Loe raamatut: «Geliebtes Carapuhr», lehekülg 14

Font:

»Du kannst nicht ewig Nein sagen«, säuselte Bragi verführerisch, sein Lächeln war die pure Verlockung. »Und es täte deiner angespannten Miene gut, würdest du mal eine Hand in deine Hose lassen.«

Jori kam kopfschüttelnd hinter dem Pferd hervor und bürstete die Bürste aus, Staub und Haare flogen durch den Widerschein der Fackeln. »Warte doch einfach, bis die Knechte erwachen, oder such dir wieder einen von Melecays Barbaren, wenn du es so nötig hast.«

Bragi sprang von den Strohballen und stellte sich ihm in den Weg, als er die Utensilien wegpacken wollte. Sie waren auf Augenhöhe, gleichgroß. Jori versteinerte, schluckte, als Bragis Hände über seine Brustmuskeln nach oben glitten. Selbst durch das dicke Leder seiner Rüstung glaubte er, menschliche Wärme zu spüren, sein Herz krampfte vor Aufregung und er ließ die Bürsten fallen.

»Du begehst einen großen Fehler, Jori«, raunte Bragi ihm gegen die Lippen, sein sehendes Auge war so nahe, dass Jori sich darin verlor. »Wenn du zu einer Sache Nein sagst, die du noch nie zuvor gekostet hast.«

Ein Stöhnen wollte ihm entfliehen, als Bragi sich zu ihm lehnte und sanft mit seiner feuchten, warmen Zunge über Joris geschlossene Lippen leckte. Verführerisch, verlockend…

Er schmeckte nach Manukahonig.

Und nach einem süßen Apfel.

Doch bevor Jori irgendetwas erwidern konnte oder zu einer Handlung im Stande gewesen wäre, erklangen eilige Schritte in der Nacht. Verwundert drehten sie sich zur Dunkelheit um und erspähten eine seltsam breite Gestalt, die sich aus dem Lager der Palisade näherte. Sie lösten sich voneinander, und die Fackeln streiften über violettes Haar.

»Vynsu?«

Der Prinz atmete so schwer, als wäre er auf der Flucht. Und als er endlich in den Lichtkreis trat, fielen Jori und Bragi beinahe die Augen aus dem Kopf. Ihr Freund war nicht allein, eine zweite Person unter seinem Umhang hatte seine Gestalt breiter als sonst erscheinen lassen.

»Er ist wahnsinnig geworden«, flüsterte Bragi.

Jori hätte zugestimmt, wäre er nicht zu verblüfft gewesen.

»Jori, ich brauche Hekkli gesattelt, schnell.« Vynsu ging an ihnen vorüber und setzte Prinz Desith auf die Strohballen. »Jori!« Vynsu drehte sich hektisch zu ihm um.

Jori zuckte in seiner Starre zusammen. »Ja… nein… ja … was?«

Vynsu wartete nicht darauf, bis er sich gefangen hatte, er ging zu seinem Hengst und löste ihn aus der Reihe. »Bring mir meinen Sattel, Jori!«

Es war Bragi, der sich umdrehte und Vynsus Zaumzeug und Sattel herschaffte. Jori nutzte die Gelegenheit, sich an Vynsu zu wenden. »Bist du wahnsinnig?«, zischte er leise.

Vynsus harte Miene und der dünne Strich seines Mundes bewiesen zumindest, dass er irrsinnig entschlossen war.

Er löste zwei dicke Beutel von seinem Gürtel und reichte beide Jori.

Doch er wich zurück. »Was ist das?«, fragte er, obwohl er die Antwort darauf bereits kannte, und sie gefiel ihm nicht.

»Nimm schon«, forderte Vynsu ungeduldig. »Euer Sold. Ihr habt ihn euch wahrlich verdient in der Hölle, in die ich euch geführt habe. Ihr seid entbunden.«

»Auch von deiner Freundschaft?«, fragte Jori, der das Silber noch immer nicht annehmen wollte. »Wenn nicht, dann spreche ich jetzt als Freund zu dir. Vynsu, hältst du es für klug, dich in deiner Position derart gegen den Großkönig zu stellen? Mann, er köpft dich doch!«

»Mir bleibt keine Wahl!«

Bragi kam zurück, und Vynsu drückte Jori das Silber in die Arme, um sein Pferd aufzusatteln. Hekkli schabte wieder nervös mit dem Huf, konnte den Ritt kaum erwarten. Während Bragi sich neben Jori stellte und Prinz Desith sich mit kalkweißem Gesicht auf den Boden übergab.

