Umweltbildung (E-Book)

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Umweltbildung (E-Book)
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Bruno Scheidegger

Umweltbildung

Planungsgrundlagen und didaktische Handlungsfelder

ISBN Print: 978-3-0355-0718-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-0895-6

Umschlaggestaltung und Grafiken: Maison Standard, Bern

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Dank

1 Einleitung

1.1 Die Herausforderung

1.2 Meine Motivation

1.3 Das Brückenmodell als Antwort

1.4 Anwendung und Adressierte

2. Theoretische Fundierung

2.1 Grundmodell der Verhaltenserklärung

2.2 Eignung des Modells als Heuristik und Aussagekraft

3. Das Brückenmodell

3.1 Vom Grundmodell zum Brückenmodell

3.2 Gewohnheiten als Bildungsziel

3.3 Handlungsfelder der Dispositionsseite

3.4 Handlungsfelder der Situationsseite

4 Didaktische Handlungsfelder

4.1 Gewohnheiten

4.2 Subjektive Realität

4.3 Wissen

4.4 Einstellungen

4.5 Handlungsschemata

4.6 Training

4.7 Objektive Realität

4.8 Handlungsmöglichkeiten

4.9 Effizienz

4.10 Anreize

5 Ansätze für verhaltenswirksame Umweltbildung

5.1 Umweltbildung ist Bildung

5.2 Kontext der Umweltbildung

5.2.1 Lebenslanges Lernen

5.2.2 Handlungsorientierte Bildung

5.3 Interventionen zur Veränderung von Dispositionen

5.3.1 Didaktisches Prinzip: Lernprozessorientierung

5.3.2 Didaktisches Prinzip: Kompetenzorientierung

5.3.3 Didaktisches Prinzip: Zielgruppen- und themenspezifische Bildung

5.3.4 Didaktischer Ansatz: Erfahrungslernen

5.3.5 Didaktischer Ansatz: Einstellungsarbeit

5.3.6 Didaktischer Ansatz: Transformatives Lernen

Glossar

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Veröffentlichung des Brückenmodells war Bruno schon länger ein Anliegen. Kurz vor seinem unerwarteten und unfassbaren Tod hat er das Manuskript für dieses Buch vollendet. Es tröstet mich, dass dadurch seine Gedanken Interessierten, wie Ihnen, zugänglich gemacht werden können.

Brunos Sorge um die Natur im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen war groß. Deshalb engagierte er sich selbst vielseitig in der Umweltbildung. Er war überzeugt vom Nutzen und von der Wichtigkeit einer aktiven Mitwirkung. Mit diesem Buch wollte er einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten.

Ich weiß, dass sich Bruno über jegliche Verwendung seiner Gedanken freuen würde. Dabei wäre es ihm wichtig, dass das Modell lebendig bleibt, dass es nicht nur angewendet, sondern auch situativ angepasst und weiterentwickelt wird.

Im Gedenken an Bruno wünsche ich Ihnen, dass Sie dieses Buch in Ihrem Handeln unterstützt.

Daniela Pernici, Lebenspartnerin

In der Umweltbildung wurde schon viel darüber nachgedacht, wie ihre Wirkung in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft verbessert werden kann. Immer wieder ist dabei die Rede von einer wenig eindeutigen Beziehung zwischen Wissen und Handeln. Beklagt wird, dass die Bevölkerung zwar in hohem Maße umweltbewusst sei, das einzelne Individuum aber dennoch kaum ein umweltverträgliches Verhalten zeige. An der mehrfach bestätigten Analyse mangelt es also nicht. Es ist aber das erste Mal in der Umweltbildung, dass sich jemand derart systematisch konzeptionelle Gedanken macht, mit welchen didaktischen Lernarrangements die Kluft zwischen Wissen und Handeln auf vielfältige Weise auch tatsächlich überbrückt werden kann.

Die Umweltbildung weist zahlreiche Methodenbücher und passende didaktische Ideen vor, wie die Sensibilisierung für mehr Umweltbewusstsein gelingen kann. Verdienstvoll an Bruno Scheideggers Buch ist, dass er erstmals konkrete Vorschläge unterbreitet, wie Umweltbildnerinnen und Umweltbildner jenseits von individuellen Verhaltensappellen auch Lernumgebungen und Aktivitäten auf der situativen Seite schaffen können. Das Buch liefert Anregungen dazu, das bisher vernachlässigte »didaktische Handlungsfeld« der Situation zu gestalten. Gemeint ist die Befähigung zur »gesellschaftlichen Gestaltungsfähigkeit«. Zwar ist diese Befähigung mittlerweile längst akzeptierter Konsens im wissenschaftlichen Diskurs der Umweltbildung, aber didaktische Handreichungen hinken hinterher.

Brunos Verdienste können deshalb nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Wert seines Buches liegt darin, dass es eine umfassende Sammlung von konkreten und passenden Vorschlägen für eine handlungsorientierte Didaktik ist, die nicht bloß auf den individuellen Transfer hoffen muss, sondern beim Aufbau von Transformationskompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung dient. In diesem Sinne gibt es uns für die Planung und Evaluation von Umweltbildungsangeboten eine ganzheitliche Didaktik zur Hand.

Sandra Wilhelm, anders kompetent GmbH

Ich schreibe diese Worte in einer Stimmung von unwilligem Unverständnis und tiefer Trauer, aber auch demütiger Dankbarkeit.

Mein Freund und Kollege Bruno Scheidegger, der Autor dieses Buches, war für unzählige Menschen in der Umweltbildung, Erwachsenenbildung, in der Welt des Kanufahrens und der Outdoor-Education ein Vorbild. Er gehörte einer ganz seltenen Menschenart an: Er war im besten Sinne des Wortes ein praktischer Intellektueller. Er hatte nichts Abgehobenes; die Menschen und die Welt interessierten ihn handgreiflich.

Aber er war auch ein visionärer Vordenker: Mit seiner ruhigen, präzisen, sorgfältigen und hochkompetenten Art war er nie zufrieden mit schnellen Schein- oder Trendantworten. Er wollte der Sache auf den Grund gehen, sie verstehen und dann erklären können. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er nicht lockerließ, als wir für das Positionspapier der Fachkonferenz Umweltbildung – das später für die ganze Umweltbildungsszene der Schweiz zentral wichtig wurde – über den Sätzen brüteten, bis die perfekte Formulierung gefunden war, welche die Komplexität nicht reduzierte, sondern fassbar machte. Auf dieselbe Weise verfuhr er mit dem Rahmenkonzept Umweltbildung für die Schweizer Pärke und Naturzentren, das zu Brunos herausragenden Leistungen gehört. Sein Beitrag zur Umweltbildung der Schweiz kann gar nicht überschätzt werden. Ich weiß, dass die Umweltbildungsszene der Schweiz gemeinsam mit ihm ihre Professionalisierung und fachliche Kompetenz ein gutes Stück hätte vorantreiben können.

Die Tatsache, dass wir sein Buch vor uns haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit. In diesen Zeiten, wo wir x-beliebige Meinungen und gegoogeltes Infotainment als Wissen und Verständnis verkennen, kann uns Bruno Scheideggers Buch den nötigen Anstoß geben, genauer hinzuschauen, Komplexität nicht unnötig zu vereinfachen. Sein Handlungsmodell mit dem klaren Fokus auf Handlungsorientierung und reale gesellschaftliche Transformation als alleinige Daseinsberechtigung von Umweltbildung zwingt und erlaubt uns, unsere Bildungsbemühungen in der angemessenen Komplexität wahrzunehmen und entsprechend weiterzuentwickeln.

 

Bruno Scheidegger ist dieser systemische Tiefenblick gelungen, weil er immer jenseits der üblichen Muster unterwegs war. Er war eben nicht nur Naturwissenschaftler, sondern breit qualifizierter und erfahrener Erwachsenenbildner, Unternehmer, Kanuinstruktor, politisch aktiver Naturschützer, Freund, Berater und Unterstützer. Er war ein kritisch-konstruktiver Stiftungsrat bei SILVIVA, gründete neben der Kanuschule Versam auch die IG Ruinaulta zur Förderung von Schutz und nachhaltiger Nutzung der Vorderrheinschlucht zwischen Ilanz und Reichenau und setzte die Wanderausstellung zum »Lebensraum – Erlebnisraum Ruinaulta« oder den Online-Artenfinder des Projekts Faszinatur von Valendas Impuls um, damit die Menschen diese Naturperle konkret erfahren und verstehen können.

Diese Breite der Erfahrung, der Interessen, aber auch das Herzblut, das darin steckt, machen dieses Buch von Bruno Scheidegger so wichtig: Es ist gesättigt von Erfahrung und geht deswegen über alle reduktionistischen Handlungsmodelle hinaus, die uns bisher in der Umweltbildung zur Verfügung standen. Es leistet aber noch etwas: Es zeigt klar, dass Umweltbildung kein Sonderfall ist, sondern sich einschreibt in die besten gegenwärtigen Bemühungen, Bildung darauf auszurichten, dass wir die Herausforderung »nachhaltige Entwicklung« konstruktiv meistern können.

Dr. Rolf Jucker, Geschäftsleiter SILVIVA – Lernen in und mit der Natur

Dank

Ohne das hartnäckige Nachfragen, die Rückmeldungen und Diskussionen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld wäre diese Publikation nicht entstanden. Am Anfang standen die fragenden Blicke und das teilweise Unverständnis der Umweltingenieure und Umweltingenieurinnen des Studiengangs UI 2003, die mich zur Entwicklung des Brückenmodells animierten. Danach folgten unzählige spannende Diskussionen mit engagierten Menschen aus dem Umfeld der Stiftung Umweltbildung Schweiz und mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Zentrum Umweltbildung am Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen in Wädenswil. Ihnen allen danke ich für ihre kleinen und großen Beiträge zum Buch. Mein ganz besonderer Dank geht jedoch an Sandra Wilhelm für ihre langjährige unermüdliche Unterstützung sowie an Esther Boder und Jürg Minsch, die mich in der Schlussphase kritisch und ermunternd begleitet haben.

Bruno Scheidegger, im Frühjahr 2017

1 Einleitung

♦ Alles Einfache ist theoretisch falsch,

alles Komplizierte ist praktisch unbrauchbar. ♦

Paul Valéry

1.1 Die Herausforderung

Umweltbildung ist eine komplexe Sache. Bereits im Wort selbst zeigt sich eine grundsätzliche Schwierigkeit, die sich plakativ zuspitzen lässt: Die Lebensbedingungen auf der Erde werden sich nicht verbessern, solange jeder nur seine Umwelt bilden will, nicht aber sich selbst. Selbstverständlich geht es der Umweltbildung in keiner Weise darum, die Umwelt zu bilden, sondern wie bei jeder Bildung geht es um die Entwicklung von Menschen. Genauer gesagt, um Selbstentwicklung. In ihrem Positionspapier definiert die Fachkonferenz Umweltbildung (2014, S. 5): »Umweltbildung ist der Prozess und das Ergebnis, wenn Menschen bewusst und unbewusst Kompetenzen entwickeln, mit denen sie die Anforderungen des Lebens selbstbestimmt und als Teil einer Gemeinschaft meistern und dabei Mitverantwortung übernehmen für ihre soziale, kulturelle (durch den Menschen gestaltete) und natürliche Umwelt. Umweltbildung fokussiert auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.« Die Definition enthält zwei Prämissen für die vorliegende Publikation, das Bildungsverständnis und das generelle Ziel von Umweltbildung.

Bildung bezeichnet den individuellen Prozess »sich bilden« und das Persönlichkeitsmerkmal »gebildet sein«. Bildung wird als teils bewusster, teils unbewusster Lernprozess verstanden, der zu Selbstbestimmung, Verantwortung und Teilhabe, kurz zum mündigen Menschen führt. In den Worten des Philosophen Peter Bieri (2005): »Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen. […] [B]ilden kann sich jeder nur selbst.« Dieses Bildungsverständnis geht davon aus, dass die Lernenden als mündig und selbstverantwortlich respektiert werden. Klar von Bildung zu unterscheiden ist das Tätigkeitsfeld der Umweltbildner und Umweltbildnerinnen, nämlich von außen an die Lernenden herangetragene Bildungsangebote. Die Angebote ermöglichen Bildung, produzieren sie aber nicht. Die Steuerungsmöglichkeiten für Lehrende bleiben stets indirekt.

Das generelle Ziel von Umweltbildung ist eine erfolgreiche Gesellschaft, in der mündige Menschen zusammenleben und die großen Aufgaben Friede, Erhalt der natürlichen Grundlagen und angemessener Wohlstand für alle gemeinsam und zukunftssicher bewältigen. Für ein solches »gutes Leben« innerhalb der Tragfähigkeit der natürlichen Ökosysteme orientiert sich die Umweltbildung am Leitbild und normativen Rahmen der starken Nachhaltigkeit (Fachkonferenz Umweltbildung, 2014, S. 6). Nachhaltige Entwicklung jedoch ist ein dynamisches Konzept mit teils konkurrierenden Zielsetzungen. Umsetzbare Bildungsziele müssen für jede Entwicklungsaufgabe im Spannungsfeld zwischen individuellen und gesellschaftlichen sowie ökonomischen und ökologischen Interessen stets neu ausgehandelt werden. In der heutigen Zeit, in den demokratischen Gesellschaften des Westens bedingt nachhaltige Entwicklung eine gesellschaftliche Transformation hin zu neuen Formen von Produktion, Reproduktion und gesellschaftlichem Zusammenleben (mehr dazu: Welzer & Sommer, 2014). Dies geschieht nicht nach einem von irgendeiner Autorität verordneten Masterplan, sondern in einem autopoietischen, gesellschaftlichen Prozess durch suchende, sich irrende, lernende, mündige Menschen.

Indirekter Einfluss von Bildungsangeboten, Zielpluralität und ein Bildungsgegenstand, der von naturwissenschaftlichen Umweltthemen über Selbstregulations- und Verantwortungsfähigkeit bis hin zu gesellschaftlicher Gestaltungfähigkeit reicht, machen Umweltbildung zu einem anspruchsvollen didaktischen Betätigungsfeld. Und zu einem äußerst spannenden. Die Aufgabe der Lehrenden in einer so verstandenen Umweltbildung definiert der Erwachsenenbildner Horst Siebert (2000, S. 24) mit seiner Maxime »[Umweltbildung] ist nicht befugt, Antworten auf komplexe politische, ethische oder ökologische Fragen zu geben. Sie kann und sollte eine verantwortliche, lernende Auseinandersetzung mit Komplexität fördern.« Wer diese Aufgabe bewältigen will, muss selbst in einem komplexen System handlungsfähig sein.

1.2 Meine Motivation

Als ich 2004 an der Fachhochschule in Wädenswil die spannende Aufgabe übernahm, eine Fachstelle für Umweltbildung aufzubauen, stellte ich mit Erstaunen große Diskrepanzen fest zwischen Grundlagenliteratur, gelebter Umweltbildung in der Praxis und gängigen Lehrkonzepten. Offensichtlich handelte es sich um drei Welten mit nur geringen Überschneidungsflächen. Für den Unterricht war ich auf der Suche nach einer anschaulichen Heuristik, welche die großen Zusammenhänge im Themenbereich aufzeigt. Alle Modelle, die ich finden konnte, hatten Schwachstellen für meinen Einsatzzweck. Entweder waren sie zu theoretisch – damit die Studierenden mit ihnen hätten arbeiten können, hätte ich viel mehr Grundlagenwissen aus unterschiedlichen Disziplinen vermitteln müssen, als mir Lehrzeit zur Verfügung stand –, oder ihre Aussagen widersprachen meinem Fachwissen und meiner Erfahrung. Erklärungsmodelle für Umweltverhalten waren mehrheitlich wissenslastig, und die didaktischen Ansätze zur Förderung von umweltgerechtem Verhalten widersprachen meinen eigenen Erfahrungen aus Sport- und nonformaler Erwachsenenbildung, in der für eine handlungsorientierte Didaktik Emotionen, Fertigkeiten und Handlungskontext der Kognition mindestens gleichgestellt sind. Als größten Mangel empfand ich jedoch die Tatsache, dass beinahe alle gängigen Konzepte aus dem deutschsprachigen Raum Umweltbewusstsein und nicht Umwelthandeln als generelles Bildungsziel definierten.

Das Modell, das ich im Sinn hatte, sollte als Advance Organizer für den Unterricht aufzeigen, wie und unter welchen Bedingungen Bildungsangebote einen Beitrag zu umweltgerechtem Verhalten leisten. Es sollte Antworten auf die immer wieder kursierende Frage geben, wieso Wissen nicht zu Handeln führt.

1.3 Das Brückenmodell als Antwort

Ursprünglich hatte ich ein Brückenmodell angedacht, das aufzeigt, wie man vom Wissen zum Handeln gelangt, bis mir bewusst wurde, dass ich einer falschen Fragestellung aufgesessen war. Sie ist genauso falsch wie die Frage, wieso Wollen nicht zu Handeln führt oder wieso Können nicht zu Handeln führt. Harald Welzer (2015, S. 79) konstatiert dazu ganz einfach: »Einsicht dringt meist nicht bis zum Verhalten vor, weil das Verhalten nicht auf Einsicht beruht.« Dasselbe gilt für das Wollen und das Können. Verhalten und Handeln funktionieren nicht eindimensional, sondern sind multifaktoriell bedingt. Mal führt der Lernweg vom Wissen zum Handeln, mal vom Handeln zum Wissen. Die didaktische Fragestellung, die das Brückenmodell beantworten soll, lautet also: Welche Faktoren beeinflussen das Verhalten, und welchen Beitrag können Bildungsangebote leisten, damit Menschen die nachhaltige Entwicklung mitgestalten? Die Kluft liegt nicht zwischen Wissen und Handeln, sondern zwischen Innenwelt und Außenwelt sowie zwischen gestern und heute. Wir haben gestern gelernt, und wir handeln hier und jetzt.

Stellen Sie sich also eine Brücke vor, ein kräftiges Bauwerk aus Steinblöcken und Balken, wie wir sie in weniger entwickelten Regionen zum Teil noch heute antreffen. Auf der Brücke herrscht reger Verkehr, Menschen, Tiere und Fuhrwerke sind in beide Richtungen unterwegs. Ein Trupp Männer und Frauen ist an einer Stelle damit beschäftigt, die Fahrbahn und das Tragwerk auszubessern, ohne den Verkehr weiter zu behindern. Die Menschen sorgen dafür, dass die Brücke ihre Funktion erfüllt und sich den Anforderungen des Verkehrs laufend anpasst.

Die Bücke ist eine Metapher für die Interaktion des Subjekts mit seiner Mit- und Umwelt. Verhalten, Lernen, Bildung sind das Resultat dieser Interaktion zwischen Innen und Außen. Die Fahrbahn der »Gewohnheiten« deutet an, dass unsere Interaktionen vorwiegend von habitualisierten Handlungsmustern getragen werden, und der Fluss symbolisiert die Veränderung. Jedes Verhalten ist in einer historischen Zeit, an einem geografischen Ort und in einem sozialen Umfeld verortet. Die Voraussetzungen für unser heutiges Verhalten haben wir gestern erworben, und was wir im jetzigen Moment lernen, werden wir morgen in einer neuen Situation anwenden. Umweltbildung soll die Menschen zum Ausbruch aus ihrer subjektiven Wirklichkeit anstiften. Ihre Aufgabe erfüllt sie, wenn ein reger Austausch zwischen dem Subjekt und der Welt stattfindet und die Brücke laufend rekonstruiert wird.

… alles Komplizierte ist praktisch unbrauchbar

Nach mehr als 45 Jahren Umweltbildungsforschung besteht in der Fachwelt weitgehend Einigkeit zu einigen Rahmenbedingungen und Herausforderungen:

♦Umweltbildung ist Teil der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Um erfolgreich zu sein, benötigt sie Erkenntnisse aus den Natur- und Geisteswissenschaften. Rein naturwissenschaftliche Zugänge haben sich nicht bewährt.

♦Umweltprobleme sind keine objektiven Gegebenheiten. Sie werden von unterschiedlichen sozialen Gruppen und Individuen unterschiedlich wahrgenommen, bewertet und definiert. Die Menschen müssen die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich am »manchmal mühsamen Prozess des Debattierens, Klärens und Verhandelns« zu beteiligen (Kyburz-Graber, Halder, Hügli & Ritter, 2001, S. 241).

♦Mehr Wissen oder größere Betroffenheit allein führen nicht zu umweltfreundlicherem Verhalten (vgl. Kuckartz & de Haan, 1996). »Die in vielen Initiativen zur Umweltbildung angelegte implizite Prämisse, vom Wissen über Einstellungen zum veränderten Verhalten zu gelangen, lässt sich empirisch nicht halten« (Bolscho & de Haan, 2000, S. 9).

♦Lösungsansätze für Umweltprobleme sind vielschichtig. Sowohl die naturwissenschaftlichen Grundlagen wie Klima oder Biodiversität als auch die Bildungsprozesse für umweltgerechtes Verhalten können nicht durch lineares Denken erfasst werden. Die Lösung von Umweltproblemen ist möglich, wenn die Menschen lernen, mit dieser Komplexität umzugehen und die Relativität von Lösungsansätzen zu ertragen (vgl. Kyburz-Graber et al., 2001).

 

♦Nachhaltige Entwicklung erfordert eine tief greifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die nicht mit den bisherigen Entwicklungsstrategien bewältigt werden kann. Nötig ist ein gesellschaftlicher Suchprozess, für den auch Bildung neue Ansätze finden muss (vgl. WBGU, 2011).

Für die Umweltbildung in der Praxis ergibt sich aus diesen Erkenntnissen eine konstante Herausforderung: die Komplexität der Aufgabe. Sie erfordert ganzheitliche, systemische Bildungsansätze mit Maßnahmen auf mehreren Interventionsebenen. Bei der Planung und Bewertung von Umweltbildungsmaßnahmen ist es oft schwierig, die Übersicht über Wirkungszusammenhänge, sinnvolle Ansatzpunkte und notwendige unterstützende Maßnahmen zu behalten.

… alles Einfache ist theoretisch falsch

In der Wissenschaft ist es bei dieser Problemlage üblich, auf Heuristiken zurückzugreifen. Eine Heuristik dient der Orientierung. Sie schafft als Denkmodell Übersicht und macht Beziehungen sichtbar, ohne die Komplexität des Systems zu verleugnen. Das »Brückenmodell der didaktischen Handlungsfelder für verhaltenswirksame Umweltbildung« (siehe Buchklappe) dient in erster Linie der Anschaulichkeit. Als Heuristik erhebt es keinen Anspruch auf Vollständigkeit mit einer wasserdichten Theorie im Hintergrund. Es will gewisse Aspekte in den Vordergrund rücken und das Denken in eine bestimmte Richtung lenken.

Das Brückenmodell …

♦differenziert didaktische Handlungsfelder nach Verhaltensfaktoren;

♦vereinfacht die Orientierung in den komplexen Wirkungszusammenhängen;

♦zeigt auf, worin die Herausforderung von verhaltensorientierter Bildung liegt;

♦erleichtert die Beurteilung der Wirkung von Umweltbildungsangeboten;

♦hilft, die Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Einflussnahme zu verstehen;

♦ist in aktuellen theoretischen Konzepten zu Verhalten, Lernen und Wissenstransfer verankert, insbesondere in den Theorien der

–Umweltbildung / Bildung für nachhaltige Entwicklung,

–Verhaltens-, Lern- und Sozialpsychologie,

–Bildungswissenschaft,

–Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens.