Loe raamatut: «Seewölfe Paket 11», lehekülg 11

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5.

Der Mann, dem die portugiesische Niederlassung in Bantam unterstand, hieß Gaspar de Ribeiro. Hasard suchte ihn zusammen mit Dan O’Flynn am nächsten Morgen auf und traf ihn in der portugiesischen Faktorei an.

Sie wurden beide überraschend freundlich empfangen, ja nahezu liebenswürdig.

Dieser de Ribeiro war ein schlanker, kleiner, weißhaariger Mann mit einem schmalen, mahagonifarbenen Gesicht, zu dem das feste, weiße Haar einen scharfen Kontrast bildete. Lebhafte Augen musterten die beiden Besucher. Es waren Augen, die sich nicht versteckten.

Und darum entschloß sich Hasard, kein Versteck zu spielen – schon um den Drohungen de Jonges vorzubeugen, seine Identität an die Portugiesen zu verraten.

Er stellte Dan und sich vor und sagte rundheraus: „Wir sind Engländer, Señor de Ribeiro, und auf Ihre Hilfe angewiesen. Unser Schiff hat einen Ruderbruch, darum liefen wir Bantam an. Die Reparatur ist nur auf einer Helling möglich.“

„Kein Problem“, erwiderte der Portugiese lächelnd. „Ich hatte mir schon gedacht, daß Sie mich aufsuchen würden. Hier spricht sich alles sehr schnell herum – auch jene Dinge, die heute nacht passierten, ganz abgesehen davon, daß Kapitän de Jonge ja sehr laut brüllte, als er Ihrem Schiff einen Besuch abstattete, um Sie auf seine Seite zu ziehen. Nun, Sie haben ihn abblitzen lassen, und ich bin ehrlich genug, Ihnen zu sagen, daß ich darüber sehr erleichtert bin.“ Wieder lächelte de Ribeiro. „Die Legenden über Sie stimmen, Kapitän Killigrew.“

Hasard runzelte die Stirn. „Welche Legenden?“

„Daß Sie ein fairer Mann seien. Zufällig kenne ich einen portugiesischen Kapitän, der seinerzeit in der Armada mitsegelte, die Kämpfe miterlebte und zu jenen gehört, denen die Rückkehr um England und Irland gelang. Von ihm weiß ich, was Sie alles für meine Landsleute taten, nachdem die Schlacht geschlagen war. Sie kümmerten sich um die Schiffbrüchigen – ganz im Gegensatz zu einem gewissen Francis Drake. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ich auch Ihnen jetzt helfe. Sie können Ihr Schiff sofort zur Helling verholen. Ich werde veranlassen, daß der Hellingmeister genügend Leute bereitstellt, um Ihr Schiff aufzuslippen. Brauchen Sie Schiffszimmerleute?“

„Ich habe den besten, den es gibt.“ Hasard lächelte. „Aber herzlichen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft. Die Reparatur können wir selbst durchführen.“

„Gut. Wie steht es mit Proviant, Trinkwasser und so weiter? Sie können in der Faktorei alles kaufen, auch Gewürze, schließlich sind wir eine Handelsniederlassung und leben davon. Damit möchte ich ausdrücken, daß wir einen friedlichen Handel und Wandel für fruchtbarer halten als kriegerische Auseinandersetzungen.“ Der Portugiese seufzte. „Seit wir dieses Paradies entdeckt haben, mehren sich über die Jahrzehnte die Anzeichen, daß wir uns von ihm immer weiter entfernen. Zuerst hatten wir keine Schwierigkeiten. Jetzt werden die Menschen auf allen diesen Inseln uns gegenüber feindlicher. Die Weißen stören uns, sagen sie. Erst haben wir ihnen freiwillig gegeben, was sie haben wollten, jetzt fordern und verlangen sie und wenden Gewalt an. Sogar ihren Gott wollen sie uns aufzwingen und behaupten, es gäbe nur diesen einen, dabei wissen wir, daß dies nicht wahr sein kann. Ja, so sagen sie – und sie haben recht. Jetzt sind die Niederländer hier aufgetaucht und benehmen sich in einer Weise, die den Haß herausfordert. Seit eine Javanerin von dem Profos des Flaggschiffs vergewaltigt wurde, brodelt es in Bantam. Und wir Portugiesen kriegen es ebenfalls zu spüren. Man wirft uns mit den Niederländern in einen Topf.“

