Loe raamatut: «Kurswechsel bei 5.0»
Birgit Fenderl, Sabine Hauswirth
KURSWECHSEL BEI 5.0
PORTRÄTS EINER
FRAUENGENERATION,
DIE SICH NEU
ERFINDET
Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Wien, Kultur
Sabine Hauswirth dankt: Ninon Hauswirth, Alina Anna Lichtblau, Maximilian Vintschgau, Daniela Mautner Markhof, Friseur Doris, Nikon
Fenderl, Birgit / Hauswirth, Sabine: Kurswechsel bei 5.0. Porträts einer Frauengeneration, die sich neu erfindet / Birgit Fenderl, Sabine Hauswirth
Wien: Czernin Verlag 2021
ISBN: 978-3-7076-0709-3
© 2021 Czernin Verlags GmbH, Wien
Fotos: Sabine Hauswirth
Foto Backcover: Ninon Hauswirth
Lektorat: Karin Raschhofer-Hauer
Satz und Covergestaltung: Mirjam Riepl
ISBN Print: 978-3-7076-0709-3
ISBN E-Book: 978-3-7076-0710-9
Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe
in Print- oder elektronischen Medien
Für Anna und Ninon
INHALT
VORWORT VON JOHANNA RACHINGER
SOPHIE KARMASIN:
FÜNFZIGJÄHRIGE FEIERT MAN NICHT MEHR SO
DORIS KIEFHABER:
ANGEKOMMEN UND ZUFRIEDEN
CATHERINE CZIHARZ:
JETZT KOMME ICH MIR NICHT MEHR ALTERSLOS VOR
DORIS GRUBER:
PREPARE FOR MENOPAUSE
ANGELIKA KIRCHSCHLAGER:
MEIN LEBEN HAT MICH EIGENTLICH IMMER ÜBERRUMPELT
KATHARINA STEMBERGER:
DEN FÜNFZIGER ZU NEHMEN WAR SCHON TRICKY
ELISABETH TAMBWE:
ICH HABE NIE ANGST VOR DEM LEBEN GEHABT
ULLI EHRLICH:
»WARUM?« IST DIE FRAGE MEINES LEBENS
MICHAELA KARDEIS:
UNSERE GENERATION HAT ETWAS WEITERGEBRACHT!
NANCY SEMEDA:
MIT TABUS GEBROCHEN
ANDREA LINAUER:
WIR FRAUEN MÜSSEN AUF DEN TISCH HAUEN
SHLOMIT BUTBUL:
ENDLICH MAG ICH MICH
DANIELA AUER:
BITTE KEINEN WELLNESS-GUTSCHEIN
MARION TSCHIRK:
VOM EISERNEN SINGLE ZUM GROSSFAMILIENMENSCHEN
MARGIT FRÖMMEL:
DASS FRAUEN UND MÄNNER GLEICHGESTELLT SIND, WAR EINE ILLUSION
KRISTIN HANUSCH-LINSER:
MEHR SELBSTBILD ALS FREMDBILD
SABINE GRUBER:
DIE UNGLEICHE BEZAHLUNG ÄRGERT MICH MASSLOS
MANUELA KRINGS-FISCHER:
NOCH EINMAL SO RICHTIG DURCHSTARTEN
MEGUMI ITO:
ICH DENKE, ICH BIN JETZT AUSGEWOGENER
MARIA PLANEGGER:
ICH BIN KEIN VORSTADTWEIB
CORINNA MILBORN:
FÜNFZIG WAR FÜR MICH IMMER EIN SEHNSUCHTSALTER
GERTRUDE HENZL:
GENAU GEFUNDEN, WAS ICH SCHON IMMER WOLLTE
BIRGIT FENDERL UND SABINE HAUSWIRTH:
AUTHENTIZITÄT UND BEWEGUNG – WIE DIESES BUCH ENTSTAND
VORWORT
VON JOHANNA RACHINGER
Vor zwanzig Jahren ist ein Buch entstanden, das der Beginn einer bis jetzt andauernden Freundschaft sein sollte. Birgit Fenderl schrieb zweiundzwanzig Kurzporträts von engagierten, beruflich erfolgreichen Frauen in ihren Dreißigern, Sabine Hauswirth fotografierte die Porträts. Ich war damals als Verlagsleiterin am Zustandekommen dieses Projekts wesentlich beteiligt und freue mich sehr, dass die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Frauen nun in einem neuen Projekt weitergeführt wird. Nach zwei bewegten Jahrzehnten im Kampf um Gleichberechtigung stellen sie nochmals die Frage, ob sich die Situation der Frauen in unserem Land merkbar verbessert hat. Zu Wort kommen diesmal beispielhaft Vertreterinnen der Generation 50plus, darunter auch einige bekannte Namen, wie die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin, Opernsängerin Angelika Kirchschlager oder die bekannte Gynäkologin Doris Gruber. Die Perspektive ist damit eine andere, die meisten der vorgestellten Frauen haben ihren persönlichen und beruflichen Weg gefunden und ihre Lebensziele zum großen Teil verwirklichen können. Sie blicken zurück auf ihre beruflichen Erfolge und Schwierigkeiten, in denen sich die gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Frauen in unserem Land beispielhaft widerspiegeln.
