Loe raamatut: «Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book)», lehekülg 3

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Schritt 3: Lernsituationen auswählen

Damit Sie Ihre Klient*innen zu einem Lernerfolg führen können, muss die gewählte Lernsituation alltagskompatibel sein. Erwarten Sie beispielsweise, dass Ihr Klient nach einem anstrengenden Arbeitstag am Abend noch viel Motivation für eine Lernsituation an den Tag legt, die seiner Arbeit ähnelt, wird es schwierig. Überlegen Sie sich, wann Sie welche Lernsituationen im Tages- und Wochenablauf Ihrer Klient*innen einbauen. Beziehen Sie dabei die Klient*innen in die Entscheidungsfindung mit ein; dieser partizipative Prozess ist ein wesentlicher Faktor für die intrinsische Motivation. Klären Sie zudem die dafür erforderlichen Finanz-, Zeit- und Betreuungsressourcen. In individuellen Lernsituationen dürfen zum Beispiel nicht die gesamten Ressourcen, die der Gruppe zustehen, für eine Einzelperson verwendet werden. Behalten Sie bei der Planung von individualisierten Lernsituationen daher die Gruppendynamik gut im Blick. Denken Sie daran, dass pädagogisch umgesetzte Lernsituationen immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wenn Sie die Aufgabe selbst erledigen. Und auch wenn das Endresultat wichtig ist, steht bei der pädagogischen Umsetzung der Weg dorthin, also der eigentliche Lernprozess, im Hauptfokus und muss entsprechend hoch gewichtet werden. (Siehe auch Annex 3 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieses Themenfelds, S. 335.)

Exkurs: Grundsätzliche Überlegungen zu der Zusammenarbeit mit Menschen mit und ohne Lernschwierigkeiten[22]

Lebensweltorientierung

Je stärker Lernsituationen an die persönliche Lebenswelt anknüpfen, desto eher sind die Beteiligten bereit, sich auf das Lernen einzulassen. Die Verbindung zu eigenen Zielen oder Vorlieben schafft Motivation. Dies können grosse Ziele sein, wie etwa das Erlernen von Kompetenzen, um selbstständig zu wohnen, oder auch kleine Ziele, wie beispielsweise die Lieblingsspeise selbst zubereiten zu können. Lebensweltorientierung ist für alle Zielgruppen wichtig, für Menschen mit einer Lernschwierigkeit aber umso zentraler, um überhaupt einen subjektiv sinnvollen Zugang zu einer Aufgabe zu finden.

Beziehungsarbeit

Die positive, pädagogisch-agogische Beziehung ist zentral für Lernerfolge. Menschen lassen sich eher auf Lernprozesse ein, wenn sie Anerkennung und Wertschätzung erfahren und ihnen von der lehrenden Person Kompetenzen und Know-how zugeschrieben werden. Auch dieser Aspekt ist für alle Zielgruppen wichtig. Doch bei Personen, die wenig abstrahieren können, beispielsweise aufgrund einer kognitiven Beeinträchtigung, wird der emotionale Bezug zu Themen und Aufgaben umso wichtiger und die Beziehungsebene rückt noch stärker in den Fokus. Zudem gilt: Je jünger die Klient*innen, desto wichtiger ist die Beziehungsebene.

Positive, emotionale Zugänge schaffen

Je positiver die Emotionen sind, die in Lernsituationen entstehen, desto mehr intrinsische Motivation entwickeln die Lernenden. Humor ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Komponente. Zudem sollen sich alle Beteiligten über Erfolge freuen und Fehler als Chance zum Lernen sehen. Diese Aspekte sind für alle lernenden und lehrenden Personen wichtig.

Visuelle Zugänge betonen

Kleine Kinder und Menschen mit einer Lernschwierigkeit lernen oftmals stark über Bilder. Visuelle Zugänge in Form von ansprechenden Bildern erhöhen deshalb den Lernerfolg. Sicher haben alle Personen gerne eine ästhetisch ansprechende Visualisierung, insofern ist ein solcher Zugang immer sinnvoll. Kognitiv fitte Klient*innen sind aber daneben auch in der Lage, sich auf komplexere, sprachliche Aufgaben einzulassen, vorausgesetzt sie sind dafür motiviert.

