Loe raamatut: «Vagos, Mongols und Outlaws»

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Aus dem Amerikanischen von Alan Tepper


www.hannibal-verlag.de

Gewidmet den unsichtbaren Helden

Anmerkung

Die Ereignisse und Gespräche in diesem Buch beruhen auf Tatsachen. Sie sind mit Hilfe von Tonaufnahmen, Beweismitteln, Prozessprotokollen, Polizeiberichten und auf Basis von Charles’ persönlichen Erinnerungen rekonstruiert worden. Sämtliche Informationen wurden während seiner Zeit als V-Mann gesammelt und den Behörden zur Verfügung gestellt. Obwohl nicht alle in diesem Buch beschriebenen Personen hinsichtlich der ihnen zur Last gelegten Straftaten schuldig gesprochen wurden, verurteilte man Dutzende von ihnen zu langen Gefängnisstrafen. Manche erklärten sich geringerer Vergehen für schuldig, einige wenige wurden freigesprochen, und einzelne belasteten durch ihre Zeugenaussagen die eigenen Leute.

Die Namen und allzu verräterische Charakteristika einiger Personen in diesem Buch, darunter Agenten der Strafverfolgungsbehörden, die anonym bleiben müssen, wurden geändert.

Danksagungen

Dieses Buch ist den Männern und Frauen der Strafverfolgungsbehörden gewidmet, dem ATF und dem San Bernardino County Sheriff’s Department. Besonders möchte ich mich bei Koz und S.K. bedanken – Ihr seid meine Helden. Dank gilt auch JD, Gringo und Bobby, den wahren Stars der Operation Black Diamond. Ein aufrichtiges Dankeschön geht an Carr, Ciccone, Britt Imes, das Büro des Staatsanwalts der Vereinigen Staaten von Amerika und die Einsatzteams beider Operationen, ohne deren Unterstützung diese Ermittlungen sicher fehlgeschlagen wären.

Einen Dank an Dich, Roger, dass Du mir immer ein offenes Ohr bezüglich meiner schlimmen Vergangenheit geschenkt hast. Kerrie, ich möchte Dir danken, weil Du so eine großartige Autorin und Zuhörerin bist. Zuletzt und besonders danke ich meiner Frau und meinem Herrn Jesus Christus für ihre Liebe und Unterstützung. Ohne Euch hätte ich das nie durchgestanden.

– Charles Falco

Ich möchte mich bei allen Beamten des San Bernardino County Sheriff’s Department bedanken, auch bei denjenigen, die hier nicht namentlich erwähnt werden, obwohl ihre Arbeit und ihr Engagement von größter Bedeutung waren. Darüber hinaus gebührt Rob Kirkpatrick, meinem Verleger, für seine Ermutigung und den Glauben an meine Fähigkeiten Dank und meiner Agentin Jill Marsal, die sich unermüdlich für mich einsetzt. Nicht zu vergessen meine Kinder, die als Einzige den Sonnenschein in meinem Leben verbürgen. Ich möchte meinen Freundinnen (und Schriftstellerinnen) Kim und Linda danken, denn sie haben viele Seiten voller endloser Kampfszenen mit Humor und Wohlwollen verkraftet. Ein Dankeschön auch an Dich, Sergei, und all die Männer und Frauen in den Strafverfolgungsbehörden, die jeden Tag ein Stück ihrer Seele opfern, um uns allen eine sichere Zukunft zu ermöglichen.

– Kerrie Droban

Impressum

Die Autoren: Charles Falco und Kerrie Droban

Deutsche Erstausgabe 2013

Titel der Originalausgabe:

„Vagos, Mongols and Outlaws – My infiltration of America’s deadliest biker gangs“

© 2013 by Charles Falco und Kerrie Droban

ISBN: 978-0-312-64014-9

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLC durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, D-30872 Garbsen, vermittelt.

Coverdesign: © www.bw-works.com

Coverabbildung: © Udo Bernhart / dpa / picturedesk.com

Foto Buchrückseite: © Charles Falco

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat: Dr. Matthias Auer, Aulo Verlagsservice

Korrektorat: Otmar Fischer

© 2013 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-404-5

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-403-8

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Zitat

Vielleicht gibt es doch ein wildes Tier … aber vielleicht sind wir es auch nur selbst.

