Loe raamatut: «Seewölfe Paket 27», lehekülg 23

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3.

Gegen neun Uhr an diesem Morgen erreichten die „Santa Barbara“ und die beiden Schaluppen jenen Platz, wo die Pfahlbauhütten gestanden hatten. Jetzt waren dort nur noch die verkohlten Stummel der Stützpfosten zu sehen, die knapp aus dem Wasser ragten. Niemand zeigte sich – oder doch. Am Strand lagen Tote aufgereiht.

Die drei Schiffe gingen vor Anker. Hasard und Don Juan pullten mit einigen Männern an Land. Sie hatten bewußt auf die Mitnahme von Waffen verzichtet.

Nur Hasard und Don Juan gingen zu den Toten, und sie verbargen nicht ihre Erschütterung angesichts der Tatsache, daß diese Menschen ermordet worden waren. Auch Kinder befanden sich darunter.

Hasard biß die Zähne zusammen und schüttelte stumm den Kopf. Kinder! Und ältere Frauen und Männer! Diese Schlächter hatten sie abgestochen wie Vieh und dann ins Wasser geworfen. Aber es mußten auch welche überlebt haben. Sie hatten die Leichen geborgen und hier hingelegt.

Hasard hob den Kopf, als er das Rascheln hörte. Sein Blick fiel auf einen alten Mann, der eine Schulterverletzung hatte. Der Mann war aus dem Buschwerk getreten und stand jetzt da, die Augen auf Hasard gerichtet, ruhige Augen, aber auch traurige Augen.

Hasard hob die rechte Hand, führte sie zum Herzen und neigte den Kopf. Auch Don Juan vollführte diese Geste, die Freundschaft ausdrücken sollte und um Vertrauen warb.

Auch der alte Mann neigte den Kopf. Er tat es mit Würde. Dann drehte er sich leicht und rief etwas über die Schulter. Ein paar Kinder, Frauen und Männer verließen zögernd das Buschwerk und blieben hinter dem Alten stehen. Scheu blickten sie zu den beiden fremden Männern, aber dann verlor sich ihre Scheu, und sie begannen zu lächeln, als sie sahen, daß sich diese beiden Männer auch vor ihnen verneigten.

Hasard trat zurück und rief zur Jolle: „Bringt die Äxte und Messer her, bitte, die wir mitgenommen haben!“

„Aye, Sir!“ rief Carberry, räumte die Jolle aus und packte alles jenseits des Strandes im Gras auf einen Haufen.

Hasard winkte dem alten Mann zu und deutete zu den Äxten und Messern. Sie gingen hin. Hasard nahm ein Messer auf und reichte es dem Alten, den Griff ihm zugerichtet.

„Für dich“, sagte er lächelnd, „und für deine Leute.“

Der alte Mann begriff, und seine Augen leuchteten auf. Behutsam nahm er das Messer in Empfang, diese Kostbarkeit aus geschmiedetem Metall, das sie nicht kannten, denn ihre ähnlichen Werkzeuge waren scharfkantige Muscheln und mühsam zugeschliffene Steine.

Carberry winkte den anderen zu, heranzukommen und sich zu bedienen. Er nahm eine der Äxte, schlug ein paar Kerben ringsum in einen handknöcheldicken Mangrovenstamm und drückte ihn dann mit Leichtigkeit um – so zur Demonstration, zu was sie die Äxte benutzen konnten.

Sie schauten staunend zu. Und dann staunte Carberry, als sein Blick auf zwei etwa zwölfjährige Jungen fiel. Sie hatten schmale Gesichter mit hohen Wangenknochen und fein geformten Nasen – und blonde Haare!

„Da laust mich doch ein Äffchen“, sagte er verblüfft und drehte sich zu Hasard um. „Sir, hast du das gesehen? Zwei Blondschöpfe!“

„Schon bemerkt, Ed!“

„Kapierst du das? Ob der Wikinger hier zugange war – ähem!“

„Was du schon wieder denkst“, sagte Hasard kopfschüttelnd.

„Könnte doch sein“, meinte Carberry unerschüttert und bereits scharf darauf, seinem alten Freund Thorfin Njal bei der Rückkehr im Stützpunkt der Cherokee-Bucht zu verklaren, er sei hier auf Wikinger-Nachwuchs gestoßen, gewissermaßen auf Thorfin-Njal-Ableger! Ho-ho! Dem scheinheiligen Schurken würde er was geigen – von wegen kleine Wikingerchen in die Welt setzen und sich dann nicht darum kümmern!

„Vielleicht weiß der Kutscher darauf eine Antwort“, sagte Hasard und sorgte dafür, ihn holen zu lassen. Er brauchte ihn sowieso, damit er sich um die Verletzten kümmerte. Wie er sah, waren noch alle ihre Wunden unversorgt. Sie schienen sie mit stoischem Gleichmut zu ertragen. So etwas wie einen Medizinmann kannten sie wohl nicht.

Zur Zeit schnatterten sie alle durcheinander – wie Kinder, denen der Weihnachtsmann gute Gaben gebracht hatte, glücklich über die Geschenke. Daß diese Äxte und Messer von jenen stammten, die über sie hergefallen waren, würden sie nie erfahren. Und das war auch besser so. Vielleicht hätten sie darin einen bösen Zauber gesehen.

Der Kutscher meldete sich bei Hasard. Er hatte seine „Hebammentasche“ dabei, wie Carberry das Ding getauft hatte, in welchem der Kutscher seine wichtigsten Gerätschaften, Arzneien, Salben und Verbände aufbewahrte, wenn er eine Wundversorgung nicht an Bord vornahm.

„Sir?“ fragte er. Dabei streifte sein Blick über die Badjao, und er stutzte, als er die beiden Jungen mit dem Blondhaar sah.

Hasard bemerkte es, lächelte und fragte: „Hast du dafür eine Erklärung?“

Der Kutscher runzelte die Stirn.

Carberry schlich sich an, grinsend. Er hatte Hasards Frage bereits gehört.

„Die hat der Wikinger auf Stapel gelegt, als er mal hier war“, sagte er. „Wetten?“

Der Kutscher musterte ihn kühl und sagte: „Du hast ja ’n Hai verschluckt, Mister Carberry. Das sind waschechte Badjao, keine Mischlinge. Schau dir ihren Gesichtsschnitt und die hellbraune Haut an.“

„Hä? Und die blonden Haare?“

„Ausgebleicht von Sonne und Salzwasser, Mann“, erwiderte der Kutscher. „Diese Jungen toben wahrscheinlich den lieben langen Tag im Wasser herum. Bei den Männern sehe ich strohgeflochtene Hüte, und die Frauen werden kaum den ganzen Tag in der prallen Sonne sitzen. Alles klar, Mister Carberry?“

Der Profos schnitt ein langes Gesicht. Und er hätte so gerne beim Wikinger den Moralapostel gespielt.

„Du verdirbst einem den ganzen Spaß mit deiner Klugscheißerei“, maulte er.

Der Kutscher warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu, wandte sich zu Hasard und fragte: „Soll ich mich um die Verletzten kümmern, Sir?“

„Darum möchte ich bitten. Aber ich weiß nicht so recht, wie wir das ihnen erklären sollen. Vielleicht lehnen sie eine Wundbehandlung ab.“

Er ging mit dem Kutscher zu Igna, dem Alten, und deutete auf dessen Stichwunde in der Schulter. Gestenreich versuchte er Igna zu erklären, daß sich der Kutscher die Wunde ansehen wolle.

Igna begriff und nickte.

Der Kutscher betrachtete die Wunde aus der Nähe und sagte zu Hasard: „Ich stelle mir die Sache so vor: Die Kerle sind an die Hütten geschwommen, haben die Plattformen geentert und gewütet. Die Leute wurden ins Wasser gestoßen, zum Teil verletzt. Aber das hatte sein Gutes – die Wunden wurden vom Salzwasser ausgespült. An dieser Messerstichwunde ist das zu sehen. Sie ist völlig sauber und bereits verschorft, keine Entzündung, alles bestens.“

„Ob du ihm einen Verband anlegst?“

„Nicht nötig, Sir. Er kennt so etwas nicht, und der Verband würde ihn nur behindern.“

„Wahrscheinlich hast du recht.“ Hasard nickte. „Aber schau dir auch noch die anderen an.“

Das tat der Kutscher, und er fand nur eine ältere Frau, die einen tiefen Messerschnitt in der Hüfte hatte, eine üble Wunde, die auch unsauber war. Offenbar war die Frau durch den Sand gekrochen, der sich dabei in die Wunde gesetzt hatte. Die Wunden der anderen Verletzten waren so sauber wie bei Igna und ebenfalls bereits gut verschorft.

Der Kutscher säuberte behutsam die Messerwunde, bestrich sie mit einer kühlenden Wundsalbe und legte einen Verband an. Die Frau zuckte mit keiner Wimper, aber sie schaute ihn dankbar an.

Der Kutscher nickte ihr lächelnd zu und kehrte zu Hasard zurück. Da war sein Gesicht wieder ernst.

Er sagte: „Mir ist etwas aufgefallen, Sir.“

„Und was?“

„Hier sind Jungen, junge Männer, Männer in den besten Jahren und alte Männer. Gleiches gilt für die Frauen – mit einer Ausnahme: Ich habe nicht eine einzige junge Frau entdeckt.“

Hasard spürte ein Frösteln, das ihm über den Rücken lief. Er schaute zu den aufgereihten Toten. Nein, dort entdeckte er auch keine junge Frau.

„Du meinst …“, sagte er und sprach nicht weiter.

„Aye, Sir, genau das meine ich“, sagte der Kutscher hart. „Diese Strolche haben die Mädchen und jungen Frauen geraubt.“

Was hatte Capitán de Figuiera gesagt, als sie bei ihm in der Kommandantur saßen? Er hatte gesagt, daß die Badjao sehr hübsche Frauen hätten – begehrte Lustobjekte für diese holländischen Kerle. Hasard knirschte mit den Zähnen – und fühlte sich hilflos. Verdammt, wo sollte er diese Mörder und Frauenschänder aufspüren – wo, wo?

Er rief Don Juan heran, der bei einer Gruppe von vier jungen Männern stand und ihnen – wie vorher Carberry – die Handhabung der Axt erklärte.

„Ja?“ fragte er und blickte in das finstere Gesicht Hasards.

„Die Kerle haben die jungen Frauen geraubt“, sagte Hasard. „Dem Kutscher ist das aufgefallen, und es stimmt, hier sind nur kleine Mädchen und ältere Frauen. Du weißt, was der Capitán in Davao uns berichtete.“

Don Juan blickte sich um, und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Dann schaute er Igna an, der sie bereits beobachtete, sehr aufmerksam und auch fragend.

Er wies zu einem kleinen Mädchen, das etwa acht Jahre alt sein mochte. Es war nackt, bis auf eine Muschelkette um den Hals, ein schlankes Kind mit hübschem Gesicht und dunklen, warmen Augen, die zu ihm hochschauten. Dann trat er zu ihr und legte ihr die Hand auf den Kopf, hob aber die Hand und deutete damit an, daß das Mädchen jetzt größer geworden sei – so groß wie eine junge Frau, die mit dem Wachstum auch ihre weiblichen Formen angenommen hat.

Dann schwenkte Don Juan die Hand zu den älteren Frauen, schüttelte verneinend den Kopf, zuckte mit den Schultern und zeigte wieder über dem Kopf des kleinen Mädchens die andere Körpergröße an, jene einer jungen Frau. Und er blickte sich erneut um und schüttelte den Kopf. Und dann schaute er Igna fragend an.

Igna hatte die Zeichensprache verstanden. Der große, schlanke Fremde mit den grauen Augen und dem festen Kinn wollte wissen, wo die Frauen seien, die keine kleinen Mädchen mehr waren, aber auch noch nicht alte Frauen.

Er nickte und winkte Don Juan an den Sandstrand. Hasard und der Kutscher folgten. Igna hockte sich hin, glättete den Sand und zeichnete mit dem Finger geschickt drei Boote in den Sand, Auslegerboote mit einem vorderen Dreibeinmast und etwa mittschiffs einem einzelnen Mast. Und über die drei Boote zeichnete er unverkennbar acht Frauen, die er mittels Strichen mit den Booten verband.

Dann stand er wieder auf, deutete auf die Zeichnung und wies nach Süden. Zur Bekräftigung seiner Zeichnungen zeigte er die linke Hand mit den fünf ausgespreizten Fingern, und daneben hielt er die rechte Hand mit Daumen, Zeigefinger und Ringfinger und deutete mit beiden Händen wieder südwärts.

„Acht Frauen“, sagte Don Juan. „Und die Hunde sind mit drei Auslegerbooten nach Süden abgehauen. Soweit dürfte das klar sein.“

„Nur – wohin?“ sagte Hasard, wandte sich zu Carberry um und setzte hinzu: „Ed, pull zur ‚Santa Barbara‘ hinüber und laß dir von Ben die Karten vom Golf und den Inseln hier im Süden geben.“

„Aye, Sir.“ Carberry wuchtete die Jolle ins Wasser, sprang hinein und zog mit kräftigen Schlägen ab.

„Du glaubst, er begreift unsere Karten?“ fragte Don Juan.

„Wir müssen es zumindest versuchen“, erwiderte Hasard. „Er ist ein kluger Mann. Vielleicht weiß er, wohin sich dieses Lumpenpack verzogen hat, und kennt deren Stützpunkt.“

„Acht Frauen“, wiederholte Don Juan noch einmal, und es klang wie ein Knurren. „Und wir beschleichen inzwischen ein verlassenes Lager. Zu diesem Zeitpunkt sind diese Bastarde über die Badjao hergefallen, haben sich Boote besorgt, hier gemordet und die Frauen geraubt. Warum haben wir nicht an diese Möglichkeit gedacht? Wir sind doch hier vorbeigesegelt und haben die Auslegerboote gesehen, verdammt noch mal! Und dann erzählt uns de Figuiera noch, daß die Kerle Frauenraub betreiben. Wir hätten das ins Kalkül ziehen müssen, aber wir haben’s nicht getan. Wie Stümper haben wir uns aufgeführt.“

„Hör auf mit den Selbstvorwürfen“, sagte Hasard. „Es ist passiert und nicht mehr zu ändern. Wenn ich noch vor ein paar Stunden erwog, die Aktion abzubrechen – in der Ansicht, wir hätten genug getan –, dann kannst du dich jetzt darauf verlassen, daß ich nicht aufgebe, und wenn ich die ganzen Inseln umkrempeln muß!“

Carberry brachte die Karten. Hasard breitete sie aus, legte sie auf den Boden und beschwerte die Ränder mit Steinen. Interessiert beugte sich Igna vor und betrachtete die Karten. Hasard ordnete sie nach der Kompaßrose ein, nahm ein Stöckchen und fuhr mit ihm von Norden nach Süden die westliche Küstenlinie ab bis etwa zu dem Punkt, an dem sie sich befanden und jetzt die drei Schiffe ankerten. Dort legte er ein kleines Steinchen hin, zeigte zu den verbrannten Stummeln der Pfosten und wieder auf das Steinchen.

Igna schien zu begreifen. Mit dem Zeigefinger wies er auf den spanischen Stützpunkt im Norden des Golfes und sagte deutlich: „Da-vao.“ Dann zeigte er auf das Steinchen und sagte: „Badjao.“

Hasard und Don Juan nickten bestätigend.

Jetzt deutete Hasard auf die drei Auslegerboote, die Igna in den Sand gezeichnet hatte, und dann auf die Karte, wo das Steinchen lag. Neben das Steinchen legte er drei dünne Holzspänchen in die Südrichtung und schob sie langsam weiter. Fragend blickte er Igna an.

Igna nickte. Er hatte verstanden, daß der große Mann mit den eisblauen. Augen seine drei Balanghais meinte, mit denen die Teufel davongesegelt waren.

Wohin, nicht wahr?

Igna nahm die drei Spänchen, bewegte sie an der Küste der Karte entlang nach Süden bis zum Kap Tinaka, der südlichsten Spitze von Mindanao, und schüttelte den Kopf, was bedeuten sollte, an der Westküste des Golfes bis hinunter zum Kap seien die fremden Teufel nicht anzutreffen. Dann ließ er ein Spänchen nach Westen „segeln“, eins nach Süden und das dritte nach Südosten, schaute zu Hasard und Don Juan hoch und zuckte hilflos mit den Schultern, um auszudrücken, daß dies alles sei, was er wisse.

„Erfolg gleich null“, sagte Don Juan enttäuscht.

„Nicht ganz“, entgegnete Hasard, „denn zumindest steht fest, daß wir die Westküste bis zum Kap hinunter bei der Suche ausklammern können. Das ist besser als gar nichts.“

„Schöner Trost“, murmelte Don Juan gallig.

„Oh, ich habe noch mehr Trost für dich“, sagte Hasard. „Ich klammere bei der Suche nämlich auch den ganzen Westbereich aus, und zwar deswegen, weil Capitán de Figuiera von den Gewürzschiffen sprach, die von den Molukken herauf nach Davao segeln und bereits von den Niederländern angegriffen und geentert wurden. Daraus folgert eindeutig, daß sich die Kerle an einem Punkt festgesetzt haben müssen, von dem aus sie die von den Molukken herauf segelnden Schiffe kontrollieren können – zum Beispiel hier!“ Hasard tippte auf den Bereich der Sangi-Inseln, jenen Inseln, die fast genau in der Mitte zwischen dem nördlichen Kap von Celebes und dem südlichen Kap von Mindanao, dem Kap Tinaka, lagen. Er zog auf der Karte einen imaginären Kursstrich von den Molukken hinauf nach Davao. „Der Kurs der Schiffe führt an den Sangi-Inseln vorbei“, sagte er. „Dort würde ich mich festsetzen, wenn ich das betreiben wollte, was die Mijnheers tun. Alles klar?“

Don Juan starrte auf die Karte, und seine Miene hellte sich auf. Ganz ohne Ironie sagte er: „Man muß nur nachdenken, wie?“

„Richtig, aber vor allem muß man das an Informationen auswerten, was man zur Verfügung hat – bei de Figuieras Hinweis auf den Frauenraub der Niederländer haben wir geschlafen. Genauso haben wir nicht an die Auslegerboote der Badjao gedacht, an die Möglichkeit, daß die Kerle mit diesen Booten verschwinden könnten. Im Grunde haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das lag so nahe, und wir waren …“

„… vernagelt“, unterbrach Don Juan.

„Mächtig vernagelt.“ Hasard nickte. „Aber laß mich noch mal nachdenken. Zwischen Kap Tinaka und den Sangi-Inseln liegt eine Strecke von etwa einhundertfünfzig Meilen über See. Würdest du die mit Einmast-Schaluppen oder Auslegerbooten befahren?“

Don Juan wiegte den Kopf. „Bei den Auslegern hätte ich Bedenken, weil ich die Dinger zu wenig kenne. Mit einer Einmast-Schaluppe würde ich mir das zutrauen. Bei günstigem Wind wäre das eine Reise von vierundzwanzig Stunden – etwa. Ja, das ist zu schaffen. Warum hast du gefragt?“

„Na ja, ich dachte an den Aktionsradius von Schaluppen und daran, daß der ja nicht unbegrenzt ist. Anders ausgedrückt: Aus Sicherheitsgründen würde ich ihn soweit wie möglich begrenzen. Daraus könnte man folgern, daß die Niederländer auf den nördlichsten Inseln der Sangi-Gruppe einen Stützpunkt haben. Damit wären sie noch näher an Mindanao dran.“

„Stimmt“, sagte Don Juan, „und am allernächsten sind sie Mindanao, wenn sie sich auf den Sarangani-Inseln niedergelassen haben.“ Er tippte auf die beiden Inseln vor der Südspitze von Mindanao, die fast nebeneinander lagen. Die westliche größere Insel hieß Balut, die längliche östliche, nach der die Inseln ihren Namen hatten, Sarangani. Von diesen Inseln war es hinüber nach Mindanao lediglich ein „Katzensprung“, gemessen an der 150-Meilen-Entfernung zu den Sangi-Inseln. „Jedenfalls sollten wir zuerst dort nachsehen“, fügte Don Juan hinzu, „bevor wir die nördlichen Sangi-Inseln ansteuern.“

„Kein Einwand“, sagte Hasard, „obwohl ich meine, daß es unseren Badjao hier nicht verborgen geblieben wäre, wenn sich die Kerle auf den Saranganis niedergelassen hätten. Aber in Ordnung, wir fangen dort mit der Suche an. Jetzt verklare bitte unserem alten Freund, daß wir versuchen wollen, ihm die acht entführten Frauen zurückzubringen, was bedeutet, daß die Familien hierbleiben müssen.“

„Wieso soll ich ihm das verklaren?“

„Du bist so gut in der Zeichensprache“, sagte Hasard grinsend. „Wie du ‚junge Frau‘ dargestellt hast, war große Schauspielkunst. Du bist der geborene Mime!“ Und damit verneigte sich Hasard vor Igna, rollte die Karten zusammen und ließ den verdutzten Don Juan zurück.

So war denn Don Juan der letzte der Mannen, der den Strand verließ und zu den Schiffen übersetzte. Dort hatte inzwischen Hasard den Waldschrat aus der Vorpiek holen lassen, was Carberry zusammen mit Smoky und Matt Davies besorgte.

Zwar hatte Hasard erwartet, daß es mit dem Muskelmonster Krach geben würde, aber dem war nicht so. Und warum nicht? Ganz einfach! Carberry hatte dem Kerl den Leibriemen weggenommen, nachdem er festgestellt hatte, daß dem die Hose im Bund ziemlich lose saß. Somit war der Schrat gezwungen, die Hose mit den Unterarmen an die Hüften zu klemmen. Seine Hände blieben dabei gefesselt. Wenn der Kerl nicht mit rutschender Hose und im Hemd herummarschieren wollte, mußte er die Hose festhalten. Und das tat er – mit verbissener Visage. Er sah nicht nach Zuckerlecken aus.

Die Arwenacks feixten, als sie sahen, welchen Trick Carberry angewandt hatte. Und sicher, wenn sie’s recht bedachten, würden sie in einem solchen Fall auch lieber ihre Hose festhalten, als mit rutschender oder ohne herumzulaufen.

„Zur Stelle mit dem Kerlchen, Sir!“ meldete Carberry dröhnend und schubste den Schrat in die Nähe der Achterdecksbalustrade. „Du siehst, er ist außer Gefecht. Wenn er zulangt, steht er im Hemd, und das möchte er nicht. Da ist er eigen, weil er sehr genau weiß, daß Männer im Hemd nur halbe Portionen sind. Möchtest du ihn verhören, Sir, oder hat er jetzt Ausgang?“

„Stell ihn ans Schanzkleid, Ed“, sagte Hasard. „Er soll sehen, was seine Kumpane bei den Badjao angerichtet haben. Ich möchte, daß er die Toten sieht.“

„Aye, Sir.“ Mit ein paar Püffen dirigierte Carberry den Schrat ans Schanzkleid der „Santa Barbara“. „Schau gut hin, du Hundesohn“, knurrte der Profos. „Es ist das Werk deiner Genossen – Mord an friedlichen Leuten, die euch nichts getan haben!“

Der Waldschrat spuckte über Bord.

Carberry schaute zu Hasard hoch. „Was sagst du dazu, Sir?“

Hasard flankte über die Balustrade, setzte geschmeidig auf der Kuhl auf, trat zu dem Kerl, riß ihn zu sich herum und fragte: „Wo habt ihr euren Stützpunkt?“

Die Antwort war wiederum Spucke, aber sie traf nicht, weil Hasard zur Seite geglitten war.

„Schnall ihm den Riemen wieder um, Ed!“ befahl er.

Carberry tat es, zog ihm aber die Schnalle auf dem Rücken zu, um nicht vor den Kerl treten zu müssen, der schlimmer als ein spuckendes Lama war.

„Ben! Einen Degen!“ rief Hasard zum Achterdeck hoch, zog seinen eigenen Degen und fuhr den Schrat an: „Streck die Hände vor, du Bastard!“

Der verstand sehr genau die englische Sprache und hielt Hasard die Hände hin. Hasard zertrennte die Fesseln, fing von Ben einen Degen auf und warf ihn dem Schrat zu.

„Jetzt zeig mal, ob du noch mehr kannst als spucken, du mieser holländischer Strolch!“ zischte er.

Der Schrat stieß ein röhrendes Gebrüll aus und stürmte vor wie ein blindwütiger Stier – und schon prallte er krachend auf die Planken. Hasard war zur Seite getreten, blitzschnell, hatte aber den rechten Fuß stehen lassen und hochgerissen.

„Kuhl räumen!“ rief er.

Die Arwenacks verschwanden aufs Vordeck und Achterdeck.

Der Schrat war wieder auf den Beinen, jetzt etwas geduckt und lauernd. Offenbar hatte er begriffen, daß dieser Gegner schnell reagierte, sehr schnell sogar. Dem mußte man anders beikommen. Daß ihn dieser Gegner eben geschont hatte, als er gestürzt war, das registrierte Marten de Groot nicht.

Langsam, in kurzen Schritten, rückte er zur Nagelbank des Großmastes vor, den rechten Arm mit dem Degen leicht angewinkelt, aber immer in Bewegung wie eine züngelnde Schlange. Und er grinste, als er sah, daß der Gegner schrittweise zurückwich.

Jetzt stand Marten de Groot neben der Nagelbank. Plötzlich hatte er wie durch Zauberei einen Belegnagel in der Linken und schleuderte ihn auf den Gegner.

Vorbei! Wieder war Hasard schneller gewesen – und er reagierte auf seine Art. Ein unheimlich scharfer Hieb mit der Flachklinge klatschte auf die Hand, die den Belegnagel geworfen hatte.

Der Schrat jaulte auf wie ein getretener Hund.

„Versuch’s ruhig noch mal!“ höhnte Hasard. „Aber dann hack’ ich dir die Hand ab, Holländer!“

Und dann griff er an – ein entfesselter Tiger.

Žanrid ja sildid
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