Loe raamatut: «Ein Königshaus aus der Schweiz»
Wir danken für die Unterstützung:
Kanton Aargau | |
NAB-Kulturstiftung |
Mitarbeit in der Recherche: Rebecca Sanders, Zürich
Fotografie: Bruno Meier
Lektorat: Sandra Monti, hier + jetzt
Gestaltung und Satz: Christine Hirzel, Sara Glauser, hier + jetzt
Bildverarbeitung: Humm dtp, Matzingen
© 2008 hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden
eBook-ISBN 978-3-03919-735-4
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
für Anne
INHALT
Am Ende eines langen und erfolgreichen Lebens
Eine Kindheit auf der Habsburg? Woher die Habsburger kommen
Eine Burg unter vielen anderen?
Eine mächtige und repräsentative Burg
Feucht und kalt: Alltagsleben auf der Burg
Die Habsburger und ihr Eigen
Herkunft ist Legitimation
Eine Möglichkeit: die Merowinger-These
Weit wichtiger: die schwäbischen Verwandten
Etwas kühner: doch eine königliche Abstammung?
Im Reich der Legenden und Sagen: eine Abstammung von den Römern?
Königsgefolgschaften: von den Saliern zu den Staufern
Die kleinen Grafen im Südwesten des Reichs
Der Aufstieg zur Macht. Rudolf von Habsburg:
Vom armen Grafen zum mächtigen König 1240–1291
Der grosse Sprung
Der Beginn im Jahr 1240: ein Aufstieg im Windschatten der Staufer
Die beiden Habsburger Familien und die Innerschweiz
Den Schwarzwald im Visier
Eine späte Heirat
Der grosse Coup: das Kyburger Erbe
Von der Belagerung Basels zur Krönung nach Aachen
Reichs- und Hausmachtpolitik im Gleichschritt
Ein Gipfeltreffen in Lausanne
Die Gewinnung von Österreich
Rudolf zurück im Westen: der Blick nach Burgund
Zurück in Baden und dem Tod nah
Das Bild vom bescheidenen und weisen König
Zeiten des Umbruchs:
Eine gescheiterte Nachfolge und eine familiäre Katastrophe 1291–1315
Es endet mit einem Mord
Die Königswahl geht verloren
Ein erster Krieg um Zürich
Und der Bund der Eidgenossen?
Der Tyrannenmord, erster Teil
Die Habsburger modernisieren
Albrecht auf dem Höhepunkt der Macht
Der Tyrannenmord, zweiter Teil
Die Verfolgung der Königsmörder
Die Gründung von Königsfelden
Eine neuer Anlauf zum Königtum
Auf dem Weg nach Morgarten
Habsburger und Eidgenossen: ein labiles Gleichgewicht
Eine Königin residiert:
Agnes von Ungarn als Regentin im Aargau 1315–1365
Von Ungarn in den Aargau
Königsfelden wird zum Gravitationszentrum
Habsburg-Österreich expandiert: Kärnten und Tirol
Agnes und ihre Brüder zwischen Luzern, Bern und Zürich
Ein zweiter Krieg um Zürich
Der Schwiegersohn des Kaisers: Rudolf der Stifter
Eine Machtdemonstration in Zofingen?
Die Versöhnung mit dem Schwiegervater
Ein kleiner, aber schmerzlicher Verlust:
Die Katastrophe von Sempach und der Verlust des Aargaus 1365–1425
Die Wege trennen sich: der Teilungsvertrag von 1379
Zwischen Freiburg im Breisgau und Triest: ein rastloser Leopold
Wird Basel habsburgisch?
Eine verhängisvolle Bischofswahl
Die Katastrophe von Sempach
… und die Folgen
Am Rand eines Bürgerkriegs: Bruderzwist im Haus Habsburg
Chaos am Bodensee: die Appenzellerkriege
Der Anfang vom Ende: Städte und Adel orientieren sich neu
Das Konzil von Konstanz: Friedrich in der Reichsacht
Ein Blitzkrieg der Eidgenossen: Der Aargau geht verloren
Das Fell des Bären wird verteilt
Flucht aus Konstanz: Die Habsburger reagieren
Habsburg kommt zurück – aber nicht in den Aargau
Auf dem Weg zum Weltreich:
Das Verhältnis zwischen Habsburgern und Eidgenossen bleibt belastet 1425–1475
Ein König besucht die Eidgenossenschaft
Die Rückkehr auf den deutschen Thron: Albrecht V. und Friedrich V.
Krieg im Dreieck zwischen Zürich, Eidgenossen und Habsburg-Österreich
Die alten Fronten brechen auf
Wie weiter? Der habsburgische Adel im Zwiespalt
Der Thurgau geht verloren: Herzog Sigmund agiert unglücklich
Der Rhein wird Grenze
Auf dem Weg zur Ewigen Richtung
Der Friede auf «ewig»: ein Ausblick
Der Habsburger Adler bleibt im Fricktal
Nachwort und Dank
Glossar
Anmerkungen
Quellen und Literatur
Gedruckte Quellen
Ausgewählte Literatur
Ortsregister
Personenregister
AM ENDE EINES LANGEN UND ERFOLGREICHEN LEBENS
Rudolf von Habsburg ritt Anfang Februar 1291, bereits von Gicht und Arthrose gezeichnet, von Konstanz nach Baden. Mit 73 Jahren war er am Ende eines rastlosen Lebens, das er zu einem grossen Teil unterwegs im Sattel verbracht hatte. Vielleicht hatte er sich mit seinem Gefolge in Zürich auf das Schiff begeben und war die Limmat abwärts gefahren. Oberhalb der Holzbrücke in der Klus von Baden, die mit einem kleinen Turm am rechten der Stadt gegenüberliegenden Ufer bewehrt war, ging er mit seinem Gefolge an Land. Auf einem steilen Strässchen in der noch nicht befestigten Halde führte der Weg auf das Plateau der mächtigen Saalkirche am Fuss des Burghügels. Rudolfs Vogt in Baden und in der Grafschaft Aargau war sein Dienstmann Werner von Wolen. Er residierte auf der Burg Stein, an deren Fuss sich zwischen der befestigten Staffelmauer, die in die Stadt hinunterführte, der Kirche und dem Stadtbach ein kleines Burgstädtchen gebildet hatte. Quartier nahmen der Habsburger und sein Gefolge aber wahrscheinlich in den Bädern, die in einer Distanz von einigen hundert Metern im Limmatknie eine eigene kleine Siedlung bildeten. Auf dem offenen kleinen Platz liegt die schon von den Römern gefasste Quelle, die von einem fünfeckigen Stein, dem sogenannten grossen heissen Stein, bedeckt wird. Zum Gasthof Bären, dem Habsburger Lehen, führte das kleine «stinkende» Gässchen. An diesem Weg lag das «beslossen Bad», ein Badehäuschen, das auf römischen Grundmauern stand.1 Rund um den Bäderplatz gab es weitere Gasthöfe. Das königliche Gefolge, das doch einige Dutzend Ritter und Dienstleute umfasst haben muss, wird in diesen Gasthöfen abgestiegen sein oder im nahen Kloster Wettingen Quartier genommen haben.
Rudolf hielt sich den ganzen Februar in Baden auf und wird im Wasser der heissen Thermen gebadet haben, um sich von seinen arthritischen Schmerzen etwas zu erholen. Er war aber nicht untätig. Er empfing Boten der Stadt Zürich, die ihm 1000 Mark Silber vorschossen, damit er seine Schulden vom Reichstag in Erfurt aus dem vergangenen Dezember begleichen konnte. Den Zürchern erliess er dafür auf sechs Jahre die Reichssteuer. Die 1000 Mark sollte Hartmann von Baldegg in Empfang nehmen, Burggraf in Rheinfelden und enger Vertrauter Rudolfs. Am gleichen Tag bestätigte Rudolf einer Delegation aus Schwyz, dass die freien Leute aus Schwyz keinen unfreien Richter anzuerkennen hätten. In Baden ebenfalls anwesend war sein Vetter Rudolf von Habsburg-Laufenburg, seit 1274 Bischof von Konstanz. Am 23. Februar erschien auch der Bischof Wilhelm von Lausanne, der sich vom König Hilfe gegen Amadeus von Savoyen erhoffte. Die Nachrichten aus Burgund waren wenig erbaulich, der Pfalzgraf von Burgund hatte sich trotz der erst zwei Jahre zurückliegenden Niederlage bei Besançon erneut gegen Rudolf gestellt. Gleichzeitig waren Boten von König Karl II. von Sizilien eingetroffen. Karls Sohn, Karl Martell, war mit Rudolfs Tochter Clementia verheiratet und hatte eine Anwartschaft auf die ungarische Krone. Auf Ende April wurde ein Treffen bei Murten vereinbart.2 König Rudolf verliess Baden Ende März 1291.
Dieser Aufenthalt in Baden, fünf Monate vor Rudolfs Tod in Speyer, war ein Zurückkommen in das alte Stammland der Habsburger, aus dem die Familie einst aufgebrochen war, um eine erfolgreiche Grafenfamilie im Südwesten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zu werden. Baden war zu einem bevorzugten Aufenthaltsort der Familie geworden. Unweit davon liegen das Städtchen Brugg und das kleine Schlösschen Altenburg, von wo aus etwa um 1020/1030 Rudolf und Radbot, nach der Legende die Vorväter der Habsburger, sich anschickten, eine Burg zu bauen und zwei Klöster zu gründen: die Habsburg und die Klöster Muri und Ottmarsheim. Damit beginnt die sagenumwobene Geschichte der Habsburger.
EINE KINDHEIT AUF DER HABSBURG?
Woher die Habsburger kommen
Eine Burg unter vielen anderen?
Es ist schwer vorstellbar, dass das mächtige Haus Habsburg in der heute bescheiden wirkenden Burg gleichen Namens seinen Anfang genommen haben soll. Wie muss man sich die Habsburg in der Zeit nach 1200 vorstellen, als die Besitzer ihren Aufstieg im deutschen Reich begannen? Wie sah die Burg aus, wer hat sie erbaut und warum? Hat der 1218 geborene Rudolf und spätere König seine Kindheit auf der Habsburg verbracht?
Im Jahr 1108 begleitete Otto, ein «Graf von Havichsberg», den deutschen König Heinrich V. auf einem Kriegszug gegen die Ungarn. Otto, in der Habsburgergenealogie der II. benannt, wird nach der Rückkehr vom Ungarnfeldzug im Jahr 1111 auf seiner Burg Butenheim (Petit Landau) südlich von Ottmarsheim ermordet. Sein Bruder, «Adalbertus de Havesborc», nimmt 1114 an einem Hoftag des unterdessen zum Kaiser gekrönten Heinrich V. in Basel teil und erwirkt dort einen Freibrief für das familieneigene Hauskloster in Muri.3 Ottos Sohn, Werner II., wird schliesslich als erster Habsburger als Landgraf im oberen Elsass bezeichnet. Seit dieser Generation nennt sich das Adelsgeschlecht nach der Burg, die in den folgenden Jahrhunderten zum Inbegriff für ein weltumspannendes Reich wird.
Wie andere Dynastenburgen braucht auch die Habsburg eine Gründungssage. Und wie die meisten Sagen, wird auch diese Geschichte Jahrhunderte später entstanden und noch später aufgeschrieben worden sein. Danach soll der Grossvater von Otto II., Graf Radbot, der ein festes Haus in Altenburg an der Aare in dem von den Römern erbauten Kastell besass, auf der Jagd seines Habichts verlustig gegangen sein. Auf der Suche nach dem entflohenen Vogel stieg die Jagdgesellschaft auf den dicht bewaldeten Wülpelsberg. Zuoberst auf dem Hügel fand man den Habicht. Radbot erkannte sofort, dass sich dieser Ort für den Bau einer Burg eignete – und nahm die Aufgabe in Angriff.4 Eine schöne Geschichte, wenn auch eher von einer Vorstellung des mittelalterlichen Ritterlebens aus dem 19. Jahrhundert inspiriert. Vielleicht hatte der Geschichtenerzähler den jungen Staufer Konradin auf Beizjagd vor Augen, eine Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift, die immerhin an den Beginn des 14. Jahrhunderts gehört. Auf jeden Fall, Fortsetzung folgt …
Richtig an dieser Geschichte ist, dass die Habsburg tatsächlich als Rodungsburg in den Wald gebaut worden ist. Ebenfalls richtig könnte die Verkürzung des Namens von Habichtsburg auf Habsburg sein, eine Bezeichnung, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert gebräuchlich wird, auch wenn schon andere Herleitungen vorgeschlagen worden sind.5 Wie kommt aber Graf Radbot von Altenburg dazu, sich auf dem Hügel eine Burg zu bauen? Er tut das, was viele seiner Standesgenossen auch machen. Burgen werden im 11. und 12. Jahrhundert zuhauf gebaut. Frühere Geschichtsschreiber gingen davon aus, dass die Burgen primär als Befestigungen erstellt wurden, um das eigene