WILLIAM GOLDING, Herr der Fliegen

Inhalt

TEIL I: Operation 22 Green

Kapitel 1: Der Einstieg

Kapitel 2: Tägliche Faustschläge

Kapitel 3: Prospect

Kapitel 4: Das Geständnis

Kapitel 5: Schattenboxen

Kapitel 6: Im Loch

Kapitel 7: Pulp Fiction

Kapitel 8: Der Rep

Kapitel 9: König der Killer

Kapitel 10: Einzelhaft

Kapitel 11: Aufstieg

Kapitel 12: Hawaii

Kapitel 13: Street Vibrations

Kapitel 14: Auf Messers Schneide

Bilderstrecke

Kapitel 15: Ausweg

Kapitel 16: Endspiel

Kapitel 17: Zeugenschutzprogramm

Kapitel 18: Der Prozess

TEIL II: Operation Black Diamond: Schwarz auf Schwarz

Kapitel 19: Wieder dabei

Kapitel 20: Outlaw

Kapitel 21: Kriegsspiele

Kapitel 22: David und Goliath

Kapitel 23: Würde

Kapitel 24: In der Arena

Kapitel 25: Der Tod fährt mit

Kapitel 26: Fratzen im Dunkel

Kapitel 27: Hose runter!

Kapitel 28: Jagd auf Engel

Kapitel 29: Das Ende der Straße

Urteile

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23. Juli 2004, Manzana Road, Apple Valley, Kalifornien

Die Cops fanden den ausgestreckten leblosen Körper des Mannes auf einem Schotterweg. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet. Der grauhaarige Mann musste Anfang vierzig gewesen sein, ein Meth-Junkie, den die Daily Press später als James Gavin (alias Little Jimmy) identifizierte, einer, der „zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war“ und über den Haufen geschossen wurde. Eine Kugel hatte Jimmy in den Rücken getroffen und sein Herz durchbohrt, während er panisch versuchte, über die Straße zu entkommen. Eine Frau mit dunklen Ringen unter den Augen, die ins Nichts starrte, hatte die Schießerei überlebt; sie erzählte in aller Ausführlichkeit, wie die beiden Männer in ihrem Wohnzimmer das Feuer eröffnet hatten. Blut floss aus einer Wunde in ihrem Arm und formte ein bizarres Muster auf den nackten Fliesen.

Nach Aussage der Frau lief alles rasend schnell ab, ähnlich Blitzen auf einem schwarzen Bildschirm. Ohrenbetäubender Lärm, lautes Knallen, unterdrückte Schreie, gefolgt vom dumpfen Zuschlagen der Tür, das dem unterdrückten Husten einer Sommergrippe glich. Das Opfer hatte das Haus merkwürdigerweise nur wenige Minuten vor dem Eindringen der Schützen verlassen. Er war „auf einem Horror“ gewesen und versuchte sich durch einen kurzen Spaziergang zu beruhigen.

Niemand hätte ahnen können, dass der Mord im Milieu die Unterschrift der Vagos trug.

Niemand wusste etwas über die Killer.

Niemand – außer mir, und ich existierte praktisch nicht!

Acht Monate zuvor, November 2003, beim Victor-Valley-Chapter

Das San Bernardino County in Kalifornien – mit seinen dünn besiedelten Wüsten und den hoch aufragenden Bergmassiven – war die Heimat des Vagos Motorcycle Club, einer Outlaw-Biker-Gang, die größtenteils aus ehemaligen Militärangehörigen bestand. Die Vagos wurden vom Bezirksstaatsanwalt Michael A. Ramos als „brutale Raubtiere“ und „größte urbane Terrororganisation“ in den USA bezeichnet. Nach Insider-Quellen stellten die Biker, auch bekannt als „Green Nation“, eine „unmittelbare Bedrohung“ für die Polizeibehörden dar. Mitglieder der Vagos hatten verschiedene Dienststellen geschickt infiltriert und diverse Posten besetzt, darunter sogar Positionen, die der Geheimhaltung unterlagen. Als Maulwürfe konnten sie polizeiliche Ermittlungen behindern oder in ihren Kreisen publik machen.