Hasard nickte. „De Jonge würde sich hier gern festsetzen.“

„Ich weiß. Er war nicht damit zufrieden, seine Laderäume mit Gewürzen vollzustopfen. Das genügt ihm nicht. Er will den ganzen Handel an sich reißen, und wir sind ihm dabei im Weg. Noch zögert er, gegen uns loszuschlagen – aus Respekt vor unseren fünf Galeonen, von denen drei längst die Rückreise hätten antreten sollen. Ich mußte sie zurückhalten, um Macht zu demonstrieren, die ich sonst keineswegs demonstrieren möchte, zumal ein solches Verhalten dem Ansehen des weißen Mannes keineswegs nutzt. Nun gut, lägen hier nur zwei portugiesische Galeonen, wäre de Jonge längst über uns hergefallen. Jetzt wartet und lauert er. Außerdem versucht er, sich bei dem Sultan des Banten-Reiches einzuschmeicheln, mit dem wir einen Vertrag für den Gewürzhandel abgeschlossen haben. Auf gut europäisch gesagt: Er intrigiert und verspricht dem Sultan das Blaue vom Himmel herunter. Natürlich sind wir Portugiesen Blutsauger, Halsabschneider, Erpresser und Lumpen. Wir sollen die Javanerin gedungen haben, den Profos zu verführen. Stellen Sie sich das vor!“

„Wie verhält sich der Sultan?“ fragte Hasard nachdenklich.

„Korrekt. Er mag den niederländischen Kapitän nicht, wie er mir vertraulich mitteilen ließ.“ De Ribeiros Augen waren umschattet. „Angenommen, der Sultan wird ermordet. Dann entsteht eine völlig neue Situation, denn unser Vertrag mit ihm wäre hinfällig, ganz abgesehen davon, daß sein Sohn noch ein Kind ist. Er wäre der rechtmäßige Thronfolger. Das Banten-Reich müßte, solange der Sohn noch nicht regieren kann, von einem Reichsverweser verwaltet werden. Die Frage stellt sich, was wird dieser Reichsverweser für ein Mann sein? Ist er bereit, Verträge, die vom Sultan abgeschlossen wurden, zu verlängern? Oder erliegt er den Versprechungen, den Schmeicheleien, den Lügen eines de Jonge? Und um auch das noch zu sagen: Ich bin durchaus der Meinung, daß ein Land, das bestimmte Handelsgüter im Überschuß hat und sie verkaufen möchte, mit mehreren Ländern Handel treiben kann. Es sollte keiner bevorzugt werden, vorausgesetzt, es handelt sich um ehrbare Leute, die den Handel betreiben. Aber bei Männern wie de Jonge kann einen das Grausen packen. Sie sind es, die das Paradies zerstören. Verstehen Sie jetzt, warum ich so erleichtert bin, daß Sie ihm eine Abfuhr erteilt haben?“

Hasard bejahte und sagte: „Er versuchte es erst mit Arroganz, dann mit Drohung und Erpressung – ein schlechter Diplomat. Im übrigen ist er ein Feigling, ein Mann mit einem großen Maul, das er sofort zuklappt, wenn es ihm selbst an den Kragen geht. Ich habe die Niederländer als tapfere und vor allem faire Kämpfer kennengelernt und kann nur hoffen, daß Kerle wie de Jonge und sein Profos die Ausnahme sind. Im übrigen habe ich das Gefühl, daß die Crew der ‚Zwarte Leeuw‘ keineswegs glücklich über ihren Kapitän ist. Sie steht nicht voll hinter ihm. Vielleicht weiß er das und wagt deshalb nicht, Sie anzugreifen, solange das Gleichgewicht der Schiffseinheiten besteht. Mit meiner Beteiligung wollte er es zu seinen Gunsten verändern.“

Gaspar de Ribeiro blickte Hasard aufmerksam an. „Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie sich verhalten werden, wenn er unsere fünf Schiffe angreifen sollte?“

Hasard lächelte. „Darf ich die Frage von Mister O’Flynn beantworten lassen? Ich möchte wissen, ob er genauso antwortet, wie ich es tun würde.“

„Ah!“ Jetzt lächelte auch de Ribeiro. „Eine Art Probe, wie?“

„So ist es“, erwiderte Hasard. „Wir wechseln bei uns an Bord häufig die Rollen. Mister O’Flynn könnte die Rolle des Stückmeisters, des Segelmachers, des Schiffszimmermanns oder auch die des Kapitäns übernehmen – und umgekehrt. Jeder lernt die Rolle des anderen kennen – bis zur Perfektion. Bei Ausfällen könnte es sein, daß er selbständig handeln und auch entscheiden muß, um das Schiff zu erhalten. Auf der ‚Isabella‘ fahren freie Männer. Sie haben Narben davongetragen, sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Darum haben sie bisher überlebt.“

„Jetzt verstehe ich“, sagte der Portugiese, und Bewunderung klang in seiner Stimme mit.

„Das ist aber noch nicht alles, Señor de Ribeiro“, sagte Hasard. „Ich muß es erwähnen, weil es wichtig ist. Alle Männer der ‚Isabella‘ sind auch ihre Miteigner oder Reeder, wenn Sie so wollen. Sie beteiligten sich am Kauf des Schiffes.“

„Das gibt es doch gar nicht“, sagte der Portugiese verblüfft, ja nahezu betroffen.

Hasards Lächeln war fein und verhalten. „Warum nicht?“

„Das Geld!“ platzte de Ribeiro heraus. „Woher hatten sie denn das Geld, um sich an dem Kauf eines solchen Schiffes beteiligen zu können?“ Er betonte das „eines solchen“ und verriet damit, daß er wohl erkannt hatte, was die „Isabella“ von anderen Galeonen unterschied.

Ganz offen erwiderte Hasard: „Sie knöpften es den Spaniern ab – jenen Spaniern, die drüben die Neue Welt ausplünderten. Wenn ich ‚sie‘ sagte, so zähle ich natürlich auch dazu. Darf Ihnen Mister O’Flynn jetzt antworten?“

„Jawohl, Sir“, sagte de Ribeiro. Er sagte „Sir“!

Dan O’Flynn hob den Kopf mit den hellen, scharfen Augen, lächelte leicht und sagte: „Ich glaube, daß ich richtigliege, wenn ich erkläre, daß Kapitän Killigrew ein Mann ist, der zwischen zwei Parteien den Standpunkt der Neutralität vertritt, vorausgesetzt, beide Parteien sind gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die Kampfkraft dieser beiden Parteien. Sollte jedoch die eine oder andere Partei zu Mitteln greifen, die unmenschlich, grausam, tückisch, gemein – nach christlicher Auffassung teuflisch – sind, dann wird sich Kapitän Killigrew auf Biegen und Brechen für jene Partei einsetzen und schlagen, die einen solchen Weg nicht geht. Das ist eine Frage des Rechtsstandpunktes. Es gibt ein Kriegsrecht, ein moralisches Recht, ein Recht des Schwächeren – vielleicht. Nur ist Recht unteilbar. Das Recht eines Stärkeren – weil er die Macht hat – haben wir Männer der „Isabella‘ nie anerkannt. Ich fasse zusammen, um Ihre Frage, Señor de Ribeiro, zu beantworten – anstelle meines Kapitäns: Kapitän de Jonge versuchte, uns zu erspressen. Die Antwort werden wir ihm nicht schuldig bleiben, falls er versuchen sollte, Sie anzugreifen.“

Gaspar de Ribeiro starrte Dan O’Flynn sprachlos an, dann wechselte sein Blick zu Hasard.

Hasard sagte: „Kein Kommentar.“

Jetzt war der weißhaarige Mann fast verstört.

„Mein Gott“, murmelte er, „das gibt es doch nicht, das kann es nicht geben, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Sollte die Welt anders sein, als ich meinte erkannt zu haben – und ich habe über ein halbes Jahrhundert hinter mir!“

„Die Welt“, sagte Hasard, „ist weder gut noch schlecht. Sie ist nur so, wie wir Menschen sie gestalten. Es gibt das Gute, und es gibt das Böse. Vielleicht muß das so sein, damit das Gute nie einschläft. Nur – was ist gut?“

Und damit verließen sie Gaspar de Ribeiro.

Als sie zur „Isabella“ zurückgingen, sagte Hasard: „Deine Antwort war gut, Dan. Sie entspricht genau meiner Auffassung. Seit wann denkst du über Recht nach?“

Sehr ernst sagte Dan O’Flynn: „Seit ich zum ersten Male begriff, auf welche Weise dein Pflegevater, Sir John Killigrew, Herr auf Arwenack, über die Leute von Falmouth herrschte, ohne irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Da war ein besonderer Punkt, der mich zuerst irritierte und dann empörte. Er nahm sich das Recht heraus, für seine Mannen auf Arwenack Ehen zu schließen und in der ersten Nacht nach der Hochzeit mit der Braut zu schlafen – ob das dem Bräutigam und der Braut paßte oder nicht. Und war dann auch noch ein Kind die Folge, dann durfte der auf diese Weise gehörnte Ehemann für den Bastard sorgen. Sir John hielt es nicht für nötig, sich darum zu kümmern. Ich gebe ohne weiteres zu, daß ich damals fest entschlossen war, Sir John umzubringen, falls mir so etwas widerfahren sollte. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum ich von zu Hause ausrückte. Was Sir John in burgherrlicher Weise tat, verletzte die Würde des Menschen. Das ist jedenfalls meine Meinung.“

„Sie ist richtig“, sagte Hasard.

Eine Stunde später verholten sie die „Isabella“ zu der Helling, scheel beäugt vom Kapitän der „Zwarte Leeuw“, der wie ein gereizter Bulle auf der Kampanje seines Schiffes hin und her marschierte. Aus dem Verholen der „Isabella“ mußte er schließen, daß sich Hasard mit den Portugiesen geeinigt hatte.

Die Männer der „Isabella“ leisteten Schwerarbeit. Sie hatten die beiden Beiboote ausgesetzt, lange Leinen zu den Pollern auf dem Galionsdeck ausgefahren und schleppten die Galeone mit Muskelkraft zur Helling.

Je acht Männer pullten in den beiden Beibooten. Und wenn einige Kerle auf der „Zwarte Leeuw“ zuerst höhnisch gegrinst hatten, dann war denen das Grinsen sehr schnell vergangen, denn die Seewölfe hatten einen Schlag drauf, mit dem sie ihr Schiff glatt bis Sumatra hätten verholen können – quer über die Sundastraße.

Der breitschultrige Bootsmann, der in einem der beiden Beiboote das Verholmanöver leitete, tat das mit einer Lässigkeit, als jongliere er tagtäglich mit Galeonen über irgendwelche Reeden.

Das wickelte sich alles ohne viel Tamtam, Brüllerei oder Hektik ab. Einige der Niederländer verstiegen sich zu der Ansicht, auf diese Weise könnten die „Isabella“-Kerle glatt ein Gefecht führen, woran sogar ein Fünkchen Wahrheit war, was die Manövrierbarkeit betraf.

Der Wind stand in die Bai, was diese Kerle dazu ausnutzten, die Galeone bis etwa sechzig, siebzig Yards quer vor die Helling zu schleppen und sie dann vom Wind mit dem Heck zur Slipanlage herumschwojen zu lassen. Der Bug blieb seewärts gerichtet, gehalten von den sanft anpullenden Männern in den beiden Beibooten. Der Wind trieb die Galeone jetzt – mit dem Heck voran – auf die Slipanlage zu.

Die beiden Beiboote, schräg vom Bug weg herausgestaffelt, wirkten jetzt wie Ruder oder auch bremsend, je nachdem, was notwendig war.

Es sah fast spielerisch aus, wie die schlanke Galeone mit den überlangen Masten und den niedrigen Aufbauten in die richtige Position dirigiert wurde – und dennoch war es ein irres Manöver, das sich kaum einer der Niederländer zugetraut hätte.

Und weil ein großer Teil der niederländischen Crew dieses Manöver lautstark bewunderte, platzte Pieter de Jonge mal wieder vor Wut und brüllte seine Leute an, ob sie nichts Besseres zu tun hätten, als Maulaffen feilzuhalten.

Damit der Schlendrian nicht einriß, ließ er seine Kerle die Decks schrubben, was reine Schikane war, weil das morgendliche Reinschiff vor drei Stunden beendet worden war.

Später ließ er sich von einer Pinasse zu den vier ankernden Galeonen pullen und schien auch dort Kapitäne und Mannschaften auf Trab zu bringen, denn als er zurückkehrte, gingen die vier Galeonen ankerauf und übten vor dem Baiausgang das Segeln im Verband. Vielleicht wollte er auch demonstrieren, daß er es in der Hand habe, die Bantambai abzuriegeln oder zu blockieren.

Die „Isabella“ wurde mit dem Heck voran auf die Slipanlage bugsiert und über mehrere Winschen, an denen Portugiesen und Eingeborene unter der Leitung des Hellingmeisters arbeiteten, so weit aus dem Wasser gezogen, daß das Heck freikam.

Dann ging Ferris Tucker, unterstützt von Big Old Shane, Al Conroy und einigen anderen Helfern, an die Arbeit.

Gegen Mittag fielen die Seewölfe über die vom Kutscher gebratenen „Piephähne“ her, wie Carberry sie nannte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte de Jonge ein Schauspiel besonderer Art zu bieten.

Die vierzehn Mannen, die in der Nacht von den sechs Seewölfen als Wein- und Schnapsleichen auf der Pier abgeliefert worden waren, wurden nacheinander auf der Kuhl ausgepeitscht.

Das besorgte der Bulle von Profos, der aus der Vorpiek geholt worden war.

Dann wurde die Prozedur umgekehrt.

Da wurde der Profos an die Wanten gespannt, und die vierzehn von ihm ausgepeitschten Männer durften ihm das Fell gerben. Sie taten es mit Wonne und der entsprechenden Wut.

Das Gebrüll des Profos’ dröhnte über Hafen und Reede. Auf den Piers versammelten sich Zuschauer – Chinesen, Inder, Araber, Portugiesen, Eingeborene, Indonesier, Dänen, Franzosen, Spanier. Da gab es schadenfrohe, höhnische, entsetzte, aber auch ausdruckslose Gesichter.

Den Seewölfen war der Appetit vergangen.

„Ist dieser Affenarsch von Kapitän wahnsinnig?“ grollte Edwin Carberry erbittert. „Erst schlägt der Profos den Kerlen die Haut in Fetzen und dann wird umgekehrt verfahren! Wo soll da der Sinn liegen?“

Luke Morgan, frech wie eh und je, nahm es mehr von der grimmigheiteren Seite und sagte: „Einem Profos muß eben auch mal die Haut in Streifen von seinem Affen …“

„Halt’s Maul, Mister Morgan!“ blaffte ihn Carberry an. „Was dort passiert, ist nicht mehr normal. Und das vor aller Augen! Dieses Rübenschwein von Profos hat eine Strafe verdient, aber nicht so.“

„Wie denn?“ erkundigte sich Luke Morgan.

„Weiß ich auch nicht“, knurrte Carberry verstimmt. „Ich weiß nur, daß ich nichts dagegen hätte, wenn die Macker dort drüben auch ihrem verdammten Kapitän die Neunschwänzige überziehen würden, der hätte es nötiger als alle anderen.“

„Abgesehen von dem Profos“, ergänzte Luke Morgan.

„Ach laß mich zufrieden“, sagte Carberry brummig.

Der Profos drüben brüllte nicht mehr. Er hing in den Wanten, offenbar ohnmächtig. Sein Rücken sah übel aus. Einer, der ohnmächtig ist, spürt nichts mehr. Also wurde das Auspeitschen eingestellt. Aber der Profos blieb weiter in den Wanten hängen – wie ein aufgespanntes Hemd an der Wäscheleine.

Eine Viertelstunde später meldete Bill, der Moses, den Anmarsch Kapitän de Jonges.

„Was will der denn nun wieder“, murrte Carberry und ließ Hasard wahrschauen.

Am Heck waren Leitern angebracht worden, verbunden mit Querbrettern, damit Ferris Tucker bequem arbeiten konnte. Eine weitere Leiter stand auf der Steuerbordseite der „Isabella“, um von und an Bord gelangen zu können.

Dort schob Batuti Wache mit der Order, keinen Fremden an Bord zu lassen.

De Jonge, stiernackig, rot und schwitzend, walzte heran, als gehöre ihm das Werftgelände. Er steuerte das Heck an, sah zu, wie dort gearbeitet wurde, und pumpte sich schon wieder auf, weil ihn niemand beachtete.

Dann ließ Ferris Tucker ein Stemmeisen fallen, das sich genau vor der rechten Stiefelspitze des Kapitäns in den Boden bohrte.

Ferris Tucker tat erstaunt, als er den tomatenroten Kapitän unter sich erblickte, und sagte: „Verzeihung. Aber Glück muß man haben, wie? Das Stemmeisen hätte ja auch Ihre Rübe treffen können.“

„Das war Absicht!“ schrie der Kapitän. „Das war ein Anschlag auf mein Leben!“

Ferris Tucker grinste hinunter. „Alte Seemannsregel: man stellt sich weder unter schwebende Lasten noch unter Plätze, an denen gearbeitet wird. Müssen Sie sich merken, Freundchen.“

„Unverschämtheit! Was erlauben Sie sich? Wer sind Sie überhaupt?“

„Der Schiffszimmermann“, erwiderte Ferris Tucker trocken, „oder sieht man das nicht? Wird bei Ihnen ein Ruder vom Segelmacher genäht, wenn es gebrochen ist?“ Er spielte mit dem schweren Hammer, der in seinen mächtigen Fäusten dennoch wie ein Spielzeug aussah. „Sonst noch Fragen, Freundchen? Ich hab nämlich zu arbeiten und keine Zeit – wie andere Leute –, die nichts Besseres zu tun haben, als herumzubrüllen und sich für den Nabel der Welt zu halten. Könnten Sie mir mal das Stemmeisen nach oben werfen?“

De Jonge drehte sich abrupt um und marschierte auf Batuti los.

„Weg da, Nigger!“ herrschte er den riesigen Mann an.

Batuti stand wie ein Baum und versperrte die Leiter. An ihm ging kein Weg vorbei.

„Sagtest du Nigger, weißer Mann?“ fragte er höflich. „Wenn ja, dann laß es besser, sonst geht’s dir wie deinem Profos, dem ich was aufs große Maul geschlagen habe, als er meinte, mich beleidigen zu dürfen.“

Kapitän de Jonge wich zwei Schritte zurück. Sein Gesicht war fahl geworden, bis auf zwei rote Flecken, die auf seinen Jochbeinen prangten.

„Ich will den Kapitän sprechen“, sagte er und betastete sein Kinn.

Batuti begutachtete es und verkniff sich ein Grinsen. Da hatte sein Kapitän auch ganz schön zugehauen – in der Nacht, als de Jonge ins Wasser geflogen war.

Hasard enterte nach unten ab und wandte sich de Jonge zu.

„Was wollen Sie?“ fragte er kalt.

De Jonges Augen wurden lauernd. „Sie haben sich mit de Ribeiro arrangiert?“

„Geht Sie das was an?“

„Allerdings. Denn wenn Sie sich mit ihm arrangiert haben, werde ich jetzt dafür sorgen, daß er erfährt, welche Laus er sich in den Pelz gesetzt hat – nämlich den berüchtigten Seewolf!“

Hasard lachte lauthals.

„Das weiß er schon“, sagte er.

„Wieso?“ Das Hauklotzgesicht wirkte ziemlich dumm.

„Oh!“ Hasard verbeugte sich ironisch. „Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen vorgegriffen habe, aber ich hielt es für richtiger, mich selbst vorzustellen und ihm zu sagen, wer ich bin.“

„Was denn – Sie haben es ihm selbst gesagt?“ fragte der Kapitän entgeistert.

„Warum nicht?“

„Sie lügen!“

Hasards eisblauer Blick wurde dolchscharf. „Mäßigen Sie sich, Mann. Sie haben ein seltenes Talent, die üblichen Höflichkeiten zu mißachten und andere zu provozieren. Bleiben Sie auf dem Boden, oder wollen Sie noch einmal ins Wasser fliegen, um sich abzukühlen?“

„De Ribeiro hat Sie nicht in Ketten legen lassen?“

„Warum sollte er? Er hatte bereits von mir gehört und rechnete es mir hoch an, daß ich mich damals nach der Schlacht gegen die Armada um die Schiffbrüchigen gekümmert hatte. Sie sehen, auch unter vermutlichen Feinden kann man Freunde haben, echte Freunde, wohlbemerkt.“

„Sie ziehen es vor, mit den Feinden Ihres Landes zu paktieren? Sie sind ein Verräter!“

Hasards Geduldsfaden wurde arg strapaziert. „Mir neu, daß Señor de Ribeiro ein Feind meines Landes ist. Er war höflich, sehr freundlich und hilfsbereit. Im übrigen hält er es mehr mit einem friedlichen Nebeneinanderleben als mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist ein Standpunkt, den ich respektiere und achte. Vielleicht sollten gerade Sie einmal darüber nachdenken, falls Ihnen das nicht zu anstrengend ist. Daß Sie mich einen Verräter nannten, möchte ich überhört haben. Dieser Vorwurf erscheint mir auch unlogisch.“

„Wieso?“

„Weil zwischen Portugal und England kein Krieg herrscht.“

„Portugal und Spanien wollen die Welt erobern, und das muß verhindert werden!“ brauste der Kapitän auf.

„Und Sie wollen im großen Kuchenteig mit herumrühren, nicht wahr?“

„Natürlich!“

„Na, dann Prost. Die Welt wird beglückt sein, wenn Sie auftauchen – ein Vollidiot, der es fertigbringt, ganz Bantam zusehen zu lassen, wie sich Ihre Leute gegenseitig die Rücken blutig peitschen müssen. Da weiß jeder gleich, was ihn erwartet, wenn Sie hier das Zepter schwingen sollten.“

„Jawohl!“ Der Kapitän warf sich in die Brust. „Alle Welt sollte zusehen, jawohl! Damit diese Strolche, Kanaken, Spitzbuben und Faulenzer gleich wissen, daß bei uns Niederländern Zucht und Ordnung herrschen. Das kann diesem Pack nicht eindeutig genug demonstriert werden.“

„Mein Gott“, sagte Hasard erschüttert, „jetzt erzählen Sie nur noch, Sie fühlen sich als Werkzeug Gottes – dazu ausersehen, die dummen Heiden zu bekehren!“

„Ich bin ein Werkzeug Gottes, jawohl!“ Jetzt hämmerte sich dieser Mann die Faust an die Brust. „Dazu auserkoren, die Heiden mit Stumpf und Stiel auszurotten!“

Ferris Tucker fing als erster an zu lachen und fiel fast von der Leiter. Das Lachen pflanzte sich fort.

„Huch!“ brüllte Carberry mit seiner Donnerstimme. „Dieser Affenarsch ein Werkzeug Gottes! Habt ihr das gehört, Männer?“ Er beugte sich über das Schanzkleid der Steuerbordseite und schrie nach unten: „Du lausiger Schinder, du stinkender Käse aus den Niederlanden, du angegammelte Schellfischleiche – weißt du, was du bist? Ein armer Irrer bist du! Ein Irrer, über den man sich totlachen kann! Sir, dürfte ich dich bitten, einige Schritte zur Seite zu treten? Ich habe hier ’ne Abfallpütz vom Kutscher. Die würd ich dem Gotteswerkzeug gern über den Schädel kippen. Sind auch ein paar abgeknabberte Hühnerbeinchen dabei!“

„Mister Carberry!“ sagte Hasard streng. „Ich möchte doch sehr bitten.“

„Schade“, sagte Ed Carberry enttäuscht.

„Sie lehnen es ab, an meiner Seite zu kämpfen?“ zischte der Kapitän.

„Erraten. Mein Profos nannte Sie einen armen Irren. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen, allerdings würde ich das Eigenschaftswort ‚arm‘ mit ‚gemeingefährlich‘ austauschen. Ein armer Irrer ist harmlos. Aber Irre wie Sie rotten Völker aus und fühlen sich noch dazu von Gott aufgerufen, wobei ich den Verdacht hege, daß Sie den Gottesauftrag nur als Tarnmäntelchen für Ihre habgierigen Ziele benutzen. Meine Männer haben über Sie gelacht, und es ist auch lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Aber ich sehe schon, Sie verstehen kein Wort. Sie wollen andere Ansichten gar nicht verstehen. Trotzdem gebe ich Ihnen den Rat: Segeln Sie ab! Suchen Sie sich eine unbewohnte Insel – es gibt genug hier –, und gründen Sie dort Ihr Reich, wo Zucht und Ordnung herrschen. Vielleicht finden sich ein paar Verrückte, die Ihre Gegenwart ertragen. Aber lassen Sie die Menschen dieser Insel und jene, die sich aus anderen Ländern hier niedergelassen haben, zufrieden. Das wäre im Sinne Gottes, so wie ich ihn verstehe.“

„Menschen dieser Insel?“ Der Kapitän lachte verächtlich. „Das sind Affen! Sparen Sie sich Ihre Belehrungen!“ Und von oben herab setzte er hinzu: „Entweder, Sie kämpfen auf meiner Seite …“

„Oder?“

„Oder meine Schiffe schießen Sie zusammen, wenn Sie feige Fahnenflucht begehen wollen. Noch gewähre ich Ihnen eine Gnadenfrist, sich zu besinnen. Wenn Ihr Ruderbruch repariert ist, erwarte ich Ihre Meldung, daß Sie bereit sind, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen …“

„Sir!“ rief Ben Brighton nach unten. Er stand auf dem Achterdeck. „Ich schlage vor, diesen Burschen bei uns in die Vorpiek zu sperren. Dann ist endlich Ruhe!“

Wie in der Nacht zuckte die Rechte des Kapitäns zur Pistole. Batuti tippte ihm auf die Schulter. Als de Jonge sich zu ihm umdrehte, etwas irritiert, sauste Batutis Handkante nach unten und prellte ihm die Pistole aus der Hand. Lässig stieß sie der riesige Gambia-Neger mit dem Fuß weg.

Er blickte Hasard an: „Vorpiek, Sir?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Bring ihn aus dem Werftgelände. Der Kerl beschmutzt nur unsere Vorpiek.“

Batuti fletschte die weißen Zähne, schnappte sich den Kapitän am Kragen, hievte ihn etwas hoch und trug ihn am ausgestreckten Arm zum Werfttor. De Jonge zappelte und brüllte.

Hinter dem Werfttor stellte ihn Batuti auf den Boden und trat ihm kräftig in den Hintern. Der Kapitän schoß, Kopf voraus, durch die Luft, schrammte über die Katzenköpfe und landete nach zehn Yards.

„Das war für den Nigger!“ rief ihm Batuti hinterher.

Žanrid ja sildid
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