Dracula

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   In einer der großen Kisten, von denen es etwa fünfzig geben mochte, lag auf einem Haufen frisch ausgegrabener Erde – der Graf! Er war entweder tot, oder er schlief, ich konnte es nicht sagen – denn seine Augen waren offen und versteinert, aber ohne die Glasigkeit des Todes – die Wangen hatten trotz der Blässe eine warme Ausstrahlung des Lebens, und die Lippen waren rot wie immer. Aber keine Spur von Bewegung war an ihm, kein Puls – kein Herzschlag und kein Atem. Ich beugte mich über ihn und versuchte, ein Lebenszeichen zu erblicken. Er konnte da noch nicht lange gelegen haben, denn der frische Erdgeruch wäre in wenigen Stunden verflogen gewesen. Neben der Kiste stand der Deckel, hier und dort von Löchern durchbohrt. Ich hoffte, er werde die Schlüssel bei sich haben; aber als ich ihn danach durchsuchen wollte, fiel mein Blick auf seine toten Augen, in denen, so tot sie auch waren, ein starker Ausdruck von Hass lag. Und obwohl er mich nicht wahr nahm oder meine Gegenwart bemerkte, floh ich von dieser Stelle und verließ durch das offene Fenster das Zimmer des Grafen und erreichte wieder die Schlossmauer, an der ich hinauf kletterte. Nachdem ich mein Zimmer erreicht hatte, warf ich mich keuchend auf mein Bett und versuchte nachzudenken…

29. Juni. – Heute ist das Datum meines letzten Briefes. Der Graf hat alles daran getan, jeden im Glauben zu lassen, ich hätte den Brief eigenhändig aufgegeben. Ich sah den Grafen das Schloss aus seinem Fenster verlassen; und wieder war er in meinen Kleidern. Als er die Mauer wie eine Eidechse hinab stieg, wünschte ich mir ein Gewehr oder sonst eine tödliche Waffe, um ihn vernichten zu können; aber ich fürchte, eine von Menschenhand gefertigte Waffe wird ihm nicht das Geringste antun können. Ich wagte es nicht, auf seine Rückkehr zu warten, denn ich fürchtete mich davor, wieder die gruseligen Schwestern zu sehen. Ich ging in die Bibliothek zurück und las, bis ich einschlief.

   Ich wurde durch den Grafen geweckt, der sehr grimmig aussah, als er zu mir sagte:

   „Ab Morgen, mein Freund, werden wir wieder getrennte Wege gehen. Sie kehren in Ihr herrliches England zurück, und ich muss mich einer Beschäftigung widmen, die so ausgehen kann, dass wir uns vielleicht nie wieder sehen. Ihr letzter Brief ist versandt worden; morgen werde ich nicht hier sein, aber es ist alles für Ihre Abreise vorbereitet. In der Früh kommen die Zigeuner, die noch einige Arbeiten hier zu verrichten haben; und auch einige Slowaken werden hier sein. Wenn alle fort sind, wird mein Wagen Sie abholen und zum Borgo-Pass bringen, wo Sie den Postwagen von Bukowina nach Bistritz erreichen werden. Aber ich hoffe, dass ich Sie noch öfter hier sehe auf Schloss Dracula.“ Ich vertraute ihm nicht und wollte seine Ehrlichkeit auf die Probe stellen. Ehrlichkeit! Es ist wie eine Entweihung dieses Wortes, wenn es in Zusammenhang mit diesem Scheusal gebracht wird. Und so fragte ich ihn unverblümt:

   „Warum soll ich denn nicht heute Nacht abreisen?“

   „Weil, lieber Herr, mein Kutscher und meine Pferde gerade wegen eines anderen Auftrages unterwegs sind.“

   „Aber ich würde mit Freude auch zu Fuß gehen. Ich möchte gleich jetzt marschieren.“ Er lächelte – so sanft, milde und solcherart diabolisch, dass ich wusste, dass in seiner Sanftheit ein Haken verborgen war. Er sagte:

   „Und was ist mit Ihrem Gepäck?“

   „Ich brauche es nicht. Ich kann es bei Zeiten nachschicken lassen.“ Der Graf stand auf und sagte mit so feiner Liebenswürdigkeit, dass ich mir die Augen reiben musste, um mich meiner Wachheit zu versichern:

   „Ihr Engländer habt eine Redensart, die mir besonders nahe ist, weil sie auch den Geist von uns Bojaren beherrscht: ‚Heiße den kommenden Gast herzlich willkommen, aber halte den Abreisenden nicht auf.’ Kommen Sie mit mir, mein lieber junger Freund. Nicht einen Augenblick sollen Sie gegen Ihren Willen in meinem Haus sein. Dennoch bin ich traurig über Ihre Abreise, die Sie so plötzlich wünschen. Kommen Sie!“ Mit vornehmer Haltung stieg er, mit der Lampe in der Hand, vor mir die Stiege hinunter und durchschritt die Halle. Plötzlich blieb er stehen:

   „Hören Sie!“

   Ganz in der Nähe ertönte das Heulen vieler Wölfe. Es war, als ginge der Lärm in dem Augenblick los, als er die Hand erhob. Ganz so, als reagiere ein großes Orchester auf den Schlag des Dirigenten mit dem Taktstock. Nach einer kurzen Pause schritt er auf seine stattliche Art auf das Tor zu, zog die gewichtigen Riegel zurück, hakte die schweren Ketten los und öffnete langsam das Tor.

   Zu meinem höchsten Erstaunen musste ich bemerken, dass es unverschlossen war. Voll Misstrauen sah ich näher hin, konnte aber keinen Schlüssel entdecken.

   Als das Tor aufging, wurde draußen das Heulen der Wölfe lauter und wilder; sie drängten sich mit ihren roten Rachen, den fletschenden Zähnen und ihren stumpfen Krallen an den Pfoten durch die offene Tür. Da wusste ich, dass es im Moment sinnlos wäre, den Kampf gegen den Grafen aufzunehmen. Gegen ihn, der solche Verbündete kommandiert, kann ich nichts ausrichten. Aber noch, als sich langsam das Tor öffnete, stand lediglich der Graf allein im Türspalt. Plötzlich durchzuckte es mich, und es wurde mir bewusst, dass der Moment und auch die Werkzeuge meines Unterganges bereits da waren; ich sollte den Wölfen vorgeworfen werden und hatte es ja selbst veranlasst. Es lag eine teuflische Boshaftigkeit in dieser Idee – gerissen genug, um vom Grafen zu stammen. Den letzten Ausweg sehend, schrie ich:

   „Schließen Sie das Tor; ich warte gerne bis morgen!“ Dann bedeckte ich mein Gesicht mit den Händen, um die bitteren Tränen der Enttäuschung zu verbergen. Mit einer Bewegung seines mächtigen Armes warf der Graf das Tor zu, dass die schweren Türriegel klirrten und ein Echo in der Halle erzeugten, als sie zusprangen.

   Wir kehrten schweigend zur Bibliothek zurück, und nach einer oder zwei Minuten begab ich mich auf mein Zimmer. Das Letzte, was ich von Graf Dracula sah, war, dass er seine Hand küsste und mir diese Küsse zuwarf; seine Augen leuchteten im Triumph rot auf, und er hatte ein Lächeln, das selbst Judas in der Hölle stolz gemacht hätte.

   Als ich in meinem Zimmer angekommen war und mich eben niederlegen wollte, dachte ich ein Flüstern vor meiner Türe zu hören. Ich ging leise hin und lauschte. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, so hörte ich die Stimme des Grafen, die sagte:

   „Zurück, zurück, auf eure Plätze! Eure Zeit ist noch nicht gekommen. Wartet. Habt Geduld. Die morgige Nacht, die morgige Nacht ist euer!“ Ein leises, süßes Kichern war die Antwort. Wütend stieß ich die Türe auf. Draußen waren die drei schrecklichen Frauen, die sich gierig ihre Lippen leckten. Als ich erschien, brachen sie alle zusammen in ein widerliches Gelächter aus und liefen davon. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und warf mich auf die Knie. Ist mein Ende denn schon so nahe? Morgen! Morgen! Gott, hilf mir und denen, die mich lieb haben!

30. Juni, morgens. – Das werden wohl die letzten Worte sein, die ich in dieses Tagebuch schreibe. Ich schlief bis kurz vor Tagesanbruch, und als ich aufwachte, warf ich mich auf die Knie – denn ich wollte dem Tod vorbereitet entgegen treten.

   Dann fühlte ich die eigenartigen Veränderungen in der Luft und wusste, dass der Morgen gekommen war. Nun ertönte auch der ersehnte Hahnenschrei, und ich wusste, dass ich in Sicherheit war. Mit frohem Herzen öffnete ich meine Türe und eilte hinunter nach der großen Halle. Ich hatte gesehen, dass das Tor unverschlossen war, und dass mir der Weg zur Freiheit offen stand. Meine Hände zitterten vor Erregung, als ich die schweren Ketten aushakte und die massiven Riegel zurückschob. Aber das Tor bewegte sich nicht; Verzweiflung erfasste mich. Ich zog und riss am Tor und rüttelte daran, bis es, schwer wie es war, in den Türangeln rasselte. Ich konnte den vorgeschobenen Riegel sehen. Die Tür musste verschlossen worden sein, nachdem ich Graf Dracula verließ.

