Loe raamatut: «Aufwachsen in Geborgenheit»
Kent Hoffman, Glen Cooper und Bert Powell, unter Mitarbeit von Christine M. Benton
Aufwachsen in Geborgenheit
Wie der Kreis der Sicherheit Bindung, emotionale Resilienz und den Forscherdrang Ihres Kindes unterstützt
Vorwort von Daniel Siegel
Aus dem amerikanischen Englisch von Lisa Baumann
Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau
© 2019 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH, Freiburg
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Raising A Secure Child. How Circle of Security Parenting can help you nurture your child‘s attachment, emotional resilience, and freedom to explore
Copyright © 2017 The Guilford Press
A Division of Guilford Publications, Inc.
Published by arrangement with The Guilford Press
Titelfoto: © 2019 David-W- / photocase.de
Lektorat: Richard Reschika
Hergestellt von mediengenossen.de
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2020
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-357-0
Wichtiger Hinweis: Die Ratschläge und Übungen in diesem Buch sind von den Autoren sowie dem Verlag sorgfältig geprüft worden. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Bei ernsthafteren oder länger anhaltenden Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall eine Ärztin, einen Psychotherapeuten, eine Psychologin oder einen Heilpraktiker Ihres Vertrauens zu Rate ziehen. Eine Haftung der Autoren oder des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Mit Respekt und Dankbarkeit für
Jude Cassidy, Mentorin, Kollegin und Freundin
Inhalt
Geleitwort
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort
Vorbemerkung der Autoren
Einleitung
TEIL 1
Einmal im Kreis herum:
Bindung und die Bedeutung von Sicherheit verstehen
1. Bindung: Warum sie wichtig ist
2. Sicherheit: Mit der Unvollkommenheit Freundschaft schließen
3. Eine Landkarte der Bindung: Der Kreis der Sicherheit
4. Die Hände auf dem Kreis sein
5. Haifischmusik: Wie unsere Kindheit in unserem eigenen Elternsein widerhallt.
6. Verhalten als Kommunikation verstehen: Signale und falsche Signale
TEIL 2
Den Kreis bilden und erhalten:
Größer, stärker, weiser und gütig – und ausreichend gut
7. Haifischknochen: Unsere zentralen Sensitivitäten erkunden
8. Neue Gewässer erforschen: Sich für Sicherheit entscheiden
9. Über Wasser bleiben: Sich immer wieder für Sicherheit entscheiden, während Ihr Kind größer wird
Literatur
Danksagungen
Über die Autoren
Geleitwort
Dieses Buch richtet sich an Eltern und alle Menschen, die an Kindern, Bindung und Entwicklung interessiert sind und sich selbst in Beziehung zu anderen betrachten mögen. Es ist ein wegweisendes Buch, weil es den Wunsch nach einer besseren Welt teilt. In ihr kann es Eltern gelingen, eine liebevolle und sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen und es darin zu bestärken, sich neugierig und vertrauensvoll der Welt zuzuwenden.
Die Autoren Kent Hoffman, Glen Cooper und Bert Powell führen den Lesenden mühelos in die Bausteine des Elternseins und deren Anwendung anhand ihres „Kreises der Sicherheit“ ein. Sie erläutern anhand von theoretischen und praktischen Beispielen, Übungen und Checklisten, wie mit Hilfe der Landkarte „Kreis der Sicherheit“ und der Erkundung eigener „Haifischmusik“ mehr Orientierung, Schutz und Freude in der Beziehung zum Kind möglich wird. „Haifischmusik“ steht für eigene Gefühle von Unlust, Unbehagen, Entfremdung, Angst, Wut oder für spezifische Gedanken, die in der Beziehung zum Kind auftreten können. Das Erkennen der „Haifischmusik“ auf dem „Kreis der Sicherheit“ schafft eine Verbindung zu eigenen Erfahrungen mit Bindungsfiguren der Kindheit. Dies ermutigt zum bewussten Dialog mit anderen und dem Kind.
Nach dem „Kreis der Sicherheit“ ermöglicht das Elternsein einen Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozess, der emotional aufwühlend, schmerzhaft, aber auch befreiend sein kann. Es kann Verständnis und Akzeptanz für die eigenen elterlichen Schwierigkeiten und die des Kindes anregen und dazu beitragen, einen sicheren Mutter/Vater-Kind-Kreis zu stärken. Dieses Buch zum Elternsein nach dem „Kreis der Sicherheit“ fördert in ansprechender Weise die Entwicklung von Familie und seelischer Gesundheit.
