Kleiner Tod im Großen Garten

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Kleiner Tod im Großen Garten
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Informationen zum Buch

Grün ist die Farbe des Lebens. Im Hannover der kurzen Krimis von Bodo Dringenberg wird das üppige Grün der Parks und Gärten zur Farbe des Todes.

Eine laue Sommernacht in den Herrenhäuser Gärten, ein Liebespaar vergnügt sich zwischen den Rabatten. Doch was vom nächtlichen Schäferstündchen übrig bleibt, ist nicht sehr appetitlich – eine Leiche mit eingeschlagenem Schädel. Bodo Dringenbergs kurze Krimis zeigen Hannovers abseitige Geschäftigkeit. In der Titelgeschichte »Kleiner Tod im Großen Garten« liegen Erotik und Verbrechen nah beieinander. Auch im hellen Sonnenschein an den Ricklinger Kiesteichen ist das ewige Dunkel nah. Und wenn sich vermeintlich harmlose Boule-Spieler mit Kokain-Dealern einlassen, dann kann das schnell der letzte große Wurf gewesen sein. Vier zeitgenössische Erzählungen legt Bodo Dringenberg, der Erfolgsautor des historischen Krimis »Mord auf dem Wilhelmstein«, vor und kann dabei nicht ganz von Inseln lassen: Was der eigenbrötlerische Andreas Linden aus dem gleichnamigen hannoverschen Stadtteil erlebt, als er sich auf einer Nordseeinsel vom Beziehungsstress erholen möchte, ist ebenso skurril wie tödlich …

Informationen zum Autor

Bodo Dringenberg, Jahrgang 1947, lebt seit 1972 in Hannover. Er veröffentlicht literarische Texte und sprachgeschichtliche Untersuchungen, schreibt für diverse Rundfunkanstalten und konzipiert kulturelle Veranstaltungen. Sein im Jahre 2007 bei zu Klampen erschienener historischer Krimi »Mord auf dem Wilhelmstein« ist bereits in der 3. Auflage.

Bodo Dringenberg

Kleiner Tod im Großen Garten

Kurzkrimis


Impressum

©2010 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe

info@zuklampen.de · www.zuklampen.de

Herausgegeben von Susanne Mischke

Titelgestaltung: Angelika Konietzny (www.izwd.de), Hannover

Konvertierung: Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN 978-3-86674-079-2

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Für Anneke

und die Wasserbiergruppe

Kleiner Tod im Großen Garten

Lass den Schnee gewölbter Brüste

Meine Totenbahre sein

Johann Christian Günther

Ein schwül-feuchter Spätsommermorgen lastet auf Hannovers Großem Garten. Bis auf den blutroten Streifen am Osthimmel ist es noch düster. Vom Westen her nähert sich dumpfes Wummern; Keuchen, Japsen, geflüsterte Wortbrocken, unterdrückte Schreie sind im grünen Gartenbereich des barocken Parks zu vernehmen. Die Geräusche von nah und fern werden lauter, mischen, überlagern und verdichten sich. Einer von zweien scheint gleich so weit zu sein, denkt der im Grünen Lauernde.

Draußen, am östlichen Außenrand der Graft, die mit ihrem Wasser den Großen Garten wie ein U umfängt, liegt dick eingehüllt ein Mann. Ein hochgewachsener Streifen aus Brennnesseln und Schilf schirmt ihn vom Park aus ab. Vor patrouillierenden Polizeiwagen gewährt ihm der Graftdeich völligen Sichtschutz. Plötzlich lärmen Enten und Teichhühner, ein Schwan faucht böse auf, ein Blitz zuckt und Donnergrollen hallt nach. Der Aufgeschreckte erhebt sich mitsamt seinem Schlafsack, schiebt dessen Kapuze vom Kopf und angelt sich seine Brille. Fast vor ihm, inmitten dieser dämmerigen Kakophonie, steigt eine schlanke, langhaarige Frau aus dem mit Teichrosen dicht bedeckten Wasser. Triefend, mit Blättern, Schleimfäden und Stängeln drapiert, schluchzt sie mehrfach auf und rennt tropfensprühend davon, Richtung Bahnhaltestelle.

»Undine«, ächzt der Obdachlose, seine schon lange verschüttete Bildung mobilisierend. Er setzt seinen ramponierten Zylinder auf und stiert der davonstiebenden Wasserfrau nach, bis sie hinter dem Deich verschwunden ist. Anscheinend hat sie ihn nicht bemerkt. Der Lärm der Wasservögel ebbt ab, anschwellendes Donnergrollen überlagert ihn. Der Schlafsackbewohner, nun hellwach geworden, blickt nachdenklich zum Großen Garten hinüber, während heftig der Regen einsetzt.

