Loe raamatut: «Sein Horizont», lehekülg 4

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Kapitel 5

Sie nahmen einen längeren Weg zurück zum Pub, indem sie dem Küstenweg folgten, anstatt wieder die Abkürzung durch die Felspools zu nehmen. Er brachte sie in das Dorf, ein paar Straßen vom Hafen entfernt. Louise erklärte mehr, während sie an leer stehenden Häusern und verrammelten Geschenkeläden vorbeigingen.

»Kaum ein Geschäft blieb nach dem Sturm geöffnet. Es gab keine üblichen Wintertouristen. Ohne sie gab es nicht genug Handel, um sich über Wasser zu halten.« Sie blieb vor einem großen, granitverkleideten Cottage stehen, das einst einer Künstlerfamilie gehört hatte. »Marc leitet jetzt die Kunstgalerie seiner Eltern, aber seine Mutter und sein Vater sind zurück nach Frankreich gezogen.« Vielleicht bemerkte sie, wie Jude bei diesem Namen zusammenzuckte. »Ich weiß, dass Marc in der Schule nicht deine Lieblingsperson war, obwohl ich keine Ahnung habe warum. Er kam nach dem Sturm zurück, um seinen Eltern beim Auszug zu helfen. Dann ist er geblieben.« In ihrem Ton lag eine seltsame Schärfe, die fast wie Sorge klang. »Ich weiß nicht, ob es genug geben wird, um ihn noch länger hier zu halten. T-Touristen, meine ich, um die Galerie offen zu halten. Er wohnt jetzt in der Wohnung darüber, und die alte Wohnung seiner Eltern steht leer. Ich denke, sie werden sie als Ferienwohnung verkaufen. Ein schickes.« Sie legte ihre Hände an eine Fensterscheibe und spähte hinein.

Jude gesellte sich zu ihr und konnte das Interieur kaum erkennen, das so lebendig war wie seine Besitzer, die ganze Familie ausdrucksstark und extravagant auf eine Weise, die Jude instinktiv vermied. »Sie haben Porthperrin direkt auf die Wände gemalt. Riesige Wandgemälde in jedem Zimmer«, erinnerte er sich.

»Jemand wird das alles übermalen«, sagte Louise. »Es neutral machen«, was Jude an die ganz weißen Schlafzimmer im Anchor erinnerte. »Das ist der neue Markt für uns«, schloss Louise. »Leute, die einen luxuriösen Urlaub wollen und nicht nur einen billigen Campingurlaub am Strand.«

Judes Atem beschlug die Glasscheibe. »Ich nehme an, das erklärt das Feinschmeckermenü, das ich in meinem Schlafzimmer gefunden habe.« Er richtete sich auf und sah Rob direkt an, immer noch mit dem Gefühl, als würde sich der Boden unter seinen Füßen verschieben und ihn, wie ihren verlorenen Strand, in Richtung Meer drängen. »Und ich schätze, das erklärt den Hummer, den du heute Morgen bei Carl gekauft hast, aber ich verstehe immer noch nicht, wo du da reinpasst.« Die Erwähnung von Essen ließ seinen Magen laut genug knurren, dass Louise es bemerkte.

»Komm schon«, sagte sie. »Lass uns beim Frühstück reden.« Auf dem Weg dorthin kamen sie an weiteren leerstehenden Häusern vorbei sowie an ein paar weiteren Geschäften, in denen es kein Lebenszeichen gab. »Nach dem Sturm dachte ich – dachten wir alle –, dass die Touristen sowieso wiederkommen würden. Vielleicht würden sie etwas weiter weg campen, aber sie würden trotzdem ins Dorf kommen, um zu essen und ihr Urlaubsgeld auszugeben.« Sie gestikulierte, während sie zum Parkplatz hinter dem Pub gingen. Nur ein paar Autos waren dort geparkt, wo es normalerweise zum Bersten voll gewesen war. »Heutzutage kommen nicht einmal mehr viele Tagesausflügler zu uns. Es hat sich herausgestellt, dass die Leute lieber einfach zu erreichende Orte bevorzugen, als einen langen Spaziergang entlang des Küstenpfads vom nächsten Dorf, und ohne den Strand gibt es hier nicht viel für ihre Kinder.«

Sie bogen um die Ecke, Möwen beobachteten sie von der Ufermauer aus.