   Da ergriff mich ein wildes Verlangen, den Schlüssel, bei allem Risiko, an mich zu bringen. Ich beschloss, nochmals die Mauer hinunterzuklettern, und in das Zimmer des Grafen einzudringen. Er mochte mich töten – doch der Tod schien mir das kleinere Übel zu sein. Ohne mich aufzuhalten, rannte ich zum östlichen Fenster und kletterte, wie ich es schon einmal tat, die Mauer hinab und stieg über das Fenster in das Zimmer des Grafen. Es war leer, was ich auch erwartete. Ich konnte nirgendwo einen Schlüssel finden, aber der Haufen Gold war noch da. Ich ging durch die Türe, die sich in der Ecke befand, die Wendeltreppe hinunter und dann durch den finsteren Gang zur alten Kapelle. Ich wusste jetzt genau, wo das Monster zu finden ist, das ich suchte.

   Die große Kiste stand auf demselben Platz, dicht an der Mauer. Der Deckel lag schon darauf, war aber noch nicht fest gemacht. Die Nägel waren schon kurz ins Holz getrieben und warteten nur noch darauf, ganz hinein geschlagen zu werden. Ich musste nun den Grafen nach dem Schlüssel durchsuchen, deshalb hob ich den Deckel vom Sarg und lehnte ihn gegen die Wand; und dann sah ich etwas, das meine Seele mit schlimmstem Grauen erfüllte. Da lag der Graf, aber er sah aus, als sei seine Jugend zur Hälfte zurückgekehrt. Sein zuvor weißes Haar und der Schnurrbart glänzten nun einem dunklen Eisengrau; seine Wangen waren voller, und die weiße Haut schien weinrot unterlegt; der Mund war röter denn je, und auf den Lippen befanden sich Tropfen frischen Blutes, das in den Mundwinkeln zusammenfloss und schließlich über Kinn und Hals hinunter sickerte. Selbst die brennenden Augen lagen nicht mehr so tief, denn es schien, als wäre das Fleisch um sie herum stärker geworden, und auch die Lider und Tränensäcke waren gut mit Blut gefüllt. Es schien mir überhaupt, als sei die ganze grauenvolle Kreatur mit Blut einfach voll gepumpt; er lag da wie ein satter Blutegel. Ich schauderte, als ich mich über ihn beugte, um ihn zu durchsuchen – all meine Sinne sträubten sich gegen eine Berührung; aber ich musste suchen, andernfalls war ich verloren. Und für die entsetzlichen drei Frauen würde ich in der kommenden Nacht ein blutiges Festmahl abgeben. Ich tastete den ganzen Körper ab, doch von einem Schlüssel fehlte jede Spur. Dann hielt ich mit der Suche kurz auf inne und betrachtete den Grafen. Es lag ein spöttisches Lächeln auf seinem aufgeblasenen Gesicht, das mich wahnsinnig hätte machen können. Das war das Wesen, dem ich helfen wollte, nach London zu übersiedeln, wo es vielleicht Jahrhunderte lang unter den sich wimmelnden Millionen von Menschen seine Blutgier sättigen, und wo er einen neuen und immer größer werdenden Zirkel von Halbdämonen schaffen würde, um dann die Wehrlosen zu jagen. Allein der Gedanke erzürnte mich. Eine schreckliche Lust kam über mich, die Menschheit aus den Klauen dieses Ungeheuers zu befreien. Eine tödliche Waffe war nicht bei der Hand; aber ich ergriff eine Schaufel, die von den Arbeitern zum Füllen der Kisten verwendet wurden, und holte weit aus, um mit der scharfen Kante in das verhasste Gesicht zu schlagen. Aber als ich das gerade tun wollte, drehte sich plötzlich der Kopf, und er sah mir direkt ins Gesicht – mit dem ganzen Schrecken eines Basiliskenblickes. Der Anblick schien mich fast zu lähmen, die Schaufel zitterte in meinen Händen, fiel kraftlos herunter und riss dabei eine klaffende Wunde in die Stirne des Grafen. Dann glitt sie mir aus der Hand, fiel über die Kiste, und als ich sie da wegstieß, berührte sie den daneben stehenden Deckel, der umfiel und das hässliche Etwas verschwinden ließ. Das Letzte, was ich sah, war das aufgedunsene Gesicht, blutunterlaufen und mit einem starren, höhnischen Lächeln, das selbst in der grauenhaftesten Hölle Eindruck gemacht hätte.

