Loe raamatut: «DER KELTISCHE FLUCH», lehekülg 6

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„Nun kann er seinen Mut unter Beweis stellen“, antwortete Toromic und wechselte das Thema. „Über was haben die Edlen gesprochen, als du das Versammlungshaus betreten hast?“

„Als ich mit Turumir das Versammlungshaus betrat, wägte Novoronix wieder einmal lautstark die Gründe für die Wahl eines Nachfolgers ab. Natürlich, so sagte er, nur für den Fall, dass du sterben könntest und nur zur Sicherheit. Matoluric drängte ihn anschließend in die Enge, indem er ihn fragte, wer denn seiner Meinung nach für deinen Rang in Betracht käme. Der Hund wand sich aber wie stets aus der Schlinge, indem er sagte, dass du das selbst bestimmen müsstest. Ich stellte ihn dann vor allen bloß, indem ich ihn lediglich zwei Männer für den Ritt auswählen ließ. Alle übrigen bestimmte ich.“

„Sehr gut“, lobte Toromic. „Also wieder Novoronix. Haben noch andere Edle gegen mich gesprochen?“, fragte er.

„Nein“, antwortete Borix. „Ich glaube, dass er mit seiner Familie und seinem Gefolge so gut wie alleine im Clan steht. Die übrigen Edlen sind dir treu ergeben. Wenn du dir also überhaupt Sorgen machen solltest, dann wegen Novoronix.“

Wenn du wüsstest, welch` schlimme Sorgen mich in letzter Zeit bedrücken, würdest du die Fehde mit Novoronix sofort vergessen, dachte Toromic bitter.

„Wir werden schon mit ihm fertig“, sagte er laut. „Und nun lass` uns ans Tor gehen und die Reiter verabschieden. Ich habe ihnen noch eine Menge mit auf den Weg zu geben.“

Borix nickte verwundert. Heute Nacht wurde er nicht schlau aus seinem Freund. Seine Launen schienen sich ständig zu ändern.

Er zuckte die Schultern und erhob sich.

Reiter im Morgengrauen

Noch lag das Dorf der Selgovater in finsterer Nacht.

In der Nähe des Tores drängten sich, vom Schein einiger Fackeln gespenstisch beleuchtet, Menschen und Tiere zusammen.

Es waren die auserwählten Boten, die mit ihren Pferden für den Ritt bereit standen. Felle waren über die Rücken der Tiere geworfen worden, auf denen entweder die vierknaufigen Reitsättel oder aber die Vorräte für die Reise festgezurrt waren. Die Reiter waren schwer bewaffnet. Obwohl sie schnell sein mussten, wollte keiner von ihnen das Risiko eingehen, im Ernstfall nicht alles getan zu haben, um sich verteidigen zu können. Sie waren in dicke Kleidung gehüllt, doch machte den meisten von ihnen die innerliche Kälte mehr zu schaffen als der Frost. Mit finsteren Mienen sahen sie in die Nacht hinaus.

Der Jüngling Banastier war nervös und erregt zugleich. Er hatte Angst vor dem gefährlichen Ritt, doch andererseits konnte er endlich beweisen, was in ihm steckte. Sollte er den Ritt überleben, würde er als Krieger in sein Dorf zurückkehren, und das war sein einziges Ziel. Kurz zuvor hatte er Lug, dem höchsten Gott der Selgovater, auf seinem Hausaltar Met und Fleisch geopfert. So hoffte er, den Schutz des Gottes zu erlangen.

Er legte die Faust um den Griff seines Schwertes, zog es ein Stück aus der Scheide und strich mit der anderen Hand über die Waffe. Die Kälte der Klinge machte ihm Mut. Sollten die Gefahren nur kommen - er würde sie alle zu bestehen wissen!

Es war zwar noch vollkommen dunkel, doch konnte es bis Tagesanbruch nicht mehr lange dauern. Erste Nebelschleier zogen über den Boden und verdichteten sich. Plötzlich stieß einer der Männer einen Ruf aus, und sofort verstummten die leisen Gespräche unter den Reitern. Zwei Schatten bewegten sich zwischen den Umrissen der Hütten, aus dem Nebel heraus, auf die Wartenden zu. Augenblicke später traten Toromic und Borix in den Schein der Fackeln.

„Die Reiter sind bereit“, begrüßte Cymoc, der älteste und erfahrenste der Männer, den Häuptling.

Toromic blieb stehen und ließ seinen Blick prüfend über die Boten gleiten: „Männer, ihr werdet euch auf die Suche nach den Derwydd begeben!“

Die Boten sahen sich überrascht an. Unterdrückte Flüche waren zu hören.

Toromic ignorierte die Furcht der Männer.

„Es spielt keine Rolle, welcher Kaste die Eichenkundigen angehören. Solltet ihr auf einen Cruitire, einen Harfenspieler, stoßen, ist das gut. Diese Druiden beherrschen die Kunst, Menschen mit ihrer Musik zu bezaubern. Sie können einen Mann durch das Spielen ihres Instruments zum Weinen oder zum Lachen bringen, sogar Schlaf und Tod mit der Magie ihrer Melodien bewirken.“

Die Männer nickten sich zu, davon hatten sie alle gehört.

„Findet ihr einen Degobaire, so soll es euer Vorteil sein. Sie sind die Kenner berauschender Pflanzen. Vielleicht bedarf es einer solchen Mixtur, meinen Bruder wiederzuerwecken. Einen Liaig halte ich für die beste Wahl. Die Kaste dieser Derwydd vereint die Künste eines Körper- und Seelenheilers mit denen der Magie. Sie können Brüche richten und mit dem Messer schneiden, aber auch die Numina, die großen Kräfte der Geister, anrufen und beschwören.“

Die Männer nickten eifrig.

„Findet ihr keine Angehörigen dieser Kasten, so sucht nach den Vates, den Sehern, denen ja auch mein Bruder angehört. Sie könnten uns weissagen, was geschehen wird oder aber Kontakt zu Tarcic aufnehmen.“

Toromic machte eine gewichtige Pause. Jetzt würde sich zeigen, wie treu ihm seine Männer wirklich ergeben waren.

„Auch die Caintes könnten helfen ... “

Erregte Rufe wurden laut. Die Männer schlugen vor ihre Brustplatten und formten Abwehrzeichen gegen böse Geister. Die Kaste der Caintes war gefürchtet. Diese Druiden galten als Meister der Verwünschungen und wurden, obwohl sie auch Segenssprüche und magische Gesänge beherrschten, gemieden.

Toromic hob beschwichtigend die Hände. „Ihr dürft keine Furcht haben. Nur die Derwydd können uns helfen. Ihr sucht also auch nach den Caintes, wenn ihr keine Derwydd der anderen Kasten ausfindig machen könnt. Sie sind zwar gefährlich, doch bin ich mir sicher, dass sie uns helfen werden, wenn ihr ihnen unsere Lage schildert. Wir müssen alles tun, um meinen Bruder zu erwecken oder wenigstens zu erfahren, was hier vor sich geht. Sagt den übrigen Häuptlingen, dass ich erwäge, einen Rachefeldzug zu unternehmen. Sie sollen die Augen offen halten und wachsam sein. Ich will nicht, dass wir von unseren eigenen Stammesbrüdern irrtümlich angegriffen werden.“

Die Männer nickten erstaunt.

Ein Rachefeldzug, das klang nach großen Taten.

Toromic fuhr fort: „Cymoc und Todonmacus. Ihr reitet nach Melavoc, zu den Brigantern. Richtet König Odoaker und meiner Schwester, Lunicca, Grüße aus und macht sie mit unserem Anliegen vertraut. Amnic, du reitest zu unseren Nachbarn, den Dumnoiern. Ufatar, dein Weg führt dich zu den Vanutern. Cetonac, reite zu den Novantaern, und Tectonix soll zu den Vuniern gehen.“

Er wandte sich an den einzigen der Männer, der noch nicht in den Stand des Kriegers aufgenommen war: „Banastier, du reitest zu den Votadinern.“ Er grinste. „Sei vorsichtig, sie sind die streitbarsten Krieger, die ich kenne.“

Die Männer lachten.

Toromic wandte sich an den verbliebenen Boten: „Onurovic, dein Ziel sind die Bibrakter.“

Er sah die Männer der Reihe nach noch einmal an, dann hob er die Hand: „Und nun macht euch auf den Weg. Möge Lug euch beschützen!“

Die Krieger begleiteten ihre Clanbrüder zum Tor. Toromic beobachtete das Abschiednehmen. Er sah den Boten nach, die, umringt von den übrigen Kriegern, einer nach dem anderen ihre Pferde in Richtung Haupttor führten. Unterarme wurden gedrückt, leichte Knüffe und scherzhafte Reden wurden ausgetauscht, und kurze Umarmungen waren geduldet. Wer wusste schon, ob man den Sohn, Freund, Vetter oder Onkel in dieser Welt noch einmal wiedersehen würde. Der Tod war allgegenwärtig im rauen Leben der Clans, der Umgang mit ihm traurige Gewohnheit.

Toromic folgte den Männern zum Tor und sah den Reitern zu, wie sie aufsaßen und ihre Tiere durch das offen stehende Portal lenkten.

Im ersten, nun einsetzenden, fahlen Licht der Morgendämmerung wurden die Boten bereits wenige Meter vom Wall entfernt zu grauen Schatten. Als auch der letzte von ihnen in den Frühnebeln, die vom Fluss heraufzogen, verschwunden war, rief Toromic die verbliebenen Männer zur Versammlung am Mittag dieses Tages auf. Er wusste, dass die Krieger es trotz ihrer Müdigkeit kaum noch erwarten konnten, dass endlich etwas geschah.

Das Tor wurde wieder geschlossen, die Wachen bezogen ihre Posten auf dem Wall, und die Menge verteilte sich.

Toromic wartete noch eine Weile, und endlich kam Borix mit den beiden letzten Auserwählten. Der erfahrene Krieger Nerugalic und der junge Krieger Onhir führten ihre Pferde heran. Beide Männer waren aus Toromics Gefolge. Sie sollten eine ganz besondere Aufgabe erfüllen. Toromic weihte sie in ihren Auftrag ein und verabschiedete sie wesentlich unauffälliger als ihre Kameraden.

Als auch sie fort waren, sah Toromic Borix erschöpft an.

„Und nun, mein Freund, geleite mich zu meinem Heim. Ich will den Morgen zum Schlafen nutzen, denn ich muss bei Kräften sein, wenn ich die Krieger heute in meinen Plan einweihe. Nimm` noch einen Trunk mit mir, und dann lass` uns endlich schlafen gehen.“

Gerade wollte er sich in Bewegung setzen, als ihm einfiel.

„Ich sollte noch einmal nach Tarcic sehen ...“

Borix legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.

„Ich werde später noch einmal nach ihm sehen.“

Toromic nickte. „So lass` uns gehen“

Anderswelt

Helwed saß an Tarcics Lager. In den letzten Stunden war der Bruder des Toromic öfter unruhig geworden und hatte undeutlich vor sich hingesprochen. Helwed versuchte dem Gemurmel etwas zu entnehmen, doch sie verstand kein einziges Wort. Nachdem Toromic gegangen war, hatte sie sich von den Wachen einige ihrer Kräuter bringen lassen und Boudina eine Botschaft geschickt. Anschließend hatte sie versucht, sich in Trance zu versetzten, um mit seinem Geist Kontakt aufzunehmen. Doch sie war noch viel zu erschöpft von den Vorgängen der Zeremonie. Es wollte ihr nicht gelingen. Sie sah auf ihn nieder. Wo mag sich sein Geist nur aufhalten? fragte sie sich zum wiederholten Mal. Sie sah auf sein zuckendes Gesicht hinab, ergriff seine Hand und versuchte ihm auf diese Art ein wenig Trost zu spenden. Vielleicht kann er es ja spüren? dachte sie zweifelnd. Helwed konnte nicht ahnen, wie weit Tarcics Seele entfernt war ...