»Natürlich«, fuhr Louise fort, »ist es immer noch wunderschön hier, aber ohne die Massen liegt es auf der Hand, dass der Pub mehr Geld an jeder Person, die uns findet, verdienen muss.«

Rob schloss die Tür des Pubs auf. Die Schlüssel seiner Mutter in seiner Hand zu sehen, fühlte sich immer noch seltsam an. Er biss sich lieber auf die Zunge, als es auszusprechen. Jude folgte Rob schweigend in die Küche und nickte, als Louise fragte: »Willst du einen Bacon Butty?« Auf dem Weg zum neuen begehbaren Kühlschrank schaltete sie den Wasserkocher ein und reichte den Speck, den sie darin fand, an Rob weiter, der ihn in die Bratpfanne legte. Dann schnitt sie Brot auf, das er mit Butter bestrich, beide arbeiteten in einem leichten, geübten Tandem.

»Ich werde den Tee machen«, sagte Jude unwirsch.

»Keine Milch für Rob«, sagte Louise, als ob sie ihn besser kennen würde als Jude. Das tat sie auch, musste er zugeben, der immer noch damit kämpfte, die vielen Veränderungen zu begreifen, wie zum Beispiel die Schüsseln, die dort gestapelt waren, wo er Tassen erwartet hatte, oder die Teller im Schrank nebenan, die ebenfalls am falschen Platz standen.

»Hier.« Rob öffnete ein weiteres Schränkchen, sein Blick war zurückhaltend. Wenigstens waren die Löffel dort, wo Jude sie erwartet hatte. Er rührte den Tee um und gab nur einen Spritzer Milch in den seiner Schwester.

»Du trinkst deinen jetzt auch schwarz?« Louise erklärte Rob: »Er hat seinen Tee immer so milchig getrunken. Er hat Liter für Liter getrunken und dann die leeren Flaschen zurück in den Kühlschrank gestellt.« Als Louise abrupt aufhörte zu sprechen, füllte Rob die plötzliche Stille.

»Meine Mutter auch.« Seine Stimme lenkte von der Erinnerung daran ab, wer in dieser Küche fehlte. »Nur meine hat geschrien, weil ich den ganzen Saft getrunken habe.« Sein Lächeln war breit, wie Jude es in Erinnerung hatte. »Sie liebte frischen Saft, aber ich trank ihn so oft ohne nachzudenken aus. Jetzt würde ich jeden Morgen hundert Orangen auspressen, wenn sie mich darum bitten würde …« Er erwischte Jude beim Starren. Robs Augenbrauen hoben sich ein wenig und er fragte: »Willst du?«

Wollte Jude immer noch?

Er hatte nie aufgehört, Rob zu wollen, das war die Wahrheit – nicht eine einzige Minute lang.

»Saft?« Rob schüttelte die Packung. »Willst du Saft zu deinem Sandwich?«

»Nein«, brachte Jude schließlich heraus. Ein Blick in Louises Richtung zeigte ein kleines Stirnrunzeln, das sich vertiefte, als ihr Blick zwischen ihm und Rob hin und her schwang. Er musste sie davon abhalten, noch intensiver über sie nachzudenken. »Komm schon. Lass uns in der Bar essen.«

Jude trug ein Tablett mit Bacon-Sandwiches in die Bar, in der er seinem Vater so oft geholfen hatte, Kunden zu bedienen. Ein Seufzer entglitt ihm beim Anblick von noch mehr Veränderungen. »Wo sind die Karten?« Früher bedeckten sie eine Wand, wo jeder neue Kunde einen Pin hinterlassen konnte, um zu zeigen, woher er gekommen war. Jetzt hingen an der gleichen Stelle noch mehr Seekarten und Preisschilder.

»Die Karten? Sie sind ein bisschen nass geworden, aber ich habe dafür gesorgt, dass sie sicher aufbewahrt werden, sobald sie getrocknet sind. Sie sind im Bootshaus.«

»Mit dem Rest des Zeugs«, fügte Rob hinzu.

Zeug?

Für so ein kleines Wort hatte es eine große Wirkung. Jude unterdrückte einen weiteren instinktiven Drang, sich verbal zu wehren. Musste Rob so hochnäsig klingen, wenn es darum ging, wo Jude aufgewachsen war, und den Unterschied in ihrer Herkunft hervorheben? Diese Bar hatte vielleicht nicht die geschmackvollste Dekoration, aber sie spiegelte die Interessen seiner Eltern wider und zeigte, was sie am meisten an Porthperrin und dem Segeln liebten. Jude setzte sich an den nächstgelegenen Tisch und stopfte sich den Mund mit seinem Sandwich voll, anstatt Rob zu sagen, wohin er verschwinden sollte. Er biss sich auf die Zunge, bis Louise ihm erklärte, wieso Rob ein Mitspracherecht bei der Führung des Anchor hatte.

In seiner Nähe zu sein war ein Albtraum, dachte Jude verzweifelt, während er kaute. Das heftige Verlangen, das die Monate der Trennung nicht gedämpft hatten, mischte sich gleichermaßen mit der Sorge, während er sein Frühstück verschlang. Er kaute schnell, damit sie dieses Gespräch hinter sich bringen konnten.

»Da hat aber jemand Hunger.«

Jude musste nicht aufblicken, um sich Robs Belustigung vorzustellen. Er verlangsamte sein Kauen auch nicht und nahm mit der Spitze eines abgeleckten Fingers die letzten Krümel auf seinem Teller auf. »Es ist schon lange her seit dem Abendessen.« Und dieses Essen war schrecklich gewesen; der Neue hat sogar das Nudelwasser anbrennen lassen. Gott wusste, was er für Toms Frühstück zusammenstellen würde, geschweige denn für seine nächsten Kunden.

Einen langen, verzweifelten Moment lang wünschte sich Jude zurück an Bord der Aphrodite, meilenweit entfernt von diesem Pub, den er kaum wiedererkannte, und dem verlorenen Strand, der eine finanzielle Katastrophe bedeutete.

»Komm schon.« Rob zog Judes leeren Teller zu sich heran. »Das hat noch nicht annähernd gereicht. Ich mache dir noch eins.« Sein Angebot war wie ein Befehl formuliert. Jude hätte fast verneint, bis er eine schnelle Veränderung in Robs Gesichtsausdruck wahrnahm, die fast flehentlich wirkte. Er folgte ihm schweigend in die Küche, wobei Rob erst sprach, als die Tür geschlossen war.

»Du wirst mir sagen, dass ich mich aus deinem Pub verpissen soll«, sagte Rob, während er mit mehr Kraft als nötig noch mehr Brot butterte. »Ich kann es in deinem Gesicht geschrieben sehen. Das habe ich heute Morgen schon einige Male getan, und irgendwie habe ich dich gerade wieder verärgert.« Er klang ruhig, aber als er das Messer absetzte, sah Jude, dass seine Hand zitterte. »Weißt du, ich habe mich lange gefragt, was zum Teufel ich gesagt habe, dass du einfach verschwindest, ohne mit mir zu reden, oder?«

Es war nicht Robs Schuld gewesen, dass Jude London so schnell verlassen hatte; seine rasche Abreise war ein Umstand gewesen, getrieben von einem Schock, der bedeutete, dass die Familie an erster Stelle stehen musste. Das musste sie auch. Er versuchte, es noch einmal zu sagen, aber Rob war immer noch dabei und weigerte sich, Augenkontakt herzustellen. Er belegte das Brot mit einer Schicht Schinken, während er fragte: »Hast du eine Ahnung, wie oft ich unser letztes Gespräch noch einmal durchgespielt habe?«

Jude schüttelte den Kopf.

»Zu oft, um es zu zählen. Ich versuche, herauszufinden, was ich bei dir falsch gemacht habe.«

»Du hast nichts falsch gemacht.«

»Das muss ich wohl. Wir hatten gerade das Halbfinale des Wettbewerbs überstanden, aber ich dachte schon, ich hätte den ersten Preis gewonnen, denn das war der Tag, an dem ich dich küssen durfte.«

Judes Verstand wurde leer, er wurde von der Stille überrascht.

»Ich durfte dich küssen«, wiederholte Rob, als wäre das der eigentliche Preis, den er schätzte, und nicht das Geld, das Jude gebraucht hatte. »Nachdem ich dich monatelang angequatscht hatte, habe ich endlich den ersten Schritt gewagt, aber dann warst du am nächsten Tag verschwunden, bevor ich dich zu einem Date ausführen konnte.«

Jude erinnerte sich daran, wie unglaublich es sich angefühlt hatte, Rob zu küssen, nachdem er sich so lange gefragt hatte, ob sein Flirten eine Wettbewerbstaktik war, die ihn aus der Fassung bringen sollte, oder eine weitere Möglichkeit für Rob, seinen Vater zu ärgern.

