Loe raamatut: «Elisabeth»
Mit 103 Abbildungen, davon 23 in Farbe
1. Auflage Oktober 1997
2. Auflage November 1997
Überarbeitete Neuausgabe der 1981 bei Amalthea
erschienenen Erstausgabe
© 1997 by Amalthea
in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH,
Wien . München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger
& Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
Gesetzt aus der 11/14 Punkt Stempel-Garamond
auf Apple Macintosh in QuarkXPress
Druck und Binden: Wiener Verlag, Himberg
Printed in Austria
ISBN 3-85002-401-6
eISBN 978-3-902862-96-9
Vorwort
Gegenstand dieser Biographie ist eine Frau, die sich weigerte, sich ihrem Stand gemäß zu verhalten. Mit beachtlichem Selbstbewußtsein erstrebte und erreichte sie jenes Ziel, das erst die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts mit ihrem Schlagwort »Selbstverwirklichung« formulierte.
Sie spielte keine der Rollen, die ihr Tradition und Umwelt zuerteilten: nicht die Rolle der liebend-ergebenen Ehefrau, nicht die Rolle der Familienmutter, nicht die Rolle der ersten Repräsentationsfigur eines Riesenreiches. Sie pochte auf ihr Recht als Individuum – und setzte dieses Recht durch. Daß diese ihre »Selbstverwirklichung« nicht zu ihrem Glück führte, macht die Tragik ihrer Lebensgeschichte aus – ganz abgesehen von den Tragödien im engsten Familienkreis, die sie durch ihre Verweigerung auslöste. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen (um nur die wichtigsten Würden anzuführen) war im Herzen Republikanerin, bezeichnete die altehrwürdige Monarchie als »vergang’ner Pracht Skelett« und als Eichbaum, der fallen müsse, da er sich überlebt habe. Sie geißelte die Auswüchse des aristokratischen Systems, verhöhnte Könige und Fürsten, so wie sie es von ihrem verehrten Vorbild und »Meister« Heinrich Heine gelernt hatte.
Klassenbewußtsein war ihr fremd, und zwar in solchem Ausmaß, daß die Person der Kaiserin-Königin am Wiener Hof schließlich als Fremdkörper und als Provokation für die nach den althergebrachten Regeln lebende Hofgesellschaft wirkte – und diese Wirkung beabsichtigte Elisabeth.
Einerseits stellt Kaiserin Elisabeth als Anhängerin demokratischer Ideen eine Besonderheit (ja ein Kuriosum) dar, andererseits zeigt sich gerade am Beispiel ihrer Person die Macht der antimon archischen Ideen im späten 19. Jahrhundert. Diese Ideen machten keinen Halt vor den Fürsten, die nun an der Rechtmäßigkeit ihrer (ererbten und nicht erworbenen) elitären Stellung zu zweifeln begannen. Die Bemerkung, die Graf Alexander Hübner am 18. 11. 1884 in sein Tagebuch schrieb, hat wohl ihre Berechtigung: »Tatsache ist, dass kein Mensch mehr an Könige glaubt und ich weiss nicht, ob sie an sich selbst glauben.« Und Elisabeths Dichterfreundin Carmen Sylva (Königin Elisabeth von Rumänien) drückte es noch krasser aus: »Die republikanische Staatsform ist die einzig rationelle; ich begreife immer die törichten Völker nicht, daß sie uns noch dulden.«
Diese Ansicht führte zu erheblichen Standeskonflikten. Denn das Bewußtsein ihrer Individualität machte die von den modernen Ideen infizierten Aristokraten zwar willens, sich als einer unter vielen gleichen zu profilieren (vor allem durch die bürgerlichen Tugenden der »Leistung« und »Bildung«). Nur zu oft aber mußten sie erkennen, daß sie in dieser Konkurrenz nicht mithalten konnten (jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie es ihrer elitären Herkunft entsprochen hätte), daß ihr Wert als Individuum also mit der außerordentlichen Stellung in der Gesellschaft nicht übereinstimmte und letzten Endes doch nichts von ihnen bleiben würde als ein Titel, den sie sich nicht erarbeitet hatten, und eine Funktion, deren Wert sie nicht anerkannten. Dies war die Tragödie der Kaiserin Elisabeth ebenso wie die ihres Sohnes Rudolf.
