Loe raamatut: «BAT Boy»

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Überraschung

Ab in die Ferien

Ein Hotel am Meer

Die neue Schule

Warten, nichts als warten

Enthüllung

Ausflug

Die BAT

Brecher

Erklärungen

Nächtlicher Angriff

Auf und davon

Weitukäi?

Man sieht sich oder auch nicht

Allein

Zufälle

Ein Experiment

Weitukäi!

Zufällige Begegnungen

Die erste Verbindung

Erkenntnisse

Bombentransport

Familiengeschichten

Endspiel

Mitternacht

Epilog

Nachwort

Über den Autor

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Überraschung

Ab in die Ferien

Ein Hotel am Meer

Die neue Schule

Warten, nichts als warten

Enthüllung

Ausflug

Die BAT

Brecher

Erklärungen

Nächtlicher Angriff

Auf und davon

Weitukäi?

Man sieht sich oder auch nicht

Allein

Zufälle

Ein Experiment

Weitukäi!

Zufällige Begegnungen

Die erste Verbindung

Erkenntnisse

Bombentransport

Familiengeschichten

Endspiel

Mitternacht

Epilog

Nachwort

Über den Autor

Impressum


Überraschung

Ich jage durch die Schwärze der Nacht.

Ich bin da, und um mich herum sind viele andere.

Zusammen sind wir auf der Suche.

Unsere Schreie zeichnen uns den Weg.

Ein herrliches Gefühl von Freiheit umgibt mich

und durchdringt meinen Körper.

Meine Mutter ist da und flüstert mir etwas zu.

Lucas ...

Sie lächelt mir zu, und ich fühle mich

als hätte ich das ganze Jahr über Geburtstag.

... Geburtstag, Lucas ...

Aber ich habe etwas vergessen – ich wollte etwas tun.

Überraschen wollte ich sie – genau das war es.

Aber jetzt ist es zu spät – es ist zu spät.

Zu spät ...

»... zu spät zum Spiel. Luky, Schätzchen, du musst doch noch deine Geburtstagskerzen auspusten.«


it einem Mal war Lucas wach. Das war es, was er vergessen hatte. Seitdem er sich erinnern konnte, hatten ihm seine Eltern immer einen wunderschönen Geburtstag bereitet. Und nun, nach dreizehn Jahren, hatte Lucas beschlossen, sie mit einem von ihm zubereiteten Frühstück zu überraschen. Er hatte es sich fest vorgenommen, doch jetzt war es zu spät. Er hatte verschlafen, sodass ihm wahrscheinlich nicht einmal genug Zeit blieb, um mit seinen Eltern irgendeine Art von Frühstück zu sich zu nehmen.

Lucas schoss hoch und ... KRACH!! Der Schwung, mit dem er seinen Kopf eben noch angehoben hatte, wurde abrupt von etwas Hartem gebremst. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.

Stöhnend und sich die Stirn reibend öffnete er die Augen und sah, was ihn aufgehalten hatte. Irgendwie musste er sich in der Nacht im Schlaf gedreht haben, sodass er mit dem Kopf unter dem Bücherbord gelegen hatte, das am Fußende seines Bettes ein Stück herüberragte.

Jetzt bemerkte Lucas auch Betty, seine Mutter. Sie hockte mit einem entsetzten Gesichtsausdruck neben seinem Bett, der zeigte, dass sie sich Vorwürfe machte, ihn aus dem Schlaf geschreckt zu haben.

»Morgen Mam«, murmelte er – immer noch seine Stirn reibend. »Keine Sorge. Ist nichts passiert.«

»Na ja«, kam es von ihr zurück. »Wenn wir heute Fasching hätten, und du dich als Einhorn verkleiden wolltest, dann wäre das wohl wirklich nichts, aber ...«

Er sah sie verständnislos an. Als er sie fragen wollte, was sie meinte, traf sein Blick zufällig den Spiegel Kleiderschrankes. Lucas sah sich im Bett sitzen. Mitten auf seiner Stirn erhob sich eine beachtliche Beule, die gerade dabei war, ihre Farbe von fast weiß in knallrot zu verändern. Nur am oberen Ende – direkt unter dem Haaransatz – befand sich eine immer noch weiße, dreieckige kleine Delle, die von etwas herrühren musste, das sich unter dem Bord befand.