Etwas später, gegen halb acht Uhr morgens. Der Große Garten dampft in der bereits wärmenden Morgensonne. »So, dann wollen wir mal wieder an die Hecken!«, muntert der Gärtner seine kleine Gruppe saisonaler Hilfskräfte auf. Die Hainbuchenhecken im grünen Teil des Großen Gartens müssen von innen beschnitten werden.

Hoffentlich sind diese sperrigen Hecken nicht mehr so feucht, denkt die studentische Aushilfsgärtnerin, während sie die elektrische Heckenschere und ihren Rucksack aufnimmt. Auch nächtlicher Regen ist schlecht, denn immer wieder schaltet sich dann ihr Arbeitsgerät ab, und sie schafft kaum ihr Arbeitssoll. Ansonsten macht die Biologiestudentin diese Arbeit als Saisonhilfe ziemlich gern, zählt sie doch zu den wenigen, die einen guten Job in den Semesterferien ergattern konnten. Sie macht sich auf den Weg, der durch die Rabatten und Boskette direkt zur Großen Fontäne führt. Wie jeden Morgen grüßt sie kopfnickend nach links zur steinernen Kurfürstin Sophie.

An deren Denkmal vorbei strebt sie weiter entlang der Längsachse des Parks auf den Riesenspringbrunnen zu. Gleich der erste grüne Triangel links vor ihm, das ist heute ihr Arbeitsplatz. Die junge Frau stutzt, als sie die beiden Eingangspfeiler des Dreiecks passiert hat. Nach wenigen Schritten hält sie inne. Ein Schrei will aus ihrem Mund brechen, aber sie dämpft ihn mit dem rechten Handrücken und greift mit der Linken mechanisch zu ihrem Mobiltelefon.

»Also, mein vorläufiger Befund: Der Tote da vorn ist so Mitte vierzig. Er wurde auf dem Bauch liegend aufgefunden. Todesursächlich ist wahrscheinlich das große komische, äh, konische Loch im Hinterkopf, herbeigeführt durch einen sehr harten, kantigen Gegenstand. Bisher ist allerdings keinerlei Spur von ihm in der vermutlich letalen Wunde oder um sie herum zu finden. Der Mann dürfte nach der schweren Traumatisierung sofort tot gewesen sein. Das muss vor etwa vier bis sechs Stunden passiert sein. Alle weiteren Delikatessen erfahren Sie morgen.«

Mit gerunzelter Stirn hört sich die Hauptkommissarin das vorläufige Fazit des nach ihrem Geschmack immer etwas zu witzigen ärztlichen Fachmanns an. »Und sonst, was gibt’s sonst noch, vielleicht auffällige Spuren?«

»Spuren vom Tathergang? Na, Sie sind gut! Da ist nicht viel übrig nach dem heftigen Gewitter, dem Sturzregen und der Hageleinlage mit anschließendem Sonnenschein. Der Verblichene hat, mit Verlaub, tatsächlich eine postmortale Gehirnwäsche bekommen, mal was ganz Neues. Tchaa, und alles Übrige wie üblich ab morgen nach der Obduktion.«

Die Hauptkommissarin sieht ihren jüngeren Mitarbeiter auffordernd an, der prompt loslegt: »Na ja, der Boden drumherum ist auch regengeputzt, verwertbare Fußspuren hat nur diese Aushilfsgärtnerin hinterlassen, die den Erschlagenen gefunden hat. Die steht übrigens da hinten am Toreingang, diese Rothaarige.«

Die Kriminalbeamtin geht um sich blickend langsam auf den Tatort zu, aufmerksam den weiteren Ausführungen ihres Kollegen lauschend. Genervt resümiert sie: »Ist ja reizend. Keine Spuren, kein Perso, kein Zettelchen mehr da – gar nix. Und seine Geldbörse fehlt natürlich auch, ist ja klar. Sieht eigentlich nach Raubmord aus, ist aber ein zu komischer Platz dafür.«

»Der Obduzierte ist ziemlich genau gegen fünf Uhr gestorben. Zum Zeitpunkt der tödlichen Kopfverletzung dürfte er auf dem Bauch gelegen haben. Er wurde kurz nach seinem Ableben auf den Rücken gedreht, dann aber wieder auf den Bauch, so, wie er dann gefunden wurde. Seine tiefe, kraterförmige Kopfwunde haben wir genauer untersucht. Wir haben wenig nichthumanes Material gefunden, weil die Öffnung vom Gewitterregen gestern Morgen gründlich ausgespült worden ist. Aufgefallen sind uns Fäkalienreste in der zerstörten Hirnmasse und an den Schädelknochen. Woher die rühren, darüber wissen wir genauso wenig wie über die Zellulosefetzen, die ebenfalls in kleinsten Mengen im traumatisierten Bereich vorliegen.« Der Pathologe beendet seinen Kurzbericht und sieht die beiden Kriminalbeamten erwartungsvoll an.

»Wer dem wohl ins Gehirn geschissen hat?«, wirft der junge Ermittler ein. Die Hauptkommissarin zwingt sich zu einem sehr strengen Ton: »Also bitte, ja. Der Tote ist ein hier sehr angesehener Politiker – gewesen. Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf. Fahren Sie bitte fort, Doktor.«

»Jedenfalls hat das Opfer bis unmittelbar vor seinem Tod noch Geschlechtsverkehr einschließlich Erguss gehabt, und zwar mit einer Frau. Muss ja gesagt werden, passt nämlich wenig zu der brachialen Schädelfraktur. Durch eine genetische Analyse könnte man vielleicht die Person herausbekommen, mit der er noch bis zu seinem Ableben Verkehr gehabt hat.«

 

»Aber wer hat ihn umgedreht und ihn wieder zurückgedreht? Seine Sexualpartnerin, ein Raubmörder, ein Totschläger aus Rache, jemand, der Spuren verwischen wollte?«, fragt sich der Kriminalbeamte. Seine Vorgesetzte zuckt bloß mit der Schulter und sagt: »Übrigens haben die Angehörigen und seine Partei bereits heute Morgen zusammen zehntausend Euro Belohnung für die Aufklärung des Todes ausgesetzt, wie ich erfahren habe. Na ja, vielleicht hilft uns so ein Kopfgeld weiter.«

»Draußen steht eine streng riechende Person mit Zylinder, die Sie unbedingt sprechen will, wegen diesem Toten im sechsten Grün dieser Triangeln.«

»Na gut, herein mit ihm.«

Ein vollbärtiger Mann betritt das Büro. Er ist hager, undefinierbaren Alters, etwa zwei Meter groß, trägt einen verbeulten Zylinderhut und wedelt mit dem Titelblatt einer Boulevardzeitung. »Guten Tag, ich habe einiges gesehen vorgestern Nacht. Eine Seejungfrau und einen Brückenkletterer. Und nun komme ich wegen der Belohnung, Frau Kommissarin.«

»Na, nun nehmen Sie erst einmal Platz und geben mir bitte Ihren Ausweis.«

Der Bärtige schiebt ein plastikumhülltes Dokument über den Bürotisch zur Hauptkommissarin.

»So, jetzt setzen Sie Ihren Zylinder ab, damit ich Ihr ganzes Gesicht sehen kann.«

»Dieser Zylinder hier, der gehörte mal dem Chef des Kleinen Festes. Vor kurzem ist mir der zugeflogen, war schon ganz verbeult, der Zylinder.«

»Ja, o. k., nun legen Sie mal los.«

»Ich habe erst eine Frau und dann einen Mann gesehen. Beide kamen morgens, kurz vor dem Gewitter, aus dem Großen Garten. Wahrscheinlich haben die beiden ihn umgebracht, denn die sind kurz nacheinander über die Graft gekommen, da bei den Sportplätzen. Er ist ziemlich geschickt über die Brücke am Absperrgitter vorbei geklettert, sie ist durchs Wasser gelaufen oder geschwommen. Ja, was soll ich sagen, die Lange ist weggepest, als ob sie zur Olympiade wollte. Der Mann kam dann ein bisschen später, hat sich ganz gemütlich vom Acker gemacht. Die müssen’s gewesen sein. Lockvogel und Mörder, kennt man ja, oder?«

»Das werden wir ja sehen. Beschreiben Sie die beiden doch mal genauer.«

Außer ein paar weiteren sehr vagen Angaben über beide ist nichts aus diesem Zeugen herauszubekommen. Die Hauptkommissarin beendet die Vernehmung. »Bitte warten Sie draußen, mein Kollege wird von Ihnen die Fingerabdrücke nehmen. Eventuell brauchen wir auch noch eine Speichelprobe von Ihnen. Machen Sie sich klar, dass wir auch Sie genauer unter die Lupe nehmen werden.«

»Jaja, ich kenne das, immer das Gleiche. Denn man los, meinetwegen. Ich bin unschuldig wie ein Engel.«

Gemeinsam mit einem älteren Kriminalbeamten verlässt der Mann das Büro.