Elisabeths Leben ist voll krampfhafter, ja verbissener Anstrengungen, sich als Individuum zu profilieren. Der erste und zugleich erfolgreichste Versuch war der, schön zu sein. Diese sagenhafte Schönheit der Kaiserin Elisabeth war keineswegs nur eine Gabe der Natur, sondern auch das Ergebnis eiserner Selbstbeherrschung und lebenslanger Disziplin, schließlich sogar körperlicher Quälerei. Ganz ähnlich entstand ihr Ruhm als Spitzensportlerin, als erster Parforce-Reiterin Europas in den siebziger Jahren, ein Ruhm, der mit zunehmendem Alter zwangsläufig verblassen mußte, trotz aller Disziplin – ebenso wie der Ruhm der Schönheit.
Den größten Ruhm erwartete sie sich von der Nachwelt: eine begnadete Dichterin zu sein. Die Zeugnisse ihrer Anstrengungen – bisher unbekannte Gedichte im Umfang von über fünfhundert Seiten aus den achtziger Jahren – bilden die Grundlage dieses Buches. Sie stellen intimste und persönlichste Aussagen Elisabeths über sich selbst, ihre Umwelt und ihre Zeit dar, zeigen aber auch deutlich ihr Scheitern: denn sie begründen keineswegs Elisabeths Nachruhm als große Dichterin, den sie sich ersehnte. Nicht wegen ihres Kunstwertes sind diese Verse für uns interessant, denn der Dilettantismus in der Heine-Nachfolge ist kaum zu übersehen und zu beschönigen. Wir beschäftigen uns mit diesen Gedichten, weil sie von einer Kaiserin-Königin stammen und Quellen darstellen zur Geschichte der Habsburgermonarchie wie zur Geschichte des Denkens einer »aufgeklärten« Aristokratin, einer gebildeten Frau des 19. Jahrhunderts. Schließlich dienen uns die Verse zur Illustration des »nervösen Jahrhunderts«, eines die Grenzen der Realität oft überschreitenden Gefühlslebens.
Ich bin der Schweizer Bundesregierung und der Direktion des Schweizer Bundesarchivs in Bern zu tiefstem Dank verpflichtet, daß sie mir die Erlaubnis zur erstmaligen Einsicht in diese bisher streng geheimgehaltenen Quellen gegeben haben. Für die Erteilung dieser Genehmigung setzte sich in dankenswerter Weise unser väterlicher Freund, Prof. Dr. Jean-Rudolf von Salis ein. Daß die Kaiserin das, was ihr am wertvollsten erschien, eben ihren literarischen Nachlaß, ausgerechnet einer Republik vertrauensvoll in Verwahrung gab (einer Republik freilich, die sie als Muster und Ideal empfand), kennzeichnet am besten ihre Haltung gegenüber der Monarchie Österreich-Ungarn, aber auch gegenüber der Familie der Habsburger.
Neben dem literarischen Nachlaß der Kaiserin habe ich noch weitere neue Quellen verarbeitet, so die auf Elisabeth bezüglichen Schriften aus den Nachlässen des Erzherzogs Albrecht (Ungarisches Staatsarchiv Budapest), des Staatsrats Baron Adolf von Braun (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), des kaiserlichen Generaladjutanten Graf Carl Grünne (Privatbesitz), dann das Tagebuch der Erzherzogin Sophie (mit freundlicher Genehmigung Dr. Otto von Habsburgs) und des Fürsten Carl Khevenhüller (mit freundlicher Genehmigung des Fürsten Max von Khevenhüller-Metsch).
Überaus viel Neues verdanke ich dem Nachlaß des Münchener Archivars und Historikers Richard Sexau. Sexau machte ausführliche und zuverlässige Abschriften von Quellen, die sich im Privatbesitz befinden und mir leider nicht im Original zugänglich waren: so vor allem vom Tagebuch der jüngsten Kaisertochter, Erzherzogin Marie Valerie, und vom Tagebuch von Elisabeths Nichte, Herzogin Amélie von Urach, sowie von den ausführlichen Korrespondenzen der Mutter, Schwiegermutter und der Tanten der Kaiserin untereinander.
Im Nachlaß des Historikers Heinrich Friedjung (Stadtbibliothek Wien, Handschriftensammlung) fand ich wertvolle Gesprächsaufzeichnungen mit Elisabeths Hofdame Gräfin Festetics.
Auch im Nachlaß Egon Caesar Conte Cortis (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien) fand ich einige, allerdings sehr verstreute Quellenabschriften (so vor allem der Briefe Elisabeths an ihren Mann, ihre Tochter Marie Valerie und ihre Mutter Herzogin Ludovika). In allen jenen Fällen, in denen mir die schon von Corti zitierten Quellen jedoch zugänglich waren, benützte ich sie im Original, wobei mir indes durchwegs anderes zitierfähig erschien als Corti (dessen Verdienste um die Aufarbeitung neuer Quellen ich keineswegs schmälern möchte). Gerade dieser neuerlichen Durchsicht folgender Originalquellen verdanke ich viele neue Ergebnisse:
– Tagebuch der Hofdame Gräfin Marie Festetics (Széchényi-Bibliothek, Budapest)
– und des österreichischen Diplomaten Graf Alexander Hübner (Historisches Institut der Universität Padua),
– Nachlaß des kaiserlichen Generaladjutanten Graf Franz Folliot de Crenneville (Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien)
– und der Hofdame Landgräfin Therese Fürstenberg (Fürstenberg-Familienarchiv in Weitra, Waldviertel, mit freundlicher Genehmigung des Prinzen und Landgrafen Johannes von und zu Fürstenberg).
Selbstverständlich benützte ich die Diplomatische Korrespondenz, so weit sie sich auf die Kaiserin bezieht, und zwar im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, im Schweizer Bundesarchiv Bern und im Bundesarchiv Bonn. Auch die zeitgenössischen Tageszeitungen in der Druckschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek waren ergiebig.
Die hier verarbeiteten neuen Quellen ergeben ein neues Bild der Kaiserin, das dem traditionellen (aus der 1934 erschienenen Biographie Egon Caesar Conte Cortis) in vielem widerspricht.
In der Konfrontation mit der Arbeit Cortis (die späteren Bücher über Elisabeth fußen auf seinem Werk und werden deshalb hier nicht eigens erwähnt) wird das Hauptproblem deutlich, das ich während des Schreibens empfand, als sich allmählich aufgrund der neuen Quellen ein anderes Bild der Kaiserin herausschälte. Meine Bedenken, ob diese oft sehr privaten und persönlichen Dinge in die Öffentlichkeit gehören, gingen gelegentlich bis zum Bedürfnis, die Arbeit abzubrechen. Denn ohne Zweifel werden manche Empfindlichkeiten verletzt, ein schönes Denkmal nicht nur in Frage gestellt, sondern zerstört.
Indes: So sehr auch immer Elisabeth darauf pochte, eine Privatperson zu sein, so wenig war sie es. Denn ihre Funktion als Kaiserin war eine öffentliche und eine historische. Die Verweigerung, eine solche Funktion mit Pflichten auszufüllen, war zwar ein privater Entschluß, brachte aber Konsequenzen von öffentlicher Bedeutung. Denn sie hinterließ ein Vakuum an der Stelle, wo traditionsgemäß eine Kaiserin zu stehen hatte: im gesellschaftlichen, sozialen wie familiären Leben – und dieses familiäre Leben war eben bei einer Kaiserin keine Privatsache.
Besonders folgenreich war Elisabeths Haltung gegenüber ihrem Mann und ihrem Sohn, immerhin Kaiser und Kronprinz des nach Rußland größten europäischen Staates. Diese Überlegung war es dann auch, die mich zum Abschluß dieses Buches bewog. Denn eine gerechte Beurteilung der Person Kaiser Franz Josephs ist nur möglich, wenn auch jene Persönlichkeit wahrheitsgetreu und abseits eines süßlichen Klischees mit einbezogen wird, die für sein Leben von nicht zu unterschätzender Bedeutung war – auch und gerade durch ihre Verweigerung: Elisabeth, seine »geliebte Engels-Sisi«. Ähnliches gilt, wenn auch in anderem Maßstab, vom Kronprinzen Rudolf, Elisabeths einzigem, unglücklichen Sohn.
Die Zeiten der Hofberichterstattung sind ebenso vorbei wie die Zeiten der Verunglimpfung der alten Monarchie. Ich fühle mich dem wissenschaftlichen Anspruch auf Wahrheitsfindung verpflichtet und halte darüber hinaus die Gestalt der Kaiserin Elisabeth – in all ihrer Problematik, aber auch ihren überraschend »modernen«, nie alltäglichen Besonderheiten – für die Endzeit der österreichisch-ungarischen Monarchie für typisch. Der nüchterne, pflichtgetreue »Beamte« Kaiser Franz Joseph und die unorthodoxe, hochintelligente, sich in Phantasien verlierende Kaiserin Elisabeth, diese beiden sind wie Plus und Minus, wie Tag und Nacht: gegensätzlich und doch einander bedingend, der eine des anderen Unglück. Eine private Tragödie an der Spitze eines zerfallenden Reiches im fin de siècle.
Allen Damen und Herren, die mir bei der Arbeit behilflich waren, gilt mein Dank – vor allem den Herren Dr. O. Gauye und Dr. Ch. Graf (Schweizer Bundesarchiv Bern), der Schweizer Botschaft in Wien, Frau Dr. Elisabeth Springer (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien) und Frau Dr. von Moisy (Bayerische Staatsbibliothek München) ebenso wie den Damen Nischer-Falkenhof. Herrn István von Szöts danke ich für seine Vermittlung in ungarischen Archiven und Übersetzungen aus dem Ungarischen, Gräfin und Graf László Szápáry für Informationen aus ihrem Familienarchiv, meinem Mann für das Lesen des Manuskriptes und Hilfe bei den Korrekturen.
Wien, im Sommer 1981
Brigitte Hamann
Vorwort zur Neuausgabe
Auf dem schnellebigen Büchermarkt ist diese Biographie ein Methusalem. Sie ist 16 Jahre alt und in bisher 15 Auflagen und über 100 000 Exemplaren der Originalausgabe präsent. Dazu kommen weit höhere Taschenbuchzahlen.
Folgende Verlage brachten Übersetzungen heraus: Longanesi, Mailand 1983, Fayard, Paris 1985, Alfred Knopf, New York 1986 (heute Paperback bei Ullstein ip), Ed Juventud, Madrid 1989, Europa Könyvkiado, Budapest 1990. In Kürze folgen Odeon in Prag, PIW in Warschau und Asashi Shimbunsha in Tokio.
Die nötige äußere Modernisierung des Buches bot nun die Gelegenheit zu inhaltlichen Ergänzungen. Zwei neue Quellen sind in diese Neuausgabe eingeflossen: Das 1986 edierte Tagebuch der langjährigen kaiserlichen Geliebten Anna Nahowski und die sämtlichen nun im Original zugänglichen Briefe Franz Josephs an Katharina Schratt. Das Schratt-Kapitel weist damit die meisten Änderungen auf.
Neue Akzente brachten wissenschaftliche Spezialabhandlungen wie die von Enepekides über Elisabeths Beziehung zu Griechenland und kleinere Editionen. Jene Archive, die sich in den siebziger Jahren gegenüber der Forschung verschlossen hielten, tun dies leider auch heute noch.
Wien, im September 1997
Brigitte Hamann
Kaiserin Elisabeth (1887)
Liberty
Ja, ein Schiff will ich mir bauen!
Schön’res sollt ihr nimmer schauen
Auf dem hohen weiten Meer;
»Freiheit« wird vom Maste wehen,
»Freiheit« wird am Buge stehen,
Freiheitstrunken fährt’s einher.
»Freiheit«! Wort aus gold’nen Lettern,
Flattert stolz in allen Wettern
Von des Mastes schlankem Baum,
Freiheit atmen meine Nüstern,
Freiheit jauchzt der Wellen Flüstern,
Freiheit! Dann bist du kein Traum.
Sucht es dann ihr Telegraphen,
Für ein Hoffest mich zu schaffen
In die Kerkerburg zurück;
Fischt im Klaren, fischt im Trüben,
Fangt die Möve nach Belieben;
Hurrah! wir sind frei und flügg’!
Von den Spitzen meiner Finger
Send’ ich euch, ihr lieben Dinger,
Die mich einst gequält so sehr,
Einen Kuss und meinen Segen,
Schert euch nimmer meinetwegen;
Ich bin frei auf hohem Meer!
(Winterlieder 152 f.)
1. Kapitel
Verlobung in Ischl
An Kaisers Geburtstag, Sonntag, dem 18. August 1853, trat ein 15jähriges Landmädchen aus Possenhofen in Bayern in die österreichische Geschichte ein: Kaiser Franz Joseph I. hielt um die Hand seiner Cousine, Herzogin Elisabeth in Bayern, an und, wie nicht anders zu erwarten, erhielt er sie auch.
Die Braut war bisher niemandem sonderlich aufgefallen. Sie war ein kaum entwickeltes, noch längst nicht ausgewachsenes schüchternes Kind mit dunkelblonden langen Zöpfen, überschlanker Gestalt und hellbraunen, etwas melancholisch dreinblickenden Augen. Wie ein Naturkind war sie aufgewachsen inmitten von sieben temperamentvollen Geschwistern, abseits jeden höfischen Zwanges. Sie konnte gut reiten, schwimmen, angeln, bergsteigen. Sie liebte ihre Heimat, vor allem die bayrischen Berge und den Starnberger See, an dessen Ufer das Sommerschlößchen der Familie, Possenhofen, lag. Sie sprach bayrischen Dialekt und hatte unter den Bauernkindern der Nachbarschaft gute Freunde. Ihre Bildung und ihre Umgangsformen waren dürftig. Wie ihr Vater und ihre Geschwister hielt sie nichts von Zeremoniell und Protokoll – was am Münchener Königshof aber nicht viel ausmachte. Denn der herzogliche Zweig der Wittelsbacher Familie hatte dort ohnehin keine offizielle Funktion, konnte sich also ein reiches Privatleben leisten.
Die Mutter Herzogin Ludovika war schon geraume Zeit auf der Suche nach einer passenden Partie für ihre zweite Tochter Elisabeth. Sie hatte schon vorsichtig und wenig zuversichtlich in Sachsen angefragt – »Sisi bei Euch zu wissen, würde ich freilich als ein grosses Glück ansehen … aber leider ist es nicht wahrscheinlich – denn der einzige, der zu hoffen wäre [wohl Prinz Georg, der zweite Sohn des sächsischen Königs Johann], wird schwerlich an sie denken; erstens ist sehr die Frage, ob sie ihm gefiele und dann wird er wohl auf Vermögen sehen … hübsch ist sie, weil sie sehr frisch ist, sie hat aber keinen einzigen hübschen Zug.«1 Aus Dresden kam Sisi im Frühjahr 1853 ohne Bräutigam zurück. Sie stand ganz im Schatten ihrer viel schöneren, viel gebildeteren, viel ernsthafteren älteren Schwester Helene, die zu Höherem ausersehen war: einer Ehe mit dem Kaiser von Österreich. Im Vergleich mit Helene war Sisi das häßliche Entlein der Familie.
Der Bräutigam, Kaiser Franz Joseph, war damals 23 Jahre alt. Er war ein hübscher junger Mann mit blonden Haaren, einem weichen Gesicht und einer sehr zarten, schmalen Gestalt, die durch die enge Generalsuniform, die er stets trug, vorteilhaft betont wurde. Kein Wunder, daß er der Schwarm der Wiener Komtessen war, zumal er sich bei den Bällen des Hochadels als leidenschaftlicher und guter Tänzer erwies.
Dieser hübsche junge Mann mit den außergewöhnlich guten Manieren war einer der mächtigsten Männer seiner Zeit. Sein »großer« Titel lautete: Franz Joseph I. von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich; König von Ungarn und Böhmen; König der Lombardei und Venedigs, von Dalmatien, Croatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien; König von Jerusalem etc.; Erzherzog von Österreich; Großherzog von Toskana und Krakau; Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steyer, Kärnten, Krain und Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren; Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, von Auschwitz und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara; gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradiska; Fürst von Trient und Brixen; Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien; Graf von Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg etc; Herr von Triest, von Cattaro und auf der windischen Mark; Großwoiwod der Wojwodschaft Serbien etc. etc.
Im Revolutionsjahr 1848 war er als Achtzehnjähriger auf den Thron gelangt, nachdem sein geistig wie körperlich kranker Onkel, Kaiser Ferdinand I., abgedankt und sein Vater, der willensschwache Erzherzog Franz Carl, der Thronfolge entsagt hatte. Nach dem jämmerlichen Bild, das sein Vorgänger geboten hatte, gewann der junge Kaiser sehr rasch Sympathien, selbst bei Bismarck, der ihn 1852 kennenlernte und von ihm schrieb: »Der junge Herrscher dieses Landes hat mir einen sehr angenehmen Eindruck gemacht: zwanzigjähriges Feuer gepaart mit der Würde und Bestimmtheit reifen Alters, ein schönes Auge, besonders wenn er lebhaft wird, und ein gewinnender Ausdruck von Offenheit, namentlich beim Lächeln. Wenn er nicht Kaiser wäre, würde ich ihn für seine Jahre etwas zu ernst finden.«2
Franz Joseph herrschte absolut: Er war oberster Kriegsherr, er regierte ohne Parlament und ohne Verfassung, ja selbst ohne Ministerpräsident. Seine Minister waren nicht mehr als Ratgeber ihres hohen Herrn, der die Politik allein verantwortete. Mit starker Militär- und Polizeigewalt hielt er seine Länder zusammen, unterdrückte die demokratischen und nationalen Kräfte. Der alte Witz der Metternichzeit traf auch auf die frühe Franz-Joseph-Zeit zu: die Herrschaft beruhe auf einem stehenden Heer von Soldaten, einem sitzenden Heer von Beamten, einem knienden Heer von Priestern und einem schleichenden Heer von Denunzianten.