»Irgendetwas, das ich gesagt habe, muss falsch rübergekommen sein, damit du gehst, ohne mit mir zu reden.« Rob stand plötzlich viel näher, drang in Judes Privatsphäre ein und fädelte die Finger einer Hand durch seine. »Ich würde es zurücknehmen, wenn ich es wüsste, Jude. Ich würde klären, was immer es war, das dich glauben ließ, ich würde dir nicht helfen wollen. Aber es ist schon Monate her, und ich musste weitermachen.« Sein Griff um Judes Hand widersprach diesen Worten. Er drückte seine Stirn für den Bruchteil einer Sekunde an Jude, bevor er sich zurückzog, und sagte: »Wenn du also immer noch vorhast, mir zu sagen, dass ich mich verpissen soll, will ich dieses Mal zuerst einen richtigen Abschied von dir.« Seine Lippen berührten fast die von Jude, so weich, wie er sie in Erinnerung hatte. »Darf ich?«, fragte er. »Bitte?«

Jude nickte. Der Druck von Robs Lippen war zunächst zaghaft, aber dennoch schickte er Funken durch seinen Körper, die sich schnell erhitzten. Als Rob seinen Griff verlagerte und Judes Hand losließ, legte er beide Arme um ihn, wobei seine Finger durch das Haar in seinem Nacken glitten. Er stöhnte auf. Jude öffnete seine Lippen, ihr Kuss vertiefte sich, beide hielten sich fest.

Wie oft hatte Jude sich an ihren einen Kuss erinnert, während er den fernen Horizont absuchte, ohne auch nur einen Moment lang zu glauben, dass Rob das Gleiche in Großbritannien getan haben könnte?

Wie oft hatte er sich gewünscht, sie hätten sich schon viel früher geküsst, nur damit er sich mehr an die Art und Weise erinnern konnte, wie Robs Berührung ein Feuer in ihm entfachte.

Was, wenn das, was sie kurz davor waren zu beginnen, nur so lange dauerte wie der Wettbewerb? Jude hatte schon geahnt, dass er fallen gelassen werden würde, sobald er vorbei war. Schließlich bewegte sich Rob in einem anderen gesellschaftlichen Kreis; dass der Erbe des Londoner Restaurantadels sich mit jemandem auf der untersten Sprosse der Restaurantleiter verabredete, schien auf Dauer unwahrscheinlich. Außerdem hätte Jude Rob niemals nach Porthperrin mitnehmen können.

Doch hier war er in einer Küche, die nichts mit der zu tun hatte, in der Jude gelernt hatte zu kochen.

Hier war er und küsste Jude, als ob er nie aufhören wollte, und zog sich nur zurück, um einen tiefen Atemzug zu machen.

Rob umfasste Judes Gesicht und zog ihn für einen weiteren Kuss zu sich heran, bevor er seine Meinung änderte und ihn gegen die Arbeitsplatte drückte. Seine Hände waren nur knapp unter Judes Hintern, als er ihn auf die Oberfläche hievte. Er stand zwischen Judes gespreizten Beinen, seine Hände wanderten von seinen Schenkeln zu Judes Brust, bevor er am Saum von seinem Hemd zupfte. Er schob eine Hand unter den Stoff und fuhr über die Haut, die seine Berührung aufsaugte wie ein Schwamm das Wasser. Rob küsste Jude, als würde er ertrinken, verzweifelt, als wäre Jude die Luft, die er brauchte. Er stöhnte und klammerte sich fest, zog Jude an den Rand der Arbeitsplatte; seine Hüften drückten gegen die Stelle, an der Judes Beine auseinandergingen.

Endlich konnte Jude seine Hände in das Haar gleiten lassen, das genauso seidig war, wie er es in Erinnerung hatte. Rob zog sich zurück, seine Brust hob sich, und es glitt durch seine Finger.

»So hätte ich es gemacht«, sagte Rob; seine Stimme war rau. Er beugte sich noch einmal vor, die Bartstoppeln kitzelten leicht, als seine Lippen Judes Kiefer streiften. Sein Atem war so warm über Judes Ohr, als er flüsterte. »So hätte ich mich letztes Mal verabschiedet, wenn du mich gelassen hättest.«

Sein letzter Kuss war kaum da, die geringste Berührung – weg, bevor Jude reagieren konnte.

Die Küchentür schwang hinter Rob zu und ließ Jude halbsteif und außer Atem zurück.

Kapitel 6

Jude kehrte an den Tisch zurück, seine Schwester aß das letzte Stück ihres Sandwichs auf, während er sein zweites auf den Tisch legte. Es war eine Herausforderung, einen Bissen zu nehmen, während Rob ihm gegenüber saß und seine Augen jede seiner Bewegungen verfolgten, bis Jude sein Sandwich zum Mund führte. Rob wandte den Blick ab und rieb sich mit der Hand über die Lippen, die jetzt ein wenig röter waren als zuvor. Auch sein Haar war noch zerzauster, nachdem Jude mit den Händen hindurchgefahren war. Judes Blick verweilte lange genug, dass Rob ihn bemerkte und sich die Strähnen aus der Stirn strich.

Louise bemerkte es. »Habt ihr zwei euch gerade gestritten, oder so?«

Oder so ist richtig. Jude nickte zur gleichen Zeit, als Rob den Kopf schüttelte.

Louises Augen verengten sich über dem Rand ihrer Tasse. »Ich dachte, ihr mögt euch.«

Jude hatte das getan. Aber es war sinnlos, Gefühle wieder aufzugreifen, unter die Rob gerade einen klaren Schlussstrich gezogen hatte. Er nahm lieber einen großen Bissen von seinem Sandwich, als irgendetwas davon auszusprechen, schon gar nicht Louise gegenüber. Stattdessen tat er, was er geübt hatte, seit er gemerkt hatte, dass Männer sein Interesse weckten; Jude verschloss sich, schwieg.

Seine Schwester stellte ihre Tasse auf den Tisch. »Du musst wissen, dass ich Rob überhaupt nur kontaktiert habe, weil es so aussah, als hättet ihr beide euch während des Wettbewerbs angefreundet.«

Jude schnaubte.

»So sah es aus«, beharrte Louise. »Ihr müsst gute Freunde gewesen sein. Rob hat dir den Sieg im Wettbewerb gewidmet.«

Jude hörte auf zu kauen, als Rob so schnell aufstand, dass der Tisch ein wenig wackelte. Der Tee schwappte auf die vernarbte Oberfläche, das Holz war von den jahrelangen Touristen verbeult, deren Anwesenheit ein kleines Zeichen dafür war, dass zumindest Teile der Geschichte des Anchor unberührt blieben. Als Louise den verschütteten Tee aufgewischt hatte, stand Rob schon hinter der Bar und stellte ein Glas auf den Tresen. Er öffnete eine Flasche Cognac und sagte: »Es ist zu früh für diese Unterhaltung«, während er einschenkte und beim ersten Schluck das Gesicht verzog. »Mein Gott, das schmeckt wirklich Scheiße. Das ist schlimmer als der Kaffee.«

Jude schaffte es schließlich zu schlucken. »Du hast mir den Sieg gewidmet?«

Rob nahm einen weiteren kleinen Schluck und nickte. Die Wiederholung seiner Grimasse wäre komisch gewesen, wenn sich Judes Herz nicht zusammengezogen hätte. »Warum?«

Rob schnappte sich die Flasche und das Glas und kehrte dorthin zurück, wo sie am Fenster saßen. Das Sonnenlicht ließ nichts verborgen. »Warum ich dir den Sieg gewidmet habe?« Er hob sein Glas wieder; ein zweiter Gedanke drängte sich auf, und er setzte es stattdessen ab, um es wegzuschieben. Die Dellen und Kratzer in der Tischplatte mussten sehr interessant sein. Er zeichnete sie sehr sorgfältig nach, anstatt zu Jude aufzublicken. »Denn ohne dich als Konkurrenten hätte ich es nie nötig gehabt, mich so sehr anzustrengen, um im Wettbewerb zu bleiben.« Seine Stimme senkte sich zusammen mit seinem Blick. »Ich habe nur teilgenommen, um Dad zu ärgern. Warum sollte ich das Preisgeld brauchen, um mein eigenes Restaurant zu eröffnen? Aber du hast mich dazu gebracht, ins Finale zu wollen.« Er hob den Blick. Er wirkte verletzlich auf eine Weise, die Jude den Atem raubte. »Das hast du«, beharrte Rob. »Zum ersten Mal wollte ich unbedingt kochen.« Er fuhr fort, die Narben im Holz nachzuzeichnen, die Fingerspitze kam Judes Hand immer näher.

Er sollte sie wegbewegen, beschloss Jude; seine Hand weit aus Robs Reichweite bewegen, bevor Louise sah, dass sie sich fast berührten. Stattdessen entfalteten sich seine Finger wie die Wedel einer Anemone bei Flut. Etwas tief in ihm war so verzweifelt, sich nach dem kleinsten Stückchen Kontakt zu sehnen. Das bedeutete sicherlich Ärger, aber trotzdem konnte Jude nicht anders, als sich etwas näher zu beugen, bis sein Knie gegen Robs unter dem Tisch drückte. Das Gefühl, dass er zurückdrückte, war willkommen und doch beängstigend.

