Loe raamatut: «Seewölfe Paket 22», lehekülg 15

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5.

Siri-Tong wandte sich erneut den Engländern zu. Diesmal sprach sie direkt Charles Stewart an, der mit verbissenem Gesicht auf die Planken stierte.

„Was haben Sie mit Ihrem Überfall auf das Schiff des Seewolfs bezweckt, Mister Stewart?“

Stewart hob den Kopf und grinste spöttisch.

„Das ist – mit Verlaub gesagt – eine dämliche Frage, Madam“, erwiderte er geradezu provozierend. „Denn erstens einmal haben wir von Ihrer Majestät, der Königin, den Auftrag gehabt, einen Betrüger, Spion und Verräter namens Philip Hasard Killigrew zu fangen und nach England zu bringen. Zweitens hätte sich durch den Überfall für uns die Möglichkeit ergeben, uns in den Besitz von zwei Schiffen zu bringen, da die eigenen, die ‚Orion‘ und die ‚Dragon‘, ja bekanntlich von Ihnen versenkt wurden. Im übrigen, Madam, bin ich es als Offizier gewohnt, die Befehle Ihrer Majestät auszuführen. Ich sehe deshalb überhaupt nichts Verbrecherisches an meiner Handlungsweise, im Gegenteil – es wäre ein Akt des Ungehorsams gegen die Königin gewesen, wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie ich es getan habe.“

Marc Corbett fuhr empört dazwischen.

„Was dieser Kerl hier behauptet, ist ungeheuerlich, Madam. Er dreht und wendet den Spieß, wie es ihm in den Kram paßt und findet sogar noch Entschuldigungen für seine niederträchtige Verhaltensweise. Außerdem stimmt es nicht, daß ein Befehl Ihrer Majestät, der Königin, vorliegt. Er kann keinen Beweis dafür erbringen, denn ein schriftlicher Befehl oder Auftrag der Königin für die Gefangennahme Sir Hasards existiert höchstwahrscheinlich nicht. Mein Kommandant, Sir Edward“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn, „hat jedenfalls weder von der Königin noch vom Lordadmiral einen solchen Befehl erhalten.“

„Das ist sehr interessant, Mister Corbett“, sagte Siri-Tong. „Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“

„Nun, ich sagte ja bereits, daß der ‚Orion‘ kein schriftlicher Befehl vorlag. Außerdem haben bereits die Kapitäne Rooke und Wavell, die Kommandanten der ‚Centurion‘ und der ‚Eagle‘, von Sir Henry Battingham verlangt, einen solchen Auftrag einsehen zu dürfen, aber Sir Henry hat das abgelehnt und sich damit herausgeredet, Sir Andrew Clifford sei im Besitz dieser königlichen Order.“

„Wurde das jemals überprüft?“

„Nein, Madam, denn Sir Andrew war zu diesem Zeitpunkt bereits Geisel des John Killigrew und konnte demzufolge nicht befragt werden. Deshalb nahmen wir zunächst an, daß Ihre Majestät Sir Henry oder Sir Andrew vielleicht nur eine mündliche Order erteilt hat und darauf vertraute, daß diese sich bei den Kommandanten der vier Kriegsgaleonen durchsetzen würden.“

„Das ist eine sehr schwache Vermutung“, bemerkte Siri-Tong, „wenn nicht sogar eine sehr haltlose, mit der man lediglich versucht hat, seine Handlungsweise moralisch zu rechtfertigen. Immerhin aber führen die Spuren immer wieder zu diesem Mister Clifford und Mister Battingham, die ich eingangs als die Urheber der ganzen Intrigen bezeichnet habe.“

„Das mag durchaus sein, Madam, aber uns fehlte eben immer der Beweis für unsere Vermutungen, und solange wir nicht das Gegenteil beweisen konnten, mußten wir uns dem vermeintlichen Willen der Königin unterordnen …“

Siri-Tong sah Marc Corbett scharf an.

„Mußten Sie das wirklich, Mister Corbett?“

Der Erste Offizier der früheren „Orion“ senkte für einen Augenblick den Kopf.

„Nun ja, Madam, einige haben auch anders gehandelt. Die Kapitäne Rooke und Wavell zum Beispiel zogen aus dem Fehlen einer schriftlichen Order die Konsequenzen und verließen den Verband – das sei um der Wahrheit willen gesagt.“

Die Rote Korsarin richtete jetzt ihren Blick auf Sir Edward Tottenham, den Kommandanten der „Orion“.

„Und welche Meinung vertreten Sie, Mister Tottenham?“ fragte sie mit etwas Spott in der Stimme. Sie hatte längst erkannt, daß dieser Mann nicht nur sehr zurückhaltend, sondern auch ein Zögerer war und froh sein konnte, einen so tüchtigen und geradlinigen Kerl wie seinen Ersten Offizier zur Seite zu haben.

Sir Edward gab sich einen Ruck und bemühte sich, der Frau auf dem Achterdeck in die Augen zu sehen.

„Ich muß meinem Ersten Offizier beipflichten, Madam. Es gibt höchstwahrscheinlich keine schriftliche Order Ihrer Majestät, der Königin. Infolgedessen hatte ich mich inzwischen entschlossen, auch eine mögliche mündliche Order zu ignorieren, da sie ja als solche für mich nicht verbindlich ist. Sollte ich je nach England zurückkehren, werde ich einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des unseligen Unternehmens anfertigen und den Lordadmiral darauf hinweisen, daß es ein grober Fehler war, vier Kriegsgaleonen Ihrer Majestät ohne einen verantwortlichen Befehlshaber und ohne eine klare Order in See gehen zu lassen, noch dazu in der stillen Erwartung, die vier Kommandanten würden sich einer Gruppe von Höflingen unterordnen, die weder von der Seefahrt noch von der entsprechenden Kriegführung eine Ahnung haben.“

Marc Corbett bedachte seinen Kapitän mit einem überraschten Blick. Donnerwetter, sagte er sich, mir scheint, der Alte hat inzwischen einiges dazugelernt. Aber es sollte noch besser kommen, denn Sir Edward Tottenham redete weiter – mit knarrender, erbitterter Stimme.

„Leider habe ich viel zu spät erkannt, daß es den Höflingen bei einer Gefangennahme Philip Hasard Killigrews nur darum gegangen wäre, sich dessen angebliche Schatzbeute anzueignen. Seine eigentliche Person wäre für diese Männer nur das Mittel zum Zweck gewesen. So ungeheuerlich diese Behauptung auch klingen mag – sie entspricht der Wahrheit. Das Versprechen, diese Schatzbeute später der Königin abzuliefern, war nichts anderes als reine Heuchelei, denn diese ehrlosen Burschen hätten genau das Gegenteil davon getan. Das gleiche muß ich leider auch in bezug auf Mister Stewart sagen, der meines Erachtens vor ein Kriegsgericht gehört …“

Charles Stewart, der Sir Edward haßerfüllt ansah, begann augenblicklich zu toben.

„Das ist eine Unverschämtheit!“ brüllte er. „Dieser Mann lügt, ich werde ihm das Maul stopfen, jawohl!“ Dann versuchte er, sich trotz seiner Handfesseln auf Tottenham zu stürzen und ihm die Fäuste ins Gesicht zu schlagen.

Aber der hünenhafte Barba war bereits beim ersten Wort Stewarts den Niedergang hinuntergesprungen. Er hatte mit dieser unbeherrschten Reaktion des vierschrötigen Mannes gerechnet und kriegte ihn, noch bevor er sein Vorhaben ausführen konnte, am Kragen zu packen.

Sir Edward war einige Schritte zurückgewichen, sein Gesicht drückte Abscheu und Verachtung aus.

Der riesige Barba hielt Stewart mit beiden Pranken am Kragen fest und zog ihn ein Stück zu sich hoch.

„Geh schön artig auf deinen Platz zurück, du schmieriger Strolch“, sagte er mit gefährlich klingender Stimme. „Und achte ein wenig auf das, was du hier redest, sonst könnte es passieren, daß dir plötzlich ein paar Zähne fehlen.“

Mit Schwung stieß er den ehemaligen Kapitän der „Dragon“ auf seinen Platz zurück. Stewart wäre dabei beinahe gestrauchelt und gestürzt. Er stieß einen leisen Fluch hervor und preßte dann die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Barbas muskulöse Gestalt hatte ihn wohl doch davon überzeugt, daß es besser war, zunächst einmal etwas zurückhaltender zu sein. Außerdem verspürte er nicht die geringste Lust, sich vor den Augen der Offiziere und der Mannschaften eine Tracht Prügel einzuhandeln.

Auch Sir Edward nahm wieder seinen alten Platz ein.

„Ich danke Ihnen“, sagte er kurz zu Barba. Und zu Siri-Tong gewandt, fügte er hinzu: „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, Madam. Es handelt sich weder um Lügen noch um Verleumdungen. Ich verbürge mich dafür.“

Siri-Tong nickte.

„Die Ereignisse der letzten Tage bestätigen Ihre Worte nur zu deutlich. Ich habe deshalb allen Grund, Ihnen Glauben zu schenken.“

Nach dem Gespräch mit Sir Edward sorgte die Rote Korsarin für eine weitere Überraschung.

„Holt diesen O’Leary herüber!“ befahl sie. „Wir werden auch ihn noch hören, bevor er mit den Spaniern zur Insel übersetzt.“

Der Boston-Mann, ein großer, hagerer Engländer, der im linken Ohr einen goldenen Ring trug und zu den zuverlässigsten Leuten auf Siri-Tongs Schiff gehörte, übernahm die Aufgabe, den Bootsmann auf die „Caribian Queen“ zu holen.

Barba nahm wenig später den klotzigen Mann am Schanzkleid in Empfang und brachte ihn zu den anderen Männern auf der Kuhl.

O’Leary stutzte einen Moment, als er die ihm wohlbekannten Offiziere sah. Dann pendelten seine Blicke zwischen ihnen und der Frau auf dem Achterdeck hin und her. Plötzlich zog ein verächtliches Grinsen über sein Gesicht, und er spuckte laut und vernehmlich auf die Planken.

Das hätte er besser nicht tun sollen, denn schon eine Sekunde später fegte ihn eine gewaltige Maulschelle Barbas regelrecht von den Füßen. Er torkelte ein Stück über die Kuhl, dann krachte sein Körper auf die Planken. Aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut.

Dennoch war O’Leary überraschend schnell wieder auf den Beinen.

„Das tust du kein zweites Mal mit mir, du Bastard!“ rief er keuchend und warf sich Barba mit geschwungenen Fäusten entgegen.

„Das wird sich gleich zeigen, du Großmaul!“ knurrte Barba. Dann zuckten seine Fäuste abermals blitzschnell vor.

O’Leary wurde mit elementarer Gewalt über die Kuhl gefegt, als habe eine Kanonenkugel seine Brust getroffen. Bevor er sich versah, lag er erneut auf den Planken. Diesmal stöhnte er mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und brauchte etwas länger, um sich aufzurappeln.

Barba packte auch ihn am Kragen und beförderte ihn zu seinem ursprünglichen Platz zurück.

„Zunächst einmal wischst du säuberlich deine Spucke weg!“ befahl er mit drohendem Unterton. „Auf unserem Schiff herrscht nämlich Ordnung, Dreckschweine werden hier nicht geduldet.“

O’Leary starrte ihn entgeistert an, sein linkes Auge schwoll langsam zu. Sein Zögern wurde jedoch nicht geduldet.

„Was ist?“ fuhr Barba ihn an. „Soll ich dich als Putzlappen benutzen und die Planken mit dir aufwischen?“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, packte er O’Leary und zwang ihn kraftvoll in die Knie. Vor den Augen aller mußte er die Spucke wieder aufwischen. Viele Mannen aus der Crew und sogar die englischen Offiziere wandten sich angeekelt ab.

„So“, sagte Barba, nachdem die „Arbeit“ beendet war. „Jetzt kannst du dir überlegen, ob es sich auszahlt, hier herumzuspucken. Und eins merke dir noch: Leuten wie mir spuckt man nicht ungestraft vor die Füße.“

„Das hat nicht dir gegolten“, beteuerte O’Leary und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Nebenmann, „sondern diesem Hurensohn namens Stewart.“

In Stewarts Gesicht begann es zu zucken, aber er hielt sich eisern zurück, obwohl er sich jetzt am liebsten auf O’Leary gestürzt hätte. Doch er wollte es tunlichst vermeiden, sich schon wieder mit Barba anzulegen. Zumindest hatte er es als Genugtuung empfunden, daß O’Leary seine Spucke wieder aufwischen mußte. Deshalb schwieg er jetzt verbissen und behandelte den Bootsmann wie Luft.

Den anderen Männern entging das gespannte Verhältnis der beiden Engländer nicht. Sie konnten sich inzwischen auch zusammenreimen, was die Ursache dafür war.

Die scharfe Stimme Siri-Tongs glättete zunächst die Wogen.

„Ich hoffe, Sie haben begriffen, wie man sich an Bord unseres Schiffes zu benehmen hat, Mister O’Leary“, sagte sie. „Spucker mögen wir hier nämlich genausowenig wie Lügner. Demnach erwarte ich von Ihnen, daß Sie mir wahrheitsgemäß eine Frage beantworten. Was, zum Beispiel, bezweckte Ihr spezieller Freund, Charles Stewart, mit dem Überfall auf die ‚Isabella‘, das Schiff des Seewolfs?“

Jetzt wurde O’Leary erstaunlicherweise gesprächig – offenbar genauso gesprächig wie beim Verhör durch die Spanier. Jedenfalls dachte er nicht im geringsten daran, Charles Stewart in Schutz zu nehmen.

„Stewart?“ fragte er und begann spöttisch zu grinsen. „Der war nur scharf auf die Goldladung der ‚Lady Anne‘.“

„Und was hatte das mit dem Überfall zu tun?“

„Nun ja, er wollte den Seewolf als Geisel nehmen und dann mit der ‚Isabella‘ hinter der ‚Lady Anne‘ hersegeln“, berichtete O’Leary. „Dieses Schiff aber“, er deutete auf die Planken der „Caribian Queen“, „hätte er natürlich vorher versenkt und alle über die Klinge springen lassen, was denn sonst!“

„Verdammter Lügner!“ brüllte Stewart entgegen seinen bisherigen Vorsätzen. Sein Gesicht war rot vor Wut geworden. Wäre Barba nicht abermals dazwischengefahren, hätte er sich mit seinen gefesselten Händen auch auf O’Leary geworfen.

Barba warf Siri-Tong einen ungeduldigen Blick zu.

„Was tun wir mit diesen Rübenschweinen, Madam?“ fragte er. „Die beiden Halunken sind schwieriger zu hüten als ein Sack voll Flöhe.“

Siri-Tong traf ihre Entscheidung.

„Wir brauchen O’Leary nicht mehr“, erwiderte sie. „Ein Verräter wie er, der seine eigenen Landsleute bei den Dons in die Pfanne haut, gehört zwar an die Rah, aber das wäre für einen Kerl seiner Sorte wahrscheinlich zu milde. Er ist meiner Meinung nach in den Händen der Spanier besser aufgehoben. Also, bringt ihn zu den Dons zurück. Von mir aus kann er ihnen künftig die Stiefel polieren oder in einem Bergwerk nach Gold graben. Es ist nicht meine Sache, ihn abzuurteilen.“

„Das ist eine kluge Entscheidung, Madam“, entgegnete Barba grinsend. „Machen wir ihn also dem spanischen Capitán zum Abschiedsgeschenk. Er scheint sich ja bisher ganz prächtig mit ihm verstanden zu haben.“

Siri-Tongs Anordnungen wurden durchgeführt. O’Leary wurde auf die spanische Galeone zurückgebracht und sollte dort zusammen mit seinen Kumpanen und den Spaniern zur Insel verfrachtet werden.

„Meinetwegen soll sich de la Cuesta mit diesen Ratten herumärgern“, sagte sie. „Vermutlich werden sie in Zukunft wenigstens nützliche Arbeit verrichten. Ob sie der spanischen Gefangenschaft widerstehen, bleibt ihrer eigenen Härte überlassen.“

Die Entscheidung der Roten Korsarin war kompromißlos. Jeder wußte, daß die üble Bande kein anderes Schicksal verdient hatte, es sei denn ein schlimmeres.

Nur Charles Stewart war zunächst etwas anderes zugedacht. Er durfte Duke Henry of Battingham in der Vorpiek der „Caribian Queen“ Gesellschaft leisten.

Die englischen Offiziere verfolgten das konsequente „Großreinemachen“ der vermeintlichen Piratin mit Verblüffung und gaben ihr im stillen völlig recht. Dennoch hing immer noch die bange Frage, was mit ihnen selber geschehen wurde, wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen.

Wieder war es Barba, der die entscheidende Frage an die Rote Korsarin richtete.

„Was geschieht mit diesen Gentlemen, Madam?“

Siri-Tong ließ sich mit der Beantwortung einen Moment Zeit. Dann aber huschte ein Lächeln über ihre Züge.

„Wir hatten eine ziemlich offene Aussprache miteinander“, sagte sie dann. „Und ich habe das Gefühl, daß wir die Fronten klar abgesteckt und Licht in die Ereignisse gebracht haben.“ Zu Sir Edward gewandt, fügte sie hinzu: „Ich überlasse Ihnen die spanische Kriegsgaleone, Sir Edward – jedoch nur unter der Bedingung, daß Sie sich zunächst mir unterstellen, und zwar solange, bis Sir Hasard in der Lage sein wird, eine Entscheidung über das Schicksal John Killigrews, Henry Battinghams und Charles Stewarts zu treffen.“

Marc Corbetts Gesicht entspannte sich zusehends, und schon öffnete er den Mund, um der Roten Korsarin für diese Entscheidung zu danken.

Doch diesmal war Sir Edward entschlußfreudiger.

„Einverstanden, Madam“, sagte er knapp. Dann atmete er im Verein mit seinen Offizieren erleichtert auf.

6.

Inzwischen war es Abend geworden. Die Sonne schickte sich an, hinter der Kimm zu versinken. Ihr rotgoldenes Licht überschüttete die Wassermassen der Karibischen See mit silbrigem Glanz.

Die kleine Insel, die zu den Grand Cays gehört, bot nach dem spanischen Beschuß am Nachmittag einen friedlichen und beschaulichen Anblick. Die Zweige der Farnbäume und die Wipfel der Palmen bewegten sich in der leichten Brise, die nach der Hitze des Tages etwas Abkühlung brachte. Das Geschrei von Möwen und Reihern überlagerte die Bucht.

Der Schein trog jedoch, der Frieden war nur scheinbar vorhanden – zumindest, was die Spanier und ihre englischen Gefangenen betraf, die ihnen die Rote Korsarin großzügigerweise überlassen hatte.

Ja, das „blutrünstige Piratenweib“, das sich gar nicht als solches erwiesen hatte, war im Ansehen der Spanier gewaltig gestiegen. Die Frau war nicht nur äußerst fair zu ihnen gewesen, sondern hatte offenbar auch unter den Engländern für klare Verhältnisse gesorgt. Auch wenn es ihnen ganz und gar nicht paßte, daß sie ihre Schiffe verloren hatten, konnten sie ihr dennoch nicht die Anerkennung versagen.

Die Engländer hatten die spanische Kriegsgaleone in Besitz genommen. Die Spanier jedoch waren unter der Führung Don Gregorios und unter Aufsicht von Siri-Tongs Mannen zur Insel gepullt. Ihre Hieb- und Stichwaffen hatten sie mitgenommen, ebenso einige Werkzeuge und die Gefangenen.

Die Dons wußten sehr wohl, daß sie mit einem blauen Auge davongekommen waren, denn die vermeintliche „Piratin“ hatte ihnen sogar die Chance gelassen, nicht für immer auf diesem entlegenen Eiland festsitzen zu müssen. Don Gregorio entschied, daß gleich nach Anbruch des nächsten Tages eine Jolle nach St. Augustine segeln sollte, um Hilfe zu holen.

Das friedliche Bild, das die Insel in der Abenddämmerung bot, sollte sich jedoch ziemlich rasch verändern.

Kaum hatten die ausgesetzten Spanier ihre Gefangenen an Land gebracht, begann es unter diesen gewaltig zu brodeln und zu gären. Zuviel hatte sich da in der letzten Zeit an Wut, Haß und Rachegefühlen aufgestaut, als daß die Kerle hätten ruhigbleiben können.

Zudem schmeckte es ihnen nicht, daß sie als Gefangene der Spanier, von denen sie nichts Gutes erwarteten, auf dem Eiland gelandet waren. Sie konnten sich lebhaft vorstellen, was ihnen in Zukunft blühte. So schoben sie sich gegenseitig die Schuld für die Misere zu – mit den Fäusten, denn etwas anderes stand ihnen kaum zur Verfügung.

Im Handumdrehen war am Strand eine wüste Prügelei im Gange, und zwar mit den zwölf Kerlen aus der Mannschaft John Killigrews, die wegen Überladung der Jolle Stewarts auf dem Eiland hatten zurückbleiben müssen, als dieser mit O’Leary und den fünfzehn anderen sowie Sir Robert Monk und Joe Doherty „von der Fahne“ gegangen war.

Als die Kerle jetzt ihre sechzehn Kumpane entdeckten, fielen sie trotz der spanischen Bewachung über sie her – ungeachtet der Tatsache, daß sie jetzt alle „im selben Boot“ saßen.

Ganz besonders hatten es die zwölf schlagkräftigen Burschen auf den Bootsmann O’Leary und die beiden ferkelgesichtigen Killigrew-Söhne, Simon Llewellyn und Thomas Lionel, abgesehen. So geschah es, daß die achtundzwanzig Kerle wie wilde Stiere aufeinander losgingen.

O’Leary, der schon beim Verhör auf der „Caribian Queen“ erheblichen Ärger mit Barba gehabt hatte, schwang wie ein Wilder die Fäuste und stieß wütende Flüche aus. Aber das nutzte ihm nicht allzuviel, denn die drei Kerle, die gleichzeitig an ihm hingen, waren auch für einen harten Brocken wie ihn nicht leicht zu verdauen.

„Hört auf, ihr verdammten Idioten!“ brüllte er. „Sonst werden euch die Dons an die Rah hängen!“

„Hier gibt es keine Rah!“ brüllte einer zurück. „Nur prächtige Palmen, und daran hängt es sich besonders für goldgierige Bootsleute sehr angenehm!“

„Und du wirst der erste sein, der daran baumelt und die Kokosnüsse runterschüttelt“, fügte ein anderer hinzu. „So ein Scheißkerl wie du gehört schon wegen seiner hinterhältigen Visage aufgehängt!“

In der Tat mußte O’Leary viel einstecken – zumindest im Verhältnis zu dem, was er austeilte. Die Spanier hatten nicht einmal etwas gegen die wilde Keilerei einzuwenden. Sie kümmerten sich nicht um die ausgeschlagenen Zähne, die dichtgehämmerten Klüsen und schiefen Nasenbeine, solange sich die Raufbolde auf ihre eigenen Landsleute beschränkten.

Don Gregorio sah nicht den geringsten Grund, dagegen einzuschreiten – im Gegenteil, die meisten Dons schauten grinsend zu und gönnten den Engländern die Beulen und Schrammen von Herzen.

„Die Kerle sollen ihr Pulver ruhig verschießen“, meinte Don Gregorio, „um so besser lassen sie sich hinterher fesseln und in Gewahrsam nehmen.“

Ja, es ging hoch her in der Abenddämmerung. Sand und Geröll wurden aufgewirbelt, Steine flogen durch die Luft, und mitunter wurden Zweige und Knüppel aus dem Dickicht gefetzt. Dazwischen klatschte der eine oder andere Körper ins Wasser.

Auch die beiden ferkelgesichtigen Söhne des John Killigrew bezogen harte Dresche. Besonders der ältere, Simon Llewellyn, wurde von zwei Decksleuten kräftig verbleut. Er hieb zwar wie ein Besessener um sich, trat, biß und kratzte nach allen Seiten, aber eine wirkliche Chance hatte er dennoch nicht. Sein verkommenes Gesicht erinnerte an eine reife Tomate, das rötliche Haar stand wirr in alle Richtungen. Gerade jetzt erinnerte er mit seinen blaßblauen Augen, der Himmelfahrtsnase und den aufgeworfenen Lippen an eine Ferkelschnauze. Als ihm ein harter Faustschlag in die Magengrube fuhr und zu Boden schleuderte, sah er nicht nur aus wie ein Ferkel, sondern quiekte auch wie ein solches.

Sein jüngerer Bruder, Thomas Lionel, der noch etwas dümmlicher und plumper war, bezog ebenfalls harte Dresche. Ein bulliger Decksmann zahlte ihm einige Unverschämtheiten heim – mit Zinsen. Und als der Bursche mit einem gewaltigen Fußtritt ins Wasser der Bucht befördert wurde, schrie er, als hätte man ihn gevierteilt.

Überhaupt wurde die Prügelei immer wilder und unkontrollierter. Hatte sich zu Beginn jeder noch seinem „speziellen Freund“ zugewandt, von dem er glaubte, ihm einiges heimzahlen zu müssen, so prügelte sich am Schluß schon jeder mit jedem.

Als die Kräfte schließlich erlahmten, krochen einige auf allen vieren aus dem Wasser, darunter der jüngere Killigrew-Sproß. Etliche lagen besinnungslos am Boden, einige torkelten noch, bis ihnen jemand einen Stoß vor die Brust versetzte und sie ebenfalls umkippten. Am ärgsten hatte es die Adelsclique erwischt, die Gentlemen saßen mit ihren durchlauchten Hinterteilen im Dreck und jammerten laut über die „Unbill“, die man ihnen angetan hatte.

Die Spanier amüsierten sich köstlich und vergaßen sogar eine Zeitlang die eigene Misere. Vielen sah man deutlich an, daß sie am liebsten mitgemischt hätten, denn schließlich hatten auch sie den Engländern einige Unannehmlichkeiten zu verdanken.

Don Gregorio de la Cuesta hielt seine Leute jedoch zurück.

„Wenn sie sich selber windelweich prügeln, brauchen wir das nicht zu tun“, sagte er. „Außerdem werden sie bald lernen, ihre Kräfte für nützlichere Dinge einzusetzen. Bei harter Arbeit für die spanische Krone werden ihnen die Flausen schon vergehen.“

Daran zweifelte niemand, denn die Dons waren ohnehin dafür bekannt, daß sie nicht gerade zimperlich mit ihren Gefangenen umgingen und sie zumeist harte Fronarbeit leisten ließen.

Der nächste Zwischenfall ließ nicht lange auf sich warten.

Nachdem sich einige der Raufbolde mit blutigen Schrammen und zugeschwollenen Augen aufgerafft hatten, erhob sich auch Sir James Sandwich, einer der sieben adeligen Nichtstuer aus dem Kreis des Sir Henry, und klopfte sich den Dreck aus den Kleidern. Dann bog er ächzend das Kreuz gerade und betastete sein lädiertes Gesicht. Da dieses ziemlich verlebt war, wirkte der dünnem und sehr blasse Adelige, der höchstens fünfundzwanzig Lenze zählte, wesentlich älter, als er war. Trotz der Hiebe, die er empfangen hatte, schien er jedoch nichts von seiner grenzenlosen Arroganz eingebüßt zu haben.

Nachdem Sir James den spanischen Capitán entdeckt hatte, hinkte er auf ihn zu.

„Señor“, sagte er in einem herrischen Ton, „Sie haben Tadel verdient!“

Don Gregorio de la Cuesta warf dem ramponierten Burschen, der sich die ganze Zeit über zusammen mit sechs anderen Adeligen auf der Insel befunden hatte, einen verdutzten Blick zu.

„Und weshalb, wenn ich fragen darf?“

Sir James hob die Nase und räusperte sich.

„Obwohl Sie gesehen haben, wie der niedrige Pöbel über mich und einige andere Ehrenmänner hergefallen ist, haben Sie nicht eingegriffen.“

„Warum hätte ich eingreifen sollen?“ fragte Don Gregorio und lächelte spöttisch. „Die Prügelei hat sich ausschließlich unter euch Engländern abgespielt. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt. Außerdem gehört es zu meinen Prinzipien, mich sowenig wie möglich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen.“

„Sie haben eine merkwürdige Einstellung, Señor“, erklärte Sir James hochmütig. „Aber wie dem auch sei – ich erwarte von Ihnen, daß Sie sofort dafür sorgen, daß man mich und die sechs anderen Gentlemen auf die Galeone übersetzt, die von meinen Leuten erobert worden ist.“

Don Gregorio wurde stutzig.

„Wer sind Sie überhaupt?“ fragte er.

„Oh, das wissen Sie nicht?“ Das blasse Bürschchen tat regelrecht beleidigt. „Ich bin Sir James Sandwich, ein enger Vertrauter des Duke Henry of Battingham. Infolgedessen habe ich ein Anrecht darauf, als Gentleman behandelt zu werden. Mein Platz ist da drüben auf der Galeone und nicht hier auf dieser unangenehmen Insel. Meine Landsleute können nicht auf meinen Rat und Beistand verzichten. Also, Señor, kommen Sie Ihrer Verantwortung nach, und lassen Sie mich mit meinen Begleitern übersetzen.“

Don Gregorio wurde in der Tat wankelmütig. Kleidung und Benehmen des Engländers ließen durchaus darauf schließen, daß er einer der Adeligen war. Als Blaublütiger hatte er außerdem selber ein Gespür dafür. Doch – hatte der arrogante Bursche tatsächlich ein Anrecht darauf, zur Galeone hinübergepullt zu werden? Wenn ja, warum hatte er dann die Insel nicht zusammen mit den anderen Engländern verlassen? Oder gehörte er gar nicht zu ihnen?

Don Gregorio beschloß, bei der Señora auf dem Achterdeck nachfragen zu lassen. Er wollte in seiner gegenwärtigen Lage keinen Fehler begehen, den er hernach bereuen müßte. Also beauftragte er seinen Ersten Offizier, eine Jolle zu bemannen, sie zu dem Zweidecker pullen zu lassen und die Señora zu den Ansprüchen eines gewissen Sir James Sandwich zu befragen.

Sir James paßte das Ganze überhaupt nicht.

„Warum lassen Sie mich und meine Freunde nicht sofort zur Galeone bringen?“ fragte er, schnippisch. „Was soll das alles? Mißtrauen Sie mir etwa? Ist das der Dank für die Großzügigkeit, die man Ihnen und den anderen Spaniern erwiesen hat? Ich bestehe darauf, sofort diese Insel verlassen zu können!“

Don Gregorios Gesicht wurde abweisend.

„Sie werden sich gedulden müssen, Señor“, gab er zur Antwort. „Ich werde mich vergewissern, ob Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen. In kurzer Zeit werden wir es wissen.“

Sir James Sandwich mußte warten, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Er konnte es auch nicht riskieren, einen weiteren Streit vom Zaun zu brechen. Aber er verspürte ebenfalls keine Lust, mit den Spaniern auf dieser Insel zu bleiben. Wer wußte schon, ob es stimmte, daß man ihn und seine Leute den Dons überlassen hatte. Das konnte auch ein bösartiges Gerücht sein. Er jedenfalls würde alles Erdenkliche versuchen, um auf die Galeone zu gelangen – wenn es sein mußte, sogar als Gefangener. Hauptsache, man war den Händen der Spanier entronnen.

Bis zur Rückkehr der Jolle begab er sich mit beleidigtem Gesicht zu seinen Getreuen, die ihm an Arroganz nicht nachstanden, auch wenn sie in dieser Stunde absolut keinen Grund dazu hatten, die Nasen hoch zu tragen. Nach der Prügelei, in die man sie hineingezogen hatte, glichen sie eher einer Schar gerupfter Gockel als vornehmen Gentlemen.

Kaum hatte die Jolle am Ufer angelegt und war auf den Sand gezogen worden, erhob sich Sir James von dem Felsbrocken, auf dem er wie ein Pascha gethront hatte, und begab sich zu de la Cuesta.

„Warum läßt man das Boot nicht gleich im Wasser?“ begehrte er zu wissen. „Ich bin nicht geneigt, noch länger auf das Übersetzen zu warten. Meine Geduld ist bereits sehr strapaziert worden, Capitán!“

Don Gregorio blickte seinen Ersten fragend an. Doch der schüttelte grinsend den Kopf.

„Dieser Bursche und seine sechs Freunde gehören zwar zu einer Gruppe Adeliger“, berichtete er, „doch die Señora auf dem Zweidecker läßt ausrichten, daß die Kerle mit dem Ziel in die Karibik gesegelt seien, sich an den Spaniern zu bereichern. Daher sei es nur recht und billig, wenn sie auch bei uns bleiben würden. Des weiteren schlug die Señora vor, diese Herren, die bisher in Hofkreisen verkehrt hätten, doch der englischen Königin gegen ein Lösegeld zum Rückkauf anzubieten.“

Don Gregorio begriff die Ironie dieses Vorschlags sofort und begann schallend zu lachen.

Sir James Sandwich jedoch wurde noch blasser.

„Das ist unglaublich!“ stieß er hervor. „Einfach unerhört! Ich akzeptiere diese Antwort nicht – nein, auf keinen Fall! Wer garantiert mir, Capitán, daß Ihr Offizier nicht lügt?“

Jetzt aber legte der Erste die Stirn in düstere Falten und trat einen Schritt auf Sir James zu. Seine rechte Hand legte sich wie zufällig auf den Griff seines Degens.

„Wenn Sie mir noch ein einziges Mal unterstellen, ein Lügner zu sein, Engländer, dann war das Ihre letzte Unterstellung, die Sie in Ihrem jämmerlichen Leben ausgesprochen haben. Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Gefangener sind. Auf einen Bastard mehr oder weniger kommt es uns gewiß nicht an.“

Don Gregorio de la Cuesta nickte bestätigend.

„Mein Offizier hat recht, Engländer. Reißen Sie sich zusammen. Wir haben uns mit Ihnen bereits mehr Mühe gegeben, als wir das sonst zu tun pflegen. Wir haben uns über Sie erkundigt, und Sie haben die Antwort gehört.“

„Die Antwort dieses Piratenweibes!“ keifte Sir James wütend. „Warum haben Sie nicht bei Sir Edward nachgefragt? Er ist der Kommandant der ‚Orion‘ gewesen, und die ‚Orion‘ war mein Schiff!“

„Ihr Schiff?“ Don Gregorio lachte abermals. „Sie scheinen sehr von sich eingenommen zu sein, Señor. Doch davon abgesehen hat Ihr früherer Kommandant zur Zeit keine Befehlsgewalt. Er mußte sich der Señora auf dem Zweidecker unterstellen, auch wenn er unser Schiff behalten durfte. Die Señora hat die Entscheidungsgewalt, und sie hat – wie Sie gehört haben – in Ihrem Fall eine Entscheidung getroffen. Also, belästigen Sie mich nicht weiter. Meine Geduld mit Ihnen und Ihrem arroganten Benehmen ist jetzt ebenfalls zu Ende.“

Žanrid ja sildid
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