Österreich war 1853 der nach Rußland größte europäische Staat mit rund 40 Millionen Einwohnern, nicht mitgerechnet die 600 000 Soldaten. Im Vielvölkerstaat lebten 8,5 Millionen Deutsche, 16 Millionen Slawen, sechs Millionen Italiener, fünf Millionen Magyaren, 2,7 Millionen Rumänen, etwa eine Million Juden und etwa 100 000 Zigeuner. Der nördlichste Punkt des Reiches war Hilgersdorf in Nordböhmen (heute Tschechische Republik), der südlichste der Ostrawizza-Berg in Dalmatien (heute Kroatien), der westlichste bei Rocca d’Angera am Lago Maggiore in der Lombardei (heute Italien), der östlichste bei Chilischeny in der Bukowina (heute Ukraine).3
Die meisten Einwohner des Reiches (29 Millionen) lebten von der Landwirtschaft. Im Anbau von Flachs und Hanf war Österreich auf der ganzen Welt führend, im Weinanbau stand es nach Frankreich an zweiter Stelle. Ackerbau und Viehzucht wurden noch nach jahrhundertealtem Muster betrieben. Die technische Entwicklung stand weit hinter der der westlichen Staaten zurück.
Dank tüchtiger Generäle hatte Österreich die Revolution von 1848 ohne territoriale Einbußen überstanden. Die verfassunggebende Versammlung in Kremsier, eine intellektuelle Elite der »Achtundvierziger«, war mit Waffengewalt auseinandergetrieben worden. Viele Abgeordnete konnten ins Ausland fliehen, viele saßen in den Gefängnissen. Der junge Kaiser brach seine feierlichen Versprechungen, dem Land endlich eine Verfassung zu geben.
Aber trotz des anhaltenden Belagerungszustandes und der starken Militärgewalt zeigten sich auch 1853 noch immer Feuerzeichen am politischen Horizont, vornehmlich in Ungarn und in Oberitalien. Anfang Februar versuchte der italienische Revolutionsführer Giuseppe Mazzini, in Mailand einen Volksaufstand anzuzetteln, der in wenigen Stunden niedergeschlagen wurde. 16 Italiener wurden hingerichtet, weitere 48 zu schweren Kerkerstrafen »in Eisen« verurteilt.
Auch die Ruhe in Wien täuschte: zur Zeit der Mailänder Wirren wurde in Wien ein gefährliches Attentat auf den jungen Kaiser ausgeübt. Der ungarische Schneidergeselle Johann Libenyi stach ihn während eines Spazierganges auf der Bastei mit einem dolchartigen Messer in den Hals und verletzte ihn schwer. Libenyi fühlte sich als politischer Überzeugungstäter und schrie bei seiner Festnahme laut. »Eljen Kossuth« Er ließ also den Habsburgischen Erzfeind hochleben, den ungarischen Revolutionär, der 1849 die ungarische Republik ausgerufen hatte und nun vom Exil aus die Loslösung Ungarns von Österreich propagierte.
Libenyi wurde hingerichtet. Seine Tat aber mußte den jungen Kaiser warnen, daß der Thron nicht so fest gegründet war, wie es schien.
So sehr die kaiserliche Majestät auch über alle anderen Menschen erhaben war, so innig war Franz Josephs Beziehung zu dem einzigen Menschen, der für ihn eine Autorität darstellte: zu seiner Mutter, Erzherzogin Sophie.