„Können Sie da reinkommen?“, fragte mich Detective Samantha Kiles1 vom San Bernardino Sheriff’s Department (SBSD) an einem kühlen Morgen vor Thanksgiving 2003, auf die Biker anspielend, mit herausfordernder Stimme. Sie saß mir in einem Büro der Criminal Intelligence Division direkt gegenüber und wärmte ihre Hände an einem Kaffeebecher. Die hübsche Blondine konnte einen mit ihrem sympathischen Lächeln leicht entwaffnen. Sie war durchtrainiert und fit und wirkte wie eine Marathonläuferin. Aufs Äußerste entschlossen, musterte sie mich mit dem durchdringenden Blick einer Raubkatze, die ihrer Beute auflauert. Mit einer Körpergröße von über 1,90 Meter überragte ich sie sogar im Sitzen. Ich hatte bis dahin keine Erfahrungen mit der Biker-Subkultur gesammelt, niemals eine Harley besessen oder gefahren. Hinzu kam noch, dass ich überhaupt nicht wie ein Biker aussah: Als ich für die bulgarische Mafia Betäubungsmittel schmuggelte, konnte ich mich als glatt rasierter, immer erstklassig gekleideter Geschäftsmann ideal verkaufen. Zudem trug ich keine Tattoos. Doch nun drohte mir eine mindestens 22-jährige Gefängnisstrafe wegen Verabredung zur Herstellung von und zum Handel mit mehreren hundert Pfund Methamphetamin. Eine Zusammenarbeit mit der Behörde lag eindeutig in meinem Interesse, denn meine angeblich loyalen Kumpels hatten mich verraten – diese widerlichen Speichellecker!

„Sie sind hier aufgewachsen.“ Kiles nahm einen Schluck Kaffee. Das stimmte. Und ich hatte meine Zuverlässigkeit als Geheiminformant der U.S. Customs and Drug Enforcement Administration2 (DEA) längst bewiesen. Zwar stand mein Prozess noch bevor, doch erst kürzlich hatte man die Gerichtsauflagen gelockert und mir die Fußfessel abgenommen, sodass ich an komplexeren Fällen arbeiten konnte. Statt Drogengeschäfte auffliegen zu lassen oder Kartelle auszuspionieren, kümmerte ich mich jetzt um waschechte Gangs. Ich hatte meinem Verbindungsmann bei der DEA davon berichtet, woraufhin er den Kontakt zu Kiles herstellte.

„Ich kenne einige Skinheads“, berichtete ich und zählte Gangs auf, in die ich mich als Weißer problemlos einfügen konnte. Kiles erklärte mir, dass es keine andere Gruppierung gab, die Südkalifornien so erbarmungslos terrorisierte wie die Vagos.

Vor meinem geistigen Auge tauchten Szenen meiner von bitterer Armut geprägten Kindheit in einem hauptsächlich von Latinos bewohnten Stadtteil auf. Für mich als Außenseiter und „White Trash“ gab es nur einen Weg in die Freiheit, den ich dann auch einschlug: Ich wurde Drogendealer und verbrachte mein Leben damit, große Mengen Kokain von Südamerika nach Europa zu schmuggeln. Das Geld motivierte mich, und ich hatte Talent. Zu der damaligen Zeit rechtfertigte ich mein Handeln mit einer Art „ehrenwertem“ Verbrechenskodex, denn ich konnte mir zumindest vormachen, kein hinterhältiger Dieb oder Kinderschänder zu sein. Als sich der Markt veränderte und Methamphetamin die Stelle von Koks einnahm, wurde ich Drogenkoch und verdiente eine halbe Million Dollar jährlich. Während ich in meiner geräumigen Villa mit den schönen weißen Wänden und den schicken Ledergarnituren von Zimmer zu Zimmer schlurfte, kämpfte ich mit der Illusion, nicht zu den Junkies zu gehören, obwohl mich die Sucht schon fest in den Klauen hatte. Ich warf das Geld in den Deckenventilator, machte daraus Konfetti für die Straße, ich hatte ja genug Kohle. Doch plötzlich verschwanden die teuren Sportflitzer, wurden einfach wieder abgeholt. Meine Frau verließ mich. Ich geriet in Panik. Hastig durchquerte ich die Eingangshalle und schloss sämtliche Türen mit einem gehörigen Knall. Mich überkam die Angst, Wesen aus der Welt der Schatten würden mich überwältigen. Ohne Elektrizität verwandelte sich das Haus in ein Inferno.