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Brigitte Ramsauer,
Circle of Security International Provider;
Universitätsklinikum Münster; Brigitte.ramsauer@ukmuenster.de
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Dieses Buch spricht für sich selbst. Ich will mich deshalb kurz fassen. Endlich liegt nun auch für die Eltern im deutschen Sprachraum eine spannend geschriebene Beschreibung des „Kreises der Sicherheit“ vor, mit dem sich bindungs- und beziehungsorientierte Erziehung besser verstehen – und „bestaunen“ – lässt!
Warum Bestaunen? Weil Menschenkinder in ihrer Entwicklung in Wirklichkeit einen schier irrwitzigen Spagat bewältigen müssen:
… einerseits sind sie die unreifsten, entwicklungsbedürftigsten und die „sozialsten“ Lebewesen, die es auf der ganzen Erde gibt – und damit auf Gedeih und Verderb auf Schutz, Nähe, Versorgung, Pflege und feinfühlige Begleitung angewiessen. Und wie!
… andererseits sind sie die einzigen Lebewesen, die sich auf eine komplett ungewisse Zukunft vorbereiten müssen. Das liegt an der einmaligen Anpassungsstrategie des Homo sapiens: Anders als die Tiere passt er sich der Umwelt an, indem er sie verändert. Menschenkinder müssen sich deshalb immer in dem Neuland zurechtfinden, das unter ihren Füßen gerade entsteht. Was für eine Herausforderung!
Und schon sind wir bei der menschlichen Bindung, bei den Beziehungen zwischen den Kindern und den sie begleitenden Erwachsenen. Dieses System muss schützen, absichern und behüten. Es muss aber gleichzeitig auf eine unscharfe, ungewisse Zukunft vorbereiten, auf eine Zukunft, die weder die Eltern eines Kindes kennen noch seine Erzieherinnen oder Erzieher. Ja, die Bindung, die das Kind erfährt, muss schützen, und wie! Sie muss aber gleichzeitig die Plattform zu „eigensinnigem“ Lernen und Handeln sein. Sie muss „binden“, aber auch befreien.
Der „Kreis der Sicherheit“ erklärt, wie Kinder diese Quadratur des Kreises schaffen. Je besser Eltern diesen Kreis verstehen, desto besser können sie Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleiten. Ich wünsche diesem Buch deshalb alle Aufmerksamkeit der Welt.
Herbert Renz-Polster
Autor der Bücher Menschenkinder. Plädoyer für eine artgerechte Erziehung und Die Kindheit ist unantastbar: Warum Eltern ihr Recht auf Erziehung zurückfordern müssen, Co-Autor von Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Denken und Fühlen
Vorwort
Wenn Sie nach einem praktischen, klugen, wissenschaftlich fundierten und verständlichen Handbuch suchen, das Ihnen hilft, zu Ihrem Kind die Art von Bindung aufzubauen, die es optimal in seiner Entwicklung unterstützt, dann halten Sie es gerade in der Hand! Kent Hoffman, Glen Cooper und Bert Powell sind ausgesprochen begabte und erfahrene Therapeuten. Ihr Kreis der Sicherheit (Circle of Security®) bietet Eltern praktische und effektive Hilfe, ihre Kinder gut zu unterstützen, was inzwischen auch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.
Als ich diesen drei Meistern menschlicher Beziehung vor einigen Jahren zum ersten Mal begegnete, war ich augenblicklich von ihrer Feinfühligkeit, Liebenswürdigkeit und Menschlichkeit eingenommen. Die Entwicklung ihres Ansatzes beruhte von Anfang an auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Bindungsforschung, die sich dem Kontakt zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen widmet, sodass die theoretischen Fundamente des Ansatzes auf solidem Boden stehen. Zudem wurde überprüft, ob sich das Modell auch in der Praxis bewährt, und zwar nicht nur in den eigenen Kursen der Autoren, sondern auch bei den Menschen auf der ganzen Welt, die den Ansatz inzwischen anwenden. Da er auch auf den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften basiert, vermittelt er das aktuellste und derzeit wohl beste Wissen zum Thema „Kindererziehung“.
