Loe raamatut: «Seewölfe Paket 26», lehekülg 24

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2.

Osvaldo und El Sordo hatten ein Talglicht entfacht. Osvaldo hielt es vor sich hoch, der Taubstumme schlurfte im flackernden Schein der Flamme hinter ihm her. Vorsichtig bewegten sie sich durch das Kellergewölbe auf den Raum zu, aus dem die gräßlichen Laute ertönten.

Es handelte sich, wie jetzt im Licht zu erkennen war, um eine Art Verschlag mit einer Bohlentür, in deren Mitte ein vergittertes Guckloch eingelassen war. Dahinter stöhnte und seufzte, schluchzte und wimmerte es. Nägel kratzten an der Tür. Es war furchtbar.

Osvaldo erschauerte. Was trieb ihn immer noch dazu an, nach dem Rechten zu sehen? Was immer in dem Verschlag eingesperrt war, es konnte nicht heraus. Das war gut so. Warum, zum Teufel, mußte er also seine Nase in Dinge stecken, die ihn nichts angingen?

Nun, da war einmal die Neugierde, eine typisch menschliche Schwäche. Osvaldo und El Sordo wollten um jeden Preis herauskriegen, was für ein Monstrum da hauste. Im übrigen war es für Osvaldo eine Mutprobe. Er war ein abergläubischer Mensch und fürchtete sich vor Rätselhaftem und Übersinnlichem. Aber das wollte er vor dem Taubstummen nicht zugeben. Mehr noch, er wollte ihm beweisen, wie groß sein Schneid war.

Die beiden Diebe verharrten vor der Tür. Sie schoben ihre Köpfe nebeneinander und spähten durch das Guckloch. El Sordo verbrannte sich dabei um ein Haar an dem Talglicht.

In dem Verschlag bewegte sich ein kleines, dunkles Wesen. Es jammerte, kratzte und stöhnte. Nur wenig Licht fiel in den Raum hinter der Tür, und so konnten die beiden Männer nicht richtig erkennen, um welche Art von Bewohner es sich handelte.

Plötzlich richtete sich das Wesen auf.

Osvaldo und El Sordo wichen zurück.

„Hu“, äußerte sich der Taubstumme.

Das Geschöpf hörte auf zu jammern und fragte: „Wer seid ihr?“

Osvaldo mußte erst einmal nach Luft schnappen. Dann sagte er: „Verrate uns erst mal, wer du bist.“

„Ich heiße Mario.“

„Spanier?“ fragte Osvaldo, während er seinem Spießgesellen das Gehörte durch Gebärden mitteilte.

„Natürlich. Und ihr?“

„Klar sind wir Spanier. Hört man das nicht?“ Osvaldo räusperte sich. „Was machst du denn hier unten?“

„Ich habe mich versteckt.“

An der hellen Stimme war zu erkennen, daß es sich um einen Jungen handelte. Osvaldo schätzte Marios Alter auf zwölf bis dreizehn Jahre.

„Warum hast du dich versteckt?“ fragte er.

„Weil ich Angst habe.“

„Wie lange bist du schon hier?“

„Ach, das weiß ich nicht“, entgegnete Mario weinerlich. „Ich habe die Tage nicht mehr gezählt. Ich habe Hunger und Durst. Ich kann nicht mehr.“ Wieder verfiel er in die schluchzenden, klagenden Laute, die schon vorher zu vernehmen gewesen waren.

„Hör auf“, sagte Osvaldo. Die ganze Sache war ihm peinlich. Er wußte nicht recht, was er tun sollte. Eins aber war sicher. Mario konnte in dem Verschlag nicht bleiben. „Wir lassen dich jetzt raus. Aber eines mußt du mir versprechen – daß du nicht kratzt und nicht beißt.“

„Ich doch nicht“, sagte der Junge.

Osvaldo und El Sordo begannen an dem Schloß des Verschlages zu hantieren. Schließlich brachen sie es auf, und die Tür schwang auf. Mario, ein völlig verdrecktes Wesen mit langen dunklen Haaren und zerfetzter Kleidung, kroch heraus.

El Sordo rümpfte die Nase.

Osvaldo sagte: „Was du als erstes brauchst, mein Freund, ist ein Bad. Du riechst ein bißchen strenge.“

„Kann ich nicht erst was zu essen und zu trinken haben?“ fragte der Junge verzweifelt. Die Tränen standen ihm in den Augen.

Osvaldo kratzte sich am Hinterkopf. „Ach ja, richtig, das hätte ich fast vergessen. Du mußt halb verhungert und verdurstet sein.“

„Wasser hatte ich bis gestern noch“, erklärte Mario. „Sonst wäre ich schon tot.“

Kopfschüttelnd begleiteten die beiden Männer den Jungen nach oben. In der Küche bewirteten sie ihn mit dem geklauten Proviant und gaben ihm Wasser zu trinken. Einen kleinen Schluck Wein erhielt der Junge auch, aber nicht zuviel, damit er nicht aus dem Häuschen geriet.

Mario war ein hübscher Junge mit großen dunklen Augen, wie man trotz des Schmutzes in seinem Gesicht erkennen konnte. Neugierig musterte er seine Retter.

Schließlich fragte er: „Ihr seid Diebe, was?“

Osvaldo und El Sordo tauschten einen Blick. Der Taubstumme hatte dem Jungen die Worte von den Lippen abgelesen. Er tippte mit dem Finger gegen seine Stirn.

„Sehen wir so aus?“ fragte Osvaldo.

„Ja.“

„Ach“, sagte Osvaldo. „Wir sind zufällig hier vorbeigekommen. Es war kein Mensch zu sehen, da haben wir gedacht, wir sehen mal nach, ob es was zu knabbern gibt. Wir haben nämlich auch Hunger, verstehst du?“

„Von mir braucht ihr nichts zu befürchten“, entgegnete Mario. „Ich verpfeife euch nicht. Hab’ ja gar keinen Grund dazu. Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich habe mich noch gar nicht richtig dafür bedankt.“

„Schon gut“, sagte Osvaldo. „Das ist nicht der Rede wert.“

„Dein Freund spricht wohl nicht?“ sagte Mario.

„Er ist taubstumm.“

El Sordo grinste. Er deutete auf seine Ohren, berührte mit den Fingern seine Lippen und schüttelte den Kopf. Dann kicherte er.

„Armer Teufel“, sagte der Junge.

Osvaldo hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Er hat sich daran gewöhnt.“ Aufmerksam betrachtete er den Jungen. „Sag mal, wieso hat man dich eigentlich hier zurückgelassen? Warum haben die Leute, die hier gewohnt haben, dich nicht mitgenommen, als sie getürmt sind?“

„Sie haben mich vergessen“, erwiderte Mario.

„Was? Das gibt’s doch nicht!“ stieß Osvaldo betroffen und erbost zugleich aus.

„Möglich ist alles“, sagte der Junge.

„Du gehörst nicht zur Familie?“ fragte Osvaldo. Nachdenklich kratzte er sich an seinem unrasierten Kinn. Hier stimmt doch was nicht, dachte er mißtrauisch.

„Seh’ ich so aus?“ fragte der Junge zurück.

El Sordo ließ einen grunzenden Laut vernehmen. Er füllte seinen Becher mit Wein, trank und blickte den Jungen über den Becherrand an. Auch hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten. Seine Augenbrauen waren grüblerisch zusammengezogen.

„Hör mal zu, Mario“, sagte Osvaldo geduldig. „Ich habe keine große Lust, hier das große Rätselraten zu veranstalten. Wie wär’s, wenn du uns reinen Wein einschenkst? Ich finde, das haben wir verdient, nicht wahr?“

Mario senkte den Blick auf die Tischplatte. „Klar. Da hast du recht.“

„Übrigens, ich heiße Osvaldo, und das ist mein Kumpel El Sordo.“

„Es freut mich, euch kennenzulernen“, sagte der Junge. „Also, ich gehörte zu den Dienstboten. Ich bin – ich war sozusagen das Mädchen … äh, ich meine, der Junge für alles.“

„Aha“, sagte Osvaldo. El Sordo hatte nicht alles verstanden, deshalb setzte er ihm rasch die Äußerungen des Jungen auseinander. El Sordo nickte wieder, brummelte etwas und griff zum Becher.

„Soweit kann ich dir folgen“, sagte Osvaldo. „Aber sperrt der Hausherr seine Dienerschaft immer in den Keller? Oder hattest du was ausgefressen?“

„Was ausgefressen“, antwortete Mario.

„Soso“, brummte Osvaldo. „Na, uns geht es ja nichts an.“

„Ich habe nicht genug zu essen bekommen“, erklärte der Junge. „Da habe ich mich nachts in die Speisekammer geschlichen und mir Brot und Wurst geholt. Der Hausherr hat mich ertappt. Er hat mich mit der Peitsche geschlagen und dann in den Kellerraum gepfercht. Als die große Panik ausbrach und alle Leute in die Residenz flohen, hat man mich unten vergessen.“

Osvaldo hatte nachdenklich die Unterlippe vorgeschoben.

„Oder dein Hausherr hat dich absichtlich vergessen“, sagte er. „Damit du elendig verreckst.“

Marios Stimme wurde wieder ein bißchen weinerlich. „Warum sollte er das tun?“

„Das frag’ ich dich“, erwiderte Osvaldo. „Im übrigen scheint dein Herr, dieser Don Felipe, ja ein schöner Geizhals zu sein. Läßt seine Diener hungern. Na, so was.“

„Du kennst Don Felipe?“ erkundigte sich der Junge.

„Nur vom Sehen“, entgegnete der Dieb. „Und ich habe gehört, daß er ziemlich viel Geld haben soll.“

„Das stimmt.“

„Vielleicht hat Don Felipe dich deshalb nicht mitgenommen, weil er nicht will, daß du herumerzählst, wie schlecht er seine Leute behandelt“, sagte Osvaldo.

Mario schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. „Womit habe ich das alles verdient? Was habe ich bloß getan? O Gott, so schlecht kann doch kein Mensch sein!“

El Sordo sah zu Osvaldo, legte den Kopf etwas schief und stieß dumpfe, zweifelnde Laute aus. Osvaldo kratzte sich am Kopf. Dann faßte er einen Beschluß. Er stand auf und sagte: „Nun nimm dir das man nicht zu Herzen. Es wird schon alles wieder gut. Wir setzen jetzt einen großen Kessel mit Wasser auf und machen Feuer im Herd. Dann badest du ordentlich, und wir schrubben dich ab. Danach sieht die Welt schon wieder besser aus. Na, wie findest du das?“

Mario blickte die beiden entgeistert an. „Ich – ich bade lieber allein.“

„Stell dich nicht so an“, sagte Osvaldo. „Wir sind ja schließlich unter Männern.“

Es zuckte um Marios Mundwinkel. Plötzlich brach er wieder in Tränen aus. Die ganze Welt schien nur noch ein Jammertal für ihn zu sein. El Sordo hingegen begriff überhaupt nichts mehr. Er sah wieder seinen Kumpan an und tippte mit dem Finger heftig gegen seine Stirn.

Osvaldo antwortete mit ein paar raschen Zeichen. Sie bedeuteten soviel wie: Hier ist was oberfaul.

Alonzo de Escobedo betrat die Hafenkaschemme des Gonzalo Bastida und schaute sich um. Überall, an den Tischen und in den Nischen, in Ecken und Winkeln, lungerten die Kerle. Da waren Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho, die Leibwächter. Hier und dort erkannte de Escobedo „Soldados“. Die Kerle würfelten und becherten, und einige vergnügten sich auf derbe Weise mit den „Señoritas“. Alle anderen Kerle waren Galgenstricke und Trunkenbolde, die hier ihre Plünderbeute ablieferten und in Geld umsetzten.

Der ehemalige Gouverneur ließ sich an einem Tisch nieder. Niemand schenkte ihm Beachtung. De Escobedo überlegte immer noch. Was sollte er tun? Er griff nach einem Krug, der zur Hälfte mit Wein gefüllt war, angelte sich einen Becher und stärkte erst einmal Geist, Gemüt und Körper mit einem tüchtigen Schluck Rebensaft.

Bastida saß in einem Hinterzimmer. Man konnte sein Lachen hören. Wahrscheinlich feilschte er gerade auf Teufel komm raus mit ein paar Kerlen, die ihm Ware verkaufen wollten. Diese Narren zogen dabei garantiert den kürzeren und mußten sich mit dem begnügen, was Bastida ihnen in seiner unendlichen Güte zugestand. Aber das war immer noch besser als gar nichts – besser auf jeden Fall als ein Messer in Leib oder Gurgel.

Dieser Gonzalo Bastida war schon ein gerissener Kerl, das mußte ihm der Neid lassen. Er hatte das Monopol. Keiner focht es an. Auf seine Weise hatte er in Havanna genausoviel Macht wie der Gouverneur. Er regierte die Unterwelt. Und die erlebte zur Zeit ihre große Blüte.

Ja, bei diesem eiskalten Oberschurken blühte wirklich das Geschäft wie nie zuvor. Die Plünderer versilberten an den Dicken ihre Beute – Schmuck und Wertgegenstände – und setzten die empfangenen Silberlinge in der Kaschemme sogleich wieder in Suff und Liebe um.

Auf diese Weise floß das Geld wieder an Bastida zurück. Ein vorzüglicher Kreislauf war das, auch Umsatz genannt. Der Gewinn verdoppelte sich und erreichte schwindelnde Höhen. Nur der Dicke wußte, wieviel Geld er verdiente. Seine Buchführung existierte nur in seinem Kopf. Er hütete sich, auch nur Details davon an seine Leute zu verraten.

Bastida lebte gewissermaßen wie die Made im Speck. Er agierte nicht an der Front und brauchte somit für die eigene Haut nichts zu befürchten. Das war sein goldenes Prinzip, mit dem er bisher alle Zeitläufe unbeschadet überstanden hatte.

Oh, er wußte schon, wie sich ein Geschäftsmann zu verhalten hatte, um sein Schäflein im trockenen zu haben und Gefahren von sich abzuwenden. Seine Mutter hatte es ihm vererbt, sie war eine raffinierte Geldverleiherin und Wucherin gewesen. Sie hatte Gonzalo Bastida die Schlitzohrigkeit gleichsam mit in die Wiege gelegt.

Die Ordnungsorgane Havannas – so auch den Hafenkommandanten und späteren Stadtkommandanten Alonzo de Escobedo – hatte Bastida mit „Spenden“ entsprechend geschmiert. Alle achteten ihn, alle kehrten bei ihm ein. Keiner wies die milden Gaben zurück, die der Dicke regelmäßig in die Taschen der Señores steckte. Warum auch? Jeder mußte sehen, wie er zurechtkam, und die Bezahlung der Offiziere und hohen Beamten seitens der spanischen Krone war alles andere als überwältigend.

Im Bereich der Gegenseite, bei den Spitzbuben, den Langfingern, den Räubern und Schlagetots also, hatte sich Bastida nicht an den Wagen fahren lassen. Seine vierköpfige Leibgarde schirmte ihn ab. Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho waren ganz besonders qualifizierte Kerle, die ohne jegliche Skrupel zuschlugen, wenn es darauf ankam. Sie waren nicht nur Rausschmeißer, sondern auch Totmacher. Besonders bei Cuchillo und Rioja saßen die Messer locker.

Dieses höllische Quartett war Bastida blind und hündisch ergeben. Dazu bestand aller Grund. Bei dem dicken Wirt genossen die Kerle sozusagen Fettlebe. Sie hatten nicht nur Essen, Trinken und Unterkunft frei, sondern auch die Liebe. Wann immer sie Lust dazu verspürten, durften sie sich die „Señoritas“ schnappen und mit ihnen in den Zimmern der Kaschemme verschwinden.

Für Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho war das ein Leben wie Gott in Frankreich. Besser hätten sie es nicht haben können. Bastida hatte sie aus der Gosse geholt. Für ihn gingen sie durch dick und dünn. Für ihn hielten sie ihre Köpfe hin, wenn’s nötig war. Außerdem: Sonderaufträge wurden von Gonzalo Bastida extra – und fürstlich – belohnt.

Als Kaschemmenwirt war Bastida zugleich der wichtigste Hehler, der in Havanna die diesbezüglichen Preise diktierte. Der Verkauf von Liebe war natürlich ein nicht unwichtiges Nebengeschäft. Bastida war ein Bandenhäuptling, eine fette Spinne mit klebrigem Netz. Er hatte seine Finger überall, in jedem schmutzigen Geschäft. Sich mit ihm anzulegen, hieß, sein Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Mit öligem Grinsen entließ Bastida drei Kerle, die bei ihm Schmuck und Vasen abgeliefert hatten. Der Wirt hatte dem Trio einen Beutel voll Silbermünzen ausgehändigt. Sie schienen zufrieden zu sein, ließen sich an einem Tisch nieder und bestellten einen riesigen Krug Wein. Sofort waren auch die „Señoritas“ bei ihnen und schäkerten mit ihnen herum.

Bastida betrachtete die Szene mit Wohlgefallen. Er rieb sich seinen dicken Bauch und seufzte. An wen er das Diebesgut weiterverkaufen würde, wußte er bereits.

De Escobedo erhob sich und trat auf den Dicken zu.

„Da bin ich wieder“, sagte er zerknirscht. „Na, freust du dich nicht, mich zu sehen?“

Bastida lachte und hieb de Escobedo auf die Schulter. „Aber natürlich, mein Freund! Komm rein und laß uns was trinken!“

Sie betraten das Hinterzimmer und setzten sich an einen klobigen Eichenholztisch mit blankgewetzter Platte. Bastida füllte zwei Gläser mit dunkelrotem Süßwein. Das eine Glas schob er de Escobedo zu.

„Trinken wir“, sagte der Dicke. „Auf den Sieg?“

„Auf welchen Sieg denn wohl?“ brummte de Escobedo.

Bastida zog die Augenbrauen hoch. „Wie? Dein Unternehmen ist mißglückt?“

„Tu nicht so. Das weißt du doch schon längst.“

Das stimmte. Gonzalo Bastida war zu dieser Stunde längst über alles, was am Gefängnis geschehen war, ausführlich unterrichtet. Er hatte seine Augen und Ohren schließlich überall, und seine Spitzel und Zuträger waren sehr rege.

Bastida wußte also Bescheid – daß der große Sturm auf das Gefängnis mißlungen war und die daran beteiligten Kerle einer nach dem anderen verschwunden waren, um beim allgemeinen großen Fleddern nichts zu versäumen.

Der Mißerfolg des Alonzo de Escobedo ließ den Dicken kalt. Bastida war auch klargeworden, daß es de Escobedo an Qualitäten mangelte, eine Horde wüster und wilder Kerle zusammenzuhalten, zu führen und zum Kämpfen zu zwingen. Befehle und Gehorsam im üblichen militärischen Sinne, funktionierend durch die Rangunterschiede, waren hier nicht gegeben.

Wer einen Räuberhaufen führen wollte, konnte nicht auf seinen Generalsrang pochen, sondern mußte noch härter, wüster, brutaler und vor allem intelligenter als jeder einzelne seiner Horde sein. De Escobedo würde sicherlich noch einige Zeit brauchen, um das zu begreifen und anzuwenden. Bis dahin aber waren die Dinge in Havanna entschieden.

Bastida wurde ernst. „Ja, ich bin über alles informiert“, erwiderte er. „Und du glaubst nicht, wie leid es mir tut, daß du gescheitert bist.“

„Dein Mitgefühl rührt mich zu Tränen“, sagte de Escobedo erbittert.

„Aber laß den Kopf nicht hängen.“

„Du hast gut reden“, sagte de Escobedo. „Du sitzt hier und streichst Beute ein. Die Dukaten rollen. Was draußen vorgeht, ist nicht dein Bier, oder?“

Bastida ging auf diese Worte gar nicht erst ein.

„Noch ist nichts verloren“, sagte er salbungsvoll. „Wir haben noch alle Chancen auf unserer Seite. Überwinde deinen Kummer, Freund, und laß uns zu neuen Taten schreiten.“

Natürlich schwante Bastida schon seit einiger Zeit, daß de Escobedo ziemlich ehrgeizige Pläne bezüglich des Gouverneursamtes vorschwebten. Schließlich war er ja mal Gouverneur gewesen, wenn auch nur kommissarisch. Nun, der Dicke konnte es gut verstehen, daß sich de Escobedo in den verwaisten Sessel des Gouverneurs hieven wollte. Er an seiner Stelle hätte nicht anders gehandelt.

Als gewieftes Schlitzohr wollte Gonzalo Bastida es sich mit de Escobedo nicht verderben. Kann ja sein, daß sich dieser Narr doch noch durchsetzt, dachte er.

De Escobedo nippte an seinem Glas Wein. Dann beugte er sich etwas vor.

„Wie meinst du das?“ fragte er. „Kriegst du genug Kerle zusammen, um einen neuen Sturm auf das Gefängnis zu organisieren?“

„Ich möchte dir etwas empfehlen“, entgegnete Bastida. „Laß den Sturm auf das Gefängnis sausen.“

„Und wo soll ich die Leute hernehmen, die ich für den Angriff auf die Residenz brauche?“ fragte de Escobedo ungehalten.

„Ich habe da eine Idee“, sagte der Wirt. „Auf die Befreiung der Gefangenen kannst du verzichten. Statt dessen schlage ich vor, nunmehr mit der Belagerung der Residenz zu beginnen.“

De Escobedo schüttelte unwillig den Kopf. „Unmöglich. Viel zu verfrüht und voreilig. Nein, so geht das nicht.“

„Warte“, sagte Bastida. „Es ist wichtig, diesen Leuten in der Residenz die Zähne zu zeigen, ehe sie Gelegenheit haben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“

„Zum Beispiel?“

„Sie könnten Ausfälle unternehmen.“

„Sie haben doch keinen, der sie befehligt“, erwiderte de Escobedo. „Marcelo, dieser versoffene Hund, liegt flach und kann keine Initiative ergreifen.“

„Wir müssen damit rechnen, daß jemand seinen Posten übernimmt“, wandte Bastida ein. „Irgendwas hecken sie bestimmt aus. Wir müssen ihnen zuvorkommen.“

„Ich habe aber keine Leute mehr“, sagte de Escobedo mit einer Stimme, die dem Dicken auf die Nerven ging. „Was soll ich denn tun? Ich kann sie doch nicht herbeizaubern. Sie sind alle weggelaufen.“

Bastida lehnte sich zurück und wippte ein wenig mit seinem Stuhl. „Ich werde dir beweisen, daß ich doch ein bißchen zaubern kann.“

„Du bist verrückt.“

„Bist du sicher?“

„Also gut“, sagte de Escobedo. „Nun laß die Katze schon aus dem Sack. Spann mich nicht länger auf die Folter. Wie lautet deine Idee? Was hast du vor?“

„Ich werde dir zeigen, warum ich, Gonzalo Bastida, der ungekrönte König aller Ratten von Havanna bin“, entgegnete der Dicke lachend. „Du hast es eben selbst angedeutet, mein lieber Alonzo. Ja, ich kriege die Kerle zusammen. Ich brauche nur zuzupacken, und schon habe ich sie. So einfach ist das.“

De Escobedo lamentierte weiter herum, daß alles ziemlich aussichtslos sei, aber der Dicke wischte seine Einwände vom Tisch. Bastida schritt zur Tat. Er stieß einen Pfiff aus – und prompt erschienen seine vier Leibwächter in dem Hinterzimmer.

De Escobedo betrachtete Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho nicht ohne Unbehagen. Diese Kerle waren ihm nicht geheuer. Wenn man nicht aufpaßte, eckte man mit ihnen an. Sie taten bedingungslos das, was Bastida ihnen sagte. Es empfahl sich nicht, einen Mann wie den Dicken zum Feind zu haben. Und es war auch wenig ratsam, seinen Gorillas zu verstehen zu geben, daß man sie für schwachköpfige Narren hielt.

Cuchillo, der schlankste und geschmeidigste Kerl des Quartetts, lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand.

„Was gibt’s denn?“ erkundigte er sich.

Gayo, der Bullige, polkte mit dem Finger in einer Zahnlücke herum.

„Ist was nicht in Ordnung?“ fragte er und warf dabei de Escobedo einen drohenden Blick zu.

Rioja kaute auf irgendwelchen Speiseresten herum. Sancho grinste, als habe er bereits begriffen, um was es ging. In Wirklichkeit hatte er nicht die geringste Ahnung, was der Dicke von ihnen wollte.

„Es gibt Arbeit“, erklärte Bastida. „Wie viele Kerle befinden sich zur Zeit in meiner Kneipe?“

„Na, so an die drei, vier Dutzend“, erwiderte Cuchillo.

„Wie viele davon sind Soldados?“ wollte Bastida wissen. Er hatte jetzt seinen typisch eiskalten, lauernden Blick, der verriet, daß er etwas im Schilde führte.

„Fünf oder sechs“, erwiderte Cuchillo, der im Denken immer der Schnellste von den vieren war.

„Der Rest ist Freiwild“, sagte Bastida grinsend. „Einige wollen sicherlich noch ihre Beute bei mir absetzen. Daraus wird vorläufig nichts. Ich kaufe erst heute nachmittag wieder. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht.“ Er begann zu lachen, und sein dicker Bauch lachte hüpfend mit.

Die Leibgarde lachte ebenfalls. De Escobedo hielt es für angebracht, auch ein dünnes Grinsen aufzusetzen. Das Lachen drang laut und schallend in den Schankraum hinüber, und einige Gäste fragten sich, was Bastida eigentlich feierte – seine guten Geschäfte oder den Aufstand, der in Havanna herrschte. Hätten sie geahnt, daß es ihnen jetzt an den Kragen ging, hätten sie schleunigst das Weite gesucht.

Gonzalo Bastida hieb mit der Faust auf den Tisch, daß Flasche und Gläser wackelten. Das Lachen verstummte. Der Dicke musterte seine Kerle und sagte mit leiser, gefährlich klingender Stimme: „Sämtliche Kerle werden sofort rekrutiert. Wer nicht pariert, kriegt gehörig was aufs Maul. Wir brauchen Leute für den Sturm auf die Residenz. Alles klar?“

„Alles klar“, erwiderte Cuchillo.

„Dann fangt an“, sagte der Dicke. Er beschrieb eine herrische Geste. Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho rückten ab und betraten den Schankraum. Sie rieben sich grinsend die Hände. Die Aufgabe, die Bastida ihnen soeben erteilt hatte, war ganz nach ihrem Geschmack.

Žanrid ja sildid

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9783954399949
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Selle raamatuga loetakse