Land oder die Grenze zum Nachbarland zu beschützen. Für den Bau der Habsburg wäre demzufolge die Auseinandersetzung zwischen dem deutschen König und dem Königreich Burgund im Vordergrund gestanden. Die Habsburg hätte dabei die Funktion einer Grenzburg gehabt, verlief doch die alte Grenze zu Burgund entlang der Reuss.6 Heute geht man jedoch davon aus, dass der Burgenbau in erster Linie dem Landesausbau diente. Das 11. und 12. Jahrhundert ist eine Zeit, in der die Bevölkerung wächst. Vom Klima begünstigt, entwickelten sich die Lebensgrundlagen positiv, die Erträge in der Landwirtschaft stiegen mit der neu eingeführten Dreifelderwirtschaft an, Wälder wurden gerodet und der Boden urbar gemacht. Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielten die lokalen Adligen. Sie gründeten Klöster und bauten Burgen, um diesen Landesausbau voranzutreiben und ihre Machtbasis auszuweiten. Mit dem Burgenbau setzten sie weithin sichtbare Herrschaftssymbole. Die frühen Habsburger verhielten sich nicht anders, als sie die Burg auf dem Wülpelsberg erbauen liessen.
Was müssen wir uns aber unter dieser neuen Burg vorstellen? Was hat die Realität mit der Burgen- und Ritterromantik aus Büchern und Filmen zu tun? Die Archäologen haben in den letzten 25 Jahren mehrmals auf der Habsburg gegraben und spannende Bezüge zur schriftlichen Überlieferung herstellen können. Und dabei hat sich herausgestellt, dass die Habsburg vielleicht doch nicht nur als eine Burg unter vielen anderen erbaut worden ist, sondern dass sie etwas mehr darstellte.7
Eine mächtige und repräsentative Burg
Graf Radbot von Altenburg hatte zu wenig Geld, um sich eine neue Burg zu bauen. Deshalb bat er den Bruder seiner Frau, den mächtigen Bischof Werner von Strassburg, um Unterstützung. So geht die Sage von der Erbauung der Burg weiter. Bischof Werner habe ihm Unterstützung zugesagt und dann seinen Besuch angekündigt, um das von ihm mitfinanzierte Werk zu begutachten. Er war enttäuscht, als er auf der Anhöhe des Wülpelsbergs nur einen bescheidenen Wohnturm ohne eine starke Mauer vorfand. Sein Schwager versicherte ihm, dass er in der Lage sei, über Nacht ein solche Mauer zu erstellen. Als der Bischof am nächsten Morgen erwachte und aus dem Fenster blickte, erschrak er. Rund um den Turm lagerte eine grosse Zahl gepanzerter Ritter mit ihren Knechten. Bischof Werner glaubte sich in den schwach befestigten Mauern belagert. Graf Radbot beruhigte ihn. Die Ritter seien seine Gefolgsleute und auf seinen Ruf hin herbeigeeilt, um eine eiserne Mauer zu bilden und ihn zu verteidigen. Werner war erleichtert und sah sein Geld gut angelegt. Was nützen dicke Mauern, wenn niemand da ist, um sie zu verteidigen?
Der noch erhaltene Teil der Habsburg besteht aus der erst am Ende des 12. Jahrhunderts erbauten hinteren Burg, wird heute als Gastbetrieb genutzt und beherbergt eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Habsburger.
Sagen und Legenden haben oft einen wahren Kern, auch wenn sie frei erfunden und ausgeschmückt wurden. Die archäologischen Untersuchungen der Habsburg haben, nicht unerwartet, diesen ersten «Wohnturm» zutage gefördert. Auf der vorderen Burg, die heute nur noch in den Fundamenten erkennbar ist, muss im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts nicht ein Turm, sondern ein erstes festes Haus errichtet worden sein: eine typische Rodungsburg mit dem dazugehörenden Burggut, dem Dorf Habsburg und der inselförmig im Wald liegenden Feldflur. Rund um das steinerne Haus werden Holzhäuser und Ställe gestanden haben. Eine Rodungsburg in dieser Zeit war nichts anderes als ein fest gebauter grosser Bauernhof, in dem ein Adliger über seine rundherum ansässigen Bauern gebot.
Allerdings: Schon der erste Bau beeindruckt durch seine Grösse und Mauerdicke. Er ist wesentlich grösser als der Wohnturm auf der Lenzburg, der mehr als ein halbes Jahrhundert später erbaut wurde und Sitz der Grafen im Aargau war. Vergleichbare Bauten müssen relativ weit weg gesucht werden, in Frankreich oder Deutschland. Mit diesem ersten Bau manifestiert Radbot, der etwa zur selben Zeit zusammen mit seiner Frau Ita von Lothringen das Kloster Muri stiftet, einen Anspruch auf Grösse, der nach dem Warum fragen lässt. In dieser Zeit gründet sein Bruder Rudolf das Kloster Ottmarsheim unweit von Mülhausen. Ottmarsheim liegt am Rhein, am Rand des Hardtwaldes, an der alten Römerstrasse von Basel nach Strassburg. Und: Die Kirche von Ottmarsheim, die bis heute in den Grundzügen unverändert geblieben ist, stellt in ihrem Aufbau eine vereinfachte Kopie der Pfalzkapelle in Aachen dar, der Grabstätte Karls des Grossen. Der kleine Graf Rudolf baut sich also eine Kirche nach dem Aachener Vorbild, die vielleicht als seine Grabeskirche gedacht ist. Die Frühhabsburger zeigen mit diesen Gründungen ein Selbstverständnis, das man fast als Programm für den kommenden Aufstieg lesen kann. Auf das Warum wird zurückzukommen sein.
Die Habsburg wächst in den folgenden Jahrzehnten rasch. Etwa um 1070 wird die Anlage mit einer ansehnlichen Befestigung des ganzen Hügels erweitert, an den Kernbau werden zwei feste Türme angebaut. Vielleicht stammen die ersten Steinbauten auf der hinteren Burg auch schon aus dieser Zeit. Noch im 11. Jahrhundert nimmt die Habsburg monumentale Formen an, die sie von vergleichbaren Burgen im grösseren Umfeld abhebt. Es ist diese Generation der Frühhabsburger, die sich als erste nach der Burg nennt. Otto II. und sein Sohn Werner halten sich im näheren Umfeld der deutschen Könige und Kaiser auf und erhalten wichtige Ämter. Die Habsburg wird zum repräsentativen Sitz eines aufstrebenden Adelsgeschlechts.
Ein weiterer Ausbauschritt lässt wahrscheinlich mehr als 100 Jahre auf sich warten. In der Zeit um 1200 entstehen die wichtigsten Teile der hinteren Burg – der Wohnturm und die Erweiterung der Ringmauern. Vielleicht hat schon Albrecht III., der Sohn Werners, aber sicher Rudolf II. von Habsburg das Landgrafenamt im Aargau inne, das die 1173 ausgestorbenen Grafen von Lenzburg ursprünglich ausübten. Die Burgen der Lenzburger – die Lenzburg selbst und der Stein in Baden – sind zu diesem Zeitpunkt aber in der Hand der Kyburger. Dies mag den Ausbau der Habsburg befördert haben. Die Burg ist zu dieser Zeit eine mächtige und stark befestigte Anlage.
Feucht und kalt: Alltagsleben auf der Burg
Sehr behaglich kann das Leben auf der Burg nicht gewesen sein. Der erste Kernbau verfügte wahrscheinlich über zwei oder drei hohe Säle. Zumindest die Obergeschosse wurden als Wohnraum genutzt. Man wohnte, ass und schlief gemeinsam in denselben Räumen. Die kleinen, schartenartigen Fenster waren unverglast und mussten im Winter mit Brettern und Stroh notdürftig zugestopft werden. Im Nordturm bestand ein offenes Herdfeuer als Heizung, seit dem 12. Jahrhundert könnte es Kachelöfen gegeben haben. Die Abortanlagen standen offen zu den Wohnräumen, man verrichtete sein Geschäft in Gesellschaft. Der spätere Ausbau der hinteren Burg im 13. und 14. Jahrhundert zeigt, wie sich mit der Zeit die Wohnlichkeit verbesserte. Mit Holz getäferte Wände, geschnitzte Balkendecken und verglaste Fenster liessen etwas Behaglichkeit und Komfort aufkommen. Knechte und Gesinde wohnten in den angegliederten Holzbauten oder ausserhalb der Burg. Das Leben auf der Burg unterschied sich nicht allzu stark vom Alltag eines reichen Bauern. Die Burg war vor allem Statussymbol und Zeichen der Macht. Zu den Funden aus den archäologischen Grabungen gehören Überreste von Waffen und Knochenteile von Wildbret, vor allem von Hirsch und Wildschwein: kleine Indizien für das Leben eines Adligen.8 Die Herren auf der Habsburg lebten kaum vom direkten Ertrag ihrer landwirtschaftlichen Güter, sondern von den Abgaben und Diensten ihrer Untertanen.
Die Habsburger wohnten nicht ständig und dauerhaft auf ihrer Burg, und wenn, dann nur Teile der Familie. Macht und Herrschaft bedeutete in dieser Zeit vor allem Präsenz. Die adligen Herren waren innerhalb ihrer Besitzungen ständig unterwegs, hielten sich nie lange am selben Ort auf. Sie besassen mehrere feste Orte, neben den Burgen auch Häuser in den entstehenden Städten. Sie konnten aber auch in den von ihnen gegründeten Klöstern oder bei verwandten und befreundeten Familien absteigen. Und vor allem standen sie im Dienst von höheren Herren, eines Herzogs oder Königs. Sie hielten sich oft am königlichen Hof auf, suchten die Nähe zum König und waren Teil seiner Gefolgschaft. Sie beteiligten sich an Kriegszügen des Königs, wie Otto II. am Ungarnzug Heinrichs V. Ottos Sohn, Werner II., zog 1167 im Gefolge des Stauferkönigs Friedrich I. Barbarossa nach Italien zu dessen Kaiserkrönung und scheint vor den Mauern Roms umgekommen zu sein, nicht im Kampf, sondern wahrscheinlich als Opfer einer Seuche. Werners Enkel Rudolf II., der Grossvater des ersten Habsburger Königs, gehörte zum engsten Gefolge des Stauferkönigs Friedrich II. Er ist zwischen 1207 und 1213 in Basel, Strassburg, Hagenau und Konstanz mehrfach zusammen mit dem König bezeugt. Zudem war er mit Friedrich 1222, 1226 und 1230 in Italien.9 Das unbehagliche Leben auf einer feuchten und kalten Burg, das wochen- und monatelange Unterwegssein im Sattel und die Teilnahme in der grossen Politik gehörten zu diesem Leben.
Rudolf II. wird sich nur selten auf seinem Stammsitz aufgehalten haben. Die vordere Burg als ursprünglicher Wohnsitz wurde in den Jahren um 1230 aufgegeben. Die Habsburger verliehen ihre Burg seit dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts ihren Dienstleuten, den Truchsessen von Habsburg und Wildegg die hintere, den Rittern von Wolen die vordere Burg.10
Zum bestehenden Schlösschen in Altenburg bauten die Habsburger einen Wohnsitz in Brugg, das eben in diesen Jahren als kleines Städtchen fassbar wird. Nicht in Altenburg, sondern aareabwärts, an der engsten Stelle des Flusses, haben kurz nach 1200 bereits eine turmbewehrte Brücke und eine kleine Siedlung bestanden. Neben der um 1220 erbauten einschiffigen Kirche stand ein markantes burgartiges Wohnkastell, der spätere Effingerhof, der 1864 abgerissen wurde. Der Chronist des Überfalls auf Brugg im Jahr 1444 spricht von «des Herzog von Österreichs Haus am Kirchhof».11 Der Komfort eines steinernen Stadthauses mochte sich nicht wesentlich von dem einer Burg unterschieden haben, aber Lage und Umfeld eines solchen Ortes waren doch attraktiver. Und vor allem: Die Habsburger haben auf den Italienzügen des Königs die Kultur italienischer Städte wie Mailand oder Verona kennengelernt. Ansporn und Vorbild für das eigene Leben?