Der Begriff Bindung bezieht sich darauf, dass wir als Säugetiere darauf angewiesen sind, von anderen umsorgt zu werden, während wir heranwachsen. Unsere Entwicklung wird maßgeblich dadurch geprägt, wie unsere Bezugspersonen von unseren ersten Lebenstagen an mit uns kommunizieren. Die Bindungsforschung hat gezeigt, dass Kinder, die das Glück haben, eine sogenannte „sichere“ Bindung zu entwickeln, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu fürsorglichen, rücksichtsvollen, emotional und sozial intelligenten, resilienten und erfolgreichen Menschen heranwachsen.
Wenn auch Sie sich diese lebensbejahenden Eigenschaften für Ihr Kind wünschen, wird Ihnen der Kreis der Sicherheit zeigen, wie Sie deren Entwicklung begünstigen können. Nun fragen Sie sich vielleicht, wieso man ein Buch über etwas lesen sollte, das doch die natürlichste Sache der Welt zu sein scheint. Warum haben nicht einfach alle Menschen eine sichere Bindung?
Forschungsergebnissen zufolge spielen beim Aufziehen von Kindern viele Faktoren eine Rolle, und damit es den Kindern gut geht, ist es wichtig, dass sie sich gesehen, geborgen und sicher fühlen. Allerdings gibt es viele mögliche Störfaktoren. Einer dieser Faktoren ist die Kindheit der Eltern. Doch die Forschung hat auch dazu starke und klare Fakten geliefert: Nicht die Ereignisse unserer Kindheit an sich sagen als entscheidender Faktor die Bindung zwischen uns und unseren eigenen Kindern voraus, sondern die Bedeutung, die wir den uns prägenden Kindheitserfahrungen geben. Detaillierte Studien an über zehntausend Menschen haben gezeigt, dass das Entscheidende ist, wie wir die weniger guten Dinge verarbeitet haben, ob wir verstehen, wie sie unsere Entwicklung geprägt haben, und ob wir sehen können, wie sie sich auf unser heutiges Elternsein auswirken (eine Zusammenfassung dieser Erkenntnisse finden Sie in meinem Buch Wie wir werden, die wir sind: Neurobiologische Grundlagen subjektiven Erlebens (Siegel, 2012). Aber selbst dann, wenn wir eine sichere Bindung an unsere eigenen Eltern oder andere Bezugspersonen hatten, können wir davon profitieren, mehr Bewusstheit in die Art und Weise zu bringen, auf die wir für unsere Kinder sorgen. Schließlich ist es immer möglich, etwas dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln! Die wirklich gute Neuigkeit ist, dass es nie zu spät ist, die eigene Lebensgeschichte zu verstehen und die Beziehungen zu den Menschen, die Sie lieben, zu verbessern.
Wenn Sie nun eine neue Weise kennenlernen, über die Beziehung zu Ihrem Kind zu reflektieren, werden Sie klarer sehen, dass in der Kommunikation mit ihm eine wunderbare Möglichkeit liegt, auf sehr erfüllende Art und Weise „mit Ihrem Kind zu sein“, wie die Autoren es nennen. Bei der Lektüre dieses großartigen Buches werden Sie unter anderem erfahren, wie die sogenannte „Haifischmusik“ (der brillante und sinnträchtige Name, den die Autoren dem Echo unserer eigenen Bindungserfahrungen verliehen haben) aus impliziten Erinnerungen aufsteigen kann. Wir alle verfügen über eine ganze Lagerhalle voller Emotionen, Bilder, Körperempfindungen und Überzeugungen, von denen uns vielleicht noch nicht einmal klar ist, dass sie der Vergangenheit angehören, und die unsere Fähigkeit einschränken können, uns mit unserem Kind auf diese wichtige (und erlernbare) Art und Weise zu verbinden, die eine sichere Bindung fördert. Üblicherweise bemerken wir es noch nicht einmal, wenn Haifischmusik den Kontakt zu unseren Kindern stört. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie man mit solchen Erfahrungen umgehen und dafür sorgen kann, dass sie sich nicht länger negativ auf die Begleitung der Kinder auswirken.