 

   Ich dachte und dachte, was ich nun als Nächstes tun sollte, aber mein Kopf lief heiß, und ich wartete, während sich ein Gefühl der Verzweiflung meiner bemächtigte. Doch dann hörte ich aus der Ferne ein Zigeunerlied, das von frohen Stimmen gesungen wurde und immer näher zu kommen schien. Trotz des Gesangs waren die schweren Räder und das Knallen der Peitschen deutlich hörbar; die Zigeuner und Slowaken, von denen der Graf gesprochen hatte, kamen wohl gerade. Mit einem letzten Blick um mich herum und auf die Kiste, die den widerwärtigen Leib beinhaltete, lief ich von dort weg und erreichte das Zimmer des Grafen. Ich war fest entschlossen, in dem Moment zu flüchten, wenn das Tor geöffnet würde. Angespannt lag ich auf der Lauer und hörte von unten das kreischende Geräusch eines Schlüssels in dem großen Schlüsselloch sowie das Zurückfallen des schweren Tores. Es müssen noch andere Zugänge da gewesen sein oder einer hatte den Schlüssel zu einer der versperrten Türen. Dann hörte ich das Geräusch vieler trampelnder Schritte, die ein klirrendes Echo erzeugten und in irgendeinem Durchgang ausklangen. Ich beeilte mich, wieder hinunter zu dem Gewölbe zu kommen, wo ich den neuen Eingang finden musste; aber in diesem Moment kam ein kräftiger Windstoß und die Tür, die zur Wendeltreppe führte, fiel mit einem schallenden Krach zu, dass der Staub vom Türrahmen flog. Als ich hineilte, um sie aufzudrücken, fand ich sie hoffnungslos fest verschlossen. Ich war von Neuem gefangen und das Netz des Verderbens zog sich noch enger um mich zusammen.

   Während ich dies schreibe, höre ich unten im Durchgang den Lärm trampelnder Füße und das Niederkrachen schwerer Lasten; zweifelsfrei sind es die erdgefüllten Kisten. Dann höre ich jemanden hämmern; es ist wohl die Kiste, die zugenagelt wird. Nun tönen wieder die schweren Schritte durch die Halle, gefolgt von Tritten mit etwas mehr Müßiggang.

   Das Tor wird geschlossen, die Ketten klirren; dann kreischt der Schlüssel im Schlüsselloch. Ich kann es hören, wie er herausgezogen wird; dann öffnet und schließt sich ein anderes Tor; Schloss und Riegel knarren.

Horch! Im Hofe und den felsigen Weg hinunter klingt das Rollen schwerer Räder, das Knallen von Peitschen und der Gesang der Szgany, der in weiter Ferne einsetzte.

   Ich bin nun allein im Schloss, allein mit den unheimlichen Frauen. Pfui! Mina ist doch auch eine Frau, und dennoch haben sie so gar nichts gemeinsam. Sie sind die Ausgeburten der Hölle!

   Ich werde nicht bei ihnen hier bleiben; ich werde versuchen, die Schlossmauer noch tiefer hinunter zu steigen als ich es bisher tat. Ich will mir etwas von dem Gold mitnehmen, vielleicht kann ich es noch irgendwo später brauchen. Ich muss einen Ausweg von diesem scheußlichen Ort finden.

   Und dann weg von hier und nach Hause! Hin zum schnellsten, zum nächsten Zug! Fort von diesem verfluchten Schauplatz, aus diesem verdammten Land, wo der Teufel und seine Schergen in Menschengestalt ihr Unwesen treiben!

   Gottes Gnade ist mir lieber als die der Ungeheuer, und der Abgrund ist steil und tief. An seinem Fuße mag wohl ein Mann als ein Mann schlafen. Lebt alle wohl! Mina!

FÜNFTES KAPITEL
BRIEF VON FRÄULEIN MINA MURRAY AN FRÄULEIN LUCY WESTENRAA

9. Mai

Teuerste Lucy!