Aluminiumfolie klebte an den Fenstern, ließ nicht den kleinsten Sonnenstrahl hinein. Mein Leben rann mir sinnlos durch die Finger. Stunde um Stunde endloser Monotonie bestimmte mein Sein. Ich schloss die Augen, hoffte, dass mich niemand in diesem Zustand sah. Doch dann – ein Hämmern an der Eingangstür, lautes, gepresstes Brüllen: „Polizei – öffnen Sie sofort!“ Ich rannte zur nächsten Toilette, kniete mich vors Klo, schüttete die Drogen mit zittrigen Händen da rein und zog die Spülung ab. Wasser spritzte an meine Wangen. Mein Kopf schien vor Lärm zu bersten. Schwarzuniformierte Männer traten die Tür ein. Auf ihren Sturmjacken erkannte ich den Schriftzug LOS ANGELES COUNTY SHERIFF SWAT TEAM in großen weißen Buchstaben. MP5-Maschinenpistolen richteten sich auf meine Brust, und die roten Laserstrahlen umkreisten das Herz. Irgendwie verspürte ich trotzdem Erleichterung.

Schnitt. Zurück in die Gegenwart. Bislang hatten bereits verschiedene Bundesbehörden versucht, die Vagos zu infiltrieren, doch immer ohne Erfolg. In Kalifornien waren sie vier oder fünf Mal so groß wie die Hells Angels, und ihre Gewalttätigkeit hatte sich herumgesprochen. Die Polizeibehörden sorgten sich zunehmend wegen des Hangs der Gang zu brutalen, scheinbar sinnlosen Angriffen, Waffenschmuggel, zur Verbreitung und zum Handel mit gefährlichen Betäubungsmitteln, zu Schutzgelderpressung, Kreditwucher und Mord, Straftaten, die von der Biker-Szene ausgingen und mittlerweile alle Bevölkerungsschichten in Mitleidenschaft zogen. Die Gangmitglieder lebten wie Ratten in den dreckigsten, stinkendsten Löchern der Stadt. Die Regierung interessierte sich nicht dafür, das Problem einzudämmen – sie wollte es beseitigen!

„Und was muss ich machen?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, nervös und angespannt, da ich nicht wusste, was für eine Aufgabe mir bevorstand. Kiles informierte mich kurz und knapp über die Geschichte und die Bedeutung der Vagos: Der Club war in den Sechzigern im San Bernardino Valley gegründet worden und umfasste 24 Chapter in Südkalifornien, Arizona, Nevada, Oregon, Utah und auf Hawaii. In Mexiko gründeten sich zehn Chapter (in Baja California, Jalisco und Mexiko-Stadt). Die Gang, zuerst nannte sie sich „The Psychos“, wählte als Abzeichen ein Bild des nordischen Gottes Loki, der für seine Gerissenheit und sein Intrigenspiel bekannt ist, auf einem stilisierten Motorrad. Sie musste keinen Feind fürchten und beabsichtigte auch nicht, Rivalen wie den Hells Angels oder den Mongols den Krieg zu erklären. Der Club schloss sich sogar je nach Lage der Dinge mit anderen Gangs zusammen. Durch seine Unberechenbarkeit und seine gewalttätigen, sorgsam eingefädelten und unberechenbaren Übergriffe sicherte er sich seine Machtposition. Die Philosophie der Vagos war eindeutig, denn die Mitglieder wollten lieber gefürchtet als verehrt werden! Sie waren die Mafia auf zwei Rädern, doch ohne die Absicht, ein bestimmtes Ansehen zu wahren oder ihr Tun irgendwie zu legitimieren. Die Vagos verbargen ihre Brutalität nicht, sondern stellten sie offen zur Schau. Egal ob ihr Draufgängertum auf ihr offensives Macho-Gebaren zurückzuführen war, auf einen tierischen Instinkt oder den Kampf um die Vormachtstellung in der Drogenwelt – durch ihr Handeln kamen erschreckend viele Menschen ums Leben.

