Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 577»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-984-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederick
Die Toten-Gondel
Das schwarze Prunkschiff ist für die Höllenfahrt gerüstet
Luke Morgan verlor den Glauben an sich selbst. Schottischer Whisky hatte ihn nicht umgehauen. Englisches Bier schon gar nicht. Skandinavisches „Wasser des Lebens“ ebensowenig. Und karibischer Rum erst recht nicht.
Nur dieser süße venezianische Likörwein bescherte ihm einen Brummschädel, der wohl für den Rest seines Lebens andauern sollte. Stöhnend kroch er aus seiner Koje und tappte an Deck. Es war dunkel geworden in der Lagunenstadt.
Luke sah keine Seele an Deck, was aber auch an seinem eingeengten Blickfeld liegen mochte. Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen, während er zur Steuerbord-Verschanzung schlurfte. Die frische Abendluft würde wohl das beste Rezept für ihn sein.
Eine schwarze Gondel glitt vorüber. Eine Decke oder eine Persenning bewegte sich. Für Sekunden war der helle Fleck eines Gesichts zu sehen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Luke Morgan – hat zwar einen dicken Kopf vom Marsala-Wein, was ihn aber nicht daran hindert, eine Verfolgung aufzunehmen.
Rafaela Dandolo – die schöne Tochter Piero Dandolos kann sich nicht wehren, als sie von üblen Strolchen entführt wird.
Piero Dandolo – der Venezianer baut auf seiner Werft Gondeln und ist ein friedlicher Mensch. Aber unversehens gerät er in ein teuflisches Spiel.
Cesare Bruto – der Mann aus Sizilien träumt von einer fürchterlichen Rache, und dafür ist ihm jedes Mittel recht.
Philip Hasard Killigrew – der Seewolf entert eine Toten-Gondel, die allerdings mit Pulverfässern vollgepackt ist, zu denen die Lunte bereits brennt.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Luke Morgan blinzelte und schüttelte den dröhnenden Kopf. Das Bild vor seinen Augen verschwamm und wurde deutlich. Von irgendwo an der Nordseite des Canale di San Marco fiel der blasse Lichtausläufer eines Stangenfeuers herüber. Die Gondel war so schlank und so elegant wie die meisten dieser grazilen Wasserfahrzeuge in dieser denkwürdigen Stadt.
Zwischen den gepolsterten Sitzbänken – nicht etwa harten Duchten – der schwarzen Gondel bewegte sich tatsächlich etwas. Luke stützte sich auf die Verschanzung der Schebecke, beugte sich vor und kniff die Augen zusammen.
Er murmelte einen Fluch.
Was er sah, war keine Einbildung. Mit seinem Brummschädel hatte das überhaupt nichts zu tun.
Wieder erschien dieses blasse Gesicht unter der Decke. Schmale Hände packten das Dollbord.
Lukes Blick wurde starr. Ungläubig sperrte er den Mund auf.
Diese Hände lagen unnatürlich eng beieinander.
Die Handgelenke waren gefesselt!
Bevor Luke einen weiteren Gedanken fassen konnte, tauchte eine Gestalt aus dem vorderen, überdachten Teil der Gondel auf. Ein Mann, schlank, schwarzhaarig und schwarzgekleidet – wie ein Schatten in der Dunkelheit. Er kniete sich auf die vordere Sitzbank, beugte sich über die Rückenlehne und hieb mit beiden Fäusten in das Deckenbündel.
Das Gesicht und die Hände verschwanden. Die Bewegung hörte auf.
Luke Morgan spürte, wie die Wut in ihm zu kochen begann.
Die elegante Gondel befand sich bereits in Höhe des Vorschiffs der Schebecke.
Die schwarze Gestalt verschwand wieder unter dem von verschnörkelten Säulen getragenen Dach, das die hochherrschaftlichen Gondelbenutzer vermutlich vor Regen schützen sollte, während die Sitze im Freien jenen Gelegenheiten vorbehalten waren, in denen die Herrschaften geruhten, sich der Sonne oder auch nur der frischen Luft auszusetzen.