Vergib mir, dass ich mit dem Briefschreiben schon so lange im Rückstand bin, aber ich werde von Arbeit beinahe erdrückt. Das Leben einer Schulassistentin ist oft sehr anstrengend. Ich sehne mich danach, bei dir, und an der See zu sein, wo wir frei miteinander plaudern und unsere Luftschlösser bauen können. Ich habe in letzter Zeit sehr viel gearbeitet, da ich gerne mit Jonathans Studien Schritt halten möchte; und ich übe auch äußerst emsig die Stenographie. Wenn wir verheiratet sind, möchte ich Jonathan eine Hilfe und nützlich sein; und wenn ich ausreichend stenographieren kann, bin ich imstande, die Dinge, die er notiert hat, mittels Schreibmaschine auf Papier zu übertragen. Und auch an der Schreibmaschine übe ich fleißig; Jonathan und ich, wir schreiben einander oft Briefe – stenographisch verfasst. Über seine Reisen führt er ein in Kurzschrift gehaltenes Tagebuch. Wenn ich bei dir bin, werde ich auch eines führen, auf gleiche Art. Ich meine nicht dieses Zwei-Seiten-Pro-Woche-Tagebuch mit einer sonntäglichen kleinen Eintragung in einem Eckchen. Nein, es soll ein richtiges Büchlein sein, in dem ich Aufzeichnungen vornehmen kann, wann immer ich dazu in Stimmung bin. Ich glaube, dass es für andere Leute nicht besonders interessant sein wird; aber dafür ist es auch gar nicht ausgerichtet. Ich möchte es gern Jonathan zeigen, wenn irgendetwas Mitteilenswertes vorfällt; hauptsächlich soll es aber ein Übungsheft für mich sein. Ich werde versuchen, so zu tun wie ich es weibliche Journalisten machen sah: Interviewen, Schilderungen verfassen und versuchen, mich der Gespräche, die ich hielt, zu erinnern. Mir wurde erzählt, dass man mit einiger Übung sich alles entsinnen kann, was man den Tag über erlebt und gehört hat. Nun, wir werden sehen. Ich werde Dich mit allem vertraut machen, wenn wir beieinander sind. Gerade habe ich einige flüchtige Zeilen von Jonathan aus Transsylvanien erhalten. Es geht ihm gut, und er wird in einer Woche heimkehren. Ich brenne schon darauf, seine Neuigkeiten erzählt zu bekommen. Es muss so schön sein, fremde Länder zu bereisen. Ich frage mich, ob wir, Jonathan und ich, sie jemals gemeinsam erkunden werden. Es schlägt zehn Uhr. Auf Wiedersehen.

In Ergebenheit,

DEINE MINA

Du musst mir alles Neue erzählen, wenn du mir schreibst. Du hast mir schon lange nichts mehr zukommen lassen. Ich höre da Gerüchte, und insbesondere von einem großen, attraktiven und kraushaarigen Mann???

BRIEF – VON LUCY WESTENRAA AN MINA MURRAY

17, Chatham Street,

Mittwoch.

