12 fette Frauen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
12 fette Frauen
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Cathrin Sumfleth

12 fette Frauen

Eine Krimödie

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Ich glaube nicht an Dinge, die für immer halten

Die Kartoffeln der letzten Nacht

Leute wie ich können auch anders

Zwölf fette Frauen

Erste Ermittlungen

Fuckface

Eindeutig ein echter Mensch und keine Alien Invasion

"So eine Familie ist schon etwas Gutes"

Das Problem bin eigentlich ich

"Wir hätten einige Fragen an Sie ..."

Irgendwie total auf einer Wellenlänge

Veränderung ist die einzige Konstante

Übergewicht schweißt zusammen

Yono!

Ich verschwende mein Potenzial---

... eine von diesen komplizierten Frauen

Villa Clausen

Liebesbeziehung

Dans op de Deel

Knollnase

Schmetterlingsjunge

Grenzüberschreitungen

In Zeiten der Krise ist es zuhause immer am schönsten

Mitbewohnerin

Ich wollte keine Problemerweiterung

Dächer

Der schlimmste und schönste Tag meines Lebens

Familienkonstellationen

Die Invasion

So ein Kind macht nur Probleme

One-Way Ticket nach Hinterpommern

Impressum neobooks

Widmung

Für meine Brüder

Ich glaube nicht an Dinge, die für immer halten

Manchmal frage ich mich, warum man Kaffee nicht direkt kalt trinken kann. Es ist doch immer wieder aufs Neue sinnlos: Die Maschine lässt sich jeden Morgen gefühlt etwas mehr Zeit, ich schmachte und mein rechtes Augenlid zuckt regelmäßig aber unrhythmisch, während ich auf den Kaffee warte. Und auch wenn ich gerne zum Kaffee rauche, rauche ich schon, während der Kaffee kocht. Nur um etwas zu tun, während ich warte. Und dann, wenn die Zigarette zu Ende und der Kaffee fertig ist, ertränke ich ihn zur Hälfte in fettarmer Milch aus dem Kühlschrank und ruiniere sein natürliches Aroma mit drei Stückchen Würfelzucker. Ein Trauerspiel! Aber der Gedanke, dass man selbst für Eiskaffee den Kaffee abkühlen lassen muss, beruhigt mich. Eiswürfel reichen in so einem Fall nicht aus. Reichen sie eigentlich nie. Sie ergänzen eigentlich nur ein bereits kaltes Getränk. Im Stillen nicke ich mir selbst zu und setze mich raus auf den Balkon. Mit meinem halb kalten Kaffee, wobei es eigentlich auch nicht schlimm ist, wenn er komplett kalt wird.

Viele Menschen haben ein Problem mit kaltem Kaffee. Viele Menschen haben viele Probleme. Ich nicht: Als die Tasse halb leer ist, geht es meinem Auge besser und die zweite Zigarette glüht. Zigarette zum Kaffee, nackter Mann unter meiner Dusche, Sonnenschein, wohlgenährte singende Spatzen in den Bäumen, überhaupt Bäume vor dem Balkon in einer Großstadt wie Hamburg – perfekter könnte es nicht sein!

Also, mal abgesehen von meinem Outfit. Meine Mutter ist ein Fan von Nachhaltigkeit und damit meine ich nicht das Ablaufdatum von Lebensmitteln, das ist eher nicht ihr Metier. Sie kauft gern Dinge, die für immer halten. Ich persönlich glaube nicht an Dinge, die für immer halten. So wie sogar Dosenobst abläuft, das ich mir nur kaufe um selbst zu glauben, ich sei irgendwo doch ernährungsbewusst, wird alles irgendwann ungenießbar – sogar Basics. Auch wenn ich kein Fan von Basics bin. Ich kaufe permanent unkombinierbare Dinge. Aber gegen die alten Birkenstocklatschen, die meine Mutter mir vor zehn Jahren gekauft hat, kommt selbst mein Satin-negligee zur lila Jogginghose nicht an: sie sind die Steigerung von furchtbar. Aber wie es bei allem so ist, soll man ja Raum nach oben lassen. Ich beschließe, dass mein Outfit ein klassisches Beispiel dafür ist. Kleidung ist ein Gestaltungselement und das Packaging ist eben noch nicht perfekt ausgefeilt. Wobei man am Inhalt auch arbeiten könnte. Im Kopf höre ich noch meine gertenschlanke und vielfachgebärende Nachbarin sagen: „Und die Lotti, die ist jetzt schon einen Meter zehn groß!”, und ich sage: „Mensch, Mandy, toll, ja klasse!” und denke: „Scheiße, mein Hüftumfang ist ein kleiner Mensch!”