Zweifellos haben sich die Berufs- und Karrierechancen, die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens für Frauen generell in den letzten beiden Jahrzehnten verbessert. Dass wir mit dem Erreichten noch nicht zufrieden sein können, wissen wir aber ebenso. Die Vereinbarkeit von beruflicher Karriere und Familie ist nach wie vor eine enorme Herausforderung, das mögliche Berufsspektrum durch traditionelle Rollenbilder immer noch sehr eingeschränkt. Dies liegt nicht nur an den Männern, die ihre Machtpositionen verteidigen, sondern auch an nicht hinterfragten Klischees, die in den Köpfen mancher Frauen immer noch fest verankert sind. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen ihre Zeit – und Frauen, die sie einfordern.
Beruflich erfolgreiche Frauen, die zugleich auch ein erfülltes und zufriedenes Privatleben führen, können als Vorbilder wichtige Impulse und Orientierung für die junge Generation geben. Nicht zuletzt geht es um Selbstvertrauen und Mut als Schlüssel zum Erfolg.
Ich freue mich, dass das vor zwanzig Jahren begonnene Projekt nun mit diesem Buch eine interessante Fortsetzung findet.
Dr. Johanna Rachinger
Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek
SOPHIE KARMASIN
FÜNFZIGJÄHRIGE FEIERT MAN NICHT MEHR SO
Bereits in meinem ersten Buch, »30erinnen: Portraits von Frauen, die schon weit gekommen sind«, war Sophie Karmasin eine jener Frauen, die karrieretechnisch bereits besonders weit gekommen waren: Geschäftsführerin der »Karmasin Marktforschung«, als Meinungsforscherin durch ihre regelmäßigen Auftritte einem breiten TV-Publikum bekannt. Dass sie bald Ministerin werden würde, das hätte sie 2002, als ich sie für mein Buch porträtierte, wohl selber nie gedacht. Wobei – so überraschend kam ihre neue Karriere dann eigentlich auch wieder nicht, wie ein Blick in das Buch von damals zeigt: Zu jedem Porträt gibt es in diesem Buch einen Fragebogen und die Frage, wer oder was die jeweils Porträtierte im nächsten Leben einmal sein wollte. Sophie Karmasin beantwortete das damals so: »Im nächsten Leben möchte ich mich gerne politisch engagieren.« »Wirklich wahr, das gibt’s ja nicht«, lacht sie, als wir uns für das neue Buch treffen und wir scherzen, ob ihr damals geäußerter Wunsch, sich politisch einzubringen, vielleicht ja schon ein Vorzeichen für ihre spätere Karriere war. Elf Jahre später war sie Familienministerin – die nach außen hin sichtbarste Veränderung, aber nur eine von vielen in ihrem Leben in den vergangenen zwanzig Jahren.