»Na, wie reizend, da haben wir ja schon mal drei Verdächtige. Eine große schlanke Frau, einen Mann mittleren Alters und diesen Tramp.«

Das Café ist kurz vor der Mittagszeit schon halb gefüllt. Mit der Hauptkommissarin am Tisch sitzt ein fast bulliger, mittelgroßer Mann mit Bürstenhaarschnitt. Er hat sich telefonisch als »freier Journalist« vorgestellt, der einiges über den Tod im Großen Garten wisse. Noch bevor der Kaffee kommt, hat er sie kurz über sich informiert. Er war einmal beim hiesigen Renommierblatt angestellt gewesen und ist kürzlich wegrationalisiert worden. Ab und zu schreibt er noch für diese Zeitung, ansonsten beliefert er hin und wieder andere Presseorgane mit Recherchen und Informationen. Er schlägt sich finanziell halt so durch.

»Und jetzt der Grund, warum ich Sie um ein informelles Gespräch gebeten habe: Seit ein paar Tagen bin ich mit einer Recherche über das nächtliche Treiben in hannoverschen Parks beschäftigt, für eine große Illustrierte. Sie können da nachfragen – nicht dass Sie mich für einen Voyeur halten! Ich habe mich bei diesem Job fast verliebt in das durchkultivierte Naturareal, diesen wirklichen Lustgarten. Wissen Sie, mein von mir ungeliebter Vater – das beruhte auf Gegenseitigkeit – war Gärtnermeister gewesen, meine frühe Liebe zu zementierten Flächen war die Folge. Wie schön Parks sind, das habe ich erst in den letzten Jahren entdeckt. So ein Garten ist wie außerhalb der Welt. Ich hocke also neulich nachts im grünen Dreieck Nummer fünf und lasse den Großen Garten auf mich einwirken. Um das Beobachten von nächtlichen Paaren geht es mir dabei übrigens nicht. Nein, der Duft, die Geräusche – die Unwirklichkeit dieses Quasiparadieses macht den besonderen Reiz aus.

Ja, und an jenem Morgen gab’s nebenan im grünen Dreieck plötzlich ein tiefes Stöhnen, gefolgt von mehreren hellen Schreien. Nach einigen Minuten Stille rannte schließlich eine Frau aus dem Boskett. Beim Dämmerlicht bemerkte ich natürlich bloß ihre Gestalt und die auffallenden langen, hellen Haare. Irgendwie kam mir die Blondine bekannt vor, die hat irgendetwas mit der Organisation von Kunstausstellungen zu tun, ja, ich glaube sogar, die ist Galeristin, irgendwo in der Innenstadt. Dürfte für Sie leicht rauszukriegen sein, wer die ist. Eine weitere Person habe ich am Ort nicht bemerkt. Aber die könnte sich ja leicht durch eine Lücke in der Hecke an- und wieder weggeschlichen haben. Keine Ahnung. Das betreffende Gründreieck nebenan habe ich selbstverständlich nicht betreten. Ich bin damals von einer Trennung quicklebendiger Menschen ausgegangen, von einem ›kleinen Tod‹, nicht von einem Toten. Vielleicht eine Viertelstunde nachdem die Liebhaberin ihren Lover verlassen hatte, bin ich auch verschwunden. Das Gewitter war ja bedrohlich nah herangekommen und ich wollte nicht, dass der Mann in dem Triangel nebenan mich bemerkt. Ja, und das war’s auch schon, was ich dazu sagen kann.«

»Bevor wir uns weiter unterhalten – Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass Sie erkennungsdienstlich erfasst werden: Fingerabdrücke, und wenn es nötig ist, werde ich beim Richter eine Speichelprobe beantragen. Geht das klar?«

»Wenn es der Wahrheitsfindung dient – klar geht das.«

»Gut, also die Galeristin dürften wir identifiziert haben, wenn dieser Journalist nicht geflunkert hat. Die werde ich heute noch aufsuchen. Diese Frau ist mindestens Augenzeugin gewesen, wenn nicht gar Täterin. Damit kennen wir die Verdächtige Nummer drei. Na bitte, es läuft doch.«

»Aber vielleicht anders als wir wollen. Hier, gucken Sie mal, eine Schlagzeile in unserem geliebten bilderreichen Mistblatt: ›Ritualmord im Großen Garten?‹ Und weiter unten steht: ›Reste menschlicher Ausscheidungen in der tödlichen Kopfwunde lassen auf einen besonders exotischen Mord aus Rache schließen, wie aus Kreisen der Kripo verlautet. Ein unheimlicher Ritualmord im Lustgarten. Eklige Todesumstände des Arbeitsmarktexperten, Fäkalspuren im eingeschlagenen Kopf‹ und so weiter. – So eine Sauerei, wie kommen die da drauf? Woher haben die das?«

Die Hauptkommissarin fährt sich durch ihre kurzen schwarzen Haare: »Na, von uns nicht, denke ich mal. Da weiß jemand viel mehr, als wir ahnen. Der Journalist kommt übrigens nachher noch mal zur Printabnahme. Den will ich morgen früh in meinem Büro haben, den genauen Zeitpunkt kann er selbst wählen. Mal sehen, was der noch zu bieten hat. Wir ermitteln jedenfalls weiter in alle bisherigen Richtungen. Gründe für einen Mord oder Totschlag, eventuell für einen Raubmord, gibt es bei unseren drei Kandidaten bestimmt.«

»Sie waren vorgestern Nacht im Großen Garten und haben ihn dann fluchtartig, quer durch die Graft hindurch, verlassen. Erklären Sie mir das bitte.«

Die groß gewachsene Frau, Anfang dreißig, schüttelt leicht ihr langes blondes Haar und fragt frostig: »Moment mal, bitte. Können Sie mir sagen, was das soll?«

Die Hauptkommissarin bleibt von der kühlen Reaktion der Galeristin unbeeindruckt. »Sie sind von zwei Zeugen kurz vor Ausbruch des Unwetters gesehen worden. Möchten Sie, dass von Ihnen ein genetischer Fingerabdruck genommen wird? Möchten Sie, dass wir den mit den Spuren im Intimbereich des Toten vergleichen? Oder kommen Sie lieber gleich ins Erzählen?«

»Oh, Scheiße! Nein, nein.« Die blau gekleidete Frau beißt sich auf die Unterlippe. »Entschuldigung. Es ist so schrecklich. Ich hab’s gewusst, der Albtraum hört nicht auf. Bitte warten Sie einen Augenblick, ich schließe nur kurz die Eingangstür.«

Sie sei halt von Kunst fasziniert und besonders schätze sie Niki de Saint Phalle, die sie als wunderbar ästhetische Erotomanin geradezu verehre. Und den im Großen Garten Verstorbenen habe sie gekannt, ja. Dieser reife Politiker sei öfter bei Vernissagen und offensichtlich sehr kunstinteressiert gewesen. Er habe ihr schon öfter Avancen gemacht und ihr nun – dank seiner Beziehungen – eine exklusive Nacht in der Niki-de-Saint-Phalle-Grotte versprochen. »Im blauen Raum wie die Tiefe des Himmels und der See«, das müsse doch der Höhepunkt ihrer künstlerisch-erotischen Biografie sein. Erst habe sie diesen Vorschlag albern und zu riskant gefunden, dann aber doch zunehmend Geschmack an ihm gewonnen und schließlich zugestimmt. Ihr sei es dabei mehr um Kunst und Erotik als um schlichten Sex gegangen.

»Verstehen Sie, es geht um Entgrenzung, darum, dem Gemeinen und Banalen zu entrinnen. Vielleicht gelingt ja eine erotisch-künstlerisch perfekte Verkörperung von weiblich und männlich in einer feminin bergenden Höhle.«

Die Hauptkommissarin muss sich anstrengen, dass ihre Gesichtszüge nicht tiefe Zweifel an dieser Erzählung verraten.

»Fly like a bird und discover eternity«, habe er ihr zugeraunt, als sie sich in den Großen Garten schlichen. »Flieg wie ein Vogel und entdecke die Ewigkeit.«

»Na, das hat zumindest er ja getan!«, wirft die Kriminalbeamtin ein. Sie betrachtet die plötzlich verlegene junge Frau, die so gar nichts hat von den prachtvollen Rundungen und üppigen Farbgebungen der Künstlerin. Eher kühl und beherrscht wirkt sie, trotz voller Lippen und ausdrucksvoller grüner Augen. Die scharfe, sichelmondförmige Einkerbung um den rechten Mundwinkel herum signalisiert eine Spur von Härte und Verbitterung.

Sie hätten in seinem geräumigen Audi bei einer Magnumflasche Champagner auf die Nacht gewartet und über die Niederungen des Alltags geplaudert. Der Politiker habe sie dabei zurückhaltend und durchaus zärtlich berührt. Sie habe Vertrauen gewonnen und die Spannung auf das Kommende sei gestiegen.

»In den Garten gelangten wir noch mittels seines Nachschlüssels, aber mit dem Schloss an der Grotte kam er nicht zurande. Als vom Galeriegebäude mit einem leichten Windstoß nicht allein der Duft der dort üppig blühenden Engelstrompeten herüberwehte, sondern auch Hundegebell, zog er mich eilig in den grünen Bereich des Großen Gartens.«

»Und dann kam es zwischen Ihnen und ihm aber doch noch zum Verkehr, da im Boskettdreieck.«

»Ja, er hat mich überredet, verführt, da habe ich nachgegeben.«

»Hat er Sie vergewaltigt?«

»Nein, nein, alles war freiwillig, wenn auch ganz anders, als es in der Grotte hätte werden können.«

»Er hatte seinen Erguss – und was passierte dann?«

»Es krachte, es splitterte irgendwie, er gurgelte auf und lag dann wie tot auf mir. War er ja wohl auch. Ich war erst wie gelähmt. Dann hatte ich furchtbare Angst.«

»Sie müssen doch etwas gesehen haben, Ihr Sexualpartner ist von hinten erschlagen worden, hat also das Gesicht Ihnen zugewandt, und der Täter muss ja dahinter gewesen sein. Verflixt noch mal, nun sagen Sie endlich, was Sie wahrgenommen haben!«

»Also gut, Sie wollen partout intime Details. Na ja, er hat bei der Tötung schon auf dem Rücken gelegen, auf meinem nämlich. Ich habe auf dem Bauch gelegen, wenn Sie es genau wissen wollen. Was sollte ich da schon gesehen haben, außer nachtfarbenem Gras? Die Hecke ist an dieser Stelle löcherig, da kann man schnell wieder verschwinden. Es krachte, knirschte über mir – dann war er reglos. Ich habe es erst nicht verstanden, ich habe ja niemanden gesehen. Vielleicht war es ein Irrer, vielleicht Nikis Geist? Was weiß ich!«

»Wenn es der Geist von Niki de Saint Phalle war, so werden wir den auf Flasche ziehen, das verspreche ich Ihnen!«

»So, mein Herr, nun möchte ich mal ganz genau und mit Hingabe von Ihnen hören, was Sie von der besagten Nacht im Großen Garten wissen, und bitte mit Vorgeschichte.«

»Aber gern, aber präzise, Frau Hauptkommissar. Zuerst die Vorgeschichte: Die Große Fontäne bildet das Zentrum des Nouveau Jardin, des neuen Gartens, der erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts angelegt worden ist. Ja, und was soll ich sagen, seitdem gibt es dort 32 dreieckige Boskette, die sogenannten Triangel. Begrenzt werden diese buschigen, baumhaltigen Dreiecke von hohen Hainbuchenhecken. Einst wurden in ihnen Obst und Gemüse angebaut, heute dienen sie allein dem Wohlfühlen und lassen oft süße Klänge herausschallen.«

 

»Nun quatschen Sie mal keine Opern, Mann, Sie stehen unter Tatverdacht wegen Raubmord. Sagen Sie klipp und klar, was Sie mit dem Fall zu tun haben.«

»Fall ist gut, genau das ist es nämlich! Was da mit dem Ritualmord in der Presse steht, ist natürlich großer Quatsch, sage ich Ihnen. Manche Kollegen können schlicht nicht Zeitung lesen, das ist es. Ich denke, der Fall ist schon ziemlich eindeutig. Sehen Sie mal!«

Einer Plastikhülle entnimmt der freischaffende Journalist graue Papiere. Ohne sie vorzulesen, hält er sie der Kriminalbeamtin hin und legt eindringlich los: »Hier, im August 1990 fiel ein fußballgroßer, eisiger Fäkalblock in ein Wohnhaus im nordrhein-westfälischen Vettweiß. Was war’s? – gefrorene Scheiße, mit Verlaub, aus einem Flugzeug. Und später, im gleichen Jahr, knallt im November eine Eisbombe durch das Dach eines Hauses in den USA, in Elkhorn/Wisconsin, auch dieser kalte Ballen war aus menschlichen Exkrementen. Können Sie alles nachlesen, kein Witz!«

