Sein Horizont

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Sein Horizont
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Con Riley

Sein Horizont

Aus dem Englischen von Marcel Weyers

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2022

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Original-Ausgabe: His Horizon

Übersetzung: Marcel Weyers

Coverdesign: Natasha Snow

http://www.natashasnow.com

Coverbearbeitung: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-599-8

ISBN 978-3-96089501-5 (epub)

Inhalt

Zwei Köche in Judes Küche bringen die Temperaturen rasch an den Siedepunkt …

Jude ertrinkt in Schuldgefühlen, als er sein Familienunternehmen nicht allein retten kann. Die letzte Person, auf die er sich noch verlassen kann, ist Rob, ein rivalisierender Koch, der ihn einst bei einem Kochwettbewerb um den ersten Platz gebracht hat.

Zwei Chef-Köche in einer Küche sind keine einfache Sache. Nicht, wenn Rob alles ist, was Jude nicht ist – beliebt, extrovertiert und promiskuitiv. Was das Ganze noch schlimmer macht: Rob trägt sein Herz auf der Zunge, während Jude sich immer noch nicht geoutet hat.

Judes Dilemma ist damit noch nicht zu Ende. Robs Rettung kommt mit Bedingungen, die besagen, dass alles geteilt werden muss – vom Gewinn bis hin zu Judes Schlafquartier.

Mit dem Feind zu schlafen, wird entweder in einer Katastrophe enden oder zu einem Signal für eine viel bessere Zukunft, aber nur, wenn Jude Robs letzte Bedingung erfüllen und ihn offen lieben kann.

Gegensätze, die sich anziehen, Rivalen, die zu Liebhabern werden, und eine Geschichte über verletzte Gefühle. – „Sein Horizont“ ist der erste Teil einer Reihe von eigenständigen MM-Romanen von Con Riley, die alle in derselben Welt spielen.

Kapitel 1

Jude Anstey kam Monate später nach Porthperrin zurück, als er es versprochen hatte. Er klammerte sich an den Mast der Aphrodite, während sie an der Küste Cornwalls entlangglitt. Mit ihren dreißig Metern geschmeidiger Segelperfektion fuhr die Jacht durch die Morgendämmerung und schnitt durch Wellen, die für seinen Geschmack viel zu aufbrausend waren.

Er sollte den Mast nicht so fest umklammern, seine Knöchel waren knochenweiß wie der Strand, für den sein Dorf berühmt war, aber Jude konnte sich nicht überwinden, loszulassen. Er konnte auch die vertraute Sichel aus weißem Sand nicht sehen, nur das Blinken von ein paar Hafenlichtern in der Ferne im Seenebel. Sein Magen zog sich zusammen, als er sah, wie schnell diese Lichter näherkamen. Die Zeit verging plötzlich viel schneller als auf seinen Reisen.

»Du siehst ein bisschen grün um die Kiemen aus, Jude.« Das raue Lachen seines Skippers drang von seinem Platz am Steuerrad herüber. »Man könnte meinen, du wärst neu hier und kein erfahrener alter Hase. Vielleicht solltest du noch ein paar Monate an Bord bleiben. Damit dir ein stärkeres Paar Seebeine wachsen.« Seine Neckerei lenkte von der Aufhellung des Horizonts ab. Es färbte den Seenebel zartrosa, hauchdünne Banner zwischen ihm und dem Dorf, dem er mit allen Mitteln entkommen war.

»Hübsches Plätzchen«, rief der Skipper, als sich der Nebel auflöste. »Urig.«

Jude nickte, anstatt zu sprechen. Porthperrin war jetzt am schönsten, bevor die Sommersaison begann, menschenleer, bevor die gepflasterten Gassen bald mit lärmenden Touristen verstopft sein würden. Sie waren der Lebensnerv des Dorfes, ihr Geld half den lokalen Geschäften, aber er bevorzugte Porthperrin, wenn es ruhig war.

Die Umrisse der schiefergedeckten Gebäude wurden immer deutlicher, die Cottages schienen den steilen Hügel hinunterzustürzen und sich um den Hafen zu stapeln, in dessen Mitte sich der Anchor Pub befand, in dem er aufgewachsen war.

Der Pub wäre eine Augenweide gewesen, wenn er nicht mit leeren Händen zurückgekommen wäre.

Seine Augen stachen bei dieser Tatsache. Ohne Neuigkeiten, die er seiner Schwester mitteilen konnte – gute, schlechte oder sehr hässliche – würde er sein Versagen eingestehen müssen. Als die Aphrodite ihn in Richtung dieses Schicksals trug, blinzelte Jude, um seine Sicht zu klären.

»Ja. Es ist schon ein hübscher Ort,« fügte sein Skipper hinzu, ohne Judes Verzweiflung zu bemerken. »Aber nicht halb so schön wie die Malediven. Also wie wäre es, wenn ich den Neuen loswerde? Ich sorge dafür, dass diese freche Sauklaue über die Planke geht. Vielleicht kann er deiner Schwester helfen, den Anchor den Sommer über zu leiten, anstatt dir. Dann können wir an einen wärmeren Ort zurückfahren. Ich kann das immer noch möglich machen, Jude. Du musst mich nur fragen.«

Es war ein verlockendes Angebot, aber Jude zwang sich, den Kopf zu schütteln.

»Nein? Wo ist dein Sinn für Abenteuer? Ich befördere dich, wenn du Ja sagst.«

Jude riss sich zusammen und lockerte seinen Todesgriff um den Mast. »Zu was genau wirst du mich befördern?« Seine Stimme war ein kehliges Kratzen nach Stunden des Schweigens. Normalerweise ließ ihn sein Skipper gewähren, aber jetzt schien er eine verbale Antwort zu verlangen. »Ich bin schon dein Koch und Flaschenreiniger, geschweige denn ein Reiseleiter für deine reichen Kunden.« Jude schaltete auf Autopilot, als sich der Hafen näherte, und sie arbeiteten im Gleichtakt, um das Schiff anzulegen. »Was gibt es denn noch, was ich nicht schon für dich tue?«

»Was tust du nicht für mich, Jude?« Die Jacht glitt auf einen freien Platz an der Ufermauer, sein Skipper ließ das Manöver leicht aussehen, seine Aufmerksamkeit war voll darauf gerichtet, Jude sicher nach Hause zu bringen. Er schickte den Neuen an Land, bevor er antwortete. »Mir fallen ein paar neue Aufgaben ein, die ich zuweisen könnte.« Er warf einen Blick ans Ufer, seine übliche stoische Miene beunruhigt. »Für den Anfang könntest du mich mit meinem Vornamen ansprechen. Ich heiße Tom, nicht Skip, jetzt wo du nicht mehr auf der Gehaltsliste stehst. Und du könntest …« Er war ausnahmsweise mal unentschlossen, statt wie sonst kühl, ruhig und gefasst. Tom fuhr sich mit einer Hand durch das silbrige, seefeuchte Haar. »Nun, es gibt eine Menge, was du anders machen könntest, Jude, wenn du wolltest. Mit mir, meine ich. Zusammen.«

Das war viel zu verarbeiten. Jude hatte das Angebot nicht kommen sehen.

»Was ich sagen will«, fügte Tom schnell hinzu, »ist, dass wir gut zusammenarbeiten, beruflich. Wir könnten persönlich genauso gut zusammenarbeiten, wenn du bleiben würdest.« Er war damit beschäftigt, das Seil aufzurollen, sein Blick war darauf fixiert. »Du bist ein Geschenk des Himmels auf der Galeere – ein erstklassiger Koch und ein geborener Seemann. Ich mag es, dass du nachdenkst, bevor du sprichst.« Seine Stimme wurde leiser. »Wir haben eine gute Arbeitsbeziehung aufgebaut. Sie weiter auszubauen, wäre nicht gerade ein Problem.«

»Ich muss gehen.« Während Jude sprach, tuckerte ein Fischerboot vorbei. Die Aphrodite dümpelte in seinem Kielwasser, ihr Deck hob und senkte sich, als würde sie zustimmend nicken. »Ich habe meiner Schwester versprochen, dass ich nach Hause komme. Das habe ich schon vor Monaten versprochen.«

Tom folgte Jude, als er vom Dollbord auf die Stufen der Ufermauer sprang. Der Granit war körnig im Vergleich zum glatten Teakholz des Jachtdecks. Er sprach leise, als sie beide am Ufer standen, vielleicht wissend, dass der neugierige Neue zuhörte. »Ich weiß, du hast versprochen, nach Hause zu kommen, Jude, aber bitte hör mir zu. Nimm einen Rat von jemandem an, der älter ist.« Er rieb sich seine glitzernden Bartstoppeln. »Jemanden zu finden, mit dem man so gut zusammenarbeiten kann, der weiß, was man braucht, bevor man es selbst weiß, und der die Hälfte der Last auf sich nimmt, ohne zu fragen …« Sein leises Glucksen war reumütig. »Nun, wenn man so jemanden findet, der auch noch gut aussieht – man wäre ein verdammter Narr, ihn gehen zu lassen, ohne sich zu bemühen, ihn zu halten.«

»Ich … das wusste ich nicht. Warum hast du nicht?«

»Vorher etwas gesagt?« Tom umfasste sein Handgelenk, so wie Jude nur wenige Minuten zuvor den Mast umklammert hatte, sein Griff war fest aufgrund der vom Seil rauen Finger. »Weißt du noch, wie du warst, als ich dich angestellt habe?«

Jude dachte nach und nickte dann. Die leichte Übelkeit von vorhin kehrte zurück.

»Du warst ein Wrack, Jude. Erschöpft. Wie lange warst du zu dem Zeitpunkt schon unterwegs?«

Auf der Suche. Er war monatelang auf der Suche gewesen, anstatt zum Spaß zu reisen oder Inselhopping zu betreiben, wie so viele Leute in seinem Alter. Er war nicht zum Sightseeing auf die Seychellen gereist oder hatte in den warmen Untiefen Goas geschnorchelt. Stattdessen hatte er den Indischen Ozean auf der Suche nach Neuigkeiten durchforstet, die er seiner Schwester nach Hause bringen konnte.

»Jude, es hat lange gedauert, bis du deinen Kopf wieder klar bekommen hast.« Tom richtete sich auf und sprach ein Thema an, das Jude nur einmal geäußert hatte, trunken vor Trauer und Müdigkeit. »Deine Eltern sind auf See verschollen …«

»Das weißt du nicht«, schnauzte Jude. Niemand wusste das ganz sicher.

Toms Nicken war widerwillig. »Okay. Sie sind wahrscheinlich auf See verschollen, und du hast deswegen getrauert. Das verstehe ich. Das tue ich. Es hat dich viel Überwindung gekostet, weiterzusuchen, obwohl die Chancen, dass sie überlebt haben …« Er verzog das Gesicht, bevor er zu Ende sprach, »… schlecht bis unmöglich stehen.«

 

Die Reue war wie eine Schlinge um Judes Hals. Sie zog sich mit jeder Erinnerung enger zusammen.

»Eine Jacht von der Größe der Aphrodite kann schlimme Stürme überstehen«, sagte Tom. »Das weißt du. Aber wenn ein Schiff von solcher Größe wie das deines Vaters in den schlimmsten Taifun seit Jahrzehnten gerät, und er auch noch der einzige erfahrene Seemann an Bord ist …«

Judes Kehle schnürte sich noch weiter zu. All das zu wissen, war in den ersten Monaten, in denen er als Crewmitglied für Tom arbeitete, schwer zu ertragen gewesen, da sein Fokus immer auf der Arbeit und dem Absuchen jedes neuen Horizonts nach einem Zeichen seiner Eltern lag. Später, mit Toms Bodenständigkeit, die ihn erdete, hatte Jude in ein ruhigeres mentales Segeln gefunden, auch wenn er immer noch in jedem Hafen nach einem Boot namens »One for Luck« suchte, an dem sein Vater jahrelang gebaut hatte.

»Ich musste irgendwann nach Hause kommen«, brachte Jude gerade noch heraus und wünschte sich genau in diesem Moment, er wäre irgendwo anders als zu Hause. »Ich habe es Louise versprochen.«

»Jude, das hast du schon mal gesagt, dann hast du deine Meinung geändert.«

»Es … es schien zu früh, um aufzugeben«, sagte er. Das war erst ein paar Monate, nachdem die Polizei mitten während des Abendessens in dem Londoner Restaurant, in dem er gearbeitet hatte, aufgetaucht war. Sie hatten ihm Neuigkeiten erzählt, die sein Leben verändert hatten, und von diesem Moment an war Jude entschlossen gewesen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Mit leeren Händen nach Hause zu kommen …

Tom ließ Judes Handgelenk ganz langsam los. »Du kannst dir nicht die Schuld geben, dass du sie nicht gefunden hast, Jude. Oder dafür, dass du keine Wrackteile gefunden hast, wo du doch nicht mal genau wusstest, wo du danach suchen solltest. Und du kannst mir auch nicht vorwerfen, dass ich den ganzen Weg hierher gehofft habe, du würdest es dir noch einmal anders überlegen.« Jude schüttelte den Kopf, anstatt zu antworten, also fuhr Tom leise fort. »Ich will nur, dass du dir sicher bist. Wirklich sicher. Wie alt bist du? Um die zwanzig? Ehe du dich versiehst, bist du vierzig wie ich, und hast noch die halbe Welt zu erkunden. Nur weil du eine familiäre Verpflichtung empfindest, dich an ein scheiterndes Unternehmen zu ketten …«

Der Zorn entlockte Jude mehr Worte als normalerweise. »Ich kette mich an nichts. Ich habe versprochen, dass ich zurückkomme, das ist alles. Um zu helfen, den Pub für den Sommer vorzubereiten. Und es ist kein scheiterndes Unternehmen.« Okay, die Nachrichten seiner Schwester waren in diesem Winter eine Zeit lang nicht gerade positiv gewesen, aber in letzter Zeit klang sie immer fröhlicher, wenn er zu Hause anrief. »Der Pub ist in der Vergangenheit immer gut gelaufen. Wenn die Sommertouristen erst einmal da sind, wird es wie immer laufen.« Abgesehen davon, dass seine Eltern nicht mehr hinter der Theke stehen, dachte er. Er hatte es immer noch nicht akzeptiert. »Mum und Dad hatten nie vor, ihr die Leitung des Anchor so lange zu überlassen. Es sollte nur ein einmaliges Abenteuer sein, bevor sie zu alt waren, um es zu genießen. Wir müssen den Pub nur am Laufen halten, bis sie zurückkommen. Es wird nicht für immer sein.«

»Okay, okay. Aber frag dich Folgendes, Jude: Du hattest eine große Karriere in London, nicht wahr? Oder zumindest den Beginn einer solchen, wenn du wirklich Halbfinalist bei diesem ›Bester Koch‹-Wettbewerb warst.«

»Das war ich.« Jetzt kam ihm dieser Wettbewerb vor, als wäre er einer ganz anderen Person passiert.

Tom legte besorgt die Stirn in Falten. »Ich weiß, du es warst. Ich habe es nachgeschlagen, nachdem ich zugestimmt hatte, dich einzustellen«, gab er zu. »Ich habe gelesen, dass du siegessicher warst, bevor du die Nachricht über deine Eltern erhalten hast.« Er begegnete Judes Blick und hielt ihn fest. »Und ich habe gelesen, dass du, falls du den Wettbewerb gewinnen solltest, vorhattest, mit dem Preisgeld ein eigenes Lokal in London zu eröffnen. In einem Interview hast du gesagt, du seist mit dem Kochen von Pubgerichten aufgewachsen, aber du hältst die gehobene Küche für etwas Besonderes. Du hast unsere Charterkunden mit deinen Menüs ziemlich begeistert.« Tom warf einen Blick auf den Pub, in dem Jude aufgewachsen war. »Glaubst du wirklich, dass du hier etwas so Besonderes finden wirst?«

So etwas Besonderes?

Judes Blick glitt auch zur Vorderseite des Pubs, dessen abblätternder Anstrich im Sonnenaufgang sichtbar wurde, zu viel Wartung hier für eine Person allein. Die Schuld lastete schwer, wie der schwarze Anker, der auf das Schild über der Eingangstür des Pubs gemalt war.

Toms Stimme wurde leiser. »Oder bist du vielleicht stattdessen entschlossen, wegen einer besonderen Person zurückzukommen? Weißt du, ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass das Interview, das ich gelesen habe, einen gewissen Unterton hatte. Darin stand, dass zwischen dir und einem anderen Kandidaten während des Wettbewerbs die Funken flogen. Rob, nicht wahr? Rob Martin?«

Judes Gehirn beschwor ein geistiges Bild von jemandem herauf, den er so sehr versucht hatte zu vergessen.

»Der Interviewer hat angedeutet, dass ihr beide Gegensätze seid. Er sagte, du seist todernst, wenn es ums Gewinnen geht, während dieser Rob ein Witzbold sei, der nur spielt. War es ein Fall von ›Gegensätze ziehen sich an‹, Jude? Habe ich deshalb in der ganzen Zeit, in der wir zusammen gesegelt sind, nie bemerkt, dass du jemanden abgeschleppt hast?«

»Nein«, murmelte Jude und tat sein Bestes, um nicht zu sehen, wie sich Robs Lachfalten über Toms tiefe Falten legten, oder Robs breites Lächeln, als sich Toms Lippen leicht hoben. »Rob Martin ist nicht mein Typ.« Jude versuchte auch, den einen Kuss nicht wiederzuerleben, den sie in der Nacht geteilt hatten, bevor ein Taifun den Lauf seines Lebens veränderte. »Er nimmt den Beruf eines Kochs nicht ernst. Oder irgendetwas anderes, was das betrifft.«

»Nein? Warum hat er dann am Wettbewerb teilgenommen?«

»Um seinen Vater zu ärgern.«

Tom blinzelte, also erklärte Jude die Geschichte, für die er Monate gebraucht hatte, um sie sich zu überlegen. »Sein Vater hat eine ganze Kette von Fünf-Sterne-Restaurants, von denen er erwartet, dass Rob sie übernimmt. Ich weiß nicht warum, wenn Rob sie nicht verdient. Er ist stinkfaul, aber ich schätze, Blut ist dicker als Wasser.« Und war das nicht genau der Grund, warum Jude London in dem Moment verlassen hatte, als seine Eltern verschwanden? »Er hat immer nur für die Kameras mit mir geflirtet.«

»Also, wenn es hier nicht jemand Besonderes für dich gibt, könntest du vielleicht an mich denken? Ich glaube, wir würden gut zusammenpassen.« Tom zog ihn näher zu sich heran. »Sag mir, dass du noch nie darüber nachgedacht hast. Über uns.« Seine Berührung glitt von Judes Handgelenk zu seinem Ellbogen; sein Daumen drückte auf die Vertiefung, in der sein Puls pochte. Dann glitt sie über die Schwellung des Bizeps, bevor sie auf Judes Schulter zur Ruhe kam. »Weil ich es getan habe«, sagte Tom, schlicht und ehrlich.

Aus dieser Nähe konnte Jude das Motoröl an Toms Hand riechen und einen Hauch des Pfefferminztees, den er mochte. Er hielt Jude felsenfest. »Du hast dir nie etwas anmerken lassen. Ich hatte ja keine Ahnung.«

»Ich wollte dich nicht anmachen, während du so niedergeschlagen warst. Und dann habe ich beschlossen, es nicht zu tun, solange du noch unter mir arbeitest, für den Fall, dass du dich unter Druck gesetzt fühlst, Ja zu sagen. Jetzt wo ich nicht mehr dein Chef bin, kann ich fragen.« Tom ließ es so einfach klingen. »Also, was denkst du?«

Es wäre einfach – so einfach – Ja zu sagen.

Jude konnte den Sommer damit verbringen, für Toms wohlhabende Kunden zu kochen, während er seine Suche fortsetzte.

Tom täuschte einen finsteren Blick auf seinen neuen Mitarbeiter vor, der ihm einen Kuss zuwarf. »Ich hätte dich fragen sollen, bevor ich diesen Soßentopf unter Vertrag genommen habe.« Tom seufzte. »Er wird nichts als Ärger machen.« Dann richtete er den Blick wieder auf Jude. »Ja, ich hätte dich vorher fragen sollen, und dir dann zeigen, was du verpassen würdest.«

Jude befeuchtete seine plötzlich trockenen Lippen und stellte fest, dass Tom seinen Mund studierte. Seine Lippen öffneten sich, als er sich vorbeugte. Jude hätte fast seinen Mund getroffen – für den Bruchteil einer Sekunde wollte er es –, bis etwas in ihm ihn von Tom wegzog, anstatt auf ihn zuzugehen. Der Neue schien mit dieser Entscheidung einverstanden zu sein und hob Judes Seesack vom Deck, um ihn zwischen ihnen abzuladen.

»Du bleibst also?«

»Ich muss, zumindest für den Sommer.«

»Okay.« Tom nickte, als hätte er einen Entschluss gefasst. »Tu, was du hier tun musst. Lass es hinter dir, Jude, und ruf mich dann über das Satellitentelefon an. Ruf mich an«, wiederholte er, als würde er seine üblichen Befehle erteilen – schrubb das Deck, hiss das Segel, beginn ein neues Leben mit mir. »Du rufst mich an, und ich ändere den Kurs; segle, wohin du willst, wenn du mich darum bittest.«

Die Seemannsbeine machten Jude zu schaffen, als Tom die Leinen löste und auf das Deck der Aphrodite sprang, um Judes Ersatz Anweisungen zu erteilen. Er stemmte sich gegen den Deich, um nicht zu folgen, als die Jacht, die sein Zuhause geworden war, auf das offene Wasser fuhr und ihn dort zurückließ, wo er sich schließlich seinem Leben stellen musste.

Seine Schlüssel lagen unten in seinem Seesack, zwischen bunten Stoffrollen, die auf das Kopfsteinpflaster fielen, als er unter ihnen herumfummelte – so hell im Vergleich zur grauen Realität zu Hause. Jude hielt inne, bevor er einen tiefen Atemzug tat. Dann ging er zur Eingangstür des Pubs, um seinen Schlüssel ins Schloss zu stecken.

Es drehte sich nicht.

Tatsächlich sah das ganze Schloss neu aus.

Hatte Louise in letzter Zeit in einer ihrer Nachrichten erwähnt, dass sie es gewechselt hatte? Wenn ja, hatte er es überlesen. Jude hätte fast an die Tür geklopft, bis eine Möwe hinter ihm schrie – eine Erinnerung daran, dass um diese Zeit nur Fischer und Möwen wach waren. Seine Uhr gab Bestätigung: Es war zu früh, um sie zu wecken.

Damit blieb nur noch eine Möglichkeit: Er würde sich im Bootshaus schlafen legen, bevor er sich seiner Schwester stellte. Vielleicht würde er schlafen, statt wie sonst wach zu liegen und über Was-wäre-wenn-Fälle mit einem durch und durch verdorbenen Menschen wie Rob nachzudenken. Es hatte keinen Sinn, jetzt über ihn nachzudenken, das wusste Jude, trotz der Funken, die Tom erwähnt hatte. Und es gab definitiv keinen Grund, ihren einen Kuss zu wiederholen, nicht wenn Rob schon vergessen hatte, dass es ihn überhaupt gegeben hatte.

Jude schulterte seine Tasche und ging zum anderen Ende des Hafens. Das Bootshaus sah von außen unverändert aus; der umgedrehte Rumpf seines Daches war derselbe wie immer, genauso wie das verwitterte Schloss an seiner Tür – Gott sei Dank. Diesmal glitt sein Schlüssel hinein. Drinnen war es dunkel, düster, aber Jude kannte den Grundriss wie seine Westentasche. Am hinteren Ende waren zwei Kojen. Zweifellos würden die Bettbezüge staubig sein, aber er hatte schon an viel schlimmeren Orten geschlafen, bevor Tom ihn angestellt hatte. Er machte sich auf den Weg zu ihnen.

Jude stieß mit dem Schienbein gegen etwas Festes. Er verbiss sich einen Fluch und zerrte einen Vorhang beiseite, der ein Bullaugenfenster verdeckte. Das Licht der Morgendämmerung war schwach, aber Jude hielt den Atem an, als er sah, was es offenbarte.

Da lag jemand, der weit von London entfernt war und sich nicht mit seinem berühmten Vater stritt. Rob Martin schlief in Judes Koje und breitete sich auf der Matratze aus, als gehöre sie ihm.