EINMAL POLITIK UND ZURÜCK
»Die größten Veränderungen in meinem Leben, seitdem wir uns für das Buch damals getroffen haben?«, denkt sie auf die entsprechende Frage kurz nach, »naja, zwei Veränderungen. Oder drei, nein eigentlich vier große Veränderungen waren das. Die erste große Veränderung war, dass ich die Firma meiner Eltern, also das Gallup-Institut und Karmasin Motivforschung zu 85 Prozent übernommen habe. Das war 2010 oder 2011, so um den Dreh herum. Das war schon ein Riesenschritt. Dann kam schon bald die nächste Veränderung, obwohl ich das nicht geplant hatte, nämlich Ende 2013 der Anruf, ob ich Familienministerin werden will.« Sie wollte und war eine Regierung lang parteilose Familien- und Jugendministerin im Team der ÖVP in der großen Koalition unter SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann. ÖVP-Chef und Vizekanzler war zunächst Michael Spindelegger, ab 2014 Reinhold Mitterlehner – eine politisch turbulente Zeit in der Volkspartei. Um nicht gegen das Unvereinbarkeitsgesetz zu verstoßen, gab sie ihre Anteile an der Firma an ihren Mann ab. »Es war nie ausgesprochen, aber für mich war von Anfang an klar – ich will nur eine Zeit lang in der Politik bleiben«, schildert Karmasin ihre damaligen Gefühle. 2017 beendete sie ihre Tätigkeit als Ministerin und ihren Ausflug in die Politik. Veränderung Nummer zwei, gefolgt von Veränderung Nummer drei: die Gründung ihrer neuen Firma Karmasin Research & Identity, »je nach Projekt mit fünf bis zehn MitarbeiterInnen. Also jetzt habe ich das ganze Spektrum, ich war bei einem internationalen Konzern im Ausland, war lange Jahre im großen Familienunternehmen, war in der Politik, jetzt die wesentlich kleinere Firma. Und jetzt weiß ich, das ist der Zuschnitt, der mir am besten gefällt.« Fehlt noch eine Veränderung nach Karmasins Aufzählung. »Die vierte Entscheidung war, nach Klosterneuburg zu ziehen und ein Haus zu bauen«, meint sie und erzählt, wie glücklich sie darüber sei und dass sie kaum mehr auf Urlaub fahre, weil sie mit ihrem Haus und Garten jetzt alles habe, was sie brauche.
Als wir vor bald zwanzig Jahren das Interview für das erste Buch führten, war Sophie Karmasin eine der wenigen Dreißigerinnen, die schon ein Kind hatten. »Mein zweiter Sohn kam dann bald auf die Welt. Aber das war keine große Veränderung, es war so klar, dass wir zwei Kinder bekommen.« Wirtschaft, Politik, Familie – wo beginnen wir unser Gespräch über ihr Lebensfeeling in ihren Fünfzigern, über die gesellschaftliche Stellung von Frauen dieses Alters, über ihre Erfahrungen mit der Politik, über das, was sie, die sich als Schülerin gerne als »Emanze« bezeichnet hatte und im Spaß jetzt von ihrem jüngeren Sohn öfter »Feministin« geschimpft wird, ihren beiden fast erwachsenen Söhnen mitgeben will und, und, und? Versuchen wir es chronologisch: Als Meinungsforscherin machte sich Sophie Karmasin Anfang der 2000er-Jahre zunehmend einen Namen, unabhängig von ihren bekannten Eltern. Gemeinsam mit dem Politologen Peter Filzmaier analysierte sie in der ZIB 2 die Innenpolitik immer dann, wenn wieder einmal gewählt wurde, Koalitionen verhandelt oder gebildet wurden oder wenn es eben ganz besonders viel innenpolitisch zu besprechen gab. Dadurch waren wir uns regelmäßig beruflich begegnet, Sophie Karmasin war eine Expertin, die ich in unsere Sendungen einlud. Aber sie war gefühlt auch »eine von uns« – eine der Politik-BerichterstatterInnen, der Politik-BeobachterInnen. Keine Journalistin, aber eine Kollegin – bis zum 12. Dezember 2013. Da wurde Sophie Karmasin von der ÖVP zur Ministerin für Familie und Jugend ernannt. »Ich war sehr nahe dran an der Politik durch die Analysen im Studio der ZIB 2, durch viele Studien mit meinem Institut. Ich war nahe dran, aber es war etwas komplett anderes«, erzählt sie. »Damals habe ich mir immer gedacht, warum soll Politik so brutal sein und verlogen und so intrigant? Ich verstand das gar nicht, bis – ich schwör’s – zur ersten Stunde, in der ich in diesem System angekommen bin. Wie Politik nach außen vermittelt wird und wie sie nach innen funktioniert, ist wirklich etwas ganz anderes. Wie dieselben Menschen mit dir kommunizieren und mit dir umgehen, wenn du auf einmal in ihrem System bist, und wie sie das tun, wenn du wieder draußen bist. Für mich war das unglaublich spannend, wie stark Systeme und Rollen sind und wie sehr sie Kommunikation und Beziehungen beeinflussen.«
Beim Ankommen im neuen System stand freilich weniger die professionelle Analyse, sondern standen mehr ihre eigenen Emotionen im Vordergrund. »Nachdem die Chose offiziell war, habe ich mir die ZIB 2 angeschaut. Da saß der Peter Filzmaier – und da, wo ich immer gesessen war, stand bewusst ein leerer Sessel. Und dann sagt der Peter: Ja, wir werden schauen, wie sie sich tut auf der anderen Seite. Puh. Da bin ich dann dagesessen und habe mir gedacht, das war eine Wahnsinnsentscheidung«, erzählt sie von der damaligen Achterbahn der Gefühle. Wobei sie sich vor ihrer Entscheidung nicht nur mit ihrer Mutter und ihrem Mann beraten hatte, sondern auch mit einem Freund, der viel später selbst erfahren sollte, wie hart Politik sein kann: mit Christian Kern. »Ich habe mir gedacht, er ist sicher schon zigmal gefragt worden, ob er eine politische Funktion übernehmen will, also hab ich ihn angerufen und mir gedacht, er wird mir abraten und argumentieren, warum ich das sein lassen soll. Und dann sagte er: ›Du, ich würd’s machen‹«, lacht sie noch heute und erinnert sich noch genau, wie Christian Kern das damals begründete: »Ich kenne dich so gut, du bist wie eine Katze, du wirst auf allen vier Pfoten landen.« Damals dachte sie sich: Warum sollte sie landen müssen? Später verstand sie diesen Ausspruch dann aber sehr gut. Und Christian Kern, von Mai 2016 bis Dezember 2017 SPÖ-Bundeskanzler, könnte über das Landen wohl auch einiges erzählen, aber das ist nicht unser Thema hier. Sophie Karmasin meint: »Meine Entscheidung, in die Politik zu gehen, habe ich nie bereut, ein zweites Mal würde ich es mir aber nicht antun. Sollte ich jemandem einen Rat geben müssen als Psychologin, würde ich mir genau anschauen, welche Ressourcen eine Person hat, die in die Politik geht. Aber auch welchen Gestaltungswillen sie hat, ob jemand für eine Sache, ein Ziel wirklich brennt. Denn es ist wirklich hart und es gibt genug Beispiele von Leuten, die das nicht gut verdaut haben.« Sie selbst hatte diese Ressourcen, in sich, durch ihren Mann, ihre Familie und offenbar auch durch die jahrelange Auseinandersetzung mit der Idee, selbst einmal politisch aktiv zu werden, wie ihr damals geäußerter Wunsch in meinem Fragebogen zeigt.
Damals erzählte mir die 1967 Geborene auch, dass ihr Alter für sie immer eine große Rolle spielte: »Mit einundzwanzig hatte ich einen Freund und ich dachte mir, mit einundzwanzig musst du schon einmal Schluss gemacht haben, und dann habe ich Schluss gemacht. Auch einen Freund im Ausland, dachte ich, muss man haben und hatte ihn dann auch. Und zwischen dreißig und einunddreißig war das ein bisserl ein Krampf – ich habe immer geschaut, was machen die anderen, was haben die schon?«, erzählte sie damals. Wie ist das jetzt? »Nein, das habe ich sozusagen für mein Leben erledigt.« Als Dreißigerin ordnete sich die Markt- und Meinungsforscherin selbst dem sogenannten Niveaumilieu nach Gerhard Schulze zu. Als Fünfzigerin sieht sie sich in dieser Skala im »Selbstverwirklichungsmilieu«. »Jetzt weiß ich mehr, was ich will, wie ich mein Leben gestalten will, das wusste ich damals nicht so genau. Heute habe ich natürlich auch eine ganz andere Perspektive, habe vieles ausprobiert und genieße es im Moment so, wie es ist. Ich habe momentan nicht das Gefühl, dass ich irgendetwas für irgendwen oder für mich machen muss. Ich habe ja auch so viel. Ich habe eine intakte Ehe, wir sind immer noch verliebt. Ich habe zwei Kinder, die sich entwickeln, wie sich Kinder eben entwickeln. Ich bin wahnsinnig stolz auf sie, sie sind super Personen geworden, das taugt mir wahnsinnig«, freut sie sich und betont auch noch einmal, wie wohl sie sich in ihrem Haus in Klosterneuburg fühlt, dass sich ihre beruflichen Entscheidungen im Nachhinein richtig anfühlen und dass ihr ihr Job wahnsinnig viel Spaß macht. Rundum zufrieden also? Na ja … persönlich sehr, aber sobald Sophie Karmasin über die gesellschaftliche Situation von Frauen – und im Speziellen von Frauen jenseits der fünfzig – spricht, klingt das ganz anders.
FRAUEN HABEN ES IMMER NOCH SCHWERER
Im Grunde hätten es Frauen jetzt nicht besser als vor zwanzig Jahren, meint die ehemalige Familienministerin, die stolz darauf ist, in ihrer Amtsperiode den sogenannten Papa-Monat eingeführt zu haben oder den Partnerschaftsbonus, bei dem beide Elternteile einen finanziellen Bonus bekommen, wenn sie wirklich halbe-halbe machen. »Ich bin auch wegen dieser Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in die Politik gegangen«, sagt sie und erörtert, warum ihre damalige Meinung als Dreißigjährige, dass der Hauptunterschied in Karrierechancen zwischen Frauen und Männern durch Kinder entstehe, heute überhaupt nicht mehr ihre jetzige Meinung sei: »Es ist immer noch eine Frage der Wertigkeit, der sozialen Rollen und der Stereotype. Egal, ob du eine Frau mit Kindern oder eine Frau ohne Kinder bist, Frauen haben es immer noch schwerer. Das habe ich auch in der Politik gemerkt. Sagt die Frau etwas, sagt der Mann etwas – das hat nicht dieselbe Wertigkeit. Das ist auch im Parlament merkbar.« Sie kenne genügend Studien, die das belegten – es sei weniger wichtig, was jemand sage, als wer es sage. Das gelte nicht nur für hierarchische Kommunikation, sondern genauso für geschlechterspezifische. Und ganz abgesehen davon, würden Frauen in Österreich immer noch nicht gleichgestellt sein. »Ja, es gibt inzwischen ein paar Aufsichtsratschefinnen, aber das ist kein Gamechanger. Auch die Politik ist gefühlt immer noch eine Männerdomäne. Jetzt haben wir z. B. die Frau Anderl als Arbeiterkammer-Chefin, aber wie viele Frauen haben wir auf Sozialpartnerebene sonst? Keine.« Auch bei der medialen Präsenz von Frauen liege noch vieles im Argen, ganz besonders bei älteren. »Die Fünfzigjährigen feiert man nicht mehr so«, meint Karmasin. »Jugend hat in unserer Gesellschaft noch immer den höheren Wert. Die Weisheit des Alters, die Kompetenz oder auch Kontinuität in Lebensläufen ist in unserer medialisierten Welt kein Wert. Jung, fesch und kompetent, das zählt. Der schwierigere Weg wäre alterslos, kompetent, seriös.«
FRAUEN VERLIEREN SCHNELLER AN GESELLSCHAFTLICHER RELEVANZ
Und wie geht es ihr damit persönlich, als Frau, die ein Leben lang auch öffentlich gearbeitet hat? »Also, die Hälfte ist überschritten. Das ist weder besonders fröhlich noch ein netter Gedanke. Aber man muss auch die positive Seite sehen: Wenn man nicht älter wird, dann ist man nicht mehr da«, lacht sie und fügt an, dass das Älterwerden und auch Älteraussehen natürlich auch mit ihr etwas mache, »alles andere wäre gelogen«. Auch das ihrer Meinung nach immer noch ziemlich tabuisierte Thema Wechsel bei Frauen beschäftigt sie und sie bespricht es mit ihren Vertrauten und ihrem Mann »ohne Tabu«. »Aber natürlich ist das eine Zäsur: Du bist nicht mehr fruchtbar und verlierst ein gewisses Attribut. Du bist nicht mehr dreißig, sondern du bist eigentlich schon eine ältere Frau. Beides ist nicht wahnsinnig attraktiv. Wer spricht da schon gern öffentlich drüber?« Sie selbst schaue jetzt mehr aufs Essen, betreibe mehr Sport und nehme sich mehr Zeit für sich selbst, erzählt Sophie Karmasin, die natürlich auch genau beobachtet, wie Frauen ihres Alters in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Als Studiogäste in TV-Sendungen würden Frauen, die jung und fesch sind, immer lieber genommen, das sei System, meint sie. »Frauen verlieren durch das Älterwerden mehr und schneller an gesellschaftlicher Relevanz als Männer. Also, eine Frau mit derselben Kompetenz wie ein Mann verliert schneller mit den Jahren«, erklärt sie sich die Tatsache, warum Frauen, und vor allem ältere Frauen, wesentlich weniger in TV-Diskussionsrunden zu sehen seien als gleichaltrige Männer. »Frauen spüren das und setzen sich dem weniger aus, nach dem Motto: Zoom auf die Falte. Das kommt noch dazu – Frauen wissen, dass sie auch nach wie vor stärker nach ihrem Aussehen beurteilt werden als Männer.«
Als Ministerin konnte sie ihre Anliegen für die Gleichstellung von Frauen und Männern einbringen, was und wie kann sie das als Mutter von zwei Söhnen tun? »Naja, erstens müssen sie alles lernen, was mit dem Haushalt zu tun hat. Ausreden wie: ›Ich weiß nicht, wie man die Waschmaschine andreht‹, gelten nicht«, sagt die Frau, die mir als Dreißigjährige berichtete, wie sie und ihre damals beste Freundin in der Schule »als die zwei Emanzen« galten und damals fest davon überzeugt waren, »dass sie Männer nicht brauchten« und mit ihrem damals ausgeflippten und bewusst »antiweiblichen« Outfit die anderen vor den Kopf stießen. Jetzt habe sie vor allem mit ihrem jüngeren Sohn oft halb ernste, halb spaßhafte Diskussionen über das, was Frauen machen sollten und was Männer. »Was du schon wieder glaubst, das stimmt ja alles gar nicht«, lacht sie, meine er dann manchmal, und: »Er nennt mich in diesen Diskussionen dann immer spaßeshalber Feministin.«
Einiges hat sich also verändert im Leben von Sophie Karmasin. Vieles klingt aber sehr ähnlich wie vor zwanzig Jahren. Ihr Eigenbild entspreche auch oft noch dem von früher. »Also man hat doch nicht dieses Bild von einem selbst, dass die Dreißigjährige neben einem vielleicht über einen selbst denken könnte, man sei diese mittelalterliche Frau. Oh was für ein schreckliches Wort!«, meint sie lachend. Aber was helfe es, »man ist jetzt eben nicht mehr der Jungspund. Ich merke das vor allem bei Bewerbungen. Puh, sind die jung! Da denke ich mir oft, wenn ich Geburtsdaten sehen – Hallo? Da habe ich gerade Matura gemacht. Es gibt inzwischen mindestens zwei Generationen nach uns, die jetzt im Berufsleben sind«, das sei ein Faktum. Wer weiß, welchem Milieu sich die heute Dreißigjährigen in der Skala von Gerhard Schulze zuordnen würden? Sicher nicht dem sogenannten Selbstverwirklichungsmilieu, wo sich Sophie Karmasin nun sieht. So bringt das Alter doch auch schöne Veränderungen …