»Ich glaub nicht, dass er reiten kann«, gab Bragi zu bedenken.

Vynsu zog sich auf seinen Hengst. »Das muss er auch nicht.« Er lenkte den Rotfuchs um Bragi und Jori herum und reichte Desith seine Hand. Der Prinz von Elkanasai spuckte auf den Boden, wischte sich noch unschicklich mit dem Handrücken über den Mund und schlug dann entschlossen ein. Vynsu zog ihn hinter sich auf Hekkilstons Rücken und sah noch ein letztes Mal auf seine Freunde herab. »Ihr habt mich nicht gesehen, ihr habt nichts hiermit zu tun, und wenn ihr es gewusst hättet, hättet ihr mich aufgehalten, eure Loyalität gehört dem Großkönig! Ich habe euch vor zwei Tagen euren Sold überreicht. Ihr wusstet von nichts! Ihr geht heim, wie jeder Söldner nach getaner Arbeit!«, bläute er ihnen ernst ein.

Jori schüttelte kritisch seinen Kopf, ließ seinen Freund seine Missbilligung deutlich spüren.

»Ihr werdet verstehen«, versicherte Vynsu, dann gab er seinem Hengst einen Tritt in die Flanken und galoppierte aus der Palisade. Dabei nahm er die Kurve so eng, dass sein Knie beinahe den Boden berührte. Hekklis donnernde Hufe verklangen in der Nacht, die Reisfelder raschelten und Vögel stoben mit wütendem Geschrei davon.

Bragi stellte sich hinter Jori. »Ist er irre geworden?«

»Oh ja«, bestätigte Jori.

»Tut er, was ich denke, was er tut?«

»Die beiden unternehmen gewiss keinen netten Mondscheinausritt«, erwiderte Jori und hing die schweren Beutel mit dem Sold an seinen Gürtel.

»Wie ist das eigentlich in Elkanasai«, fragte Bragi grübelnd, »der Kaiser wird doch gewählt, oder nicht? Angenommen, er würde abgewählt, dann wäre eine Ehe zwischen dem Prinzen von Elkanasai und dem Prinzen von Carapuhr doch einen Scheißdreck wert.«

Jori schüttelte den Kopf. »In den meisten Fällen wird ein Mitglied der Kaiserfamilie auf die nächste Wahl vorbereitet und auch gewählt. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die ehemalige Kaiserfamilie dennoch ein hochgeschätztes Mitglied des Reiches und alle getroffenen Ehen und Bündnisse haben weiterhin Gewicht in ihrer Politik.«

Es war doch ironisch, dass er dem Halbspitzohr etwas über Elkanasai erklären musste, aber Bragis Ohrenform hatte nichts zu bedeuten, er war in Carapuhr aufgewachsen und hatte von Politik keinen blassen Schimmer. Jori hatte sich auch nur aus Interesse damit beschäftigt, da er als Söldneranführer über ein paar gewisse, innere und äußere Konflikte Bescheid wissen sollte. Was man eben als Söldner, wenn man für andere ihre Kämpfe austrug, so aufschnappte.

»Was passiert mit den Kindern, die nicht auf das Amt vorbereitet werden?«

»Sie werden vermählt mit reichen Familien oder … verbündeten Königreichen.«

Bragi kratzte sich am Kopf. »Warum habe ich gerade ein ganz beschissenes Bauchgefühl?«

Jori drehte sich zu ihm um. »Weil Vynsu ein Narr ist, der ein Spiel beginnt, dessen Regeln er nicht kennt.«

Kapitel 18

Desith stürzte vornüber ins hohe Gras und übergab sich lautstark.

Sie hatten einen holprigen, rasanten Ritt hinter sich, es war bereits hell, weit nach Mittag, und er hatte so lange es ihm möglich gewesen war, mit eiserner Willenskraft die Suppe in sich behalten, obwohl er bei dem schwungvollen Galopp des Rotfuchses ein ums andere Mal Vynsu beinahe über die Schulter gekotzt hätte.

Der Barbar glitt aus seinem Sattel und zog die Zügel seines Pferdes über dessen Kopf, um es zu einem Baum in den Schatten zu führen.

»Erinnere mich daran, dir nichts mehr einzuflößen«, sagte er.

Desith würgte noch einige Zeit, auch als nur noch bittere Galle hervorkam, krampfte sein Magen und schüttelte ihn. Es tat weh, trockene Luft auszuspeien, seine Augen traten hervor und Äderchen platzten. In der Zwischenzeit hatte Vynsu den Hengst angebunden und seinen Umhang gelöst. Trotzdem ließ Desith sich einen Konter nicht nehmen, er fuhr sich mit dem Unterarm über den Mund und brachte mit kratziger Stimme hervor: »Fass das jetzt nicht als Beleidigung deiner Kochkünste auf, aber es schmeckt nur ein Mal.«

Vynsu grummelte irgendetwas, aber einer seiner Mundwinkel zuckte entzückend.

Stöhnend hielt Desith sich den Magen und ließ sich neben seinem hervorgewürgten Mageninhalt im weichen Gras nieder, über ihren Köpfen streckte das Blätterdach des Waldes seinen natürlichen Schirm aus. Unter ihnen lag eine sanfte Senke, in Richtung Osten konnten sie über den grünen Blätterkronen des Regenwaldes die Schemen der weißen Grenzstadt Frontier erkennen, die sie umritten hatten. Sie war auch sieben Jahre nach dem Angriff der zadestianischen Sklavenarmee eine Trümmerstadt im Aufbau. Desiths Vater war nicht dort, er verweilte vermutlich wie üblich weit im Westen in der Hauptstadt Solitude. Seinem Zuhause. Er freute sich darauf.

»Wenn wir zum Blue Water Fluss reiten, können wir die Fähre nehmen. Wir fahren zwar flussaufwärts, kommen aber immer noch schneller voran als zu Pferd durch den Wald.«

»Melecay wird davon ausgehen, dass wir das vorhaben, und Männer zum Fluss schicken, die uns aufhalten«, warf Vynsu ein. Er stellte sich vor Desith und stemmte einen Fuß auf einen im Gras lauernden Felsen. Über ihnen brüllten Affen in den Ästen, diese warfen ein Spiel aus Licht und Schatten auf ihre Gesichter. Es roch nach feuchter Erde und Blättern.

Desith atmete gegen seine wieder aufkommende Übelkeit an und konnte nicht antworten.

Nachdenklich betrachtete Vynsu ihn, und wenn Desith sich nicht gänzlich täuschte, hörte er sogar ein wenig Sorge in dessen Stimme, als er zu reden begann: »Muss die Erschöpfung sein. Wie geht es deinen Wunden?«

Seine Handgelenke waren verschorft, aber das Loch in seinem Rücken fühlte sich an, als wäre es zugewachsen. »Mir geht es gut«, antwortete er nur.

»Brauchst du irgendwas?«, hakte Vynsu fürsorglich nach.

Desith sah zu ihm auf. »Hast du denn was dabei?«, gab er pampig zurück.

»Ich habe Wasser.« Er löste den Schlauch von seinem Gürtel und hielt ihn Desith entgegen.

»Ich weiß nicht, ob ich etwas in mir behalten kann.« Desith zog die Beine an den Bauch.

»Nun trink schon. Du wirst die Flüssigkeit brauchen, außerdem wird es deiner Kehle guttun, du hörst dich nämlich an wie ein alter Mann.«

Desith sah genervt zu dem Barbaren auf, schnappte sich aber den Wasserschlauch, den Vynsu sogar für ihn öffnete, und setzte ihn an die Lippen. Als der erste kühle Tropfen über seine Zunge rann, flammte der Durst in ihm auf und er konnte nicht anders als zu schlucken. Durch das Kotzen schmerzte seine Kehle und es fühlte sich an, als ob er Sand hochgewürgt hätte, den er nun wieder hinunterspülte. Sein Hals kratzte fürchterlich.

Vynsu wandte sich ab und ging zu seinem Pferd. »Nutzen wir die Pause, um dich in ein frisches Hemd zu stecken und nach deiner Wunde zu sehen.« Er kramte in seinen Satteltaschen und zog ein weißes Leinenhemd und einige Bandagen zutage.

Er trug beides herüber und bedeutete ihm, das Hemd auszuziehen.

»Verdammt«, seufzte Desith, als der Barbar kurze Zeit später hinter ihm saß und seine Schulter einwickelte, weil der Wundschorf immer wieder aufriss. »Du würdest eine wahrlich vorbildliche Ehefrau abgeben, Vyn.«

Er konnte den stechenden Blick im Nacken förmlich fühlen, wie sich die braunen Augen mit den violetten Splittern in ihn bohrten. Ein Prickeln lief ihm den Rücken hinab und er musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu stark zu schmunzeln.

Natürlich würde er sich niemals ernsthaft darüber beschweren, dass Vynsus große Pranken sanft über seine nackte Haut glitten und sich um ihn kümmerten.

»Ich sollte dich hier liegen lassen«, murmelte Vynsu ein wenig grantig, doch es war ihm anzuhören, dass er es nicht ernst meinte.

Er hatte seine Ehre bewiesen.

Und das bereitete Desith wieder Bauchschmerzen. Er wurde nachdenklich und fragte: »Was erwartest du als Gegenleistung?«

Die fürsorglichen Hände stockten einen Atemzug lang, doch dann nahm Vynsu seine Arbeit wieder auf, hob Desiths Arm ein letztes Mal, zog die Bandage darunter durch und riss die Enden mit einem lauten Ratschen auseinander, um sie ihm hinten auf dem Rücken festzuknoten. Der Verband gab Desiths Schulter etwas Unterstützung, außerdem drückte sie das Loch auf seinem Rücken ab, das ihm trotz Wunderheilung Probleme bereitete. Was wohl davon zeugte, wie gefährlich diese Verletzung seinem Leben gewesen wäre, wäre er nicht der, der er war.

Auch wenn er gar nicht so genau wusste, wer oder was er nun war, und darüber wollte er bestimmt nicht nachdenken.

Es gab nur den Weg nach vorne, immer nur den Weg nach vorne.

»Du schuldest mir nichts«, sagte Vynsu kurzangebunden und stand wieder auf. Desith sah ihm nach und fragte sich insgeheim, ob es den Barbaren wirklich derart kalt ließ, ihn zu berühren und ihm so nahe zu sein, selbst nachdem sie wussten, wie sie sich beide anfühlten. Wie sie rochen, schmeckten und Leidenschaft zelebrierten. Aber genauso schien es, Vynsu war kühl und beherrscht, weder Scham noch Lust lag in seinen Augen.

Das kratzte an Desiths Stolz, immerhin hatte er dank Vynsus rauer, großer Hände hartes Fleisch in der Hose, und eine Gänsehaut, die er sonst nur bekommen hatte, wenn Rick seine sanften, aber hungrigen Lippen in seinen Nacken gedrückt hatte.

»Wir werden einige Tage reiten müssen, und ich würde gern noch mehr Land zwischen uns und meinen Onkel bringen, bevor es dunkel wird.« Vynsu reichte ihm das saubere Hemd. »Glaubst du, du kannst wieder aufsitzen?«

Desith nahm den weißen Stoff aus Vynsus Fingern und ließ ihn unauffällig über seinen Schritt fallen. »Ja, einen Moment noch.« Er sah nicht auf, seine Stimme klang belegt.

Entweder Vynsu bemerkte es nicht, oder es war ihm einerlei, denn er zuckte nur mit den Schultern, wandte sich ab und ging zu seinem Hengst, dem er zu Trinken gab, indem er sich Wasser aus dem Schlauch in die hohle Hand goss, mit der er einen winzigen Trog formte.

Desith betrachtete seinen starken Rücken, beobachtete die Lichtpunkte, die das Sonnenlicht durch die Baumkronen auf ihn warf, und dachte einen Moment nach. Dann ließ er die Schultern herabsinken, als Zeichen seiner Kapitulation. Nicht vor Vynsu, sondern vor dem verdammten Schicksal. »Danke«, sagte er leise, aber nicht minder aufrichtig.

Verwundert sah Vynsu über die Schulter, die Augenbrauen gewölbt.

»Für alles.« Desith schlug die Augen nieder und zupfte einen Grashalm aus dem Boden. Einfach nur, um sich auf etwas konzentrieren zu können. »Und es tut mir leid, dass ich dich feige und kastriert nannte. Du hast ein großes Herz, Vyn, und ohne dich wäre ich im Dschungel gestorben. Ich bin froh, dass du so bist, wie du heute bist, es rettete mir das Leben.«

Und ich werde immer in deiner Schuld stehen, dachte Desith bei sich. Ob du willst oder nicht.

»Ich fühl mich nicht so«, gestand Vynsu und lehnte sich an sein Pferd, suchte Trost in dessen Nähe, während er ihm über den rötlichen Hals strich. »Kommt mir so vor, als wäre ich von einem brüllenden Bären, zu einem stillen und heimlichen Mäuschen geworden.«

Desith lächelte schwach. »Nein. Du bist von einem jungen Bären zu einem Bären geworden, der weiß, wenn sich ein Kampf nicht lohnt.«

Das entlockte Vynsu zumindest ein kurzes Schmunzeln. Und ihm stand der Ausdruck gut zu Gesicht, wenn er nicht sicher war, ob er Desith danken, oder ihn einfach ignorieren sollte.

»Können wir?«

Desith nickte. »Ja, hilf mir auf.«

Wenig später saß er hinter Vynsu auf dem schaukelnden Rücken des Rotfuchses und hielt sich an dessen Seiten fest. Der Ritt ging langsam und holprig voran, denn auch wenn sie Jägerpfaden und Holzwegen durch das Dickicht des Regenwaldes folgten, war es eng und zu Pferd schwierig, hindurchzukommen, aber immer noch besser, als sich zu Fuß durchzuschlagen. Zumindest in Desiths Zustand.

Er wurde müde und er genoss Vynsus Nähe viel zu sehr, auch wenn sie beide schwitzten wie zwei aufgehängte Schweine in der Mittagssonne. Er wagte es, einen Arm um Vynsu zu legen und schmiegte den Kopf auf dessen Schulter. Der Barbar drehte kurz verwundert das Gesicht zu ihm um, aber ließ ihn gewähren.

Leise seufzend schloss er die Augen und ließ sich von Vynsus Pferd durch den Wald tragen, und von seinem Geschaukel in den Schlaf wiegen. Mit Vynsus herbem Duft in der Nase und seinem weichen Barbarenzopf als Kopfkissen glitt er ruhig in die Traumwelt.

*~*~*

Als er wieder erwachte, weckte ihn das Knistern eines Feuers.

Erschrocken setzte Desith sich auf, er hatte überhaupt nicht mitbekommen, vom Pferd gestiegen zu sein, geschweige denn, sich hingelegt zu haben. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war der Moment, als er an Vynsu gelehnt eingeschlafen war. Nun war es dunkel, er lag zwischen Wurzelgeflechten im tiefen Regenwald an einem Lagerfeuer und fühlte sich inmitten der großen Pflanzen winzig wie eine Ameise. Winzig und verloren.

»Du hast geschlafen wie ein Toter.«

Überrascht drehte er sich um, dabei wusste er doch, dass er nicht allein reiste. Vynsu lehnte an einem Baumstamm, das gezogene Schwert über die Schenkel gelegt und mit Blick auf Desith, als hätte er die ganze Zeit über ihn gewacht. Sein Pferd stand schlafend neben ihm.

»Pass auf«, Desith räusperte sich, »wenn du weiter den Beschützer gibst, verliebe ich mich noch in dich.« Er setzte sich auf und bemerkte, dass er auf Vynsus Umhang geschlafen hatte.

Ein leises, dunkles Lachen erklang in der Nacht und übertönte für einen Moment das Murmeln der Tierwelt aus dem Wald. »Damit komme ich zurecht.«

Du vielleicht, aber ich nicht. »Ich habe fürs Erste genug von der Liebe und würde gerne weiterhin darauf verzichten. Ein gebrochenes Herz reicht mir, ein zweites besitze ich ohnehin nicht«, erwiderte er zynisch und zog die Beine unter sich. Benommenheit ließ seinen Kopf schwirren, er fühlte sich wie erschlagen. Gleichzeitig schalt er sich für seine Offenheit einen Dummkopf, Vynsu wollte bestimmt nichts von seinem gebrochenen Herzen hören, außerdem hatte er sich geschworen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihn kränkte, dass Rick ihn einfach verlassen hatte.

»Ich kenne das nicht.« Vynsu wandte den Kopf nach links und blickte in den nächtlichen Wald hinein, wo das Mondlicht grelle Lichtspeere ins Unterholz warf und mystische Zeichen auf die mit Moos bewachsenen Baumstämme malte. »Ich war nie verliebt.«

Überrascht sah Desith ihn wieder an. »Noch nie?« Das konnte er sich gar nicht vorstellen.

Vynsu zuckte gleichgültig mit den Schultern, es schien ihn auch nicht zu kümmern, er sah Desith wieder ins Gesicht, aber in seinem Blick stand keinerlei Bedauern, noch Sehnsucht. Es war so neutral wie die Rinde, die der Baum trug, an dem er lehnte.

»Wirklich?« Desith war gleichzeitig verwundert und fasziniert, er musterte den Barbaren. »Du hast dich niemals so sehr nach einer Frau verzehrt, dass du glaubtest, sterben zu müssen, wenn sie dir nicht wenigstens mit einem flüchtigen Blick Beachtung schenkt? Hast du dich nie nach der bloßen Nähe einer ganz bestimmten Frau gesehnt, gewiss auch nach ihrem Leib, aber vor allem um ihrer selbst willen? Weil sie … weil sie dir auf eine Art unter die Haut ging, dass du nicht aufhören kannst, an sie zu denken? Immer zu, selbst wenn ihr euch seht?«

Vynsu zog die Mundwinkel runter. »Nein, nicht, dass ich wüsste.«

Desith legte neugierig den Kopf schief. »Dein Herz hat nie bei einer anderen Person höhergeschlagen? Nicht ein einziges Mal in deinem Leben?«

»Nein.«

Verdutzt stieß Desith ein Schnaufen aus und wandte den Blick ins Feuer. Er wusste nicht, ob er Vynsu für einen glücklichen oder armen Trottel halten sollte. Glücklich, weil er nie der Liebe wegen verletzt wurde, arm, weil er hingegen nie ihre heißglühende, dumme Leidenschaft gespürt hatte, die Desiths Leben bereits erfasst hatte, als er nicht einmal gewusst hatte, was Lust war.

»Versteh mich nicht falsch«, warf Vynsu ein, »es gab gewiss genug Weiber, die in mir Gefühle weckten.« Ein Schmunzeln klang in seiner Stimme mit. »Aber die reichten nie über meine Gürtellinie

hinaus. Mein Schwanz war das einzige Körperteil, das je durch eine Frau … Regung zeigte.«

Das brachte auch Desith zum Schmunzeln. Er warf einen Blick zu ihm und sie beide grinsten sich im Schein der Flammen zu.

Desith wandte als Erster den Blick wieder ab und starrte ins Feuer, er spürte Melancholie aufwallen, die sich wie ein schwerer Felsbrocken auf seine Brust legte. »Ich habe Rick bereits mit dem Herzen geliebt, lange bevor ich ihn auch mit meinem Leib liebte.«

Vynsus mitfühlender Blick erinnerte ihn daran, dass er sich zusammenreißen sollte.

Seufzend fuhr er sich durchs Haar, bemerkte, wie unordentlich es war und begann, das Haarband und den Knoten auf dem Hinterkopf zu lösen, um wenigstens die langen Strähnen zu bändigen. Sanft fielen seine Strähnen über seine Schultern, raschelten leise in der Nacht.

»Irgendwo in diesem Drachen ist Rick noch da«, sagte Vynsu bedächtig, »und liebt dich.«

Desith lächelte derart zynisch, dass es eher so aussah, als würde er die Zähne blecken. »Es war die Liebe zweier naiver Jungen, die die Welt noch nicht verstanden. Jetzt sind wir erwachsen, und Rick hat deutlich gemacht, was für ihn im Vordergrund steht. Und es ist nicht die Liebe zu mir.«

Vynsu betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Und wenn er wieder zum Menschen wird und wieder er selbst ist? Glaubst du nicht, du könntest ihm ver-«

»Nein.« Desith wickelte eine Haarsträhne um seinen Zopf und zog sie fest. »Ich habe ihm mehr als eine Gelegenheit geboten, umzukehren, Vyn. Ich habe ihm vergeben, habe ihn verfolgt und in seinen gierigen Schlund geblickt, während ich ihn anflehte, zurückzukommen. Aber er wollte nicht. Nicht, bevor er Sarsar gefunden hat.« Er griff zu seinem roten Haarband, legte es sich über den Scheitel und verknotete es auf dem Hinterkopf, dabei sah er Vynsu ins grübelnde Gesicht und stand entschlossen zu seiner Entscheidung. »Wie lange würdest du jemandem nachlaufen, der offensichtlich einen anderen Weg eingeschlagen hat, ohne dich nach deiner Meinung zu fragen?«

Desith zuckte mit den Schultern. Vynsu senkte schweigend die Augen. »Vielleicht bin ich zu leicht zu verletzen, vielleicht erwarte ich zu viel. Kann schon sein. Vielleicht bedeutet Liebe, alles hinzunehmen, was dein Gefährte dir zumutet. Ihm beizustehen, selbst wenn es schwierig wird. Aber genau das habe ich getan, oder nicht? Ich habe ihm beigestanden, sieben Jahre lang, und zwei davon ist er vor mir davongelaufen. Ich bin der Ansicht, dass es genug ist. Ich wäre für ihn da draußen gestorben, aber er hätte seine angebliche Pflicht dem Mann gegenüber, dem er sein Leben verdankte, nicht für mich aufgegeben, selbst als ich ihn darum bat. Das ist nicht meine Auffassung von Liebe, Vynsu. Ich habe nie viel erwartet, außer Loyalität.« Plötzlich sah Vynsu wieder auf, aber Desith verstand seinen merkwürdigen Blick nicht und sprach weiter. »Treue ist das Einzige, was zwischen Gefährten wichtig ist. Ich dachte immer, Rick und ich gegen den Rest der Welt. Aber da im Dschungel war ich plötzlich allein. Er hat mich allein gelassen. Ich habe ihm die Gelegenheit geboten, zurückzukommen, aber er weigert sich noch immer. Also nein, ich kann ihm nicht vergeben, er hat mein Vertrauen missbraucht und mich regelrecht für einen anderen verlassen.«