... Tarcic drehte sich im Kreis und versuchte zu erkennen, wo er sich befand. Dunkle Gestalten bewegten sich am Rand seines Gesichtsfeldes. Seltsame Laute drangen an seine Ohren. Wütend fuhr er sich mit der Hand über die Augen, denn irgendetwas schien nicht mit ihnen zu stimmen. Er konnte nichts Deutliches um sich herum erkennen.

Was geschieht hier? fragte er sich. Er sah auf seine Hand hinab und bemerkte, dass er ein Schwert umklammert hielt.

Wenigstens bin ich bewaffnet, dachte er erleichtert, so kann ich ehrenvoll sterben, wenn es zum Kampf kommt!

Da erklang wieder einer dieser unnatürlichen, bedrohlichen Schreie. Tarcic zuckte zusammen und hob das Schwert. Er sah eine Gestalt auf sich zuschießen, schemenhaft, undeutlich, unglaublich schnell.

„Los doch“, rief er wütend, „lass` uns kämpfen, wer auch immer du sein magst!“

Genauso schnell, wie der Schatten aufgetaucht war, zog er sich wieder zurück. Tarcic war überrascht. Sie flohen vor ihm?!

Er fasste neuen Mut. Ein Sohn des Lug verstand zu kämpfen, das würden diese Kreaturen jetzt zu spüren bekommen.

Er lief vorwärts. Doch die Schatten wichen vor ihm zurück.

Ratlos blieb er stehen. Er stand in einer nebelumfluteten Leere.

Wie lange war er schon an diesem Ort? Was bei allen Göttern geschah hier? Er wusste es nicht.

Alles war seltsam und unwirklich ...

Tod den Caledoniern

Die Mittagssonne bemühte sich vergeblich, die Wolkenmassen zu durchdringen, die den Himmel über dem Land der Selgovater bedeckten. Der Tag war kalt und grau und schien die Wildnis um das Dorf nicht richtig erwachen lassen zu wollen. Borix hatte Toromic erst zu dieser späten Stunde geweckt. Sie waren zu Tarcic gegangen, um zu erfahren, ob sich sein Zustand verbessert hatte. Doch anstatt positiver Nachrichten mussten sie sich die Klagen der alten, völlig übermüdeten Helwed anhören, die darum bat, endlich nach Hause gehen zu dürfen. Toromic gewährte ihr Ruhe, teilte ihr aber im selben Atemzug mit, dass sie von nun an jede Nacht am Lager seines Bruders wachen solle. Gesenkten Hauptes hatte sich das Kräuterweib entfernt.

Nun befanden sich Borix und er auf dem Weg zum Versammlungshaus.

Als sie den großen Rundbau betraten, schlug ihnen eine merkwürdige Atmosphäre entgegen. Die Edlen, die Unterführer und die Gefolge hatten sich bereits versammelt und standen oder saßen in Gruppen herum. Auch viele Frauen waren gekommen, um nicht den weiteren Fortgang der Ereignisse zu versäumen. Es musste viel geredet und beratschlagt worden sein, denn die Gesichter der Anwesenden sahen angespannt aus.

Toromic ging auf seinen Sitz hinter der Feuerstelle zu und ließ sich nieder. Borix tat es ihm gleich, und nun begannen auch die übrigen Krieger, sich auf ihre Plätze zu begeben. Als alle saßen und Ruhe eingekehrt war, erhob sich Toromic und breitete die Arme aus.

„Krieger der Selgovater, ich eröffne die Versammlung.“

Borix erhob sich und sprach die Worte, wie es der Brauch verlangte. „Der Ri wird uns berichten.“

Toromic begann.

„Nach der Beschwörung letzte Nacht war ich bei meinem Bruder. Er ist seitdem nicht mehr erwacht.“

Raunen zog durch die Menge.

„Er ist nicht tot oder wahnsinnig geworden, wie viele von euch geglaubt haben mögen, sondern er ist einfach nicht mehr erwacht. Er isst und trinkt, er redet unverständliche Dinge, und gestern Nacht wurde er zweimal tobsüchtig. Danach verfiel er wieder in seinen Dämmerzustand.“

Toromic machte eine kurze Pause und holte tief Luft.

„Wir müssen also ohne die Hellsicht des Vates, ohne den Rat unseres heiligen Mannes, auskommen und entscheiden, was zu tun ist. Doch bevor wir darüber beratschlagen, will ich euch davon berichten, was sich im Morgengrauen des heutigen Tages zugetragen hat: Heute Morgen, kurz vor der Geburt des Tages, schickte ich Späher aus - zehn Mann an der Zahl - um nach den Derwydd zu suchen. Ich schickte einige zu Odoakar, dem König der Briganter im Süden, andere zu den Votadiner im äußersten Norden unseres Stammesgebietes und einige auch bis zu den verborgenen Inseln. Zehn Tapfere zogen los.“

Die Männer sahen ihn gespannt an.

„Die Boten sind auf ihrem Weg. Nun ist es an uns, unsere Pflicht zu erfüllen“, rief er den Versammelten zu.

Die Edlen und Krieger sahen sich verwundert an. Was meinte der Häuptling? Auch Borix, Turumir und die übrigen Männer von Toromics Gefolge waren von der unerwarteten Aufforderung überrascht.

„Wovon sprichst du?“ rief einer der Edlen.

Toromic blickte düster in die Runde.

„Ich hielt die Jagd für ein schlechtes Vorzeichen, ein böses Omen. Aus diesem Grund ließ ich meinen Bruder die Runen lesen. Jetzt weiß ich, was ihm gestern widerfuhr, denn er hat mich wiederholt vor dieser Möglichkeit gewarnt.“

Die Männer sahen ihn gespannt an.

Toromic breitete die Arme aus und verkündete theatralisch: „Die Caledonier haben einen bösen Zauber gegen unseren heiligen Mann bewirkt!“

Zustimmendes Gemurmel lief durch die Reihen der Männer, viele nickten. Das klang wahrscheinlich.

„Nichts anderes kommt in Frage, denn Tarcic sagte mir, dass so etwas geschehen könne“, log Toromic abermals.

Flüche und laute Rufe unterbrachen ihn.

„Du hast recht, warum sind wir noch nicht selbst darauf gekommen?!“ rief der hohe Tagoloc.

Auch andere Edle nickten und forderten lauthals Rache. „Wir müssen sie bestrafen!“

Toromic wusste, wie leicht man seine Clangenossen zum Krieg anstacheln konnte. Er goss weiteres Öl ins Feuer.

„Sie haben nicht nur unseren heiligen Mann verhext, nein, sie haben uns, unsere Ahnen, ja selbst unsere Götter geschmäht. Von blanker Verachtung zeugt ihre Tat!“

Seine Worte brachten endlich die beabsichtigte Wirkung.

Mit wutverzerrten Gesichtern zogen die Männer ihre Waffen und brüllten ihm entgegen: „Tod den Feinden!“

„So ist es entschieden“, stimmte Toromic mit ein, „Tod den Caledoniern!“

„Ja, Tod den Caledoniern!“ brüllten die Männer.

„Mögen die Götter uns den Sieg schenken!“

Wilder Schlachtengesang setzte ein, und viele Krieger zogen ihre Dolche und fügten sich kleine Wunden zu, um mit ihrem zu Boden tropfenden Blut die Entscheidung zu besiegeln.

„Ehre sei den Göttern, Tod den Feinden!“ schallte es durch das Versammlungshaus.

„Hörst du es?“

Boudina stand am Eingang der Hütte und lauschte dem Gebrüll der Männer. Helwed drehte sich auf ihrem Lager um. „Lass mich schlafen, ich bin völlig erschöpft“, murrte sie.

Boudina schwieg einen Augenblick, dann kam sie an die Bettstatt. „Du hast ihn doch gesehen, wie sah er aus?“

„Mmmh?“ Helwed war bereits fast eingeschlafen.

„Tarcic“, bohrte ihre Tochter weiter. „Du hast doch die ganze Nacht an seinem Lager gewacht. Wie sah er aus?“

Ihre Mutter murmelte: „Wie ein ohnmächtiger Mann eben aussieht. Ohnmächtig.“ Sie begann schwer zu atmen.

„Mutter?“

„Was?!“

„Darf ich ihn sehen?“

Helwed setzte sich auf, fasste ihre Tochter an den Schultern und rüttelte sie kräftig durch. „Nein, das darfst du nicht, du einfältiges Dummchen!“

Boudina zuckte erschrocken zurück.

„Und nun lass` mich endlich schlafen!“

Wütend drehte sich ihre Mutter zur Rückwand der Hütte und zog die Decke über ihren Kopf.

Boudina erhob sich, ging zum Eingang der Hütte und lauschte abermals dem Stimmgewirr, das aus dem Versammlungshaus herüberdrang. Sie würde warten, bis ihre Mutter wach war, und dann, das schwor sie sich, würde sie sie überreden.

Als der Abend anbrach, weckte sie Helwed vorsichtig. Ihre Mutter war noch erschöpft, aber ihre Laune schien besser zu sein als am Mittag. Erst schwatzte sie ungezwungen mit ihrer Tochter, doch als Boudina ihr eine warme Ziegenmilch ans Lager brachte und von dem schlechten Wetter redete, das ihr den ganzen Tag verdorben habe, sah sie misstrauisch auf.

„Du glaubst, ich hätte über den Schlaf vergessen, was du mich vorhin gefragt hast“, stellte sie fest.

Boudina sah sie überrascht an, dann brach die mühsam zurückgehaltene Ungeduld aus ihr heraus: „Ach Mutter, du weißt doch, wie sehr ich ihn liebe. Lass` mich nur kurz zu ihm.“

Sie ergriff die Hände ihrer Mutter und sah sie bittend an.

Die erwiderte den Blick und sagte ruhig: „Du weißt noch nicht, was Liebe zu einem Mann bedeutet, und du kennst ihn nicht von Angesicht zu Angesicht. Wie kannst du da behaupten, ihn zu lieben?“

Boudina blickte zu Boden. Einen Augenblick dachte sie daran, aufzugeben. Doch dann hob sie ihren Kopf und sah ihre Mutter mit einem Blick an, der diese zurückzucken ließ.

„Glaube mir, Mutter, ich liebe ihn!“

Helwed wankte. „Ich überlege es mir ...“

„Danke!“

Bevor Helwed reagieren konnte, hatte Boudina sie umarmt, ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt, und tanzte nun ausgelassen durch die Hütte.

„Ich habe noch nicht zugestimmt“, sagte Helwed nachdrücklich, doch beiden war klar, dass die Entscheidung gefallen war.

Opfer für die Götter

Unmittelbar nach der Abstimmung über den Kriegszug hatte die Versammlung beschlossen, ein großes Opfer darzubringen, um die Götter für das Vorhaben gnädig zu stimmen.

Am frühen Nachmittag setzte sich eine bunte Prozession vom Tor des Dorfes aus in Richtung des in der Nähe der Siedlung auf einem Hügel gelegenen Clanheiligtums in Bewegung. Angeführt wurde die feiernde Menge von Toromic, der auf einem mit Zeremonienschilden behangenen Streitwagen voranfuhr. Wie immer stand Borix als sein Wagenlenker neben ihm. Hinter ihnen ritt die Leibgarde des Häuptlings, bestehend aus Turumir, Cassatr und dem Rest seines Gefolges.

Einer der zu Fuß gehenden Krieger trug ein großes Zeremonienhorn, ein Carnyx, dessen Oberteil wie der Kopf eines Pferdes geformt war. Sein hoher, klarer Ton durchdrang die Luft und wurde vom dumpfen Klang der Totentrommeln begleitet, die einige der Krieger vor sich hertrugen. Dem alten Unterführer Matoluric und seinem Gefolge war die große Ehre zuteil geworden, den Opferwagen schmücken und begleiten zu dürfen. Dahinter folgte der Rest des Clans, in dem auch Novoronix und seine Männer zähneknirschend mitzogen.

Eiskalter Wind schlug den Menschen in die Gesichter, und die Sonne ließ sich nur als hellgraue Scheibe hinter den dräuenden Wolkenmassen, die den Himmel verhingen, ausmachen.

Auf dem Opferwagen standen die drei dem Tode Geweihten. Es waren Sklaven. Sie hatten sich freiwillig dargeboten, denn sie erhofften sich ein besseres Leben in der anderen Welt. In diesem Leben gab es für sie nur Mühsal und Entbehrungen. Sie hatten reichlich vom dargebotenen Met und den berauschenden Kräutern gekostet, um den Übergang zu erleichtern.

Normalerweise entschieden ausschließlich die Derwydd über die Opferungen. Das Schicksal von gegnerischen Gefangenen, Verbrechern oder Sklaven lag in ihren Händen.

Doch dieses Mal war alles anders.

Da sein Volk drei Hauptgötter anbetete, hatte Toromic darauf bestanden, drei Männer zu opfern. Er wusste nicht, ob seine Wahl richtig war, denn nach welchen Regeln die Derwydd die Opfer bestimmten, war ihr Geheimnis. Ohne die Hilfe Tarcics konnte er nur hoffen.

Der Zug näherte sich dem Hügel des Nemetons, dem Clanheiligtum der Selgovater. Die Kultstätte bestand aus einer rechteckigen, wallartigen Umfriedung, die einen freien Platz, mehrere Opferschächte und einen kleinen Tempelrundbau, das Zentrum des heiligen Ortes, einrahmte.

Beim Anblick der Gestalten, die weithin sichtbar auf dem Holzwall des Nemetons Wache standen, wurde manchem Clanangehörigen unwohl zumute. Die heiligen Krieger standen dort Tag und Nacht, bei Wind und Wetter, das ganze Jahr über, ohne jemals zu frieren oder hungrig zu sein. Es waren die enthaupteten Leichen von Männern, die sich freiwillig dem Opfertod für die Götter gestellt hatten, um im Tod das Heiligtum bewachen zu dürfen. Ihre Körper hingen mit voller Bewaffnung, aufrecht an Pfähle gebunden, weithin sichtbar auf dem Wall. Kein Lebender würde es wagen, das Heiligtum zu entweihen und seine Schätze zu stehlen, solange sie dort standen.

Die Prozession zog durch das Tor, das einige Sklaven geöffnet hatten, und näherte sich dem Tempel, der sich auf der Mitte des Platzes erhob. Auf ein Zeichen Toromics hin schwärmten die Krieger fächerförmig über das Gelände aus und nahmen rund um das Heiligtum Aufstellung.

Der Opferwagen und der Rest der Menge waren stehengeblieben. Der Hornbläser und die Trommler, die beim Betreten der Stätte aufgehört hatten zu spielen, traten nun wieder vor und stimmten ein neues Lied an. Es war eine langsame, sonore Tonfolge, die von den Trommeln wuchtig untermalt wurde.

Die Krieger begannen unmerklich in einen rituellen Tanz zu verfallen - den Tanz des Lug. Die Köpfe gesenkt, die Speere leicht von sich gestreckt und die bunt bemalten Schilde hebend, tanzten sie mit kleinen Schritten vor und zurück. Leise besangen sie dabei die Gnade ihres höchsten Gottes, wie es seit Urzeiten getan wurde.

Toromic hatte die Arme ausgebreitet und begann die Anrufung:

„Wir sind gekommen, um zu geben, wir sind gekommen, um zu bitten, wir sind gekommen, um zu ehren. Großer Lug, Nachkomme der Tuatha De Dannan, Beschützer der Wege, Wilder Streiter, Zeuger unseres Volkes - dir wollen wir opfern!“

Die Männer tanzten schneller und schlugen zur Bekräftigung der Rede ihres Häuptlings mit ihren Speeren auf die Schilde.

„Cernunnos, Beschützer der Jagd, hirschgehörnter Herr der Wälder, Ehre sei dir und allen deinen Kindern!“

Toromic hielt kurz inne, denn der nächste Name wollte nur schwer über seine Lippen kommen.