Sie war 1824 als 19jährige bayrische Prinzessin an den Wiener Hof gekommen. Metternich regierte damals. Kaiser Franz war alt, sein ältester Sohn und Nachfolger Ferdinand krank und geistesschwach. Die junge, ehrgeizige und politisch interessierte Prinzessin stieß am Wiener Hof in ein Vakuum, das sie bald ganz mit ihrer starken Persönlichkeit ausfüllte. Bald ging ihr der Ruf voraus, an diesem an Schwächlingen reichen Hof »der einzige Mann« zu sein. Sie war es, die 1848 energisch dazu beitrug, Metternich zu stürzen. Sie warf ihm vor, »daß er eine unmögliche Sache wollte: Die Monarchie ohne Kaiser führen und mit einem Trottel als Repräsentanten der Krone«4, womit ihr geistesschwacher Schwager, Kaiser Ferdinand »der Gütige«, gemeint war. Sophie hielt ihren Mann davon ab, die Thronfolge anzunehmen, verzichtete also darauf, Kaiserin zu werden und durch ihren ihr ganz ergebenen Mann zu regieren.
Sie stellte damit die Weichen für die Thronbesteigung ihres »Franzi« im Dezember 1848 in Olmütz. Ihr mütterlicher Stolz war grenzenlos. Immer wieder sagte sie, daß es »eine große Wohltat war, das gute, aber arme kleine Wesen – das wir während beinahe 14 Jahren als unseren Kaiser anerkennen mußten – nicht mehr ungestört herumbandeln zu sehen und statt ihm die einnehmende Erscheinung unseres lieben jungen Kaisers, die jeden beglückte«.5
Franz Joseph war seiner Mutter sein Leben lang dankbar. Von ihrer sicheren Hand ließ er sich führen, wenn Sophie auch eifrig versicherte, daß »ich mir bei der Thronbesteigung meines Sohnes fest vorgenommen [habe], mich in keine Staatsangelegenheiten zu mischen; ich fühle mir kein Recht dazu und weiß sie auch in so guten Händen nach 13jähriger herrenloser Zeit – daß ich innig froh bin, nach dem schwerdurchkämpften Jahre 48 ruhig und mit Vertrauen das jetzige Gebahren mitanzusehen zu können!«6
Sophie hielt ihre guten Vorsätze nicht. Die gnadenlosen Blutgerichte für die Revolutionäre, die widerrechtliche Aufhebung der versprochenen – und kurze Zeit verwirklichten – Verfassung, die enge Verbindung Österreichs an die Kirche – das alles wurde in der Öffentlichkeit nicht als Werk des unsicheren jungen Kaisers angesehen, sondern als das der Erzherzogin Sophie, die in den fünfziger Jahren Österreichs heimliche Kaiserin war.
Die Politik bestimmte auch Sophies sorgfältige Suche nach der künftigen Gattin ihres Sohnes. Österreich machte nach der Revolution von 1848 eine betont deutsche Politik und versuchte, die führende Kraft im Deutschen Bund zu bleiben, beziehungsweise die immer mehr schwindende Macht gegenüber Preußen zurückzugewinnen. Diesem großen Ziel wollte Sophie auch mit Hilfe der Heiratspolitik näher kommen.
Ihre erste Wahl war eine Verbindung mit dem Haus Hohenzollern, wofür sie sogar eine protestantische Schwiegertochter in Kauf genommen hätte, die vor der Heirat hätte konvertieren müssen.
Im Winter 1852 fuhr also der junge Kaiser unter einem politischen und familiären Vorwand nach Berlin und verliebte sich prompt in eine Nichte des preußischen Königs, die gleichaltrige Prinzessin Anna. Da das Mädchen schon verlobt war, fragte Sophie ihre Schwester, Königin Elise von Preußen, »ob es keine Hoffnung gibt, daß diese traurige Heirat, die man dieser reizenden Anna auferlegt und die keinerlei Aussicht auf Glück für sie übrigläßt, vermieden werden könnte«. Sie schrieb offen, wie sehr der junge Kaiser bereits engagiert war und erwähnte das »Glück, das sich ihm wie ein flüchtiger Traum gezeigt hat und sein junges Herz – hélas – viel stärker und viel tiefer beeindruckt hat, als ich es zunächst glaubte … Du kennst ihn genug, daß man seinem Geschmack nicht so leicht entsprechen kann und ihm nicht die nächste beste genügt, daß er das Wesen lieben können muß, die seine Gefährtin werden soll, daß sie ihm gefalle, ihm sympathisch sei. Allen diesen Bedingungen scheint Eure liebe Kleine zu entsprechen, beurteile selbst, wie ich sie also für einen Sohn ersehne, der sosehr des Glückes bedarf, nachdem er so schnell auf die Sorglosigkeit und die Illusionen der Jugend hat verzichten müssen.«7
Königin Elise konnte sich gegenüber den preußischen Politikern nicht durchsetzen. Eine Heiratsverbindung mit Österreich paßte ganz und gar nicht in das preußische Konzept. Der junge Kaiser mußte eine persönliche Niederlage einstecken, außerdem wurde sein Berlinbesuch wenig schmeichelhaft kommentiert, so zum Beispiel von Prinz Wilhelm, dem späteren Wilhelm I.: »Wir in Preußen beglückwünschen uns, daß Österreich seine Unterwerfung in unserer Hauptstadt bezeugt hat, ohne daß wir nur einen Fußbreit politischen Bodens preisgegeben haben.«8
Auch nach Dresden erstreckten sich die Vorarbeiten Sophies für eine kaiserliche Eheschließung und eine gleichzeitige Verstärkung des österreichischen Einflusses in Deutschland. Diesmal ging es um die sächsische Prinzessin Sidonie, die allerdings kränklich war und dem Kaiser nicht gefiel.