Liebste Mina,

Ich muss schon sagen, du behandelst mich sehr unfair, wenn du mich eine nachlässige Briefpartnerin nennst. Ich schrieb dir zweimal, seitdem wir voneinander abreisten, und dein letzter Brief war auch erst der zweite. Zudem habe ich dir nichts zu erzählen. Es gibt wirklich nichts, was dich interessieren könnte. Die Stadt ist jetzt sehr angenehm, und die meiste Zeit widmen wir uns dem Besuch von Galerien, Spaziergängen und Ausritten im Park. Was den attraktiven, kraushaarigen Mann angeht, so denke ich, dass du den meinst, den ich beim letzten Konzert kennen gelernt habe. Jemand fantasiert hier wohl großzügig. Es war Herr Holmwood. Er kommt öfter zu uns. Er und Mama vertragen sich recht gut; sie haben so viel gemeinsam zu bereden. Wir trafen vor einiger Zeit einen Herrn, der etwas für dich wäre; wenn du nicht schon mit Jonathan verlobt wärest. Er ist eine hervorragende Partie: Hübsch, wohlhabend und aus gutem Haus. Er ist Arzt und wirklich tüchtig. Stell dir nur vor, er ist neunundzwanzig Jahre, und ist bereits der Leiter einer riesigen Irrenanstalt. Herr Holmwood stellte ihn mir vor, und er besuchte uns und kommt nun häufig. Mir ist, als sei er der entschlossenste und ruhigste Mann, denn ich jemals sah. Er scheint absolut unerschütterlich. Ich kann mir lebhaft den kraftvollen Einfluss vorstellen, den er auf seine Patienten ausüben muss. Er hat die sonderbare Angewohnheit, einem direkt ins Gesicht zu sehen, so als wolle er einem die Gedanken lesen. Er versucht es auch öfter bei mir, aber ich lobe mich, eine recht harte Nuss für ihn zu sein. Ich kenne das aus meinem Spiegel. Probierst du nicht auch öfter dein Gesicht zu analysieren? Ich tue es und sage dir, es ist kein schlechtes Studium. Es gibt dir mehr zu denken, als du dir vorstellen kannst, wenn du es noch nie versucht hast. Er sagt, ich sei ihm ein psychologisches Kuriosum, und in bescheidener Weise glaube ich es ihm. Wie du weißt, habe ich kein besonderes Interesse an Kleidern, sodass ich dir nicht beschreiben kann, was gerade modisch angesagt ist. Kleidung ist stinklangweilig. Wieder diese saloppe Umgangssprache, aber es macht nichts; Arthur sagt das jeden Tag. Nun ist alles erzählt. Mina, wir haben uns von Kindheit an all unsere Geheimnisse anvertraut; wir haben beieinander geschlafen und miteinander gegessen, gelacht und geweint; und jetzt, wo ich schon einmal etwas gesagt habe, würde ich gerne mehr sagen. Mina, hast du denn gar keine Vermutung? Ich liebe ihn. Ich erröte jetzt beim Schreiben. Ich glaube zwar, dass auch er mich liebt, doch er hat sich dazu noch nicht geäußert. Ach, Mina, ich liebe ihn; ich liebe ihn; ich liebe ihn! So, das tat jetzt gut. Ich wollte, ich wäre bei dir, meine Liebe, und wir säßen zusammen beim Auskleiden am Feuer, wie wir es zu tun gewohnt sind; dabei könnte ich dir alles erzählen, was ich fühle. Ich weiß nicht, warum ich dir das alles schreibe. Ich befürchte, dass ich aufhören und eigentlich den Brief zerreißen sollte. Und doch will ich nicht aufhören, denn es ist mir ein Anliegen, dir alles zu erzählen. Lass alsbald von dir hören und teile mir alles mit, was du davon hältst. Mina, ich muss aufhören. Gute Nacht; schließ mich in deine Gebete mit ein; und, Mina, bete für mein Glück.

LUCY

P.S. – Ich brauch dir wohl nicht sagen, dass das alles geheim bleiben muss. Doch nochmals, Gute Nacht.

„L.“

BRIEF VON LUCY WESTENRAA AN MINA MURRAY

Liebste Mina, -

Danke, Danke und nochmals Danke für deinen lieben Brief! Es war doch gut, dass ich dir alles erzählt habe und nun auch deine Anteilnahme habe.