„Balor, Vater der Fomore, Onkel des Lug, Herr des Todesblickes, Bezwinger der Fir Bolg und Herrscher über das Chaos, auch dir wollen wir opfern!“

Die Krieger brüllten nun ihre Zustimmung, und ihr Tanz wurde wilder. Toromic rief Matoluric zu, die Opfer in den Tempel zu schaffen. Während sein Befehl ausgeführt wurde, lösten sich die Edlen und Unterführer aus den Reihen der Tanzenden und begaben sich ebenfalls in das Heiligtum. Als alle darin verschwunden waren, folgte ihnen Toromic. Gebannt sahen ihm die übrigen Clangangehörigen nach. Nur die tanzenden Krieger beachteten ihn nicht. Sie befanden sich bereits in Trance und würden tanzen, bis die Opferung vollzogen war und die Götter diejenigen unter ihnen auserwählt hatten, die während des Kriegszuges Ruhm ernten sollten oder aber sterben mussten. Es war Schicksal, alles geschah nach dem Willen der Götter.

Schwer wie eine Last lag das Unwissen um die Opferzeremonie auf Toromics Schultern, während er durch den Gang des Tempels schritt. Weder er noch die übrigen Anführer wussten Genaues über die Rituale, die die Derwydd während der Opferungen vollzogen. Die heutige Zeremonie war lediglich dem äußeren Schein nach eine solche, denn niemand wusste, ob die Götter ohne die magischen Handlungen der Heiligen Männer gnädig sein würden.

Ganz zu schweigen von meinen Freveln, dachte Toromic niedergedrückt.

Er und die übrigen Anführer hatten beschlossen, die Opferung auf dieselbe Art durchzuführen, wie sie es viele Male zuvor mit angesehen hatten. Anschließend blieb nur noch zu hoffen.

Der Boden des Heiligtums war mit Steinplatten ausgelegt. In die breiten Holzpfähle, die die Wände stützten, waren Löcher geschlagen worden, in denen die einbalsamierten Schädel vieler Geopferter ihren Ehrenplatz erhalten hatten. Einige Talgfackeln spendeten düsteres Licht, während die Luft mit dem Geruch von Zedernöl und Kräutern angefüllt war.

Die Opfer waren inzwischen niedergekniet. Matoluric und zwei weitere Edle hatten hinter ihnen Aufstellung genommen.

Toromic und die übrigen Anführer summten leise den Gesang des Lug mit, der von draußen an ihre Ohren drang. Dann gab Toromic das Zeichen.

„Ehre dem Cernunnos!“.

„Ehre dem Lug!“

„Ehre dem Balor!“

Die Sklaven starben schnell.

Jetzt betraten zwei ältere Unfreie den Raum. Sie nahmen den Toten, den Riten entsprechend, die Schädel, um sie herzurichten.

Während sie sich an ihre Arbeit machten, verließen Toromic und die übrigen Edlen das Heiligtum. Jeweils zwei Männer trugen einen der Toten zwischen sich, die übrigen folgten gemessenen Schrittes.

Als die Gruppe aus der Dunkelheit des Nemetons in das Mittagslicht trat, begrüßte sie der Clan mit wilden Gesängen. Die Krieger, vom Tanz des Lug noch außer Atem, schlugen die Waffen vor die Schilde und brüllten die Namen der drei Götter, denen soeben Leben geschenkt worden war.

Toromic und sein kleines Gefolge gingen währenddessen zu einer der drei Opfergruben des Heiligtums. Dort blieben sie stehen und warfen die Körper in den Schacht. Mit dumpfem Schlag landeten die Leiber der Enthaupteten auf verbogenen Waffen, Schmuck und den Überresten früherer Opfer. Die Schächte wurden mit diesen schrecklichen Gaben stets bis zum Rand angefüllt, bevor sie schließlich versiegelt wurden.

Toromic hob, als Geschenk für die Freiwilligen und als Gabe an die Götter, einige goldene Reife weithin sichtbar über seinen Kopf. Er wartete einen Augenblick, damit alle sie sehen konnten, dann verbog er sie und warf sie in den Schacht.

Der Clan sang die Lieder der Ahnen, während sich Toromic und die Edlen von der Grube abwandten und das Heiligtum durch das Tor verließen. Weiter singend schloss sich der Rest des Clans den Führern an. Die Zeremonie war beendet. Nun war alles Schicksal.

Tasuta katkend on lõppenud.