„Sie sollen da rein, Informationen über die Gang sammeln, die Anführer identifizieren, von ihnen Drogen kaufen und möglichst viele illegale Schusswaffen sicherstellen“, sagte Kiles und nannte mir eine Liste der Bars in einem Radius von 40 Meilen um mein Apartment, die von den Vagos häufig besucht wurden. Die Mitglieder seien nicht schwierig auszumachen, klärte sie mich auf, denn alle Outlaw-Biker-Gangs trügen voller Stolz ihre Kutten. Es waren ärmellose Westen aus Jeansstoff oder Leder mit aufgenähten Abzeichen, die nicht nur die Zugehörigkeit zu einem Club symbolisierten, sondern auch die kriminellen und sexuellen „Errungenschaften“ eines Bikers verrieten. Sie wollten der Öffentlichkeit zeigen, dass sie zu den Gesetzlosen gehörten, den sogenannten „Onepercentern“3, einer kleine Gruppe von Motorradfans, verantwortlich für 99 Prozent aller Straften, die Biker verübten.

„Achten Sie auf die Führungspersonen!“ Kiles trank ihren Becher aus. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie man die Anführer erkannte. Sie erklärte es mir: „Die mit dem grünen Abzeichen.“ Die Vollmitglieder (Full-Patch-Members) trugen auf der Rückseite ihrer Kutte ganz unten den „Bottom Rocker“, auf dem „Kalifornien“ stand. Der Aufnäher oben gab den Club an, in diesem Fall die Vagos, und der mittlere Aufnäher zeigte ein großes V und ein Bild des gehörnten Loki. Der Name Vagos stammte – obwohl er leicht spanisch klingt – von „vagabond“ ab, dem englischen Begriff für umherziehende Menschen. Die Gang bestand zu 70 Prozent aus Weißen, jedoch war der Anführer ein Latino.

„Wenn Sie drin sind, müssen Sie improvisieren.“

Die „Bezahlung“ für den gefährlichen Auftrag bestand nicht in Geld, sondern in Zeit. Falls ich nicht den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen wollte, musste ich Resultate liefern. Die mir drohenden 22 Jahre zogen sich wie eine Schlinge um meinen Hals zusammen, nahmen mir die Luft zum Atmen. Ich verfügte weder über einen Plan noch ein Bike und stand auch nicht unter dem offiziellen Schutz der Behörde. Ich fühlte mich alleingelassen und war so einsam wie niemals zuvor in meinem Leben.


Zuerst folgte ich Kiles’ Vorschlag und hing in Kaschemmen wie dem Motherlode rum, in der Hoffung, Gespräche der Biker zu belauschen, während ich mit den Stammgästen Billard spielte und einige Bier hob. Der Trinkspruch der Biker – „Viva Los Vagos und fick die anderen in den Arsch“ – hallte durch den Laden. Die Graffiti an der Wand bildeten eine Mischung aus Realität und Phantasie ab, denn sie spielten auf das Thema Autoklau im großen Stil an, allerdings mit Blick auf eine fiktive Latino-Straßengang in Los Angeles, die Krieg gegen eine ebenfalls fiktive Grove-Street-Gang führte. Ich beobachtete einige Biker, die mir argwöhnische Blicke zuwarfen. Adrenalin pumpte durch meine Adern, ich hatte das Gefühl, unter Starkstrom zu stehen. Damals lebte ich in einem winzigen Apartment mit meinem Pitbull Hercules, 30 Meilen von der County-Grenze entfernt. Jede Nacht fuhr ich durch die frostige Dunkelheit von meiner Bude zu der Bar und dann wieder zurück. Meist stolperte ich um 3 Uhr morgens durch die Tür – hungrig, übermüdet und verängstigt, da das gleiche Spielchen in einigen Stunden wieder von vorne begann.

Nachdem zwei Wochen lang nichts passiert war, legte ich mir einen Plan zurecht.