»Jaja, moderne Mythen, kalter Kaffee, erzählen Sie mir was Neues, was Besseres als das, was schon seit Jahren in Büchern steht.«

»So? Dann schauen Sie mal hier hinein, in unser hochseriöses hannoversches allgemeines Anzeigenblatt. Hier, diese Ausgaben aus dem Januar. Na los, sehen Sie sich das an!«

Verblüfft liest die Beamtin von einem Eisball, der gerade erst in diesem Jahr südlich von Hannover niedergerauscht ist.

»Schon wieder jemand mit himmlischem Einschlag«, murmelt sie. Doch ihr Gegenüber lässt nicht locker:

»Und dann vor zwei Wochen der Klumpen auf Herrenhausen. Mitten im Sommer schmetterte der nachts durch das Dach einer Kleingartenbutze. Morgens war eine stinkende, braune Wasserpfütze unter dem Loch, obwohl es keinen Tropfen geregnet hatte. Muss ich da wirklich noch mehr sagen? Von wegen Mythen, Sagen, Erfindungen, Spinnereien – schlichte Realität ist das, eklig und stinkend, nichts weiter!«

»Ich sehe schon, die Einschläge kommen näher. Aber trotzdem sind das noch keine Beweise für Ihre Annahme.«

»Hören Sie, ich will zur Aufklärung beitragen, und die Belohnung dafür beanspruche ich natürlich auch. Was kann ich dafür, dass es kein Mord oder so was war.«

»Ach ja, ein glitzernder Stern fiel herab wie bei Niki de Saint Phalle. Nun hören Sie mal zu. Es ist einfach hochgradig unwahrscheinlich, dass ein eisiger Klumpen aus dem Himmel fällt und exakt diesem gerade sehr beschäftigten Menschen den Schädel einschlägt. Was Sie mir da weismachen wollen, riecht nach einer beschissenen Story, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.«

Der Kommissar beginnt, seiner vorgesetzten Hauptkommissarin den Stand der Ermittlungen auszubreiten: »Also, ich habe die Informationen über alle in Frage kommenden Flugzeuge eingeholt und überprüft. Resultat: Es wurde keinerlei Eisabgang gemeldet. Aber so etwas kann eventuell unbemerkt passiert sein. Eine Zuordnung der Fäkalspuren zu Passagieren und der Besatzung eines ganz bestimmten Jets zur in Frage kommenden Zeit scheint selbst unseren Experten nicht mehr möglich zu sein. Dafür wäre ein quasi weltweiter Fäkalvergleich erforderlich. Schaurig. Aber da eben wegen des ausspülenden Gewitterregens sowieso nur noch minimale und damit unrepräsentative Reste dieser Ausscheidungen vorhanden sind, würde ein solch delikater Abgleich sowieso nicht zu harten Fakten führen.«

»Keine harte Fakten, das ist in diesem Fall besonders treffend«, ergänzt mit einer leichten Grimasse die Hauptkommissarin. Ungerührt fährt ihr Mitarbeiter fort: »Aber die Zellulosefasern stammen von Toilettenpapier, und die Druckspuren darauf, die bringen uns weiter.«

»Druckspuren, was für Druckspuren?«

»Na ja, das Klopapier heißt ›Morgentau‹, und das steht gedruckt auf den Blättern. Und dieses spezielle Toilettenpapier war bei keinem der von mir untersuchten Flüge an Bord. Hat einen halben Tag Recherche gekostet, aber hat sich doch gelohnt.« Der Ermittler macht eine bedeutungsschwere Pause.

»Da lag unser journalistischer Zeuge aus dem Großen Garten also daneben«, murmelt seine Vorgesetzte.

