüllung stand im Mittelpunkt des täglichen Miteinanders. In einer Institution wie der Polizei ist auch aus der Sicht des Autors ansonsten eine erfolgreiche Arbeit nicht möglich.

Der Blick zurück auf diese Kriminalitätsfälle ist zugleich ein Blick auf die jüngere Geschichte Deutschlands. In einem entscheidenden Punkt unterschied sich unsere Arbeit im Osten ganz und gar nicht von jener der Kollegen im Westteil unseres Landes: Es ging immer darum, möglichst schnell die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Mein persönlicher Dank für die Unterstützung bei den Recherchen zu diesem Buch gilt Herrn Frank Ewald aus Berlin-Köpenick. Seine Ortskenntnis war für mich sehr hilfreich. Wertvolle Hinweise über soziale, bevölkerungstypische Handlungsweisen konnte er mir als langjähriger Bewohner Köpenicks und ehemaliger Inhaber der Whisky- und Weinhandlung Weinoase in der Köpenicker Altstadt vermitteln.

Besonders herzlich danke ich dem Journalisten Rolf Kremming, der mir bei der Arbeit an diesem Band durch regelmäßigen Gedankenaustausch ausgesprochen behilflich war.

Ebenfalls gilt mein Dank dem Verlag Bild und Heimat für das entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches.

Berndt Marmulla, Kriminaloberrat a. D.

Berlin, Juni 2020

Die Gärtner-Bande

Mittwoch, 8. Mai 1985

»40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus«. Arbeitsfrei mitten in der Woche. Das Volk jubelte. Die einen mit Fähnchen auf der Straße, andere mit Bier und Bockwurst im Berliner Ausflugslokal Zenner im Treptower Park.

Peter A. dagegen saß gelangweilt im Roten Ochsen, einer Eckkneipe in Berlin-Köpenick. Es war kurz nach dreizehn Uhr, und die Kellnerin stellte ihm das dritte Bier auf den Tisch. »Hübsches Ding«, murmelte Peter vor sich hin und blickte der schlanken Bedienung nach. Diese Beine, dieser Gang, einfach perfekt. Schon lange hatte er ein Auge auf die dunkelhaarige Rumänin geworfen. Aber jedes Mal, wenn sie ihn mit ihren dunkelbraunen Augen anschaute, ließ ihn sein Mut im Stich. Außer: »Na, wie geht es dir, Adelina?«, brachte er nichts heraus und fand sich höchst idiotisch dabei. Aber heute, so hatte er sich vorgenommen, heute würde er sie ansprechen und sie zum Essen in die HO-Gasstätte neben dem Rathaus einladen. Er hatte schon lange keine Freundin mehr gehabt und fand, dass es langsam mal wieder Zeit für traute Zweisamkeit wäre.

Während er gedanklich noch am Formulieren der richtigen Worte war, sah er beim Blick aus dem Fenster einen Mann Anfang vierzig aus einem dunklen Auto steigen. Von einem Moment auf den anderen war die hübsche Rumänin vergessen. Das Auto auf der anderen Straßenseite erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Mensch Meier, der Kerl muss ja richtig Kohle haben, dachte Peter. Und wenn Peter an Kohle dachte, kam auch die schönste Frau nicht gegen an.

Der Mann auf der anderen Seite war aus einem »Volvo« gestiegen! Solch ein Auto fuhren in der DDR nur Leute wie Funktionäre, Künstler und selbständige Handwerker. Und genau diese Art von Leuten mochte Peter, wenn auch anders, als diese es sich vorstellten. Wer so eine Kutsche fuhr, musste Knete haben, meinte sein Kumpan Dieter Gärtner, verriet aber nicht, woher er sein Wissen hatte. Aber zweifellos hatte er recht.

Erst vor vier Tagen hatte Peter mit zwei Kumpeln einem »Golf«-Fahrer einen Besuch abgestattet. Der Typ wohnte in einem noblen Einfamilienhaus in Berlin-Friedrichshagen, fünf Minuten vom Müggelsee entfernt. Was sie da abgeräumt hatten, war mehr gewesen, als die drei erwartet hatten. Jede Menge Bargeld, zwei Kassettenrekorder, mehrere verdammt teuer aus­sehende Ringe, eine goldene Kette und zwei fast nagelneue Kameras der Marke »Pentacon« hatten sie weg­geschleppt. Der Tipp war von Dieter gekommen, und er hatte auch dafür gesorgt, dass sie sich akribisch auf den Einbruch vorbereitet und das Haus tagelang beobachtet hatten. Erst als sie wussten, dass die Bewohner tagsüber nicht im Hause waren, setzten sie ihren Plan in die Tat um. Unbemerkt von den Nachbarn betraten sie das Grundstück durch die nicht abgeschlossene Gartentür, brachen die Verandatür an der Rückseite des Hauses auf und landeten direkt im Wohnzimmer. Staunend blieb das Trio neben dem Sofa aus Samt stehen. »Glotzt nicht so lange rum«, trieb Dieter seine Kumpane an. »Ick will Weihnachten noch zu Hause feiern.« Pflichtbewusst lachten die beiden, hatten sie diesen Spruch doch schon ein Dutzendmal gehört. Also marschierten sie durch die fünf Räume des Hauses und ärgerten sich, dass sie nur die Hälfte von dem wegschleppen konnten, was sie wollten. »Kiekt mal, da hängt ’n Franzose«, erklärte Dieter und zeigte auf ein Gemälde von Claude Monet. »Scheiß drauf«, meinte Peter, »das ist bestimmt eine Kopie. »Wir kieken lieber mal in den Safe hinter dem Schreibtisch.« Für Dieter kein Problem. Mit brachialer Gewalt und dem Einsatz eines speziellen Hebelwerkzeugs, einem sogenannten Knabber, war der Tresor eine halbe Stunde später auf. Das Trio schwieg und staunte. Im Safe lag bündelweise Geld. Fein säuberlich zu Zehnerstapel abgepackt mit jeweils einem Gummi drum. 45.000 DDR-Mark und 20.000 DM. In Windeseile packten sie das Geld in die mitgebrachten Taschen, noch ein letzter Blick durch die Zimmer, dann über die Terrasse zurück nach draußen. Zwei Quer­straßen weiter stiegen sie in Wolfgangs dunkelblauen »Škoda 1000 MB«.

Peter bestellte sich das vierte Bier und einen Nordhäuser Doppelkorn dazu und beobachtete weiterhin den »Volvo« auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Adelina sah ihn von der Seite an und lächelte. Sie hatte längst begriffen, dass Peter auf sie stand. Und weil auch sie den schlanken jungen Mann mit der Windjacke mochte, machte ihr dieses Spiel richtig Spaß. Dass Peter ein Einbrecher war und von regelmäßiger Arbeit nicht viel hielt, ahnte sie nicht.

Schon fünfmal war er eingebrochen, und jeder »Bruch« war ein Erfolg gewesen. Bei zwei Einbrüchen war sein Kumpel René dabei gewesen. Mit vierundzwanzig Jahren war er der Jüngste von ihnen, frisch verheiratet mit einer Frau, die gern mehr Geld ausgab, als er beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Funkwerk Köpenick verdiente. Und er selbst war scharf auf ein Auto. Wobei er dabei nicht an einen »Trabi« dachte, sondern an einen »Golf« aus dem Westen. Ihre bisherigen »Erfolge« konnten sich sehen lassen. Der Rubel rollte. Und dank der drei Funkgeräte, die René nach einer Nachtschicht in seiner Aktentasche aus dem Werk geschleppt hatte, konnten sie sich bei den Brüchen untereinander gut verständigen und das Risiko verringern, geschnappt zu werden.

Nur einmal wäre es fast in die Hose gegangen. Eine alte Dame, die ihren Dackel spazieren führte, hatte sich über René gewundert, der in Dieters Auto saß und in einen schwarzen Kasten hineinsprach. Selbst »Bruno«, ihrem Hund, kam das komisch vor, er bellte. Misstrauisch klopfte die alte Dame an das Seitenfenster und fragte, was er hier mache. Mit den Worten, er wäre vom örtlichen Wasseramt und kontrolliere mit seinen Kollegen die Leitungen, konnte er die alte Dame beruhigen. Auch »Bruno« hörte auf, zu bellen.

Drei Einfamilienhäuser hatten sie auf diese Weise tagsüber ausgeraubt, zwei Betriebe in der Nacht. Peter kannte Dieter und Wolfgang aus dem Knast. Für ein paar Monate hatten sie sich sogar eine Zelle geteilt. Obwohl alle drei erst knapp über dreißig waren, hatten sie schon ein Vorstrafenregister von beachtlicher Länge. Autos geknackt, Wohnungen ausgeraubt, und bei Dieter kamen noch zwei Körperverletzungen hinzu. Sie waren nicht gerade das, was sich die sozialistische Gesellschaft wünschte.

Nach ihrer Entlassung aus der Rummelsburger Haft­anstalt hatten sie sich immer mal wieder in einer der zahlreichen Köpenicker Kneipen auf ein Bierchen getroffen. Wobei es nicht immer bei dem einen blieb. Peter und Wolfgang waren geschieden, lebten aber mit neuen Partnerinnen zusammen. Dieter war verheiratet und wohnte mit seiner Frau in einer Dreiraumwohnung in der Köpenicker Altstadt. Wie er an dieses Schmuckstück gekommen war, blieb sein Geheimnis. Nur einmal machte er im angetrunkenen Zustand die Bemerkung, er kenne eine Frau von der Wohnraumvergabe, mit der er hin und wieder mal ins Bett gehe und die ihm bei der »Wohnungssuche« behilflich gewesen wäre.

 

René war nicht vorbestraft und wohnte in Berlin-Weißensee. Er und Dieter hatten sich in Jahns guter Stube in der Köpenicker Bahnhofstraße kennengelernt. Beide kamen am Tresen ins Gespräch, und wie es der Zufall wollte, hatten beide gerade Ärger mit ihren Ehefrauen. Dieters Melanie war mal wieder sauer, weil er Socken, Hemd und Hose neben dem Bett hat liegen lassen und außer Unordnung nichts in der Wohnung machte. René hatte sich anhören müssen, dass schon wieder zu wenig Geld in der Haushaltskasse war. So gab ein Wort das andere, und am Ende waren sie sich einig, dass es wahre Liebe nur unter Männern gäbe. Drei Tage später saßen sie wieder am Tresen, und Dieter fragte René, ob er Lust hätte, sich ein paar Mark nebenbei zu verdienen. Hatte er, und eine Woche später trafen sie sich zur ersten Lage­besprechung in Dieters Wohnung.

Alle vier standen in Lohn und Brot, arbeiteten in Volkseigenen Betrieben und führten nach außen hin ein ganz normales bürgerliches Leben. »Nie wieder in den Knast. Nur nicht auffallen, auch nicht wegen asozia­len Verhaltens dem Arbeiter-und-Bauern-Staat gegenüber«, war ihre Devise. So blöd wollten sie nie wieder sein.

Nachdem Peter sich seinen Erinnerungen hingegeben hatte, parkte der »Volvo« immer noch an der gleichen Stelle. Peter sagte der Kellnerin Bescheid, er würde gleich wiederkommen, müsse nur mal eben schnell was erledigen. Adelina schaute ihm hinterher und nahm sich vor, ihn heftig anzuflirten, wenn er zurückkäme. Sie beobachtete Peter, wie er hastig über die Bahnhofstraße lief und ein »Wartburg« seinetwegen eine Vollbremsung machen musste. Peter stellte sich in die Nähe des »Volvo«, tat so, als würde er auf jemanden warten und merkte sich das Kennzeichen. Dann schnell zurück in den Ochsen, bevor er das Kennzeichen wieder vergessen hatte. Er notierte sich die Nummer auf einem Bierdeckel und steckte ihn in die Hosentasche. Inzwischen war es fünfzehn Uhr, und Adelina wollte Feierabend machen. Schließlich rannte sie schon seit halb sieben heute Morgen durch den Laden. »Vier Bier, macht drei Mark zwanzig.« Der Doppelkorn ging aufs Haus.

Adelina beugte sich zu Peter hinunter und lächelte ihn fröhlich an. Der Duft von »Florena – Eau de Cologne« stieg ihm in die Nase, er schloss die Augen. »Wenn du nicht weißt«, sagte sie, »was du nachher machen willst, kannst du mich ins Kino einladen. Ich habe nämlich gleich Feierabend.«

Zehn Minuten später verließen sie den Ochsen in Richtung Kino …

Samstag, 11. Mai 1985, Präsidium der Volkspolizei am Alexanderplatz, Dezernat X

Mein Tag hatte gut angefangen. Ich bin ausgeruht aufgewacht, die Sonne schien mir ins Gesicht. Als Erstes machte ich das Radio aus. Ich wollte mir den Tag auf keinen Fall von Horrornachrichten vermiesen lassen. Gabi war auch gut drauf. Das zeigte sich daran, dass sie schon Brötchen gekauft und Kaffee gekocht hatte. Sie lächelte. Ich lächelte. Unser sechzehnjähriger Sohn Thomas schlief sich aus. Das war ihm lieber, als mit uns zu frühstücken. Alles roch nach einem angenehmen Tag. Obwohl es Samstag war, hatte ich Dienst. Denn Verbrecher gehen weder in Urlaub, noch bleiben sie am Wochenende zu Hause. Munter schwang ich mich aufs Fahrrad und radelte die Berliner Straße in Richtung Alex runter. Selbst der blöde »Trabi«-Fahrer, der mir die Vorfahrt nahm, konnte mir die gute Laune nicht verderben.

Im Flur lief mir Helmut über den Weg. Ein Kollege mit über dreißig Jahren Berufserfahrung, mit dem ich schon so manchen Fall gelöst hatte. »Hallo Berndt, muss mal eben noch schnell aufs Klo, dann bin ich gleich bei dir«, grinste er und verschwand hinter der schon seit Wochen quietschenden Tür mit dem »H« drauf.

Eine halbe Stunde später saßen meine Truppe und ich um den Konferenztisch in meinem Dienstzimmer. »Gemütliche Zusammenkunft« nannten wir es. Offiziell hieß es »Lagebesprechung«. Ich hatte mich inzwischen gründlich vorbereitet und die wichtigsten Punkte auf einem Zettel notiert: Wir hatten vier Brennpunkte in Arbeit. Drei aus dem Bereich Sexualstraftaten, Missbrauch und Vergewaltigung und eine Einbruchsserie in Wohnungen. Als »Brennpunkte« bezeichneten wir alle örtlichen und überörtlichen Fälle, die entweder von unterschiedlichen Einzeltätern oder einer Bande begangen worden waren. Wir hatten also ausreichend zu tun. Die Stimmung im Dezernat war gut, hatten wir doch vor knapp einer Woche erst zwei Brennpunkte aufgeklärt. Die Täter befanden sich in Haft, und wir hatten die Ermittlungsverfahren an ein anderes Dezernat zur abschließenden Bearbeitung übergeben. Für die Ermittlung der Täter wurden wir sogar vom Polizeipräsidenten gelobt. Das war nicht unwichtig. So konnten wir uns bei weiteren Aufgaben der Unterstützung des Polizeipräsidenten gewiss sein.

Die Kaffeekanne machte die Runde. Dank unserer Schreibkraft Helga stand immer genug MOKKA FIX auf dem Tisch. Ich ließ mir den Stand der Ermittlungen vom Untersuchungsführer mitteilen, stellte Fragen zu noch offenen Ermittlungen und machte mir Notizen. Wieder einmal versagte der Kugelschreiber seinen Dienst. Ich befeuchtete ihn an der Spitze, doch das Ding blieb stur. Ich fluchte leise vor mich hin und ließ mir von Helga einen neuen Stift geben. Wie schon gesagt, ich wollte mir den Tag nicht verderben lassen. Nachdem wir alle Brennpunkte und die weiteren Vorgehensweisen besprochen hatten, verschafften wir uns einen Überblick über die allgemeine Kriminalitätslage in Berlin (Ost).

Helmut schmiss eine Runde CLUB. Leutnant (Kommissar) Klaus K. lehnte ab. Seit zwei Wochen war er Nichtraucher. Demonstrativ öffnete er das Fenster. Helmut wollte etwas sagen. Ich schüttelte den Kopf, und er schwieg. Insgeheim wussten wir sowieso alle, dass Klaus bald wieder rauchen würde.

Hauptmann (Hauptkommissar) Helmut H. räusperte sich. Der Arbeitsgruppenleiter »Einbruch« erklärte, wir müssten uns die Lage in der Inspektion Köpenick mal näher betrachten. »Wir haben ein paar unbekannte Täter, die mit hohem technischem Aufwand unterwegs sind. In erster Linie brechen sie in Einfamilienhäuser ein und schrecken auch vor gesicherten Stahlschränken nicht zurück. Ich glaube, von denen werden wir noch eine Menge hören.«

»Gut, Helmut, wir schauen uns die Sache mal vor Ort an«, bestätigte ich. Dann blickte ich zu Hauptmann Manfred D., einer unserer drei Straftatenanalytiker im Dezernat X. Ihre Aufgabe war es, die zu bearbeitenden Brennpunkte und Verfahren ständig zu überprüfen und alle neuen Hinweise auszuwerten. Sie mussten Spurenvergleiche mit den Kriminaltechnikern absprechen, stets die Gesamtlage in Berlin (Ost) im Auge haben und jede Straftat in den einzelnen Inspektionen begutachten. Bildet sich hier ein Brennpunkt heraus? Passen neue oder zurückliegende Verbrechen zu den von uns aktuell anstehenden Straftaten? Also, eine verantwortungsvolle kriminalistische Analysetätigkeit. Seine Aufgabe war es nun, sich mit der Kripo in Köpenick in Verbindung zu setzen und sich alle Einzelheiten zu den Einbrüchen schildern zu lassen.

Der Rest des Tages verlief ohne besondere Vorkommnisse.

Dienstag, 14. Mai 1985, neun Uhr

In den letzten beiden Tagen hatte jeder von uns seine ihm zugeteilten Aufgaben erfüllt, und wir saßen wieder am Tisch in meinem Büro. Das Erste, was auffiel: Klaus rauchte wieder. Alle grinsten, aber keiner sagte etwas. Hauptmann Manfred D. teilte uns als Erster etwas über seine Köpenicker Ermittlungen mit. Dabei erhob er sich. Das tat er immer, wenn er etwas sagen wollte. Er hatte das bei irgendeiner Fortbildung gelernt. Einem stehenden Redner würde man mehr Aufmerksamkeit schenken. Na gut!

»Es ist recht merkwürdig, dass von den ungeklärten Einbrüchen drei extrem auffällig sind«, hörten wir.

Pause! – Auch das hatte Manfred in seiner Fortbildung gelernt. Eine Pause erhöht die Spannung.

»Mach weiter, spann uns nicht auf die Folter«, murmelten einige Kollegen.

Manfred holte tief Luft und fuhr fort: »Auffällig ist, dass sich drei der ungeklärten Brüche sehr stark ähneln. Das heißt, sie weisen einige Gemeinsamkeiten auf.«

»Musst du mal näher erläutern«, bat Günter.

»Erstens: Es waren immer Einfamilienhäuser. Und zweitens: Nicht irgendwelche. Es sind, schon von außen gesehen, recht lukrative Bauten, in denen man gute Beute machen kann. Und die Leute verstehen ihr Fach. Sie kommen mit allerlei technischem Gerät zum Tatort und haben jedes Mal ziemlich robuste Wertbehältnisse geknackt. Sogar einen komplizierten Safe. Die Spurensicherung hat an zwei Tatorten identische Handschuh- und Werkzeugspuren gesichert.«

Dann noch einmal seine berühmte Pause.

»Doch da ist noch etwas, was mich stutzig macht. Alle Geschädigten haben nicht nur tolle Häuser, sondern besitzen auch Westautos. In ihren Garagen stehen ›Citroen‹, ›VW Golf‹ und ›Mazda‹. Außerdem noch Pkw vom Typ ›Wartburg‹ und ›Lada‹. Da ist doch jedem Außenstehenden sofort klar, dass hier was zu holen ist. Na, was sagt ihr nun?«

Ich sah seinem Gesicht an, dass er jetzt auf Lob aus war. Aber ich ließ ihn erst einmal schmoren. »Gibt es Verbindungen zwischen den Geschädigten?«

»Ja, tatsächlich. Zwei von ihnen sind angesehene und in Köpenick bekannte Handwerker mit eigener Firma.«

Meine anerkennenden Worte: »Gute Arbeit, Manfred, behalte die Entwicklung im Auge!«, kamen von ganzem Herzen.

Montag, 20. Mai 1985, Köpenick, Ecke Bahnhofstraße/Elcknerplatz, Jahns gute Stube

»Mensch Atze, haste dir verlobt? Du hast ja Ringe unter de Oogen.« Wolfgang schlug seinem Kumpel Peter auf die Schulter. Der grinste und prahlte gleich mit seiner neuen Eroberung Adelina: »Ick sag euch, die Frau ist scharf wie eene Rasierklinge. Bin kaum aus dem Bett jekommen. Die hat mir keenen Moment aus den Händen jelassen. Habe sogar einen Tach blaujemacht.« Dieter und Wolfgang schauten Peter an und hielten ihre Daumen hoch.

Dann hielt Dieter drei Finger in die Höhe, was für den Wirt bedeutete, neue Biere zu zapfen. »Während du gevögelt hast, habe ich mich schon mal über den ›Volvo‹-Mann schlaugemacht. Der Typ hat jede Menge Kohle, und ich weiß auch schon, wo er wohnt. Das kann was werden. Aber das besprechen wir nicht hier in der Kneipe. Du weißt doch, wie das ist. An manchen Orten haben die Wände Ohren. Einzelheiten morgen bei mir zu Hause. Meine Olle weiß schon Bescheid.« Kaum hatte Dieter den Satz beendet, ärgerte er sich auch schon über seinen Knastjargon, den er einfach nicht loswurde. »René weiß auch Bescheid und will kommen. Er tat vorhin ziemlich geheimnisvoll, von wegen, er habe eine Überraschung für uns. Bin gespannt, ob er nicht nur eine große Fresse hat.«

Dann wechselten sie das Thema und hörten sich Peters Liebesgefummel bis in alle Einzelheiten an. Danach winkte Dieter dem Kellner und zahlte für alle, und sie verschwanden. Dieter und Wolfgang gingen brav nach Hause. Peter lag eine halbe Stunde später in Adelinas warmem Bett.

Nächster Tag, Altstadt Köpenick,

Wohnung Dieter Gärtner

Am nächsten Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, trafen sich die drei Männer in Dieters Wohnung. Melanie hatte das Bier schon kaltgestellt, und der Nordhäuser Doppelkorn stand griffbereit auf dem Couchtisch. So wie es sich für eine »Geschäftsbesprechung« gehörte. Melanie hatte sich für den Besuch extra schick gemacht, was Dieter ziemlich sauer aufstieß. »Du bist doch nicht auf einer Modenschau«, maulte er seine Frau an. Sie zog sich daraufhin in die Küche zurück. Die Männer öffneten die Bierflaschen, gossen sich Schnaps ein, stießen an und warteten auf René. Der klingelte ein paar Minuten später und packte seine Überraschung aus. Drei neuwertige und funktionsfähige Nachtsichtgeräte. Alle staunten und klopften dem Jungen auf die Schulter.

»Die gehören zu einer Lieferung für die Nationale Volksarmee. Und manchmal ist es ein langer Weg von Berlin nach Torgelow«, sagte René und grinste.

»Mensch René, hat das auch niemand gemerkt?« Dieters Stimme klang misstrauisch und vorsichtig wie immer. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf René.

»Keine Sorge, Dieter, ich kenne den einen und anderen noch aus meiner Wehrdienstzeit in Torgelow.«

 

Dieter kniff die Augen stärker zusammen. Er meinte zwar, die Dinger wären für die »Nachtarbeit« sehr gut geeignet, aber man sah ihm an, dass ihm die ganze Sache nicht gefiel. »Okay, Jungs, lasst uns darauf einen trinken«, lenkte er schließlich ein und schenkte die vier Schnapsgläser voll.

Nach einer weiteren Runde Korn besprach das Quartett den nächsten Raubzug. Dieter klärte die anderen über den »Volvo«-Mann auf, einen in Grünau wohnenden Heizungsbauer. »Der Typ hat eine eigene Werkstatt und verdient eine Menge Schotter. Ich bin mir sicher, dass er davon nicht mal die Hälfte versteuert. Soll uns aber schließlich egal sein.« Dann erzählte er, dass der Mann ein Wassergrundstück mit Steg und eigenem Motorboot besitze und dass sich seine Werkstatt hinter dem Wohnhaus befinde. »Hier arbeiten zwei Gesellen, und wie es aussieht, sind die Auftragsbücher voll. Mit anderen Worten: Hier ist was für uns zu holen.«

»Welcher Vogel hat dir denn das geflüstert?«, wollte Peter wissen.

Dieter schwieg, und keiner fragte nach.

Dann besprachen sie die Einzelheiten und beschlossen, den Bruch entweder an einem Wochenende zu starten oder zu warten, bis die Familie im Urlaub ist. Nachts einzubrechen, erschien ihnen zu riskant. Ein Familienmitglied könnte vielleicht wach werden und sie überraschen. Sie einigten sich aber darauf, den Bruch so schnell wie möglich anzugehen. Schließlich brauchten sie alle Geld. Nur eines bereitete ihnen Sorgen: die auf dem Grundstück befindliche Werkstatt. Sind vielleicht die Gesellen oder Kunden vor Ort? Also hieß es, erst einmal zu schauen, wann die Luft rein und keiner vor Ort ist. Sie überlegten, wer von ihnen als Kunde die Lage ausspionieren sollte. Nach langem Hin und Her beschlossen sie, dass ein persönlicher Auftritt von einem von ihnen wegen der eventuellen Wiedererkennungsgefahr zu gefährlich wäre. Vielleicht könnte sich später einer der Gesellen an den »Kunden« erinnern.

Melanie hatte sich inzwischen umgezogen und zu den Männern gesetzt. Sie hatte mitbekommen, worum es ging, und meldete sich zu Wort. »Mensch Männer, macht doch nicht alles so kompliziert. Lasst mich das machen«, warf sie in die Runde. »Mich bringt doch später niemand mit dem Einbruch in Verbindung.«

Die Lösung gefiel allen. Schließlich war Melanie nicht vorbestraft und auch nicht polizeibekannt. Melanie war begeistert. War sie bisher immer nur als Dieters Anhängsel wahrgenommen worden, konnte sie jetzt beweisen, dass sie dazugehörte. Nun waren sie zu fünft.

Melanie holte neues Bier aus der Küche, goss die Schnapsgläser noch einmal voll, und alle prosteten sich zu. Gleich in den nächsten Tagen würde sie die Heizungsfirma des »Volvo«-Mannes aufsuchen und nach dem Preis für eine Gasheizung für ein angeblich geerbtes Haus fragen.

»Zieh dir ein schickes Kleid an und flirte mit den Jungs«, lachte Peter. Die anderen grinsten. Dieter schaute Peter grimmig an. Dann rutschte er auf die vordere Sofakante und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Körperhaltung war eindeutig: Ich bin hier der Boss! Melanie legte eine Hand auf Dieters Schenkel. Das sollte beruhigend sein. Bewirkte aber genau das Gegenteil.

»Lass das!« Unwirsch schob er ihre Hand fort. Melanie schwieg, doch ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Fühlte sie sich vor wenigen Minuten noch im Kreise der Jungs gut aufgehoben, hatte sie jetzt das Gefühl, Dieter wolle auf ihre Kosten den großen Macker spielen.

»Hört zu Männer«, versuchte Dieter, die peinliche Situation zu entschärfen. »Der Einbruch beim ›Volvo‹-Mann ist nur der Anfang. Ich will mit euch ein richtig großes Ding abziehen. Ich habe mir gedacht, wir besuchen mal ein Geldinstitut. Da ist mehr Bargeld zu holen als in Privathäusern.«

René und Wolfgang nickten. Sie waren sofort einverstanden. Peter dagegen war skeptisch. »Ein Raubüberfall? Da mache ich nicht mit. Ich habe nämlich wegen eines Raubes schon mal ein paar Jahre Knast erlebt.«

»Quatsch!« Dieter erhob sich. »Habe ich was von Überfall gesagt? Meine Idee ist genial. Wir werden von einer Baustelle neben der Sparkasse eine Wand durchbrechen. Was glaubt ihr, wo wir da landen?« Dieter machte eine bedeutungsvolle Pause und setzte sich wieder. »Genau, wir sind mit beiden Beinen im Kassenraum. Woher ich das weiß? Habe alles gut durchdacht und gecheckt. Habe mir sogar die Baupläne für das Haus besorgt.«

»Welche Bank meinst du denn?« Peter blickte fragend in die Runde. Man sah ihm an, dass er von dem Vorschlag alles andere als begeistert war.

»Die Sparkasse Alt-Köpenick, am Schlossplatz!«

»Mann, ey, da ist doch immer Hochbetrieb.«

»Aber nicht in der Nacht oder an den Wochenenden.« Dieter war merklich sauer über Peters ständige Einwände und verließ das Zimmer.

Nun hörten sie ihn im Nebenzimmer rumhantieren. Keiner wusste, was er dort machte. Alle schwiegen. Die Luft im Raum war stickig geworden. Es roch nach Schnaps und Bier. Melanie öffnete das Fenster. Als Dieter nach ein paar Minuten zurückkam, schleppte er eine schwere Holzkiste. »Schaut mal, was ich habe.« Er öffnete die Kiste. Eine Sauerstoffflasche und eine Acetylen­flasche mit passendem Schweißbrenner kamen zum Vorschein. Die Geräte waren klein und handlich; nicht so riesig, wie die in den meisten Betrieben benutzten Flaschen. Keiner wunderte sich, da alle wussten, dass Dieter als Schlosser und Schweißer im VEB Kabelwerk Oberspree beschäftigt war. »Da staunt ihr, was!? Und euch ist doch wohl auch klar, dass ich damit umgehen kann.«

René und Wolfgang nickten. Auch Peter schien seine Vorbehalte aufzugeben. »Na gut, wenn das so ist …«, brummelte er vor sich hin.

»Na, alle einverstanden? Wenn der Bruch gelingen soll, müsst ihr auch alle mitmachen. Jeder von uns hat seine Aufgabe. Wenn nur einer versagt, geht alles in die Hose. Kapiert?«

Die Begeisterung für das neue Vorhaben wuchs. Während Melanie in die Küche ging und Spaghetti kochte, verteilte Dieter die Aufgaben. »René sichert uns ab. Er bleibt mit seinem Funkgerät im ›Trabi‹ sitzen und hält Verbindung zu uns. Wir drei stemmen die Wand von der Baustellenseite her auf.« Er zeigte auf Wolfgang, Peter und sich selbst. »Einen Vorschlaghammer bringe ich mit. Ach ja, noch eine Aufgabe für dich, Wolfgang. Du musst Spitzhacke und Stemmeisen besorgen. Du bist doch Lagerarbeiter in einer Bude, die auch Abbrucharbeiten macht. Da kannst du solche Sachen doch problemlos besorgen. Oder?«

»Na klar, null Problemo«.

Nun meldete sich Peter zu Wort: »Noch zwei Fragen, Dieter. Hast du auch an eine Alarmanlage gedacht? Und wie weit entfernt wohnen die Nachbarn? Können die unsere Stemmgeräusche vielleicht hören?«

»Gute Fragen, Peter. Na klar habe ich auch daran gedacht. Die Alarmanlage ist im Moment aufgrund von Bauarbeiten nicht voll funktionstüchtig. Und was deinen Einwand wegen der Baugeräusche betrifft, müssen wir eine Nacht nutzen, in der es regnet und gewittert. Zum Glück hat der Wetterbericht für die nächsten Tage Gewitter und schlechtes Wetter angesagt. Also müssen wir bereit sein, sofort zuzuschlagen. Und das mit den Nachbarn ist kein Problem. In unmittelbarer Nähe wohnt niemand, und ein gewisses Risiko müssen wir schon eingehen. Außerdem, René passt ja auf.«

Inzwischen waren die Spaghetti fertig, und Melanie stellte einen großen Topf und fünf Teller auf den Tisch. Beim Essen war Schweigen angesagt. Man wusste sich schließlich zu benehmen. Man einigte sich auch darauf, den Frauen gegenüber eine glaubwürdige Erklärung für die Nacht des Einbruchs zu erfinden.

Als der Kasten Bier und die Flasche Doppelkorn geleert waren, verließen Peter, Wolfgang und René das Haus. Melanie setzte sich zu Dieter auf das Sofa und legte noch einmal ihre Hand auf seinen Schenkel, der sie diesmal nicht fortschob …

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