Das in Hesperia gelegene Motherlode stank ekelerregend. Eine Mischung aus schalem Bier, Pisse und Kotze verpestete die Luft. Vor dem Schuppen standen die Harleys aufgereiht. Die Musik pulsierte wie ein rasender Puls. Die Bar war nur schlecht beleuchtet, verqualmt, vollgestellt mit Billardtischen und einer Jukebox. Der Besitzer hatte die Wände zu Ehren der Vagos grün streichen lassen. An diesem Ort herrschte eine gewalttätige und bedrohliche Atmosphäre, sogar wenn nichts geschah. Einige Vollmitglieder standen eng beieinander, die Biergläser in den Händen. Die Frau hinter dem Tresen glich einem verunstalteten Troll. Sie stieß mit den Händen, die Fleischklumpen ähnelten, schwungvoll ein kühles Bud in meine Richtung. Fluoreszierendes grünes Licht flackerte über der Bar. Auf zerrissenen Plakaten erkannte ich die Ankündigung für eine Party der Vagos, die die Biker „Dünnschiss-Feten“ nannten. Gesprächsfetzen drangen durch den allgegenwärtigen Lärm wie ein lautes Grunzen.

Ich bemerkte eine attraktive Brünette. Sie hing in den Armen eines in schäbiges Leder gekleideten Bikers, der so aussah, als hätte man ihn gerade erst von der Müllkippe aufgesammelt. Er trug schwarze Jeans und kein T-Shirt, sondern nur die Kutte. Jeder Zentimeter seiner Arme war von Tattoos bedeckt, und auf den Schmerbauch hatte er sich ein Hakenkreuz in Grün stechen lassen. Ein grünes Stirnband bedeckte teilweise seinen Bürstenschnitt. Auf dem linken Arm erkannte ich die Zahl 22, die für „V“, den 22. Buchstaben des Alphabets, stand und gleichzeitig die Abkürzung für „Vagos“ war. Die Frau blickte zu mir rüber. In ihrem Gesicht konnte ich keine Anzeichen für den getriebenen und verzweifelten Ausdruck einer Süchtigen erkennen. Sie hatte rosige Wangen, eine wahre Mähne, gepflegte Zähne und weckte in mir den Impuls, als ihr Retter aufzutreten. Was machte sie bloß hier – mit diesem Typen?

„Das is’ Vinnys alte Dame“, verriet mir eine abgehalfterte Meth-Süchtige durch den Lärm der Musik hindurch. Im Vergleich mit dem Biker hätte der Kontrast zwischen ihm und der Schönen nicht größer sein können. Sie war eine Außenseiterin unter Außenseitern, auf eine merkwürdige Art von Vinny beschützt, der sie als sein Eigentum ansah. Kein Biker betatschte sie oder riss sie auf seinen Schoß. Bei der elfenhaften Tussi mit den blond gefärbten Haaren neben mir sah das anders aus. Sie flatterte wie eine Motte im Schatten und landete manchmal in den Armen der Vagos, die sie brutal von sich stießen. Ich schnippte mit dem Finger in Richtung der Bar-Mieze. Endlich hatte ich eine Möglichkeit gefunden, an die Biker heranzukommen – Frauen!

„Darf ich dir ein Bier spendieren?“

Mein Herz raste, als ich vor Vinnys Tisch stand. Er runzelte die Stirn, warf mir einen feindseligen Blick zu und ignorierte zuerst die eiskalte Bierflasche neben sich, von der Wasser perlte. Vinny ähnelte einem ausgewachsenen Bullen – stämmig, angespannt bis aufs Äußerste und bereit dazu, bei einem Schuss mit seinem Schädel die Abzäunung zu durchbrechen. Er war noch jung, vielleicht in den Dreißigern, doch seine Gesichtshaut ähnelte vom Wetter gegerbtem Leder. Der Typ wirkte verdammt hart. Ich versuchte die Spannung zwischen uns durch ein bisschen Schmeichelei aufzulockern, erzählte ihm, wie sehr ich die Vagos verehrte, besonders, nachdem mich einer der Biker im Knast verteidigt habe. Vinny kaufte mir die Lüge ab und spülte das Bier runter. Seine Freundin schien auch nichts gegen mich zu haben. Sie lächelte und stellte mir ihre am Tisch sitzenden Kumpels vor: Bandit, Cornfed, Spoon und Truck. Von Weitem erkannte man nur ein einziges Grün, das von den Aufnähern herrührte. Wir wechselten einige Worte, doch starrten uns meist nur an. Die Frau lächelte, und ich erwiderte ihre Freundlichkeit. Truck war ein solcher Fettkloß, dass er zwei Stühle für sich beanspruchte. Ich rang nach Worten, suchte nach irgendeinem Spruch, durch den ich mit den Typen ins Gespräch kommen konnte. Kurzfristig überkam mich ein Gefühl, als hinge ich hier mit lebensgroßen aufblasbaren Puppen ab.