Es überraschte Desith, dass Vynsu ihm nicht widersprach. Genau genommen, sagte er überhaupt nichts und tat auch nichts, er zeigte nicht einmal in seinem Gesicht, was er von alledem hielt. In tiefe Gedanken versunken, starrte er lediglich vor sich hin, während die Stille von dem Knistern des Feuers durchbrochen wurde.

»Du hast also meine Schwester auch nicht geliebt«, stellte Desith fest. Er war nicht wütend deswegen, es war eine arrangierte Ehe gewesen, er war kein dummer Romantiker. Aber er versuchte, Vynsu ein wenig besser zu verstehen. Denn obwohl sie sich kannten, war es ihm, als säße er mit einem Fremden im Wald. Sieben Jahre konnten eine wirklich verdammt lange Zeit sein.

»Ich habe sie geschätzt«, wich Vynsu aus und blickte hinab auf seine Hand, direkt auf den Gegenstand, der Desith zum Grübeln brachte. Den einfachen, dünnen Goldring.

»Wenn es keine Liebe war, warum trägst du noch diesen Ring?«

Nun sah Vynsu doch auf, seine braunen Augen wirkten dunkel in der Nacht, aber im Feuerschein stachen die violetten Sprenkel wieder hervor wie Edelsteinsplitter. »Er soll mich an die Versprechen erinnern, die ich ihr gab, als ich von ihrem Tod erfuhr.«

Desith legte die Stirn in Falten. »Ihren Mörder zu finden?«

»Dich zu finden.«

Abermals in dieser Nacht fuhr er überrascht zu Vynsu herum, dieses Mal öffnete sich sein Mund ein wenig.

»Unteranderem«, erklärte Vynsu, »ihren Mörder konnte ich noch nicht finden, aber als ich hörte, dass Melecay in den Dschungel reist, um nach euch zu suchen, da versprach ich ihr, wenigstens ihren Bruder lebend zu finden und sicher nach Hause zu bringen. Genau das tue ich jetzt.«

Desith blinzelte ihn an, er konnte nur mit Mühe verbergen, dass sein Herz so hochschlug, dass er das Pochen in der Kehle spüren konnte. Er schluckte. »Ich dachte, weil Melecay es dir befohlen hat.«

Der Barbar lächelte etwas schief. »Ja, das auch. Zumindest hätte ich gerne noch geholfen, Derrick einzufangen.«

»Was hast du ihr noch versprochen?« Desith griff nach einem Stock, der halb unter dem Saum des Umhangs lag, und zog ihn hervor, um ihn zu zerbrechen und die Flammen damit zu füttern. Eine haarige, dicke Spinne huschte kurz über seine Hand, aber das war er gewohnt.

»Für unsere Kinder zu sorgen. Ihre Kinder.«

»Melecay wird wütend sein, wenn du zurückgehst.« Desith sah ihn reuevoll an. »Er schlägt dir doch den Kopf ab. Und trotzdem hilfst du mir? Bringst mich zu meinem Vater? Was wird aus deinen Kindern, während du hier mit mir bist?«

»Zurzeit kümmert sich mein Vater um sie«, erklärte er, »und solange ich fort bin, solange werden sie es gut bei ihm und Ma haben. Sie werden sie beschützen, außerdem ist mein Onkel vieles, aber kein Kindermörder. Und ich muss jetzt dafür sorgen, dass meine Kinder sicher sind, auch in Zukunft. Sie werden es eines Tages verstehen, wenn ich Erfolg habe.«

Es klang so, als wüsste er selbst nicht, wann er wieder nach Hause gehen würde.

Das war nicht richtig, dachte Desith, ein Vater sollte bei seinen Kindern sein. Vor allem, wenn diese keine Mutter mehr hatten. Umso bedeutender war Vynsus Entschluss, Melecay zu hintergehen, um sein Versprechen gegenüber Desith zu halten.

Wie Vynsu die Zukunft seiner Kinder sichern wollte, wusste er nicht, und er war nicht in der Verfassung, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, da er sich erst einmal überlegen musste, wie denn sein eigenes Leben weiter gehen sollte. Würde er jetzt doch, wie sein Vater es immer erhoffte, sich auf das Kaiseramt vorbereiten und zur Wahl stellen? Oder konnte er ihn überreden, ihn in die Armee eintreten zu lassen? Vielleicht könnte er ein Legionär werden. Oder Desith versuchte sein Glück als Schaukämpfer in den Arenen.

Eines war sicher, er war nicht sonderlich klug, wenn er etwas erreichen wollte, dann mit seinem Kampfgeist.

Doch was auch immer er für einen Weg wählte, er konnte diese Entscheidungen nur treffen, weil Vynsu zu seinem Wort gestanden hatte, obwohl er sich damit selbst in Gefahr brachte.

»Danke«, flüsterte er ins Feuer. Da er es jedoch hasste, reumütig zu werden, schluckte er die aufkommende Rührung herunter und rieb sich mit dem Handballen die noch immer müden Augen. »Ich glaube, ich könnte immer noch schlafen«, wechselte er das Thema, »zwei Sommer lang schlafen, und ich wäre immer noch erschöpft.«

»Darf ich mir anmaßen, eine Vermutung zu äußern?«, foppte Vynsu ihn plötzlich mit einer gespielt nasalen Stimme. »Eure Majestät, Kaiser von Elkanasai?«

Desith sah ihn warnend an. »Sehr witzig, aber ich bin nicht intelligent genug, um Kaiser zu werden, mein Vater hat das nie verstehen wollen. Die Hälfte der Dinge, die die Lehrer mir beibrachten, habe ich bis heute nicht verstanden, die andere Hälfte habe ich längst vergessen.«

»Ich bin auch nur ein großer, dummer Barbar«, Vynsu stand auf und schob die Klinge in die Scheide, als er herüberkam, »das hat weder mich noch meinen Onkel davon abgehalten, mir eine Krone geben zu wollen.«

Desith lächelte schwach, als Vynsu sich neben ihn kniete und ihm in die Augen sah. »In Carapuhr zählt nur, wie viel Mut im Herzen eines Mannes steckt.« Er griff nach Desiths Hand, und dieser ließ es zu, sah gebannt in Vynsus plötzlich sehr nahes Gesicht. »Und wir wissen doch alle, dass in dir, so klein du auch erscheinen magst, mehr Mut und mehr Stärke steckt als in so manchem Barbaren.«

Desith hob das Kinn an. »Also jetzt schmeichelst du mir.«

Vynsu lächelte, dann umfasste er Desiths Hand mit einer bemerkenswerten Sanftheit, die Desith wieder eine Gänsehaut eintrug, und hielt sie ihm vor das Gesicht. »Schau, deine Wunden sind so gut wie verheilt.«

Es dauerte einen Augenblick, bis Desith die unpassenden Worte verstand. Blinzelnd versuchte er, sich auf seine Gelenke zu konzentrieren. »Oh, ja…«

»Je länger du schläfst, je schneller gesundest du«, sagte Vynsu und strich mit den Fingern sacht über die roten Striemen, die zurückgeblieben waren. Desith schluckte gegen einen Kloß im Hals an, seine Augen klebten an Vynsus vollen Lippen. »Es ist, als ob dein Körper im Schlaf heilt. Und das scheint dich zu erschöpfen. Es kostet dich Kraft, auch wenn es dir nicht richtig bewusst es.«

Eine gute Erklärung, Desith zuckte zustimmend mit den Augenbrauen, aber seine Wunderheilkräfte hatte er sich ohnehin bereits mit der fremden Magie in seinem Inneren erklärt, er dachte nicht zu viel darüber nach, er dankte dem Schicksal schlicht für diese Gabe. Nahm sie an. Aber was ihn wirklich zum Grübeln brachte, war dieser verführerische Mund.

Vynsu hob den Blick und ihre Augen begegneten sich, er lächelte entspannt, als ließe ihn die Nähe kalt.

»Vyn?«, raunte Desith heiser.

»Hm?«

»Würdest du… wieder bei mir liegen?«, wagte er zu fragen. Vynsus Augenbrauen schossen nach oben, aber er zuckte nicht zurück. »Irgendwann, irgendwo. Schließt du es aus oder würdest du noch ein weiteres Mal bei mir liegen?« Hoffnungsvoll lehnte er sich ein Stück nach vorne, sehnte sich einfach nach etwas Berührung.

4,99 €
Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
1160 lk 1 illustratsioon
ISBN:
9783752909692
Kustija:
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip
Kolmas raamat sarjas "Chroniken der Bruderschaft 3"
Kõik sarja raamatud