Caroline

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Caroline, Amanda und Boris waren überwältigt von dem gesamten Ambiente.

Hinter der Milchglastür erstreckte sich ein langer und ziemlich breiter Flur. Der Fußboden war mit dem gleichen Marmor und den Teppichen wie die Eingangshalle verkleidet. Auch hier hingen riesige Lüster von der Decke und spendeten Licht. In einigen Metern Entfernung konnte man eine Art Kreuzung erkennen, in der offensichtlich die zwei Seitenflügel des Hauses auf den Hauptbau trafen. Bis dahin waren je drei Türen auf der linken und der rechten Seite auszumachen. Diese waren alle mit Messingschildern versehen, sodass die Art der Benutzung zu erkennen war. Links befanden sich ein Billardzimmer, ein Fernsehraum sowie ein Raum mit der Beschriftung „Kommunikation“. Wie sie von Sarah erfuhren, befanden sich dort zwei PCs mit Internetanschluss sowie ein Telefon für Gespräche nach draußen. Alle Bewohner von Kievets Hook House hatten eigene Anschlüsse. Die Gäste allerdings mussten sich das Telefon im Kommunikationsraum teilen. Das Telefon in der Vorhalle war, wie alle schwarzen Telefone im Haus, nur für interne Gespräche nutzbar.

Auf der rechten Seite des Flures befanden sich drei Arbeitszimmer. Als Benutzer waren nur die Vornamen Greg, Steven und Bea angegeben. Caroline konnte auch hier zwischen den Türen Halterungen für Fackeln erkennen.

Dann traten sie in die „Kreuzung“ ein. Zentral in diesem Raum stand ein großer runder Tisch aus poliertem Kirschholz. In der Mitte war eine Steinplatte eingelegt. Auf dieser waren im Kreis sechs Wappen angeordnet. Alle Wappen hatten eine grüne Umrandung. Ansonsten unterschieden sie sich extrem voneinander. Eines der Wappen kam Caroline bekannt vor.

„Das ist das Wappen meiner Familie“, rief sie überrascht aus. Amanda und Boris entdeckten ebenfalls ihre Familienwappen. Greta bejahte dies und verwies darauf, dass hier die tägliche Post am entsprechenden Wappen zur Abholung bereitgelegt werde. Auch Terminabsprachen und Mitteilungen innerhalb des Hauses würden hier hinterlegt. Sie wandten sich nach links und begaben sich durch eine weitere Milchglastür in den linken Seitenflügel. Dort gingen ebenfalls sechs verschiedene Türen ab. Hier allerdings trugen die Messingschilder andere Bezeichnungen.

„Also, Amanda bekommt das Zimmer der Kings, Boris das der Jatschecz und Caroline natürlich das der del Montelaros.“

Sarah öffnete die betreffenden Türen mit einem Schlüssel, den sie an den jeweiligen neuen Bewohner übergab. Caroline erkannte sofort das Wappen der del Montelaros über ihrer Tür.

Neugierig betrat sie das Zimmer und war angenehm überrascht. Der Raum war größer als sie angenommen hatte. An der rechten Wand stand ein riesiges Bett, direkt unter dem Fenster ein großer Schreibtisch. Der Kleiderschrank befand sich links von ihr. Alles war gemütlich eingerichtet. Neben dem Bett stand auf einem Tischchen das schwarze Telefon. An der Wand daneben hing ein Plan, auf dem die verschiedenen Zimmer und die entsprechenden Nummern verzeichnet waren. Neben den Räumen, die sie schon gesehen hatten, konnte man auch die Küche, den Chauffeur, den Notdienst für Reparaturen, das Dienstmädchenzimmer, die Bibliothek und den Speisesaal über die Telefonanlage erreichen.

An der linken Seite befand sich eine weitere Tür. Als Caroline diese öffnete, entdeckte sie, dass es hier sogar ein eigenes kleines Badezimmer für sie gab. Anders als ihr Zimmer war das Bad modern und praktisch eingerichtet. Neben dem Waschbecken und der Toilette gab es auch eine eigene Dusche. Alles war in einem sanften Blau gehalten und bildete den totalen Kontrast zum Gästezimmer, das vorwiegend durch feine Grüntöne dominiert wurde.

Caroline ging zurück in ihr Zimmer. Ein Blick aus dem Fenster ließ dank der brennenden Außenbeleuchtung einen riesigen Garten erahnen. Die dicken schwarzen Wolken hatten den gesamten Himmel verdunkelt und Caroline konnte erste Blitze zucken sehen. Sarah hatte wohl in der Zwischenzeit den Koffer auf das Bett gehievt, ihn geöffnet und war dann aus dem Zimmer getreten. Caroline nahm sich saubere Wäsche raus und unterzog sich einer raschen Katzenwäsche. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits Zeit war zum Essen. Also ging sie wieder hinaus auf den Flur und zurück zu dem Tisch mit den Wappen. Dort wartete sie auf die anderen.

Rechts konnte Caroline die Zwischentür zur Empfangshalle sehen. Geradeaus konnte sie in den anderen Nebenflügel des Hauses blicken. Dort befanden sich anscheinend größere Räume, da nur jeweils zwei Türen pro Seite zu sehen waren. Die Wände waren in einem nicht zu grellen Weiß gehalten und absolut kahl. Links von ihr war nur noch ein kurzes Stückchen Flur vorhanden. Dieser endete an einer breiten doppelflügligen Tür. Umrahmt war diese Tür von zwei weißen, geschwungen Steintreppen, die nach oben führten. Als sie an den Treppen hoch blickte, erkannte Caroline, dass auf der gesamten Gebäudelänge zu beiden Seiten eine Empore entlangführte. Auf Höhe der Kreuzung bildeten kleine Brücken den Zugang in die Nebengebäude. Da dort alles im gleichen hellen Farbton gehalten war, fielen die Emporen erst bei genauerem Hinsehen auf. Nach einigen Augenblicken konnte Caroline von ihrem Standpunkt sogar verschiedene Türen ausmachen, obwohl diese ebenfalls weiß waren. Sie konnte mit ihrem Blick den Emporen zu beiden Seiten des Flures bis zur Milchglastür zur Empfangshalle hin folgen.

„Was betrachtest du da?“

Erschrocken drehte Caroline sich um und erkannte Amanda, die sich neben sie gestellt hatte.

„Oh. Du hast mich vielleicht erschreckt. Hast du die Emporen schon gesehen?“

Amanda folgte Carolines Handbewegung und ließ einen erstaunten Ausruf hören.

„Nein, das habe ich nicht gesehen. Da könnte sich ja ’ne ganze Armee verstecken.“

Kurz nachdem auch Boris erschienen war, kam Greg aus seinem Büro. Wortlos führte er sie in den Speisesaal im rechten Flügel.

Greg ließ sich am Kopf der riesigen Tafel nieder und bedeutete den dreien, ebenfalls Platz zu nehmen. Also folgten sie Gregs Beispiel und verteilten sich auf die übrigen gedeckten Plätze. Kaum hatten sie sich gesetzt, trugen auch schon die beiden Dienstmädchen das Essen auf. Wortlos servierten sie die Speisen und verließen fast lautlos wieder den Raum.

Greg erhob sein Glas, das, wie die Gläser von Caroline, Amanda und Boris, mit einer dunkelroten schweren Flüssigkeit gefüllt war.

„Noch einmal herzlich willkommen. Ich hoffe, ihr habt hier eine gute und lehrreiche Zeit. Auf uns.“

Caroline prostete ihm zu und nippte vorsichtig an ihrem Getränk. Doch der erwartete Energieschub und auch das Rauschgefühl blieben aus. Sie spürte nur ein leichtes Kribbeln auf der Zunge. Außerdem hatte sie ein Gefühl, als ob ihre Sinne ein wenig schärfer würden. Es schmeckte nach Tomaten. Irritiert blickte sie zu Amanda, die ihr gegenüber saß. Diese hatte einen ordentlichen Schluck genommen und schien irgendwie abwesend zu sein. Boris hatte sein Getränk gar nicht erst angerührt und blickte nur unbeteiligt zu Greg, der grinste.

„So, ihr beiden habt also schon Erfahrung. Gut, gut.“ Caroline wollte zu einer Frage ansetzen, doch Greg sprach bereits weiter. „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass wir euch reines Blut zu trinken geben, so lange ihr eure Kräfte noch nicht vollkommen unter Kontrolle habt, oder? Ein ausgeflippter Teenager würde schon voll reichen, um uns eine Menge Ärger zu machen. Drei wären eine Katastrophe, daher immer langsam mit den Pferden. Ich wünsche euch einen guten Appetit.“

Damit griff er zum Besteck und begann zu essen.

Caroline ließ es sich schmecken.

Gerade als der Nachtisch gebracht wurde, erhob sich Greg. „Ich muss jetzt noch schnell was erledigen. Wir sehen uns bitte nachher noch mal im Studierzimmer. Das ist gleich gegenüber. Ihr könnt aber in Ruhe aufessen.“

Augenblicklich war er verschwunden.

„Also. Was haltet ihr bis jetzt davon?“

Boris beugte sich über den Tisch, um sich die Karaffe zu nehmen und sein Glas noch mal nachzufüllen. Dann wandte er sich mit einer fragenden Geste zu Caroline und Amanda. Caroline nickte zustimmend und schluckte den Bissen von ihrem Nachtisch herunter, während Boris ihr Glas auffüllte.

„Was er wohl so spät noch von uns will? Ich bin hundemüde.“

Boris nahm einen Schluck aus seinem Glas und antwortete: „Ich auch. Aber es ist auch total aufregend, endlich mal andere kennenzulernen. Was habt ihr denn bis jetzt für Kräfte entdeckt? Also bei mir fing es damit an, dass ich einen anderen Geweihten erkannt habe, der sich unbefugt unserem Grund näherte. Und du?“ Dabei schaute er Caroline an.

„Bei mir ist der Durst zuerst gekommen. Mitten in einer Einkaufspassage.“ Den Rest verschwieg Caroline und schob sich stattdessen eine weitere Portion Nachtisch in den Mund.

„Und bei dir, Amanda?“ Boris wandte sich nun Amanda zu.

Diese wirkte jedoch irgendwie abwesend.

„Amanda? Wie haben sich bei dir die Kräfte bemerkbar gemacht?“

Amanda war, ganz in ihre Gedanken versunken, aufgestanden und hatte sich die Bilder genauer angeschaut, die an den Wänden hingen.

„Hm. Ach so, ja. Ich hab beim Sport in der Schule geschummelt. Ich war plötzlich im Ziel, in der Sekunde, als der Startschuss fiel.“

Caroline war ebenfalls aufgestanden.

„Was guckst du denn da?“

Amanda wandte sich wieder den Porträts zu, die auf gesamter Länge der Halle an der Wand hingen.

„Hier ist ein Bild von einem meiner weiblichen Vorfahren.“ Dabei deutete sie auf ein Bild einer rassigen Schönheit. Die Beschriftung wies sie als Amanda King aus. Zärtlich fuhr Amanda über den Rahmen.

„Sie ist der Grund, warum ich heute hier bin. Sie war die Erste in unserer Familie.“

Boris hatte sich zu ihnen gestellt.

 

„Wow. Sie ist eine der Ersten?“

Amanda schüttelte den Kopf.

„Nein, nein. Sie wurde verwandelt. Sie hatte sich in einen aus der Sippe der Silubra verliebt. Es war ein echter Schock für sie, als sie erfuhr, wer er war. Aber ihre Liebe war stärker.“

Boris sah sich suchend um.

„Ob auch einer meiner Vorfahren hier hängt?“

Doch auch nach längerem Suchen konnte er niemanden finden. Enttäuscht ließ Boris sich wieder auf seinen Stuhl sinken und nahm noch einen Schluck. Dabei sah er Caroline an, die ebenfalls bereits wieder am Tisch saß.

„Du hast ja gar nicht geschaut, ob einer deiner Vorfahren hier verewigt ist.“

Caroline nickte.

„Ich weiß, dass hier keiner meiner Vorfahren hängt. Meine Vorfahren leben noch alle.“

Verwundert und ehrfürchtig starrte Amanda sie an.

„Das ist aber echt eine Seltenheit. Ich gratuliere.“

Verlegen senkte Caroline den Kopf. Boris hingegen zuckte nur mit den Schultern.

„Das kommt ganz drauf an, wie alt der Zweig ist, aus dem sie stammt.“

Mit einem Blick auf die Uhr stand Caroline erneut auf.

„Wir sollten vielleicht mal rübergehen.“

Zustimmend nickten Boris und Amanda. Boris nahm noch einen Schluck. Dann verließen sie den Speisesaal und gingen hinüber zum Studierzimmer.

Caroline öffnete die Tür und blieb verwundert stehen. Es sah genauso aus, wie sie sich ein Studierzimmer vorstellte. An zwei Wänden waren Regale über die ganze Wand gezogen und vollgestopft mit Büchern, die zum Teil schon ziemlich zerlesen aussahen. An der dritten Wand standen unter den Fenstern vier Schreibpulte nebeneinander. In der Mitte des Raumes waren fünf bequeme Sessel im Kreis angeordnet. Daneben jeweils ein Tischchen zum Ablegen der Bücher. Eine breite Tafel war an der vierten Wand angebracht worden. Außerdem waren diverse Leselampen im Raum verteilt.

„Oh, wie ich sehe, seid ihr schon da. Hervorragend. Setzt euch.“

Greg war hinter ihnen eingetreten und schloss nun die Tür. Nachdem sich alle einen Sitzplatz gesucht hatten, fuhr er fort:

„Also, ich will heute nicht zu lange machen. Ihr hattet alle einen langen Tag und eine weite Reise. Aber einige Dinge möchte ich jetzt noch klären. Alles andere besprechen wir dann in den nächsten Tagen. Wir haben immerhin vier Wochen, um herauszufinden, wie stark ihr seid, welche Fähigkeiten ihr habt und wie ihr diese am effektivsten einsetzen könnt.“

Mit diesen Worten schritt Greg zur Tafel, griff sich die Kreide und begann, einen Lageplan zu zeichnen, während er weitersprach.

„Das hier ist das Kievets Hook House. Der Stammsitz der Silubra, der wir ja alle angehören.“

Caroline konnte den Hauptbau erkennen und auch die zwei Seitenflügel. Das Muster kam ihr vage bekannt vor. Greg zeichnete weiter. Ein riesiger, runder Kreis krönte die Kreuzung, wo Haupthaus und Flügel aufeinandertrafen. Der Raum, der sich direkt an diese Kreuzung anschloss, und von dem Caroline nur die beiden schweren Flügeltüren gesehen hatte, schien vollkommen rund zu sein. Doch Greg hatte längst begonnen, das umliegende Gelände in groben Zügen zu skizzieren. Hinter dem Haus schien sich ein Pool zu befinden. Das gesamte Grundstück war von einer Mauer umgeben. Auf der Rückseite deutete Greg eine weitere, schmalere Zufahrt zum Haus an. Doch Caroline war auf die Form des Gebäudes in der Mitte fixiert. Dann verstand sie. Ehrfürchtig zog sie an ihrer Halskette, bis der Anhänger zum Vorschein kam. Er hatte die Form eines Ankhs. Die Form stimmte bis auf den grünen Stein in der Mitte des Kreuzes genau mit Gregs Zeichnung des Grundrisses überein. Greg sprach zur Tafel gedreht weiter.

„Auf dem Gelände seid ihr absolut sicher und könnt euch ungestört bewegen. Kein fremder Geweihter und auch kein Mensch darf ohne unsere Zustimmung das Gelände betreten. Ihr könnt hier also eure Fähigkeiten jederzeit testen. Ihr dürft euch austoben. Einzige Ausnahme: kein frisches Blut. Also nicht an den Dienstmädchen vergreifen.“

Greg drehte sich mit einem ironischen Lächeln um, als er die Kreide weglegte.

„Solange ihr das Trinken, Verwandeln und Töten noch nicht im Griff habt, wird es nur Konserven geben und die in kleinen Dosen. Außerhalb dieser Mauern verhaltet ihr euch wie normale Teenager. Verstanden? An den Wochenenden und in der freien Zeit könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Unser Chauffeur steht euch jederzeit zur Verfügung. Einzige Bedingung: Ihr meldet euch bei mir oder Bea ab. Und ihr müsst bis zum nächsten Unterricht wieder hier sein. Keine Verspätungen. Verstanden? Sonst werde ich böse.“

Bei diesen Worten ließ er kurz seine Fratze aufblitzen. Erschrocken nickten alle.

„Morgen werde ich euch zuerst einmal die Bibliothek zeigen. Danach werden wir uns ein wenig locker machen und testen, was ihr so drauf habt. Solltet ihr Fragen haben, könnt ihr mich in meinem Arbeitszimmer aufsuchen. Wenn ich mal nicht da bin, könnt ihr auch Bea fragen. Steve, der dritte Bewohner dieser Residenz, ist leider im Augenblick nicht da. Ich hoffe aber, dass ihr ihn auch noch kennenlernen werdet. Der Unterricht beginnt um neun Uhr nach dem Frühstück. Morgens werden wir üblicherweise die Theorie hinter uns bringen. Nach dem Mittagessen treffen wir uns dann noch mal für zwei oder drei Stunden, um einige praktische Übungen zu machen, eure Fähigkeiten zu testen und zu trainieren und um Verteidigungsmaßnahmen zu lernen. Wenn ihr wollt, können wir uns gerne nach dem Abendessen auch noch mal zu Einzelgesprächen treffen. Aber das ist keine Pflicht. Nächste Woche wird Bea mich für ein paar Tage vertreten, weil ich noch einen Termin habe. Danach werde ich euch wieder zur vollen Verfügung stehen. Ist noch etwas unklar?“

Fragend sah Greg in die Runde.