Doch dann wurde das bedrückende Schweigen gebrochen. Vinny verzog das Gesicht und zeigte auf einen an der Bar sitzenden Gast. Er hatte sich die Buchstaben „IE“ (für Inland Empire, eine Beschreibung der Gegend von Riverside bis San Bernardino) groß auf den Nacken tätowieren lassen. Ganz klar ein Fremder und ein Mitglied einer anderen Gang! Vinnys Gesicht lief rot an. Er stand auf, ballte die Hand zur Faust und verpasste dem Typen einen Schlag direkt auf die Schläfe. Der verblüffte Mann fiel rückwärts, fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf, stolperte mit seiner Frau im Schlepptau so schnell wie möglich nach draußen und kletterte in seinen weißen Suburban. Das Quietschen der durchdrehenden Reifen jagte mir eine Höllenangst ein. Ich blickte nach draußen und hatte das Gefühl, alles spiele sich in Zeitlupe ab. Der Suburban pflügte regelrecht durch die Reihen der Vago-Maschinen und mähte dabei auch Vinnys Bike um.

Die Ständer der Motorräder kratzten über den Asphalt. Das Spiel begann. Und das war’s für mich – meine erste bedeutsame Nacht im Rahmen der Infiltration der Vagos war schon beendet, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Als die Bikes mit lautem Krachen auf dem harten Asphalt aufschlugen, verschwanden die Vagos wie Kakerlaken aus der Bar und rannten dem weißen Wagen nach. Truck schnaufte bis zum Rand des Gehwegs und notierte sich das Kennzeichen. Schweiß lief an seinen Schläfen runter.

„Wir finden heraus, wo der wohnt!“ Er steckte sich den Zettel in die Brusttasche. Unbeeindruckt von der Präsenz einer Polizeistreife fluchte er: „Wir werden uns um das Geschäftliche kümmern!“ Instinktiv spürte ich, was das bedeutete. Die Vagos planten, den Mann aus der anderen Gang zu jagen, ihn an einen verlassene Ort zu zerren und ihm dort die Bedeutung des Wortes Respekt einzutrichtern. Nein, kein Austausch der Versicherungskarten oder eine harmlose Abreibung! Falls die Vagos ihr Opfer fänden, würden sie es zusammentreten, seinen Wagen demolieren, die Schweinwerfer einschlagen, die Türen eintreten, die Fenster in kleine Glassplitter verwandeln und den Motor auseinandernehmen. Und natürlich gäbe es weder ein „Opfer“ noch einen Polizeibericht oder eine Strafverfolgung. Die Angst vor der Rache der Clubmitglieder würde den Mann zum Schweigen bringen.

Später saß ich auf dem Rand meines Bettes. Hercules hatte den Kopf auf mein Knie gelegt. Ich telefonierte mit Kiles, doch wusste schon von vorneherein, dass es kaum Hoffnung gab, dass ihre Abteilung etwas gegen die bevorstehende Vergeltungsaktion unternehmen konnte. Das Schicksal des Mannes war besiegelt. Schon bald würde er ein menschliches Wrack sein, ein weiterer Namenloser in einem Krieg, bei dem alles erlaubt war. In dem Augenblick wurde mir klar, dass ich mehr unternehmen musste, als Kiles nur die Informationen zu stecken. Ich wollte etwas bewirken, mich in die Organisation der Vagos einschleichen, mich mit den Anführen gutstellen, ja, ein waschechter Vago werden.

Doch wie sollte ich das ohne ein Bike, ohne jeglichen Schutz und ohne Geld bewerkstelligen?