Das Schlösschen in Altenburg ist ein im 16. Jahrhundert neu aufgebautes Turmhaus, das in den Mauern des spätrömischen Kastells erbaut wurde und in dem heute die Jugendherberge von Brugg zu Hause ist. Altenburg war noch vor dem Bau der Habsburg einer der Sitze des Geschlechts.
Die Habsburger und ihr Eigen
Die Habsburg steht auf dem Wülpelsberg am nördlichen Rand des Eigenamts. Dieses Eigenamt ist alter Besitz der Frühhabsburger und wird später zu einem wichtigen Teil der Ausstattung des Klosters Königsfelden. Das Eigenamt wird westlich durch die Reuss, nordwestlich durch die Aare und südlich durch den Hügelzug des Kestenbergs begrenzt und hat eine Ausdehnung von etwa sechs auf sechs Kilometer. Mit der Habsburg und den beiden wahrscheinlich Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Burgen Brunegg und Wildegg an den jeweiligen Ausläufern des Kestenbergs war das Eigenamt ursprünglicher Besitz der Habsburger. Wirtschaftliches und politisches Zentrum wurde nach 1200 das neue Städtchen Brugg. Altenburg hat wohl schon nach dem Bau der Habsburg seine Bedeutung verloren und wurde später wie die Habsburg selbst an Dienstleute verliehen.
Das Eigenamt wird immer wieder als Heimat und Herkunftsort der Habsburger bezeichnet. Dies ist insofern falsch, als die Frühhabsburger nicht nur im späteren Aargau, sondern vor allem auch im südlichen Elsass alten Besitz hatten. Von Heimat oder Herkunft zu sprechen, ist aber auch deshalb falsch, weil die Adelsfamilien des Hochmittelalters mobil waren, sich nicht über lange Zeit am selben Ort aufhielten und sich oft nach dem Ort benannten, an dem sie sich vorübergehend niedergelassen hatten. Diese Namen konnten sich innerhalb derselben Familie unterscheiden. Habsburg als verbindlicher Eigenname beginnt sich erst Anfang des 12. Jahrhunderts zu verfestigen.
Der alte Besitz der Habsburger lässt sich nur über Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts rekonstruieren. An erster Stelle stehen dafür die sogenannten Acta Murensia, ein chronikalischer Bericht über die Gründung des Klosters Muri, der in der Zeit um 1160 entstanden sein muss und nur in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts überliefert ist. Der Quelle ist trotz allem eine gewisse Glaubwürdigkeit zuzubilligen, auch wenn sie die einseitige Sicht eines Schreibers aus dem Kloster Muri wiedergibt.12 Die Stiftungsgüter der Klöster Muri und Ottmarsheim bieten Hinweise auf den Besitz der Frühhabsburger an der Jahrtausendwende. Neben dem Besitz im Eigen, rund um den festen Turm in Altenburg, lag ein relativ geschlossener Güterkomplex um die spätere Stadt Bremgarten. Eine offenbar gewaltsam vor sich gegangene Erweiterung dieses Besitzes gegen Süden umfasste den Herrenhof und die Pfarrei Muri. Hier soll Radbot 1027 zusammen mit seiner Gattin Ita von Lothringen das Benediktinerkloster gestiftet haben, das mit Mönchen aus Einsiedeln besiedelt wurde. Verstreuter Besitz lag zwischen Zuger- und Vierwaldstättersee, in Gersau, Thalwil und am Greifensee, ein grösserer Komplex im oberen Fricktal und im Schenkenbergertal. Die Austattung von Ottmarsheim deutet auf Besitz in der Gegend des gegründeten Klosters hin (Hardtwald), weiter gehörten Güter nördlich und nordwestlich von Colmar und südlich von Strassburg dazu, aber auch im Breisgau rund um den Kaiserstuhl und südlich davon im Markgräflerland. Weiter entfernt lag ein Güterkomplex zwischen oberer Donau und Neckar in Burgfelden und Ehingen.
Der mächtig wirkende schwarze Turm in Brugg, Wahrzeichen der Stadt, wird 1238 ein erstes Mal erwähnt. Er beschützt die Brücke, die an der engsten Stelle des Flusses die Aare überquert. Im Turm sind ältere Bauteile aus römischer Zeit wiederverwendet worden. Der Bau wird heute in die habsburgische Zeit Ende des 12. Jahrhunderts datiert.
Die Habsburger, die im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts eine ansehnliche Burg bauen und zwei Klöster gründen, gehören also sowohl in den Raum des Oberrheins im südlichen Elsass und Breisgau als auch in den Raum der damaligen Grafschaft Aargau. Weiter zurück wird der Boden der Überlieferung löchrig, beginnen sich Geschichte, Legenden und Spekulationen zu vermischen. Trotzdem muss auf die sagenhafte Herkunft der Habsburger eingegangen werden. Für ihr späteres Selbstverständnis ist dies von Bedeutung.
Herkunft ist Legitimation
Als am 1. Oktober 1273 Graf Rudolf IV. von Habsburg zum deutschen König gewählt wurde, werden sich einige Zeitgenossen die Augen gerieben haben. Ein Graf aus dem Südwesten des Reichs, ohne besondere Abstammung, kein Reichsfürst, sondern lediglich ein aufstrebender Territorialherr, sollte König werden? Die direkte Abstammung aus königlichem Geschlecht, wie es bei den Dynastien der Ottonen, Salier und Staufer gegeben war, scheint in diesem Fall keine grosse Rolle gespielt zu haben. Andere Gründe, auf die zurückzukommen sein wird, waren ausschlaggebend. Trotzdem: Wie legitimierten die Habsburger ihre Herrschaft, lediglich durch faktische Macht oder auch durch Abstammung? Bei genauerem Hinsehen lassen sich Verbindungen zu den Fürsten- und Königshäusern des deutschen Reichs zumindest erahnen.
Die erste und wichtigste Herkunftsthese ist wiederum über die Acta Murensia überliefert. Jean-Jacques Siegrist hat letztmals diese schwer einzuordnende Quelle beschrieben.13 Als Autor der Handschrift vermutete er einen Mönch des Klosters Muri, vielleicht sogar den Abt Cuno. In seiner knappen Darstellung der Klostergeschichte berichtet der Schreiber von einer unrechtmässigen Erwerbung des Herrenhofes und der Pfarrei Muri durch Kanzelin und seinen Sohn Radbot von Altenburg. Als Sühne habe Radbot zusammen mit seiner Gattin Ita von Lothringen im Jahr 1027 das Kloster gestiftet. Muri soll 1082 von seinen adligen Stiftern befreit und in ein Priorat des Schwarzwaldklosters St. Blasien umgewandelt worden sein, vier Jahre später aber bereits wieder unter die Vogtei, das heisst den Schutz der Stifterfamilie zurückgekehrt sein. In diese Handschrift integriert ist die Abschrift einer Urkunde, die als Testament von Bischof Werner von Strassburg, dem Bruder der Ita, bezeichnet und auf das Gründungsjahr 1027 datiert wird. Heute geht man davon aus, dass diese Urkunde erst 1086 fabriziert wurde. Mit der Fälschung sollte der damalige Zustand – eine freie Abtwahl und die Habsburger Klostervogtei – gerechtfertigt werden. Das Testament berichtet von einer zusammenhängenden Gründung von Kloster und Burg. Bischof Werner wird darin zum Erbauer der Habsburg gemacht mit der Begründung, die Klostervogtei sei an die Inhaber der Habsburg gebunden. Der Bischof wird als Jugendfreund des letzten ottonischen Kaisers Heinrich II. bezeichnet und scheint als Ahnherr der Habsburger geeignet gewesen zu sein. Allerdings ist seine Herkunft sehr ungewiss. Wahrscheinlich gehörte er nicht zu den frühen Habsburgern, sondern stammte aus einer lothringischen Verwandtschaft wie seine angebliche Schwester Ita, die Gattin von Radbot. Die Fälschung von 1086 wurde für die Traditionsbildung des Klosters wichtig und war letztlich die Basis für den eingangs bereits erwähnten königlichen Freibrief, den Albrecht II. von Habsburg 1114 in Basel für das Kloster erwirken konnte. Dem Schreiber ging es in seiner Darstellung aber auch um ein erstmaliges Verzeichnis des Stiftungsgutes, das vom Stiftergeschlecht immer wieder beansprucht worden war.