»Es stand in der Zeitung«, sagte Louise, ohne zu bemerken, dass Jude kurz vor einer ausgewachsenen Krise stand. »Ich habe ein Interview gelesen, das Rob gegeben hat. Der Reporter ging sehr ins Detail über Robs familiären Hintergrund. Darüber, wie die Familie seiner Mutter das Landhotel führte, in dem sein Vater zuerst arbeitete.«

Aha. Das hatte Jude nicht gewusst.

»Und darüber, wie Robs Vater und Mutter ihr eigenes Hotel von Grund auf renovierten. Sie blieben dort, bis …« Sie warf einen Blick zur Seite und fuhr auf Robs kleines Nicken hin fort. »… bis es seiner Mutter sehr schlecht ging.« Louise tat, wovor Jude sich nur mit Mühe zurückgehalten hatte; sie nahm Robs Hand ganz leicht und drückte sie. »Sein Vater hat nach ihrem Tod verkauft, und dann hat er angefangen, Restaurants in London zu eröffnen.«

Dieser Teil war auch für Jude neu. Jetzt wo er genauer darüber nachdachte, wusste er nur, dass Robs Vater in den engen Londoner Restaurantkreisen sehr angesehen war und sein guter Ruf Rob Türen öffnete, von denen Jude nur träumen konnte. »Es tut mir leid«, brachte er heraus. »Wegen deiner Mum.«

Rob nickte und schaute überall hin, nur nicht direkt zu ihm, während Louise fortfuhr. »Daher weiß ich, dass Rob nicht nur was vom Kochen versteht. Er weiß auch, wie Hotels funktionieren, weil er dort aufgewachsen ist. Der Artikel über Rob kam nach dem Sturm heraus«, erklärte sie. »Bis dahin hatten die grundlegenden Reparaturen die Sommergewinne sowie die Notfallkasse von Mama und Papa aufgezehrt. Wir bekamen nicht die normalen Winterbesucher. Normal …« Sie hielt einen Moment lang inne, dunkle Wolken zogen über ein Gesicht, das normalerweise hell und offen war. »Seitdem ist hier nichts mehr normal. Nach dem Sturm hatte ich nur einen Stapel letzter Forderungen und keine Möglichkeit, sie zu bezahlen.«

»Aber, Lou, als ich anrief, um dich zu fragen, was du davon hältst, dass ich an Bord der Aphrodite bleibe, um länger zu suchen, hast du nicht einmal angedeutet, dass es ein Problem gibt. Du hast mir gesagt, ich solle nicht zurückkommen.«

Sie nickte, die Tasse nun in beiden Händen haltend. Sie nahm einen letzten Schluck, während Jude seinen eigenen leerte. Sein Mund war trocken bei dem Gedanken, dass Louise hier allein mit einem Problem dasaß, für das es keine Lösung gab. Sie stellte ihre Tasse ab; ein Lächeln, das nicht ganz glücklich aussah, umspielte ihre Lippen. »Ich dachte, du wärst nützlicher, wenn du nach Mom und Dad suchst.«

»Inwiefern war das nützlicher?«, fragte Jude verärgert.

Rob hob die Cognacflasche, als wolle er ihm einen Schluck einschenken. Jude lehnte ab. Louise schob ihm ihre Tasse entgegen. Sie nahm ihn wieder, nachdem er etwas eingegossen hatte. Sie rümpfte die Nase, als sie nippte, und richtete ihren nächsten Kommentar an Rob.

»Du hast nicht gelogen. Das ist übel.« Ihre Grimasse spiegelte die von Rob wider, bevor sie tief einatmete und direkt zu Jude sprach. »Als mir klar wurde, dass der Pub nicht ohne die üblichen Touristen auskommen würde, waren mir die Möglichkeiten ausgegangen.«

»Ich hätte …«

»Du hättest was tun können, Jude?« Sie schob sich eine Locke hinters Ohr, ihre Unterlippe bebte. »Gerade noch rechtzeitig nach Hause kommen, um zuzusehen, wie die Gerichtsvollzieher alles mitnehmen, wofür Mom und Dad so hart gearbeitet haben?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Du warst viel nützlicher, wo du warst.«

»Die Versicherung hat doch bestimmt …« Jude hielt inne, als Louises Augen sich für eine Sekunde schlossen.