   Meine Liebste, es regnet nicht, es gießt in Strömen. Wie zutreffend die alten Redensarten sind. Hier bin ich nun. Ich, die im September zwanzig werden soll, hatte bis heute noch keinen Heiratsantrag; zumindest noch keinen ernsthaften. Und heute kamen ihrer gleich drei. Stell Dir nur vor, drei Anträge an einem Tag! Ist das nicht gewaltig? Es tut mir leid, wirklich und aufrichtig leid um zwei der armen Heiratswerber. Oh Mina, ich bin ja so glücklich, dass ich mich kaum noch beruhigen kann. Drei Anträge! Aber erzähle ja nichts einem der jungen Mädchen, denn sonst bekommen sie noch Hirngespinste und fühlen sich verletzt und beleidigt, wenn nicht am ersten Tag, wo sie zu Hause sind, mindestens sechs Anträge herein kommen. Manche Mädchen sind so eingebildet. Du und ich, meine liebe Mina, wir sind gebunden und bald sesshaft wie alte verheiratete Damen, wir können solche Eitelkeiten nur verachten. Nun muss ich dir über die Drei erzählen, mein Schatz, aber du musst es vor allen geheim halten, außer natürlich vor Jonathan. Du wirst es ihm sicher erzählen. Ich würde es, wäre ich an deiner Stelle, gewiss auch Arthur erzählen. Eine Frau muss ihrem Partner alles erzählen – denkst du nicht ebenso, meine Liebe? -, und ich möchte offen sein. Männer mögen Frauen – gewiss die eigenen –, wenn sie genau so offen sind wie sie selbst; aber Frauen, fürchte ich, sind nicht immer so redlich, wie sie es eigentlich sein müssten. Also, meine Liebe, Nummer Eins kam vor dem Mittagessen. Ich erzählte dir schon von ihm, Dr. John Seward, der Arzt aus der Nervenheilanstalt; der mit dem strengen Kiefer und der liebenswerten Stirn. Äußerlich war er sehr kühl, aber er war doch die gesamte Zeit über nervös. Er hatte offensichtlich alles bis ins kleinste Detail einstudiert und hat nichts davon vergessen; und dennoch brachte er es beinahe zustande, sich beim Platz nehmen auf seinen Zylinder zu setzen. Das machen Männer im großen Ganzen doch nicht, wenn sie wirklich abgebrüht sind. Als er dann versuchte, ruhig zu erscheinen, spielte er mit einer Lanzette – ein kleines Operationsmesser – auf eine Art und Weise, die mich fast zum Schreien brachte. Er sprach, liebe Mina, sehr aufrichtig mit mir. Er sagte mir, wie lieb ich ihm sei, auch wenn er mich erst so kurz kenne, und wie schön sein Leben wäre, wenn ich ihm helfen und ihn aufmuntern wollte. Dann sagte er, er würde sehr unglücklich sein, wenn ich mir aus ihm nichts mache. Als er mich dann weinen sah, nannte er sich einen Wilden und versprach mir, meinem Schmerz nicht noch einen hinzuzufügen. Dann brach er ab und fragte mich, ob ich ihn vielleicht mit der Zeit lieb gewinnen könnte; und als ich meinen Kopf schüttelte, zitterten seine Hände, und er fragte zögerlich, ob ich schon an einem Anderen Interesse hätte. Er betonte es derart schön, indem er sagte, er wolle mein Vertrauen nicht erzwingen, sondern nur Klarheit haben – denn solange das Herz einer Frau noch frei ist, könne sich ein Mann Hoffnungen machen. Und da, Mina, fühlte ich mich gezwungen, ihm offen zu sagen, dass es jemand Anderen gebe. Ich erzählte ihm nur das. Dann stand er auf und blickte mich sehr streng und ernst an, als er meine Hände mit seinen umfasste und sagte, er hoffe, dass ich glücklich werde, und wenn ich einen Freund benötige, so solle ich ihn als meinen besten betrachten. Ach, liebe Mina, ich kann nicht anders als weinen; u musst entschuldigen, dass ich den Brief mit meinen Tränen beflecke. Verlobt zu sein, und alles damit Verbundene ist sehr nett. Aber es ist gar nicht fein, einen traurigen Mann mitzuerleben, der dich ernsthaft liebt, und dich schließlich mit gebrochenem Herzen verlässt, und man weiß genau, was auch immer er in diesem Moment sagen wird, du bist für immer aus seinem Leben gestrichen. Meine Liebste, ich muss hier Schluss machen. Ich fühle mich miserabel und bin doch auch glücklich.

 

Abends.

Eben ist Arthur fort gegangen, und ich bin in besserer Stimmung als zuvor, deshalb kann ich fortfahren, dir von den Ereignissen des Tages zu erzählen. Nun, meine Liebe, Nummer Zwei kam nach dem Lunch. Er ist ein reizender Mensch, ein Amerikaner aus Texas, und er sieht so jung und frisch aus, dass es unmöglich erscheint, dass er derart viel von der Erde gesehen und so viele Abenteuer erlebt hat. Mir erging es wie der armen Desdemona, als sie ihr die gefährlichen Wörter ans Ohr gelangten – wenn auch von einem farbigen Mann. Ich glaube, dass wir Frauen feige sind. Wir glauben, ein Mann könne uns vor Gefahren beschützen und deshalb heiraten wir ihn. Nun weiß ich, was zu tun wäre, wenn ich ein Mann sein würde und ein Mädchen in mich verliebt machen möchte. Andererseits weiß ich es doch wieder nicht. Denn Herr Morris erzählte uns seine Geschichten – Arthur erzählt mir hingegen nie welche; aber, meine Liebe, jetzt habe ich schon ein wenig vorgegriffen. Also Herr Quincey P. Morris traf mich, als ich allein war. Es scheint mir, als fände ein Mann ein Mädchen immer allein vor. Nicht immer. Arthur versuchte zweimal bei mir zu landen, und ich half ihm so gut ich nur konnte dabei; ich schäme mich dessen nicht. Ich muss dir im Voraus sagen, dass Herr Morris nicht immer im Slang spricht – das heißt, er tut es nie gegenüber Fremden oder in deren Gegenwart, denn er ist wirklich gut erzogen und hat hervorragende Manieren. Aber er fand heraus, dass es mir gefällt, ihn im amerikanischen Slang sprechen zu hören. Und wann immer ich in seiner Nähe war und keiner da war, den der Slang gestört hätte, sagte er immer die witzigsten Dinge. Ich befürchte, mein Schatz, er hat all die Wörter erfunden, denn alles, was er sagt, passt perfekt zueinander. Aber das ist die Eigenart des Slangs. Ich weiß nicht, ob ich jemals Slang sprechen werde; ich weiß nicht, ob Arthur es überhaupt mag, denn ich habe ihn bis jetzt noch nicht Slang sprechen gehört. Gut, Herr Morris setzte sich neben mich und sah so glücklich und vergnügt aus wie er nur konnte; aber ich bemerkte trotzdem, dass er sehr aufgeregt war. Er legte meine Hand in seine und sagte auf bezaubernde Art:

   „Fräulein Lucy, ich weiß, ich bin nicht einmal gut genug, die Bänder von Ihren kleinen Schuhen zu binden; aber wenn Sie auf einen Mann warten wollen, der Ihnen ebenbürtig ist, dann werden Sie sich den sieben Jungfrauen mit den Lampen anschließen können. Wollen Sie sich nicht bei mir einhängen und den langen Weg gemeinsam mit mir durchfahren – im Zweiergespann?“

   Er sah dabei so witzig und fröhlich aus, dass es mir nicht halb so leid tat, ihn zurückzuweisen wie beim armen Dr. Seward. Deshalb sagte ich, so klar ich nur konnte, ich wüsste nicht, wie ich dazu käme, mich bei ihm einzuhängen, und wäre auch gar nicht darauf aus, im Zweiergespann mit ihm zu fahren. Da erwiderte er mir, dass er doch nur sinnbildlich gesprochen hätte und hoffe, ich werde es ihm nicht verübeln, dass er in einem für ihn so ernsten und wichtigen Moment solche Dinge geredet habe. Er sah dabei wirklich ernst aus, als er das sagte, und ich konnte nicht anders als auch ernst zu werden. Ich weiß, Mina, Du wirst mich einen schrecklichen Narren nennen, da ich eine gewisse Freude, dass er heute schon die Nummer Zwei war, fast nicht unterdrücken konnte. Und dann, ehe ich ein Wort zu sagen vermochte, schüttete er einen ganzen Schwall von Liebesbeteuerungen über mich aus, indem er mir Herz und Seele zu Füßen legte. Er machte dabei ein so ernstes Gesicht, dass ich mir vornahm, nie mehr zu glauben, ein Mann, der ab und zu Späße macht, sei immer scherzhaft und könne nie ernst sein… Ich denke, er sah etwas in meinem Gesicht, das ihn verrückt machte, denn er hielt plötzlich inne und sagte mit männlicher Entschlossenheit, wegen der ich ihn allein schon lieben könnte, wenn ich frei wäre:

   „Lucy, Sie sind ein ehrliches Mädchen – ich weiß es. Ich würde nicht so zu Ihnen sprechen, wenn ich nicht wüsste, dass Sie rein sind bis in die verborgensten Tiefen Ihrer Seele. Sagen sie mir, wie es Freunde machen, haben Sie schon einen lieb? Und wenn es so ist, will ich Sie nicht weiter belästigen; aber ich werde Ihnen, wenn Sie nichts dagegen haben, ein treuer Freund sein.“

   Meine liebe Mina, warum sind die Männer bloß so edel, wo wir ihrer doch gar nicht wert sind? Ich habe mich über diesen großherzigen, braven Mann lustig gemacht. Ich brach wieder in Tränen aus – ich fürchte, Liebste, du wirst sagen, das sei ein sehr wässriger Brief – und ich fühlte mich wirklich elend. Warum kann ein Mädchen nicht drei Männer heiraten oder eben so viele, wie sich um sie bewerben? Dadurch könnte so viel Verwirrung und Herzensschmerz verhindert werden. Aber das ist ja Ketzerei, und ich sollte so etwas gar nicht sagen; ich gestehe offen, dass ich durch meine Tränen in die guten Augen von Herrn Morris blickte; dann sagte ich ihm frei heraus:

„Ja, ich liebe einen, obgleich er mir bis heute noch nicht gesagt hat, dass er auch mich liebt.“ Ich hatte recht daran getan, so offen mit ihm zu sprechen, denn es zog wie ein Leuchten über sein Antlitz und er ergriff meine beiden Hände – ich glaube, ich habe sie ihm sogar selbst gegeben – und sagte auf so herzliche Art: