Loe raamatut: «Dunkler Paladin»
Cole Brannighan
Dunkler Paladin
Weltendämmerung
Brannighan, Cole: Dunkler Paladin. Weltendämmerung. Hamburg, Lindwurm Verlag 2021
Originalausgabe
ePub-eBook: ISBN 978-3-948695-37-8
PDF-eBook: ISBN 978-3-948695-36-1
Dieses Buch ist auch als Print-Titel erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
ISBN: 978-3-948695-35-4
Lektorat: Angellika Bünzel
Illustrationen: pixabay.com
Grafische Umsetzung der Karte: © Sarah Engelhardt
Cover: © Giusy Lo Coco
Covergestaltung: © Annelie Lamers
Illustrationen: © pixabay.com
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© Lindwurm Verlag, Hamburg 2021
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Inhalt
Titelseite
Copyright
Karte
Prolog
Kapitel 1: Bruderfeuer
Kapitel 2: Gefangenschaft
Kapitel 3: Die Trümmerküste
Kapitel 4: Lebe deine Wut
Kapitel 5: Dem Tod so nahe
Kapitel 6: Flucht
Kapitel 7: Rast in Borkenhain
Kapitel 8: Wolfsblut Meena
Kapitel 9: Wie jagt man ein Raubtier?
Kapitel 10: Wranis. Stadt der Dattelpalme
Kapitel 11: Der Eisfall
Kapitel 12: Schauspiel und Schattenspiel
Kapitel 13: Von allen verlassen
Kapitel 14: Der Regent und sein Exarch
Kapitel 15: Wiedersehen macht Unfreude
Kapitel 16: Ein Hauch von Purpur
Kapitel 17: Madame Beranais Geschenk
Kapitel 18: Samildanach
Kapitel 19: Weltendämmerung
Epilog
Bestiarium/ Herbarium
Personenregister
Der Autor
Prolog
Leben ist die Gewohnheit nicht zu sterben, dachte Schwester Irella und heute würde sie mit dieser Gewohnheit brechen. Während sie ihr Eisgreif Armanon auf seinen Schwingen über das Schlachtfeld trug, wehrte sich ihr Verstand gegen das Unabwendbare – die Niederlage. Unter ihr hatte sich ein Kreis von Kampfpriesterinnen um das Zentrum geschart und rang in der Dämmerung des Bluttages verbissen gegen seine Vernichtung. In ihrer Mitte flimmerte das Portal – ein Gewühl aus Rauchschwaden. Davor lagen zwei Leichen; an den amethystfarbenen Roben erkannte Schwester Irella sie als Mitglieder der Magiergilde, welche die Energien des Portals hätten kanalisieren sollen. Ohne diese würde ihr Plan nicht aufgehen.
In den Reihen des Barbarenheers erblickte Schwester Irella den Dunklen Paladin, der auf einem Riesenwolf durch die Truppen preschte und sich den Kampfpriesterinnen näherte. Er setzte über die Leichen der Verteidigerinnen und Barbaren hinweg, hieb mit seinem Schwert nach allen Seiten und folgte dem Weg ins Zentrum. Nichts konnte ihn aufhalten.
»Die Weltendämmerung naht«, flüsterte Armanon in ihrem Geist. So wie alle Unsterblichen besaß er die Gabe der Telepathie.
»Bring mich hinunter zu meinen Schwestern, Armanon«, hauchte sie. All die Planung, all die Mühsal, nichts hatte die heutigen Ereignisse verhindern können. Mit dem Tod der Magier galt es, das Schlimmste zu verhindern.
»Ihr werdet sterben, wenn ich Euch in den Kessel der Schlacht trage, Schwester Irella.«
Sie blickte in das Orange der Sonne, die ihrem Untergang am Horizont entgegenstrebte. Danach legte sie Armanon die Hand auf sein Federkleid.
Er verstand und kippte nach links in einen Sinkflug. Doch bevor Armanon aufsetzen konnte, wurde er aus der Luft gerissen.
Schwester Irella schlug auf dem Grasboden auf. Für einen Moment rang sie nach Luft und blinzelte gegen die schwarzen Flecken an, die ihr Sichtfeld trübten. Speere. Krallen. Schreie. Alles um sie herum verschmolz zu einer Suppe an Sinneseindrücken.
Bleiern haftete ihr die Benommenheit an, dann gelang es ihr, sich zu finden. Neben ihr lag Armanon.
»Haltet ihn mit allen Mitteln auf, Schwester Irella. Er darf das Portal nicht passieren«, insistierte Armanon. Er lag auf der Seite, drei Riesenbolzen ragten aus seiner Flanke. Blut floss aus den Wunden. Viel Blut. Armanon war ein Unsterblicher – und doch starb er. Der Glanz seiner azurfarbenen Augen verblasste, während Schwester Irella ihm die Hand auflegte und die Worte des Lichts sprach. »Möge Euch die Goldmöwe auf ihren Schwingen davontragen.« Macht strömte durch ihren Geist, durch ihren Arm, durch ihre Fingerspitzen, nahm Schmerz und schenkte Frieden.
Irella straffte die Schultern. »Nichts darf durch dieses Portal hindurch«, murmelte sie, stand auf und eröffnete den Schlussakt ihres Lebens. Sie drehte sich um und musterte den Dunklen Paladin.
Er war abgestiegen und näherte sich ihr. Etwa dreißig Schwestern verteidigten noch das Portal gegen die Barbaren, der Rest war gefallen.
Irella mühte sich weder um das Richten ihres Umhangs, noch um die Metallteile, die ihr vom Plattenharnisch abstanden. Sie spie einen Klumpen Blut zur Seite und hob ihren Speer. Schwindel trübte ihre Sinne, doch dies war nicht die Zeit, sich der Schwäche hinzugeben. So lange ihre Beine sie noch zu tragen vermochten, würde sie Widerstand leisten. »Euer Schweigen betrübt mich!«, rief sie ihm über den Kampfeslärm zu.
Die Abendsonne glänzte auf der Klinge des Dunklen Paladins. Er lächelte Irella gequält an und schloss den Panzerhandschuh um den Griff seines Schwertes.
»Dunkelheit naht o Herr. Verleihe mir das Licht, um gegen sie zu bestehen«, betete Irella. Ihre Speerspitze flammte im indigofarbenen Feuer des heiligen Durhelian auf und verbannte die Schatten der Dämmerung.
Ihr Schildarm war gebrochen. Für Schmerzen hatte sie keine Zeit. Es gab lediglich das Portal, das es zu schützen galt. Nichts durfte es durchschreiten.
Hinter dem Dunklen Paladin stahl sich ein Knurren durch den Wind. Es war Reißzahn, sein Riesenwolf. Seine Lefzen zuckten zurück und entblößten ein Maul gespickt mit Todeswerkzeugen.
»ICH BIN KAMPFPRIESTERIN!« Flammen knisterten, als Irella den Speer wirbeln ließ.
Der Dunkle Paladin durschaute ihre Absicht und rannte los.
Es war zu spät.
Schwester Irella drehte sich zum Gewühl aus Rauchschwaden. Bevor der Dunkle Paladin sie erreichen konnte, schmetterte sie ihren Speer dagegen. Mit einer Schockwelle ließ die Portalmagie ihr Bewusstsein in Myriaden von Sternen bersten.
»Unser Leid vor dem Tode ist der Preis für das Leben, das wir gelebt haben. Oder ist es der Obolus, unsere Lider schließen zu dürfen?«
– Aus den Betrachtungen des Todes, Kapitel 1, Satz 1
Kapitel Eins
Bruderfeuer
Finn ritt auf seinem Schlachtross hinter der Kutsche von Exarch Gamrion her. Sein Hintern fühlte sich wie Brei an. So hatte er sich die Arbeit eines Kampfpriesters nicht vorgestellt. Bei der Initiation im Tempel war er durch die Flammen des Heiligen Durhelian geschritten und durfte seitdem im Dienste seines Glaubens wirken. Hätte er damals geahnt, dass unzählige Eskorten auf ihn warteten, hätte er nicht auf den Vorzug seiner Weihe gedrängt. Es war bereits die vierte Eskorte ohne Ereignisse und es wurde nicht besser. Er blickte hoch zum Himmel, der sein Trübsal verdichtete. Die Wolkendecke mäanderte in kieselgrau und ließ sich von der Herbstbrise treiben. Schwarzbirkenzweige am Wegesrand wippten und klagten über das Dunkel des Tages. Seit einer Woche war Licht Mangelware. Und das eklige Essen machte es nicht besser. Drei Tage hintereinander gab es Hannok, einen Resteeintopf von der Beschaffenheit eines Schuhsohlenpürees.
Finn strich sich das silbrige Haar nach hinten und prüfte den Sitz seiner Lahras. Das traditionelle Kurzschwert der Kampfpriester, das sich zum Speer ausfahren ließ, ruhte an seiner Hüfte. Zusammen mit dem Plattenharnisch, den Armschienen und dem Indigoumhang fühlte Finn sich ganz von der Tristesse seiner Aufgabe verschluckt. Mit Eskorten ließ sich kein Ruhm erlangen.
»He, Finn«, meldete sich Bruder Eferus. Er hatte zu ihm aufgeschlossen und drosselte den Galopp seines Gauls zum Trab. »Wollen wir heute wieder mit der Ehrengarde des Exarchen Zwölf und Eins spielen? Letzte Nacht waren mir die Karten gewogen.«
Finn sah ihn missmutig an. »Beim Heiligen, ich bin blank! Du hast gut reden, deine Börse ist dicker als dein Ego. Ich weiß, dass du betrügst, aber leider nicht, wie du es anstellst.«
»Ich? Nein, ich bin ein Kampfpriester. Betrug ist mir fremd. Ich übe mich in innerer Betrachtung«, ereiferte Bruder Eferus sich und ahmte mit hochgezogenen Brauen Großmeister Raukhar nach. Dabei versuchte er sich in einer Unschuldsmiene – ohne Erfolg. Mit den hohen Wangenknochen und der Falkennase ähnelte sein Gesicht einer Hohnmaske. Die Narbe von der linken Schläfe bis zum Kinn tat ihr Übriges.
»Du bist mir so teuer wie ein Bruder. Ein Bruder, dem die Unschuld so gutsteht wie einem Huhn ein Sattel«, bemerkte Finn.
»Ich weiß, die Eskorten zermürben. Obwohl ich nächsten Sommer dreißig werde, habe ich die Mühsal nicht vergessen. Auch ich musste Viehsegnungen, das Einsammeln von Lebensmittelspenden, Pilgerfahrten und Botengänge über mich ergehen lassen. Danach begannen die Eskorten. In fünf Jahren bist du auch dreißig Sommer alt, dann wirst du merken, dass man dem Ganzen auch etwas Gutes abgewinnen kann. Plane deinen Genuss. Er wird dir nicht auf einem Goldtablett serviert. Manche unserer Brüder vertiefen sich in Gebete, andere meistern sich in der Waffen- und Gesellschaftspflege. Oder folge meinem Beispiel, rede mit den Gardisten und Händlern, lausche ihren Geschichten, von denen eine obskurer ist als die andere. Gestern hat mir ein Leibgardist des Exarchen erzählt, dass Frauen aus dem Norden von Tilayndor alabasterweiße Haut haben. Das ist, als würdest du es mit einer Statue treiben.«
»Kampfpriester dürfen keine Frauen haben.«
»Wenn wir in Wranis sind, zeige ich dir die Mutter aller Dämmerhöhlen. Die haben Frischware, die dir bestimmt gefallen wird.«
»Hörst du mir überhaupt zu?!«
»Ich höre deine Worte, aber fehlen dir denn nicht die Vorzüge aus der Novizenzeit? Frauen, Pfeifen voll Dämmerkraut, Schwarzbier, all die Dinge, denen du durch dein Gelübde abgesagt hast.«
»Ich … ja, kann sein.«
»Also, überlass dem Heiligen das Heiligsein, gönn dir was. Deine Menschlichkeit macht dich aus, nicht die Litanei von Großmeister Raukhar.«
»Hm, dass … « Finn wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch Bruder Eferus brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Riechst du das?«, fragte Eferus und schnüffelte. »Schwefel. Bleib wachsam, Bruder. Ich werde die Leibgarde des Exarchen warnen.« Eferus gab seinem Gaul die Sporen und schloss zu den anderen auf.
Finn blickte sich um. Was hatte seinen Bruder alarmiert? Schwefel? War das nicht ein Zeichen für … Finn kam mit seinen Überlegungen nicht weit. Krummlinge preschten aus dem Waldrand und griffen die Eskorte an. Mit ihren dämonischen Körpern, aus sich ständig verdrehenden Ästen und Zweigen, stellten sie die Parodie des Menschen dar. Mit jedem Schritt knackten und knisterten ihre Körper, als schleife man einen Baumstamm durch den Wald.
Eines der Pferde verlor aus Angst die Disziplin, bäumte sich auf und warf seinen Reiter ab.
»Schützt den Exarchen!«, brüllte Jar Delinweyn, der Hauptmann der Leibgarde.
Schwertstahl blitzte und Heiliges Feuer von Eferus Lahras flammte auf.
Finn hämmerte das Herz bis zum Hals und in seinen Ohren rauschte das Blut. Endlich ergab sich eine Gelegenheit, sich zu beweisen. Er zog seine Lahras und ein Druck auf den kleinen Hebel an der Parierstange ließ den Griff zum Schaft herausschnappen.
»Die Dunkelheit naht, o Herr, verleihe mir das Licht, um gegen sie zu bestehen«, betete Finn. Einen Lidschlag später erstrahlte die Klinge seiner Lahras im Indigofeuer des Heiligen Durhelian. Ohne zu zögern, stieß Finn seinem Pferd die Fersen in die Flanke und preschte in den Waldrand hinein. Brombeerdornen und Eschenzweige griffen nach seinem Umhang und seinen Haaren. Er scherte nach links aus und griff die Krummlinge von hinten an.
Einer der Gegner wandte sich ihm zu. Wo das Gesicht sein sollte, sprossen Hörner, Baumpilze und Moose.
Finn stach zu. Flammen fraßen sich durch den Krummling und verzehrten die dämonische Existenz. Noch bevor der Krummling zu Asche zerfallen war, riss Finn an den Zügeln und schlug einen Angreifer mit der Hüfte seines Reittiers zur Seite. Die magische Gegenwart der Kreaturen zog und zerrte an Finns Mut, um ihn zur Panik und Flucht zu bewegen. Doch er hielt stand und kämpfte weiter.
Unter seinem Pferd knirschte es, als die Hufe auf die Brust eines Gefallenen drückten. Die Rüstung war so zerkratzt wie das Gesicht, das in Fetzen vom Schädel hing.
Finn unterdrückte einen Würgereiz. Eine Kralle grapschte nach seinen Stulpenstiefeln und versuchte, ihn vom Pferd zu zerren. Mit einem Daumendruck ließ Finn seine Waffe auf Kurzschwertgröße einschnappen und schlug dem Krummling auf den Schädel, dann blickte er nach vorn.
Bruder Eferus behauptete sich neben zwei berittenen Leibgardisten gegen die Angreifer. Sie standen abseits der Kutsche des Exarchen, an dessen Tür sich ein Krummling zu schaffen machten.
Finn trieb sein Reittier an, erreichte ihn und stieß dem Dämon die Lahras in den Nacken. Dann wendete er und wollte Bruder Eferus unterstützen, doch im Bruchteil einer Sekunde vergingen die Angreifer in einem Schwall aus Rauch und Asche.
»Bei den Verfluchten Sieben, was … «, stammelte Finn.
Jar Delinweyn sprang vom Pferd und beugte sich über einen Verwundeten.
»Gut gekämpft! Du siehst ein bisschen blass aus. Hat Waffenmeister Senash dir nichts über die Taktik der Krummlinge vermittelt?«, schnaufte Bruder Eferus.
Finn wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er sah Jar Delinweyn nach, der in die Kutsche stieg. Seine Männer zogen ihre Kampfgefährten von der Straße.
»Nein, nicht so ganz.«
»Sie machen am Anfang Druck, wenn sich das Blatt wendet, verpufft ihr Angriff im Nichts. Seien es die Krummlinge, Urhana, Skarsdämonen, Flüsterlinge oder andere Unnaturen. Senash hat mich gelehrt, dass es die Kultisten sind, die sie beschwören und gegen uns hetzen.«
»Ich habe keinen von denen gesehen.«
»Ist auch besser so. Kultisten sind Besessene, Getriebene, die keinen Schmerz kennen und im Namen der Dämonengötter das Antlitz der Jorvenlande besudeln. Hast du in Dämonologie nicht aufgepasst?«
»Ich … ich habe mich auf die Kampfkunst fixiert«, gestand Finn.
»Mach dir keine Sorgen. Solange du kämpfen kannst, kannst du auch überleben. Wissen lässt dir keine Körperteile nachwachsen. Wissen bringt dein Herz nicht wieder zum Schlagen.«
Jar Delinweyn stieg aus der Kutsche, nahm seinen Helm vom Kopf und richtete sich den blonden Pferdeschwanz. In seinem Bart trug er Zöpfe, die ihn als Sieger vieler Zweikämpfe auswiesen. »Wir reiten weiter bis zur Dämmerung. Dann dürften wir auf eine Zollstation treffen, wo wir übernachten werden. Er räusperte sich und spuckte Blut, bevor er weitersprach. »Ich habe noch nie Kampfpriester in der Schlacht erlebt. Ihr habt meinen Respekt. Der Exarch lässt Euch seinen Dank ausrichten und bittet Euch, heute Abend mit ihm zu speisen.«
»Wir nehmen die Einladung gern an, Jar Delinweyn«, antwortete Eferus.
»Was ist mit den Gefallenen?«, wollte Finn wissen.
»Die erhalten ein Kriegerbegräbnis, gleich hier, wo sie tapfer gekämpft haben und gefallen sind.«
Das Feuer des Kamins wärmte den Besprechungsraum der Stadtgarde, dessen gemauerte Wände mit überkreuzten Speeren, Schilden und Hasenfallen geschmückt waren.
Zwei Stadtgardisten eilten durch die Tür und trugen das Essen auf.
Finn schob ein Stück Fasanenbrust zwischen zwei Scheiben Schwarzbrot und liebäugelte mit dem Würzwein. Aber stattdessen entschied er sich für einen Becher Wasser und trat an den Kartentisch, an dem sich Bruder Eferus, Jar Delinweyn und der Exarch unterhielten.
In seiner amethystfarbenen Magierrobe überstrahlte Gamrion die Umstehenden. Goldranken wuchsen auf dem Stoff, vom Saum über den Fußknöcheln bis zu den Goldaufschlägen an Hals und Ärmeln. Er nahm kurz sein Barrett ab, fasste seinen Haarschopf zusammen und setzte sich die Kopfbedeckung wieder auf.
»Ich möchte keinen weiteren Überfall riskieren, wählt eine andere Route«, forderte der Exarch im Dialekt der Wranier. Sie hatten eine eigene Form Jorvisch zu sprechen, in der sie Sätzen einen Hauch von Melodie einflößten, als wollten sie einen Singvogel locken. Dazu unterstrichen seine Mandelaugen, die Klarheit und Weisheit vermittelten, seine wranische Herkunft.
»Mein Exarch mit Verlaub, das war kein Überfall. Dämonen attackieren keine Kutschen in Begleitung zweier Kampfpriester und einer Leibgarde, die das Zinnoberrot der Königstruppen trägt. In Tilayndor nennen wir so etwas einen Hinterhalt. Ich rate Euch, Eure Erkundungsreise abzubrechen.« Nach seiner Ausführung stürzte Jar Delinweyn seinen Würzwein in einem Zug hinunter und wischte sich den Vollbart mit dem Ärmel trocken.
»Dann sollten wir zurück und dieses Ereignis mit Regent Escheran in Wranis besprechen. Welchen Weg würdet Ihr mir raten, damit wir nicht riskieren, wieder in einen Hinterhalt zu geraten?«
»Ich würde Euch die Weiterreise über den Seeweg empfehlen. Bis nach Rugand haben wir noch eine halbe Tagesreise, von dort aus könnten wir auf ein Schiff übersetzen, das uns nach Wranis bringt.« Jar fuhr mit einem Finger nach Süden an der Küstenlinie entlang und tippte auf eine orangefarbene Krone, die um eine Dattelpalme prangte.
Bruder Eferus spülte einen Kanten Schwarzbrot mit Wasser herunter. »Mit Eurer Erlaubnis werden Bruder Finn und ich unseren Großmeister in Helinas über den Dämonenangriff in Kenntnis setzen. Vielleicht sind noch andere Reisende Opfer solcher Angriffe geworden.«
»Ebensolche Berichte sind der Anlass meiner Reise. Da die Königstruppen im Norden mit den marodierenden Barbarenstämmen beschäftigt sind, hat der König Söldnern den Schutz im Inneren der Jorvenlande übertragen. Allerdings gibt es seit einem Jahr vermehrt Beschwerden, dass die Mietklingen nicht nur wenig taugen, sondern auch selbst zu einer Gefahr werden. Regent Escheran aus Wranis erwartet von mir einen Bericht, den er dem König vortragen möchte. Ich dachte nicht, dass es so schlimm ist, dass sogar eskortierte Reisende angegriffen werden, daher brauche ich Euch an meiner Seite, Bruder Eferus. Wir wissen nicht, was uns auf dem Weg nach Wranis erwartet. Dennoch muss Euer Ordensführer von den Geschehnissen erfahren. Bruder Finn, bestellt Großmeister Raukhar meine Grüße.«
Finn nahm die Schriftrolle entgegen und sah zum Exarchen auf, der sogar Eferus überragte. »Ich werde Eure Botschaft überbringen.« Sein Kopf nickte, aber sein Herz trauerte um die Gelegenheit, seinen Mut an der Seite seines Ordensbruders beweisen zu dürfen. Andererseits war er froh, dass er nicht mit nach Rugand musste, wo er die schlechten Tage seiner Kindheit durchlebt hatte. Er richtete die Gürtelschnalle aus punziertem Messing an seiner Hose und verließ den Raum.
.
Wolkenrudel marmorierten den Himmel und ließen das Orange der Abenddämmerung durch ihre Lücken blitzen. Eine Herbstbrise wirbelte Finns Umhang umher und ließ ihn vor seinem Sichtfeld flattern.
Er hatte die Handelsstraße nach Helinas erreicht und trabte hinter einem Planwagen her, der sich durch die Furchen arbeitete, die unzählige Handelskarawanen in den Boden gepflügt hatten.
Finn hoffte, dass er beim Vorbeireiten nicht angesprochen und um einen Segen gebeten wurde, denn darauf hatte er mittlerweile noch weniger Lust als auf Eskorten.
Während er den Wagen einholte, scherte vor dem Klappergespann ein gepanzerter Reiter in Zinnoberrot aus. Dieser ließ sein Pferd neben den Wagen zurückfallen und ordnete die graumelierten Haare auf seinem Wuschelkopf. Seine Rüstung zierten unzählige Flickstellen. Ohne Zweifel ein Schlachtenveteran.
Finn sah sich um. Seltsam. War er ohne Geleit? Hatte er eine Mission? Oder wollte ihn sein Herr loswerden?
»Gehabt Euch wohl, edler Herr«, grüßte Finn.
Der Mann drehte sich im Sattel um. Er hatte die Ruhe weg. »Mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?«
»Ich bin Finn und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?«
»Jar Istram von Echterdingen. Und was führt Euch hierher?«
Er trug den Ehrentitel Jar, den nur die Helden des Königs im Stahlkreis erhielten. Dieser Mann war kein Niemand, auch dann nicht, wenn er sich selbst zerstörte. Sein Atem verpestete die Luft und peinigte Finns Nase. Die Fahne, die Jar von Saufingen vor sich hertrug, war nicht die seines Hauses. Es war nicht zu leugnen, dass dieser Mann seinen Absturz hinter sich hatte.
»Ich möchte nach Helinas«, antwortete Finn.
»Ah, zum Lichtfest, was?«
»Auch«, antwortete Finn einsilbig, da er das Interesse an dem gefallenen Jar verloren hatte. Zumindest gehörte dieser Mann nicht zum Heer der Scheinheiligen, die sich an Segenssprüchen ereiferten.
Jar Istram musterte ihn. Obwohl er sich mehr am Sattel festhielt und weniger darauf saß, zeugte der Glanz seiner Augen von Intelligenz. Er lächelte. »Sagt mal, Ihr kennt Euch nicht zufällig mit Frauen aus?«
»In der Regel haben sie zwei Brüste und parfümieren sich die Haare.«
Jar Istram schmunzelte. »Vinosch, halt mal kurz an, zeig unserem Gast das Biest.«
Mit einem Ruck kam die Kutsche zum Stehen. Ein untersetzter Junge in beigefarbenem Mantel sprang vom Bock. Auf seinem Ärmel glänzte Rotz, der zu seiner efeugrünen Leinenhose passte. Er zog die Nase hoch.
»Mein Herr, sie beißt«, jammerte er.
»Du verdammter Bastard, tu, was ich dir sage! Wie soll je ein Jar aus dir werden? Du taugst ja nicht annähernd zum Anwärter! Nur weil deine willige Mutter nicht zur Engelmacherin gehen wollte.«
Während der Jar seine Tirade weiter auswalzte, Hunde und Ziegen mit einbaute, zog der Anwärter den Kopf ein und band die Plane vom Wagen los. Als er sie nach oben aufrollte, kam ein Käfig zum Vorschein.
In der Ecke kauerte ein Bündel Elend. Sie hatte ihr Gesicht zwischen den Knien vergraben und trug eine Frisur, die selbst einen Wischmopp wie die neueste Mode am Hof von Tilayndor wirken ließe.
»Das ist eine Ausgekochte! Hat gestern Vinosch in den Fluss gestoßen, weil wir sie waschen wollten. Der Junge hat jetzt die Rotzseuche. In seinem Hohlschädel is’n Haufen voll Schleim. Nicht dass ihn das dümmer macht, aber sein Geschniefe nervt!« Jar Istram holte eine Flasche Wein aus der Satteltasche, zog den Korken mit den Zähnen heraus und genehmigte sich einen Schluck.
»Seid Ihr sicher, dass es eine Frau ist?« Finn hatte seine Zweifel, was er da sah, wirkte nicht menschlich.
»Beißt und beschwert sich so wie die Mutter von Vinosch, also ja.«
»Was ist ihr Vergehen?«
»Außer, dass sie’n Miststück is? Hat die Diebesgilde beschissen, wollte nichts abdrücken. Angeblich hat sie bei ihrer Festnahme einem Typen den Finger abgebissen. Sie könnte eine Hexe sein oder ein Wechselbalg.«
Finn wollte der Märchenstunde keinen Glauben schenken. Eine Hexe würde sich nicht mit einem Finger zufriedengeben, um dann in einem Käfig zu landen.
Ohne Vorwarnung warf Jar Istram seine Flasche gegen die Gitter. Ein Regen aus Wein und Scherben ergoss sich über die Frau, die keinerlei Reaktion zeigte.
»Wo bleibt Eure Ehre, die ein Jar besitzen sollte?«, warf Finn ihm mit geballten Fäusten vor.
Jar Istrams Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. »Wer seid Ihr, dass Ihr mich über die Tugenden eines Jars belehren wollt? Der Stahlkreis machte mich zu dem, was ich bin. Kümmert Euch lieber um das Lichtfest!« Seine Hand wanderte an den Griff eines Schwertes, das an seiner Seite hing.
Finn richtete auffällig seinen Indigoumhang und hoffte, dass der alte Jar erkennen würde, wen er hier vor sich hatte.
Noch ein paar Sekunden behielt ihn der Jar im Auge, dann ließ er vom Schwert ab. »Macht, was Ihr wollt, Kampfpriester. Wenn Ihr sie anfasst, dann will ich dafür eine Jorvenkrone sehen. Es wird langsam dunkel, wir machen hier Halt. Ihr dürft an unserem Feuer sitzen, jede weitere Klinge ist in dieser Gegend willkommen. Die Reisewege sind nicht mehr so sicher, seit sich die Königstruppen in den Norden verzogen haben. Dämonen und durhelianische Geistliche treiben ihr Unwesen«, frotzelte Jar Istram, sattelte ab und band seinen Gaul am Wagen fest.
Sein Sohn sprang zurück auf den Bock und klaubte unter dem Kutschbock Steppdecken mit Rosenmotiv und Kissen aus Schafwolle hervor.
Finn überlegte nicht lange. Graf von Rotz, Herr von Saufingen – keine Segenswünsche, kein Geschleime. Solch gute Gesellschaft hatte Seltenheitswert.
Ein Frösteln riss Finn aus dem Schlaf. Trunken vom Schlummer griff er nach seiner Lahras, die sogar im Bett nur eine Armlänge von ihm entfernt lag. Nachtfrost hatte seine Steppdecke mit einer weißen Patina behaucht, da das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt war.
Graf von Rotz taumelte im Zwielicht der Glut durch das Lager. Finn rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte auf den nackten Hintern von Jar Istram, der sich sehr zum Unmut der Frau an der Käfigtür zu schaffen machte. Als er die Gittertür aufschlug, schrie sie auf und kauerte sich in einer Ecke zusammen.
Finn wusste nicht, ob der Mann eine oder zehn Flaschen gesoffen hatte, aber das ging entschieden zu weit. Er wickelte sich aus seiner Steppdecke und trat auf den Käfig zu, gewillt, die Sache zu beenden.
Graf von Rotz war am Lagerfeuer erstarrt und machte keine Anstalten, etwas zu unternehmen. Vermutlich, weil er zwischen der Not der Frau und dem nahenden Unheil für seinen Vater zerrissen war.
Finn zog seine Lahras.
Jar Istram bemerkte davon nichts oder wollte es nicht. Er zerrte an der Bekleidung seines Opfers und riss ihr das Wenige, das sie trug, in Fetzen. Mit einem beherzten Biss in seinen Arm entwand sie sich seinem Griff und stürzte dabei auf den Rücken. Bevor er sich aber über sie beugen konnte, trat sie ihm in die Nüsse, was ihm ein Grunzen entrang. Kurz danach schnappte sie nach seinem Schwert, zog es aus der Scheide und stieß es ihm in den Hals.
»Du verdammtes Stück … «, krächzte der Jar, griff sich an den Hals und ging zu Boden. Er konnte weder das Blut halten, das sein Leben davontrug, noch seine Würde, die mit seiner Hose gefallen war.
»Oh nein, oh nein, nein«, jammerte sein Sohn.
Finn blieb am Käfig stehen und betrachtete die Szene. Der Jar starb vor seinen Augen. Er tat ihm nicht leid, im Gegenteil. Aber der Säufer war kein Niemand. Der Mord an ihm war ein Verbrechen gegen die Gesetze des Königs der Jorvenlande. Kampfpriester durften in solch einem Fall ohne Anklage vollstrecken. Er richtete seinen Blick auf die Frau, auf deren Leib das Blut von Jar Istram in der Kälte dampfte. Die Kleidung hing ihr in Fetzen vom Körper. Mit Augen, in der Farbe von flüssigem Ocker, starrte sie ihm hasserfüllt entgegen. Ein Leben für ein Leben, das war Gerechtigkeit.
Finn drehte ihr den Rücken zu. »Nimm dir Kleidung und Proviant vom Wagen. Ich denke, dass Jar Istram es nicht mehr benötigen wird. Was mich angeht, ich war nie hier.« Dem Ganzen fügte er noch ein Schulterzucken hinzu.
Graf von Rotz starrte ihn an.
»Hast du etwas gesehen, Kleiner?«
»Ich … nein, ich habe nichts gesehen. Der Alte ist vom Pferd gestürzt und wurde von Wölfen gefressen – von Riesenwölfen!«
Finn war zufrieden, denn der Junge schien genug Verstand zu haben, um das Greisenalter erreichen und trunken vom Leben in der eigenen Pisse im Bett sterben zu können.
Ein metallisches Quietschen verriet Finn, dass die Gefangene den Käfig verlassen hatte. Sie sollte eine zweite Chance erhalten, da sie schließlich dafür gekämpft hatte. Hoffentlich erwartete sie ein anderes Schicksal, als die Gespielin eines Trunkenbolds zu werden.
Schwärenden Eitersäcken gleich krochen graue Regenwolken über den Himmel und zogen über den Berg Sackling, an dessen Fuß sich die Stadt Helinas mit ihren gedrungenen Häusern schmiegte.
Die Bauern mühten sich, ihre Tiere und Gerätschaften von den Feldern zu holen und sich vor dem nahenden Niederschlag hinter die Stadtmauern zu flüchten.
Finn saß locker im Sattel und passierte die Feldarbeiter, bis er die Mauern erreicht hatte.
Stadtgardisten in aschgrauen Mänteln und hohen Stehkragen hielten zu beiden Seiten des Tors Wache, schenkten Finn jedoch keine Beachtung.
Helinas hieß ihn ohne einen langsamen Übergang mit dem Gestank der Großstadt willkommen. Der Duft von Kuhfladen, offenen Kanälen und Ziegenkötteln schwängerte die Luft der Straßen, auf denen sich Menschen an Marktbuden mit kieselgrauen Baldachinen drängten.
Finn drängelte sich auf seinem Reittier durch die Menge und erreichte nach einer Weile den Tempel des heiligen Durhelian, der äußerlich mit seinen Zinnen, dicken Mauern und dem verstärkten Tor einer Festung glich.
Finn saß ab und übergab die Zügel einem Novizen, der ihn in Empfang nahm. Danach grüßte er seine beiden Brüder, die auf den Stufen vor dem Eingang Wache hielten, und trat ins Innere. Seine Schritte hallten auf den Marmorfliesen. Haushohe Kriegerplastiken aus nachtschwarzem Marmor säumten einen großen Zeremoniensaal. Sie blickten auf Finn herab, während sie sich mit Schilden gegen das Deckengewölbe stemmten.
Finn lief zur Stirnseite des Tempels, wo eine Feuerschale in den Boden eingelassen war, in der das Indigofeuer des Heiligen loderte. Es brauchte weder Holz noch Öl und warf keinen Schatten.