»Nur Sturmschäden, weißt du nicht mehr? Natürlich habe ich wieder den Gerichtsmediziner kontaktiert.« Es war eine Überleitung, die Jude verwirrte, bis sie erklärte. »Ich habe gefragt, ob die Todesvermutung vorgetragen werden kann.«

»Todesvermutung?« Jude konnte eine Reihe von Möwen auf der Ufermauer sehen, einige mit offenen Schnäbeln, die zweifellos krächzten, aber alles, was er hörte, war das schnelle Pochen seines Herzens. »Du wolltest, dass der Gerichtsmediziner Mom und Dad für tot erklärt?«

Es war kein Lachen, das Louise ausstieß, nicht wirklich. Es gab kein Wort, um einen so freudlosen Laut zu beschreiben. »Natürlich wollte ich das nicht.« Mit einem abrupten Ruck griff sie nach ihrer Tasse, das Porzellan klirrte gegen ihre Zähne, als sie schluckte, statt zu nippen. »Natürlich wollte ich das nicht.«

»Warum dann …?«

Dann ergriff Rob das Wort. »So wie ich es verstehe, kann der Tod einer vermissten Person erst nach sieben Jahren vermutet werden, aber diese Zeitspanne kann verkürzt werden, wenn eine überwältigende Menge an Beweisen angeboten wird, wie zum Beispiel die Lokalisierung ihres spezifischen Standortes während einer Naturkatastrophe.«

Der Atem, den Louise ausstieß, war lang und zittrig. »Gott hab sie selig, aber Mom und Dad waren nicht die Besten, wenn es ums Geschäftliche ging. Sie haben eine zu große Hypothek für dieses Haus aufgenommen und dann nie einen großen Gewinn gemacht. Es sind noch Jahre auf den Kredit ausgesetzt. Mit mehr Beweisen und der Zustimmung des Gerichtsmediziners wird ihre Lebensversicherung alles abbezahlen und noch einiges mehr. Wir könnten auch auf ihre Rentenkassen zugreifen.«

Jude hatte in letzter Zeit viele Tiefpunkte erlebt; Zeiten, in denen er vertraute Segel am Horizont erspäht hatte, nur um unter ihnen ein anderes Boot als die One for Luck zu finden, aber vor diesem Moment hatte er noch nie einen solchen Tiefpunkt erreicht.

Er saß seiner Schwester gegenüber und verstand endlich, warum sie nicht darauf bestanden hatte, dass er nach Hause kam, auch wenn ein zusätzliches Paar Hände vielleicht nützlich gewesen wäre.

Sie hatte aufgehört zu glauben, dass er ihre Eltern lebend finden würde.

Wann würde er es auch akzeptieren?

Rob bot wieder den Cognac an. Jude schob ihm seine leere Tasse entgegen und hörte kaum zu, als Rob sagte: »Louise hat den Gerichtsmediziner gefragt, aber seine Antwort war nicht hilfreich. Und die der Bank auch nicht. Sie wollten keinen Kredit gewähren, wenn das Grundstück den vermissten Eigentümern gehörte. Ihr gingen wirklich die Möglichkeiten aus.« Er goss einen großzügigen Schluck ein, bevor er die Flasche wieder verschloss. »Da hat sie sich an mich gewandt. Erinnerst du dich, dass der Wettbewerb mit einem Geldpreis verbunden war?«

Natürlich tat er das. Das war seine einzige Motivation gewesen – gerade genug für einen aufstrebenden Koch, um sich selbstständig zu machen. Es war das, was Jude überhaupt erst dazu gebracht hatte, teilzunehmen – endlich ein guter Grund, um ihn langfristig von Porthperrin fernzuhalten.

Rob schob die Tasse zurück auf Judes Seite des Tisches. »Deine Schwester hat das Interview gelesen, in dem ich sagte, dass ich es ohne dich nicht gewonnen hätte.«

Jude hob seinen Cognac und verschluckte sich fast, weil Rob noch nicht fertig war.

»Sie sagte mir, wenn das wahr wäre, sollte ich es mit dir teilen.«

* * *

Diesmal folgte Rob Jude, als dieser die Bar verließ und die Eingangstür öffnete, um die Straße zur Deichmauer zu überqueren. Er stellte Judes Tasse ab – sie enthielt noch eine Pfütze Cognac am Boden – und nahm einen Schluck von seinem eigenen.