Keine Beziehung ist je perfekt. Falls Sie Perfektionismus anstreben, erzeugen Sie womöglich bereits dadurch, dass Sie zu streng mit sich selbst sind, Spannungen in der Beziehung zu ihrem Kind. Dieses Buch steckt voller praktischer Anregungen dazu, wie Sie gütiger mit sich selbst umgehen und dadurch auch Ihrem Kind eine aufgeschlossene Haltung vorleben können. Und wenn in diesen eingespielten Beziehungen die unvermeidlichen Brüche passieren, dann können Sie bestimmte Absichten fassen und heilsame Wiedergutmachungen anbieten – eine weitere gute Nachricht aus der Bindungsforschung. Dieses Buch wird Ihnen anhand beeindruckender Beispiele und einer klaren Schilderung des wichtigen Wiedergutmachungsprozesses zeigen, wie sich solche Brüche erkennen und heilen lassen.
Während ich diese weisen Worte las, war ich immer wieder beeindruckt von der außerordentlichen Feinfühligkeit, Klarheit und Brillanz dieser bescheidenen und engagierten Experten. Aufwachsen in Geborgenheit ist ein großes Geschenk an uns, unsere Kinder und die ganze Welt. Ich möchte Kent, Glen, Bert und ihrer Kollegin Christine Benton von Herzen dafür danken, dass sie ein solches Meisterwerk zusammengestellt haben. Und Ihnen, liebe Leser, danke ich dafür, dass Sie die Einsicht, den Mut und die Liebe haben, diese Seiten auf sich wirken zu lassen und Sicherheit in das Leben Ihres Kindes zu bringen. Ich wünsche Ihnen alles Gute auf dem Weg!
Daniel J. Siegel, MD
Autor der Bücher Wie wir werden, die wir sind, Aufruhr im Kopf,
Die Alchemie der Gefühle und Mind: Eine Reise ins Herz des Menschseins;
Co-Autor von Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen, Achtsame Kommunikation mit Kindern und Disziplin ohne Drama
Vorbemerkung der Autoren
Wir freuen uns sehr, dass Sie auf unseren Ansatz für Eltern gestoßen sind. Wir hoffen, dass Sie dieses Material mit anderen Eltern und Experten teilen werden. Jedoch sind wir uns auch darüber im Klaren, dass das schriftliche Wort kein Ersatz für Ausbildungen und Supervisionen sein kann, und wir sind der Meinung, dass das Lesen des Materials keine angemessene Vorbereitung darstellt, um Circle of Security® („Kreis der Sicherheit“) Interventionen in irgendeiner Form anzubieten.
Es ist uns ein äußerst wichtiges Anliegen, dass die Qualität der Circle of Security Protokolle erhalten bleibt. Aus diesem Grund unterliegt der Name Circle of Security dem Markenschutz und die Grafiken in diesem Buch unterliegen dem Copyright. Weitergehende Informationen zu dieser Arbeit in einem professionellen Kontext finden Sie in unserem Buch Der Kreis der Sicherheit: Die klinische Nutzung der Bindungstheorie. Um die Erlaubnis zu erhalten, den Namen Circle of Security® oder Circle of Security Parenting für Werbematerial oder zu Forschungszwecken zu verwenden, besuchen Sie bitte unsere Webseite: www.circleofsecurity.com. Vielen Dank für Ihre Mithilfe dabei, die Qualität des Circle of Security® zu bewahren.
Dieses Buch ist durch die großzügigen Beiträge zahlreicher Menschen bereichert worden, die unsere Trainings auf der ganzen Welt besucht haben. Zitate dieser Menschen ziehen sich durch das ganze Buch, und ihre Beiträge sind in den Text eingegangen.
Anekdoten und Schilderungen von Interaktionen in diesem Buch stammen von Familien, die wir sowohl aus privaten als auch aus professionellen Kontexten kennen. Sie sind entweder deutlich verändert worden, um die Privatsphäre der Menschen zu schützen, oder es handelt sich um zusammengestellte oder repräsentative Darstellungen von weit verbreiteten bindungsrelevanten Themen.
Einleitung
Als Eltern oder werdende Eltern wollen wir natürlich alle das Beste für unsere Kinder. Wir lesen Bücher über die neuesten Theorien und Praktiken der Pädagogik, suchen nach den besten Kinderärzten und Lehrern, finden heraus, welche Nahrungsmittel gesundes Wachstum fördern, und wir schwören, dass wir niemals die gleichen Fehler begehen werden, die wir andere Eltern machen sehen – und erst recht nicht die, die unsere eigenen Eltern gemacht haben.
Wie sich allerdings zeigt, gibt es einen großen Irrtum, den man als wohlmeinende Eltern begehen kann, und zwar ist es der Versuch, perfekte Eltern zu sein oder zumindest möglichst keine Fehler zu machen.
Die wichtigste Botschaft dieses Buches ist die, dass wir bereits alles haben, was wir brauchen, um gute Eltern zu sein. Als menschliche Wesen sind wir mit positiven Absichten für unsere Söhne und Töchter ausgestattet sowie mit dem Instinkt, eine enge und dauerhafte Bindung zu ihnen zu entwickeln. Wir können diese natürlichen Anlagen dazu nutzen, unseren Kindern beizubringen, was es heißt, Mensch zu sein – beizeiten verwirrende Bedürfnisse und unangenehme Gefühle zu haben, unglücklich und angeschlagen zu sein und in einem Zustand glorreicher Unvollkommenheit, in dem es stets etwas dazuzulernen gibt, durchs Leben zu stolpern. Mit einer sicheren Bindung können unsere Kinder sich auch in den schwierigen inneren Erfahrungen, die wir alle durchmachen, sicher und geborgen fühlen. Durch das Vertrauen, dass jemand ihnen helfen wird, den unvermeidlichen Schwierigkeiten im Leben die Spitze zu nehmen, entwickeln sie das Selbstvertrauen, das sie brauchen, um in die große weite Welt hinauszugehen und herauszufinden, wer sie sind – und wer sie werden können.
Im Verlauf der letzten dreißig Jahre sind wir immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass eine sichere Bindung die allerwichtigste Basis ist, die wir unseren Kindern geben können. Sie ist von ebenso großer Bedeutung wie Ernährung, Gesundheitsfürsorge und Bildung. Tatsächlich könnte diese Basis sogar weitreichendere Auswirkungen haben als alle anderen Notwendigkeiten, weil ein Kind, dessen früheste Erfahrungen sich um eine sichere Bindung drehen, herausfinden kann, was es nicht nur zum Überleben, sondern auch für eine gute Entwicklung braucht, und weil es sich traut, darum zu bitten, und darauf vertraut, dass es die passende Unterstützung bekommen wird.
Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder, die eine sichere Bindung zu zumindest einem Erwachsenen haben, in der Schule erfolgreicher sind, stabilere Freundschaften pflegen, sich einer besseren körperlichen Gesundheit erfreuen und in ihrem weiteren Leben mehr intime, erfüllende und dauerhafte Beziehungen eingehen. In unserer Arbeit als Therapeuten, in der wir Menschen mit allen möglichen Problemen begegnen, haben wir allmählich erkannt, dass die Wurzel vieler Schwierigkeiten das Fehlen einer sicheren Bindung in der Kindheit ist. Wenn in der Kindheit nicht oft genug jemand für sie da war, bleiben diesen Menschen als Erwachsenen befriedigende intime Beziehungen versagt. Sie kämpfen mit Selbstzweifeln und sind in ihrer Arbeit nicht erfolgreich, oder aber sie sind überambitioniert. Sie leiden unter stressbedingten Gesundheitsproblemen oder fühlen sich chronisch unzufrieden mit ihrem Leben und ihren nahen Beziehungen. Es ist schwer, den eigenen Durst nach Erfolg zu regulieren, zu wissen, was man will, und entspannt verschiedene Optionen zu erkunden, wenn in der Kindheit niemand da war, der einem geholfen hätte, mit den eigenen Bedürfnissen umzugehen und sie zu verstehen. Und wenn diese Klienten dann selbst Kinder bekommen? Sie ahnen es bestimmt: Sie wünschen sich sehnlichst, als Eltern ihr Bestes zu geben, und sie verspüren einen tiefen instinktiven Drang, eine starke Bindung zu ihrem Baby zu entwickeln. Aber sie wissen einfach nicht, wie sie das anstellen sollen. Oder sie denken, sie wüssten es (schließlich haben sie ja all diese Bücher gelesen), aber dann treten in der Beziehung zu ihrem geliebten Kind Probleme auf, die jene widerspiegeln, die sie in ihrer eigenen Kindheit erlebt haben.
Wir wollen mit diesem Buch eine Landkarte auf dem Weg zu einer sicheren Bindung anbieten. Vor dreißig Jahren sind wir zu dem Abenteuer aufgebrochen, Familien die positiven Auswirkungen einer gesunden Bindung zu vermitteln und jene wegweisende Theorie leicht verständlich und zugänglich zu machen, die der Psychiater John Bowlby und die Psychologin Mary Ainsworth in den fünfziger Jahren formulierten und im Laufe der nächsten Jahrzehnte weiter ausarbeiteten. Diese Theorie, die besagt, dass eine sichere, vertrauensvolle emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung ist, wird schon seit Langem als gültig und bedeutsam anerkannt, allerdings musste sie bisher noch auf eine praktische und elternfreundliche Anwendung warten. Einige Wissenschaftler jubelten zwar sogar, dass eine sichere Bindung den sich entwickelnden Kindern und späteren Erwachsenen „psychische Immunität“ verleihe, doch die bemerkenswerte Klarheit Tausender Studien, die die Notwendigkeit und die positiven Auswirkungen von Bindungssicherheit belegten, blieb in Fachzeitschriften verborgen und fand keinen Weg in die Welt der Eltern. Wir waren also fasziniert von dem Potenzial, diese Erkenntnisse jenen zu vermitteln, die sie am allermeisten gebrauchen können: Eltern und anderen Menschen, die sich um Kinder kümmern.
So begann die Geschichte der Intervention, die wir den Kreis der Sicherheit nennen. Sie nahm die Gestalt eines zwanzigwöchigen Gruppenkurses für Eltern an, die in den Beziehungen zu ihren Klein- und Vorschulkindern Schwierigkeiten hatten, und sie wurde seitdem für die Einzeltherapie und andere Zwecke adaptiert – in Schulen, sozialen Einrichtungen und Pflegeheimen auf der ganzen Welt. Sie wurde sorgfältig überarbeitet, und während wir die Tiefen dieser grundlegenden und ursprünglichen Beziehung ausloten, entwickelt sie sich Tag für Tag in raschem Tempo weiter.
In Forschungsarbeiten konnte gezeigt werden, dass der Kreis der Sicherheit selbst jenen Eltern hilft, die unter den denkbar schwierigsten Umständen leben – Armut, Inhaftierung, mangelnde Bildung, Missbrauch in der eigenen Vergangenheit und des Weiteren mehr –, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Viele dieser Eltern hatten keinerlei Vorbild dafür, wie gesunde Elternschaft aussehen kann. Als Therapeuten und Wissenschaftler sind wir natürlich hocherfreut über diese Ergebnisse. Aber sie werden sogar noch übertroffen von der Bereicherung, die wir in unseren eigenen Beziehungen erleben, von den persönlichen Erkenntnissen, von denen die Therapeuten berichteten, die wir im Kreis der Sicherheit ausbildeten, oder von dem, was wir nahezu jedes Mal erlebten, wenn jemand die Landkarte und die Geschichte des Kreises der Sicherheit kennenlernte. Die Landkarte des Kreises der Sicherheit scheint alle Menschen anzusprechen, egal, aus welcher Kultur sie stammen, und zwar auf der zutiefst instinktiven Ebene, auf der wir als Menschen miteinander in Beziehung treten und die uns als Spezies ausmacht. Wir alle drei können sagen, dass die Perspektive des Kreises der Sicherheit unser Verständnis für unsere Ehepartner, unsere Kinder und unsere Kollegen erweitert und vertieft hat. Sie hat uns geprägt, ob als Pflegeeltern oder in unseren Freundschaften, in der Beratungsarbeit oder in unseren ehrenamtlichen Tätigkeiten. Für uns und für viele andere Menschen hat sie den Glauben an und die Hoffnung auf eine wohlwollende und positivere Welt neu belebt.
Eltern zu erleben, die in der Lage waren, äußerst entmutigende Schwierigkeiten zu überwinden und eine Bindung zu ihren Kindern zu entwickeln, hat uns immer wieder aufs Neue in der Überzeugung bestärkt, dass wir alle das haben, was wir brauchen, um gute Eltern zu sein. Manchmal muss man uns einfach nur eine Landkarte geben, um dahin zurückzufinden. Vielleicht hat unsere eigene Geschichte Leerstellen in unserem emotionalen Fluss hinterlassen. Oder die Nichtanwesenheit von Bezugspersonen – oftmals nicht von ihnen selbst verschuldet –, die uns in unseren grundlegenden Bedürfnissen hätten unterstützen können, hat dazu geführt, dass es uns an Vertrauen mangelt. Oder aber die Wechselfälle unseres eigenen Erwachsenenlebens haben uns aus der Verbundenheit mit unseren Kindern herausgeführt, die wir uns jetzt aus tiefstem Herzen wünschen. Dieses Buch ist unser bescheidener Versuch, Sie in den Kreis der Sicherheit zurückzuführen – beziehungsweise, Sie darin zu unterstützen, ihn gar nicht erst zu verlassen. Wir vertrauen darauf, dass Sie das Übrige tun.
Und in den meisten Fällen werden Sie das auch. Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa sechzig Prozent der Eltern eine sichere Bindung zu ihrem Kind entwickeln. Bindungssicherheit lässt sich nicht völlig präzise messen, daher bezeichnet man eine Bindung mit Einschränkungen oft als „überwiegend“ oder „einigermaßen“ sicher. Wie wir in unseren eigenen Forschungsarbeiten herausfanden, kann man Sicherheit auch erlernen. Und es ist wichtig zu wissen, dass selbst sichere Bindungen nicht immer nur schön sind. Auch wenn die Dinge gut laufen, machen Eltern, deren Kinder sicher gebunden sind, Fehler, und sie reagieren nur die meiste Zeit sensibel auf die Bedürfnisse ihrer Kinder, jedoch nicht die ganze Zeit.
„Ausreichend gute Eltern sein“ lautet unser Auftrag.
Das Vertrauen eines Kindes, dass ein geliebter Mensch versuchen wird, für es da zu sein, ist entscheidend dafür, dass es zukünftig gute Beziehungen führen kann. Beziehungen sind der eigentliche Ort, an dem unser Leben stattfindet, und diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Beziehungen sind der Stoff, aus dem unsere Familien, unsere Freundeskreise und unser Berufsleben gemacht sind. Falls Sie es schon einmal mit einem fordernden, perfektionistischen Chef zu tun hatten oder von Ihrem Partner erwartet haben, dass er all Ihre Bedürfnisse exakt vorausahnt, dann wissen Sie wahrscheinlich bereits, dass „perfekt“ in Beziehungen nicht funktioniert. Was hingegen funktioniert, sind flexible, empfängliche Sensibilität und Erreichbarkeit. Was funktioniert, ist die Anerkennung von Versäumnissen und Fehltritten und der Versuch, sie wiedergutzumachen, so gut man kann – und auf jeden Fall daraus zu lernen.
Im Schmelztiegel einer engen Beziehung erleben wir nicht nur, dass wir anderen Menschen unsere tiefsten Bedürfnisse anvertrauen können, sondern auch, dass sogar den empathischsten Menschen Fehltritte und Versäumnisse unterlaufen – sogar ziemlich oft – und dass diese alltäglichen Brüche wiedergutgemacht werden können. Wenn wir eine fehlerlose, „perfekte“ Elternschaft anstreben, vermitteln wir unseren Kindern die Botschaft, dass es dabei mehr um unsere eigene Leistung als um die Erfüllung ihrer Bedürfnisse geht. Außerdem legen wir in ihnen den Grundstein für unrealistische Erwartungen. Niemand ist vollkommen, insofern ist eine Beziehung, in der Perfektion erwartet wird, zum Scheitern verurteilt. Eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die verstehen, dass sie menschliche Bedürfnisse haben und dass Schwierigkeiten unvermeidlich sind, und die dies dazu nutzen, etwas über ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erfahren, birgt ein unbegrenztes Potenzial für Wachstum und Erfüllung. Wünschen wir uns solche Freundschaften, Arbeitsbeziehungen, Partnerschaften und Ehen nicht auch für unsere Kinder?
Alles fängt bei uns selbst an. Stellen Sie sich vor, ihr sechsjähriger Sohn kommt niedergeschlagen von der Schule nach Hause. Würden Sie ihm einfach eine Kleinigkeit zu essen geben und hoffen, dass er sich dadurch besser fühlt? (Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie die erhoffte Beförderung doch nicht bekommen haben oder wenn Sie von einem engen Freund abgewiesen wurden, und Ihr Partner Ihnen zu helfen versucht, indem er Ihnen einen Keks anbietet?) Man muss kein Psychologe und kein erfahrener Elter sein, um zu wissen, dass dieses Kind mehr braucht als eine Leckerei, die es wieder aufmuntern soll. Aber manchmal vergessen wir, dass ein kleines Kind unsere Bestätigung braucht, dass es sich durchaus sehr traurig und verwirrend anfühlen kann, wenn der Klassenkamerad, der gestern noch der „beste Freund“ war, sich heute jemand anderen zum Spielen gesucht hat. In einer solchen Situationen braucht ein Kind eine Umarmung oder eine Berührung und vielleicht ein wenig Zeit und Ruhe mit Ihnen, um sich innerlich zu sortieren. Es braucht Ihre Hilfe dabei, herauszufinden, wie es sich genau fühlt, und Ihre Bestätigung, dass seine schwierigen Gefühle ein Teil von ihm sind und in Ihrer Beziehung zueinander Platz haben.
Eine solche Reaktion mag für Sie als Elter etwas ganz Natürliches sein. Aber vielleicht ist Ihnen gar nicht klar, wie absolut wichtig diese Reaktion für Ihr Kind ist. Sie sorgen nicht nur dafür, dass es sich wieder besser fühlt und schon wenig später zum Spielen rausgehen oder sich auf die Hausaufgaben konzentrieren kann (obwohl Sie auch das tun). Sie bringen ihm zudem bei, was es gerade fühlt, wenn vielleicht alles, was es identifizieren kann, „Autsch“ ist. Sie sagen ihm, dass es in Ordnung ist, Gefühle wie Traurigkeit zu haben, auch wenn es schmerzt, und dass diese Gefühle wichtige Botschaften in sich tragen. Sie bringen ihm bei, dass man Schmerz mit Hilfe einer anderen Person verarbeiten kann. Sie helfen ihm, etwas mehr über sich selbst zu erfahren – zum Beispiel, dass es ein Mensch ist, dem Freundschaft wichtig ist und der Loyalität schätzt. Mit anderen Worten, Sie unterstützen es in seinem Wachstum. Sie fördern die Entwicklung eines gesunden Selbst, und Sie helfen ihm herauszufinden, wie man durch die bewegten Gewässer von Beziehungen navigiert.
Aber was passiert, wenn Sie nicht mit Verständnis, Zuneigung und Geduld auf Ihr Kind reagieren? Nehmen wir einmal an, Sie sind gerade mit den Finanzen der Familie beschäftigt, als Ihr Sohn schlecht gelaunt nach Hause kommt. Er kommt auf Sie zu und zieht Sie am Ärmel, um Ihre Aufmerksamkeit vom Computerbildschirm wegzulenken. Sie halten Ihren Blick auf den Bildschirm geheftet und sagen ungeduldig: „Jetzt nicht, Schatz. Ich muss das hier fertig machen.“ Ihr Sohn geht ins Wohnzimmer, und erst eine halbe Stunde später finden Sie ihn zusammengerollt auf dem Sofa, leise schluchzend.
Jetzt haben Sie die Chance, eine vielleicht sogar noch wichtigere Botschaft zu vermitteln: Sie schütteln Ihre Erschöpfung und Ihre Ungeduld ab (Rechnungen und Steuern machen schließlich den wenigsten Menschen Spaß), setzen sich zu Ihrem Sohn auf das Sofa, und während Sie ihm sanft den Rücken streicheln, fragen Sie, was los ist. Es ist nicht ganz leicht, es aus ihm herauszubringen, und er reagiert nicht sofort auf Ihre Entschuldigung und Ihr etwas verspätetes Trostangebot, aber schließlich lässt er sich doch darauf ein. Ein einfaches Happy End mit einer sehr ernsthaften Konsequenz: Sie haben Ihrem Kind beigebracht, dass man sogar als Erwachsener Fehler macht, dann aber einen neuen Anlauf nehmen kann. Sie haben ihm gezeigt, dass er immer noch darauf vertrauen kann, dass Sie für ihn da sind und er manchmal eben geduldig mit Ihnen sein muss. Sie haben für sein weiteres Leben die Grundlage für eine gesunde Beziehung geschaffen – eine, die Schwierigkeiten und Lösungen, Brüche und Wiedergutmachungen beinhaltet.