Seewölfe - Piraten der Weltmeere 276

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 276
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-673-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Ein neuer Tag brach an, als die Galeone des Burke-Clans an der Kaimauer vertäute. Nebelschwaden hingen tief über dem Brackwasser und den Hafenanlagen an der Mündung des River Corrib. Barsche Kommandos störten die Ruhe der noch nicht erwachten Stadt. Die Dächer, die Türen und die Zinnen der Stadtmauer zeichneten sich nur verschwommen im bleigrauen Dunst der frühen Stunde ab.

Dann, als die letzten Befehle verklungen und die letzten Handgriffe erledigt waren, wurden die Gefangenen von Bord geführt. Das Klirren der Ketten begleitete jeden ihrer Schritte. Kein Wort wurde gewechselt, und auch die Bewacher waren schweigsam. Ihre Brustpanzer und Helme schimmerten matt im trüben Licht des beginnenden Tages, die stolze Haltung der Männer zeigte, daß sie in dieser Stadt keinen Widerspruch gewohnt waren.

Philip Hasard Killigrew und seine Männer fühlten sich indessen wie der Mittelpunkt eines Trauerzuges. Es war eine niederschmetternde Art und Weise, in jene Stadt zurückzukehren, die sie eigentlich nur als eine Zwischenstation auf ihrem Heimweg nach England betrachtet hatten. Jetzt aber sah es verteufelt danach aus, daß ihre Reise ausgerechnet hier endete, unwürdiger und elender, als sie begonnen hatte.

Philip Hasard Killigrew, den man auf allen Weltmeeren den Seewolf nannte, fühlte sich so hundsmiserabel wie selten zuvor in seinem Leben. Das lag weiß Gott nicht allein daran, daß er nur noch von einem kleinen Häuflein seiner einst schlagkräftigen Crew umgeben war. Nein, der Anfang dieser Reise war zugleich das Ende gewesen. Das Ende der „Isabella VIII.“, die sie in Ägypten hatten aufgeben müssen.

Wenn überhaupt, so vermochte sich der Seewolf nur damit zu trösten, daß er wenigstens seine Söhne bei sich hatte. Aber auch den beiden Jungen hatten Burkes Söldner Ketten angelegt. Sobald Hasard nur den Kopf wandte und die Zwillinge mit diesen schweren Ketten an den Hand- und Fußgelenken sah, begann die Wut wie eine lodernde Flamme in ihm zu brennen.

Mit gesenkten Häuptern schlurften sie über die feuchten Pflastersteine des Long Walk. Ja, es hatte wahrhaftig den Anschein, als sei jegliches Selbstwertgefühl aus den sonst so unbeugsamen Männern der Seewolf-Crew gewichen.

Die Kontore und Lagerhäuser der spanischen Kaufleute, die hier am Long Walk, der Kaistraße, ihr Domizil hatten, waren noch mit schweren eichenen Läden und mächtigen Riegelbalken verschlossen. Man fürchtete nächtliche Überfälle. Die irischen Rebellen waren allgegenwärtig.

Gegen ihre Kleinkriegstaktik „Hit and Run“, „Zuschlagen und Davonlaufen“, gab es kein Rezept. Nicht einmal Königin Elisabeth I. und ihr Kriegsminister im fernen London hatten es bislang geschafft, ein solches Rezept zu ersinnen.

Hier, in Irland, brüsteten sie sich damit – jene rauhbeinigen Gesellen, die immer dann auftauchten, wenn man sie am allerwenigsten erwartete. Nach Mord und Brand verschwanden sie hohnlachend und schwelgten darin, daß die englische Lissy zwar eine spanische Armada hatte besiegen können, niemals aber das todesmutige kleine Volk der Iren ausrotten würde.

Der Zug der Gefangenen und ihrer Bewacher passierte die an der Kaimauer vertäuten Schiffe, die überwiegend aus Spanien stammten. Inmitten des Kräftespiels der großen Weltmächte übte diese Hafenstadt eine Rolle aus, die auf den ersten Blick seltsam erschien.

Galway, die Perle West-Irlands.

Die Bewohner dieser Stadt waren stolz auf ihren Reichtum, den sie als erfolgreiche Handelsleute erworben hatten. Mit spanischen Comerciantes aufs engste verbunden, waren sie von den Engländern nicht abhängig. Und als Nachfahren normannischer Eroberer hatten die Leute von Galway auch mit den Iren nichts im Sinn.

Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten schon zu spüren gekriegt, zu welchen Auswüchsen das uneingeschränkte Machtgefühl der Galway-Pfeffersäcke führte.

Vor den Gefangenen schälte sich die reichverzierte Heckgalerie der „Rosa de los Vientos“ aus dem morgendlichen Dunst. Gedämpfte Stimmen waren von Bord der spanischen Galeone zu hören. Kurz darauf war es wieder still, bedrückend still. Der Seewolf, Dan O’Flynn, Big Old Shane und die anderen blickten auf. Bitterkeit erfüllte sie.

Kapitän Juan Bernardo Orosco und Aurelio Vergara, sein Erster Offizier, waren an das Steuerbordschanzkleid der „Rosa“ geeilt, fraglos von den Bordwachen alarmiert, die hinter ihnen in der gleichen Fassungslosigkeit verharrten wie ihre Vorgesetzten. Die Gesichter von Orosco und Vergara waren wie aus Stein gemeißelt. Schweigend starrten sie herüber, wußten sie doch, daß es jetzt keine Hilfe mehr gab.

Philip Hasard Killigrew gelang ein mattes Lächeln, und er nickte den Spaniern zu, diesen aufrechten Männern, die mehr für ihn getan hatten, als er ihnen jemals danken konnte. Kapitän Orosco hatte dem Seewolf und seinen Gefährten die Überfahrt von Spanien ermöglicht, und er hatte ihnen auch dann noch geholfen, als es in Galway unvorhergesehenen Verdruß gegeben hatte.

Jetzt aber war die Flucht aus dieser Stadt endgültig gescheitert. Orosco, der schlanke blonde Mann aus Katalanien, war aus dem Schlaf hochgeschreckt, ebenso wie Vergara, der schwarzhaarige Andalusier.

Beide hatten nur flüchtig ein Wams übergestreift und sahen verstört und ratlos aus. Sie wußten, daß sie nichts mehr für den Seewolf und seine Männer tun konnten, wollten sie sich nicht selbst in unüberwindbare Schwierigkeiten bringen.

„Ja, seht sie euch nur an!“ rief Norman Stephens, der Kommandant der Söldner-Truppe. „Und seid froh, daß ihr nicht mit ihnen in den Kerker marschiert! Gnade euch Gott, wenn wir euch doch noch konspiratives Verhalten nachweisen. Dann nutzen euch die ganzen guten Handelsbeziehungen nichts mehr.“

Orosco und Vergara antworteten nicht. Es hatte keinen Sinn. Beschwerde beim Magistrat von Galway konnten sie nicht einlegen. Denn George Darren Burke war der Vorsitzende des Magistrats und Oberbefehlshaber der Söldnertruppe in einer Person.

Ohne Frage hatte die Entwicklung der Dinge jetzt einen Punkt erreicht, an dem Burke seine kaufmännischen Interessen nicht mehr in den Vordergrund aller Überlegungen stellte.

„Weiter!“ brüllte Stephens. „Los, los, bewegt die faulen Knochen!“

Der Gefangenenzug, der nur einen Moment ins Stocken geraten war, näherte sich dem Spanish Arch, jenem Torbogen in der Stadtmauer, durch den der Long Walk auf den Platz mündete, der Spanish Parade genannt wurde. Hier pflegten die spanischen Kaufleute zu flanieren und sich zu Gesprächen unter freiem Himmel zu treffen, wenn sie der trockenen Luft ihrer Kontore und Speicher überdrüssig waren.

Keine Menschenseele begegnete den Gefangenen und ihren Bewachern auf dem weiteren Weg. Die Schritte hallten hohl von den Mauern der Gebäude zurück, und fast hatte es den Anschein, als hielten die Häuser mitsamt ihren Bewohnern den Atem an. Allzuoft hatte diese Stadt Männer in Ketten gesehen. Darüber, welches Schicksal ihnen drohte, gab es nicht den geringsten Zweifel.

George Darren Burke, das Oberhaupt der mächtigsten Familie von Galway, besaß alle Macht. Auch die Macht, ein Todesurteil zu vollstrekken, das er allein ausgesprochen hatte.

Bis zum Palast der Familie Burke war es nur noch ein Katzensprung. „Festung“, wäre ein besserer Ausdruck für dieses hochherrschaftliche Anwesen gewesen, das auch über ein eigenes Gefängnis innerhalb seiner Mauern verfügte.

Über eine Brücke aus mächtigen Quadersteinen erreichten sie die Dominick Street, die in ihrer ganzen Länge von der an eine Burgmauer erinnernden Einfriedigung des Burke-Wohnsitzes eingenommen wurde. Das Anwesen lag im Winkel zwischen Dominick Street, Presentation Road und einem Nebenarm des River Corrib.

Nahezu uneinnehmbar war dieser festungsähnliche Bau. Nur mit etlichen Höllenflaschen und dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite war es den Seewölfen gelungen, hier einzudringen und Dan O’Flynn aus dem Kerker zu befreien.

Die anschließende Flucht hatte über das nahegelegene Fischerdorf The Claddagh bis zu den Aran-Inseln geführt. Dort waren sie Burkes Handlanger McPherren in die Hände gefallen, der eine Brieftauben-Botschaft nach Galway geschickt und das Söldner-Kommando unter Norman Stephens auf den Plan gerufen hatte.

Die Posten auf dem Wehrgang hinter den Mauerzinnen mußten die stumme Marschformation schon frühzeitig erblickt haben. Denn die beiden Torflügel schwangen auf, ohne daß Norman Stephens ein Kommando geben oder eine Parole nennen mußte. Sie erreichten den Innenhof, und Stephens ließ die Gefangenen zu jenem Gebäudetrakt führen, in dem sie den Kerker wußten.

Beim Anblick der Gerüste und Gerätschaften, die an verschiedenen Stellen aufgebaut waren, konnten sich die Seewölfe eines verstohlenen Lächelns nicht erwehren. Ihr Blitzbesuch im Hause Burke hatte deutliche Spuren hinterlassen.

 

Nun, es waren ja auch einige Höllenflaschen erforderlich gewesen, um Dan O’Flynn herauszupauken. Die Detonationen hatten zwei Säulen wegknicken und ein Dach einstürzen lassen. Daneben gab es geringfügigere Schäden an den Wänden und Fenstern. Steinmetze hatten bereits neue Granitblöcke herangeschafft.

Vom Innenhof aus war der eigentliche Wohnsitz der Familie Burke, im Stil eines spanischen Herrenhauses gebaut, nur bruchstückhaft durch einen Torweg zu sehen. Hier, an dem geräumigen Hof, der mit Steinen gepflastert war, befanden sich sowohl die Kontore des Handelshauses Burke als auch die Unterkünfte der Söldnertruppe und die Stallungen. Der Kerker lag an der Seite zur Corrib-Mündung. Von den vergitterten Fenstern aus, das wußten Hasard und seine Männer, konnte man zum Long Walk und den dort vertäut liegenden Schiffen hinüberblicken.

Einer der Posten vom Wehrgang entriegelte die Haupttür des Gefängnistraktes, und die Söldner unter Norman Stephens’ Kommando trieben die Gefangenen mit knappen, halblauten Kommandos durch die finsteren Gewölbegänge. Es hatte den Anschein, als scheuten sich die Uniformierten, die frühmorgendliche Ruhe ihres Dienstherrn und seiner Familie zu stören.

Der Weg endete in einem halbdunklen Vorraum, der zur Hofseite hin kein Fenster hatte. Nur eine einsame Fackel brannte in einem gußeisernen Ring an der Wand. Linker Hand erstreckte sich die Reihe der Eisengitter mit den darin eingefügten Türen. Auch untereinander waren die Zellen durch fast armdicke Gitterstäbe voneinander abgetrennt. Jede Zelle hatte ein winziges Fenster, das durch das mächtige Mauerwerk von mehr als einem Yard Stärke nur einen matten Fleck vom Tageslicht hereindringen ließ.

Der Posten, der vorangegangen war, schloß eine leere Zelle auf, die etwa zwanzig Yards im Quadrat maß. Hasard und seine Männer wurden hineingetrieben, mitsamt den Zwillingen und Arwenack, dem Schimpansen, dem man gnädigerweise keine Ketten angelegt hatte – wohl wissend, daß er niemals von der Seite seiner Menschenfreunde weichen würde.

In den Nachbarzellen waren einige Gestalten auf den Pritschen zu sehen. Nur wenige hatten sich halb aufgerichtet und starrten aus schlaftrunkenen Augen herüber. Die meisten waren liegengeblieben und wandten nur träge den Kopf, um zu sehen, was sich abspielte.

Scheppernd fiel die Gittertür hinter den Gefangenen ins Schloß, und der Posten betätigte den riesigen Schlüssel. Dann wandte er sich ab und begab sich zu den Söldnern, die sich bereits vor dem Durchgang zum angrenzenden Gewölbe formiert hatten.

Norman Stephens trat noch einmal an das Eisengitter. Er hatte den Helm abgenommen und unter den Arm geklemmt. Sein Gesichtsausdruck war pure Zufriedenheit.

„Es ist besser, ihr gebt jetzt Ruhe“, sagte er frostig. „Wagt nicht noch einmal, gegen euer Schicksal aufzubegehren. In dieser Stadt gibt es nur einen, der darüber bestimmt, und das ist George Darren Burke.“ Stephens nickte bekräftigend, wie, um seinen Worten besonderes Gewicht zu verleihen.

Er war ein großer und breitschultriger Mann, mit schulterlangem mittelblondem Haar. In seinem schmalen, scharfgeschnittenen Gesicht dominierte ein sorgfältig zurechtgestutzter Schnauzbart.

Philip Hasard Killigrew trat auf ihn zu.

„Ich frage mich, Mister Stephens, ob Sie an Ihre eigenen Worte glauben.“

Die Augen des Söldner-Kommandanten verengten sich zu Schlitzen.

„Halten Sie den Mund, Killigrew!“ zischte er. „Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, in welcher Lage Sie sich befinden.“

Der Seewolf lächelte nur. Es war ein kaltes Lächeln und in seinen eisblauen Augen lag ein seltsam harter Glanz.

Stephens, der noch einen barschen Verweis hinzufügen wollte, schloß den Mund. Da gab es etwas im Blick dieses hochgewachsenen Mannes, das ihn verstummen ließ. Mit seinen schwarzen Haaren, den breiten Schultern und den schmalen Hüften war Philip Hasard Killigrew eine imposante Erscheinung. Doch das allein hätte nicht gereicht, um Norman Stephens zu beeindrucken. Nein, der Kommandant der Burke-Söldner hatte längst begriffen, daß man dem Seewolf uneingeschränkten Respekt zollen konnte – wenn man nur auf derselben Seite gestanden hätte wie er.

Abrupt wandte sich Stephens ab, gab einen knappen Befehl und marschierte mit seinen Untergebenen hinaus. Wieder knallte eine Gittertür zu, und bald darauf verklangen die Schritte der Söldner im Gewölbegang.

Die Männer sahen sich in ihrer Zelle um, prüften die Pritschen, deren Holz feucht war, und die zerfledderten Decken, unter denen schon Generationen von erbarmenswerten Gefangenen geschlafen haben mochten. In den Nachbarzellen rührte sich noch immer niemand. Doch dieses Schweigen der Mitgefangenen war voller unausgesprochener Neugier.

„Hier stinkt es“, sagte Hasard junior laut und vernehmlich und rümpfte die Nase.

„Zum Himmel“, ergänzte Philip junior, wobei er sich kettenklirrend nach allen Seiten drehte. „Das Mannschaftslogis unserer guten alten ‚Isabella‘ war die reinste Morgenfrische dagegen.“

Der Seewolf drehte sich zu seinen Söhnen um. In seinen Augen blitzte es.

„Dieses altkluge Geschwätz möchte ich nicht mehr hören, verstanden? Die Menschen, die hier zusammengepfercht sind, leben nicht freiwillig unter solchen erniedrigenden Umständen. Es ist ungehörig, ihnen irgend einen Gestank vorzuwerfen. Habt ihr das begriffen?“

„Ja, Dad“, antwortete die Zwillinge kleinlaut und wie aus einem Mund.

Sie waren prachtvolle Burschen und ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Mit ihren bald zwölf Jahren schossen sie nun schon beträchtlich in die Höhe. Ihrem Vater waren sie wie aus dem Gesicht geschnitten. Es tat ihm leid, daß er sie ausgerechnet in dieser verdammten Situation so hart anpacken mußte. Aber sie sollten aus ihren Erfahrungen lernen. Deshalb waren sie bei ihm, und deshalb mußten sie auf gewisse Dinge hingewiesen werden. Auch wenn sie diese Ketten trugen, deren Anblick genügte, um den Seewolf in Rage zu bringen.

„Eigentlich war es ja ein Lob für uns“, sagte Dan O’Flynn, und jeder wußte, daß es als Schlichtungsversuch gemeint war. „Wenn bei uns im Mannschaftslogis die Luft so sauber war, beweist das doch nur, was für gepflegte Kerle wir sind.“ Der schlanke Mann, der durch seine Wirkung auf Frauen ausgerechnet in Galway so schlechte Erfahrungen gemacht hatte, lachte leise und blickte beifallheischend in die Runde.

Aber niemand stimmte in sein Lachen ein. Er verstummte und zuckte mit den Schultern. Neuerdings schien keiner mehr an seinem Humor Gefallen zu finden. Dabei versuchte er doch nur, sie ein wenig aufzuheitern. Schließlich wußte er selbst, wie aussichtslos ihre Lage war, und fühlte sich daran mitschuldig.

Arwenack bewegte sich breitbeinig auf die Zwillinge zu und ließ sich vor ihren Füßen nieder. Das faltige Gesicht des Schimpansen sah sorgenvoll aus, wie er es unter den Vorderpfoten verbarg, die menschlichen Händen sehr ähnlich waren. Die niedergeschlagene Stimmung hatte auf ihn übergegriffen. Sein Instinkt ließ ihn wissen, daß mit „seinen“ Menschen etwas nicht in Ordnung war.

Big Old Shane, der riesenhafte Schmied von der Feste Arwenack in Cornwall, strich sich nachdenklich durch den wilden grauen Bart. Dann legte er den. Zwillingen die mächtigen Hände auf die kleinen Schultern und nahm sie beiseite. Auch dabei klirrten die Ketten. Es war für die Männer ein Geräusch, das sie von nun an offenbar nicht mehr verlassen würde.

Bis an ihr Ende?

„Hört mal zu, ihr Barsche“, sagte Big Old Shane leise. „Ihr haltet jetzt besser den Mund. Wir müssen alle nachdenken, versteht ihr? Vielleicht gibt es noch einen Weg …“ Er sprach nicht weiter, und die Söhne des Seewolfs senkten betreten den Kopf.

Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, und Matt Davies, der grauhaarige Mann mit der Hakenprothese am rechten Arm, hatten sich auf die Pritschen sinken lassen und starrten dumpf brütend vor sich hin.

Philip Hasard Killigrew lehnte sich an das Eisengitter der Zellentür. Selten hatte er seine Männer so deprimiert gesehen. Und er selbst vermochte beim besten Willen nichts mehr zu tun, um aus ihnen wieder jene rauhbeinige Crew zu machen, die es gewohnt war, lachend mitten in die Hölle zu segeln und den Teufel höchstpersönlich am Schwanz zu zwacken.

Crew!

Allein das gedachte Wort durchzuckte den Seewolf wie ein glühender Schmerz. Was sie aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen suchten, wurde doch immer wieder wach: Die Ungewißheit über das Schicksal der anderen Männer von der „Isabella VIII.“, ihrer treuen Freunde und Kampfgefährten.

Vielleicht lag es auch an dieser schmerzlichen Ungewißheit, daß sie ihre jetzige Lage so rabenschwarz sahen.

2.

Quälend langsam verstrichen die Stunden.

Längst hatte sich die Sonne über der grünen Weite Irlands erhoben, und in Galway war der bleigraue Morgendunst einem strahlenden frühen Tageslicht gewichen. Die Stadt erwachte zum Leben, Menschen erfüllten die Gassen mit Geschäftigkeit, und der Sonnenschein verlieh ihnen an diesem Tag besondere Schaffenskraft.

Bis in den Kerker der Burkes drang das Sonnenlicht nicht vor. Nur eine trübe Helligkeit hatte das bisherige Halbdunkel verdrängt. Philip Hasard Killigrew, seine Söhne und die Männer hatten sich auf die Pritschen niedergelassen und dösten vor sich hin. Jeder einzelne hing seinen Gedanken nach, die alles andere als von Sonnenschein beflügelt waren.

Die Gefangenen in den Nachbarzellen verhielten sich noch schweigsam, obwohl sich einige von ihnen bereits aufgerichtet hatten und mit unverhohlener Neugier herüberstarrten. Doch sie schienen zu spüren, daß es keine gewöhnlichen Galgenstricke waren, die man da neu einquartiert hatte. Nein, von diesen Männern strahlte trotz ihrer schmählichen Lage eine Härte aus, die auf unerklärliche Weise Respekt einflößte und zur Zurückhaltung mahnte.

Unvermittelt wurden die Seewölfe aus ihrem Dämmerzustand aufgeschreckt.

Schritte näherten sich weit hallend aus dem Gewölbegang. Im nächsten Moment wurde die Verbindungstür geöffnet.

Hasard richtete sich halb auf und blickte in den Vorraum, wo unnötigerweise noch immer die Fackel brannte.

Norman Stephens trat vor die Zelle der Seewölfe, verharrte breitbeinig und stemmte die Fäuste in die Hüften. Vier Uniformierte waren bei ihm, einer von ihnen entriegelte auf einen Wink von Stephens die Zellentür. Ein anderer löschte die Fackel.

„Mister Killigrew“, sagte Stephens mit jener unglaubwürdigen Höflichkeit, mit der Soldaten ihre Kriegsgefangenen zu behandeln pflegten. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen …“

Der Seewolf richtete sich auf. Die, Ketten an seinen Gelenken klirrten.

„Sir Hasard heißt das!“ knurrte Matt Davies und verschaffte seinen Gefühlen damit Luft. „Wenn es schon so geschraubt klingen muß, dann gefälligst richtig! Philip Hasard Killigrew wurde von der königlichen Lissy zum Ritter geschlagen, und er ist von ihr durch einen Kaperbrief beauftragt …“

Der Seewolf unterbrach Matt mit einer unwilligen Handbewegung.

Norman Stephens hatte die Augenbrauen hochgezogen.

„Ist das wahr?“ fragte er staunend. „Es tut mir leid, aber das habe ich nicht gewußt. Selbstverständlich ist ein von der englischen Königin verliehener Titel zu respektieren, Sir Hasard. Ich bitte um Verzeihung.“

Die Männer starrten sich gegenseitig an und blinzelten. Matt Davies, dem der Wind aus den Segeln genommen war, sperrte den Mund auf und kriegte ihn nicht wieder zu.

„Ich lege keinen Wert auf Titel“, sagte der Seewolf, „halten Sie es damit, wie es Ihnen gefällt, Mister Stephens. Was wollen Sie von mir?“

„Die Frage ist erlaubt“, sagte Stephens und lächelte. „Aber keine Sorge. Es handelt sich nur um eine Unterredung. Folgen Sie mir jetzt bitte, Sir Hasard.“

„Shane!“ Hasard wandte sich im Hinausgehen nur kurz um. „Du übernimmst das Kommando, solange ich weg bin.“

„Aye, aye, Sir.“ Der graubärtige Riese war aufgesprungen und grinste über die ganze wilde Gesichtslandschaft.

Nachdem die Zellentür verriegelt worden war, führten Stephens und seine Begleiter den Seewolf durch den Gewölbegang in eine Kammer, die offenbar den Wachhabenden als Aufenthaltsraum diente. Jetzt war die Kammer allerdings zweckentfremdet.

Der Mann, der hinter einem rohgezimmerten Tisch saß und den Kopf hob, sah nicht danach aus, daß er es nötig hatte, Wache zu schieben oder andere niedere Dienste auszuführen.

 

Norman Stephens und Philip Hasard Killigrew traten ein. Einer der Söldner schloß die Tür von draußen. Hasard wußte auf Anhieb, wen er vor sich hatte. Den Mann, von dem alle Macht in Galway ausging, hatte Dan O’Flynn ihm ausführlich beschrieben.

George Darren Burke war sechsundvierzig Jahre alt und ein Klotz von einem Kerl – schwergewichtig und untersetzt, dabei aber nicht unbedingt fett zu nennen. Sein kostbares seidenes Wams war fraglos von spanischen Schneidern angefertigt worden. Die edelsteinbesetzten goldenen Ringe an seinen fleischigen Fingern mußten ein Vermögen wert sein. Burke trug das dunkelblonde Haar schulterlang, sein Spitzbart war nach dem Vorbild spanischer Edelleute gestutzt.

„Setzen Sie sich, Gentlemen“, sagte Burke, und seine Stimme klang so, als fühle er sich zu diesem Gespräch eher gezwungen als freiwillig veranlaßt.

Stephens schob dem Seewolf einen Schemel hin und setzte sich selbst auf eine Bank neben der Tür.

Burke sah sein Gegenüber eine Weile prüfend an. Dann räusperte er sich und hüstelte, wobei er die rechte Faust zum Mund hob. Der Seewolf wich dem Blick des Magistratsvorsitzenden keine Sekunde lang aus.

„Ich habe Sie hergebeten, Killigrew …“ begann Burke gedehnt, und es klang, als suche er noch nach Worten.

„Verzeihung, Sir!“ mischte sich Norman Stephens aus dem Hintergrund ein.

„Ja?“ Burke blickte an der Schulter Hasards vorbei.

„Es handelt sich um folgendes, Sir: Ich habe soeben erfahren, daß dieser Mann von Königin Elisabeth zum Ritter geschlagen worden ist. Sein Titel lautet demzufolge ‚Sir Hasard‘.“

„Sieh an.“ Burke rieb sich den Spitzbart mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand und wandte seinen Blick wieder dem Gefangenen zu. „Nicht im entferntesten habe ich geahnt, daß wir einen so prominenten Gast in unseren Mauern haben. Ich hoffe, Sie fühlen sich angemessen behandelt, Sir Hasard – den Umständen entsprechend.“

„Dazu habe ich nichts zu bemerken“, entgegnete der Seewolf kalt. „Im übrigen habe ich schon Mister Stephens erklärt, daß ich auf die besondere Anrede keinen Wert lege.“

George Darren Burke schüttelte den Kopf und lächelte süffisant.

„Da bin ich anderer Meinung, Sir Hasard. Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Nun, ich denke, wir sollten uns dem eigentlichen Thema zuwenden.“

„Ich bitte darum. Meine Männer fühlen sich unbehaglich, weil sie nicht wissen, was ihnen bevorsteht.“

„Das zu ändern, liegt ganz bei Ihnen.“ Burke lächelte wieder, breiter diesmal.

„Wie soll ich das verstehen?“

„Hören Sie gut zu. Vorweg müssen Sie wissen, daß dieses Gespräch auf eine Anregung von Norman Stephens zurückzuführen ist. Er hat mir seine Beobachtungen bei den verschiedenen – hm, sagen wir – Auseinandersetzungen geschildert. Daraus entnehme ich, daß mein Freund Stephens Ihnen mehr und mehr Anerkennung zollt. Sie sind ein Mann, so sagte er, den er gern auf seiner Seite wüßte.“

„Das ist wahr“, sagte Norman Stephens, und es klang ein wenig verlegen.

Der Seewolf wandte sich nur kurz um und las die Ehrlichkeit im Gesicht des Söldnerkommandanten. Schon oft hatte er erlebt, daß Gegner seiner Fairneß Respekt zollten, ja, sogar zu Freunden wurden. Was sich in diesem Fall dabei ergeben sollte, erschien im Moment noch äußerst rätselhaft.

„Zur Sache also“, sagte George Darren Burke mit einem erneuten Räuspern. „Sie haben vielleicht ein wenig über die Lebensumstände in unserer schönen Stadt erfahren, Sir Hasard. Dann werden Sie vielleicht die besonders mißliche Lage verstehen, in der wir Bürger von Galway uns befinden. Wir sind von Feinden umgeben. Immer wieder werden wir von den verdammten irischen Rebellen zu Auseinandersetzungen gezwungen. Wenn es nach uns ginge, könnten wir durchaus in friedlichem Nebeneinander leben. Aber dieses Rebellenpack gibt nicht eher Ruhe, bis wir auf die Knochen ausgeplündert worden sind. Natürlich wird ihnen das nie gelingen. Dafür haben meine Familie und die anderen maßgeblichen Bürgerfamilien dieser Stadt Vorkehrungen getroffen. Ich selbst habe es in meiner Eigenschaft als Magistratsvorsitzender übernommen, die Abwehrmaßnahmen gegen die Rebellen federführend zu koordinieren. Deshalb unterhalte ich die Einsatztruppe unter dem Kommando von Mister Stephens, deshalb gibt es auf meinem Anwesen auch diese – hm, Unterbringungsmöglichkeit für gewisse gefährliche Personen.“ Burke legte eine Pause ein.

„Ich verstehe noch nicht ganz“, sagte Hasard, obwohl er sehr genau begriff, auf was sein Gegenüber hinauswollte.

„Das ist ganz einfach.“ George Darren Burke preßte die Fingerkuppen gegeneinander und legte sie einen Moment lang an die Lippen, bis er weitersprach. „Wegen dieser dauernden Auseinandersetzungen bin ich ständig auf die Verstärkung meiner Truppe angewiesen. Ich unterbreite Ihnen deshalb ein Angebot, Sir Hasard, das für Sie und Ihre gesamte Mannschaft gilt. Sie haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Die schlechtere zuerst: Wegen der Verbrechen, die Ihnen vorzuwerfen sind, werden Sie zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. Die zweite und bessere Möglichkeit, wie ich meine: Sie verpflichten sich freiwillig zum Dienst in meiner Truppe und stellen sich unter das Kommando von Norman Stephens, in dem Sie einen guten Kameraden finden werden.“ Burke lehnte sich zurück. „Ehrlich gesagt, ich an Ihrer Stelle würde mit der Antwort überhaupt nicht zögern. Für mich wäre klar, wie ich mich entscheide. Ein großzügigeres Angebot können Sie doch gar nicht erwarten.“

Diesmal war es der Seewolf, der lächelte.

„Eines würde ich vorher gern wissen, Mister Burke. Welche ach so schwerwiegenden Verbrechen sind es denn, wegen denen man meine Männer und mich gleich zum Tode verurteilen muß?“

Steile Falten des Unwillens entstanden auf Burkes Stirn.

„Das fragen Sie noch? Wir waren in Galway schon immer gezwungen, besonders hart durchzugreifen, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Davon kann und darf es keine Ausnahme geben. In Ihrem Fall geht es um nicht weniger als Ehebruch, begangen durch den jungen Mann namens Dan O’Flynn. Außerdem um Widerstand gegen die Obrigkeit in mindestens zwei Fällen und um Befreiung eines Gefangenen. Jeder andere, dem wir all das zur Last zu legen hätten, würde ohne viel Gerede einen Kopf kürzer gemacht werden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Klar genug“, entgegnete der Seewolf, „und trotzdem unverständlich. Wie wäre es, wenn Sie die Dinge einmal so sehen, wie sie sich wirklich abgespielt haben? Nicht Dan O’Flynn hat mit Kathryn Stephens angebändelt. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Haben Sie entsprechende Vernehmungen durchführen lassen?“

„Unsinn!“ Bruke wischte ärgerlich mit der flachen Hand durch die Luft. „Mein Freund Stephens ist in der Sache befangen, und die Aussage einer Frau, in diesem Fall der Betroffenen, gilt nichts. Ich muß mich auf die Zeugen verlassen, und die sprechen eindeutig gegen O’Flynn. Und was die sonstigen Vorwürfe betrifft – nun, die wollen Sie ja wohl nicht abstreiten.“

Hasard gab es auf. Es hatte keinen Sinn. Burke würde niemals davon zu überzeugen sein, daß sie zu Unrecht gefangengenommen worden waren.

„Eine andere Frage“, sagte der Seewolf deshalb, „wie lange würde denn der Dienst in Ihrer Truppe dauern?“

Die Unmutsfalten wichen aus dem Gesicht des Magistratsvorsitzenden.

„Ich sehe, wir verstehen uns allmählich wieder besser. Nun, ich möchte es so ausdrücken: Bei guter Führung ist eine vorzeitige Entlassung durchaus möglich. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die Lage im Kampf gegen die irischen Rebellen entspannt hat.“

Hasard nickte. Diese Antwort konnte alles und auch nichts bedeuten.

„Ich muß darüber nachdenken“, sagte er. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß Burke aus einem noch unbekannten Grund auf seine Dienste angewiesen war. „Ohne meine Männer gehört zu haben, kann ich sowieso keine Entscheidung treffen. Sind Sie mit einer Bedenkzeit von vierundzwanzig Stunden einverstanden?“

Einen Moment sah es aus, als wollte Burke aufbrausen. Aber er wechselte einen Blick mit Norman Stephens und blieb ruhig.

„Also gut“, sagte er widerstrebend, „meinetwegen. Aber nach der Frist verlange ich die Entscheidung. Unwiderruflich.“

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