»Sich am Tag zu betrinken, wird nichts bringen.«

»Nein«, stimmte Rob zu und blinzelte in das Sonnenlicht. »Aber je eher die Flasche leer ist, desto eher wird Lou mich sie durch etwas Besseres ersetzen lassen.« Er kippte den Rest in den Hafen. »Sie führt ein sehr strenges Regiment.«

»Hört sich an, als müsste sie das auch.« Jude atmete Salzluft ein und eine Frage aus. »Du hast ihr wirklich die Hälfte des Preisgeldes gegeben?«

»Nein. Natürlich habe ich das nicht.« Rob blickte aufs Meer hinaus. Jenseits der Hafenmündung brachen die Wellen, turbulent und schäumend. »Ich habe ihr alles gegeben.«

»Du hast was?«

Rob verschränkte die Arme und starrte immer noch in die Ferne. »Oder, um genau zu sein, ich habe es gegen einen Teil der Gewinnbeteiligung deiner Schwester eingetauscht.« Bevor Jude das verarbeiten konnte, sagte Rob: »Es ist eine Investition, das ist alles. Es hat nichts damit zu tun, was zwischen uns passiert ist. Wie ich schon sagte, hast du deutlich gemacht, dass es keine Priorität ist, in Kontakt zu bleiben. Für dich steht die Familie an erster Stelle, und das verstehe ich. Ich respektiere es. Also musst du mir glauben, dass, als ich mich mit deiner Schwester geeinigt habe, dich wiederzusehen, nicht Teil der Abmachung war. Es war rein geschäftlich.«

Das war das zweite Mal an diesem Morgen, dass er den gleichen Satz benutzte.

»Deine Schwester brauchte eine Finanzspritze, wenn der Pub über den Winter kommen sollte. Wie gesagt, keine der Banken gab nach, aber ich konnte sehen, dass das New Anchor mit ein paar Investitionen eine Menge Geld verdienen könnte. Außerdem kam ich so aus London raus.«

»Warum wollest du das?«

»Warum wollte ich dortbleiben?« Rob drehte sich so, dass seine Hüfte an der Ufermauer lehnte. »Das war es, was mein Vater für mich wollte. In seine Fußstapfen treten und seine Restaurants leiten? Nein, danke«, sagte er mit einem Schaudern, als ob die Ablehnung dieses Glücks wie das Ausweichen vor einer Kugel war. »Ich habe gesehen, was dieses Leben mit den Menschen macht. Mit den Familien. Das war nicht das, was ich jemals wollte.«

Möwen flogen über ihnen und jagten sich gegenseitig, das ruhigere Wasser unter ihnen war meergrün und so klar, dass Jude einen Seestern auf dem Meeresboden sehen konnte. Rob wiederholte etwas, was Jude schon lange dachte. »Es ist so schön hier. Ich kann mir keinen besseren Ort auf diesem Planeten vorstellen.« Er hielt inne und überlegte. »Abgesehen von Glastonbury vielleicht.«

»Du bist nicht in London aufgewachsen?« Das Landleben war nicht gerade das, was er sich vorgestellt hatte, Rob so weltmännisch und entspannt im Trubel der Hauptstadt.

»Nein, aber Glastonbury war auch nicht wie Porthperrin. Weniger Atlantik; mehr Brachlandlinien, Druiden und Hippies. Unser Hotel zog die seltsamsten Leute an. Dort aufzuwachsen war magisch.« Sein ganzer Gesichtsausdruck hellte sich auf, was ihm gut stand. »In einem gut geführten Hotel packt jeder mit an, damit es funktioniert, wenn viel los ist. Mom gab mir die besten Aufgaben, zum Beispiel jedem neuen Gast nach dem Essen ein Glas Cognac einzuschenken. Sie plauderte mit ihnen, bis Papa mit dem Kochen fertig war, dann setzte er sich auch zu ihnen; redete mit ihnen, bis sie eher Freunde als Kunden waren. Er nahm sich damals Zeit für die Leute. Mom hat ihn dazu gebracht.« Seine nächste Pause war langatmig. »Mir gefällt die Idee, ein Hotel zu leiten, selbst ein kleines. Es ist viel besser, als nur eine Küche zu führen. Was hat es für einen Sinn, Essen zuzubereiten, wenn man nie eine Minute Zeit hat, um zu erfahren, wen man da verköstigt?« Er schüttelte den Kopf und blickte auf seine Tasse. »Ich habe nie wirklich über diesen Zusammenhang nachgedacht, aber ich habe mit deiner Schwester Cognac getrunken, als wir unsere Vereinbarung getroffen haben. Ich versprach, mein Geld zu investieren. Alles. Den Preis und das letzte Geld, das Mom nach ihrem … Wie auch immer. Louise hat versprochen, mich entweder mit Zinsen am Ende dieses Sommers auszuzahlen oder wir teilen uns eventuelle Verluste zu gleichen Teilen. Das ist ein guter Ansporn für uns beide, den Laden zum Laufen zu bringen.« Die Brise peitschte sein Haar nach vorne. »Wenn die Sommersaison so gut läuft, wie wir es planen, bin ich im Handumdrehen weg von dir.«

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