Wie hartnäckig Sophie an ihrem Plan festhielt, eine deutsche Prinzessin an den Wiener Hof zu bekommen, zeigt ihr dritter Plan, diesmal mit ihrer Schwester, der Herzogin Ludovika in Bayern: Ludovikas älteste Tochter Helene paßte im Alter zum Kaiser, wenn sie auch eine weit weniger vornehme Partie als die beiden ersten Mädchen war. Sie stammte ja nur aus einer bayrischen Nebenlinie, nicht wie Sophie aus dem bayrischen Königshaus. Aber immerhin war Bayern neben Sachsen der treueste Partner Österreichs im Deutschen Bund, eine neuerliche Verbindung zwischen Österreich und Bayern politisch durchaus nützlich.
Bisher hatte es nicht weniger als 21 Verbindungen zwischen dem bayrischen und dem österreichischen Haus gegeben. Die prominenteste Heirat der letzten Jahre war die des Kaisers Franz mit Karoline Auguste, der ältesten Schwester Sophies. (Durch ihre Heirat mit dem zweiten Sohn des Kaisers Franz aus einer früheren Ehe, Erzherzog Franz Carl, wurde also Sophie die Schwiegertochter ihrer Schwester.)
Herzogin Ludovika war so etwas wie die arme Verwandte ihrer mächtigen Schwestern. Als einzige der neun Töchter des bayrischen Königs Max I. hatte sie nur eine bescheidene Heirat gemacht, mit ihrem Vetter zweiten Grades, Herzog Maximilian in Bayern, der erst 1845 den Titel »Königliche Hoheit« erhielt.
Ludovika liebte ihre um drei Jahre ältere Schwester Sophie in einer demütigen, ja unterwürfigen Weise, pries sie stets als Muster für ihre Kinder, folgte ihren Ratschlägen geradezu ängstlich, um nur ja Sophies Gunst zu behalten. Die Aussicht, ihre älteste Tochter mit dem begehrtesten Junggesellen ihrer Zeit verheiraten zu können, machte sie vollends zur gefügigen Dienerin Sophies.
Die beiden Schwestern hatten wenig gemeinsam. Zur Zeit der Ischler Verlobung sei sie ganz »verbauert« gewesen, erzählte Ludovika später. Sie liebte das Land und die freie Natur, kümmerte sich nicht um standesgemäße Kleidung und standesgemäße Gesellschaft. Mit dem Münchener Hof hatte sie wenig zu tun. Dort herrschte ihr Neffe Max II., und die herzogliche Linie der Wittelsbacher hatte keine offizielle Funktion. Ludovika war also keine höfische Repräsentationsfigur, sondern reine Privatperson. Sie lebte für ihre Kinder, die sie selbst erzog – für aristokratische Verhältnisse außergewöhnlich.
Im Gegensatz zur streng katholischen, ja bigotten Sophie war Ludovika wenig religiös. Mit Stolz betonte sie ihre liberale Erziehung im bayrischen Königshaus: »In unserer Jugend, da waren wir angeprotestantelt!« Zum Zeitvertreib sammelte Ludovika Uhren, beschäftigte sich mit Geographie, bezog ihre Kenntnisse allerdings, wie ihr Mann höhnte, zum Großteil aus Missionskalendern. Von Politik hatte sie keine Ahnung.9