Prozessorientierung

Lernen ist ein Prozess, für diesen haben sowohl Unter- als auch Überforderung eine demotivierende Wirkung. Es ist daher für alle Zielgruppen wichtig, eine gute Anforderungsbalance zu finden. Die Zielsetzungen können für mehrere Personen gleich, die Etappierungen und Teilziele jedoch individuell sehr unterschiedlich sein in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad und das Tempo. Das Gliedern von Lernprozessen in individuell angepasste Teilschritte ermöglicht immer wieder Erfolgserlebnisse und Etappensiege und ist daher für alle Zielgruppen wichtig, um motiviert zu lernen.

Schritt 4: Fachkompetenz sichern

Unter Fachkompetenzen werden Fachkenntnisse und fachspezifische Fertigkeiten verstanden, die es für die Bewältigung einer spezifischen Aufgabe braucht. Es geht also darum, einerseits über Wissen und anderseits über das geeignete Handwerk zu verfügen, sowie darum, beides zielführend anzuwenden.

Nehmen wir das Beispiel Spaghettikochen: Im Bereich der Fachkenntnisse geht es um das Wissen, wie viel Gramm Spaghetti es braucht, wie lange es dauert, bis diese gar sind, welche Sossen zu Spaghetti passen und was es für die Zubereitung braucht. Zudem braucht es Wissen zum Ablauf der einzelnen Arbeitsschritte, also etwa wann und wie die Sosse zubereitet wird und wie lange es dauert, bis die Sosse fertig ist. Auch planerische Kompetenzen sind wichtig, damit die Spaghetti und die Sosse gleichzeitig fertig werden. Im Bereich der fachspezifischen Fertigkeiten braucht es die Wahl einer Pfanne in angemessener Grösse für das Kochen der Spagetti und das Timing, wann die Spaghetti ins Wasser gegeben werden müssen und wie erkannt wird, dass sie gar sind. Bei der Sosse braucht es Fertigkeiten zum Zwiebelnschneiden, und Kenntnisse, was andünsten heisst oder wie viel gewürzt wird. Selbstverständlich fliessen Kenntnisse und Fertigkeiten ineinander. Eine Trennung ist in der Praxis auch nicht nötig. Hingegen ist es wichtig zu erkennen, dass es schwierig ist, jemandem etwas beizubringen, wenn man selbst nicht über die grundlegenden Fachkompetenzen verfügt. Gleichzeitig ist in der Praxis auch ein gewisser Pragmatismus angesagt. Man muss nicht bis ins letzte Detail über Fachkompetenzen verfügen, man kann je nach Kontext auch gemeinsam mit Klient*innen Dinge ergründen und lernen. Je komplexer der Kontext, desto sicherer muss aber die anleitende Person fachlich sein. Eine Gruppe mit mehreren Klient*innen anzuleiten, ohne sich fachlich sicher zu fühlen, ist stressig, was sich negativ auf den Lernerfolg der Klient*innen auswirken kann.

Schritt 5: Lernzugänge abrufen

Methodenkompetenzen betrachten wir hier in Zusammenhang mit Pädagogik und Agogik. Als Grundlage dafür ist Basiswissen über die Lerntheorien wichtig. Wir geben Ihnen daher in Annex 4 auf S. 336 einen kurzen Überblick über die wichtigsten Lerntheorien.

In der Praxis geht es dann um die Frage, mit welchen Lernzugängen ein Lernprozess initiiert wird. Lernzugänge werden auf dem Fundament von Lerntheorien geschaffen, praxisorientiert umgesetzt und sie kombinieren in der Regel mehrere Lerntheorien miteinander.

Lernzugänge

Für die Entwicklung einer Lernsituation müssen Sie wie in Schritt 4 erläutert über Fachkompetenz in den zu vermittelnden Inhalten verfügen. Dazu gehören sowohl Fachwissen, das thematisch in die Tiefe geht, wie auch die dazugehörigen Fachmethoden, beispielsweise bezüglich der Planung von Abläufen. Für die Vermittlung der Inhalte stellen wir Ihnen nun in Schritt 5 eine Reihe von Lernzugängen vor. Das Gelingen des Lernprozesses hängt essenziell davon ab, ob der*die Klient*in motiviert werden kann. Diese Motivation wiederum gelingt dann, wenn die individuell passende Form einer Lernsituation mit dem individuell passenden Lernzugang gefunden wird. Wir stellen in diesem Buch befähigendes Lernen ins Zentrum, das heisst wir haben Lernzugänge gewählt, die auf eine hohe Partizipation und einen individuellen Lernprozess fokussieren. Lernzugänge, die auf klassischer oder operanter Konditionierung basieren, haben wir bewusst ausgeklammert, da diese im Kontext der Themen dieses Buches in den meisten Fällen dem Anspruch eines individuellen, befähigenden Lernens nicht gerecht werden. Auch Lernzugänge auf der Basis von «Versuch und Irrtum» schliessen wir weitgehend aus, da beispielsweise einzelne Entscheide potenzielle Konsequenzen von grosser Tragweite wie Verschuldung oder delinquentes Verhalten haben können, da Unfallgefährdung entsteht oder sich ethische Fragen, etwa im Umgang mit Lebensmitteln, stellen. Für die Umsetzung in der Praxis arbeiten wir in diesem Buch mit sieben Lernzugängen, die wir Ihnen in der Folge kurz erläutern.

Sensorisches Lernen – Lernen über die fünf Sinne: Man spricht auch von multisensorischem Lernen und meint damit, dass wir mit allen Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) lernen und dass Lernprozesse besser gelingen, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Lernimpulse und die verschiedenen Sinne im Lernprozess koordiniert werden und sich nicht widersprechen oder konkurrenzieren.[23]

Beispiel für sensorisches Lernen: Zopfbacken und die einzelnen Arbeitsschritte mit allen Sinnen wahrnehmen: Hefe riechen, Teig kneten und so weiter.

Exkurs: Visuelle Zugänge

Visualisierungen sind ein wichtiger Lernzugang für unsere Herangehensweise. Dabei ist es zentral, den Abstraktionsgrad der Visualisierung im Kontext der individuellen Entwicklungsstufe der Klient*innen zu berücksichtigen.[24] Visualisierungen können von sehr konkret bis sehr abstrakt sein:

 Funktionales Objekt: Es wird eins zu eins mit dem Objekt visualisiert, um das es geht. So wird zum Beispiel die Pfanne, die es zum Kochen braucht, gezeigt.

 Repräsentatives Objekt: Ein konkretes Symbol oder ein Teil eines Objekts verweist auf das Objekt, beispielsweise wird ein Topflappen als Symbol für eine heisse Pfanne benutzt.

 Miniatur: Ein verkleinertes Objekt steht für das Original. Beispielsweise kann eine Puppenpfanne die echte Pfanne symbolisieren.

 Foto: Bei Fotos gibt es wiederum mehrere Abstraktionsebenen, so etwa ein Bild von genau der Pfanne, die später benutzt wird, ein Bild einer ähnlichen Pfanne oder das Symbolbild einer Pfanne.

 Zeichnung: Der Gegenstand wird grafisch dargestellt, zum Beispiel mit der Zeichnung einer Pfanne.

 Piktogramm: Eine schematische Zeichnung, hier beispielsweise der Pfanne, wird angefertigt.

 Symbol: Ein Symbol weist auf einen Gegenstand hin, eine kleine Pfanne bedeutet beispielsweise, dass das Rezept für eine Einzelperson berechnet ist, eine grosse Pfanne symbolisiert die Mengen für 4 Personen.

 Buchstaben: Diese sind die abstrakteste Form der Visualisierung. So symbolisiert etwa die Buchstabenfolge PFANNE den Gegenstand.

Observatives Lernen – Lernen durch Beobachten: Dieser Lernzugang orientiert sich am Lernen am Modell nach Albert Bandura. Differenzieren wir diesen Zugang, dann können folgende Stufen daraus abgeleitet werden:[25]

 vormachen und erklären,

 anleiten,

 unterstützen,

 Hilfestellung abbauen.

Während die ersten beiden Schritte dem Schema «Beobachten und nachmachen» folgen, werden die beiden darauffolgenden Schritte, wenn sie wiederholt geübt werden, via Habituation zur Routine für Abläufe, die sich situativ wenig ändern.

Beispiel für observatives Lernen: Jede Woche auf der Wohngruppe einen Zopf backen und den Klient*innen zunehmend mehr Selbstverantwortung für die einzelnen Teilschritte übergeben.

Motorisches, manuelles Lernen – Lernen durch praktisches Ausprobieren: Dieser Zugang ist eine Mischung der Lerntheorien «Lernen durch Versuch und Irrtum» und «Habitation». Je nach didaktisch-methodischem Aufbau erfolgt dieser Zugang nach dem observativen Lernen oder auch zu Beginn in einer eher experimentellen Art.

Motorisches, manuelles Lernen erfolgt in drei Phasen:[26]

1 Grobkoordination: Eine Karotte wird mit dem Messer grob zerkleinert, es entstehen ungleiche Stücke, es besteht noch Unsicherheit bei der Handhabung des Messers.

2 Feinkoordination: Eine Karotte wird exakt zerkleinert, das Messer wird routiniert benutzt.

3 Stabilisierende Feinkoordination: Auch andere Gemüsesorten werden exakt zerkleinert.

Beispiel für motorisches, manuelles Lernen: Zutaten für Zopf bereitstellen (Mehl abwiegen, Wasser abmessen usw.), Teig kneten, Zopf formen und dabei Routine entwickeln.

Analytisch-verstehendes Lernen – Lernen durch Fragen, Erläutern, Zerlegen und Vergleichen: Dieser Ansatz gehört zu den kognitivistischen Lerntheorien und beinhaltet auch Begriffs- und Regellernen.

Beispiel für analytisch-verstehendes Lernen: Zopf mit und ohne Ei bestrichen backen und die verschiedenen Resultate vergleichen (Zopf glänzt, glänzt nicht)

Eidetisches, mentales Lernen – Lernen durch Vorstellen und Nachdenken: Dieser Zugang ist rein kognitiv. Angeleitet durch Fragen, Diskussionen und Nachdenken werden Erkenntnisse gewonnen.

Beispiel für eidetisches, mentales Lernen: Wie muss die Arbeitsorganisation aussehen, dass der selbst gebackene Zopf rechtzeitig zum geplanten Brunch auf der Wohngruppe essbereit ist?

Emotional-affektives Lernen – Lernen durch Erleben und Erfühlen: Dieser Zugang gehört zu den sozialen Lerntheorien – durch Erlebnisse werden Lernerkenntnisse emotional eingebettet.

Beispiel für emotional-affektives Lernen: Die Klient*innen besuchen einen Bauernhof und beschäftigen sich damit, woher die Eier für den Zopf stammen. Sie sehen die Hühner und dürfen selbst Eier einsammeln. Dieses Erlebnis ermöglicht einen anderen emotionalen Bezug, als wenn sie die Eier einfach im Laden kaufen.

Sozial-affektives Lernen – Lernen durch gemeinsames Handeln, Reflektieren und Erleben: Auch dieser Zugang gehört zu den sozialen Lerntheorien. Gemeinsames Handeln in der Gruppe, sich als Team erleben, aber auch etwas für jemanden anderen tun ermöglichen viele soziale Erfahrungen, die in den Alltag integriert und für diesen genutzt werden können.

Beispiel für sozial-affektives Lernen: Gemeinsam einen Zopf backen, gemeinsam am Frühstückstisch den Zopf geniessen, Ideen für Zopfvarianten entwickeln (Speckzopf, Rosinenzopf, Zimtzopf usw.).

Schritt 6: Analyse und Konklusion durchführen

Analysieren Sie die Ausgangslage für die Lernsituation: Beziehen Sie lebensweltliche Fragen Ihrer Klient*innen mit ein und klären Sie die individuellen Voraussetzungen bezüglich Kenntnissen, Fertigkeiten und Teilkompetenzen, die Ihre Klient*innen mitbringen und auf denen sie aufbauen können. Nehmen Sie eine lösungsorientierte Haltung ein und fokussieren Sie auf vorhandene Stärken. Diese Analyse bildet die Basis für Schritt 7, die Sequenzierung.

Schritt 7: Sequenzierung gestalten


Abbildung 2: Visualisierung der unterschiedlich grossen Lernstufen bei gleichem Ziel (eigene Darstellung, R. Luginbühl)

Wichtig ist, dass Sie Lernschritte in geeigneten Lernstufen schaffen. Diese Lernstufen können, wie auf dem Bild ersichtlich, unterschiedlich sein. Die eine Treppe zeigt kurze, steile Stufen, die schnell aufeinander folgen. Die Stufen der anderen Treppen sind weniger steil und viel länger – bis das Lernziel, hier symbolisch oben an der Treppe, erreicht wird, braucht die lernende Person also wesentlich länger. Das heisst: Sie definieren einzelnen Lernschritte und stellen sicher, dass Ihre Klient*innen diese erreichen können. Wir gross die einzelnen Stufen sind, ist individuell verschieden und hängt von den Kompetenzen der Klient*innen ab. Ebenso individuell ist der Einsatz der einzelnen Lernzugänge. Es kann sein, dass Sie einer fitten Jugendlichen etwas in wenigen Schritten erklären können (kognitive Lerntheorie) und sie das Gehörte gleich umsetzt. Es kann aber auch sein, dass sie einen Lernschritt mit einem Klienten lange einüben müssen (behavioristischer Zugang), bis der nächste erfolgen kann. Die Aufgabenstellung für die einzelnen Lernschritte muss allenfalls auch sprachlich angepasst werden, sodass die Klient*innen mit einer Textanleitung, mit Piktogrammen oder mit einem Audiozugang arbeiten können. Die richtige Sequenzierung ist demnach die Hauptarbeit bei der Planung von Lernsituationen.

Wir geben Ihnen in der Folge auf S. 34–35 ein Beispiel, wie eine spezifisch gestalteten Lernsituation aussehen kann. Natürlich werden Sie mit zunehmender Routine und Praxis auch mehr Übung im Erkennen, Durchdenken und Gestalten von Lernsituationen erlangen. Eine schriftliche Planung wird nicht immer nötig sein, aber die strukturierte Vorgehensweise hilft Ihnen, dass Sie sich der Komplexität der Lernsituationen bewusst werden und für Ihre Klient*innen passende Lernschritte finden.

Schritt 8: Lernsituation reflektieren

Evaluation und Reflexion sind wichtige Teile eines Lernprozesses. Es geht darum, immer wieder den Blick auf Lernerfolge zu legen und gemeinsam neue, weitere Lernschritte zu finden. Stellt sich ein Lernschritt als zu gross heraus oder verändern sich die Rahmenbedingungen, muss das Lernsetting angepasst werden. Auch die selbstkritische Reflexion der Berufsfachleute ist wichtig: Was hat sich weshalb bewährt? Was war handlungsleitend? Gibt es Aspekte, die angepasst werden sollten? In der Alltagsrealität kommt es immer wieder zu unerwarteten Situationen, Störungen oder Änderungen der Kontexte. Versuchen Sie den «roten Faden» nicht zu verlieren und trotzdem agil und pragmatisch zu bleiben. Im Sinne der Lösungsorientierung geht es oft auch darum auszutesten, was funktioniert, und dort Schritt für Schritt anzuknüpfen. Klappt etwas nicht, dann beharren Sie nicht darauf, sondern orientieren Sie sich am Motto von Steve de Shazer: «Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon. Wenn das, was du tust, nicht funktioniert, dann mach etwas anders.» Wesentlich ist, dass die Alltagsarbeiten möglichst positive Emotionen hervorrufen und nicht in Frust enden. Und manchmal müssen die Berufsfachleute ihre eigenen Ansprüche drosseln, ganz nach der Devise: «Wenn es keine perfekte Lösung gibt, nehme ich von den schlechteren die Beste.» Würdigen und feiern Sie Erfolge mit den Klient*innen, aber auch im Team, und betrachten Sie Misserfolge nicht als Versagen, sondern als Rückmeldung, was neu und anders angegangen werden könnte.

Beispiel einer spezifisch gestalteten Lernsituation

Sie arbeiten in einer stationären Einrichtung für Kinder aus prekären Familienverhältnissen. Die Institution hat eine zentrale Küche. Die Kinder auf Ihrer Gruppe beklagen sich oft über das Essen, das ihnen nicht schmeckt. Food Waste ist auf Ihrer Gruppe ein Thema, die Kinder werfen Essen schnell weg.


Vorgehen zum Planen einer spezifisch gestalteten Lernsituation
1 . Grundhaltung reflektieren: Es ist für Kinder wichtig, dass sie die Wertigkeit von Lebensmitteln erfahren. Indem sie selbst mit Lebensmitteln arbeiten, reflektieren sie ihren Umgang mit Lebensmitteln. Konkrete, sichtbare Resultate erhöhen die Motivation. Auch kleine Kinder können, wenn gut sequenziert, einen ganzen Arbeitsablauf lernen.
2 . Lernfelder erkennen: Es gibt eine eingerichtete Küche mit Backofen. Am Freitagnachmittag sind die Kinder auf der Gruppe, bevor sie am Samstagmorgen für das Wochenende abreisen. Es gibt ein kleines Budget für Gruppenaktivitäten.
3 . Lernsituation auswählen: Brot backen mit Kindern im Vorschulalter, Gruppengrösse: 4–6 Kinder. Richtziel: Am Beispiel Brotbacken lernen die Kinder den respektvollen Umgang mit Lebensmitteln. Sie können zudem mit dem Brot am Wochenende ihre Familien überraschen Kompetenztraining: in einer Gruppe arbeiten, einen Ablauf planen und überblicken, motorische Fähigkeiten erweitern, nachdenken, erläutern, Prüfen und Vertreten von Werten und Normen in Bezug auf Lebensmittel
4 . Fachkompetenz sichern: – Kenntnisse über das Brotbacken inkl. Kenntnisse im Umgang mit Hefeteig, – Kenntnisse der Hygienegrundsätze, – Kenntnisse über die Arbeitsplatzorganisation einer Küche, – Kenntnisse über Unfallprävention.
5. Lernzugänge abrufen: Als Lernzugänge für die Gruppe eignen sich: – sensorisches Lernen, – observatives Lernen, – motorisches, manuelles Lernen, – analytisch-verstehendes Lernen, – sozial-affektives Lernen.
6. Analyse und Konklusion durchführen: Brotbacken ist für alle Kinder etwas Neues. Es gibt aber zwei Kinder, die sich sehr für Naturwissenschaften interessieren; sie könnten animiert werden, das Hefe-Experiment* mithilfe von YouTube-Anleitungen durchzuführen.
7 . Sequenzierung gestalten: Planung der einzelnen Lernstufen
Inhalte Anregungen
Lernschritt 1: Die Zutaten für ein Brot kennenlernen
1.1. Zutaten benennen Repetieren Sie in spielerischer Form das Erlernte (z.B. Rätsel, Quiz).
Lernschritt 2: Die Vorbereitungsarbeiten verrichten
2.1. Hände waschen 2.2. Schürze anziehen 2.3. Zutaten/Hilfsmittel bereitlegen 2.4. Arbeitsplätze zuteilen Achten Sie darauf, dass jedes Kind seinen Arbeitsplatz hat und dieser passend ausgestaltet ist (z.B. gute Tischhöhe).
Lernschritt 3: Einen Brotteig herstellen
3.1. Rezept verstehen 3.2. Hefe verarbeiten 3.3. Teig herstellen (rühren, kneten) 3.4. Teig aufgehen lassen Visualisieren Sie das Rezept (z.B. Bildfolge mit Fotos/Piktogrammen). Erklären Sie den Kindern, wie man Hefe verarbeiten muss, machen Sie eventuell vorgängig ein Experiment zur Funktionsweise der Hefe.*
Lernschritt 4: Ein Brot backen
4.1. Backofen vorheizen 4.2. Brot formen 4.3. Zeit überwachen 4.4. Brot abkühlen lassen Stellen Sie Verhaltensregeln für den Umgang mit dem heissen Ofen auf und visualisieren Sie diese z.B. mit einem Stopp-Plakat. Setzen Sie alternative Methoden zur Zeitmessung ein, falls die Kinder die Uhr noch nicht kennen, z.B. einen Wecker.
8 . Lernsituation reflektieren: Reflexion Berufsfachperson: Wie gut wurde das Ergebnisziel erreicht? Wie gut das Prozessziel? Welche Beobachtungen haben Sie in Bezug auf die Gruppendynamik gemacht? Konnten die Kinder gleichermassen von den Lernchancen profitieren oder braucht es künftig eine stärkere Diversifizierung der Aufgaben? Reflexion mit den Kindern: Wie war die Stimmung in der Gruppe? Hat mir/uns die Aufgabe Spass gemacht? Wie gut hat das Brot geschmeckt? Hat sich die Familie am Wochenende über das mitgebrachte Brot gefreut? Gibt es Ideen, was ich/wir ein nächstes Mal anders machen können? Was sollen wir so beibehalten? Wer weiss noch, wie man genau ein Brot macht?

*Hefe-Experiment

Nehmen sie zwei kleine Pet-Flaschen und füllen sie in jede Flasche eine kleine Menge «Brotteig»: Einmal mischen Sie 1 EL Mehl, 1 TL Zucker und ein halbes Päckchen Trockenhefe mit 1 dl Wasser, einmal machen Sie denselben Teig ohne Hefe. Bei Bedarf können Sie zum Abfüllen einen kleinen Trichter benutzen. Setzen Sie jetzt jeweils einen Ballon auf den Flaschenhals der beiden Flaschen und lassen Sie diese für 15 Minuten bei Zimmertemperatur stehen. Schon nach kurzer Zeit können Sie mit Ihren Klient*innen beobachten, wie sich der eine Ballon wegen der Gasbildung aufbläht – die Wirkung der Hefe wurde visualisiert.