Im Badezimmer höre ich noch immer das Wasser laufen. Ich finde es prinzipiell eigentlich nicht so gut, wenn Männer länger duschen als ich selbst. Aber was soll’s, die Sache ist ja noch recht frisch und es ist doch besser, er duscht lange als gar nicht. Und ich habe gehört, dass bei manchen Paaren dieser Fall früh genug eintritt. Ich rieche instinktiv an meiner Achsel und beschließe, es auf das Satin zu schieben. Wieso finden Menschen Satin eigentlich sexy? Klar, es ist glatt und glänzend, aber das ist irgendwie auch schon alles. Wobei das Argument „glatt” mitunter eigentlich auch gegen Satin spricht. Wem ist es noch nicht passiert, dass die eigene Satinbettdecke nachts erst vom Körper und dann vom Bett gerutscht ist? Und wenn man Satinbettwäsche im Winter benutzt, dann wärmt sie nicht. Benutzt man sie im Sommer, tut sie nichts anderes, als den eigenen Schweiß darunter zu speichern. Beides unsexy. Genauso ist es mit diesem Negligee: das Einzige, was daran schön ist, ist der Ausschnitt. Und dass ich es in meiner Größe gefunden habe. Und dass es ein Sonderangebot war. Aber das ist das Problem, wenn man nicht für Nachhaltigkeit ist. Man kauft sich nicht eine qualitativ hochwertige Sache für viel Geld, sondern 20 Sachen, die im Prinzip billiger Schrott sind, nicht lange halten und meistens auch noch Handwäsche bedeuten. Das heißt im Klartext, dass meine Maschine sie nach dem dritten Mal auf 30 Grad Waschen ohnehin zerstört. Aber da ich ja nicht für Nachhaltigkeit bin, kaufe ich mir dann relativ unbeeindruckt eine neue Billigklamotte und trage sie circa dreimal – so habe ich genügend Abwechslung und muss mich wenigstens modisch nicht langweilen. Ich bin nämlich ziemlich schnell gelangweilt. Leider äußert sich das nie in Form von körperlicher Aktion. Ich bin mehr der Typ gelangweilter Sitzer.

Bei diesem Gedanken zünde ich mir eine weitere Zigarette an. Aber dann fällt mir auf, dass ich dringend mehr Kaffee brauche. Und Deo, für den Fall, dass ich noch mal Sex haben möchte. Und eventuell ein anderes Outfit. Zumindest sollte ich diese Latschen loswerden – sie unter dem Bett verstecken oder irgendwo vergraben. Ich möchte nämlich genaugenommen nicht mal, dass der Müllmann mich mit ihnen in Verbindung bringt. Und was sollen die Nachbarn sagen? Denn hier ist es anders als in der Provinz. Hier habe ich Nachbarn.

Während ich vor meinem geistigen Auge meiner Mutter wegen meiner Kritik an den Latschen und auch meines hohen Zigarettenkonsums mahnend den Kopf schütteln sehe, denke ich gleichzeitig an den nackten, gut gebauten Exoten unter meiner Dusche und grinse in mich hinein. Auf einmal klingelt mein Handy. Geistesabwesend flöte ich ein etwas zu sehr erotisch klingendes „Hallooo” in den Hörer.