„Nun gut. Das Frühstück steht ab acht Uhr im Speisesaal für euch bereit. Lasst es euch gut gehen. Ich wünsche euch eine gute Nacht. Und bis morgen früh um neun Uhr an dieser Stelle.“

In Sekundenschnelle war er verschwunden.

„Das ging ja mal zügig.“

Boris schälte sich aus dem Sessel und gähnte ausgiebig, als er sich streckte. Caroline und Amanda standen gemeinsam auf. Caroline warf noch einen Blick auf die Tafel, bevor sie das Licht löschte und die Türe hinter sich schloss. Gemeinsam schlurften sie zu ihren Zimmern.

4

Am nächsten Morgen war Caroline schon früh wach. Sie duschte ausgiebig und räumte ihre restlichen Sachen in den Schrank. Dann machte sich auf den Weg zum Frühstück.

Als sie den Kreuzungspunkt zwischen dem Hauptbau und dem Seitentrakt betrat, blieb sie verdutzt stehen und sah sich um. Alles war in ein zartes Grün getaucht. Helle Lichtflecken tanzten an den Wänden und auf dem Fußboden entlang. Neugierig sah sich Caroline nach der Quelle dieses irritierenden Lichtspiels um. Sie erblickte den Kronleuchter, dessen Kristalltropfen das Licht über die ebenen Flächen tanzen ließen. Direkt über dem Leuchter befand sich ein riesiges Oberlicht aus grünem Glas. Cool, dachte Caroline, als sie sich erneut in Bewegung setzte und die Halle durchquerte.

Kurz nach ihr trafen auch Boris und Amanda im Speisesaal ein. Beide nahmen sich vom Buffet und setzten sich dann schweigend zu Caroline.

„Guten Morgen“, murmelte Caroline zwischen ihrem Rührei hervor. Amanda wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als eine Frau den Raum betrat. Sie schaute die drei verdutzt an. Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

„Ihr seid also Gregs neue Schützlinge. Guten Morgen und herzlich willkommen auf Kievets Hook House. Ich bin Bea.“

Grüßend nickte sie den dreien zu, während sie sich ebenfalls vom Buffet nahm. Amanda stellte sich und die beiden anderen bei Bea vor.

„Hallo, ich bin Amanda. Das ist Boris und das Caroline.“

Bea kam zu ihnen herüber.

„Darf ich mich zu euch setzen? Alleine Frühstücken macht keinen Hunger.“

Bea zog sich einen freien Stuhl zurück und nahm Platz. Während sie ihr Brötchen mit Marmelade bestrich, fuhr sie unbewusst mit der Hand über die Stirn. Geistesabwesend strich sie sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem langen Zopf gelöst hatte, hinter ihr Ohr.

„Na los, erzählt mal was von euch. Ich bin schon ganz neugierig, wer uns diesen Sommer auf Trab halten wird. Wir hatten schon lange keine Neulinge mehr hier.“

Doch bevor jemand antworten konnte, vernahm Caroline dumpf ein Läuten. Kurz darauf betrat ein Dienstmädchen den Raum und überreichte Bea eine Nachricht. Mit einer kurzen Entschuldigung verließ Bea den Raum.

„Was das wohl für eine Nachricht war?“

Amanda sah Caroline fragend an.

„Keine Ahnung, aber glücklich sah sie nicht aus.“

Caroline schob sich noch eine Gabel mit Rührei in den Mund.

„Ich weiß, ihr werdet noch ziemlich k. o. sein, wegen der Zeitverschiebung und so“, lautete Gregs Begrüßung, als er das Studierzimmer betrat.

„Versucht aber trotzdem was von dem zu behalten, was ich euch erzähle. Wir lassen es heute ruhig angehen. Wir werden uns ein bisschen kennenlernen und dann werden wir mal testen, was ihr drauf habt.“

„Na, das klingt aber spaßig.“

Boris hatte sich flüsternd zu Amanda gedreht.

Greg lachte.

„Klar wird das witzig. Denn euch könnte ich noch von meinem Arbeitszimmer aus belauschen, wenn ihr so laut redet.“

Boris lehnte sich lässig zurück. Greg lachte kurz auf.

„Du denkst, nur weil du flüsterst, könnte ich dich nicht hören? Wo bist du den groß geworden? Du müsstest doch wissen, dass es auf die Entfernung für kaum einen Geweihten ein Problem ist, einen Windhauch zu hören, wenn er es will.“

Betreten starrte Boris zu Boden.

„Gut. Das hätten wir geklärt. Wir werden also gemeinsam herausfinden, welche Fähigkeiten ihr habt und wie gut sie ausgebildet sind. Denn nicht jeder Geweihte besitzt und beherrscht dieselben Fähigkeiten in gleichem Maße. Jeder sollte wissen, was er kann und wie gut er dabei ist. Jetzt zu mir. Ich bin kein ‚echter‘ Geweihter wie ihr. Ich wurde verwandelt. Trotzdem sind meine Fähigkeiten voll ausgeprägt.“

Boris und Amanda schnappten gleichzeitig nach Luft.

„Jetzt macht mal kein Drama draus. Ich wollte es. Es war mein freier Entschluss und ich habe das nie bereut. Zwangsrekrutierungen gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind in der Vergangenheit oft schief gegangen und die Verwandelten starben oder wurden zu geistlosen, wilden, unbezähmbaren Tieren. Daher ist es uns seit 1687 verboten, Menschen gegen ihren Willen zu verwandeln. Also, wenn ihr einem Verwandelten wie mir begegnet, könnt ihr davon ausgehen, dass er freiwillig zum Geweihten wurde. So und nun zu euch.“

Dabei deutete Greg in die Runde.

„Erzählt mir ein wenig von euch. Wo kommt ihr her? Was macht ihr? Welche Fähigkeiten habt ihr schon entdeckt? Vielleicht erzählt ihr auch, was ihr so von euren Vorfahren wisst. Du beginnst, Boris.“

Boris richtete sich auf und begann zu erzählen.

„Also, wie ihr sicher an meinem Akzent hört, komme ich aus Kirgisistan. Ich bin 17 Jahre, meine Fähigkeiten setzten ein, als sich unbefugt ein fremder Geweihter unserem Haus näherte. Ansonsten hat sich noch keine Fähigkeit bei mir bemerkbar gemacht. Na ja, mal abgesehen davon, dass ich plötzlich Durst habe. Nach diesem ‚Urlaub‘ werde ich zu meiner Familie zurückkehren und die Geschäfte meines Vaters übernehmen. Wir produzieren Stahl. Den besten in ganz Osteuropa. Und vermutlich auch in Westeuropa. Ach ja. Meine Mutter ist eine geborene Silubra, aber mein Vater ist sterblich. Deswegen war er mehr als glücklich, als er endlich Vater eines Sohnes wurde. So wird die Firma noch lange in den Händen unserer Familie bleiben.“

Etwas verlegen ließ er sich zurück in den Sessel sinken. Greg nickte nur und bedeutete Amanda fortzufahren.

„Ich komme aus der Nähe von Barcelona. Meine Vorfahrin Amanda King wurde verwandelt, aber ich bin ein geborener Geweihter. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass mein Vater kein Silubra ist, sondern ein Sarimsakis.“

Boris blickte zu Amanda herüber.

„Du bist ein Mischling? Zwischen uns und einem Geweihten einer anderen Sippe? Abgefahren.“

Greg nickte bloß.

„Danke für dein Vertrauen. Schließlich bist du dadurch viel angreifbarer. Denn ein Mischling aus zwei Sippen zu sein, bedeutet, auch zwei Schwachstellen zu haben. Nämlich die der Silubra, die, wie ihr wisst, auf Silber reagieren. Gleichzeitig muss Amanda sich aber auch immer vor allem fürchten, was Knoblauch enthalten könnte. Denn keiner kann sagen, welche der beiden Waffen einen umbringen. Oder ob vielleicht beide tödlich sind. Verständlicherweise will das aber auch keiner ausprobieren. So, jetzt du, Caroline.“

 

Caroline überlegte eine Weile.

„Also, ich komme aus Düsseldorf in Deutschland. Ich bin 16 Jahre und meine beste Freundin weiß nicht, dass ich nicht ‚normal‘ bin. Na ja, sie hat mich gesehen, als ich das erste Mal Blut gerochen habe, aber das hat sie wieder komplett vergessen. Meine Eltern sind beide geborene Silubra und mein erstes Glas Blut hat mich echt umgehauen.“

Greg lächelte aufmunternd.

„Welche Fähigkeiten sind denn bei dir schon aufgetaucht?“

Caroline rutschte unbehaglich hin und her.

„Also den Blutdurst habe ich schon erwähnt. Mal sehen. Hin und wieder höre ich Dinge, die eigentlich viel zu weit entfernt sind. Meine Sicht ist auch besser geworden. Vor allem nachts. Aber so weit sehen wie meine Eltern, kann ich noch nicht. Meine Selbstheilung hat sich auch schon mal aktiviert, als ich angeschossen wurde. Ich glaube, das war’s auch schon.“

Boris und Amanda schauten erstaunt zu ihr rüber. Greg blickte ebenfalls überrascht.

„Da haben mir deine Eltern aber offensichtlich nicht alles erzählt.“

Boris platzte heraus:

„Du hast schon mal alle Fähigkeiten erlebt?“

Caroline nickte.

„Ja, aber das ist extrem verwirrend, wenn man keine Kontrolle darüber hat, wann man was sieht oder hört.“

Greg stand nun auf.

„Gut, nachdem wir ein bisschen was voneinander gehört haben, werde wir jetzt mal testen, was ihr bereits drauf habt. Stellt euch mal bitte im Kreis auf.“

Caroline und die anderen beiden standen auf und schoben ihre Sessel beiseite. Dann bedeutete Greg Caroline, in die Mitte zu treten. Sie musste ihre Augen schließen, bevor Greg sie ihr verband.

„So und nun konzentriere dich. Finde heraus, wo im Raum wir uns befinden. Zeig auf uns und versuch zu erraten, wer sich dort bewegt.“

Caroline lauschte angestrengt und fand schnell heraus, wie sich die einzelnen Personen bewegten.

„Okay. Wenn du uns hören kannst, ist das wohl zu einfach.“

Greg trat an sein Pult und nahm einen großen Kopfhörer hervor. „Machen wir das für Caroline mal schwieriger. Ich bin gespannt.“

Nachdem Caroline die Hörer aufgesetzt hatte, verlor sie kurz ihre Orientierung. Dann hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf.

Caroline. Ich weiß, du hörst mich. Konzentriere dich. Du kannst uns finden. Hören, sehen und riechen sind nicht deine einzigen Sinne.

Dann war sie wieder alleine. Sie wandte eine kleine Entspannungsübung aus ihrem Kampfsport an, um sich konzentrieren zu können. Und dann geschah es. Sie konnte ihre Umgebung sehen. Es schien, als hätte jemand ihr eine dunkle Sonnenbrille in einem dunklen Raum aufgesetzt. Trotzdem konnte sie die Pulte und Stühle erkennen. Und dann sah sie die Gestalten. Sie leuchteten sanft in einem hellen Grün. Während die eine Aura leicht pulsierte, änderte die andere immer wieder ihre Farbe von einem hellen zu einem dunklen Grünton. Es war unglaublich. Sie konnte jeden erkennen. Und weil jede Aura eine spezielle Ausstrahlung hatte, konnte sie sogar erkennen, wer sich da bewegt. Dann hörte sie wieder Gregs Stimme in ihrem Kopf. Mit Leichtigkeit deutete sie auf die sich bewegenden Figuren und benannte sie.

Das war unglaublich gut. Kein Wunder, dass du den Einbrecher noch vor deinen Eltern entdeckt hast.

„Woher weißt du von dem Einbrecher?“, fragte Caroline, als sie die Hörer und die Augenbinde abnahm. Greg lächelte.

„Ich hatte ein Gespräch mit deinen Eltern. So wie ich mit allen Eltern im Vorfeld spreche.“

Caroline nickte und reichte die Utensilien weiter. Auch Boris und Amanda mussten diesen Test, mit unterschiedlichem Erfolg, absolvieren. Dann gingen sie gemeinsam zum Mittagessen.

Amanda sah Caroline dabei die ganze Zeit fragend an. Caroline konnte förmlich spüren, was sie auf dem Herzen hatte.

„Na los, frag schon. Ich sehe doch, dass du was wissen willst.“

Amanda sah verlegen zu Boris und dann zurück zu Caroline.

„Ich, wir haben uns gefragt, wie du es geschafft hast, uns zu finden. Ich meine, du hast die Augen verbunden, die Ohren verstopft und trotzdem konntest du immer auch sagen, wer sich wo im Raum befand. Nicht nur, dass sich dort jemand bewegte. Das war schon fast unheimlich.“

Caroline sah irritiert zu den beiden.

„Aber das kann man doch ganz deutlich an der Farbe erkennen. Wenn man einmal weiß, welche Farbe die Aura hat, ist das ganz einfach.“

Boris und Amanda schauten sich verwundert an.

„Farbe??? Also, als ich versucht habe, euch zu finden, habe ich alles nur in Schwarz-Weiß gesehen. Und total verschwommen. Ich habe euch nur anhand der Größe unterscheiden können und das war schon schwer genug. Ich lag ja auch oft daneben.“

Boris blickte zu Boden.

„Wie, ihr könnt keine Farben sehen?“

Caroline sah überrascht zu den beiden. Boris nickte.

„Ich kann’s auch nicht. Meine Sicht ist auch nur in verschiedenen Grautönen. Das können nicht allzu viele. Aber cool, wenn du das kannst. Ist natürlich ein echter Vorteil.“

Amanda nickte bestätigend. Nachdenklich blickte sie Caroline an, sagte jedoch nichts.

Nach dem Mittagessen warteten sie vor dem Studierzimmer auf Greg, als Bea um die Ecke bog.

„Hi, ich hab ‘ne Nachricht für euch. Greg ist etwas dazwischen gekommen, sodass er euch heute keinen Unterricht geben kann.“ Entschuldigend schaute Bea von einem zum anderen. „Also werde ich euch mit unserer Bibliothek vertraut machen und euch das Archiv zeigen.“

Bei diesen Worten wedelte sie mit einer handschriftlichen Notiz. Dabei drehte sie sich um und ging in Richtung Halle davon.

Dort angekommen wartete sie, bis alle drei sich um den großen Tisch versammelt hatten. Dann wandte sie sich der hölzernen Flügeltür zwischen den geschwungenen Treppenaufgängen zu, die Caroline am Abend zuvor schon bewundert hatte. Die drei folgten Bea eilig, als diese die schwere Tür mühelos aufschob. Sie betraten einen riesigen, fast kreisrunden Saal. Natürliches Licht fiel durch ein großes, rundes Oberlicht. Außerdem bestand ein Teil der runden Außenmauer aus einer gewaltigen Fensterfront, die einen Ausblick auf einen ausgedehnten Park freigab. Durch eine Reihe niedriger Hecken konnte man das helle Blau des Pools glitzern sehen.

Die Bibliothek wurde zudem von Neonleuchten erhellt. In den Nischen, in denen Tische und Stühle zum Arbeiten einluden, gab es zudem Leselampen. In der Mitte des Raumes waren in Reihen Bücherregale aufgestellt.

„Das ist unsere Bibliothek. Was fällt euch auf?“

Bea drehte sich zu Amanda, Caroline und Boris. Alle drei sahen sich um. Dann stutzte Caroline.

„Warum sind an den Wänden keine Regale?“

Bea nickte.

„Das ist die richtige Frage. Also kommt mal her. Schauen wir uns das einmal genauer an.“

Damit bog sie nach links ab und ging auf eine der Nischen zu. Diese zogen sich, wie die Blätter eines Kleeblattes, an der gesamten Wand entlang. Ungefähr in der Mitte des Kleeblattes blieb sie erneut stehen.

„Was seht ihr?“

Wieder drehte sie sich zu den dreien um. Diesmal antwortete Boris:

„Diese Wand besteht aus drei Teilen hier unten und drei weiteren oben.“

Caroline blickte an der Wand entlang und erkannte, was Boris meinte. Die helle Wand war durch dunkle Säulen optisch in drei Teile unterteilt. Auf Höhe des zweiten Stockes führte lediglich eine Empore an der Wand entlang. Auch hier war die Wand durch die dunklen Säulen unterteilt. Das Ganze erinnerte Caroline irgendwie an eines dieser alten 3D-Kinos. Als sie dies sagte, fing Bea an zu lachen.

„Na ja, so ungefähr funktioniert das auch. Wenn ihr euch die Säulen mal etwas genauer anschaut, werdet ihr eine Reihe von Symbolen erkennen.“

Alle schritten näher an die linke der zwei Säulen heran. Die Säule bestand aus dunklem Marmor. Auf der Oberfläche waren diverse Schnörkel und Symbole eingraviert, die farbig unterlegt worden waren.

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