Die schlimmsten Gedanken schossen dem stämmigen Engländer durch den Kopf. Er vergaß darüber sogar das Dröhnen, das bis eben alle seine anderen Wahrnehmungen getrübt hatte.
Eine schwarze Gondel, mit Blattgold verziert und auch sonst recht pompös, konnte nur ein Fortbewegungsmittel der allerfeinsten Kreise sein. Und eine solche Gondel diente dem Menschenraub!
Warum, in aller Welt, wurde eine offenbar junge Frau auf so demütigende Weise entführt? Sollte sie von irgendeinem reichen Kerl gefangengehalten werden, damit sie seine geheimsten Wünsche erfüllte? Oder sollte sie gar von einem venezianischen Pfeffersack in den Orient verschachert werden, wo sie ihr ferneres Dasein im Hinterzimmer einer dreckigen Spelunke fristen würde?
Luke Morgan überlegte nicht lange.
Er lief nach mittschiffs, wo die Verschanzung der Schebecke am tiefsten lag, und schwang sich hinüber. Federnd landete er auf den Pflastersteinen des Kais.
„Ho, ho!“ ertönte eine Stimme von Deck. „Abends werden die Faulen munter, was?“ Es war Stenmark, der blonde Schwede, der sich vom Vorschiff näherte. Gemeinsam mit Will Thorne war er zur Deckswache eingeteilt. „Wohin so eilig, Mister Morgan? Hat dich was in den Hintern gebissen?“
Luke stand auf dem Sprung. Alles in ihm drängte danach, loszurennen, denn die schwarze Gondel entfernte sich rasch. Aber Stenmark hatte als Deckswache eindeutige Befugnisse, die man nicht einfach übergehen konnte. Bei einem Verstoß gegen die Borddisziplin drückte der Seewolf nie ein Auge zu.
„Brauche Bewegung, frische Luft!“ stieß Luke daher hervor.
Stenmark grinste im Schein der Deckslaternen. „Dein Bewegungsdrang reicht wahrscheinlich bis zur nächsten Pinte. Merkwürdig, daß du den ganzen Tag eher den Drang nach Ruhe gehabt hast.“
„Das war der fehlende Schlaf“, ächzte Luke und wurde von Sekunde zu Sekunde zappeliger. „Mann o Mann, Mister Stenmark, ich verspreche dir, daß ich in zehn Minuten wieder hier bin! Keine Pinte – nichts! Nur ein bißchen Luft schnappen. Ich merke doch, wie gut mir das tut, wirklich.“
„Hau schon ab“, sagte Stenmark und lachte leise. „Ich hoffe nur, daß du genauso verständnisvoll bist, wenn du nächstes Mal Wache schiebst und ich einen Sonderwunsch habe.“
„Kannst dich drauf verlassen!“ rief Luke und stürmte los.
Stenmark blickte ihm kopfschüttelnd nach.
Er sah nicht, wie Luke sich anstrengte, die schwarze Gondel wieder zu sichten, solange er sich noch auf dem langgestreckten Kai befand. Der Engländer lief an Lastkähnen vorbei, die von bewaffneten Posten bewacht wurden.
Schon nach Minuten erreichte er einen abzweigenden schmaleren Kanal. Davor, noch am Kai, befand sich ein Anleger. Ringsherum lag eine Anzahl von einfachen Gondeln. Die dümpelnden schlanken Boote sahen mit ihren schwanenhalsartigen Steven aus wie Lebewesen, die sich aufgeregt bewegten.
Luke Morgan verharrte vor dem Anleger. Auf den Zehenspitzen spähte er über die düstere Wasserfläche des Kanals. Hinter den Fenstern der Häuser brannte nur vereinzelt Licht. Die Venezianer waren ein geselliges Volk. An einem milden Abend wie diesem trafen sie sich meist vor ihren Häusern zum Plausch – auf einer kleinen Piazza oder einfach in den Hauseingängen.
Oder sie entführten wehrlose junge Frauen.
Luke stieß einen zufriedenen Laut aus, als er die reichverzierte schwarze Gondel sah, wie sie von dem Lichtschein einer bogenförmig verlaufenden Laternenkette erfaßt wurde. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Luke, daß die Laternen zu einer Brücke gehörten, die sich in elegantem Schwung über den Kanal spannte.
Luke zögerte nicht. Er sah sich nur kurz um. Kein Mensch war in der Nähe. Er lief auf den schwankenden Anleger hinaus. Einen Atemzug lang dachte er daran, ob es vielleicht besser gewesen wäre, Stenmark den wirklichen Grund dafür zu erklären, daß er, Luke, diesen sonderbaren Bewegungsdrang an den Tag legte.
Er löste das Tau einer der Gondeln, die am weitesten draußen am Steg lagen. Er schwang sich in das schlanke Boot, nahm den Riemen auf und stieß sich ab. Die Gondel wirkte beinahe beschwingt, wie sie auf die dunkle Mitte des Canale di San Marco hinausglitt. Luke richtete sich auf der kleinen Heckplattform auf, legte den Riemen in die geschwungene Riemenstütze an Steuerbord und brachte das Boot auf Kurs. Von weitem konnte ihn garantiert niemand von einem echten venezianischen Gondoliere unterscheiden. Auf den sieben Weltmeeren und den Flüssen, die in sie mündeten, gab es kein Wasserfahrzeug, mit dem ein Mann aus der Crew der Arwenacks nicht fertiggeworden wäre.
Die Gondel gewann rasch an Fahrt.
Luke ruderte mit kraftvollen Armbewegungen. Er erspähte die schwarze Gondel unter der nächsten Brücke, etwa zweihundert Yards entfernt. Ein grimmig-zufriedenes Knurren drang tief aus seinem Brustkasten. Er würde diesen Bastarden, die junge Frauen entführten, ein bißchen auf die Finger klopfen.
Er war jetzt sicher, das Richtige zu tun. Es hätte zuviel Zeit gekostet, wenn er Stenmark und womöglich auch noch Will Thorne alles hätte auseinandersetzen müssen. Erst einmal hätten die beiden ihn für verrückt erklärt. Und dann hätten sie vielleicht gar versucht, ihn an seinem Vorhaben zu hindern.
Die meisten Arwenacks waren ausgeschwärmt und hatten sich auf die gastlichen Häuser rings um die Piazza San Marco verteilt. Auch Hasard und Ben Brighton waren unterwegs. Sie hatten eine wichtige Verabredung mit dem Hafenkapitän und einflußreichen Geschäftsleuten.
Die Entfernung hatte sich bereits auf hundertfünfzig Yards verringert, als die schwarze Gondel in einen Seitenkanal einbog.
Luke wußte, daß dies die Richtung zum Canale Grande war.
Die Laterne über dem Eingang brannte mit blakender Flamme. Zuckendes Licht fiel auf das sorgfältig verlegte Steinpflaster am Hand des Rio Orseolo.
Edwin Carberry und Ferris Tucker ließen das Stimmengewirr in der kleinen Osteria hinter sich zurück.
Sie wandten sich nach rechts, wo über eine Steintreppe ein beleuchteter Anleger zu erreichen war. Gondolieri warteten dort auf Zecher, um sie sicher nach Hause zu bringen – sicher allerdings in den meisten Fällen wohl nur bis an die Haustür, denn dahinter pflegten zürnende Eheweiber mit dem Nudelholz zu lauern.
„Dieser Peppino“, sagte Carberry und schüttelte in heiterer Erinnerung den Kopf, „ein feiner Kerl, was, wie?“
„So sind sie hier alle“, behauptete Ferris Tucker.
Der rothaarige Schiffszimmermann, hünenhaft und breitschultrig wie der Profos, stapfte mit schweren Schritten, als hätte er eine schwer zu bewältigende Last zu tragen. Letztere bestand bei beiden Männern jedoch nur aus den vier Flaschen venezianischen Weißweins, die sie gemeinsam genossen hatten.
Carberry blieb stehen und sah Ferris Tucker stirnrunzelnd an.
„Alle?“ wiederholte der Profos mit Reibestimme. „Bist du schon mal hiergewesen? In einem früheren Leben vielleicht?“
Beide lachten, denn sie mußten daran denken, wie Old Donegal Daniel O’Flynn beim Anblick der Insel Kefallinia geradezu in Verzückung geraten war, hatte er doch allen Ernstes geglaubt, auf dem griechischen Eiland in einem längst vergangenen Leben gehaust zu haben.
„Unsinn!“ rief Ferris Tucker und blieb ebenfalls stehen. „Du weißt doch ganz genau, daß ich noch nie in Venedig war.“
„Ach nein“, sagte Carberry und setzte einen listigen Gesichtsausdruck auf. „Woher weißt du dann, daß alle Schankwirte so sind wie Peppino?“
„Na, wie man das eben so weiß.“
„Verstehe ich nicht. Ich wußte zum Beispiel nicht, daß Peppino ein paar hundert Doppelgänger in dieser Stadt hat.“
Ferris Tucker verzog das Gesicht. „So habe ich es auch nicht gemeint, verdammt noch mal. Ich meine die Art der Venezianer im allgemeinen. Gastfreundlich, geradeheraus, allem Fremden gegenüber aufgeschlossen und zuverlässig – vor allem zuverlässig. Nur deshalb haben sie es als Handelsmacht so weit gebracht.“
„Junge, Junge, weißt du Bescheid!“ rief der Profos staunend. „Das ist doch nicht auf deinem Mist gewachsen!“
„Wieso denn nicht?“ entgegnete Ferris trotzig. „Warum sollte ich nicht in der Lage sein …“
„Weil es sich so verdammt nach dem Kutscher anhört.“
„Du spinnst!“ sagte der Schiffszimmermann übertrieben heftig, was jedoch einem Eingeständnis gleichkam.
Und es lag auf der Hand. Jeder in der Decksmannschaft der Arwenacks bewunderte den Kutscher insgeheim. Der ruhige, stets besonnene Mann war ein Phänomen.
In der Kombüse leistete er Außergewöhnliches. Sein Einfallsreichtum bei der Zusammenstellung des Speisezettels hatte die Crew mehr als einmal in Erstaunen versetzt. Als Feldscher nutzte er die umfassende medizinischen Kenntnisse, die er während seiner Zeit bei Doc Fremont in Plymouth erworben hatte. Und Punkt drei war seine überragende Allgemeinbildung.
In unzähligen langen Abenden am prasselnden Kaminfeuer hatte der Kutscher den Schilderungen seines Brotgebers gelauscht. Doc Fremont hatte es Freude bereitet, sein Wissen an diesen Mann weiterzugeben, der alles so begierig in sich aufnahm. Dabei waren seine eigentlichen Aufgaben nur die des Kutschers gewesen, wodurch er auch seinen Namen erhalten hatte. Seinen wirklichen Namen hatte er nie preisgegeben.
„Ist doch keine Schande, Mister Tucker“, erklärte Ed Carberry in weinseliger Großzügigkeit. „Ich sag’s dir ehrlich: Sich vom Kutscher was verklaren zu lassen, bricht niemandem einen Zacken aus der Krone. Dir nicht und mir auch nicht.“
Ferris Tucker grinste und hieb dem Mann mit dem Narbengesicht und dem mächtigen Rammkinn auf die Schulter, daß es krachte. „Hast ja recht, Mister Carberry. Aber dieser Peppino ist wirklich einer, der es einem Fremden erleichtert, sich gleich richtig wohlzufühlen. Venedig – Mann, das ist eine Stadt, da könnte man …“
Eben im Begriff, ihren Weg fortzusetzen, verharrten die beiden Männer abermals.
Aus einem der benachbarten Häuser, nur zehn Yards entfernt, war ein schlanker, mittelgroßer Mann getreten und hatte sich von dem Hausherrn verabschiedet. Ed Carberry und Ferris Tucker hatten es nur am Rande bemerkt, da sie in ihr Gespräch vertieft gewesen waren, das sie für so bedeutungsvoll hielten.
Jetzt eilte der Mann vor ihnen durch die von Laternen und Stangenfeuern durchbrochene Dunkelheit. Er trug einen wehenden dunklen Umhang, seinen Kopf bedeckte ein großes, elegant geschnittenes Barett.
Der Mann, den er besucht hatte, ließ die schwere Haustür zufallen.
Im selben Moment geschah es.
Silhouetten schnellten aus den Nischen des nächsten Hauseingangs hervor. Mehr als Schatten waren sie in der Tat nicht, wie sie den erschrocken die Arme hochreißenden Mann einkreisten und auf ihn einschlugen. Er wehrte sich verzweifelt, doch innerhalb von Sekundenbruchteilen gingen die Kerle so erbarmungslos zu Werke, daß bereits seine erstickten Schmerzenslaute zu hören waren.
Und diese Schläger hatten sich von Anfang an den Teufel darum geschert, ob es Zeugen gab oder nicht. Sie schienen sich mächtig sicher zu fühlen.
Der Profos und Ferris überwanden ihre Verblüffung.
Mit vier, fünf langen Sätzen erreichten sie den Ort des Geschehens. Carberry packte einen bulligen Kerl am Kragen, der eben zu einem gemeinen Fußtritt ausholte. Das Opfer, schon am Boden liegend, blieb davon verschont. Statt dessen traf der Tritt einen der Kumpane des Bulligen in den Hintern.
Wütendes Geheul ertönte.
Carberry ließ den Bulligen in seinem Griff zappeln.
Ferris Tucker hatte einen hageren Burschen gepackt, den er am gestreckten Arm von sich hielt. Der Mann versuchte verzweifelt, zu treten und zu schlagen, hatte jedoch nicht den geringsten Erfolg damit.
Schließlich trat Ferris ihm die Beine unter dem langen Leib weg, packte gleichzeitig mit der freien Hand in der Gürtelgegend zu und beförderte ihn mit Schwung vom Rio Terrà in den angrenzenden Rio Orseolo.
Rio, das hatten die Arwenacks bereits gelernt, hießen in Venedig die kleinen Seitenkanäle. Und Rio Terrà nannte man die Gasse, die an einem solchen Kanal entlang verlief.
Es klatschte laut, und gischtend stieg das brackige Kanalwasser hoch, als der Kerl in der Nähe der Gondeln beim Anleger eintauchte. Prustend und mit wilden Schwimmbewegungen hielt er sich über Wasser.
Carberry schickte den Bulligen hinterher, indem er ihm mit dem rechten Stiefel einen Rammstoß in den Allerwertesten versetzte. Mit verzweifelt wedelnden Armen flog der Mann über die Pflasterkante hinaus in die Düsternis des Kanals. Wieder folgte ein klatschender Aufschlag. Beide Kerle traten Wasser und stimmten ein wütendes Gebrüll an, dessen Lautstärke ausreichte, um sämtliche Hausbewohner in hundert Yards Umkreis aufwachen zu lassen.
Die beiden anderen waren im Begriff, den am Boden Liegenden hochzuzerren, vermutlich, um ihn als Geisel zu benutzen.
Die beiden Hünen aus der Crew der Arwenacks vereitelten dieses Vorhaben im Ansatz. Mit ihren Fäusten, die das Format von Ankerklüsen hatten, trieben sie die Kerle von ihrem schon wehrlosen Opfer weg.
Gnadenlos schlugen Ed und Ferris zu. Die Art und Weise, wie die Strolche zu viert über den einen Mann hergefallen waren, hatte den beiden Männern von der Schebecke eine mordsmäßige Wut im Bauch beschert.
Die Wucht der Hiebe traf die Schläger mit der Gewalt von Vierundzwanzigpfünder-Einschlägen. An Gegenwehr vermochten sie nicht einmal mehr zu denken. Wie entwurzelte Bäume im Wind schwankten sie unter den Hieben. Und dann nahte auch für sie beide der Moment, in dem hinter ihnen nur noch schwarze Leere gähnte.
Schreiend segelten sie hinaus auf die düstere Wasserfläche des Kanals, wo ihre wassertretenden Kumpane inzwischen nach den Gondolieri brüllten.
Ed und Ferris grinsten, wechselten einen Blick und rieben sich die Fingerknöchel. Dann halfen sie dem Mann auf die Beine und hoben auch sein Barett auf. Er war dunkelblond, trug einen. Oberlippenbart und hatte ein schmales Gesicht. In seinen blauen Augen lag bedingungslose Offenheit.
„Ich danke Ihnen, Signori“, sagte er, doch es klang nicht übermäßig erleichtert. Er klopfte seinen Umhang sauber. Er verbeugte sich, als Ferris Tucker ihm das Barett reichte. „Sie sind Seeleute, nicht wahr?“
„Sie haben einen guten Blick, Señor“, erwiderte Carberry auf Spanisch. „Wir können Italienisch zwar einigermaßen verstehen, aber mit dem Sprechen hapert es. Da liegt uns das Spanische besser.“
„Nun, dann haben wir keine Verständigungsschwierigkeiten“, antwortete der Venezianer auf spanisch. „Mein Name ist Piero Dandolo.“ Er reichte den beiden Männern die Hand.
Ed und Ferris stellten sich ebenfalls vor.
Unten im Kanal hatten sich zwei Gondolieri der Wassertretenden erbarmt und sie an Bord gezogen. Gleich darauf verschwanden die beiden schlanken Boote in der Dunkelheit.
„Miese Kanalratten“, sagte Carberry grollend und schüttelte die Faust hinter ihnen her. „Dabei sollte man annehmen, daß gerade in Venedig Recht und Ordnung herrschen. Mit solchen Typen von Straßenräubern hätten wir hier überhaupt nicht gerechnet.“
„Sie haben eine zu gute Meinung von Venedig“, erwiderte Dandolo. „Allerdings handelte es sich auch nicht um einfache Straßenräuber.“
„Sondern?“ entgegnete Ferris Tucker.
Dandolo preßte die Lippen zusammen. Er sah niedergeschlagen aus, wie er den Kopf schüttelte. „Es hätte keinen Sinn, Ihnen das zu erklären, Señores. Ich will Sie nicht in etwas hineinziehen, was eine Zumutung wäre. Wenn Sie noch einen oder zwei Tage in Venedig bleiben, möchte ich Sie gern einladen. Und bringen Sie Ihre Freunde mit! Ich bin Gondelbauer. Meine Werft liegt am Rio dei Mendicanti. Jeder Gondoliere in Venedig kennt das Gelände. Und erschrecken Sie nicht, wenn Sie Trauer-Gondeln bei mir sehen. Ich arbeite nebenbei als Leichenbestatter. Nehmen Sie die Einladung an, ich bitte Sie darum. Geben Sie mir die Chance, mich wenigstens ein bißchen zu revanchieren.“
„Gern“, antwortete Carberry. „Aber warum sagen Sie uns nicht, was los ist? Ich wette, wir könnten Ihnen helfen.“
Dandolo schüttelte den Kopf. „Nein, ausgeschlossen. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich nicht mehr dazu sagen kann.“
„Sagen Sie mal“, murmelte Ferris Tucker stirnrunzelnd, „könnte es sein, daß Ihre Schwierigkeiten noch größer werden, weil wir den Kerlen den Marsch geblasen haben?“
Piero Dandolo blickte zu Boden.
„Ich bitte Sie“, erwiderte er leise, „nehmen Sie mir ab, daß ich beim besten Willen nicht mehr sagen kann.“
Dandolo wandte sich rasch ab, stieg zum Anleger hinunter und nahm eine Gondel. Er ließ sich in die entgegengesetzte Richtung fahren, nicht dorthin, wo die vier Schläger verschwunden waren.
Ed und Ferris sahen ihm schweigend nach. Ohne daß sie darüber reden mußten, stand für sie in diesem Moment bereits fest, daß sie der Sache auf den Grund gehen würden.
Tasuta katkend on lõppenud.