Nach dem Zwischenfall im Motherlode gab die hässliche, zwergenhafte Besitzerin der Gang Lokalverbot. Vinny trommelte die Biker dann im Hustler zusammen, einer Spelunke, 30 Meilen von meinem Apartment entfernt. Der Laden erinnerte an eine nasse, verschwitzte Höhle. Zigarettenqualm hing in der Luft. Die nur schemenhaft zu erkennenden Gesichter der Biker erinnerten an Gespenster, während sie über einigen Bieren ihre nächste Tour besprachen. Ihr Ziel lag darin, die Polizeiüberwachung ins Leere laufen und die Party ungestört in einer verlassenen Gegend steigen zu lassen. Doch die Besprechung wurde unterbrochen, und zwar von Terrible, einem Neo-Nazi, der ein tiefer gelegtes Bike fuhr und schon lange mit dem Victorville-Chapter der Vagos abhing. Terrible stellte die personifizierte Gewalt dar: Er wirkte hart und unnachgiebig, trug ein 22-Tattoo an seinem Hals, hatte Piercings an der Stirn und sich dort auch zwei hervorstehende Teufelshörner aus Metall implantieren lassen. Innerhalb einer Stunde kippte er fünf Biere und prahlte damit, wie sein Bruder Robbery einem Mann aus nächster Nähe ins Gesicht geschossen habe. Dieses Geständnis war einfach so aus ihm herausgesprudelt. Ich spürte das Klicken des Mini-Rekorders in meiner Unterhose. Nach Entfernen des Mikrofon-Schutzes hatte ich das Miniteil in der Unterhose über dem Schwanz verstaut. Durch die eng anliegende Unterwäsche blieb es fest an der Stelle. Ich konnte sicher sein, dass niemand die Apparatur dort entdecken würde, mal abgesehen davon, dass derjenige mir voll in den Schritt griff.

Durch Terrible lernte ich die erste Lektion in Sachen „Rückzahlungsbedingungen“: „So ein Typ schuldete ihm Kohle. Er pennte hinter dem Steuer ein, fuhr den Wagen zu Schrott und lag zwei Monate lang im Streckverband im Krankenhaus.“ Sein Lachen klang eher wie ein Würgen, als hätte er sich niemals in seinem Leben über etwas Lustigeres amüsiert. Ich nickte. Rückzahlungsbedingungen der besonderen Art. Terrible zuckte und wurde immer nervöser, brach die Erzählung kurz ab und stotterte dann weiter. Ihm schien nicht klar zu sein, dass er die Geschichte seines Bruders in der Mitte zu erzählen begonnen hatte, so als hätten wir uns vorher schon einmal getroffen, als hätte ich eine direkte Frage danach gestellt, als wüsste ich, dass Terrible eine Familie besaß. Er war von Drogen total benebelt, und seine Welt zog in Bruchstücken an ihm vorbei, Ausschnitte aus Gesprächen flackerten auf, Erinnerungsfetzen kamen in ihm hoch, und dann war da wieder diese weite Leere ohne einen Anhaltspunkt, die ihn panisch machte. Er versuchte krampfhaft Ordnung in seine Welt zu bringen, die das reinste Chaos war.

Vielleicht stachelte ihn die Anspannung an, vielleicht musste er für Ordnung in dem heillosen Chaos sorgen – auf jeden Fall sprang er plötzlich vom Stuhl auf, ballte die Hände zu Fäusten und rannte wie eine Abrissbirne durch den Laden, wobei er jedem Gast, der ihn ein wenig schief ansah, einen Schlag verpasste. Sein ungelenkes Gebaren erweckte einen Eindruck wie in einem Comic, denn als neben ihm die ganzen Leute zu Boden gingen, rutschte er in ranzigem Öl und zerbrochenem Glas aus. Ich spürte, wie das warme Bier mir über die Hände lief, und stand vor dem ersten Test: Sollte ich mich in das Getümmel stürzen oder zurückweichen? Egal, wie ich mich verhielt – ich war kräftig angeschissen. Wenn ich einem Typen die Fresse zu kräftig polierte, würde sich das möglicherweise zwar günstig auf meinen Status bei den Vagos auswirken, doch sicherlich im Sheriff’s Department auf wenig Gegenliebe stoßen. Es war nicht so, dass man mich an der kurzen Leine hielt. Ich musste mich an keine Vorgaben halten, doch sauber bleiben, den Job behutsam erledigen und auf dem schmalen Grat zwischen Gentleman und Biker wandeln. Die Regierung wollte messbare Ergebnisse: Verhaftungen, kiloweise Drogen und brauchbare Informationen. Aber ein Köder, wie ich nun mal einer war, musste mit Bedacht und Vorsicht ausgelegt werden. Ich hing ähnlich einem Wurm an einem Angelhaken, im seichten, klaren Wasser, und konnte jederzeit gefressen werden.