Auf einmal, Stille. Dann eine weibliche Stimme, die ich nicht kenne. Die aufgeregt in einer Sprache spricht, die ich nicht kenne. Doch! Ich kenne sie! Das ist … das ist seine Sprache. Arabisch. Ich blicke auf mein Handy, das unangerührt auf dem Tisch liegt. Und realisiere, dass ich sein Handy am Ohr habe. Schnell lege ich auf.

Eine Frau. Seine Frau! Eine Stimme in meinem Kopf sagt: „Du bist jetzt ganz rational. Du bist eine intelligente Frau Mitte, na ja, Ende zwanzig, deine Synapsen schalten gut und schnell. In deinem Leben hat bis jetzt immer alles irgendwie geklappt, und es ist wirklich, also wirklich, sehr, also sehr, sehr wahrscheinlich, dass dieser marokkanische Mann aus einer großen Familie stammt. Und Schwestern hat. Die haben immer Schwestern. Mindestens drei. Oder es ist die Frau seines Bruders. Oder seine Nichte. Ganz bestimmt. Ihr habt zwar nie darüber gesprochen. Nicht ein Wort, aber wieso auch, er spricht kaum Deutsch, dein Französisch ist eher mittelmäßig und dein Arabisch nicht vorhanden. Aber wären Dinge erwähnenswert gewesen, dann hätte er sie erwähnt. Und man lernt sich ohnehin besser langsam kennen, man muss ja nichts überstürzen. Wenn er fertig geduscht hat, dann wirst du mit ihm reden. Rational. Ganz rational.”

 

Und während die Stimme weiter spricht, merke ich, dass ich nicht rational, sondern eher emotional anfange zu schwitzen. Ich schiebe es aufs Satin. Satin ist wirklich nicht sexy. Ich sollte mich umziehen. Fest entschlossen will ich aufstehen und greife stattdessen intuitiv zu meinem Handy. Ich rufe sie jetzt an, diese Nummer von dieser Verwandten. Ich erinnere mich an meine studentische Zeit im Callcenter, unterdrücke die Rufnummernübermittlung und verstelle meine Stimme. Tiefer, viel tiefer. Probesatz. Geglückt. Zug an einer weiteren Zigarette. Husten. Gut! Husten ist gut für eine tiefe Stimme. Wählen. Die Frau meldet sich. Mit seinem Nachnamen. Alles klar, geklärt, seine Schwester. Oder? Ich mache den Test.

„Schröööder hier, Kundenberaterin der deutschen Telekom, schönen guten Morgen Frau Akesbi!” - “Kkönne Zie bite aufhören immer mich anzurufe?” - “Frau Akesbi, es geht um Ihre Telefonverbindung, gern hätte ich dazu Ihren Mann gesprochen, Herrn Saïd Akesbi, ist der zufällig erreichbar?” - „Sssaïd nicht da, ist Montage. Lassen Zie mich in Ruhe jetzt, muss kummern um Kinder. Tschus.”

Schlecht gelaunt legt Frau Akesbi auf. Vielleicht weil Kundenberater der Telekom mitunter extrem lästig sind? Vielleicht aber auch, weil vor wenigen Minuten eine andere Frau an das Handy ihres Mannes gegangen war … Stolz auf mein Kundenberatergeschick hatten meine Synapsen doch eher langsam geschaltet: Frau Akesbi ist tatsächlich Frau Saïd Akesbi. Zigarette. Ziehen. Mehrfach. Atmen. Emotional schwitzen.

Die Dusche ist aus. Auf einmal – ein halbnackter Mann in meinem pinken Frotteehandtuch. Also, in meinem Haarhandtuch. Das ihm locker um die Hüften passt. Auf meinem Balkon. „Sschöne Frau”, sagt er auf miserabel ausgesprochenem, man könnte auch sagen, ausgesprochen miserabel ausgesprochenem Deutsch. Dann wechselt er zu Französisch: „Sollen wir nicht rübergehen ins Schlafzimmer, ein bisschen Liebe machen?”

Und ich höre mich sagen „Ja, mon amour.” …

Er hebt mich rum und wirbelt mich in die Küche, reißt mir fast zeitgleich die Sachen vom Leib und zieht sich das Handtuch von den Lenden. Ich denke, Abschiedssex wäre sicher nett, bevor ich ihn endgültig rauswerfe. Aber mein Stolz kommt mir dabei gerade ganz ungemein in die Quere. Ich, die Geliebte. Sie, die Frau. Die Kinder! Ich transpiriere, selbst ohne Satin. Und Tränen steigen mir in die Augen. Wir wissen ja alle, wie das ist: Vor der Trauer kommt die Wut – und nach dem Hochmut der Fall. Und so passiert es letztendlich, dass ich Saïds sexuelles Vorgehen ausbremse. Aber leider mit der Sensibilität einer Furie: Der auf einmal schmächtig wirkende Mann fliegt in einem recht rasanten Tempo rückwärts gegen meine Kaffeemaschine. Die Kaffeemaschine schwankt. Ich schreie ihn an: „Du bist verheiratet!”

Total überrumpelt schaut er mich aus seinen schwarzen Augen an, deren Ausdruck sich ziemlich schnell von erregt zu verängstigt wandelt und dann von verängstigt zu wütend. „Woher weißt du das?” Er läuft auf mich zu und packt mich bei den Schultern. „Von deiner verdammten Frau.” - „Verdamme nicht meine Frau!” - „Ich verdamme dich!” Ich stoße ihn weg, diesmal seitwärts gegen das Regal, auf dem mein Aquarium steht. Das war ein Fehler. Das Aquarium fällt – und zwar ziemlich tief. Es landet zuerst seitlich an Saïd und dann auf dem Boden. Auf den Holzdielen, um genau zu sein. Scherben, überall. Und Algen. Und mein Goldfisch Waldi.

„Du hättest es mir sagen müssen!”, schreie ich, vollkommen unbeeindruckt von den Scherben. Und Algen. Und Waldi. „Aber du fandest es doch schön?” - er schaut irritiert und verunsichert, so mitten im Chaos. „Schön?! Schön fand ich es, als ich dachte, du würdest mich lieben.” - „Aber ich liebe dich, Amour, dich und deine Kurven.” Hundeblick. Ich werde immer wütender. „Vielleicht kann man als schlechter Mann zwei Frauen lieben! Aber nicht so! Nicht mit mir!” - Jetzt schreit er auch: „Gut, dann gibt es eben keinen Sex mehr für dich.” - Und ich schreie zurück: „Es ging dir also nur um den scheiß Sex, ja? Jetzt sag ich dir was. Vorurteile beiseite, aber dafür, dass du Afrikaner bist, ist dein Penis ziemlich klein! Und jetzt raus hier!” Ich schubse ihn in Richtung Tür. Er tritt nicht in die Scherben, dafür auf Waldi. Waldi ist sofort tot. Saïd schafft es gerade noch, sich mein pinkes Frotteehandtuch zu greifen, bevor ich ihn komplett vor die Tür stoße habe. „Melde dich nie, nie mehr bei mir.”

Er rennt im Handtuch die Treppe hinunter.

Ich ziehe mein Negligee wieder an und werfe all seine Sachen aus dem Fenster. Und ich wohne im dritten Stock. Sie fliegen, fliegen herab auf den Mann im Frotteehandtuch, der zugegeben ziemlich niedergeschmettert vor meinem Haus auf der Straße steht.

Ich kehre die Scherben zusammen. „Zum Glück war es das Aquarium und nicht die Kaffeemaschine”, denke ich mir. Ich entsorge die Algen. Und Waldi. Zumindest lege ich ihn vorerst in die Spüle, bis ich weiß, wie ich mit einem toten Fisch verfahre. Er ist dick, vielleicht zu dick fürs Klo. Und in den Müll? Irgendwie auch entwürdigend und unpassend für einen Fisch wie ihn. Dazu muss ich ins Detail gehen:

Vor einigen Jahren hat meine kleine Schwester zu ihrem Geburtstag eben dieses Aquarium, das jetzt nicht mehr ist, bekommen. Darin schwammen zwei Welse und acht Goldfische. Den dicksten tauften wir Waldi. Er machte einen friedlichen Eindruck. Nach und nach verstarben alle anderen Fische um ihn herum. Aber da es sich um Goldfische handelte, zu denen weder meine Schwester noch ich je einen persönlichen Bezug herstellen konnten, machten wir uns keine Gedanken darum. Eines Tages aber beobachteten wir etwas Seltsames: Es handelte sich nicht um ein natürliches Sterben der Fische – es war Mord. Genau genommen eigentlich sogar Kannibalismus. Waldi hat im Laufe der Jahre all seine Freunde getötet und danach (teilweise) gefressen. Deswegen war er der einzige Goldfisch im Aquarium. Die Welse mochte er anscheinend geschmacklich nicht besonders, deswegen wurden sie geduldet. Aber seit vor ein paar Wochen der letzte Wels an Altersschwäche von uns gegangen war, war Waldi allein. So wie ich jetzt. Dick und allein. Und ohne jemanden, der für ihn putzt. Er tut mir schon ein wenig leid, so tot da in meiner Spüle. Zertrampelt von einem treulosen Marokkaner. Genau wie mein Ego.

„Wieso hat er ihn nicht gleich gegessen, meinen kannibalistischen Fisch? Das hätte wenigstens noch ein bisschen Stil gehabt”, denke ich. Und da kommt mir auch schon spontan eine wunderbare Idee: die Katzenfrau!

Komplett durcheinander, sowohl optisch als auch mental, laufe ich mit dem toten Waldi in den Händen ins Treppenhaus. Im Negligee und mit den hässlichen Latschen an den Füßen. Und während ich den obersten Stock erklimme, fällt mir auf, dass ich noch nie so weit oben war. Dass ich generell noch nie bei der Katzenfrau war. Ich kenne sie seit Jahren, manchmal klingelt sie an meiner Tür, mit einer Katze auf der Schulter und einem penetranten Geruch, der genauso an ihr haftet, und lässt sich von mir einen Kaffee servieren. Dann erzählt sie von übernatürlichen Dingen, die irgendwie spirituell und seltsam klingen, von verrückten Vorahnungen und vor allem von Katzen. Es ist ja nicht so, dass ich keine Katzen mag aber die Dimensionen ihrer Erzählungen sind einfach so unerträglich, dass ich die Treppen zu ihrer Wohnung tatsächlich noch nie zuvor hinaufgestiegen bin. Etwas läuft mir die Wangen hinunter und ich ärgere mich so lange über meine beschissene Kondition, bis ich merke, dass es Tränen sind. Ich weiß nicht so richtig, was mit mir los ist. Ich merke nur, dass ich mit der rechten Hand gegen die Tür der Katzenfrau hämmere, als hätte es nie Türklingeln gegeben.

Barfuß und komplett zerzaust öffnet sie mir die Tür. Um ihre nackten Füße scharwenzeln drei Katzen, im Hintergrund läuft keltische Musik und es riecht nach einer Mischung aus Räucherstäbchen, indischem Essen und Katzenpisse.

„Paula!“, sagt sie und blickt dabei auf den toten Goldfisch in meiner Hand. „Ich habe dich schon erwartet. Komm rein.“ Ich betrete den bunten, mit Batiktüchern tapezierten Flur und bin doppelt irritiert: Nie hätte ich bei dieser Frau eine Art Wohnstil vermutet – und warum erwartet sie mich? Das frage ich sie auch direkt, als wir uns auf runden, orientalischen Sitzkissen in der Küche niederlassen. Die Katzenfrau streicht der schwarzen Katze, die sonst auf ihrer Schulter sitzt, liebevoll über den Rücken und sagt: „Karl hat es mir ins Ohr geflüstert.“ Karl – so heißt ihr schwarzer Kater. Ich habe das Gefühl, dass er mich mit einem bestätigenden Blick ansieht, während sie das sagt, aber ich bin mir nicht sicher. Ich frage, ob sie Alkohol im Haus hat – Waldi immer noch in meiner Hand. Sie steht tatsächlich auf und kommt mit einer Flasche Ouzo und einem Glas zurück. „Trink, so viel du willst“, sagt sie. „Du brauchst es in so einer schweren Zeit.“ Ich trinke zwei Gläser auf ex. Dann sammle ich mich kurz und sage „Ulla, ich wollte dir eigentlich nur den Fisch bringen, für deine Katzen. Ich gehe auch gleich wieder.“

Mittlerweile schnuppert Karl sehr interessiert an Waldi und ich befürchte, er hat gerade eine mächtige kosmische Eingebung: Hunger. Ulla schüttelt den Kopf. „Liebes“, sagt sie, „Liebes, meine Katzen werden deinen Fisch nicht anrühren. So kann seine Seele nicht wandern, verstehst du. Er braucht eine Beisetzung.“

Der Alkohol ist mittlerweile in meinem Hirn angekommen und ich sage, was ich denke: „Ulla – er ist ein Goldfisch.“ Sie versteht den sarkastischen Unterton in meiner Stimme nicht und entgegnet nur: „Oh ja, und was für einer! Er wird dir sicher fehlen. Genau wie der Mann.“

„Der Mann?!“ Ich spucke einen Schluck Ouzo aus. „Waren wir … waren wir so laut?“

„Nein“, lächelt sie. „Ich wusste, dass es nicht halten würde. Er war nicht aufrichtig.“

Gut, denke ich, wir waren schon laut. „Aber er wird kommen, der richtige Mann“, spricht sie weiter. Sie schwebt kurz in ihrem grünen Gewand zur Küchenablage und macht sich einen Tee. „Weißt du, ich hatte neulich eine Vision.“

Ich kippe noch ein paar Schlucke Ouzo in mich hinein und frage mich, warum mein Leben so verkorkst ist. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich hatte doch immer gute Noten in der Schule. Ich habe mir Mühe gegeben. Auch mit dem Studium. Mit den Männern. Und nun sitze ich bei einer Verrückten, weil ich will, dass ihre Katzen meinen Goldfisch fressen. Weil mein Goldfisch sterben musste. Weil mein Freund mich betrogen hat und zwar mit seiner eigenen Ehefrau. Anscheinend war er nicht mal mein Freund. Es ist ja auch immer alles Definitionssache heutzutage. Und ich hasse Definitionssachen. Definitionen von Gefühlen sind doch total unpassend. Man versucht etwas in ein Wort zu übersetzen, wofür es eigentlich gar kein Wort gibt. Und dann ist man in einer Beziehung, verlobt, verheiratet, geschieden und unglücklich. Oder man ist total glücklich und denkt, es wäre nicht nötig den Gefühlen einen Namen zu geben – und findet heraus, dass man an eine eigentlich total stupide Sexaffäre sein Herz verloren hat.

Ich spüre, wie Ulla mich in ihre esoterischen Arme nimmt und sagt: „Lass es einfach raus.“ Und ich schluchze wie ein Teenager nach der Trennung einer Boygroup. Nun wird nichts mehr sein wie es mal war.

Nach einer Weile habe ich mich in etwa wieder unter Kontrolle und nippe an einer Tasse von Ullas Tee. Ich bin mir nicht sicher, was genau ich überhaupt trinke, aber ziemlich sicher, dass es kein gewöhnlicher Tee ist. Ich bin allerdings zu geschafft um nachzufragen. Waldi liegt mittlerweile auf einer silbernen Platte auf der Küchenablage, als würde er zum Dinner serviert werden, und um ihn herum brennen mindestens zehn Kerzen. Ulla hat klassische Musik dazu aufgelegt, ich tippe auf einen russischen Komponisten. Aber auch das ist mir eigentlich relativ egal. Sie hat ihre Hände gefaltet und murmelt etwas vor sich hin. Es erinnert ein wenig an Beten, wirkt aber eher so, als beschwöre sie sämtliche Geister herauf. Die Katzen sitzen dabei wie in Trance um sie herum. „So,“ sagt sie abrupt und dreht sich zu mir um, „es ist soweit, die Beisetzung kann jetzt beginnen.“

 

Ich trage Waldi auf dem Silbertablett, Ulla die schwarze Katze auf der Schulter und in jeder Hand eine Kerze. In dieser merkwürdigen Konstellation (toter Fisch auf Platte, dicke verlassene Frau im Negligee, durchgeknallte Hellseherin, übernatürliche Katze mit Appetit auf Fisch) schreiten wir erst durchs Treppenhaus und dann in den Vorgarten. Überraschenderweise treffen wir dabei absolut niemanden. Als könne Ulla meine Gedanken hören, sagt sie zu mir: „Ich habe uns einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht.“ Dann kniet sie sich hin, platziert eine Kerze links, eine rechts und beginnt genau in der Mitte ein Loch zu graben. Mit bloßen Händen. Ich stehe einfach nur da. Ungläubig. Verwirrt. Und irgendwie auch in tiefer Trauer. Ich blicke auf Waldi hinunter und muss weinen. Wir hatten schon schöne Momente. Er war ein guter Fisch. Nicht zu anderen Fischen, aber zu mir. Was mache ich nur mit all meinem auf Vorrat gekauften Fischfutter? Und mit dem ganzen Couscous? Und all diesen merkwürdigen arabischen Gewürzen? Warum nur habe ich so unglaublich viel Geld in Unterwäsche investiert, die ich nun vermutlich nie wieder tragen werde, weil sie mir selbst nicht mal gefällt? Wie geblendet ich war. Wie … verstrahlt. Ich knie mich nieder und berühre Waldis toten Fischkörper mit der Fingerspitze. Seine leeren Augen glubschen mich an, als wolle er mir sagen: „Selber schuld, ich hab’s kommen sehen. All die Jahre, die ich allein und glücklich in deinem Aquarium geschwommen bin, hast du alle möglichen Männer ausprobiert: groß, klein, dick, dünn, schlau, dumm, reich, arm, deutsch, marokkanisch. Und immer wieder waren wir am Ende zu zweit. Nur mit dem Unterschied, dass ich zufrieden war. Und du, du warst unglücklich. Jedes verdammte Mal. Und nun, nun bin ich tot. Wegen deines bescheuerten Optimismus. Nun bist du ganz allein. Allein, allein, allein.“

„Paula?“. Zum Glück befreit Ulla mich von einer Sekunde auf die andere aus meinem inneren Dialog mit einem toten Goldfisch. „Du kannst ihn nun niederlassen.“ Ich knie mich hin und versenke Waldi in dem von Ulla gegrabenen Loch im Vorgarten. Als die Beisetzung erfolgt und das Grab mit Erde versiegelt ist, sagt Ulla noch ein paar Worte, die meinen Fisch sehr ehren und gießt parallel mit Kerzenwachs ein mir unbekanntes Symbol auf die über ihm festgeklopfte Erde.

„Er wird dich nie vergessen.“, sagt sie. Und ich hoffe innerlich, dass ich vergessen kann. Aber erst mal brauche ich was zu essen.

Ulla bietet mir an, auf eine gute Portion Indisch mit hochzukommen, als hätte sie ebenfalls Kontakt zu meinem Magen aufgenommen. Ich lehne dankend ab, schließlich hatte ich heute bereits eine halbe Portion Marokkanisch und möchte mich erst mal von Länderküchen und Nationalitäten jeglicher Art distanzieren. Und ehrlich gesagt auch von Ulla.

Ich schließe die Tür und atme tief durch. Meine Küche sieht nach wie vor chaotisch aus: Scherben und Algen – nur ohne Waldi. Ich trample mit meinen uneleganten Latschen mittendurch und bin begeistert, dass sie mit ihren festen Sohlen wenigstens praktisch sind. Ich schiebe eine Tiefkühlpizza in den Ofen und schalte das Radio an: Nachrichten. Tote, vergewaltigte, in Klimakatastrophen umgekommene, politisch verfolgte Menschen mit Behinderung und ohne Obdach, die ihre eigenen Säuglinge ermorden. Wer nur, wer, frage ich in die Welt hinaus, – will das bitte wissen? Wer verliert seinen Lover, seinen Goldfisch, seinen Stolz bei einer Beisetzung im Vorgarten und kann all das auch noch ertragen? Ich stelle das Radio aus und gehe unter die Dusche. Kein Satin, kein Birkenstock. Nur das Geräusch von Wasser und Tränen – als Wasser getarnt. Ich wasche mir Schweiß und Gefühle herunter. Es wird schon gehen, irgendwann. Ich wünschte nur, es würde etwas Gutes passieren. Etwas fürs Ego, fürs Herz, für meinen verlorenen Stolz. Für die Kinder, die ich nicht habe, weil er sie schon hatte. Für den Job, den ich zum Glück behalten habe, weil er sowieso nie genügend verdient hätte. Für meine Eltern, die seit fast 30 Jahren verheiratet sind und nie streiten. Hier bin ich, Paula Groß, 29 Jahre alt und Single. Eigentlich bin ich schon längst wieder auf dem Markt, denn die Beziehung, die ich hatte, war nur eine billige Sexaffäre. Also, Universum, hab Mitleid und schicke mir ein Zeichen, aber bitte nicht auf spirituellem, sondern auf irdischem Wege.

Oh, „Can’t touch this, nänä nä nä”. Klingelt mein Handy? Ich sprinte unbekleidet und nass, so schnell man nass und unbekleidet eben sprinten kann, aus der Dusche in Richtung Handy. Wo ist es denn? Unelegant glitsche ich aus, fange mich aber schnell wieder. Auf dem Balkon! Es ist tatsächlich noch auf dem Tisch auf meinem verdammten Balkon. Ich muss an all den Scherben und Algen vorbei. Aber es hört glücklicherweise nicht auf zu klingeln. Jemand meint es ernst. Ich hoffe, dass es nicht meine Mutter ist. Autsch. Für diesen Gedanken trete ich direkt in eine Scherbe. „Der Liebe Gott bestraft die kleinen Sünden immer sofort”, höre ich die Stimme meiner Großmutter in meinem Kopf, während ich die Scherbe schnell rausziehe und meinen Weg fortsetze. Ich will dieses Zeichen des Universums entgegennehmen, verdammt! Mit dem Arm fische ich mein Handy seitlich vom Balkontisch und reiße dabei meine Kaffeetasse runter. Was soll’s, ich brauche sowieso eine Putzfrau oder eine neue Wohnung. „Ja?”, schnaufe ich in den Hörer.

Schluchzen, Schniefen, Schnaufen, auch auf der anderen Seite der Leitung. Saïd? Er weint ja wie eine Frau um mich, denke ich kurz und bin für eine Sekunde glücklich.

„Pauuuuuulaaaa-haa-aaah.” Schniefen. Okay, es ist tatsächlich eine Frau in der Leitung.

„Carmen? Carmen, was ist los?”

Carmen ist meine beste Freundin. Meine dickste, dicke Freundin. Und sie weint hemmungslos.

„Carmen?”

„Pauuula.”

„Was ist denn los?” Ich bringe mich schnell aus der unabsichtlichen Sichtweite anderer Mieter, indem ich den Vorhang zuziehe.

„Es ist … Mama”, schnieft Carmen.

„Was ist mit ihr?”, frage ich.

„Sie ist tot, Paula.”

Meine Gedanken überschlagen sich. Ich realisiere überhaupt nicht, was ich da höre. Ich kenne Carmens Mutter seit Jahren. Sie gehört quasi zur Familie.

„Bleib wo du bist, Carmen!”, schreie ich in den Hörer. „Ich komme zu dir!“ Moment.

„… Wo bist du?”

„In ihrer Wohnung.”

Also auf in die Plattensiedlung. Auf nach Steilshoop. Schlimmer geht’s immer war ohnehin das einzige Motto, an das ich je geglaubt habe. Ein Zeichen des Universums, wie konnte ich nur so naiv sein? Da war sicher etwas im Tee.

„Ich nehme ein Taxi, bin in etwa einer halben Stunde bei dir."