»Der lag ziemlich daneben, dieser fantasievolle Publizist. Und am Tag des Todes lag auch noch ein umgekipptes Dixi-Klo fast unmittelbar an der Graft. Kollegen haben es gefunden und der Verleihfirma gemeldet – eine ziemlich stinkende Sauerei. Da ich den Laborbericht betreffs der Papierreste bereits gelesen hatte, nahm ich mir einfach mal ein noch unbeflecktes Abwischblättchen aus diesem mobilen Entsorger. Und wie heißt das – ›Morgentau‹! Der Täter oder die Täterin hat sich aus dieser Jauchengrube bedient, warum, das ist noch unklar. Noch etwas: Die Spurensicherung untersucht gerade seitliche Fingerabdrücke am Dixi-Klo, und zwar genau an den Stellen, wo der Umstürzler angepackt haben muss. Mal sehen, ob da jemand dabei ist, den wir kennen.«

Anerkennend nickt die Hauptkommissarin und ordnet mit einem süffisanten Lächeln an:

»So, und nun geben wir mal eine Meldung an die Presse raus. So etwas mit ›angeblicher Eis-Unfall war vom Mörder fingiert‹ oder so ähnlich. Sie deichseln das schon, lieber Kollege, und zwar gleich jetzt, o. k.?«

Ein uniformierter Beamter betritt das Büro der Hauptkommissarin: »Draußen steht wieder dieser große Bärtige von neulich, der will Sie unbedingt sprechen und ist ganz hibbelig.«

»Na gut, gleich rein mit ihm!« Mit langen Schritten betritt der Wohnungslose das Dienstzimmer, wedelt mit der aktuellen Boulevardzeitung und legt gleich los: »Na klar war ich auf dem Klo, dem Dixi-Klo in der Nähe, ich bin doch kein Schwein. Aber ich hab das nicht umgekippt, das können Sie Ihren Leuten ruhig sagen, die da herumsuchen.«

»Die machen das schon richtig, keine Sorge. Sie bleiben hier in Hannover und sagen mir jetzt ganz genau, wo wir Sie derzeit erreichen können. Sie werden uns noch dankbar sein dafür.«

»Zunächst einmal die Fakten, Sie Klugschreiber: Der Politiker ist auf gar keinen Fall von einem eisigen Kotklumpen oder kotigem Eisklumpen erschlagen worden. Die Ausscheidungen stammen aus einem bestimmten Dixi-Klo, und wir haben außen an dessen Seitenwänden Ihre Fingerabdrücke einwandfrei gesichert. Mann, Sie sind nicht so clever, wie Sie glauben. Ihre Lage kann nur noch ein Geständnis verbessern.«

Ungewohnt nervös blickt der Journalist zu dem Uniformierten neben der Tür.

»O. k., o. k. – Ich sah die Blondine weglaufen, war neugierig, ging rüber in die sechste Triangel, bemerkte den Toten und drehte ihn um. Als mir klar wurde, wen die Blondine da erlegt hatte, kam ich auf die Idee, doppelt, wenn nicht gar dreifach von diesem professionellen Existenzvernichter zu profitieren und posthum noch den Ruf dieses Politikmonsters zu ruinieren. Deswegen das alles mit der Fäkalprobe aus Dixieland bis hin zu den realen Jet-Eisklumpen-Storys. Brieftasche, Zeitungshonorare, dazu eventuell Belohnung plus journalistischen Erfolg – es ist genau das, was einem Mann in meiner beschissenen Lage fehlt. Meine Chancen auf einen Posten bei einer Zeitung sind gleich null. Ich bin nicht mehr jung und ich brauch das Geld. Das alles mag Ihnen zynisch vorkommen, aber so denkt eben heutzutage manch abgesägte Existenz.«

»Und deswegen dieser Mord?«

»Nein. Nein. – Jaja, ich gebe ja zu, dass ich mit den Fäkalien aus dem mobilen Klo eine bizarre Spur legen wollte. Und weil der saubere Politiker sein dreckiges Geld sowieso nicht mehr benötigte, erleichterte ich ihn um seine Brieftasche. Da waren gerade mal hundert Euro drin, lächerlich. Aber der Typ war mausetot, als ich in Nummer sechs nachsah, der lag schon auf dem Bauch mit blutigem Schädel. Wenn Sie mich fragen: Ich glaube, der hat sie vergewaltigt. Scheiße, ich wollte eigentlich diese Blondine da rauslassen, lieber diese Eisklumpenvariante groß rausbringen. Warum bin ich bloß so blöd gewesen, mich als Zeuge zu melden. Aber ich brauche die Kohle einfach, verdammt noch mal. Und eines kann ich schwören: Im Boskett nebenan, der Nummer sechs, waren in jener Nacht die ganze Zeit über bloß dieser abartige Politiker und seine blonde Liebhaberin. Nur die kann es gewesen sein – falls er sich nicht selbst von hinten erschlagen hat.«