Lucas wollte sich das Bord von unten betrachten, um herauszufinden, woher diese Delle stammen mochte. Aber sobald er sich nach vorn beugte, kehrte der Schmerz spontan wieder. Ihm wurde fast schwarz vor Augen.

Betty fing ihn auf und bugsierte ihn vorsichtig zurück ins Bett. Lucas setzte an, zu protestieren.

»Aber Mam, das Spiel, die Kerzen, ich ...«

»Papperlapapp«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Du bleibst erst mal kurz liegen und machst die Augen zu. Ich bin gleich mit einem Eisbeutel zurück.«

»Aber wie komme ich denn zum Spiel? Ich habe doch versprochen, dabei zu sein.«

»Papa fährt dich hin. So spät ist es ja noch gar nicht. Deine Kerzen kannst du auch noch auspusten, wenn du wieder hier bist. Und jetzt: Sitz, Platz und Aus!«

Das sagte sie immer dann, wenn sie keine Widerrede duldete. Sie war in einer eher ländlichen Gegend aufgewachsen und ihre Eltern hatten zwei Schäferhunde gehabt – hatten sie eigentlich immer noch. Wie hießen die beiden noch mal? Luchs und ... Seine Gedanken drifteten ab.

Er war fast dabei, wieder einzuschlafen, als seine Mutter mit dem Eisbeutel auftauchte. Die Kälte erzeugte zwar zuerst erneut Schmerzen, aber dann war es richtig angenehm.

»Wo ist eigentlich Paps?«, fragte Lucas, während er den Beutel auf seine Stirn drückte.

»Der disponiert gerade um. Er bringt den Kuchen nach oben – und dein Geschenk.«

In diesem Moment hörte man auch schon jemanden die Treppe hochsteigen. Es klang, als wäre dieser Jemand recht schwer beladen.

Unter einigem Ächzen und leisem Fluchen kam sein Vater Paul ins Zimmer. Bei dem, was er trug, stellte dies geradezu eine zirkusreife Nummer dar: Unter dem einen Arm klemmte ein nur notdürftig zusammengeklapptes Teleskop. Auf der anderen Hand balancierte er einen Teller mit der Geburtstagstorte.

Das war ein Anblick, bei dem Lucas spontan grinsen musste, denn er stellte sich vor, wie sein Vater damit die Treppe heraufgekommen war.

Seine Mutter war über dieses Schauspiel allerdings weniger erfreut. Sie rief stirnrunzelnd: »Sag mal Paul, wäre es nicht besser gewesen, wenn du den Tisch gleich auch noch mit hochgebracht hättest? Vielleicht hättest du den ja auf dem Kopf tragen können. Also mal im Ernst: Muss das denn sein? Ich habe mir solche Mühe mit der Torte gegeben, und du riskierst, dass sie bei dieser Aktion runterfällt.«

»Na ja Schatz, du kennst mich doch. Lieber ein bisschen anstrengen, statt zwei Mal zu laufen.« Paul grinste verlegen und zwinkerte Lucas dabei mit einem Auge zu.

Der hatte allerdings nur noch Augen für das Teleskop. Es war von beachtlicher Größe. Wenn man es recht bedachte, so schien es fast unmöglich, dass man es sich einfach unter den Arm klemmen konnte. Es musste eine Brennweite von mindestens 900 mm haben.

Lucas war Hobby-Astronom, was allerdings ohne eigenes Teleskop recht schwierig war. Er hatte sich daher darauf verlegt, das meiste in Büchern nachzuschlagen und hin und wieder in der Sternwarte vorbeizuschauen, um die Sterne mal live erleben zu können. Aber nun ...

»Cool, Paps. Ich wette, damit kann man sogar das Auge des Jupiters erkennen«, sagte er.

»So weit hinaus willst du?«, fragte Paul. »Ich dachte, fürs Erste reicht das neue Haus um die Ecke. Die Leute sind gerade eingezogen und da ist doch so eine süße ... Auu.«

Ein Rippenstoß seiner Frau hatte ihn gestoppt. Was folgte, war eine der gutmütigen Kabbeleien, die im Haus der Frankes an der Tagesordnung waren. Lucas nahm diesmal nicht aktiv daran teil, sondern lehnte sich zurück und genoss still das Geplänkel seiner Eltern, das er so liebte. Sie warfen sich scheinbar todernste Argumente an den Kopf, verloren dabei aber nie das belustigte Glitzern in den Augen.

Dann fiel sein Blick auf die Uhr. Er stellte fest, dass er sich nun besser fertig machen sollte, wenn er es noch zum Spiel schaffen wollte.

Bei dem Spiel handelte es sich immerhin um das Semifinale im Berliner Schul-Football, an dem die Mannschaft seiner Schule teilnahm.

Nicht, dass er in diesem Team etwas zu suchen gehabt hätte. Er war nicht unbedingt der sportliche Typ: zwar recht groß, aber eher dünn und schlaksig. Er hatte Ausdauer, doch fehlte es ihm an der Art Killerinstinkt, der es den Sportlern in seiner Klasse ermöglichte, an oder über ihre Grenzen zu gehen, um die Punkte zu holen, die sie brauchten. Allerdings war er passionierter Zuschauer und feuerte seine Klassenkameraden an so oft es ihm möglich war.

Diesmal konnten sie es wirklich gebrauchen, denn sie waren noch nie so weit gekommen, und der Gegner war der Meister der letzten drei Jahre.

Also machte er sich fertig. Dann kühlte Lucas noch einmal seine Stirn, während er darauf wartete, dass sein Vater den Wagen aus der Garage holte.

Die Fahrt zum Stadion dauerte eine Weile. Also hatte er noch Gelegenheit, die Augen zu schließen und seinen Schmerzen beim Abklingen zu helfen. Als Paul ihn besorgt ansprach, erwiderte er nur, dass er schließlich seine Kräfte beisammenhalten müsste. Dann waren sie da.

Sein Vater verabschiedete sich von Lucas und fuhr nach Hause – nicht ohne vorher noch einmal einen prüfenden Blick auf die Beule zu werfen. Diese war jedoch durch das Kühlen nicht so extrem gewachsen, wie es erst den Anschein gehabt hatte.

Lucas winkte kurz. Dann wandte er sich in Richtung der Kabinen. Er wollte seine Freunde vor dem Spiel treffen, denn zwischen den vielen Zuschauern rund um das Feld würde er später sicherlich nicht erkannt werden. Er trat durch die Tür und sofort gab es ein großes Hallo über seine "Kopfverletzung". Alle hatten den einen oder anderen Scherz auf seine Kosten parat.

Nur Erik, sein ältester Freund, verschonte ihn damit, wofür Lucas ihm dankbar war, denn durch das ganze Gejohle kehrten seine Kopfschmerzen wieder zurück. Erik fragte ihn nur, ob alles in Ordnung sei. Als Lucas dies bejahte, musterte er ihn noch einmal und drückte ihm dann ein Coldpack aus dem Erste-Hilfe-Kasten in die Hand.

Während Lucas, nun wieder seine Beule kühlend, den Weg zu seinem Platz einschlug, musste er an Erik denken.

Als Person war dieser von einem krassen Gegensatz geprägt: Er hatte ein eher rundes Gesicht mit vielen Sommersprossen, das normalerweise von einer Nickelbrille geziert wurde. Seine rotblonden Haare waren glatt nach unten gekämmt und vermittelten den Eindruck, dass er seine Frisur durch einen auf den Kopf gestülpten Topf erhielt, um dessen Rand einfach herumgeschnitten wurde. Wen dieser Anblick jedoch dazu verleitete, auf dem vermeintlichen Muttersöhnchen herumzuhacken, der konnte schnell sein blaues Wunder erleben. Als amtierender Jugendmeister seiner Gewichtsklasse im Karate wusste Erik, seine zweifellos vorhandene Kraft auch entsprechend einzusetzen. Darüber hinaus war er auch noch einer der besten Schüler in der Klasse. Vielleicht war es gerade diede Tatsache, dass er seine Fähigkeiten nicht – wie so viele seiner Altersgenossen – quasi auf einem Schild vor sich hertrug, die ihn Lucas so sympathisch machte.

Schließlich war er auf seinem Stammplatz unten direkt am Feld auf Höhe der 50-Yard-Linie angekommen. Mit einem leisen Seufzer ließ er sich auf die Bank fallen.

Die meisten Umsitzenden musterten nur kurz seine Beule, bedachten ihn mit der einen oder anderen Aufmunterung. Dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Spielfeld zu, denn dort fand gerade der Einmarsch statt. Es handelte sich zu einem großen Teil um die Freundinnen der Spieler seiner Schulmannschaft oder um nicht eingesetzte Cheerleader.

Nur Ines, ein Mädchen aus seiner Klasse, stand von ihrem Platz auf und setzte sich neben ihn.

»Hey, was hast du denn gemacht? Das sieht ja finster aus.«

»Alles halb so schlimm«, sagte Lucas in dem Versuch, neben all den Athleten auf dem Spielfeld möglichst nicht allzu uncool zu wirken. »Hab beim Aufstehen mein Bücherregal mitgenommen …«

Der Anflug von Coolness, der ihn gerade noch umgeben hatte, schwand mit einem Mal, und er kam sich ziemlich dumm vor.

Zu seiner Überraschung fing Ines nicht laut zu lachen an, was ihm angesichts des eben Gesagten durchaus legitim vorgekommen wäre. Sie grinste nur kurz und sagte: »Dein Zimmer scheint ja eine interessante Aufteilung zu haben.«

Sie stand wieder auf und setzte sich zurück zu ihrer Freundin, mit der sie das Spiel ansah.

Lucas sah ihr nach und ärgerte sich über sich selbst. Von allem, was er vielleicht hätte sagen können, war ihm spontan das Dämlichste eingefallen, was man sich vorstellen konnte. Und selbst dann hätte er noch …

Ein Aufschrei der Menge unterbrach seine Gedanken. Er wandte sich schnell dem Spielfeld zu, auf dem seine Leute gerade dabei waren, einen Touchdown zu machen.

Das Spiel brachte ihn schnell auf andere Gedanken, da eine packende Szene die nächste jagte, sodass er automatisch voll in seiner Rolle als Fan aufging.

Das erste Quarter war fast vorüber, als die Kopfschmerzen anfingen.

So etwas hatte er noch nie erlebt. Es war nicht die Art von Kopfschmerzen, die er bisher kennengelernt hatte: dumpf dröhnend oder hin und wieder auch mal ein kurzes Stechen. Nein, es war, als ob glühende Blitze zwischen seinen Ohren hin und her fegten. Er glaubte fast, den Schmerz regelrecht hören zu können, während dieser sich zischend einen Weg durch sein Gehirn bahnte.

Lucas sank leicht auf seinem Sitz zusammen. Nach kurzer Zeit meinte er, einen Zusammenhang ausmachen zu können: Die Schmerzen schienen immer aus der Richtung zu kommen, wo am lautesten geschrien oder geklatscht wurde. Als Erik – er erkannte ihn nur noch undeutlich durch einen Schleier aus Tränen, die ihm mittlerweile über das Gesicht liefen – dann einen weiteren Touchdown erzielte, und die um ihn herum Sitzenden schreiend aufsprangen, wurde ihm kurz schwarz vor Augen.

Lucas sprang auf und rannte rücksichtslos auf den nächsten Ausgang zu, nicht auf die verständnislosen Blicke der anderen achtend. Schließlich war er aus dem Stadion heraus. Dort hockte Lucas sich japsend an eine Mauer. Er presste beide Hände fest auf die Ohren. Plötzlich verschwanden die Schmerzen so abrupt, wie sie gekommen waren. Er sah sich um und stellte erleichtert fest, dass wohl niemand das seltsame Schauspiel beobachtet hatte.

Lucas erhob sich vom Boden und trottete langsam auf den Ausgang zu. Er entschied sich dazu, den anderen später zu erzählen, was vorgefallen war. Nach kurzem Suchen fand er eine Telefonzelle und rief seine Eltern an. Er erzählte ihnen zwar nichts von den seltsamen Schmerzen, bat aber darum, dass Paul ihn abholte, da ihn das Spiel aufgrund seiner Beule doch zu sehr anstrengte.

»Das war vernünftig von dir«, sagte Paul, als er ihm half, ins Auto einzusteigen.

»Vernünftig? Wieso?«, wollte Lucas wissen.

»Du siehst aus wie ein Teller bunte Knete. Ich finde es gut, dass du es nicht übertrieben hast und wir dich vielleicht noch aus dem Krankenhaus hätten holen müssen.«

»Also Paps, jetzt übertreibst du aber«, sagte Lucas, musste dabei aber daran denken, wie knapp das wohl wirklich gewesen war.

Jetzt fühlte er sich eigentlich schon wieder richtig gut, nur dass Paul das Autoradio so laut aufgedreht hatte, störte ihn ein wenig. Lucas wollte seinen Vater schon darauf ansprechen. Als er aber aus dem Augenwinkel heraus den Regler am Radio sah, stellte er fest, dass dieser sogar niedriger als sonst eingestellt war. Also ließ er die Frage bleiben, wunderte sich aber trotzdem darüber, warum er die Lautstärke als nervtötend empfand.

Zu Hause angekommen stiegen sie beide aus dem Wagen. Lucas bemerkte sofort einen unverkennbaren Geruch, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

»Sag mal, hat Mam etwa Ente zum Essen gemacht?«, wollte er wissen.

»Kann sein«, antwortete sein Vater achselzuckend. Er sog hörbar die Luft durch die Nase ein schüttelte dann aber den Kopf.

Lucas hatte sich nicht getäuscht. Als sie die Tür öffneten, duftete es im ganzen Haus nach Entenbraten. Sie setzten sich direkt an den Tisch, wo bereits das restliche Essen darauf wartete, auf die Teller verteilt zu werden. Schließlich kam auch das Hauptgericht; fein zerteilt auf einer großen Platte.

Lucas nahm sich eine Keule. Als er sie auf seinen Teller legen wollte, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal in seinem Leben zu sehen, wie wunderschön gebratenes Fleisch aussieht. Es changierte in den herrlichsten Brauntönen. Dann stieg ihm der wundervolle, würzig-aromatische Duft in die Nase. Hatte er schon jemals etwas so unglaublich Gutes gerochen?

Er konnte sich nicht beherrschen. Anstatt die Keule wie alle anderen auf seinen Teller zu legen, biss er herzhaft hinein. Was dann geschah, hätte Lucas nie erwartet. Das feine Aroma von herrlich aufeinander abgestimmten Kräutern, Salz und sogar einem Hauch von Karamell explodierte förmlich auf seiner Zunge und ließ ihn wohlig aufstöhnen.

»Wow, Mam«, entfuhr es ihm. »Sowas Köstliches habe ich noch nie gegessen. Ist das ein neues Rezept?«

Im Raum herrschte Stille.

Lucas öffnete die Augen und bemerkte dabei überhaupt erst, dass er sie geschlossen gehabt hatte. Er sah seine Eltern an, die ihn ihrerseits mit einem erstaunten Gesichtsausdruck anstarrten.

Dann fing Betty an zu prusten. Als Lucas bewusst wurde, wie seine Aktion von eben auf sie gewirkt haben musste, da konnte auch er nicht mehr an sich halten. Zusammen lachten sie, bis ihnen die Tränen kamen.

Danach nahm sich jeder etwas Ente und begann zu essen. Während des Essens unterhielten sie sich über das Spiel und das, was für den heutigen Tag noch geplant war.

Lucas bekam von der Unterhaltung jedoch nicht besonders viel mit. Er musste sich immer wieder daran hindern, angesichts der verschiedenen Speisen in ähnliche Entzückensschreie auszubrechen, wie es ihm bei dem ersten Stück Ente passiert war. Als sie alle genug gegessen hatten, sagte er seinen Eltern, dass er sich doch einen Moment aufs Ohr legen würde, denn er fühlte sich ziemlich kaputt.

Oben in seinem Zimmer angekommen öffnete er das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Außerdem mochte er es, ein wenig zu dösen, während draußen im Garten die Vögel zwitscherten.

Er legte sich auf sein Bett und schloss die Augen – nur um sie kurze Zeit später wieder zu öffnen und das Fenster zu schließen. Die Vögel gaben sich heute wirklich alle Mühe. Man hatte glatt das Gefühl, sie hätten sich allesamt dazu verabredet, auf dem Apfelbaum, der neben seinem Fenster stand, ein Konzert zu geben. Oder lag es an seinen Ohren? Immerhin hatte ihm ja auch das Geschrei im Stadion sehr zu schaffen gemacht.

Lucas zuckte hilflos mit den Schultern, bevor er sich wieder hinlegte. Aber zum Schlafen war es viel zu hell im Zimmer. Das hatte ihn doch sonst nie gestört. Hatte er es neuerdings nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen? Mit einem weiteren Schulterzucken ließ er die Jalousie herunter, legte sich in seinem nun stockfinsteren Zimmer zufrieden aufs Bett und versank schnell in tiefen Schlaf.


Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er durch ein heftiges Hämmern an seiner Tür geweckt wurde. Herein kam Betty, die fast sofort gegen etwas stieß und mit einem leisen Fluch stehen blieb.

»Junge«, rief sie. »Hier ist es ja total dunkel. Wie hast du denn ohne Licht in dein Bett gefunden?«

»Weiß nich«, murmelte Lucas. »Hab einfach einen Fuß vor den anderen gesetzt. Warum weckst du mich den jetzt überhaupt schon? Und warum hast du fast die Tür eingeschlagen?«

»Ich hab doch bloß ganz leise geklopft. Und wieso schon? Du hast immerhin drei Stunden geschlafen. Es ist jetzt Kaffeezeit, und Onkel Bert kommt gleich.«

Das weckte Lucas komplett. Onkel Bert, das bedeutete, dass auch Tante Susi und – viel schlimmer noch – Kevin bald da sein würden. Bert war nicht wirklich sein Onkel. Er war ein alter Schulkamerad seines Vaters, der aber in all seiner Liebenswürdigkeit ein derart einnehmendes Wesen hatte, dass man ihm einfach nichts abschlagen konnte. Aus diesem Grund war es auch zur Gewohnheit geworden, dass er zusammen mit seiner Frau Susann und seinem inzwischen 15-jährigen Sohn Kevin zu jeder Familienfeier kam, und zwar egal ob nun wirklich gefeiert wurde oder nicht. Sie waren alles in allem ziemlich anstrengend. Aber da sie auch immer dann zur Stelle waren, wenn Not am Mann war, wurde meist darüber hinweg gesehen, dass sie sich selbst einzuladen pflegten.

Nur heute hätte Lucas wirklich auf sie verzichten können. Er konnte sich schon ungefähr vorstellen, was ihm Kevin, der sich genauso gern reden hörte wie Thomas Gottschalk, heute für Weisheiten zum Besten geben würde. Kevin hatte nämlich ein zu seiner gewinnenden Art passendes ansprechendes Äußeres, was ihn zu einem Mädchenschwarm machte. Er wurde auch nicht müde, seine manchmal etwas minderbemittelten Mitmenschen an seinem Know-how teilhaben zu lassen.

Und da klingelte es auch schon an der Tür. Lucas seufzte und machte sich zusammen mit seiner Mutter auf den Weg nach unten, um seine Gäste zu begrüßen. Sie kamen gerade unten an, als Bert wie ein riesiger Tanzbär durch den Eingang gewankt kam und lauthals nach seinem Geburtstagskind rief.

Lucas sagte: »Hallo Onkel Bert.«

Daraufhin wurde er in seiner Bärenumarmung gefangen. Als das beendet war, hörte Lucas schon die spitze Stimme von Susann, die ihn »ihren Süßen« nannte. Bei ihrem Ausruf zuckte Lucas unwillkürlich zusammen, denn die Worte trafen ihn wie Messerstiche – die Kopfschmerzen hatten wieder angefangen.

Susann stockte kurz – wahrscheinlich hatte sie sein Zucken mitbekommen – kam dann jedoch schnell zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, wobei sie die Beule bemerkte. Nach einer kurzen Aufmunterung ließ sie ihn mit Kevin allein und murmelte dabei verschwörerisch grinsend etwas von »Jungsangelegenheiten«.

»Hallo Alter, Leben noch frisch?«, begrüßte ihn Kevin.

»Kann nicht besser klagen«, antwortete Lucas.

»Du siehst echt übel aus mit dem Ding da.«

»Ja, ich weiß, das habe ich heute schon von mehreren Leuten gehört.«

»Waren auch Mädels dabei? Da hättest du dich doch mal ordentlich trösten lassen können.«

»Ja klar, aber das mit dem Trösten hat leider nicht geklappt, weil …«

»Ich glaube, du machst da was falsch. Du musst einfach …«

Und schon war Kevin voll in seinem Element. Er erklärte Lucas in allen Einzelheiten, wie man eine solche Situation ausnutzen sollte. Darüber verging die Zeit, bis der Kuchen auf dem Tisch stand. Sie setzten sich alle an den Terrassentisch. Nun wurden erneut die Kerzen auf Lucas’ Geburtstagstorte entzündet, damit er sie ausblasen konnte.

Er schaffte es auch mit einem Zug, aber als danach von allen Anwesenden auf Berts Drängen hin ein Geburtstagsständchen gesungen wurde, passierte es: Durch das Dröhnen von Berts Bass zur Linken und Susanns Falsett von rechts kamen die Kopfschmerzen mit einer solchen Wucht wieder, dass Lucas erneut schwarz vor Augen wurde. Aber diesmal verlor er dabei das Gleichgewicht und kippte nach hinten.

Das Nächste, was er sah, waren die ängstlichen Gesichter der vier Erwachsenen, die sich über ihn beugten. Sie hatten ihn inzwischen auf die Couch im Wohnzimmer gebracht und ihm einen kalten Lappen auf die Stirn gelegt. Als er sich bewegte, glätteten sich ihre Sorgenfalten.

»Sag mal Luky, was machst du denn da für Sachen?«, fragte ihn Betty besorgt.

»Wieso, was war denn?«, fragte Lucas noch etwas desorientiert zurück.

»Du bist umgekippt, als wir dein Geburtstagsständchen gesungen haben«, sagte Paul, der neben Betty an der Couch hockte. »Du hast uns einen mächtigen Schrecken eingejagt.«

»Hmmja, komisch. Weiß auch nicht so genau, wieso, aber plötzlich ist, mir schwindlig geworden«, murmelte Lucas nachdenklich.

»Aber nu is ja wieder alles klar oder siehst du mich doppelt?«, dröhnte Onkel Bert von hinten.

Lucas musste unwillkürlich über die unerschütterliche Leichtigkeit des Daseins, wie es in Berts Welt nun einmal der Fall war, grinsen – auch wenn er es bevorzugt hätte, dass dieser nicht so sehr brüllen würde. Oder waren es wieder nur seine eigenen Ohren, die es so wahrnahmen?

Die Umstehenden nahmen sein Grinsen erleichtert als Zeichen seiner Besserung zur Kenntnis. Also gingen Lucas und Kevin erst einmal hoch in sein Zimmer, um sich die Zeit bis zum Abendessen zu vertreiben. Zuerst spielten sie ein wenig mit seiner Spielekonsole. Hierbei konnte Kevin es mal wieder nicht lassen, seine vorhandene – oder eingebildete – Kenntnis der verschiedenen Spiele in Form von mehr oder weniger hilfreichen Zwischenrufen während Lucas’ Spielzügen kundzutun.

Schließlich verlor jedoch Kevin die Lust am Spielen und fragte Lucas: »Was hast’n eigentlich eingefahren?«

»Geschenke ... zum Geburtstag«, fügte er aufgrund des fragenden Ausdrucks auf Lucas’ Gesicht hinzu.

»Ach so«, sagte dieser. »Hier, das Teleskop«, ergänzte er – wohl wissend, dass dies den guten Kevin kaum von den Füßen reißen würde. Der stand eher auf die Art von Geschenken, die einen Knopf zum Einschalten hatten.

»Oh, ah ja«, kam es auch prompt von Kevin zurück. »Nettes Ding. Is für deine Astrologie, oder?«

»-nomie«, verbesserte ihn Lucas automatisch, obwohl er es hätte wissen sollen, dass sich daraus vermutlich eine völlig sinnlose Diskussion ergeben würde. Er war es nur inzwischen so leid, von Leuten, die gar nicht wussten, worum es bei seinem Hobby ging, in die Schublade von Horoskopseiten gesteckt zu werden. Und so hatte sein Mund reagiert, bevor sein Verstand ihn hätte abschalten können.

»Hä?«, war dann auch logischerweise Kevins Antwort darauf.

Lucas zögerte kurz, während er abwog, ob es die Sache überhaupt wert wäre, Kevin den Unterschied zwischen Astrologie und Astronomie zu erklären. Aber dann entschied er sich dazu, es doch zu tun, da Kevin es sicherlich nicht akzeptieren würde, wenn er einer Konfrontation aus dem Weg ging. Also stellte er kurz dar, worum es sich bei den beiden Themengebieten handelte.

Kevin hörte sich Lucas’ Worte mit einem jovialen Gesichtsausdruck an, den auch Eltern manchmal aufsetzen, wenn sie ihren Dreijährigen beim mühsamen Erzählen eines Witzes zuhören.

»Na ja, wie auch immer«, gab er schließlich zur Antwort und fingerte am Teleskop herum. »Mit dem Ding kann man also ganz schön weit gucken. Is das nur für den Himmel oder kann man das auch für richtige Beobachtungen benutzen? Ich hab da vorhin beim Kommen so ne niedliche kleine Schnalle gesehen, die sich ein paar Häuser weiter auf dem Balkon gesonnt hat. Vielleicht möchte die uns ja mal was zeigen.« Er grinste und suchte mit dem Teleskop die Umgebung ab.

Eine Welle von Abscheu überkam Lucas, als er dies hörte. Genau genommen war es zwar ungefähr das, was auch Paul scherzhaft heute Morgen angedeutet hatte. Nur aus Kevins Mund klang die Sache so widerlich, dass es Lucas geradezu schüttelte.

In diesem Moment rief Kevin jedoch bereits: »BINGO, die kleine Lady zeigt sich für uns von ihrer besten Seite. Komm und sieh dir das an!«

Lucas sprang von dem Stuhl, auf dem er bis eben noch gesessen hatte. Er war mit einem Satz bei Kevin – allerdings nicht um seinen Fang zu begutachten, wie dieser dachte, sondern um dieser ekligen Vorstellung ein Ende zu machen.

Aber es war schon zu spät: Die abendliche Sonne hatte sich auf der Linse des Teleskops gespiegelt und so das Mädchen, das eben noch auf dem Balkon gelegen hatte, darauf aufmerksam gemacht, was ein paar Häuser weiter vor sich ging. Wüst schimpfend war sie denn auch aufgesprungen und in ihrem Zimmer verschwunden. Lucas hatte sie dabei – auch ohne Teleskop – erkennen können.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube: Es war Ines!

Eine Wut, wie er sie noch nie erlebt hatte, brandete in ihm auf und brach sich ihre Bahn.

Er schrie: »Lass das sein du Schwein!« Dabei gab er Kevin einen heftigen Stoß.

Dieser Stoß hatte allerdings eine Wirkung, die sich Lucas in seiner Wut zwar ausgemalt, aber nicht wirklich beabsichtigt hatte.

Kevin flog quer durchs Zimmer. Er landete mit einem lauten Krachen an der Tür, die durch die Wucht des Aufpralls sofort aufsprang. Er rappelte sich schreiend auf und stolperte die Treppe hinunter zu seinen Eltern. Noch ehe es Lucas überhaupt geschafft hatte, seine Verwunderung über das eben Geschehene zu überwinden und die Treppe ebenfalls hinab zu steigen, hatte Kevin – immer noch schreiend – seine Eltern dazu bewegt, sich anzuziehen und zur Tür hinaus zu gehen.

Als er gerade unten ankam, hörte er nur noch, wie Onkel Bert, in der Haustür stehend, mit seinem Vater sprach.

In einem Tonfall, der zeigte, dass er mit dieser Situation überhaupt nichts anzufangen wusste, sagte er: »Also ich versteh ja jede Menge Spaß, aber ich glaub, euer Sohn hat doch ein Ding weg bekommen, als er gegen das Brett geknallt ist. Ihr solltet den mal untersuchen lassen.«

Die Tür fiel ins Schloss. Seine Eltern drehten sich mit einem völlig verdatterten Gesichtsausdruck zu ihm um.

Lucas wollte es ihnen erklären: Kevin, das Teleskop, das Mädchen – Ines (O mein Gott, Ines!). Aber alles, was er hervorbrachte, war ein undeutliches Gurgeln. Dann war seine Kehle wie zugeschnürt.

Paul brachte ein gequältes Lächeln zustande und sagte: »War wohl doch alles ein bisschen viel. Willst du noch was essen?«

Žanrid ja sildid

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9783982064529
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Selle raamatuga loetakse